Todesnacht

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Todesnacht
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Angelika Nickel

Todesnacht

Daniels Rückkehr

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1 – Angst

2 – Moira

3 – Marlow-River

4 – Doc Winston

5 – Totenruhe

6 – Grabesstille

7 – Im Wald

8 – Zu Besuch bei Mutter

9 – Der erste Spatenstich

10 – Kraftreserven

11 – Desmond

12 – Zwiegespräch mit einem Toten

13 – Die andere Seite

14 – Justin

15 – Die Flucht

16 – Der richtige Weg?

17 – Pater Beth

18 – Ein Treffen auf Saint Marie

19 – Von Rache getrieben

20 – Erbarmungslose Suche

21 – Die Gegenüberstellung

22 – In die Enge getrieben

23 – Vorbei

24 – Zurück

gewidmet

geschrieben

Bisher erschienen

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Erinnerung an einen vierbeinigen Freund – Tatsachenbericht -

Autor

Cover Rückseite

Impressum neobooks

1 – Angst

Nur wenige waren gekommen. Die Angst, die sich vor Jahren in die Menschen gefressen hatte, war zu groß, um dass sich auch alle getraut hätten, dem Toten die Letzte Ehre zu erweisen.

»Moira hätte niemals zurückkommen dürfen«, flüsterte Linda Ben zu.

»Sie ist in diesem Ort geboren«, antwortete Ben, doch auch er wusste, dass Linda Recht hatte, und es besser gewesen wäre, wenn die Frau niemals wieder nach Marlow-River zurückgekehrt wäre. Nicht, nachdem, was damals passiert war.

»Mit ihr ist das Unheil über unser Dorf gekommen, Ben. Sie hätte woanders hingehen können, um zu sterben.«

»Du kannst niemandem vorschreiben, wo er seine letzten Tage verbringen will.«

»Und somit geleiten wir dich ins Tal der Toten«, drangen die Worte des Geistlichen an Lindas Ohr.

Der Wind wurde immer stärker. Mit beiden Händen mussten die Trauergäste die Regenschirme umspannen, und beeilten sich, vom Grab wegzukommen.

»Es geht schon wieder los«, schwappten die Worte ängstlich über Lindas Lippen, während sie den Blick hastig über ihre Schulter fegte.

»Nichts geht los. Das ist ein Unwetter, wie es bereits die Wetterfrösche seit einer Woche vorhersagen«, versuchte Ben, die Frau zu beruhigen.

Doch sie schüttelte den Kopf. »Nein, Ben, und du weißt es auch. Das sind die ersten Anzeichen.« Sie schaute an den Reihen der Gräber entlang. »Es geht wieder alles von vorne los.«

»Da geht nichts von vorne los.« Doch auch Ben konnte nicht anders, als seine Augen ängstlich über den Friedhof zu zwingen, in der Hoffnung, nichts sehen zu müssen, was er erst gar nicht sehen wollte.

»Daniel ist tot. Und das seit dreißig Jahren«, erinnerte er die Frau an den Toten, mit dem seinerzeit alles seinen Anfang genommen hatte.

»Was heißt das schon.« In ihren Augen zuckte die Angst. »Er wird zurückgekommen sein.«

»Nach dreißig Jahren … Nein, das macht keinen Sinn, Linda.«

»Und wie das Sinn macht. Er kommt, um seine Mutter zu holen.«

»Wozu das denn. Sie stirbt ohnehin. Dazu braucht sie ihn nicht«, beharrte Ben darauf, dass Linda falsch lag und sich irrte. Ich will gar nicht, dass auch nur ein Fünkchen Wahrheit an deinen Worten ist, dachte er, während er Linda mit einem flüchtigen Blick streifte.

»Rache! Daniel kommt zurück, um an seiner Mutter und seinen Brüdern Rache zu nehmen.« Ihr Blick lag sorgenvoll auf dem offenen Grab. »Schau doch nur auf diesen Sarg. Ben, wir sind heute hierher gekommen, um Duke zu begraben.«

»Ich weiß«, kam es dumpf über seine Lippen.

»Und Duke war sein Bruder. Daniels Bruder!«

»Daniel ist tot, seit über dreißig Jahren. Und selbst, wenn an all den Gerüchten etwas dran wäre. Was sollte er für einen Grund haben, nach so vielen Jahren, seinen Bruder zu töten?«

»Er wird sich an allen rächen, Ben. An all denen, die ihn damals durchschaut und das durchtrieben Böse in ihm erkannt haben.«

»Das ist doch Irrsinn. War es damals schon. Daniel war ein Kind. Ein zehn Jahre altes Kind«, begehrte der Mann auf. Seit dreißig Jahren hatte er sich bemüht, das tragische Geschehen von damals, aus seinen Gedanken zu verbannen. Und ausgerechnet mit Moiras Rückkehr und Dukes Tod, kam alles wieder zum Vorschein. Nichts ließ sich mehr verdrängen. Alles war wieder da. Daniels barbarischer Tod, Moira, die zuerst als Tatverdächtige angeklagt, aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden war. Wobei Ben heute noch davon überzeugt war, dass Reverend Sanders dabei seine Hände mit im Spiel gehabt und seinen Einfluss geltend gemacht hatte, um dass sie der Todesstrafe entkommen war und sogar wieder auf freien Fuß gelassen worden war.

