Die tanzenden Männchen

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Die alte Vorhalle mit Eichenholztäfelung und den hohen Fenstern wurde in einen Gerichtssaal verwandelt. Holmes nahm auf einem großen altmodischen Lehnstuhl Platz. Er war ernst und niedergeschlagen, aber in seinem Blick lag Trotz und Unerbittlichkeit. Ich konnte in seinen Augen den festen Vorsatz lesen, daß er seinen Klienten, den er leider nicht gerettet hatte, wenigstens unter allen Umständen rächen wollte. Der Inspektor, der alte grauhaarige Landdoktor, ein Ortspolizist und ich bildeten die Beisitzer dieses eigenartigen Gerichtshofes.

Die beiden Mädchen gaben eine ziemlich klare Darstellung des Vorfalls. Sie waren bei einem lauten Knall aus dem Schlaf aufgewacht; kurz darauf hatten sie einen zweiten gehört. Sie schliefen in zwei aneinander stoßenden Kammern. Fräulein King war zur Saunders gestürzt, und sie waren zusammen die Treppe hinuntergelaufen. Die Tür des Arbeitszimmers stand offen, und auf dem Tisch brannte eine Kerze. Ihr Herr lag mitten im Zimmer auf dem Fußboden, das Gesicht nach unten gekehrt. Er war vollständig tot. In der Nähe des Fensters lag seine Frau, mit dem Kopf an die Wand gelehnt. Sie hatte eine furchtbare Verwundung, und die eine Seite war ganz von Blut überströmt. Sie gab noch Lebenszeichen von sich, konnte aber nicht sprechen. Gang und Zimmer waren voll von Pulverdampf. Das Fenster war zu und von innen geschlossen. In diesem Punkt stimmten die Aussagen beider Mädchen vollständig überein. Sie hatten sofort zum Arzt und zur Polizei geschickt. Dann hatten sie mit Hilfe des Dieners und des Stallburschen ihre verwundete Herrin in ihr Zimmer gebracht. Beide Ehegatten hatten vorher das Bett benutzt. Die Frau war angekleidet, der Mann hatte über den Unterkleidern seinen Schlafrock an. Im Arbeitszimmer war nichts angerührt, es stand noch jedes Ding an seinem Platz. Soweit die Mädchen wußten, hatten die Eheleute im besten Einvernehmen gelebt und allgemein als ein sehr glückliches Paar gegolten.


Das waren die hauptsächlichsten Angaben. Auf eine Frage des Inspektors Martin konnten sie bestimmt behaupten, daß alle Haustüren von innen geschlossen gewesen waren, und niemand aus dem Haus entwischt sein konnte. Holmes antworteten sie, daß ihnen, sobald sie aus ihren Zimmern auf den Flur gestürzt seien, augenblicklich ein starker Pulvergeruch aufgefallen sei. »Auf diesen Punkt mache ich Sie ganz besonders aufmerksam,« sagte Holmes zu seinem Berufsgenossen Martin. »Und nun können wir uns, glaube ich, an die Untersuchung des Zimmers begeben.«

Das Arbeitszimmer des Herrn Cubitt war nicht allzu groß; an drei Wänden standen Bücherregale, an einem gewöhnlichen Fenster stand ein Schreibtisch. Von hier aus konnte man den Hof und den Garten überschauen. Unsere erste Aufmerksamkeit galt der Leiche des unglücklichen Besitzers, dessen kolossaler Körper ausgestreckt am Boden lag. Daraus, daß seine Kleidung nicht ganz geordnet war, konnte man entnehmen, daß er Eile gehabt hatte. Die Kugel war von vorne gekommen, und, nachdem sie das Herz durchbohrt hatte, im Körper stecken geblieben. Der Tod mußte augenblicklich und schmerzlos eingetreten sein. Weder sein Schlafrock, noch seine Hände zeigten irgendwelche Pulverspuren. Nach Aussage des Arztes waren dagegen im Gesicht der Frau solche Flecken wahrnehmbar, aber an ihren Händen auch nicht.

