Bittersüß

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7. November 2002

Schon wieder ein neuer Chef beim Projekt. So eine Art menschliche Abrissbirne, den Eindruck macht er jedenfalls – wenn er lächelt, verzieht sich bloß sein Mund, die Augen bleiben anthrazitfarbene Eisknöpfe. Als er sich vorstellte, musterte er uns alle – mich nur flüchtig, klar, ich bin ja nur die Sekretärin – so, als würde in seinem Kopf eine Rechenmaschine rattern.

Beim Stichwort »Rechenmaschine« fällt mir ein, dass Alpha mich neulich herausgefordert hat, Gehaltserhöhung zu verlangen. Wir waren im »Weibernest« wieder mehrmals aneinandergerasselt wegen meines Jobs, und nachdem sie mir zur Abwechslung endlich auch mal zugehört hatte, war sie schweigsam geworden und hatte dann ganz offensichtlich recherchiert und sich Kenntnisse verschafft über die Möglichkeiten eines Freelancers.

Von mir aus hätte ich wohl kaum an so etwas gedacht. 30 Euro Stundenlohn fand ich für eine Sekretärin sehr ordentlich, auch wenn ich dafür mein studentisches Gewerbe aufrechterhalten und mühsame Buchhaltung machen musste, mit Umsatzsteuer abführen und dergleichen.

Aber Alpha hatte eine Art, mich regelrecht aufzustacheln, meinen Ehrgeiz und meine Lust an mutigen Unternehmungen anzuregen, so dass ich schließlich, nach längerem Wortwechsel, schon fast dazu bereit war es zu versuchen.

Den Ausschlag gab letztlich ein sehr kluges Argument meiner anarchischen Freundin: »Hör mal, du hast mir doch erzählt, dass Euerm Kunden viel mehr Geld in Rechnung gestellt wird für die Stunden, die ihr da leistet … also viel mehr als ihr bekommt! So als wäre QUASI eine Art Zeitarbeitsfirma …«

Ich nickte. »Ja. Fakturieren nennt man das. Einer meiner Chefs kriegt zum Beispiel 75 Euro oder so, wird aber mit 150 Euro fakturiert.«

Alpha: »Und was ist mit dir?«

Ich: »Als ich mal danach fragte, haben die hohen Herren gelacht und gemeint, ich würde überhaupt nicht fakturiert.«

»Und das glaubst du?«

Ich zuckte die Achseln.

»Könntest du es herauskriegen?«

»Klar. Die Sekretärin kriegt alles raus, wenn sie sich nur ein bisschen Mühe gibt.«

Da hatte ich den Mund reichlich voll genommen – Alpha grinste mich natürlich an, und nun gab’s kein Zurück mehr. Um ehrlich zu sein, reizte es mich ja auch. Ich mag ja im Brotberuf Sekretärin sein, aber ich sehe mich auch als emanzipiert und als toughe Feministin. Manchmal jedenfalls. He, immerhin bin ich die verdammte Kassenfrau vom Weibernest!

Werde ich bei QUASI fakturiert oder nicht? Die hohen Herren hatten gelacht. Ja, so richtig gönnerhaft, von oben herab – sie gaben mir zu verstehen, ich sei so eine Art Haustier oder knapp über der Putzfrau stehend … Wenn ich mich daran zurückerinnerte, quoll allmähliche Wut in mir hoch wie ein träger Lavastrom. Ich neige nicht zu cholerischem Verhalten. Zorn braucht bei mir Zeit, bis er alle hemmenden Gefühlsschleusen durchlaufen hat.

Solcherart motiviert, war es tatsächlich ein Kinderspiel, an die nötigen Informationen zu kommen.

Fast.

Zuerst schien es eher nicht so, denn die entsprechenden Dateien auf dem Computer waren verschlüsselt und viele Ordner, in denen ich Relevantes vermutete, waren ins Büro des neuen Chefs gewandert, der alles wie ein Zerberus bewachte.

