Buch lesen: «Meditieren mit Leib und Seele»
Anthony de Mello
Meditieren mit Leib und Seele
Anthony de Mello
Meditieren
mit Leib und Seele
Neue Wege der Gotteserfahrung
Übersetzung und Nachwort
von Martin Kӓmpchen
Butzon & Bercker
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
„Sadhana. A Way to God“. © 1978 Anthony de Mello S. J. /
Gujarat Sahitya Prakash Publishers,
Catholic Church, Anand, Kaira Dt. Gujarat 388 001, India.
Die Heilige Schrift wurde zitiert nach:
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, © Katholische Bibelanstalt,
Stuttgart 1980.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. |
Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de |
ISBN 978-3-7666-1235-9
Neuausgabe 2008
© 2008 Verlag Butzon & Bercker, 47623 Kevelaer, Deutschland
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagbild: Olga Lyubkina – Fotolia.com
Umschlaggestaltung: Elisabeth von der Heiden, Geldern
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Printed in Germany
Inhalt
Vorbemerkung
Einführung
Wahrnehmungsübungen
Übung 1 Der Reichtum des Schweigens
Übung 2 Körperempfindungen
Übung 3 Körperempfindungen. Disziplin der Gedanken
Übung 4 Disziplinder Gedanken
Übung 5 Atem-Empfindungen Wahrnehmung und Meditation
Übung 6 Gott in meinem Atem
Übung 7 Atem-Kommunikation mit Gott
Übung 8 Still werden
Übung 9 Gebet des Körpers
Übung 10 Die Berührung Gottes
Übung 11 Geräusche
Übung 12 Konzentration
Übung 13 Gott in allen Dingen finden
Übung 14 Wahrnehmung vom anderen
Welchen persönlichen Gewinn können wir aus Wahrnehmungsübungen ziehen?
Welchen Gewinn zieht eine Gruppe aus den Wahrnehmungsübungen?
Meditation ist leichter in einer Gruppe
Der besondere Wert der Körperbewusstheit (body awareness)
Fantasieübungen
Übung 15 Dort und hier
Übung 16 Der Ort des Gebets
Übung 17 Die Rückkehr nach Galiläa
Übung 18 Die freudenreichen Geheimnisse unseres Lebens
Übung 19 Die schmerzensreichen Geheimnisse unseres Lebens
Übung 20 Befreiung von Ressentiments
Übung 21 Der leere Stuhl
Übung 22 Ignatianische Meditation
Übung 23 Symbolkraft der Fantasie
Übung 24 Heilung schmerzlicher Erinnerungen
Übung 25 Der Wert des Lebens
Übung 26 Das Leben in der rechten Perspektive sehen
Übung 27 Wahrnehmungsübung über die Vergangenheit
Übung 28 Wahrnehmungsübung über die Zukunft
Übung 29 Wahrnehmung von Personen
Andachtsübungen
Übung 30 Die „benediktinische“ Methode
Übung 31 Mündliches Gebet
Übung 32 Das Jesusgebet
Übung 33 Die tausend Namen Gottes
Übung 34 Spüre seinen Blick
Übung 35 Das Herz Christi
Übung 36 Der Name als Gegenwart
Übung 37 Fürbitten
Übung 38 Bittgebete
Übung 39 Jesus, der Erlöser
Übung 40 Sätze der Evangelien
Übung 41 Heiliges Verlangen
Übung 42 Gott im Mittelpunkt unseres Lebens
Übung 43 Die lebendige Flamme der Liebe
Übung 44 Das Gebet des Lobpreises
Nachwort des Übersetzers
Die Bücher von Father Anthony de Mello wurden geschrieben in einem multi-religiösen Kontext, um Anhängern anderer Religionen, Agnostikern und Atheisten in ihrer spirituellen Suche zu helfen, und sie waren vom Autor nicht gedacht als Instruktions-Handbücher für Katholiken, die an christliche Doktrinen und Dogmen glauben.