»Das Fehlen dieser Flecken beweist nichts, wenn auch ihr Vorhandensein sehr vielsagend ist,« bemerkte Holmes. »Wenn man nicht gerade schlechte Patronen hat, bei denen der Boden reißt und das Pulver rückwärts fliegt, kann man eine Menge Schüsse abfeuern, ohne Pulverspuren an die Hand zu bekommen. Ich glaube, wir können Herrn Cubitts Leiche nun wegtragen lassen. Die Kugel, welche die Frau getroffen hat, haben Sie wohl nicht gefunden. Herr Doktor?«

»Dazu ist eine schwierige Operation nötig. Aber im Revolver stecken noch vier Kugeln. Zwei Schüsse sind abgegeben, und zwei Verwundungen sind zu konstatieren; es muß also jede Kugel getroffen haben.«

»So könnte es scheinen,« sagte Holmes. »Aber welche Kugel hat denn den Fensterrahmen durchschlagen?«

Er drehte sich rasch um und zeigte mit seinem langen dünnen Finger auf ein Loch im unteren Fensterrahmen, ungefähr einen Zoll über dem Fensterbrett.

»Weiß Gott!« rief der Inspektor. »Wie haben Sie das nur sehen können?«

»Weil ich danach gesucht habe.«

»Wunderbar!« sagte der Arzt. »Sie haben sicher recht. Dann muß ein dritter Schuß gefallen und auch eine dritte Person zugegen gewesen sein. Aber wer mag dies gewesen und wie mag sie hinausgekommen sein?«

»Diese Frage müssen wir nun zu beantworten suchen,« sagte Holmes. »Sie erinnern sich noch, Herr Martin, daß ich Ihnen den Umstand, daß die beiden Mädchen beim Verlassen ihrer Kammern sofort Pulvergeruch wahrgenommen haben, als außerordentlich wichtig bezeichnete?«

»Jawohl; aber ich muß offen gestehen, daß ich Ihnen nicht ganz zu folgen vermochte.«

»Im Augenblick, als die Schüsse fielen, hat wahrscheinlich sowohl die Tür wie das Fenster offengestanden. Wenn es nicht gezogen hätte, würde sich der Pulvergeruch nicht so schnell durch das ganze Haus verbreitet haben. Aber Tür und Fenster sind bald wieder zugemacht worden.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Daraus, daß das Licht nicht ausgeblasen worden ist.«

»Großartig!« rief der Inspektor, »großartig!«

»Ich hatte die feste Ueberzeugung, daß das Fenster, während das Unheil passiert ist, offen war. Daraus schloß ich weiter, daß eine dritte Person ihre Hand im Spiel gehabt habe. Diese mußte draußen gestanden und geschossen haben. Ein Schuß hinwieder auf diese Person konnte leicht den Fensterrahmen getroffen haben. Ich sah nach und fand denn auch das Loch.«

»Aber wer soll das Fenster zugemacht und von innen verriegelt haben?«

»Das hat sicher gleich die Frau getan. Aber, hallo! was seh' ich hier?«

Auf dem Schreibtisch lag das Handtäschchen einer Dame, ein niedliches kleines Täschchen aus Krokodilleder und mit Silber beschlagen. Holmes öffnete es und stülpte es um. Was kam zum Vorschein? – Ein Bündel von zwanzig Fünfzigpfundscheinen der Bank von England, die mit einem roten Bändchen zusammengebunden waren – weiter nichts.

»Das muß aufgehoben werden, denn es wird in der Verhandlung eine Rolle spielen,« sagte Holmes und händigte das Täschchen nebst Inhalt dem Polizeiinspektor ein. »Wir müssen uns zunächst nun mit dieser dritten Kugel etwas eingehender beschäftigen. Wie sich an den Splittern im Holz erkennen läßt, ist sie vom Zimmer aus gekommen. Ich möchte die Köchin gerne noch etwas fragen. – Sie sagten vorhin, Fräulein King, daß Sie durch einen lauten Knall geweckt worden seien. Wollten Sie mit diesem Beiwort sagen, daß Ihnen der erste Schuß lauter vorgekommen ist als der zweite?«