Meine Projektakte gab nichts her. Klarer Fall: die Daten, die ich suchte, besaßen Zündstoff und wurden geheimgehalten.

Während ich noch überlegte, welche Strategie ich am besten einschlagen sollte, spielte mir der Zufall in die Hände. Den ganzen Tag über war das Telefon ziemlich ruhig geblieben, und als es läutete und ich mich wie gewohnt meldete, hörte ich die Stimme eines »Verschollenen«: Andreas Young, der »Beurlaubte«, also im Grunde schon abgeschossene Projektleiter.

Ich vermisste ihn manchmal, und so war die Freude in meiner Stimme nicht geheuchelt, als ich ihn begrüßte.

»Herr Young! Wie geht es Ihnen?«

»Ich freue mich, Ihre angenehme Stimme zu hören, Janet«, erwiderte er charmant. »Ansonsten muss ich leider sagen: nicht so prickelnd.«

Er war der einzige, der mich mit Vornamen ansprach und nicht »Frau S.« sagte wie die anderen, das passte zu seiner lockeren Art, war aber letztlich mit ein Punkt, der dazu beigetragen hatte, ihn ins Abseits zu katapultieren.

»Das tut mir leid«, sagte ich und meinte es wiederum ehrlich.

»Ja, ich fand heute Morgen Blut in meinem Stuhl«, sagte er lakonisch.

»Oje – und, lassen Sie sich vom Arzt durchchecken?« Ich kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er das nicht tun würde. Erst recht hatte es keinen Sinn, Andy Young etwas von ‚Burn-out-Syndrom’ zu erzählen. Ich verzichtete also darauf und blieb am Ball, als er meine Frage ignorierte und stattdessen seinerseits zur Sache kam: »Janet, weshalb ich anrufe – würden Sie mir einen großen Gefallen tun?«

»Sicher, wenn ich kann.«

»Ich brauche dringend das erste Drittel der Projektakte, können Sie mir das kopieren? Und auch die Jour-Fixe-Protokolle von April bis Juni.«

»2002?«

»Ja.«

»Geht klar, Chef.«

Dass ich ihn so ansprach, zeigte ihm recht deutlich, wo ich stand.

»Sie sind ein Schatz, Janet.« Ich hörte seiner Stimme die Erleichterung förmlich an. Er schien durchzuatmen. Für einen QUASI-Projektleiter war er wirklich verdammt menschlich.

»Soll ich Ihnen die Papiere per Post senden?«

»Hmmm …«, er zögerte einen Moment lang, »nein, zu unsicher und dauert zu lang. Janet, fahren Sie denn immer noch mit dem Zug zur Arbeit?«

»Ja.«

»Dann hinterlegen Sie den Umschlag bitte in meinem Schließfach. Den Code kennen Sie?«

Ich bestätigte das und dachte bei mir mit einer Mischung aus Erregung und Entsetzen: So extrem schätzt er die Lage ein? Allmählich komme ich mir wie eine Geheimagentin vor. James Bond ließ grüßen …

»Und wie stehts sonst beim Projekt?«, erkundigte er sich. »Sägen alle fleißig an meinem Stuhl?«

»Moment, Herr Young. Ich schließe nur eben die Tür.«

Jetzt wurde es absolut brenzlig, und da wollte ich einfach keine Lauscher am Türspalt oder so haben. Zwar waren nicht mehr allzu viele Kollegen da, aber ich ging lieber auf Nummer Sicher.

»Der Neue ist ein Mensch gewordener eiserner Besen«, berichtete ich dann, »und die Stimmung äußerst angespannt. Fehler und Verzögerungen häufen sich, und jeder scheint jeden zu belauern, während der Kunde schafsmäßig zumeist gar nichts schnallt und jede noch so durchsichtige Erklärung für das Nicht-Funktionieren des Programms schluckt. Und »der Q« schließlich lässt mit ironischer Distanz seine milden Ermahnungen aus der Ferne auf uns herabfallen wie Manna; die Zentrale denkt meiner Ansicht nach, wir seien Labortiere bei einem mittelmäßig interessanten Experiment.«

Ich hatte es fertiggebracht, dass mein Chef lachte, und das fand ich prima; schließlich sagte man doch, Lachen sei gesund.

