Mehr als ein Leben

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Anita Rippl

Mehr als ein Leben

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1 Der Plan

2 Der Brief

Impressum neobooks

1 Der Plan

„Ich verstehe nicht, wie du so ruhig bleiben kannst“, kam es von mir, während ich meine beste Freundin Beate ansah, die seelenruhig auf ihrem Bett saß und sich die Fußnägel lackierte. „Es geht schließlich um deine Zukunft“, fuhr ich fort. „Hörst du mir überhaupt zu?“ Beate blickte von ihrer Arbeit auf. „Natürlich höre ich dir zu. Du redest wie mein Vater. – Ich dachte, du wärst auf meiner Seite, Kiki?“

Ich schüttelte energisch den Kopf, wobei meine braunen Locken wippten. Meine Locken, auch so ein Problem, aber Beate hatte Vorrang.

„Das bin ich doch“, versicherte ich ihr. „Wir sind schließlich Freundinnen. Ich möchte nur nicht alleine im Herbst in die elfte Klasse wechseln.“ Beate lackierte weiter. „So, so. Also ist es mehr eigenes Interesse, als echte Anteilnahme an meinem Schicksal“, folgerte sie.

Ich stand genervt aus dem Korbsessel auf und setzte mich aufs Bett. Dieses schaukelte und somit wurde Beates nächster Lackiervorgang ein Desaster.

„Hey, mal langsam!“ rief sie und brachte den Nagellack Farbe Rubinrot in Sicherheit. „Ich meine es doch nur gut mit dir“, kam es von mir. Beate rollte mit den Augen und tupfte mit einem Kosmetiktuch die Bescherung von ihrem großen Zeh.

„Ja, Kiki. Alle meinen es nur gut mit mir. Genau, das ist es ja. Ich möchte einfach nur Spaß haben.“ – „Mit zwei Fünfen im Zeugnis?“ hielt ich ihr entgegen. Beate seufzte. „Du brauchst mich nicht immer daran zu erinnern. Das machen meine Eltern schon.“

Ich legte versöhnlich die Hand auf Beates Schulter. „Tut mir leid. Es ist nur schade, dass…“

Beate winkte ab und lächelte spitzbübisch. „Keine Trauerreden. Es steht noch eine Schulaufgabe in Latein an. Da habe ich ein richtig gutes Gefühl. Damit reiße ich das Ruder noch einmal rum. Du wirst schon sehen. Dann gehe ich noch ins Mündliche und…“

Beate blickte in mein ungläubiges Gesicht. „Ach, komm, Kiki. Ich habe wirklich etwas getan. Das reicht bestimmt und dann…hopp, bin ich mit dir in der elften.“

Ich versuchte ein Lächeln, was mich jedoch viel Anstrengung kostete. Beates Optimismus war geradezu erschreckend. So war sie immer schon gewesen. Es hatte immer irgendwie gereicht, aber dieses Mal hatte ich kein gutes Gefühl. Klar, noch eine Schulaufgabe bis Notenschluß. Das waren fünf Tests zu wenig.

*

Zwei Wochen später strahlte mich Beate an wie ein Honigkuchenpferd. Ich aß gerade an meinem Apfel und blickte auf Studienrat Mehrens, der Pausenaufsicht hatte.

„Na, was sagst du jetzt?“ kam es von Beate, deren unverschämt gute Laune nur allzu verständlich war. „Ich habe es gepackt – wieder mal. Du sagst ja gar nichts.“ Ich sah Beate an. „Knapp geschafft. Ich habe keine Ahnung wie du es gemacht hast.“ Meine Freundin hob beide Hände. „Keine Spickzettel. Einfach gelernt. Gut, nicht?“ Ich seufzte. „Und warum hast du das im ganzen Jahr nicht gemacht?“ – Nun, ja, wer braucht Latein?“ bekam ich zur Antwort. „Gönnst du mir denn gar nichts? Ich dachte, du möchtest nicht alleine in der elften sitzen.“ – „Aber klar“, sagte ich ehrlich,“aber das nächste Jahr wird echt hart.“ Beate lächelte und drückte mich. „Ich weiß, und deshalb streng ich mich auch an und füge mich dem Willen meiner Eltern. Die Sommerferien bedeuten Nachhilfe. Solange bis ich aus dem Gröbsten raus bin. Ich weiß, dass ich nicht noch einmal soviel Glück haben werde. Am zehnten geht es los. Es ist ein Student, der dann zweimal die Woche für je zwei Stunden mit mir üben wird. Mal sehen, ob es etwas bringt.“ Ich lächelte ihr aufmunternd zu. „Bestimmt.“