»Nun, ich erwachte gerade aus dem Schlaf, und kann daher nicht allzu genau urteilen, mein Herr; er erschien mir allerdings sehr laut.«

»Glauben Sie nicht, daß vielleicht im selben Moment zwei Schüsse gefallen sind?«

»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, Herr.«

»Ich glaube das ganz sicher. Im übrigen, Herr Martin, bin ich der Meinung, daß wir hier in diesem Zimmer nichts mehr zu suchen haben. Wir wollen nun lieber einen Rundgang durch den Garten machen und sehen, was wir dort für neues Beweismaterial finden.«

Vor dem Fenster von Herrn Cubitts Arbeitszimmer war ein Blumenbeet. Als wir in dessen Nähe kamen, sahen wir zu unserer größten Ueberraschung, daß die Blumen zusammengetreten waren. Der weiche Erdboden zeigte noch deutlich zahlreiche Spuren von großen Mannsfüßen mit auffallend langen, spitzen Schuhen. Holmes spürte wie ein Jagdhund, der ein verwundetes Stück Wild sucht, in dem Gras und den Blättern herum. Plötzlich stieß er einen Ruf der Befriedigung aus, bückte sich und hob eine kleine Metallhülse auf.

»Das dachte ich mir gleich,« sagte er, »der Revolver hat einen Auswerfer gehabt, das ist also die dritte Patrone. Ich glaube wahrhaftig, Herr Martin, unsere Untersuchung ist schon ziemlich beendigt.«

Der Inspektor war über die raschen Fortschritte, die seines Kollegen Nachforschungen machten, ganz erstaunt. Er war verwundert über die meisterhafte Leitung und folgte ihr, ohne selbst einzugreifen.

»Wen haben Sie in Verdacht?« fragte er.

»Darauf werde ich erst später eingehen, ich muß Ihnen dann überhaupt noch verschiedenes erklären. Nachdem ich nun soweit gediehen bin, muß ich vorläufig diesen Weg weiter verfolgen und Ihnen dann die ganze Sache auf einmal und im Zusammenhang auseinandersetzen.«

»Ganz wie Sie meinen, Herr Holmes. Wenn wir nur unseren Mann bekommen.«

»Ich bin sonst kein Freund von Geheimtuerei, aber jetzt in dem Augenblick, wo wir handeln müssen, fehlt mir die Zeit zu langen und schwierigen Erörterungen. Ich habe jetzt alle Fäden in meiner Hand. Selbst wenn die Frau das Bewußtsein nie wieder erlangen sollte, können wir doch das Drama der vergangenen Nacht aufklären und die gerichtliche Bestrafung des Schuldigen herbeiführen. Zunächst möchte ich nun wissen, ob in der Nachbarschaft eine Oertlichkeit, ein Gutshof oder dergleichen, unter dem Namen ›Elrige‹ bekannt ist.«

Die Bediensteten wurden in ein Kreuzverhör genommen, aber keiner hatte von einer solchen gehört. Endlich fiel dem Stalljungen ein, daß ein Landwirt dieses Namens einige Meilen von hier nach Ost-Ruston zu ein Besitztum habe.

»Ist es abgelegen?«

»Ganz abgelegen, Herr.«

»Man wird also dort von dem hiesigen Unglück wahrscheinlich noch keine Nachricht haben?«

»Das kann sein.«

Holmes überlegte einige Sekunden, dann spielte ein zufriedenes Lächeln um seinen Mund.

 

»Sattele ein Pferd, mein Junge,« sagte er zu dem Burschen. »Du sollst einen Brief nach Elrige's Hof bringen.«

Er nahm die verschiedenen Blätter mit den tanzenden Männchen aus der Tasche, breitete sie vor sich auf dem Schreibtisch aus und schrieb eine Zeitlang. Endlich übergab er dem Jungen ein Schreiben mit der Anweisung, es dem Adressaten persönlich einzuhändigen und auf keinerlei Fragen, die man etwa an ihn richten sollte, Aufschluß zu geben.