Vorbemerkung
Alle Übersetzungen ringen mit dem Problem, schwer auslotbare Wortinhalte von einer Sprache in die andere zu übernehmen, vor allem dann, wenn, wie in diesem Buch, ein fremder philosophischreligiöser Zusammenhang übersetzt werden soll. Dieses komplexe Problem lässt sich nur lösen, wenn man die Grundworte nicht nur mit einem deutschen Begriff wiedergibt, sondern dem Kontext entsprechend variiert. Im spirituellen Wortinhalt sind das englische awareness und consciousness nahezu identisch; awareness haben wir fast immer mit „Wahrnehmung“ übersetzt, was nicht „sinnliche“ Wahrnehmung bedeutet, sondern das Erfühlen und Bewusstwerden innerer Zustände; manchmal wurde auch „Bewusstsein“ gewählt, selten „Bewusstheit“ (body awareness = Körperbewusstheit); für consciousness steht, je nach Zusammenhang, „Bewusstsein“ oder „Wahrnehmung“. Wie im Nachwort erklärt, ist „Bewusstsein“ ein Grundwort indischer Befindlichkeit.
Contemplation ist mit dem Wort „Meditation“ am ehesten getroffen, wobei an den modernen Inhalt gedacht ist, der von den östlichen Religionen übernommen ist und mit Einübung in einfache, reine Bewusstseinsinhalte wiedergegeben werden kann – nicht an den christlich-monastischen Inhalt im Sinne einer Schrift-Meditation. Da und dort musste das Wort aber auch mit „Kontemplation“ übersetzt werden.
Fantasy ist „Fantasie“ oder „Vorstellung“. Wir übersetzten meist mit dem ersten Begriff, wobei aber nur an „gezügelte, gerichtete Fantasie“ gedacht ist.
Der Übersetzer
Einführung
In den letzten fünfzehn Jahren meines Lebens habe ich in meiner Eigenschaft als Exerzitienmeister und Seelenführer versucht, Menschen zum Gebet zu führen. Dutzende von Menschen beklagen sich bei mir darüber, dass sie nicht wissen, wie man betet; dass sie trotz aller Bemühung keine Fortschritte im Gebet machen; dass sie Beten langweilig und frustrierend finden. Sogar viele Seelenführer gestehen ihre Hilflosigkeit ein, wenn es darum geht, andere beten zu lehren oder, um es deutlicher auszudrücken: ihnen zu helfen, wie sie Freude und Erfüllung im Gebet finden.
Das erstaunt mich eigentlich, denn ich habe es immer als recht einfach empfunden, Menschen zum Gebet zu führen. Das liegt sicherlich nicht bloß an einem persönlichen Charisma, sondern auch an einigen sehr einfachen Grundsätzen, die ich in meinem eigenen Gebetsleben und in meinen Ratschlägen für andere befolge. Einer dieser Grundsätze ist, dass das Gebet eine Übung ist, die Erfüllung und Zufriedenheit bringt, und dass es völlig gerechtfertigt ist, dergleichen im Gebet zu suchen. Ein anderer ist, dass man weniger mit dem Kopf als vielmehr mit dem Herzen beten soll. Mehr noch: Je rascher es vom Kopf weg zum Herzen rückt, desto mehr Freude und Nutzen bringt es. Viele Priester und Ordensleute setzen Beten mit Denken gleich. Das ist ihr Unglück.
Ein Jesuitenfreund erzählte mir einmal, er habe einen Hindu-Guru gebeten, ihn in die Kunst des Betens einzuweihen. Der Guru sagte ihm: „Konzentriere dich auf deinen Atem.“ Mein Freund tat es etwa fünf Minuten lang. Dann sagte der Guru: „Die Luft, die du atmest, ist Gott. Du atmest Gott ein und aus. Werde dir dessen bewusst und verweile in diesem Bewusstsein.“ Mein Freund musste sich zunächst theologisch ein wenig umstellen; dann befolgte er diesen Rat – stundenlang, Tag für Tag. Er entdeckte zu seinem Erstaunen, dass Beten so einfach sein kann wie Einatmen und Ausatmen. Und: Er entdeckte in dieser Übung eine Tiefe und Befriedigung und spirituelle Nahrung, die er in den vielen Stunden, die er bisher dem Gebet gewidmet hatte, nicht hatte finden können.
Die Übungen, die ich hier vorlege, folgen derselben Grundrichtung, die jener Hindu-Guru gewiesen hat, den ich übrigens niemals kennengelernt habe. Ich habe mir noch einige andere Leitsätze über das Gebet zu eigen gemacht. Diese werde ich jeweils im Zusammenhang mit den Übungen erörtern und dann erklären, welche Grundsätze den jeweiligen Übungen zugrunde liegen.
