Die Familie Selicke

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Die Familie Selicke
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Arno Holz/Johannes Schlaf

Die Familie Selicke

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Personen

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Impressum neobooks

Personen

Eduard Selicke, Buchhalter

Seine Frau

Toni, 22 Jahre alt

Albert, 18 Jahre alt

Walter, 12 Jahre alt

Linchen, 8 Jahre alt

Gustav Wendt, cand. theol., Chambregarnist bei ihnen

Der alte Kopelke

Zeit: Weihnachten. Ort: Berlin N.

Erster Aufzug

Das Wohnzimmer der Familie Selicke.

Es ist mäßig groß und sehr bescheiden eingerichtet. Im Vordergrunde rechts führt eine Tür in den Korridor, im Vordergrunde links eine in das Zimmer Wendts. Etwas weiter hinter dieser eine Küchentür mit Glasfenstern und Zwirngardinen. Die Rückwand nimmt ein altes, schwerfälliges, großgeblumtes Sofa ein, über welchem zwischen zwei kleinen, vergilbten Gipsstatuetten »Schiller und Goethe« der bekannte Kaulbachsche Stahlstich »Lotte, Brot schneidend'« hängt. Darunter im Halbkranze, symmetrisch angeordnet, eine Anzahl photographischer Familienporträts. Vor dem Sofa ein ovaler Tisch, auf welchem zwischen allerhand Kaffeegeschirr eine brennende weiße Glaslampe mit grünem Schirm steht. Rechts von ihm ein Fenster, links von ihm eine kleine Tapetentür, die in eine Kammer führt. Außerdem noch, zwischen den beiden Türen an der linken Seitenwand, ein Tischchen mit einem Kanarienvogel, über welchem ein Regulator tickt, und, hinten an der rechten Seitenwand, ein Bett, dessen Kopfende, dem Zuschauerraum zunächst, durch einen Wandschirm verdeckt wird. Am Fußende des Bettes, neben dem Fenster, schließlich noch ein kleines Nachttischchen mit

Medizinflaschen. Zwischen Kammer- und Küchentür ein Ofen; Stühle.

FRAU SELICKE etwas ältlich, vergrämt, sitzt vor dem Bett und strickt. Abgetragene Kleidung, lila Seelenwärmer, Hornbrille auf der Nase, ab und zu ein wenig fröstelnd. Pause. Seufzend. Ach Gott ja!

WALTER noch hinter der Szene, in der Kammer. Mamchen?! Frau Selicke hat in Gedanken ihren Strickstrumpf fallen lassen, zieht ihr Taschentuch halb aus der Tasche, bückt sich drüber und schnäuzt sich.

WALTER steckt den Kopf durch die Kammertür. Pausbacken, Pudelmütze, rote, gestrickte Fausthandschuhe. Mamchen? darf ich mir noch schnell 'ne Stulle schneiden?

FRAU SELICKE ist zusammengefahren. Ach, geh, du ungezogner Junge! Erschrick einen doch nich immer so! Ist aufgestanden und an den Tisch getreten, auf den sie ihre Brille legt. Kannst du denn auch gar nich 'n bisschen Rücksicht nehmen?! Siehst du denn nich, dass das Kind krank ist?

WALTER ist unterdessen aufs Sofa geklettert und trinkt nun nacheinander die verschiedenen Kaffeereste aus. Den Zucker holt er sich mit dem Löffel extra raus. Aber ich hab doch noch solchen Hunger, Mamchen?

ALBERT ebenfalls noch hinter der Szene, in der Kammer, deren Tür jetzt weit aufsteht. Man sieht ihn vor einer kleinen Spiegelkommode, auf der ein Licht brennt. Knüpft sich grade seine Krawatte um. Hemdärmel. Ach was, Mutter! Jieb ihm lieber 'n Katzenkopp un denn is jut!

