Systemische Interventionen

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Systemische Interventionen im Profil

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Der Beginn der Beratung: zwei Fundamente

Vor aller Veränderungsarbeit stehen zwei wesentliche Aufgaben systemischer Beratung, die im Folgenden getrennt skizziert werden sollen, auch wenn beide Seiten nicht wirklich zu trennen sind: die Prozesssteuerung und die Auftragsorientierung.

1.1 Prozesssteuerung und »Prozess(mit)steuerung«

In der klassischen Familientherapie wurde mit dem Begriff »Joining« die Notwendigkeit beschrieben, dass der / die BeraterIn sich an die ratsuchende Familie »ankoppelt«, z.B. durch einen unbelasteten Kontakt zu jedem Familienmitglied. Zum Joining zu Beratungsbeginn gehört immer auch etwas Smalltalk. Das eigentliche Ankoppeln liegt jedoch durchgängig im Beratungsverlauf in der Prozesssteuerung. Dies könnte missverständlich das Bild nahelegen, dass da jemand (der / die BeraterIn) aktiv »das Steuer in die Hand« nimmt und die Inhalte und die Art ihrer Bearbeitung direktiv und einseitig lenkt. Die Vorstellung einer direkten, systematischen und gezielten Beeinflussung eines anderen Menschen verträgt sich nicht mit dem systemischen Ansatz. Daher schlagen wir vor, eher von »Prozessmitsteuerung« zu sprechen (Loth 1998 verwendet in ähnlicher Weise das Wort »Bei-steuern«). Was bedeutet das konkret? Während die Inhalte der Gespräche und der Auftrag natürlich in der Hand der Betroffenen liegen, sorgt der / die BeraterIn dafür, dass im Gespräch ein Rahmen angeboten wird, der eine bestmögliche und konstruktive Bearbeitung dieser Inhalte in weitgehend selbstorganisatorischen Prozessen erlaubt.

Vielleicht kann man sagen, dass ein systemisches Vorgehen eher dem Jazz vergleichbar ist als der klassischen Musik: Es gibt einen Rahmen, der die Möglichkeiten begrenzt, doch gibt es keine »richtigen« Töne. Es geht nicht darum, sich einem verpflichtenden Klangbild anzupassen (Gierse 1997). Ähnlich äußert sich auch Schiepek, der von einer »Gesamtimprovisation des Prozesses« spricht, in dem melodische und rhythmische Versatzstücke als dynamische Komponenten einer umfassenden Prozessgestalt eingebaut werden (2004, S. 264f.). Die Kunst liegt eher darin, die Spannung zwischen Arrangement und Improvisation zu nutzen und darin, ein kreatives Feld zu schaffen. Dazu ist es gut zu wissen, welche Töne nicht passen – doch sogar diese können verwendet werden, wenn sie als Ausgangspunkt einer neuen Klangfolge genommen werden. In anderen (sollte man sagen »klassischen«?) Ansätzen von Therapie und Beratung geht es vielmehr darum, »den richtigen Ton zu treffen« und vielleicht macht das den Dialog der »Schulen« untereinander so schwierig. Der in diesem Abschnitt angesprochene Rahmen wäre in dem Bild dann das Akkordschema, das zu dem Stück gehört und der Rhythmus, der es strukturiert. Die Beratung selbst erfolgt dann im »freien Spiel« der Fragen und Hypothesen.

Dieser Rahmen lässt sich als Spannungsbogen zweier ganz unterschiedlicher Funktionen der Prozess(mit)steuerung beschreiben (siehe rechte Seite).

Hier geht es um die affektive Seite der Gestaltung des Rahmens; vielfach wird in dem Zusammenhang von »affektiver Rahmung« gesprochen (Welter-Enderlin / Hildenbrand 1996, 1998, Levold 1997). Durch alle Kanäle, nicht nur durch die Sprache, soll signalisiert werden, dass der Berater »beim anderen« ist. Eine besondere Bedeutung haben dabei die Mikrosignale, durch die man als Gesprächspartner dem anderen »offene Tür« signalisiert (Mimik, Gestik usw.). All dies dient dazu, den Gesprächspartner einer stabilen emotionalen Basis zu versichern, Stabilitätsbedingungen herzustellen. Die Stabilität der Beziehung (sie wird Metastabilität oder Rahmung genannt, weil sie sich auf den Rahmen des Gesprächs bezieht) ermöglicht es dem Gegenüber, sich der Instabilität der Auseinandersetzung mit schmerzhaften und negativen Gefühlen zu stellen. Interessanterweise ist in jüngster Zeit der Begriff der Rahmung auch als spezifisches systemisches Leitungsverständnis ins Gespräch gebracht worden. So sprechen Wedekind und Georgi (2005) von »orientierender Rahmung« und verstehen Führung nach dem Abschied von der Vorstellung der Instruierbarkeit organisationaler Abläufe als Qualität der Bereitstellung kreativ entwickelbarer Gestaltungsräume.