Ich bemerkte, daß die Adresse auf dem Umschlag nicht Holmes' gewöhnliche feste Handschrift zeigte, sondern weitläufige, unzusammenhängende, ungleichmäßige Schriftzüge; sie lautete:

Herrn Abe Slaney

Elrige's Hof

Ost-Ruston, Norfolk

»Ich halte es für ratsam, wenn Sie um Verstärkung telegraphieren, Herr Inspektor, denn wenn sich meine Berechnung als richtig erweist, werden Sie einen besonders gefährlichen Gefangenen zu transportieren haben. Der Junge, der den Brief besorgt, könnte gleich das Telegramm aufgeben. – Wenn nachmittags ein Zug nach London abgeht, wollen wir wieder zurückfahren, Watson, ich habe nämlich eine interessante chemische Analyse fertig zu machen, und diese Untersuchung hier wird bald zum Abschluß kommen.«

Als der Junge mit dem Brief fort war, gab Holmes der Dienerschaft die nötigen Anweisungen. Wenn irgend jemand nach Frau Cubitt fragen sollte, dürfe ihm nichts über ihr Befinden gesagt werden, sondern er müsse sofort ins Empfangszimmer geführt werden. Er schärfte ihnen das sehr ernstlich ein. Darauf ging er selbst mit uns ins Empfangszimmer und sagte uns, daß wir einstweilen in der Sache nichts mehr tun könnten. Wir sollten ruhig abwarten, wie sich die Angelegenheit weiter entwickeln würde, und uns unterdessen nach Belieben die Zeit vertreiben. Der Arzt ging auf seine Praxis, und nur der Inspektor und ich blieben bei Holmes zurück.

»Ich glaube, wir können diese Wartezeit ganz angenehm und nützlich ausfüllen,« sagte er, indem er seinen Stuhl an den Tisch rückte und die verschiedenen Papiere mit den rätselhaften tanzenden Figuren vor sich ausbreitete. »Dir, mein Freund Watson, zolle ich die größte Hochachtung dafür, daß du deine natürliche Neugierde so lange bemeistert hast. Ihnen, Herr Inspektor Martin, mag der Fall als eine interessante Fachstudie dienen. Ich muß Ihnen vor allen Dingen das mitteilen, was ich durch Herrn Cubitt erfahren habe; er hat mich zweimal in der Bakerstraße aufgesucht.« Holmes wiederholte dann kurz die Tatsachen, die ich oben bereits erzählt habe. »Ich habe hier diese eigentümlichen Produkte vor mir liegen; wenn sie nicht die Vorläufer einer so furchtbaren Tragödie gewesen wären, möchte man darüber lachen. Ich bin mit allen Arten von Geheimschriften ziemlich vertraut, ich habe sogar eine kleine Abhandlung darüber veröffentlicht und darin hundertundsechzig verschiedene Chiffern nachgewiesen. Doch muß ich gestehen, daß mir diese Form vollkommen neu ist. Der Erfinder dieses Systems hat offenbar den Glauben erwecken wollen, als ob diese Figuren gar nicht zur Uebermittelung irgendwelcher Nachrichten dienten, sondern das zufällige Gekritzel von Kinderhand wären.

»Nachdem ich aber einmal erkannt hatte, daß die Zeichen an Stelle von Buchstaben standen, und gefunden hatte, daß dieselben Regeln wie bei allen übrigen Geheimschriften befolgt waren, machte mir ihre Lösung keine allzu großen Schwierigkeiten mehr. Die erste Probe, die mir übermittelt wurde, war zu kurz, um mehr herauszubringen, als daß das Zeichen ein e vorstellen müßte.


Wie Sie wissen, ist e der häufigste Buchstabe im Englischen; er ist so vorherrschend, daß man das schon in einem kurzen Satze bestätigt findet. Von fünfzehn Zeichen in der ersten Nachricht waren vier gleich, was meine Annahme also ziemlich rechtfertigte. Nun trug diese Figur manchmal eine Flagge und manchmal nicht, aber aus der Art ihrer Verteilung ging mit einiger Wahrscheinlichkeit hervor, daß diese Fähnchen dazu dienen sollten, den Satz in einzelne Worte zu zergliedern. Ich legte diese Annahme zugrunde und setzte für dieses


ein e.