FRAU SELICKE die jetzt Walter die Stulle schneidet. Na, du, Großer, sei doch man schon ganz still! Du verdienst ja noch alle Tage welche! Ich denk, ihr seid überhaupt schon lange weg?

ALBERT ärgerlich. Ja doch! Gleich! Aber ich wer' mir doch wohl noch erst den Rock abbürschten können?

FRAU SELICKE. Na ja, gewiss doch! Steh du man immer recht vorm Spiegel und vertrödle recht viel Zeit! Da werd't ihr ja euern lieben Vater sicher noch finden! Der wird heute grade noch auf 'm Kontor sitzen!

ALBERT. Ach Jott! Nu tu doch man nicht wieder so! Vor sechs kann er ja doch heute sowieso nich aus 'm Geschäft!

FRAU SELICKE. So! Na! Und wie spät denkste denn, dass es jetz' is? Hat während des Streichens der Stulle einen Augenblick innegehalten, den Schirm von der Lampe gerückt und nach dem Regulator gesehen. Jetz' is gleich drei Viertel!

ALBERT. Ach, Unsinn? Die jeht ja vor!

FRAU SELICKE für sich, fast weinend. Hach nee! Ich sag schon! Sicher is er nu wieder weg, und vor morgen früh wer'n wir 'n ja dann natürlich nich wieder zu sehn kriegen! Nein, so ein Mann! So ein Mann! ...

ALBERT noch immer in der Kammer und vorm Spiegel. Hurrjott, Mutter! Räsonier doch nicht immer so! Du weißt ja noch gar nich!

FRAU SELICKE. Ach was! Lass mich zufrieden! Beruf mich nich immer! Ich weiß schon, was ich weiß! Unwirsch zu Walter. Da – haste! Klapp se dir zusammen und dann macht, dass ihr endlich fortkommt! Aus euch wird auch nischt! Es klingelt. Einen Augenblick lang horchen beide. Frau Selicke ist zusammengefahren, Walter starrt, die Stulle in der Hand, mit offenem Munde über die Lampe weg nach der Tür, die ins Entree führt.

FRAU SELICKE endlich. Na? Machste nu auf, oder nich?

Walter hat die Stulle liegenlassen und läuft auf die Tür zu. Er klinkt diese auf und verschwindet im Entree.

ALBERT der eben aus der Kammer getreten ist, in der er das Licht ausgelöscht hat, zieht sich noch gerade seinen Überzieher an. Aus der Brusttasche stecken Glacés, zwischen den Zähnen hält er eine brennende Zigarette, an einem breiten, schwarzen Bande baumelt ihm ein Kneifer herab. Modern gescheitelt. Hut und Stöckchen hat er einstweilen auf den Stuhl neben dem Sofa platziert. Zu Frau Selicke, indem er mit dem Fuße die Tür hinter sich zudrückt. Nanu? Das kann doch unmöglich schon der Vater sein?

FRAU SELICKE die sich wieder mit dem Kaffeegeschirr zu tun macht, unruhig. Ach wo!

Unterdessen ist draußen die Flurtür aufgegangen, und man hört die Stimme des alten Kopelke: »Brrr ... is det heit 'n Schweinewetter?!« – Die Tür klappt wieder zu, und jetzt schreit Walter laut auf, ausgelassen: »Ach! Olle Kopelke! Olle Kopelke!« – »Nich doch, Kind, nich doch; du tust mir ja weh! Du drickst mir ja! Du musst doch abber ooch heern! Da – nimm mir mal lieber hier 'n bissken det Menneken ab! ... Brrr ... nee ... äh!«

ALBERT zu Frau Selicke, sich die Handschuhe zuknöpfend. Ach, der alte Quacksalber?!

FRAU SELICKE. Na, du Großmaul, wirst doch nich immer gleich das Geld geb'n für 'n Dokter!

ALBERT aufgebracht. Ach, Blech! Nich wahr? Nu fang wieder davon an! ...