»Mir geht’s direkt besser«, sagte er spontan und bestätigte diese Theorie somit. Schnell nutzte ich die Gunst der Minute und meinte: »Wenn das so ist, können Sie vielleicht auch was für mich tun? Wo finde ich die Fakturierungen bzw. wer außer dem Interimsprojektleiter besitzt eine Kopie davon? Ich nehme mal an, Sie haben diese Unterlagen nicht.«

Herr Young fragte mich nicht, weshalb ich so scharf darauf war – natürlich konnte er es sich denken, er war ja nicht blöde. Ob ich ihm vertraute? Na ja, ein Stück weit schon – immerhin benutzte er mich ja nun auch als seine Geheimnisträgerin.

Seine Stimme veränderte sich, wurde ein wenig dunkler, und er genoss es ganz offenbar, mich einen kleinen Moment lang zappeln zu lassen.

»Lassen Sie mich eben kurz überlegen, Janet … Sie wären sicherlich mehr als enttäuscht, wenn ich Sie hierbei abschlägig bescheiden müsste, wie?«

»Ja«, murmelte ich, und das war der Augenblick, da ich ein leises Ziehen und ein sanftes Pochen in meiner – ohnehin chronisch hungrigen – Möse spürte. Andy Youngs STIMME … sie machte mich total an.

»Und Sie haben allerdings recht … ich selbst habe keine Kopie. Schauen Sie doch mal im Büro meines liebsten Intimfeindes nach – wenn Sie Mut haben.«

ACW. Blitzartig schoss dessen Bild an meinem geistigen Auge vorbei … und das genügte, um mich endgültig feucht werden zu lassen. Hitze strömte durch mich hindurch, peinvoll süß.

»Danke«, sagte ich mit angerauter Stimme.

»Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen – wenn ich wieder auf dem Damm bin, schaue ich nach dem Rechten.«

Damit verabschiedete sich mein Chef von mir – ich hoffte insgeheim auch auf ein Wiedersehen. Er hat lustige kluge Augen hinter den Gläsern einer modischen Brille, ist schlank und gut aussehend …

… okay, an ACW reicht er für mich trotzdem nicht heran – von der erotischen Ausstrahlung her gesehen, meine ich. Als Chef ist Andy großartig – ACW hingegen, den wollte ich im Leben nicht als Projektleiter haben, never ever, nein, vielen herzlichen Dank.

Mit diesem Gedanken ging ich ins Büro des eben Genannten, sowie ich mich vergewissert hatte, dass die Luft rein war. Trotzig sah ich mich überall um. Ja verdammt, ich hatte den Mut.

(In Wirklichkeit schlug mein Herz wie ein Schmiedehammer in meiner Brust, und mir wurde leicht übel bei der Vorstellung, dass ACW mich dabei erwischen würde, wie ich seinen Schreibtisch und seine Ordnerschränke durchsuchte. Mein Mund war staubtrocken … gleichzeitig fand ich das Ganze wahnsinnig erregend).

Keine Fakturierungen. Nichts, gar nichts.

Allzulange konnte ich das nicht riskieren, hier zu sein.

 

Aber leider wurde ich einfach nicht fündig – dabei schien es mir mehr als logisch, dass der Schlaukopf ACW, abgefeimter Tausendsassa des Projektes, sich durch den Besitz dieser wichtigen Unterlagen abgesichert hatte.

Da – was war mit dem unscheinbaren Rollcontainer, der sich unter den wuchtigen Schreibtisch förmlich duckte? Hastig hockte ich mich davor und zerrte an den einzelnen Schubladen. Umsonst. Sie waren samt und sonders zu, auch die unterste … stop, Moment. Nein, die klemmte nur. Ich zog noch einmal mit aller Kraft und siehe da, sie ging auf.