»Die weitere Untersuchung gestaltete sich jedoch nicht so einfach. Die Häufigkeit der übrigen Buchstaben im Englischen ist durchaus nicht feststehend. Die Reihenfolge auf einer Druckseite ergab ungefähr folgendes Resultat: t, a, o, i, n, s, h, r, d, l. Nun sind aber die Unterschiede in der Häufigkeit des Vorkommens zwischen t, a, o und i sehr gering, und es war unmöglich, alle Kombinationen zu versuchen, bis sich aus dem Satze ein Sinn ergab. Ich wartete also auf neues Material. Bei seinem zweiten Besuche konnte mir Herr Cubitt zwei andere kurze Sätze und ein einzelnes Wort übergeben. Daß das letztere kein Satz war, sondern nur ein Wort, schien daraus hervorzugehen, daß kein Fähnchen dabei war. Da habe ich diese Zeichen. In diesem einzelnen Wort kannte ich nun die beiden e; das eine steht an zweiter, das andere an vierter Stelle bei fünf Buchstaben. Es konnte also sever, lever oder never [niemals] heißen. Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß die letzte Bedeutung als Antwort auf eine Aufforderung die wahrscheinlichste war, und aus den Umständen ging hervor, daß es eine Erwiderung auf einen Vorschlag der Frau Cubitt war. Nehmen wir diese Vermutung als richtig an, so können wir bereits sagen, daß die Zeichen


den Buchstaben n, v, r entsprechen.

»Aber auch jetzt waren noch nicht alle Schwierigkeiten überwunden; doch ein glücklicher Einfall ließ mich mehrere andere Zeichen enträtseln. Ich kam auf den Gedanken, daß, wenn diese Zuschrift meiner Vermutung entsprechend von jemand herrührte, der früher in näheren Beziehungen zu der Dame gestanden hatte, ein Wort mit je einem e am Anfang und am Ende und mit drei anderen Buchstaben dazwischen wohl den Namen Elsie bedeuten könnte. Bei genauer Prüfung fand ich denn auch, daß diese Zeichenverbindung in drei aufeinanderfolgenden Fällen den Schluß der Mitteilung bildete. Es war also sicher eine Aufforderung an Elsie. Auf diese Weise kannte ich l, s und i. Aber was war der Inhalt dieser vorausgehenden Mitteilung? Das Wort vor Elsie bestand aus vier Buchstaben, deren letzter ein e war. Es mußte wohl come [komm!] heißen. Ich probierte alle anderen Wörter mit vier Buchstaben und einem e am Schluß durch, aber kein anderes paßte in diesen Zusammenhang. So hatte ich denn auch c, o und m herausgebracht und konnte nunmehr die Auflösung der ersten Zuschrift wieder von neuem in Angriff nehmen. Ich teilte sie in Worte ab und ersetzte die bekannten Zeichen durch die entsprechenden Buchstaben und die unbekannten durch Punkte. Auf diese Weise erhielt ich folgendes:

. m . e r e .. e s l . n e.

»Der erste Buchstabe kann nur ein a sein. Diese Entdeckung war sehr wichtig, weil dasselbe Zeichen in dem kurzen Satz dreimal vorkommt. Im zweiten Wort fehlt vorne offenbar ein h; setzen wir das ein, so ergibt sich:

am here a. e slane

und wenn man die leeren Stellen im dritten und vierten Wort, was sicher der Name ist, noch durch die offenbar fehlenden Buchstaben ergänzt:

am here abe slaney

[Bin hier Abe Slaney]

»Ich hatte nun so viele Buchstaben gefunden, daß ich zuversichtlich an die Entzifferung der zweiten Nachricht gehen konnte, die vorläufig folgende Gestalt annahm:

a. elri . es

Das ergab nur einen Sinn, wenn ich an die Stelle der Punkte ein t beziehungsweise ein g setzte, sodaß die Botschaft hieß: at elriges [in Elriges], und annahm, daß es der Name irgend eines Wirtshauses oder Hofes sei, wo der Schreiber wohnte.«

Inspektor Martin und ich hatten mit größtem Interesse den klaren und ausführlichen Auseinandersetzungen meines Freundes zugehört, wodurch er alle Schwierigkeiten dieses verzwickten Falles aus dem Weg geräumt hatte.