*

Beate hielt Wort, vielleicht machten auch ihre Eltern Druck. Sie waren im eigentlichen Sinn nicht streng, aber es musste wohl sein. Beate war nicht dumm, aber das Thema Schule war etwas besonderes. Es war nicht das, was für sie zählte. Ihr das verständlich zu machen, war mir nie möglich gewesen. Ich war einfach froh, auch, wenn wir unsere Unternehmungen in den Ferien einschränken mussten. Ich hatte mir eine Stelle als Kellnerin in einem Eiscafe besorgt. Ich wollte im Herbst mit dem Autoführerschein beginnen. Fahrstunden waren mittlerweile zu einem kleinen Luxus geworden. Beates Eltern, beide Rechtsanwälte, zahlten so etwas nahezu aus der Portokasse - Die Finanzierung des Führerscheins keine Frage des Geldes. Ja, der Mammon war nie ein Thema im Hause Escher gewesen. Beates Versetzung hingegen schon. „Schule ist einfach nicht mein Ding“, wie sich meine beste Freundin auszudrücken beliebte. Und nach ihrer Trennung im Oktober letzten Jahres von Martin da rückte alles schulische noch weiter zurück. Da half auch kein gutes Zureden, sondern nur noch „Abschreiben lassen“. Auf die Dauer war dies natürlich auch nicht das Wahre. Wie sollte Beate damit jemals das Abitur meistern? Das war nun wohl auch bei Beate angekommen, und schon lange vorher bei ihren Eltern, die als Akademiker einen gewissen Anspruch an ihre einzige Tochter richteten.

Gedankenverloren wischte ich einen der Tische im Eiscafe „Picollo“ ab, als sich jemand Bekanntes an eben diesen Tisch setzte.

Beates Augen blitzten mich an.

„Kann man noch etwas bestellen, oder klappst du schon die Stühle hoch?“ Ich sah auf meine Armbanduhr und war erstaunt, dass es schon halb sieben war. Noch eine halbe Stunde und ich hatte Feierabend. Der Nachmittag war wie im Flug vergangen.

Ich stützte die Hand mit dem Lappen in die Hüfte und lächelte.

„Für zahlende Gäste doch immer“, kam es leider nicht mehr ganz so fit wie noch vor vier Stunden.

Beate wedelte lässig mit dem Geldschein. „Ich würde dich ja gerne auf einen Amarena-Becher einladen“, begann sie und grinste, “aber du hast ja leider noch nicht Arbeitsschluß. So ein Pech aber auch. Jetzt muß ich den ganz alleine essen.“

Ich hob gespielt drohend den noch feuchten Lappen, mit dem ich die Tische abwischte.

„Du, sei nicht so frech, sonst kann es leicht sein, dass der hier in deinem hübschen Gesicht landet.“ Beate grinste. „Wag es ja nicht, sonst bist du deinen Job gleich am ersten Tag los.“

Ich winkte lässig ab und wandte mich zum Gehen. „Ich mach mir doch die Hände nicht schmutzig. - Dein Amarena-Becher kommt gleich.“

„Probleme?“ fragte Mario, der Sohn des Besitzers. „Nein, das ist nur eine gute Freundin.“ Mario blickte interessiert drein. Einen Blick, den ich nach vier Stunden zu deuten wusste. Ich sah ihn ernst an. „Bitte verschone Beate. Sie hat derzeit genug um die Ohren. Sie ist…“ – „Ah, Beata“, flüsterte Mario mit strahlenden Augen. „Vergiß es. Brich einer anderen das Herz. – Kann ich jetzt meinen Eisbecher haben?“

Meine Worte duldeten keinen Widerspruch. Schnell bereitete Mario den gewünschten Becher zu. Seufzend reichte er ihn mir. „Du gönnst einem auch gar nichts, Kerstin“ – „Cèst la Vie“, kam es von mir, als ich zu Beate zurückging. „Dein Italienisch ist furchtbar!“ rief Mario. „Ich weiß“, gab ich grinsend zurück.