Und ein schmaler Schnellhefter stach mir sofort ins Auge … hey, ich hatte mehr Glück als Verstand: Die Unterlagen! Ich blätterte mit fliegenden Fingern in den Fakturierungsseiten. Da waren wir alle säuberlich aufgelistet, mit Namen und »Verkaufssumme«, alle Mitarbeiter von QUASI, ob Freelancer oder fest Angestellte.

Ich auch.

Obwohl ich es geahnt hatte, starrte mir die Zahl flammend scharf entgegen, und ich dachte sofort daran, wie man mich angelogen und ausgelacht hatte.

Ich WURDE also fakturiert. Mit 60 (!) Euro die Stunde. Un-glaublich. Für ein paar Momente vergaß ich, wo ich war, und schmiss direkt die kleine Rechenmaschine in meinem Hirn an, um zu addieren, wieviel QUASI an mir verdient hatte seit einem Jahr. Himmelherrgottsakrament, das war doch nicht zu glauben!

Ja.

Leider vergaß ich, wie schon erwähnt, den Raum um mich herum.

Ich hockte mit dem Rücken zur Tür und nahm »mein« Blatt mit zitternden Fingern aus dem Hefter, in der Absicht, es zu kopieren. Stupste fast gleichzeitig die Schublade wieder zu.

»Was, bitteschön, machen Sie denn da, Frau S.?«

Aus dem sanften Schnurren seiner Stimme hörte ich deutlich den dahinter lauernden stählernen Klang heraus. Katzenleise musste ACW sein Büro betreten und sich angeschlichen haben.

Ich hatte gerade noch Hirn genug, mich laut zu räuspern und dabei das Papier in meiner Hand zu zerknüllen und in meinen Ausschnitt zu stopfen. Innerlich beglückwünschte ich mich dazu, dass ich nicht zusammengezuckt war. Zu mehr reichte es aber nicht.

Während ich mich langsam aufrichtete und mir zweifellos das Blut in die Wangen schoss, stellte ich fest, dass mir überhaupt nichts zu erwidern einfiel. Null. Mein Kopf war leer.

Ich drehte mich um, strich meinen Rock glatt und versuchte zu lächeln.

Er grinste mich an.

Ganz offensichtlich genoss er die Situation.

Ich erschrak bis ins Innerste, als ich merkte, wie ich urplötzlich feuchter denn je wurde. Es war ein tiefes lustvolles Erschrecken, doch ich zwang mich, es zu verdrängen. Zwang mich mit aller Kraft.

»Ähm …«, stammelte ich und wich vor dem gewandt sich mir nähernden ACW zurück. Er war, wie schon erwähnt, nur einen Hauch größer als ich, doch ich fand ihn auf eine nach wie vor schwer zu beschreibende Weise sehr, sehr beeindruckend.

Er faszinierte mich.

In dieser prekären, heiklen, pikanten Situation umso mehr.

Immer noch mit einem außer Funktion gesetzten Hirn, durch das nur mein Blut rauschte und brauste, wich ich unwillkürlich noch weiter zurück, bis sein Schreibtisch sich zwischen uns befand.

Auf einmal stolperte ich auf meinen hohen Absätzen und konnte mich so gerade eben noch fangen, indem ich mich mit beiden Händen auf der Tischplatte abstützte. Geschmeidig wie ein Gepard war er heran – auf der anderen Seite – beugte sich vor … und ehe ich’s mich versah, hatte er meine beiden Handgelenke umschlossen.

In dieser Position hatte er eine prima Aussicht. Direkt in mein großzügiges Dekolleté hinein. (Konnte er sehen, dass ich etwas darin verborgen hatte? Doch das fragte ich mich erst viel, viel später). Seine schönen grünblauen, langbewimperten Augen glitten jedoch auch über mein Gesicht. Nahm er die krankhafterweise aufflammende Lust darin wahr oder nur eine tödliche Verlegenheit? Ich hatte keine Ahnung, was mir lieber gewesen wäre.