»Was taten Sie dann weiter?« fragte der Inspektor.

»Ich vermutete mit gutem Grunde, daß dieser Abe Slaney ein Amerikaner sei, weil Abe eine amerikanische Zusammenziehung ist, und weil mit einem Brief aus Amerika die ganze Geschichte ihren Anfang genommen hatte. Ich hatte ferner alle Ursache, anzunehmen, daß irgend ein heimliches Verbrechen dahintersteckte. Die Anspielungen der Dame auf ihre Vergangenheit und ihre Weigerung, ihrem Gatten das Geheimnis anzuvertrauen, wiesen stark darauf hin. Ich telegraphierte daher an meinen Freund Wilson Hargreave von der New Yorker Polizei, dem ich auch schon verschiedentlich zu Diensten gestanden hatte, und fragte an, ob ihm der Name Abe Slaney bekannt sei. Hier habe ich seine Antwort: ›Ist der gefährlichste Kunde in Chicago‹. An demselben Abend, kurz bevor ich diese Nachricht erhielt, bekam ich auch einen Brief von Herrn Cubitt, worin er mir die letzte Nachricht Slaneys zusandte. Mit Hilfe meiner mittlerweile erlangten Kenntnisse konnte ich sie folgendermaßen entziffern:

elsie . re . are to meet thy go .

Durch Hinzufügung zweier p und eines d am Ende erhielt ich den Satz: elsie prepare to meet thy god [Elsie, mache dich bereit, deinem Gott gegenüberzutreten]. Aus dieser Mitteilung konnte ich entnehmen, daß der Kerl von Ueberredungen zu Drohungen übergegangen war, und soweit ich die Chicagoer Verbrecher kannte, ließen sie den Worten rasch die Tat folgen. Ich eilte also, sobald es möglich war, mit meinem Freunde und Kollegen Dr. Watson nach Norfolk, wo ich leider aber schon zu spät eintraf, und das Unglück bereits geschehen war.«

»Es ist ein großer Vorzug, mit Ihnen gemeinsam einen Fall behandeln zu können,« sagte der Inspektor gerührt. »Sie werden jedoch entschuldigen, wenn ich so frei bin, Ihnen zu sagen, daß Sie nur sich selbst Rechenschaft zu geben brauchen, während ich mich aber vor meinen Vorgesetzten zu verantworten habe. Wenn dieser Abe Slaney in Elriges wirklich der Mörder ist, und, während ich untätig hier sitze, die Flucht ergreift, würde ich große Unannehmlichkeiten bekommen.«

»Sie brauchen sich in keiner Weise zu beunruhigen. Er wird noch nicht einmal den Versuch machen, zu entfliehen.«

»Woher wissen Sie das?«

»Durch die Flucht würde er sich ja schuldig bekennen.«

»Dann wollen wir ihn in seiner Wohnung festnehmen?«

»Ich erwarte ihn jeden Augenblick hier.«

»Aber warum sollte er hierher kommen?«

»Weil ich ihm geschrieben und ihn darum gebeten habe.«

»Das ist doch nicht sehr glaubwürdig, Herr Holmes! Warum sollte er kommen, weil Sie ihn darum ersucht haben. Sollte ihm diese Bitte nicht eher verdächtig vorkommen und ihn zur Flucht veranlassen?«

»Sie können mir wohl zutrauen, daß ich den Brief darnach abgefaßt habe,« erwiderte Holmes. »Uebrigens, wenn ich nicht irre, kommt er dort schon den Weg herauf.«

Auf dem Gartenweg kam nach der Haustüre zu ein Mann einhergeschritten. Es war ein großer, stattlicher Kerl mit sonnverbranntem Gesicht. Er trug einen grauen Sommeranzug und einen Panamahut, hatte einen struppigen, schwarzen Bart, eine starke, gebogene Nase und schwang einen Spazierstock in der Hand. Er kam an wie der Herr des Hauses und klingelte laut und zuversichtlich.