*

Nach Arbeitsschluß kam Beate noch zu mir. Wir wollten uns die Neuigkeiten des Tages erzählen.

Mein Zimmer im ersten Stock besaß einen herrlichen Balkon, auf dem neben einem Oleander auch eine Hollywoodschaukel Platz hatte. Mit je einem Eistee ausgestattet, schaukelten Beate und ich einträchtig vor und zurück. Die Grillen zirpten an einem lauen Sommerabend. Es war wunderbar friedlich.

Ich hörte ein Sirren und schon klatsche meine rechte Hand geistesgegenwärtig gegen mein linkes Schienbein. „Erwischt?“ fragte Beate interessiert und sah von ihrem Eistee auf. Ich blickte der entkommenen Mücke hinterher, die gerade über das Balkongeländer sich ihrer Freiheit erfreute.

„Ja, sie mich“, gab ich zurück und kratzte an meinem juckenden Schienbein. „Oh“, kam es von Beate, die geräuschvoll mit ihrem Strohhalm die letzten Eisteereste aus dem Glas saugte.

Ich stand auf und humpelte mit meinem malträtierten Bein ins Zimmer zurück, um die Karaffe mit dem Eistee zu holen. Die Spezialmischung meiner Mutter. Ich goß Beates Glas voll und ließ mich wieder in die Schaukel plumpsen.

„Nun erzähl mal von deiner Nachhilfe“, begann ich . Beate verzog das Gesicht. „Ich meine doch nicht den Stoff, sondern den Studenten.“ Auch jetzt hellte sich die Miene meiner Freundin nicht auf. „Er hat den Charme von Godzilla“, sagte sie. „Oh“, kam es von mir. „Ach, komm. Das ist nur am ersten Tag so. Er muß ja erst mal deinen Lernrhythmus kennen lernen. Du wirst sehen. Das wird sich noch ändern.“ Ich versuchte motivierend zu klingen. „Wie vermittelt er denn so den Stoff?“ fragte ich und biß mir gleichzeitig auf die Zunge. Ich klang jetzt bestimmt wie Beates Mutter. Demotivierender ging es ja nun wirklich nicht mehr.

„`schuldige“, warf ich ein, bevor Beate etwas erwidern konnte. Diese winkte ab. „Ich dachte, es würde Spaß machen“, sagte sie missmutig, „dabei ist es genauso wie beim Stoll.“ – „Hm“, kam es nur von mir. Sollte ich das Thema wechseln, um meine Freundin aufzuheitern? Leider hatte ich meine Eiscafe-Erlebnisse schon erzählt.

„Ich werde das meistern“, sagte sie laut und überzeugt. „Ich werde lernen und im neuen Schuljahr gute Noten schreiben. Alexander hat zwar den Charme Godzillas, aber zum Glück nicht dessen Aussehen. Ich stell mir einfach vor, er hätte die samtig-weiche Stimme eines Hollywoodstars.“ Ich grinste. „Und wen hast du da so im…Ohr?“ – „Richard Gere“, sagte Beate. Jetzt verzog ich das Gesicht. „Der könnte dein Opa sein!“ – „Ich rede ja auch von seiner Stimme“, berichtigte Beate. „Glaub mir, Kiki, die ist supersexy.“

 

Lachend ließ sie sich in die Schaukel zurückfallen. Auch ich lachte, als ich mir Beates Nachhilfe als Godzilla mit Richard Geres Stimme vorstellte.

Mein Mückenstich war plötzlich total vergessen.

*

Am Mittwoch war meine Schicht im Eiscafe um die Mittagszeit und ich hatte bereits um drei nachmittags Schluß. Ich holte noch ein Kostüm für meine Mutter aus der Reinigung und radelte dann hinterher zu Beate, deren Nachhilfe um vier endete. Wir wollten beide an diesem heißen Augusttag ins Freibad.