Hätte er jetzt gespottet oder irgendetwas Unpassendes gesagt, dann wäre meine Geilheit erloschen wie ein Streichholz im Wasserglas, aber das tat er nicht, und so überwog mein abgründiges Entzücken. Wilde wahnwitzige Phantasien durchzuckten mich, so heftig, dass sie niemals das Licht der Welt würden erblicken dürfen…

Seine Hände schmiedeten mich an den Tisch.

Zum ersten Mal dachte ich an seinen Schwanz und fragte mich, wie hart er wohl geworden war …

Dann ließ er mich wieder frei. Ich hatte das Gefühl, dass meine Handgelenke brennen würden.

»Sie haben hier sicher etwas gesucht, was Sie glaubten, in meinem Büro verloren zu haben, nicht wahr, Frau S.?«, murmelte ACW mit untypisch sanfter Stimme.

Dieses Spielchen, das alles offen ließ, diese Andeutung unwägbarer Möglichkeiten – schien ihm genauso zu gefallen wie mir.

Ich schaffte es nur zu nicken. Durch dieses Nicken wankte ich über die goldene Brücke, die er mir gebaut hatte. Auf sehr unsicheren Beinen stöckelte ich sodann, von ihm mit einer herrischen Handbewegung entlassen, aus seinem Büro.

Mein Dekolleté hatte ACW nur mit seinen Blicken berührt, trotzdem glühte es dort ebenso wie in meiner Möse – und das Brennen meiner Gelenke hielt ebenfalls noch eine ganze Weile an.

Völlig undenkbar, dass ich JETZT etwa zu meinen Chefs gehen und nach einer Gehaltserhöhung fragen könnte. Nein, das konnte ich knicken. Nicht in diesem Zustand. Ich war froh, dass ich in einer Viertelstunde Feierabend hatte, hinterließ, als es so weit war, das Sekretariat eher unaufgeräumt und machte mich aus dem Staub, als eine der Letzten.

Ja, ich flüchtete regelrecht, aufgewühlt und emotional nah am Durchdrehen. Das Pochen zwischen meinen Beinen begann weh zu tun. Ich biss die Zähne zusammen und malte mir aus, was ich in der Zugtoilette tun würde, wenn ich sie erst erreicht hatte, aber … es war zu spät. Stellte sich dann heraus.

Während ich mir im proppenvollen ICE mühsam einen Platz suchte, hatte ich ständig Alphas Stimme im Kopf. Ausgerechnet! Sie befragte mich hochnotpeinlich, wollte unbedingt wissen, wieso ich DAS denn zugelassen hatte, diese zynische, frauenverachtende Art und Weise, mit der dieser KERL mich betatscht hätte … verdammt! Ich versuchte alles, um die Stimme in meinem Kopf zum Schweigen zu bringen oder zu überhören – umsonst. Es gelang mir erst halbwegs, als ich in der wohltuenden Abgeschiedenheit des Klos hockte, Rock hoch- und Strumpfhose samt durchweichtem Schlüpfer runtergezogen … aber wie gesagt, es war da schon zu spät.

Ich kannte das schon. Zwar pochte und glühte meine Perle noch, aber schmerzhaft, SEHR schmerzhaft, und eine peinvolle Rückbildung zeichnete sich ab. Viel zu spät, um durch Reiben noch etwas retten und mich erlösen zu wollen.

Diesmal erlebte ich den Schmerz jedoch … anders. Intensiver. Bewusster. Ich sah in den Spiegel und merkte auf einmal, dass ich grinste.

Im Weibernest war ich an diesem Abend geistesabwesend, und Alpha gegenüber redete ich mich damit heraus, dass ich müde und abgespannt sei.

Sie stieß mich trotzdem mit ihrem Ellbogen in die Rippen. »Hast du wenigstens endlich eine Lohnerhöhung verlangt?«

»Nein«, murmelte ich und fügte hinzu, dass ich einfach noch nicht dazu gekommen sei.