Abb. 1: Prozess(mit)steuerung in systemischer Beratung

Metastabilität: Vermittlung von Sicherheit

Erzeugung von Instabilität

Auf der »sicheren Basis« der Beratungsbeziehung geht es im nächsten Schritt darum, eine Qualität von Spannung aufrechtzuerhalten, die es möglich macht, dass die Ratsuchenden sich tatsächlich an die kritischen Punkte in ihren Auseinandersetzungen heranwagen. Ein gutes Beratungsgespräch braucht sowohl Neugier und Interesse als auch Aufregung und Mut. Der amerikanische Gestalt-Familientherapeut Walter Kempler sagte einmal, Veränderung werde »im Feuer der Affekte« geschmiedet. Es ist also wesentlich, auf der Basis der stabilen Beziehung kritische Punkte anzuschneiden, mutig zu sein, durchaus auch provokative Fragen zu stellen und den Betroffenen zu helfen, sich mit Themen zu konfrontieren, die sie normalerweise vermeiden. Veränderungsrelevante Auseinandersetzungen sind mithin alles andere als ruhig und sachlich geführte Gespräche, denn es geht um affektiv hoch geladene Inhalte – umso wichtiger ist dabei das Bewusstsein, durch das Fundament des sicheren Rahmens getragen zu sein. (Dies ist der Kern der generischen Prinzipien s. Schiepek / Kröger / Eckert 2003).

Systemtheoretisch gesprochen, geht es an diesem Punkt darum, Fluktuationsverstärkungen zu realisieren (Schiepek 2004). In diesem Zusammenhang hat der Begriff der »Dekonstruktion« (White 1992) seine besondere Bedeutung: gerade durch »Querdenken« (Varga von Kibéd / Sparrer 2000), etwa durch das Umdrehen gewohnter Beschreibungen (z.B. die später vorgestellten Umdeutungen), durch ungewöhnliches Verhalten der Beraterin, durch Musterunterbrechungen, durch kleine Experimente wird versucht, die gewohnte Beschreibung der Wirklichkeit durcheinander zu bringen, um die Chance für neue Erfahrungen zu eröffnen. Die diesem Vorgehen zugrunde liegende Erkenntnis ist, dass die erwünschten hilfreichen Veränderungen als sich selbst organisierende Ordnungsübergänge stattfinden.

Wie Schiepek (ebd.) betont, ist es dabei sehr wichtig, den Kairos, den richtigen Zeitpunkt, zu beachten, denn die gleiche Intervention kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten sehr unterschiedliche Effekte zeitigen. Selbstorganisation bedeutet nicht »laufen lassen und das Beste hoffen«, sondern aktiv zu Prozessen beizusteuern, die die Wahrscheinlichkeit solcher Ordnungsübergänge erhöhen – ohne darüber die Kontrolle zu haben (Loth 2005, S. 31).

Das skizzierte Spannungsfeld kann übrigens gut als »Diagnostikum« in der Supervision gesehen werden: Ist die Beratung von beiden Aspekten gekennzeichnet? Nichts ist langweiliger als eine Beratung, in der immer wieder die Sicherheit betont wird (»Sie brauchen jetzt nicht zu antworten, wenn Ihnen das zu schwer fällt«, »Fühlen Sie sich auch ganz wohl?«). Und nichts wäre gefährlicher als die Konfrontation mit schmerzhaften Inhalten ohne affektive sichere Basis. Die Erzeugung von Instabilität ohne tragende Beziehung ist ethisch nicht vertretbar.