WALTER noch halb im Entree. Au, Mamchen, sieh mal! 'n Hampelmann! Mamchen, 'n Hampelmann! Er kommt mit ihm ins Zimmer getanzt. Zum alten Kopelke zurück. Wah? Den schenken Se mir?

KOPELKE behutsam hinter ihm drein. Klein, kugelrund, freundlich. Vollmondsgesicht, glattrasiert. Sammetjoppe, Pelzkappe, Wollschal. Sachteken! Sachteken!

ALBERT hat sich den Stock schnell unter den Arm geklemmt und sich den Kneifer aufgesetzt, affektiert. Ah, gut'n Abend, Herr Kopelke!

KOPELKE. 'n Abend! 'n Abend, junger Herr! Reicht Frau Selicke die Hand. 'n Abend!Nach dem Bett hin. Na? Und meene kleene Patientin? Ick muss doch mal sehn kommen?

FRAU SELICKE weinerlich. Ach Gott ja! Na, ich kann wohl schon sagen!

KOPELKE sie beruhigend. Ach wat, wissen Se! Det ... det ... e ...

WALTER hat sich unterdessen mit seinem Hampelmann abgegeben, ihm die Zunge gezeigt, »Bah!« zu ihm gemacht und tänzelt nun mit ihm um den alten Kopelke rum, diesen unterbrechend. Olle Kopelke! Olle Kopelke!

KOPELKE sanft abwehrend. Ach, nich doch, Kind! Det 's jo unjezogen! Du musst nich immer Olle Kopelke sagen! Det jeheert sick nich!

WALTER Rübchen schabend. Oh ...! Olle Kopelke! ...

ALBERT. Hörst du denn nich, du Schafskopp? Du sollst still sein!

WALTER den Ellbogen gegen ihn vor. Nanu? Du hast mir doch jar nischt zu sagen?

Albert holt mit der Hand aus.

FRAU SELICKE mit dem Strickstrumpf, den sie unterdessen wieder aufgenommen hat, dazwischen. Nein! Nein! Nun sehn Sie doch bloß! Die reinen Banditen! Das Kind! Das Kind! Nehmt doch wenigstens auf das Kind Rücksicht!

ALBERT der sich achselzuckend wieder abgewandt hat. Natürlich! So is recht! Bestärk ihn man noch immer! Dem lässt du ja alles durchgehn! Der kann ja machen, was er will! Aus dem Bürschchen erziehst du ja schon was Rechtes! Vater hat janz recht!

FRAU SELICKE. Nein! Nein! Nu hören Se doch bloß! Und da soll man sich nich gleich schlag rührend ärgern?

KOPELKE zu Albert. Sachteken, werter junger Herr, sachteken ... Zu Frau Selicke. Immer in Jiete, Mutter! Det ville Jehaue un det ville Jeschumpfe nutzt zu janischt, zu reen janischt! ... Ibrijens ... Er hat sich mitten in die Stube gestellt und schnuppert nun nach allen Seiten in der Luft rum. ... wat ick doch jleich noch sagen wollte ... det ... det ... riecht jo hier so anjenehm nach Kaffee? ... Hm! Pf! Brrr! ... Nee, dieset Schweinewetter?! Ick bin – wahrhaftijen Jott – janz aus de Puste! Er hat sich seinen großen, dicken Wollschal abgezerrt und schlenkert ihn nun nach allen Seiten um sich rum. Kopp weg! Zu Walter, den er dabei getroffen hat. He? Wah det deine Neese?

 

WALTER der sich den Schnee von den Backen wischt, vergnügt lachend. Hohohoo!

ALBERT bereits äußerst ungeduldig, den Hut in der Hand. Na, jedenfalls ich jeh jetzt! Wir kommen ja sonst wahrhaftig noch zu spät!

FRAU SELICKE. Ja, ja! Macht man, dass ihr fortkommt!

KOPELKE zu Albert. Aha! Wol zu Papa'n uf 't Kontor?