Das Anwesen der Eschers war großzügig. Der Begriff Einfamilienhaus war hier schon untertrieben. Es gab sogar einen Pool und dennoch kam Beate lieber mit mir ins öffentliche Freibad. Da ließ es sich ungezwungener mit Jungs flirten. Ich war gespannt, ob sie diesen Sommer auf Flirts wert legte. Die Beziehung zu Martin war kurz aber heftig gewesen. Zudem hatte sie ihm im Freibad kennen gelernt. Es konnte also gut sein, dass er uns hier über den Weg lief. Ich hatte Beate gefragt, ob sie sich sicher sei. Sie gewinkte gelassen ab.

„Kein Problem. Es ist vorbei“, erklärte sie mir.

Für eine Stunde war dies auch der Fall. Da hatte sie recht. Wir alberten herum und hatten unseren Spaß.

Als wir jedoch auf der Wiese lagen und uns ein Sonnenbad gönnen wollten, tauchte Martin auf. Und er war nicht alleine.

An ihm hing ein schwarzhaariges Mädchen, das vermutlich gerade den Einstieg in die Pubertät geschafft hatte. Sie himmelte Martin geradezu an und nickte eifrig zu allem, was ihr Freund von sich gab.

Mir wurde schon vom Zusehen übel, auch, wenn ich nicht verstand, was Martin so von sich gab. Mein Blick fiel auf Beate, die ihren Ex-Freund natürlich ebenfalls entdeckt hatte. Ihre Augen verengten sich, während sie sich gleichzeitig mit den oberen Schneidezähnen auf die Unterlippe biß. Ihre rechte Hand hielt immer noch die geöffnete Tube Sonnenlotion. Sie drückte unbewusst zu, so dass die Creme regelrecht aus der Tube schoß und im Gras landete.

„Gehen wir uns noch ein Eis kaufen?“ hörte ich das schwarzhaarige Gör betteln, wie ein Grundschulkind. Ich sah wie Martin ihr fürsorglich über die Wange strich. „Aber ja, mein Häschen.“

Ich konnte nicht mehr hinsehen. Dann waren sie auch an uns vorbei. Ich atmete erleichtert auf und sah meine Freundin an, die versuchte die hervorschießenden Tränen vor mir zu verbergen, in dem sie die linke Hand vor das Gesicht hielt. Mit der rechten hielt sie immer noch die Sonnenmilchtube, in der sich eigentlich keine Lotion mehr befinden konnte, es lag wohl längst alles im Gras.

„Beate, ich…“, begann ich. Sie schüttelte den Kopf. „Jetzt nicht“, brachte sie hervor und stand schnell auf. Die leere Tube landete auf dem Badetuch. Beate lief Richtung der Umkleidekabinen.

Es war nicht vorbei mit Martin, dachte ich. Beates Herz hing immer noch an ihm. Er hatte sie nicht verdient. Und dieses Möchtegern-Häschen“ konnte er eben beeindrucken, dieser eitle Pfau. Ich hatte ihn nie gemocht, es Beate aber nie gesagt. Sie hatte ihn doch geliebt oder tat sie es noch?

*

Ich ließ meine Freundin in Ruhe, wie sie es gewünscht hätte. Beate war kein Mensch der sich bei anderen ausheulen wollte. Wut und Trauer machte sie stets mit sich selbst aus. Dies hatte ich in unserer langjährigen Freundschaft kennen gelernt und auch akzeptiert.

Als sie nach einer halben Stunde wieder kam, war die Sonnencreme bereits halbwegs aus dem Gras verschwunden. Ich hatte sie in eine Plastiktüte befördert und diese samt leere Tube im nächsten Mülleimer entsorgt.

Beate musterte die Cremereste an einzelnen Halmen, die die Sonne bereits angetrocknet hatte und nahm auf ihrem Badetuch Platz. Sie holte tief Luft und lächelte mich an.