1.2 Auftragsorientierung – Kundenorientierung

Zum Fundament der Beratung gehört es, sehr genau und sensibel zu sein für das Auftragsgeflecht, in das man sich hineinbegibt (von Schlippe / Schweitzer 1996, S. 148ff.). Je größer und je formaler eine Organisation, desto anspruchsvoller und bedeutsamer wird eine sorgfältige Klärung des Beratungsauftrages: »Wer – will was – von wem – wann – in welchem Umfang – zu welchem Ziel?« (Schweitzer 1995). Denn mit der Zahl der Beteiligten und deren funktionellen Differenzierung (verschiedene Berufsgruppen, Hierarchien, Abteilungen, Arbeitsaufträge, evtl. Standorte) wird es unwahrscheinlicher, dass sich unter den Organisationsmitgliedern ein gemeinsam geteilter Beratungswunsch entwickelt. Es sind in der Regel einige Organisationsmitglieder, die eine Beratung anstreben, an der viele andere teilnehmen sollen. Eine besondere Rolle spielt die Frage danach, welche Auftraggeber sozusagen »verdeckt« mit im Raum sitzen, wer also ein besonderes Interesse an dem (positiven oder negativen) Verlauf der Beratung haben könnte (vgl. Selvini Palazzoli et al. 1983). Wenn deren Erwartungen geklärt werden, ggf. durch ein gemeinsames Treffen, kann man sich u.U. viel Arbeit und Enttäuschung ersparen.

– Wer hatte ein besonderes Interesse daran, dass dieses Gespräch zustande kam? Was müssten wir tun, um ihn/sie zu enttäuschen / zufriedenzustellen?

– Wer hat die Beratung empfohlen, vielleicht Sie sogar hierher geschickt, zugewiesen? Was könnte es sein, was er/sie von uns erwartet?

– Wer hat ein größeres Interesse an diesem Gespräch: Sie oder der externe Auftraggeber? (auch möglich: Rangreihe der verschiedenen Beteiligten erstellen).

Der / die BeraterIn steht in gewisser Weise in der Mitte eines »Auftragskarussells« (von Schlippe 2009a). Abb. 2 skizziert am Beispiel eines Teamsupervisionsauftrages ein mögliches Geflecht: Bei den offenen Aufträgen, wie z.B. »die Teamkommunikation zu verbessern« – mag sich das Team durchaus einig zeigen. Doch können unter Umständen unausgesprochene Aufträge darunter liegen, wie im Beispiel in Abb. 2 der Wunsch von Teammitglied 1, der / die BeraterIn möge doch feststellen, dass alle Probleme darin begründet liegen, dass Teammitglied 2 schlicht und einfach unfähig sei. Nr. 2 wünscht sich dagegen unausgesprochen vor allem, vor Nr. 1 geschützt zu werden und Mitglied 3 vermittelt eine Harmonieregel des Teams.

 

Immer wieder geschieht es in therapeutischen Prozessen – und mehr noch gilt dies in dem stärker fokussierenden Setting der Beratung / Paartherapie, dass die »logische Buchhaltung« durcheinander geht. Erkennbar ist dies daran, dass man beginnt miteinander zu arbeiten, als sei bereits ein klarer Kontrakt erarbeitet. Der Ablaufplan in Abbildung 3 hilft hier, sich darüber klar zu werden, auf welcher Ebene man sich jeweils befindet (aus von Schlippe 2009c, angelehnt an Loth 1998). Die Struktur kann dabei, auch wenn sie sich sehr »grundsätzlich« anhört und so, als sei sie nur im Erstgespräch bedeutsam, doch auch eine »Hintergrundstruktur« sein, die kontinuierlich wirksam ist und immer wieder innerlich abgefragt werden kann. Sie verhindert, dass man sich zu schnell vom Druck des geschilderten Problems oder Symptoms ergreifen lässt und zu arbeiten beginnt (also gewissermaßen aus dem Anlass sofort selbst den eigenen Kontrakt ableitet).


Abb. 2: Die Position des Beraters / der Beraterin im Geflecht der Aufträge: Teamsupervision

Kernfragen sind dabei:

– Weiß ich, was der Anlass ist, der den Ratsuchenden zu mir bringt?

Meist ist es ein konkretes Ereignis, das den Ausschlag gab, aber das heißt nicht, dass es unbedingt die Basis für die gemeinsame Arbeit sein muss, auch wenn es vielleicht drastisch und plakativ ist, so dass man als BeraterIn unwillkürlich denkt, hier müsse Abhilfe geschaffen werden (erkennbar daran, dass man schnell Ideen entwickelt, wie das Problem angegangen werden könnte oder gar müsste).