Die vorliegenden Übungen habe ich häufig in Gruppenexerzitien angeboten. Ich nenne sie Gebetsgruppen oder noch genauer: Meditationsgruppen („Contemplation Groups“). Entgegen landläufiger Meinung gibt es tatsächlich so etwas wie eine Gruppenmeditation. Ich würde sogar sagen, dass man in bestimmten Situationen Meditation nutzbringender in einer Gruppe als allein übt. Ich habe die Übungen in diesem Buch in beinahe genau der Form und in der Sprache niedergeschrieben, wie ich sie Gruppen anbiete. Wenn Sie eine Meditationsgruppe führen und dieses Buch als Grundlage benutzen wollen, brauchen Sie nur den Text jeder Übung langsam der Gruppe vorzulesen und achtzugeben, dass die Anweisungen des Textes befolgt werden. Man muss nur langsam lesen, mit vielen Pausen, besonders an jenen Stellen, die mit ... gekennzeichnet sind.
Das Vorlesen allein macht Sie natürlich noch nicht zu einem guten Leiter einer Meditationsgruppe. Sie selbst müssen eine Art „Fachmann“ auf dem Gebiet der Meditation sein. Sie müssen ein wenig von dem, was Sie vorlesen, erfahren haben. Und Sie brauchen das Geschick, Seelen zu führen. Diese Übungen sind kein Ersatz für persönliche Erfahrungen und spirituelle Sachkenntnis. Doch können sie als ein guter Anfang dienen, und sie werden Ihnen und Ihrer Gruppe gewiss guttun. Mit Absicht habe ich Übungen weggelassen, zu denen nur jemand, der besonders geübt ist im Gebet und in der Meditation, anleiten kann. Sollten bei bestimmten Übungen gewisse Gefahren bestehen, werde ich erklären, wie sie vermieden werden können.
Ich widme dieses Buch der heiligen Jungfrau Maria, die für mich immer ein Vorbild in der Meditation gewesen ist. Sie ist noch mehr: Ich bin überzeugt, dass ich und viele Menschen, die ich geführt habe, durch ihre Fürsprache Gnaden des Gebets empfangen haben, die uns sonst niemals zugefallen wären. Hier ist also mein erster Ratschlag an Sie, wenn Sie Fortschritte in der Kunst der Meditation machen wollen: Suchen Sie ihren Schutz und bitten Sie um ihre Fürsprache, bevor Sie diesen Weg betreten. Sie besitzt das Charisma, den Heiligen Geist auf die Kirche herabzuziehen, wie es bei der Verkündigung und zu Pfingsten, als sie mit den Aposteln betete, geschehen ist. Wenn sie mit Ihnen und für Sie betet, dann können Sie sich sehr glücklich schätzen.
Wahrnehmungsübungen
Übung 1 Der Reichtum des Schweigens
„Schweigen ist die große Offenbarung“, hat Laotse gesagt. Wir haben uns daran gewöhnt, die Heilige Schrift für die Offenbarung Gottes zu halten. Und das ist auch richtig. Nun aber sollst du die Offenbarung des Schweigens entdecken. Um die Offenbarung aufzunehmen, welche die Heilige Schrift anbietet, musst du dich innerlich der Heiligen Schrift öffnen. Um die Offenbarung des Schweigens aufzunehmen, musst du zunächst das Schweigen erfahren. Das ist nicht leicht. Wir wollen es in unserer ersten Übung versuchen.
Jeder soll eine bequeme Sitzhaltung einnehmen. Schließt die Augen.
Ich lade euch ein, etwa zehn Minuten lang Schweigen zu bewahren. Versucht, still zu werden, so vollkommen wie möglich – versucht, ein Schweigen des Herzens und der Gedanken zu erreichen. Habt ihr es erreicht, öffnet euch den verschiedenen Offenbarungen des Schweigens.
Nach zehn Minuten bitte ich euch, die Augen zu öffnen und uns mitzuteilen, was ihr getan und was ihr in diesen zehn Minuten erfahren habt.