ALBERT ausweichend. Ach! Ja! Das heißt ... eh ... wir wollten so ... bloß 'n bisschen vorbeijehn!

KOPELKE ihm mit einer Handbewegung gutmütig zublinzelnd, verschmitzt. Weeß schon! Zu Frau Selicke, halb ins Ohr. Edewachten kenn ick doch? ... Wieder zu Albert. Na, denn ... eh ... denn beeilen sick man! So wat looft weg!

ALBERT schon unter der Tür stehend zu Walter, der sich eben seinen Hampelmann an die Jacke knöpft. Na, willst nu so jut sein oder nich?

WALTER gibt dem alten Kopelke die Hand. Atchee!

KOPELKE. Atchee, mein Sohn, Atchee! Un jrieß ooch Vatern!

FRAU SELICKE. Na, und die Stulle? Reicht sie ihm noch schnell nach, Walter beißt sofort in sie hinein. Und dann, sagt, er soll gleich hierherkommen! Sagt, Toni is auch schon da! Wir warten schon!

Albert hat die Tür bereits aufgeklinkt und macht nun zum alten Kopelke hin eine stumme, zeremonielle Verbeugung.

KOPELKE. War mich sehr anjenehm, werter junger Herr! War mich sehr anjenehm!

Die beiden verschwinden. Draußen im Entree schlägt Walter hin. Schreit. Albert: »Na, du Ochse!«

FRAU SELICKE. Ei Herrgott! Was is denn nu schon wieder ... Will auf die Korridortür zu, draußen schlägt die Flurtür zu. Hach! Gott sei Dank, dass man die Gesellschaft endlich los ist!

KOPELKE sich die Hände reibend, schmunzelnd. Jo! Wah is't! 'n bissken wie we sind se! Abber – Jotteken doch! Det is doch nu mal nich anders! Det ...

Vom Bett her Geräusch und Husten.

FRAU SELICKE wirft ihr Strickzeug in das Kaffeegeschirr und eilt auf das Bett zu. Ach, nein! Ich sag schon! Nu haben sie ja das arme Kind glücklich wieder wachkrakeelt! ... Na, mein liebes Herzchen? ... Wie ist dir, mein liebes Linchen, he?Kleine Pause. Frau Selicke hatte sich übers Bett gebeugt, leises Stöhnen. Hast du Schmerzen, mein liebes Puttchen?

LINCHEN feines, rührendes Stimmchen. Ma – ma – chen?

FRAU SELICKE. Ja, mein Herzchen? Hm?

LINCHEN. Ma – ma – chen?

FRAU SELICKE. Hast du Appetit, mein Schäfchen? ... Nein? Ach, du mein Mäuschen!

LINCHEN. Ich – bin – so – müde ...

FRAU SELICKE. Ach, mein Herzchen! Aber, nicht wahr? Du willst jetzt noch einnehmen?! Onkel Kopelke ist ja da!

LINCHEN. On – kel – Ko – pel – ke?

Kopelke hat sein rotbaumwollenes Schnupftuch gezogen und schnäuzt sich.

FRAU SELICKE halb zu ihm zurückgewandt. Wollen Sie se mal sehn? Ich misch solange die Tropfen! Lässt ihn ans Kopfende treten und mischt während des Folgenden am Fußende des Bettes, auf dem Nachttischchen, die Medizin.

KOPELKE hat sich jetzt ebenfalls über das Bett gebeugt. Täppisch-zärtlich. Na, Lin'ken? Kennste mir noch? Ach Jotteken doch, die Ärmken! Nich wah? Det – watt doch mal, Kind, 'n Oogenblickchen! – Det ... tut doch nich weh? ... Na, sehste!! Ick sag ja! Det ... det is allens man auswendig! Det 's ja nich so schlimm! Uf de Woche kannst all dreist widder ufstehn! Denn jehste for Mama'n bei'n Koofmann! Denn jehste mit ihr uf 'n Marcht! Inholen! He? Weeßte noch? Uf 'n Pappelplatz? Der mit 't Schielooge? »Jungens«, sag ick, »Bande! Wer't ihr wol det Meechen sind lassen?« Abber da?? Heidi! Wat haste, wat kannste! ... Nich wah? Nu nehmste abber ooch sauber in? Zu Frau Selicke, während er diese ans Bett treten lässt. Wat de Kind bloß for 'n Schwitz hat?!