– Weiß ich, was das konkrete Anliegen ist, das er / sie verwirklichen möchte?

Diese Fragerichtung hilft, schon genauer zu spezifizieren, in welche Richtung die Hoffnungen und Sehnsüchte, aber auch die Befürchtungen des Gegenübers gehen. In ihnen drückt sich implizit auch seine / ihre Alltagstheorie über das Zustandekommen des Problems / Symptoms aus, das daher an dieser Stelle erfragt werden sollte (ebenso wie die möglichen Anliegen anderer bedeutsamer Personen).

– Weiß ich, was genau mein Gegenüber sich dabei von mir wünscht?

Diese Frage zu stellen, kostet manchmal einiges an Überwindung: Der Gesprächspartner hat doch schon gesagt, was er / sie möchte! Doch ist diese Frage zentral, da sie beinhaltet, welche Rolle der Gesprächspartner sich für den Berater im Geschehen vorstellt. Erst wenn dies wirklich klar ist, kann man entscheiden, ob man sich auf das Geschehen einlassen will.

– Bin ich bereit und in der Lage, genau dies zu bieten?

Das ist dann sehr genau zu prüfen: Was von dem, was mein Gegenüber wünscht, kann ich leisten, was will ich, wozu bin ich bereit. Gegebenenfalls ist es möglich, an dieser Stelle einen guten Vorschlag ausarbeiten, der die Möglichkeiten und Grenzen beinhaltet.

Abbildung 3 skizziert den Ablauf der logischen Buchhaltung – der natürlich nicht starr eingehalten, sondern in der Praxis beweglich »umspielt« wird.


Abb. 3: Vom Anlass über das Anliegen zum Contracting. Ein Leitfaden für das systemische Erstgespräch

Die Strukturierung der Auftragssituation mit Hilfe von Abbildung 3 wird häufig von Beratern als sehr hilfreich erlebt. Es empfiehlt sich daher, bei der Bearbeitung dieses Textes diese im Rahmen von Rollenspielen oder auch kleineren Praxisprojekten auszuprobieren und zu nutzen. Es besteht dabei jedoch keine Notwendigkeit, Anlässe und Anliegen konsequent hintereinander zu ordnen. »In der Regel entspricht es eher einem organischen Gesprächsverlauf, Anlässe und Anliegen hin- und herzubewegen, mal mehr auf der einen, mal mehr auf der anderen Seite der Medaille« (Loth 2005). Methoden der ausführlicheren Erarbeitung der Auftragssituation mit Hilfe systemischer Fragen werden später vorgestellt.

Während in informellen und kleinen Systemen (klassisch: Familien und Paare) die Auftragsklärung im ersten gemeinsamen Gespräch erfolgen kann, sollte sie nach unserer Erfahrung in der Organisationsberatung bereits im Vorfeld erfolgen. Zu Beginn der ersten Beratungssitzung sollten alle Anwesenden über Ziel und groben Ablauf derselben informiert sein – und damit die Chance gehabt haben, bei Ablehnung oder großem Unbehagen dieser Beratungssitzung fernzubleiben – notfalls per Krankmeldung, falls die Leitung die Teilnahme zur Pflicht macht. Man sollte als Berater nicht darauf vertrauen, dass dies durch den Auftraggeber schon geleistet wurde, sondern dies selbst sicherstellen. Man sollte auch nicht darauf vertrauen, dass eine Beratungsanfrage gut durchdacht ist und eine Einladung zu einer beiderseits Erfolg versprechenden Kooperation darstellt. Eine gute Auftragsklärung kann auch dazu führen, dass eine angedachte Organisationsberatungsmaßnahme nicht stattfindet.

Für eine sorgfältige Auftragsklärung hat sich folgender Ablauf bewährt:

1. Telefonisch oder schriftlich machen wir eine grobe Vorabklärung des Anliegens sowie der äußeren Rahmenbedingungen (zeitlicher Umfang, Ort, Honorar).