…
Erzählt uns dabei auch, auf welche Weise ihr euch um Schweigen bemüht habt und wie erfolgreich eure Bemühungen waren. Beschreibt dieses Schweigen, so gut ihr könnt. Schildert, was ihr in diesem Schweigen erfahren habt. Sprecht alles aus, was ihr während dieser Übung gefühlt und gedacht habt.
Die Erfahrung, die diese Übung vermittelt, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Die meisten entdecken zu ihrer Überraschung, dass sie an Schweigen einfach nicht gewöhnt sind. Auch mit der größten Anstrengung können sie nicht das ständige Umherschweifen der Gedanken unterbinden oder den Aufruhr der Gefühle beruhigen. Andere spüren, wie sie sich den Anfängen des Schweigens nähern. Dann erfasst sie Panik und sie kehren um. Schweigen kann ein furchterregendes Erlebnis sein.
Kein Grund zur Entmutigung. Selbst dieses Umherschweifen der Gedanken ist eine große Offenbarung, nicht wahr? Die Tatsache, dass du umherschweifende Gedanken hast: Ist das nicht eine Offenbarung von dir selbst? Es genügt nicht, das zu wissen. Du musst dir Zeit lassen, die umherschweifenden Gedanken zu erfahren. Und die Art, wie deine Gedanken umherschweifen, welche Wege sie gehen: Auch das ist eine Offenbarung!
Und nun ein Wort der Ermutigung: Die Tatsache, dass dir überhaupt bewusst wird, wie sehr deine Gedanken umherschweifen, dass du den inneren Aufruhr und deine Unfähigkeit, ruhig zu sein, wahrnimmst, zeigt, dass du doch ein wenig Schweigen in dir hast, genug zumindest, dass dir diese Dinge bewusst werden.
Schließe die Augen wieder und werde dir deiner umherschweifenden Gedanken bewusst ... nur zwei Minuten lang ...
Nun empfinde das Schweigen, durch das du deine umherschweifenden Gedanken wahrnehmen konntest.
Auf dieser Stufe des Schweigens – es ist die „unterste“ Stufe – werden wir die folgenden Übungen aufbauen. Während es wächst, wird es dir immer mehr über dich selbst offenbaren. Oder genauer: Das Schweigen wird dir dich selbst offenbaren. Das ist seine erste Offenbarung: du selbst. In und durch diese Offenbarung wirst du Dinge erlangen, die du mit keinem Geld der Welt kaufen kannst – Dinge wie Weisheit, Heiterkeit, Freude und Gott.
Um diese unbezahlbaren Dinge zu bekommen, genügt es nicht, nachzudenken, zu reden, zu diskutieren. Du wirst dich abmühen müssen. Mache dich sofort an die Arbeit.
Schließe die Augen. Bemühe dich noch einmal fünf Minuten lang um Schweigen.
Überlege am Ende der Übung, ob deine Versuche diesmal erfolgreicher waren oder weniger erfolgreich.
Überlege, ob das Schweigen dir diesmal etwas gezeigt hat, was du das letzte Mal nicht bemerkt hattest.
Suche in den Offenbarungen des Schweigens nicht nach aufregenden Dingen – nach Eingebungen, Inspirationen, Einsichten. Suche überhaupt nicht. Beschränke dich darauf, zu beobachten. Bemerke alles, was in dein Bewusstsein kommt. Alles, und sei es noch so banal und gewöhnlich. Die Offenbarungen bestehen vielleicht nur in dem Bewusstsein, dass deine Hände feucht sind, dass du gern deine Sitzhaltung ändern würdest oder dass du dir Sorgen um deine Gesundheit machst. Das aber ist ohne Bedeutung. Wichtig ist, dass du dir dessen bewusst geworden bist. Der Inhalt dieser Wahrnehmung ist weniger wichtig als ihre Intensität. Je intensiver die Wahrnehmung wird, desto tiefer wird das innere Schweigen. Und während das Schweigen tiefer wird, erlebst du eine Wandlung. Und zu deiner Freude wirst du entdecken, dass Offenbarung nicht in Wissen besteht, sondern in Kraft; eine geheimnisvolle Kraft, die eine Umwandlung in dir bewirkt.
Übung 2 Körperempfindungen
Wähle eine Körperhaltung, die bequem und entspannt ist. Schließe die Augen.