FRAU SELICKE besorgt. Nich wahr? Ach Gott ja!

KOPELKE beruhigend. Abber det ... eh ... wissen Se! ... Det ... det is immer so! Det is nu mal nich anders! Det ... Schnäuzt sich abermals.

FRAU SELICKE kommt mit dem Löffel. Na, Linchen? Ist dir wieder besser?

LINCHEN. Ach – ich – will – nicht – einnehmen!

FRAU SELICKE. O ja, meine Kleine! Du willst doch wieder gesund werden!

LINCHEN. Es – schmeckt – so – bitter!

FRAU SELICKE. Nicht weinen, mein Schäfchen! ... Komm! ... Sonst zankt der Herr Doktor wieder! Nicht wahr, Onkel Kopelke?

KOPELKE eifrig nickend. Ja, ja, Kindken! Det muss nu mal so sind! Det jeheert sick!

FRAU SELICKE. Nicht wahr? Hörst du? Komm mein Liebling! Ja?

LINCHEN. Es – schmeckt – so – bitter!

FRAU SELICKE. Aber nachher kannst du ja wieder spazieren gehn, mein Mäuschen?! Und Emmchen zeigt dir auch ihre Bilderbücher! Ja? ... Komm! ... Na, nu mach doch, Linchen! ... Du musst doch aber auch folgen! ... Gucke doch! ... Ich verschütte ja das ganze Einnehmen? ... Sie hat ihr leise die Hand unters Köpfchen geschoben.

LINCHEN. Au! Au! ... Du – ziepst – mich!

FRAU SELICKE. Oh! ... Na so! ... Nicht wahr? ... Fest! Drück die Augen zu! ... Schlucke! Tüchtig! ... Siehst du? ... Nicht weinen, nicht weinen! ... So! Nicht wahr?Nu is alles wieder gut! Nu is alles vorbei!

LINCHEN dreht sich jetzt unruhig in ihren Kissen rum und hustet gequält.

FRAU SELICKE. Mein armes, armes Herzchen! Der alte, böse Husten! ... So! ... Nu rücken wir bloß noch 'n bißchen das Kissen höher, nicht wahr? Und dann schläfst duschön wieder ein! Bückt sich über sie und küßt sie. Ach, du mein süßes Puttchen!Nachdem sie den Wandschirm jetzt noch näher ans Bett gerückt, zum alten Kopelke. Ach, Gott nein! Nu sagen Se doch bloß? Muß man da nich rein verzweifeln? Das geht nu schon tagelang so! Sie wacht geradezu nur noch auf Minuten auf!

KOPELKE die Hände in den Taschen seiner Joppe, nachdenklich vor sich hin. Hm! ...

FRAU SELICKE. Und aus dem Doktor wird man auch nicht mehr klug! Der sagteinem ja nichts! Der kommt kaum noch! Und ... und ... na ja, wenn wir Sie nicht noch hätten ...