„Es ist vorbei“, sagte sie überzeugt. „Entgültig! Ich dachte, ich müsse mich ärgern oder gar traurig über den Verlust sei, aber das muß ich gar nicht. Sieh dir den Hasenzahn an, den er sich geangelt hat. Er benötigt ein weibliches Wesen, das zu ihm aufblickt und ihm stets zustimmt. Und dafür bin ich nicht die Richtige, war es nie. Seit ich das erkannt habe, tut es nicht mehr weh. Es ist auch kein Zorn da. Es ist gar nichts mehr da.“

Beate blickte in den Himmel und seufzte. „Ich bin nun endlich frei. Ein herrliches Gefühl! Die Welt hat mich wieder!“

Sie lächelte mich erneut an, aus strahlenden Augen blickte mir die Erleichterung entgegen. Ich sprang auf und klatschte ihr auf die Schenkel.

„Na, dann komm, du frischgebackener Single! Wer zuletzt im Wasser ist, muß dem anderen den Rücken eincremen!“

*

Die Begegnung Beates mit ihrem Ex-Freund brachte etwas ins Rollen. Sie fand Gefallen am Lernstoff und war mit einem Feuereifer dabei. Es war, als hätte sie Ballast abgeschüttelt und könnte nun erst jetzt wieder neu durchstarten.

Das Wetter in den darauffolgenden Tagen war mehr als mies, nicht gerade förderlich für den Eisverkauf. Das Geschäft lief schleppend und am Mittwoch bekam ich deshalb frei. Da Beate bis vier nachmittags Nachhilfe hatte, entschloß ich die Zeit sinnvoll zu nutzen und mein Zimmer aufzuräumen.

Mir kam sogar der Gedanke an einem sonnigen Tag die Wände neu zu streichen. Ich wollte Beate somit nach Beendigung ihrer Nachhilfe besuchen und sie bitten, mit mir gemeinsam den Pinsel zu schwingen. Da half es schon einmal, wenn ich etwas ausmistete. Ich organisierte mir einen Karton, in dem alte Kino- und Postkarten landeten, sowie einige Gegenstände, die man sicherlich gut auf einem Flohmarkt verkaufen konnte.

Meine Mutter, die nachmittags in einer Anwaltskanzlei arbeitete, klopfte kurz noch einmal an meine Tür, bevor sie das Haus verließ.

„Kiki, ich fahr dann mal los“, hörte ich ihre Stimme dumpf hinter der Tür.

Ich wühlte mich aus meinem Berg von Klamotten, die ich auch beschlossen hatte auszusortieren und stürmte zur Tür.

Meine Mutter sah mich überrascht an, da sie nicht damit gerechnet hatte, dass ich so flott öffnen würde.

„Gibt es noch etwas?“ fragte sie leicht irritiert. Ich nickte und versuchte, ihr den Blick in mein Zimmer zu verwehren. Sie reckte trotzdem interessiert den Kopf. „Kiki“, sagte sie im langgezogenen Ton. „Was heckst du aus?“ Ich lächelte nur unschuldig. „Gar nichts. Ich mache nur Feng Shui und dazu benötige ich dein Einverständnis.“ Sie sah mich gespielt misstrauisch an. „Meine Erlaubnis, damit du dein Zimmer aufräumen darfst?“ – „Nun, ja, es wird sozusagen eine Großaktion“, erklärte ich. „Ich möchte neu streichen und suche noch Sponsoren für die Farbe.“ – „Sponsoren“, sagte meine Mutter lächelnd und holte ihr Portemonnaie hervor, um zwei Scheine hervorzukramen. „Reicht das?“ Ich nickte. „Bestimmt. Da ist sogar noch ein Eis für die Arbeiter drin.“ – „Für welche Arbeiter?“ Ich grinste. „Na, für Beate und mich. Selbst ist die Frau!“ – „Dann viel Spaß im Baumarkt euch beiden“, wünschte sie mir. „Meine Pflicht ruft. Bis heute abend.“ – „Klar, bis heute abend.“

Meine Mutter verließ das Haus. Der Nachmittag war gerettet. Es war halb eins, also noch genügend Zeit, um weiterhin Feng Shui zu betreiben. Jetzt musste nur noch die Sonne scheinen, dann war ich mehr als glücklich. Guter Dinge zog ich mich in das Chaos meines Zimmers zurück.