Werde dir nun gewisser Körperempfindungen bewusst, die du in diesem Augenblick zwar spürst, die dir aber nicht deutlich bewusst waren ... Nimm wahr, wie die Kleider deine Schultern berühren ... Nimm wahr, wie die Kleider den Rücken berühren oder wie die Lehne des Stuhls, auf dem du sitzt, den Rücken berührt ...Werde dir nun deiner Hände bewusst, wie sie sich berühren oder auf deinem Schoß liegen ... Nun werde dir deiner Oberschenkel oder deines Gesäßes bewusst, wie sie gegen den Stuhl drücken ... Spüre nun die Füße, wie sie die Schuhe berühren ... Nun werde dir deutlich deiner Sitzhaltung bewusst ...
Noch einmal: deine Schultern ... dein Rücken ... deine rechte Hand ... deine linke Hand ... deine Oberschenkel ... deine Füße ... deine Sitzhaltung ...
Und wieder: Schultern ... Rücken ... rechte Hand ... linke Hand ... rechter Oberschenkel ... linker Oberschenkel ... rechter Fuß ... linker Fuß ... Sitzhaltung ...
Wandere nun in deiner Vorstellung nach eigener Wahl von einem Körperteil zum anderen. Konzentriere dich nicht länger als ein paar Sekunden auf jeden einzelnen Körperteil – Schultern, Rücken, Oberschenkel usw. ... Konzentriere dich auf einen Körperteil nach dem anderen ...
Du kannst dich auf die Körperteile konzentrieren, die ich genannt habe, oder auf andere: deinen Kopf, deinen Nacken, deine Arme, deine Brust, deinen Magen ... Wichtig ist, dass du von jedem Körperteil, mit dem du dich befasst, das Gefühl bekommst, die Empfindung, dass du sie ein paar Sekunden behältst und dann weiterschreitest ...
Ӧffne nach fünf Minuten die Augen langsam und beende die Übung.
Diese einfache Übung gibt den meisten Menschen sofort ein Gefühl des Entspanntseins. In den meisten Gruppen fühlt sich der eine oder andere bei dieser Übung so entspannt, dass er einschläft!
Einer der größten Feinde des Gebets ist nervöse Spannung. Diese Übung hilft dir, sie zu lösen. Sie folgt einer einfachen Regel: Du entspannst dich, indem dir deine Körperempfindungen so bewusst werden wie nur möglich, indem dir die Leute in deiner Umgebung, dein Atem, der Geschmack in deinem Mund bewusst werden. Du entspannst dich, indem du deine Sinne gebrauchst.
Zu viele Menschen leben kopflastig; sie sind sich meist nur der Gedanken und Fantasien in ihren Köpfen bewusst und viel zu wenig der Tätigkeit der Sinne. Die Folge davon ist, dass sie selten im gegenwärtigen Augenblick leben. Sie halten sich fast immer in der Vergangenheit oder in der Zukunft auf. In der Vergangenheit, wenn sie Fehler bedauern, die sie früher begangen haben, sich wegen vergangener Sünden schuldig fühlen, sich ihre eigenen Leistungen aus der Vergangenheit vor Augen führen oder Groll hegen wegen der Beleidigungen, die ihnen andere einmal zugefügt haben. Oder in der Zukunft, indem sie mögliches Unheil und mögliche unerfreuliche Begebenheiten befürchten, sich erwartungsvoll mit Zukunftsfreuden beschäftigen und von zukünftigen Ereignissen träumen.
Sich an die Vergangenheit zu erinnern, um aus ihr Gewinn zu ziehen oder um sich von Neuem an ihr zu erfreuen; sich mit der Zukunft zu befassen, um sie realistisch zu planen: Das hat wertvolle Funktionen, vorausgesetzt, es entfremdet uns nicht zu lange der Gegenwart.Wer gut beten will, der muss unbedingt die Fähigkeit entwickeln, mit der Gegenwart in Berührung zu kommen und in ihr zu verweilen. Und ich kenne keine bessere Methode, in der Gegenwart zu verweilen, als von der Kopflastigkeit zu den Sinneswahrnehmungen zurückzukehren.