KOPELKE leichthin. Jo! ... na! ... Wissen Se: Det kommt jo bei mir nich so druf an!Begütigend. Det verseimt mir jo weiter nich! Det's jo man immer so in Vorbeijehn! Det – ach wat! Det hat jo janischt zu sagen! Det's jo Mumpitz!! ... Abber det, wissen Se, det mit die Dokters, verstehn Se, da hab'n Se eejentlich wol nich so janz unrecht! Ick ... nu ja! Se wissen ja! Ick bin man sozusagen 'n janz eenfacher Mann ... Abber det kann 'k Ihn' versichern: jeholfen hab 'k schon manchen! ... Jott! Ick kennt jo wat bei verdienen! Wat mee'n Se woll! Abber sehn Se ... will 'k denn? Ick ... nu ja! Ick bin nu mal so! Eifrig. Wissen Se? De Hauptsach is jetz': man immer scheen warm halten! Det ibrije, verstehn Se, det ibrije jibt sick denn janz von alleene! Janz von alleene! Ick sag: man bloß nich immer so ville mang der Natur fuschen, sag ick! ... Det mit die olle Medizin da zum Beispiel ...

Es klopft an Wendts Tür.

FRAU SELICKE. Bitte, Herr Wendt, bitte! Treten Sie nur ein!

WENDT ist mehr als mittelgroß und sehr schlank. Feine, bleiche Gesichtszüge, das halblange, schwarze Haar einfach hintenübergekämmt. Dunkle, peinlich saubere Kleidung, kein Pastoralschnitt. Die Tür hinter sich schließend zu Frau Selicke. Verzeihen Sie! Ich dachte ... Zum alten Kopelke, ihm die Hand reichend. Ah! 'n Abend, Herr Kopelke! Wie geht's?

KOPELKE geschmeichelt. 'n Abend, werter junger Herr! Och, ick danke! Immer noch uf een langet un een kurzet Been! ... Is mich sehr anjenehm ... is mich sehr anjenehm ... Hört nicht auf, Wendts Hand zu schütteln.

WENDT zu Frau Selicke rüber. Fräulein Toni wollte doch heute etwas früher kommen?

FRAU SELICKE die Achseln zuckend. Ja! Na – Sie wissen ja! Wie das so is!

KOPELKE Wendt zublinzelnd und ihm scherzhaft mit dem Finger drohend. Freilein Toni? Na, wachten Se man, Sie kleener Scheeker! ... Frau Selicken? Ick sage: passen Se mir ja uf die beeden jungen Leite uf! Wieder zu Wendt. Det is mich doch schon lange so? ... he? Sie?

FRAU SELICKE lächelnd. Ach, lieber Gott, ja!

WENDT der ebenfalls gelächelt hat, zum alten Kopelke. Na, aber Scherz beiseite! Ich wollte ihr mal – da sehn Sie mal! – das da zeigen! Er hat ein großes, zusammengeknifftes Papier aus der inneren Brusttasche gezogen und es dem alten Kopelke überreicht.

KOPELKE. Oh! ... He! ... Na – ick ... eh ... Se meen'n, ick soll det hier – lesen, meen'n Se?

WENDT aufmunternd. Gewiss, gewiss, Herr Kopelke! Ich bitte Sie sogar darum!

KOPELKE. Oh! ... He! ... Na, ick – bin so frei! Ist mit dem Papier zur Lampe getreten. Zu Frau Selicke. Man ... eh ... Hab'n Se da nich wo Ihre Brille, Frau Selicken?

FRAU SELICKE umhersuchend. Meine Brille? Ach Gott ja! Ich ...

KOPELKE. Lassen Se man, ick hab ihr schon! Setzt sie sich auf. So! Na! Nu kann't losjehn! Hat das Papier sorgfältig entfaltet und liest es nun, die Arme weit von sich weg. Nach einer kleinen Pause, über die Brille zu Wendt hinüberschielend. Nanu?

WENDT der ihn lächelnd beobachtet. Na?

FRAU SELICKE neugierig. Was denn?

WENDT lächelnd. Ja, ja, Frau Selicke!

FRAU SELICKE wie ungläubig. Ach?

KOPELKE hat das Papier unterdessen wieder sorgfältig zusammengefaltet und gibt es nun wieder an Wendt zurück. In komischem Pathos. Nee, wissen Se! Det kennen Se von mir nich verlangen! Dazu jratulieren Se sick man alleene!