»Ach, du bist ein Weichei, Janet – DAS ist es«, murrte Alpha und wandte sich einer anderen Frau zu.

Ich hatte erstmal so dies und das zu erledigen – wenn du Kassenfrau eines so chaotischen Unternehmens bist wie dieses Frauencafés, hört die Arbeit praktisch niemals auf.

Das Ganze lenkte mich allerdings schön ab, ich war erleichtert, dass die Bilder des Erlebten (was WAR eigentlich schon groß passiert?!) allmählich verblassten und … Moment mal, stimmte das überhaupt? WAR ich erleichtert? Oder fehlte mir jetzt nicht etwas, das ich mir selbst durch die Alpha-Schere in meinem Kopf herausgeschnitten hatte?

Rebellisch sah ich mich in dem schäbigen Ausschenkraum um. Er war und blieb schäbig, egal, was wir anstellten. Ein paar Kollektivfrauen hatten gelbe Kerzen und Strohblumen gespendet, aber trotz dieser aufwendigen Deko auf den Tischen blieb unser Ambiente trostlos.

Die Atmosphäre kam mir schal und langweilig vor.

Bis zu dem Moment, da SIE das Café betrat.

Bis dahin hätte ich mir nie träumen lassen, dass solche Frauen überhaupt jemals in ein Etablissement wie das unsere kamen. Und gerade in letzter Zeit hatte die Vielfalt unter unseren Besucherinnen ja weiter abgenommen … wir sahen weder Punkerinnen noch Althippie-Frauen mehr, und ganz gewiss fand eine Bikerin wie diese nicht den Weg hierher.

Denn für eine solche hielt ich die große, athletische Frau zunächst, die in teils schwarzer, teils brauner Lederkleidung und mit wallender rotbrauner Lockenmähne unser Café betrat und nach großer weiter Welt duftete. Eine andere Bezeichnung für diese Lady fiel mir nicht ein.

Ich beobachtete sie, wie sie langsam auf die Theke zusteuerte, sich dabei gelassen nach allen Seiten umschaute, und wagte für mich die Hypothese, dass sie NICHT aus dem Seelengesundheitshaus kam.

Von Conny, die gleichwohl auch Augen so groß wie Untertassen bekam, wurde sie dennoch freundlich begrüßt. Conny hatte an diesem Abend Thekendienst.

»Hey, sei willkommen! Was möchtest du trinken und wie heißt du? Ich bin die Conny. Wir sind hier alle per Du.«

Die Fremde stützte sich mit einem Ellbogen auf den Tresen, sah in den Raum hinein, streifte auch mich mit einem Blick, lächelte andeutungsweise – ein cooles, lässiges Lächeln – und schaute dann unserer Thekenfrau in die Augen.

»Mein Name ist Murana.« Sie hatte einen leichten Akzent, slawisch, vermutete ich, aber ihr Deutsch war tadellos.

In diesem Augenblick stupste mich Alpha wieder einmal an. Sagte, und das noch nicht einmal leise: »Ist die nicht widerlich? Boah, das ist ja voll abstoßend. Ich wette, die ist von der Sorte, die ihre ‚Freundinnen’ total unterdrückt und kleinhält, eine Art Macholesbe, also, das riech ich hundert Meter gegen den Wind.«

Dies war selbst für Alphas Verhältnisse ungewöhnlich krass und aggressiv – welche Laus mochte ihr über die Leber gelaufen sein? Und doch entsprach das, was sie so ungeschminkt aussprach, den Gedanken der meisten Frauen im Frauencafé. Der meisten? Fast aller. Eine Lederlady wie Murana war hier bei den Hardcore-Weibernestlerinnen absolut unerwünscht. Galt als politisch inkorrekt. Frau würde ihr die kalte Schulter zeigen, sie gerade mal bedienen, das schon, aber mehr auch nicht. Frau würde über sie tuscheln oder sie auch frontal angehen. Ich sah es schon kommen. Und genau DAS fand ICH widerlich.