Fühle die Hitze oder die Kälte der Luft um dich. Fühle den leichten Wind, wie er deinen Körper streichelt. Fühle die Hitze der Sonne, wie sie deine Haut berührt. Fühle die Struktur des Gegenstandes, den du berührst ..., fühle, ob er warm ist oder kühl ... und sieh selbst, wie sich dein Leben verändert. Spüre, wie du lebendig wirst, weil du in die Gegenwart einkehrst. Wer einmal in diese Technik der bewussten Sinneswahrnehmung eingeübt ist, wird mit Staunen feststellen, wie er sich verändert, zumal wenn er sich bisher häufig Sorgen um die Zukunft gemacht oder sich schuldig für die Vergehen der Vergangenheit gefühlt hat.
Noch ein Wort gegen die „Verkopfung“: Der Kopf ist kein guter Ort für das Gebet. Er ist kein schlechter Ort, das Gebet zu beginnen. Doch wenn dein Gebet zu lange im Kopf bleibt und nicht in das Herz eindringt, wird es langsam austrocknen, lästig und frustrierend werden. Du musst lernen, den Bereich des Denkens und Redens zu verlassen und in den Bereich des Fühlens, Empfindens, der Liebe und der Intuition einzudringen. In diesem Bereich wird die Kontemplation geboren, und Gebet wird eine umwandelnde Kraft und eine Quelle von Freude und Friede, die niemals enden werden.
Möglicherweise fühlen sich einige – wenige – Menschen nach dieser Übung noch verkrampfter als vorher, anstatt Entspannung und Frieden zu fühlen. Wenn dir das passiert, dann werde dir dieser Verkrampfung bewusst. Bemerke, wie ein Teil deines Körpers verkrampft ist. Beobachte genau, wie sich die Verkrampfung anfühlt. Werde dir der Tatsache bewusst, dass du dich verkrampfst, und beobachte genau, wie du es tust.
Wenn ich die Worte „bemerke“, „beobachte“ gebrauche, meine ich nicht gedankliches Reflektieren, sondern fühlen und Spüren. Ich kann gar nicht oft genug wiederholen, dass diese Übung das Gefühl aktiviert, nicht das Denken. Es gibt Menschen, die unfähig dazu sind, ihre Arme oder Beine oder Hände zu spüren. Sie schaffen ein Gedankenbild jener Teile ihres Körpers. Sie wissen, wo diese Körperteile sind, und sie werden sich dieses Wissens bewusst. Aber die Körperteile selbst spüren sie nicht.
Diesen Mangel kannst du am besten dadurch beheben, indem du dich mit so vielen Empfindungen wie möglich in jedem dieser Körperteile befasst: in deinen Schultern, deinem Rücken, deinen Oberschenkeln, Händen, Füßen; das bewahrt dich auch davor, ein Gedankenbild für eine gefühlte Erfahrung zu halten. Du wirst leichter mit Menschen sympathisieren, die ihre Körperglieder nicht fühlen können, denn du wirst wahrscheinlich an dir selbst feststellen, dass zu Anfang nur zu einem geringen Teil die Oberfläche dieser Glieder Empfindungen „hergibt“. Du wirst von vielen Bereichen deines Körpers überhaupt keine Empfindungen empfangen, weil dein Empfindungsvermögen von deiner Verkopfung erdrückt worden ist. An der Hautoberfläche finden unzählige biochemische Reaktionen statt, die wir Empfindungen nennen, und du empfängst mit Mühe ein paar davon! Du hast dich gegen dein Gefühl verhärtet – wahrscheinlich wegen einer Kränkung oder eines emotionalen Konfliktes, den du inzwischen längst vergessen hast. Und deine Wahrnehmung, dein Bewusstsein, deine Konzentrationskräfte sind noch grob und unentwickelt. Später werde ich erklären, welche Beziehung diese Übung zum Gebet hat und weshalb für viele Menschen diese Übung selbst eine Art der Meditation ist. Im Augenblick wollen wir sie nur als eine Vorbereitung zum Gebet und zur Meditation auffassen, als ein Mittel, Entspannung und Stille zu finden, ohne die Gebet schwierig, sogar unmöglich wird.
Schließe noch einmal die Augen. Achte auf Empfindungen an verschiedenen Teilen deines Körpers.
Ideal wäre, wenn du die verschiedenen Teile deines Körpers nicht einmal mit Namen belegtest, wie „Hände“ oder „Beine“ oder „Rücken“, sondern einfach von einer Wahrnehmung zur anderen weitergingest.