2. In einem intensiven persönlichen Auftragsklärungsgespräch mit der Person oder Gruppe, die die Beratung sucht (im Folgenden »Auftraggeber« genannt) sprechen wir über diese Themen:

(1) Ziele (gewünschte Beratungsergebnisse) und methodische Vorstellungen (gewünschte Beratungsmethode) des Auftraggebers

(2) Beteiligte: Wer ist für diese Ziele wichtig? Wer soll eingeladen werden? Wer soll nicht eingeladen werden (und warum nicht)? Soll die Teilnahme verbindlich oder freiwillig sein (und warum)?

(3) Euphorie, Skepsis und Einladungspolitik: Mutmaßliche Haltung der Eingeladenen wie der nicht Eingeladenen zu der vorgesehen Beratung; Überprüfung, ob die vorgesehene Einladungspolitik sinnvoll erscheint?

(4) Vorerfahrungen: Gibt es Vorerfahrungen mit Organisationsberatung? Als wie erfolgreich oder erfolglos werden diese erinnert? An welche davon sollte man anknüpfen, an welche nicht?

(5) Ablauf: Welche Themen sollten in welcher Reihenfolge und in welcher Form behandelt werden? Welche Beratungsformen wären für die Eingeladenen »allzu langweilig«, welche »allzu experimentell«, welche »anregend« und welche »genau passend«?

(6) Bilanz: Lohnt sich nach den Ergebnissen des Auftragsklärungsgespräches die vorgesehen Beratung überhaupt? Soll es bei dem Plan bleiben, oder haben sich andere, evtl. erfolgversprechendere Handlungsideen entwickelt? Wie sähen diese aus?

3. Eventuell ist nun die geplante Beratung schon beendet, bevor sie anfing. Erscheint sie sinnvoll, dann entwickeln wir als Berater einen Ablaufplan, der Ziele, Themen, Arbeitsformen, Zeitplan und Ort der Beratung beschreibt. Je mehr und je beratungsunerfahrenere Teilnehmer, umso genauer beschreiben wir unseren Ablaufplan. Nach unserer Erfahrung reduziert diese Transparenz jenen Teil der allfälligen Befürchtungen, die mit der Unvorhersehbarkeit des Beratungsereignisses zusammenhängen.

4. Diesen Ablaufplan senden oder mailen wir allen vorgesehenen Teilnehmern zu – mit der Bitte, uns noch vor der Veranstaltung eine Rückmeldung zu geben. Idealerweise holen wir uns diese Rückmeldung »persönlich« ab, z.B. als kurze Besucher einer routinemäßigen Abteilungskonferenz oder in einer kurzen Telefonkonferenz mit den Vertretern wichtiger Teilnehmergruppen (z.B. Betriebsrat, Außendienstmitarbeiter, Pflegedienst).

Es empfiehlt sich, sich daran zu gewöhnen, regelmäßig die Arbeit an dem vereinbarten Contracting und den bislang erarbeiteten Zwischenergebnissen zu evaluieren. Hargens (2005) schlägt vor, etwa jede siebte Frage so zu formulieren: »Wenn wir so darüber reden und an Ihrem Anliegen arbeiten, kommen Sie dann Ihrem Ziel näher oder nicht?«

Literatur zum Weiterlesen

Schlippe, A. von (2003). Grundlagen systemischer Beratung. In: Zander, B. / Knorr, M. (Hg.). Systemische Arbeit in der Erziehungsberatung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 30-54

Schweitzer, J. (1995). Kundenorientierung als systemische Dienstleistungsphilosophie. Familiendynamik 20 (3), 292-313

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Unfreiwilligkeit und Dreieckskontrakte

Eng mit dem Thema »Auftragsklärung« ist das der Entwicklung eines Kontraktes verbunden. Kontrakte können formal und inhaltlich gestaltet werden und eine mehr oder weniger detaillierte Festlegung auf vereinbarte Ziele beinhalten. Einigkeit besteht darin, dass diese Ziele, auch wenn sie explizit formuliert worden sind, nicht so eng ausgelegt werden sollten, dass sie kein »Nachjustieren« mehr ermöglichen. Daher ist eigentlich das englische »Contracting« dem statischen Nomen »Kontrakt« vorzuziehen, da darin der Prozesscharakter deutlicher wird. Besonders bedeutsam sind in diesem Zusammenhang noch zwei Themen, die in Beratungen immer wieder thematisiert werden: Unfreiwilligkeit und Dreieckskontrakte.