Aber Alpha hatte ja recht: Ich war nicht nur ein Weichei (eins mit perversen sexuellen Phantasien noch dazu), sondern manchmal auch ziemlich feige. Adrenalin pulsierte durch mich hindurch, aber leider nicht genug davon. Ich hätte Alpha gern meine Meinung ins Gesicht geschleudert. Stattdessen murmelte ich nur etwas Unverständliches. Und verachtete mich selbst dafür.

Plötzlich wurde mir bewusst, wie fanatisch und einseitig, ja EINÄUGIG die ganze Szene um das Weibernest herum war, wie starr die Einteilung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Es gab die guten Frauen, die einander halfen und solidarisch zusammenhielten gegen die bösen Männer … es gab die armen Opfer zumeist, oder auch die tapferen Heldinnen … allenfalls Dominas, die Männer wiederum auspeitschten und erniedrigten, passten in dieses Weltbild noch hinein, genau … aber die andere Seite nicht. Nie und nimmer. OHA. Ich erschrak über meine eigenen Gedanken und wollte die stoppen, sofort.

Denn das Weibernest war mir wichtig, war für mich eine Art Ersatzfamilie, die ich nicht verlieren wollte. Ich hatte keinerlei Ambitionen, hier zum Paria zu werden, bloß wegen ein paar neuen bizarren Ideen, die sich einfach so in meinen Kopf geschlichen hatten.

An diesem Abend war RAUCHFREIES CAFÉ angesagt, und so ging ich nach draußen, um eine zu qualmen. Ich hoffte, die Lulle würde mich auf andere Gedanken bringen. Illusorisch, natürlich. Drogen, ob legal oder nicht, halfen mir eigentlich nie bei so etwas.

Insgeheim schimpfte ich mich gerade eine dämliche Ziege, als die Ladentür vom Café quietschend aufging – verdammt, wir mussten auch mal wieder die Scharniere ölen! – und Murana sich zu mir gesellte.

Sie nickte mir zu, ein halbes Lächeln im Gesicht.

Aus der Nähe betrachtet wirkte ihr markantes Gesicht besonders attraktiv. Ich fühlte mich sofort auf dunkle Weise zu ihr hingezogen, viel stärker noch als vorhin im Innern des Cafés. Befangen schaute ich auf ihre kräftigen und dabei schlanken Hände.

 

»Hast du Feuer?«, fragte sie und steckte sich eine Fluppe ins Gesicht.

»Ja«, sagte ich leise.

Wir rauchten eine Weile schweigend, und … seltsamerweise war das Schweigen nicht unangenehm. Zwischen mir und Alpha schlich sich oft eine ungemütliche Kühle in die Stille, wenn wir einander nichts zu sagen hatten, und vor allem ich zermarterte mir dann regelmäßig das Hirn, was in der Freundin wohl vorginge und was ich wohl falsch gemacht hatte.

Dann äußerte Murana: »Du bist anders als die anderen … wie heißt du?«

»Janet«, antwortete ich heiser und fuhr mir mit der Zunge über die Lippen.

Es war ohne Zweifel ein erotischer Unterton in ihrer rauen, tiefen Stimme. Hitze breitete sich in meinem Schoß aus und auch auf meinen Wangen. Ich kam mir unglaublich naiv und sagenhaft unerfahren vor und musterte nur intensiv den Boden wie ein Schulmädchen, das vor der strengen Lehrerin steht.

Murana schien das nicht zu stören. »Du gefällst mir, Janet. Und: Du gehörst hier gar nicht hin, und das weißt du auch.«

Als ich verblüfft-erfreut aufschaute, lächelte sie mich freundlich an, trat ihre Kippe aus und ging wieder ins Café.

Wenn mir jemand auf diese Weise die volle Wahrheit mitten ins Gesicht sagte, konnte ich nie widerstehen.

Es stimmte.

Sie hatte verdammt recht.