Wenn du den Drang spürst, deine Körperhaltung zu verändern, gib ihm nicht nach. Werde dir dieses Dranges bewusst und einer Körperlichen Unbequemlichkeit, die vielleicht zu diesem Drang führt.
Verharre in dieser Übung einige Minuten lang. Allmählich wirst du eine gewisse Ruhe in deinem Körper spüren. Verweile nicht ausdrücklich in dieser Ruhe. Setze deine Wahrnehmungsübung fort und lass die Ruhe für sich wirken.
Wenn du beginnst, zerstreut zu werden, kehre erneut zur Wahrnehmung der Körperempfindungen zurück, gehe von einer zur anderen weiter, bis dein Körper wieder ruhig wird und sich deine Gedanken zusammen mit dem Körper beruhigen und du wieder diese Ruhe empfindest, die Frieden bringt und ein Vorgeschmack der Meditation und Gottes ist. Doch, ich wiederhole, verweile nicht ausdrücklich in dieser Ruhe.
Warum nicht in der Ruhe verweilen, die du wahrscheinlich während dieser Übung erfahren wirst? Das kann entspannend und sogar wunderbar sein. Doch verweilst du in dieser Ruhe, läufst du Gefahr, einen leichten Trancezustand oder eine Gedankenleere herbeizuführen. Das bringt dich dem Meditationsziel nicht näher und ähnelt eher einer Selbsthypnose, die nichts zu tun hat mit einer Schärfung der Wahrnehmung oder mit Meditation.
Es ist also wichtig, dass du nicht vorsätzlich diese Ruhe verursachst und nicht ausdrücklich in ihr verweilst. Du musst eine Schärfung der Wahrnehmung suchen, nicht ihre Abstumpfung, die die Folge eines Trancezustandes wäre, sei er noch so leicht. Also trotz der Ruhe und in dieser Ruhe musst du deine Wahrnehmungsübung weiterbetreiben und die Ruhe für sich allein weiterwirken lassen.
Es wird Augenblicke geben, in denen diese Ruhe oder diese Leere so machtvoll ist, dass sie alle Übungen und alle deine Bemühungen unmöglich macht. Dann suchst nicht du die Ruhe, sondern die Ruhe nimmt von dir Besitz und überwältigt dich. Geschieht das, dann kannst du unbesorgt und mit Gewinn alle eigenen Bemühungen (die ohnehin unnütz geworden sind) aufgeben und dich dieser überwältigenden Ruhe in dir anvertrauen.
Übung 3 Körperempfindungen. Disziplin der Gedanken
Diese Übung ist eine Vertiefung der vorherigen. Die letzte Übung dürfte dir sehr einfach vorgekommen sein – so einfach, dass sie vielleicht enttäuschend war. Aber Meditation ist tatsächlich eine ganz einfache Sache. Wer darin fortschreiten will, braucht nicht immer kompliziertere Techniken anzuwenden, sondern muss in der Einfachheit ausharren, was den meisten Leuten schwerfällt. Halte deine Langeweile aus. Widerstehe der Verlockung, etwas Neuartiges zu suchen, und suche stattdessen Tiefe.
Du musst diese und die letzte Übung über einen langen Zeitraum hinweg üben, um ihre volle Wirkung zu erfahren. Einmal habe ich buddhistische Exerzitien mitgemacht, bei denen wir zwölf bis vierzehn Stunden täglich unseren Atem beobachteten: wie die Luft in die Nasenlöcher einströmt und wieder ausströmt. Keine Abwechslung, keine Aufregung, kein Gedankeninhalt, mit dem wir unser Denken beschäftigen konnten! Ich erinnere mich lebhaft an den Tag, an dem wir uns mehr als zwölf Stunden damit beschäftigten, uns aller Empfindungen in dem winzigen Bereich zwischen den Nasenlöchern und der Oberlippe bewusst zu werden! Die meisten empfanden überhaupt nichts, stundenlang, und nur durch geduldige, hartnäckige Bemühungen um Konzentration und Bewusstmachung erreichten wir es, dass dieser widerspenstige Bereich doch Empfindungen hergab.