2.1 Systemisches Arbeiten im Kontext von Unfreiwilligkeit

Nicht selten wird durch eine Klärung des Auftragskontextes deutlich, dass die direkten Gesprächspartner an dem Gespräch eigentlich gar nicht interessiert sind und nur kommen, weil sie »müssen« (Liechti 2009).

Ein straffällig gewordener Mann kommt nur unter gerichtlicher Auflage zum Psychotherapeuten; ein Abteilungleiter besucht einen Coach, weil er ohne Verbesserung seiner Performance seinen Job zu verlieren droht; Eltern stimmen einer aufsuchenden Familientherapie zu, weil ihnen sonst das Sorgerecht entzogen wird. Hier ist die Fähigkeit besonders gefragt, mit den unfreiwilligen Gesprächspartnern eine Kooperationsbeziehung aufzubauen. Der Schlüssel liegt darin, Unfreiwilligkeit (Kooperationsverweigerung) als ein Lösungsverhalten anzusehen (Conen 1999, 2005). Das bedeutet die Bereitschaft, mögliche Bedeutungen unfreiwilligen Verhaltens zu verstehen und darin liegende Kooperationspotenziale zu erschließen. So kann unfreiwilliges Verhalten ein Hinweis darauf sein, dass die Problemdefinition einer dritten Person abgelehnt wird – und somit eine wichtige Ressource für die Identität des Betroffenen darstellen, in der Verweigerung liegt seine ganze Kraft und der Schlüssel zu seinem persönlichen Selbstwertgefühl. Wenn diese Qualitäten anerkannt und gewürdigt werden, kann das schon ein wichtiger Schritt in Richtung auf mehr Kooperation sein.

Es ist daher wichtig zu vermeiden, in einen Machtkampf über die »richtige« Problemdefinition zu geraten. Stattdessen sollte untersucht werden, wie die konkrete Situation genutzt werden kann. In dem »unmöglichen Dreieck« zwischen einer Kontrollinstitution, die Druck oder gar Zwang ausübt, einem Klienten(system) der / das kein Problem benennt oder das Problem völlig anders verortet und einem / einer BeraterIn, der / die eine minimale Eigenmotivation als Grundlage der Kooperation erwartet, bietet sich ein Kooperationsangebot der folgenden Form an:

Wie kann ich Ihnen helfen,

– dass die anderen Sie in Ruhe lassen,

– dass die anderen nicht mehr denken, dass Sie …

– dass Sie mich so schnell wie möglich wieder loswerden?

Ein Fragemuster wie das folgende könnte helfen, einem Kooperationskontrakt näher zu kommen:

• Wessen Idee ist es, dass Sie hierher kommen?

• Was veranlasst ihn / sie anzunehmen, dass Sie hierher kommen sollten?

• Was möchte er oder sie, was hier geschehen soll? Wie erklärt er das Problem? (Problem- und Zieldefinition des Dritten)

• Ist das etwas, was auch Sie wollen? Sind Sie damit einverstanden? Wenn ja, kann ein Kontrakt entwickelt werden.

• Bei »nein« können verschiedene Fragebereiche wichtig sein, z.B.:

– Was möchten Sie durch Ihr Kommen erreichen? (Es ist sinnvoll, davon auszugehen, dass bereits das Kommen ein Minimum an Kooperationsbereitschaft beinhaltet – und sei es, um den Dritten zufriedenzustellen.)

– Wissen Sie, was der / die Dritte von Ihnen konkret an Veränderung möchte? (An dieser Stelle kann dann ggf. entschieden werden, zu einem Gespräch zu dritt einzuladen oder den / die KlientIn zu bitten, diese Frage mit dem Dritten abzuklären.)

 

– Welche Konsequenzen entstehen, wenn Sie nicht zu den Sitzungen kommen? Was sind Sie bereit zu tun, um die Konsequenzen zu vermeiden? Wie kann ich dazu beitragen, dass Sie mich schnellstmöglich wieder loswerden?

Wenn es nicht gelingt, zu einem Kooperationsansatz zu kommen, sollte nach einer Möglichkeit gesucht werden, das Verhalten des Gesprächspartners wertschätzend zu beschreiben, indem etwa die Bereitschaft betont wird, sehr viel zu investieren und auch zu riskieren, um aufrichtig zu bleiben und sich nicht verbiegen zu lassen. Das Gespräch kann beendet werden mit der Möglichkeit, sich wieder zu melden oder es sollten Bedingungen formuliert werden, unter denen der / die BeraterIn zu weiterer Kooperation bereit ist (Walter u. Peller 1994).