WENDT lachend, das Papier wieder einsteckend. Na, na!

FRAU SELICKE zum alten Kopelke. Was denn? Was denn, Herr Kopelke?

KOPELKE zu Frau Selicke, komisch. Paster! Land paster! Mit 'ne Bienenzucht un 'ne lange Pfeife! Wieder zu Wendt. Nee, wissen Se! Da kennen Se sagen, wat Se wollen, verstehn Se, abber for die Brieder sind Se ville zu schade!

FRAU SELICKE die Hände zusammenschlagend. Aber Herr Kopelke?!

KOPELKE. Ach wat! Hat sich wieder sein Schnupftuch hervorgezogen und schnäuzt sich.

WENDT ihm vergnügt auf die Schulter klopfend. Na, lassen Sie man! 'n hübsches Weihnachtsgeschenk bleibt's doch! Was, Frau Selicke?

FRAU SELICKE immer noch ganz erstaunt. Ach, nein! ... wahrhaftig? Also Sie sollen jetzt wirklich Pastor werden?

WENDT. Nun ja! Und ... wie Sie sehn! Ich freue mich sogar von Herzen drüber!

FRAU SELICKE. Ach ja! Und Sie waren ja auch immer so fleißig! Ich habe Sie wahrhaftig manchmal recht bedauert! Wenn ich so denke, so die ganzen letzten Wochen, Tag und Nacht, immer hinter den Büchern ...

WENDT. Ach, ich bitte Sie! Was hing aber auch nicht alles davon ab? Alles! Alles! Geradezu alles! – Und dann, was ich Ihnen noch gleich sagen muss, ich reise jetzt natürlich nicht erst Drittfeiertag, sondern schon morgen!

FRAU SELICKE. Schon morgen?

WENDT. Ja! Na, die Sachen sind ja schon alle so gut wie gepackt, und ... e ... aber ich vergesse ganz! Zum alten Kopelke. Sie sprachen vorhin von Linchen?

KOPELKE. Ick? Nu ja! Ick.. det heest.. ick ... e ... Sieht zu Frau Selicke hinüber.

FRAU SELICKE. Aber setzen Sie sich doch, Herr Kopelke! Woll'n Se sich nicht setzen? Ich mach Ihnen noch schnell 'ne Tasse Kaffee!

KOPELKE zu Wendt. Hm ... ja ... sehn Se, ick ... Plötzlich zu Frau Selicke. 'ne Tasse Kaffee? In sich hineinschmunzelnd, sich vergnügt die Hände reibend. Hm! ... 'ne Tasse Kaffee is jo wat sehr wat Scheenet! Wat sehr wat Scheenet! ... Abber ... Nee, Frau Selicken! Nee! Heite nich! Det verlohnt sick nich! Wahhaftijen Jott! Abber ick muss heite noch unjelogen hinten in de Druckerei! ... Se wissen ja! Det mit die ollen, deemlichen Krankenkassen! ...

FRAU SELICKE nach der Küche hin. Na, denn werd ich wenigstens noch 'n paar Kohlen unterlegen! Mit einem Blick auf die Uhr. Toni muss ja jeden Augenblick kommen! Verschwindet durch die Küchentür, hinter der bald darauf Licht aufblitzt. 'n Augenblickchen!

 

KOPELKE mit krummgezogenem Puckel, sich schmunzelnd die Hände reibend. Scheeniken! Scheeniken!

WENDT langt seine Zigarrentasche vor. Aber ich darf Ihnen doch wenigstens 'ne Zigarre anbieten?

KOPELKE. Oh! ... He! ... Na! Ick bin so frei, von Ihr jietijet Anersuchen – mbf! – Jebrauch zu machen, werter, junger Herr! Abber.. e ... – Winkt Wendt zu sich heran; dieser beugt sich ein wenig zu ihm hin, Kopelke hält ihm die hohle Hand ans Ohr. – ... ick meen man! Ick beraube Ihnen!

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