Welchen Nutzen hat das alles für unser Gebet?, wirst du fragen. Im Augenblick gebe ich dir nur diese eine Antwort: Frage nicht! Tue, um was ich dich bitte, und die Antwort wirst du selber entdecken. Die Wahrheit findet sich weniger in Worten und Erklärungen als in Tätigkeit und Erfahrung. Mach dich an die Arbeit, mit Glauben und Ausdauer (und du wirst eine Menge davon nötig haben!), dann wirst du eines Tages die Antwort selbst erfahren.
Du wirst dann auch eine Abneigung verspüren, die Fragen anderer, auch anscheinend praktische Fragen zu diesem Thema zu beantworten. Diese ganzen Fragen wollen doch nur eins: „Wie mache ich es richtig? Zeig es mir!“ Und die einzige richtige Antwort darauf ist: „Ӧffne deine Augen, sieh selbst!“ Es ist mir lieber, wenn du mich auf den Berggipfel begleitest und wir gemeinsam den Sonnenaufgang erleben, als dass ich dir glühende Beschreibungen geben muss, wie ein Sonnenaufgang vom Berggipfel ausschaut. „Komm her und sieh selbst“, sagte Jesus zu zweien seiner Apostel.
Die ganze Herrlichkeit eines Sonnenaufgangs in den Bergen und noch viel mehr: Das ist in einer so eintönigen Übung enthalten, in der man sich stundenlang und Tag für Tag bemüht, sich seiner Körperempfindungen bewusst zu werden. Komm her und sieh selbst! Wahrscheinlich hast du nicht die Muße dazu, dieser Übung viele Stunden und Tage zu widmen. Ich schlage deshalb vor, dass du jede Gebetszeit mit dieser Übung beginnst. Betreibe sie, bis du Frieden und Ruhe findest, dann verrichte dein Gebet, gleich welcher Art es ist. Mit Gewinn kannst du diese Übung auch zu anderen Tageszeiten machen, wenn gerade ein Augenblick Zeit ist, zum Beispiel, wenn du auf einen Bus oder einen Zug wartest, wenn du müde und angespannt bist und etwas Erholung brauchst, wenn du ein paar Minuten Zeit hast und nicht weißt, wie du sie verbringen sollst.
Es wird eine Zeit kommen, hoffe ich, dann wird deine Freude an diesen Wahrnehmungsübungen so groß sein, dass du gar keine andere Art des Gebets mehr üben willst. Dann wird es ratsam sein, dabei zu bleiben und die tiefe und echte Möglichkeit zur Meditation zu entdecken, die in dieser einfachen Übung verborgen ist. Auf diese Art Meditation komme ich noch zu sprechen.
Beginnen wir nun die nächste Übung. Sie kann in wenigen Sätzen beschrieben werden. Doch muss sie immer wieder geübt werden. In meinen Meditationsgruppen beginne ich jeweils mit diesen Übungen und widme ihnen ein paar Minuten. Ich empfehle allen in der Gruppe, sie täglich einige Minuten lang – morgens, mittags und abends – zu üben.
Schließe die Augen. Wiederhole die letzte Übung. Werde dir aller Empfindungen bewusst, die du aufnehmen kannst, während du von einem Teil des Körpers zum anderen wanderst. Bleibe bei dieser Übung fünf bis zehn Minuten lang.
Wähle jetzt einen kleinen Bereich deines Gesichts: deine Stirn zum Beispiel, eine Wange oder dein Kinn. Versuche, so viele Empfindungen wie möglich aus diesem Bereich zu empfangen.
Am Anfang wird dieser Bereich ganz ohne Empfindungen erscheinen. In diesem Fall kehre für eine Weile zur vorherigen Übung zurück. Dann versuche es von Neuem. Und versuche es immer wieder, bis du eine Empfindung, und sei sie noch so schwach, spürst. Wenn das der Fall ist, dann konzentriere dich darauf. Vielleicht verschwindet sie wieder. Vielleicht wechselt die Empfindung. Andere Empfindungen können rundherum aufschießen.
Sei dir der Empfindungsweisen bewusst, die erscheinen: Jucken, Stechen, Brennen, Ziehen, Vibrieren, Pochen, Gefühllosigkeit ...
Bist du zerstreut, kehre geduldig zu dieser Übung zurück, sobald dir bewusst ist, dass du zerstreut bist.