2.2 Dreieckskontrakte

Eng mit dem Thema Unfreiwilligkeit verbunden ist das Thema, wie ein Dritter, der nicht unmittelbar in die Situation einbezogen ist, trotzdem als Vertragspartner angesehen werden kann. Ein Dreieckskontrakt, auch »Triadisches Contracting« genannt, um den Prozesscharakter des Geschehens stärker zu betonen, ist in allen Fällen angezeigt, in denen man es mit mehr als einem Auftraggeber zu tun hat. In der Zeichnung kann A eine Einzelperson, ein Team oder eine Familie sein, B der / die BeraterIn. C kann dann ein Chef, ein Geldgeber, eine Behörde, der Lehrer des Kindes – aber auch die eigene Institution sein, die bestimmte Regeln oder Beschränkungen setzt.


Abb. 4: Triadisches Contracting

Generell gilt: Die Rolle des Dritten muss gut abgeklärt sein. Die Frage danach, was der / die Dritte für eine Vorstellung davon hat, was in der Beratung passiert, sollte unbedingt gestellt werden. Falls C ein eigener Auftraggeber ist (z.B. die eigene Institution, etwa im Falle eines organisationsinternen Coachings), sollte gut geklärt sein, wie viel Handlungsspielraum man hat und wo die Institution nicht mehr mitgeht. Falls A (Klient) nicht weiß, was C von ihm in der Beratungssituation erwartet, kann er / sie noch einmal zu C geschickt werden, um die Ziele von C abzuklären, oder es erfolgt eine anfängliche Sitzung der drei Parteien. Wenn A und C keine gemeinsamen Ziele finden können, ist abzuklären, ob A zumindest bereit ist, zu kooperieren, um C zufriedenzustellen (Kontraktform wie oben bereits skizziert: »Wie kann ich als BeraterIn Ihnen helfen, mich so schnell wie möglich wieder loszuwerden?«). Der Skepsis von Klienten gegenüber eine wertschätzende Perspektive einzunehmen, ist besonders im Kontext unfreiwilliger Konstellationen bedeutsam.

Dreieckskontrakte als »Grundraster für Rollenklarheit« (Kallabis 1992) regeln das Interaktionsgefüge und schaffen Transparenz und Verbindlichkeit. Sie sollten vor allem in der Supervision oder im Coaching dann geschlossen werden, wenn C die Maßnahme bezahlt, wenn C (z.B. als Vorgesetzter) angeordnet hat, dass A in Beratung geht oder wenn C in anderer Form in einer Machtposition gegenüber A steht und das Beratungsergebnis Auswirkungen auf diese Beziehung hat (z.B. ein Chef, der droht, einer Mitarbeiterin zu kündigen, wenn nicht bestimmte Coachingziele erreicht werden). Neben den formalen Aspekten (Teilnehmerkreis, Zeit, Geld, Absageregelung und Umgang mit ausgefallenen Sitzungen) sollte eine Vereinbarung darüber getroffen werden, was Sinn und Zweck des Vorgehens ist, wie eine ggf. Berichterstattung aussehen könnte. Wichtig ist an dieser Stelle eine Klärung von Schweigepflichtregeln bzw. allgemein von Vertraulichkeit.

Beispiel

Der Chef einer onkologischen Station ermöglicht dem Team auf dessen Wunsch hin eine regelmäßige Fallsupervision, die er aus Ambulanzmitteln bezahlt. Einvernehmlich wird entschieden, dass er nicht an den Gesprächen teilnimmt. Es wird ein Kontrakt über ein Jahr geschlossen, der maximal zweimal je um ein Jahr verlängert werden kann. Jeweils am Ende des Jahres formuliert der Supervisor einen schriftlichen Prozessverlaufsbericht, der an alle Beteiligten und an den Chefarzt geschickt wird.

Literatur zum Weiterlesen

Conen, M.-L. (2007). Ressourcenorientierung als therapeutische Grundhaltung. Familiendynamik 32(1), 41-54

Liechti, J. (2009). Dann komm ich halt, sag aber nichts. Motivierung Jugendlicher in Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl Auer Systeme

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