*

Kurz vor halb vier machte ich mich mit dem Fahrrad auf, um zu Beate zu fahren. Als ich dort ankam, verließ ein junger Mann das Haus der Eschers. Mir verschlug es den Atem. Er war einfach hinreißend. Das lag nicht alleine an seinen stahlblauen Augen. Er lächelte mich freundlich an. Mein „Hallo“ klang wohl eher kratzig, sofern es überhaupt zu hören war. Ich hoffte nur, dass ich nicht rot geworden war. Meine Wangen fühlten sich irgendwie warm an. Peinlich war gar kein Ausdruck für mein Verhalten.

Ich stürzte zur Haustür, die von Beate aufgehalten wurde. Meine Freundin grinste mich wissend an. Ich versuchte mich zu beruhigen. Es war schließlich ihr neuer Freund, da konnte ich doch nicht solche Stilaugen bekommen, wobei ich mich fragte, wo sie diese Sahneschnitte entdeckt hatte.

„Dein neuer Freund sieht…nett aus“, begann ich. Beate lachte schallend. Ich sah sie verwirrt an. „Mein neuer Freund?“ wiederholte sie. „Das ist meine Nachhilfe.“ – „Du meinst, das ist Godzilla?“ fragte ich und schloß für einen Moment die Augen. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mich in so einen vergucken würde? Das würde keinem Mädchen passieren.“ Ich schluckte. „Klar, er ist ja Godzilla.“ Beate nickte. „Komm rein. Du bist ja wohl geradelt wie eine Irre, so rote Wangen wie du hast.“

Ich räusperte mich. Wußte sie Bescheid und wollte mich nur necken?

Nein, Beate ahnte nichts, sonst hätte sie mich bestimmt damit aufgezogen, als wir auf ihrem Zimmer waren. Zudem stand ihre Meinung ja bereits fest. Wer verliebte sich schon in Godzilla?

*

Ich erzählte Beate von meinem Plan, meine Zimmerwände neu zu streichen. Sie war sofort Feuer und Flamme. Wir schwangen uns auf unsere Fahrräder, als es zu nieseln aufgehört hatte und radelten zum nächsten Baumarkt.

Als Vertreter des weiblichen Geschlechts, noch dazu als Mädchen waren wir in der Minderzahl. An jeder Ecke standen Männer und fachsimpelten über Vierkantrohre, Winkeleisen, Pressspannplatten und dergleichen. Oft war es auf den ersten Blick gar nicht sicher, wer hier der Baufachmann war, da die selbsternannten Heimhandwerker die Sachverhalte den Angestellten erklärten und es nicht wie üblich umgekehrt war.

Trotz des Vorurteils Frauen könnten sich nicht orientieren, fanden Beate und ich die richtige Abteilung, um uns mit Farben einzudecken.

Mir leuchtete förmlich ein Gelb ins Auge. Ja, ich wollte die Sonne in mein Zimmer lassen. Mit zwei Eimern waren wir gut bedient. Hinzu kamen noch Pinsel in verschiedenen Größen, Abdeckfolie sowie Malerkrepp. Fertig!

Wir steuerten zufrieden die Kasse an und verließen kurz darauf den Baumarkt.

*

Das Wetter meinte es gut mit mir. Die Sonne kam tatsächlich wie bestellt hinter den Wolken hervor. Aus der großen Streichaktion wurde trotzdem erst einmal nichts, da ich nun die Nachmittagsschicht in der Eisdiele hatte. Freitags hatte ich jedoch wieder die Mittagsschicht, somit stand der Pinselei nichts mehr im Wege. Beates Nachhilfe fand nur Montag und Mittwoch statt, somit half sie mir tatkräftig mit. Mein Vater hatte sich bereit erklärt, die Möbel in die Mitte des Raumes zu schieben und sie mit Folie abzudecken. Die Wände sahen richtig kahl aus. Poster, Kalender und dergleichen hatten stets frohe Farbtupfer gesetzt.

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