Der Regen schlug ihnen ins Gesicht, als sie den Friedhof verließen. Eilig liefen sie auf ihr Auto zu, um sich vor dem Unwetter in Sicherheit zu bringen.

2 – Moira

Der Sturm fegte über die Farm hinweg. Rollläden schlugen laut gegen die Fenster und von irgendwoher drang Stöhnen, das immer lauter wurde, zu Moira hin.

Die Frau zog den Gürtel ihres Morgenmantels fester. Besorgt wanderte ihr Blick über das Land. Wie sehr sie es doch vermisst hatte, all die Jahre.

Der Wasserkessel pfiff durchdringend und Moira wurde aus ihren Gedanken gerissen. Sie eilte zum Herd und schob den Kessel zur Seite.

Nachdem sie sich Kaffee gemacht hatte, schlappte sie ins Wohnzimmer zurück. Heute fiel ihr das Laufen besonders schwer. Der Krebs, er machte ihr das Leben immer beschwerlicher. Sie wusste, dass sie jeden neuen Tag mit dem Tod an ihrer Seite erlebte. Der Tod, über all die Jahre hatte er sie begleitet und nur auf den Tag gewartet, zuschlagen und an ihr Rache nehmen zu können, das wusste sie.

Moria kramte ein abgegriffenes Fotoalbum aus einer der Schubladen und setzte sich damit in einen Sessel.

Am Ende holte sie es hervor, das Bild ihres Sohnes. Daniels Bild. Wie ein Engel schaute er auf dem Foto aus.

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ich einen Sohn des Teufels, einen Dämon auf die Welt bringe. Auch heute wollte sie es immer noch nicht wahrhaben, dass einer ihrer drei Söhne, die Ausgeburt des Bösen gewesen war.

Moira erzitterte auch heute noch, wenn sie nur daran dachte.

Es klopfte an der Tür.

»Herein«, rief Moira, doch ihre Stimme war schwach. Der Krebs, und all die Behandlungen, die seit Erkennen von diesem, sie gezwungen gewesen war, über sich ergehen lassen zu müssen, hatten viel von ihrer eigentlichen Energie gekostet. Heute war sie nur noch eine schwache Frau, die nur noch aufs Sterben wartete. Dabei war sie erst einundsechzig Jahre alt.

»Reverend Sanders, schön dich zu sehen«, begrüßte sie den Mann, der zu ihr herein kam.

»Moira, ich musste endlich einmal wieder nach dir sehen«, sagte der Geistliche und betrachtete die Frau besorgt. »Du hättest zu Dukes Beerdigung kommen sollen.«

Die Frau schüttelte nur schweigend den Kopf, und der Reverend sah ihr an, wie schlecht es ihr ging, und wie schwach sie doch war.

»Nein, Sanders, es ist besser für all die, die dort waren, dass ich nicht gekommen bin.«

»Moira, du redest Unsinn. Du bist Dukes Mutter gewesen. Wie sieht das denn aus, dass ausgerechnet du seinem Begräbnis ferngeblieben bist.«

 

»Dafür hast du doch sein Begräbnis arrangiert, und auch die letzten Worte an seinem Grab gesprochen«, antwortete sie traurig.

»Ich bin aber nicht seine Mutter gewesen.«

»Aber du bist gut, Sanders. Du bringst niemanden in Gefahr.«

»Du doch auch nicht. Auch du bist ein guter Mensch.«

Sie lächelte schwach. »Dermaßen gut, dass ich meinen eigenen Sohn getötet habe.«

»Bei Gott, Moira, wir haben das damals bereits wie oft durchgekaut. Du hattest gar keine andere Wahl gehabt, als den Jungen zu töten. Hast du völlig vergessen, dass der Junge mit dem Teufel im Bunde war?«

»Dennoch war er mein eigen Fleisch und Blut.«

»Ja, und du hast ja auch lange Zeit noch zwei weitere wundervolle Söhne gehabt, die dich liebten und froh waren, dass es dich gibt.«

»Zwei von drei.« Ihr Blick lag zweifelnd auf dem Reverend. »Und ob sie mir jemals vergeben haben, Daniel getötet zu haben, das weiß ich nicht.« Sie weinte. »Jetzt ist mir nur noch ein Sohn geblieben.«

»Du hattest keine andere Wahl. Er hätte alle Menschen aufs Brutalste umgebracht.« Auf Dukes Tod ging der Reverend nicht ein.

»Vielleicht hätte man ihm helfen können. In einer Klinik …«

»Nein, Moira, das hätte man nicht. Dein Junge, er war nicht psychisch krank. Mehr noch: Das Kind war besessen.«

Sie fing zu schluchzen an. »Aber wieso, Sanders, wieso ausgerechnet er. Eins meiner Kinder?«

Der Reverend stand auf und setzte sich zu ihr auf die Sessellehne, und nahm ihre Hand. »Niemand kann auf solche Fragen Antworten geben. Satan, wo immer er sich auch seine Opfer sucht, er findet sie. Und Daniel war ihm ergeben. Keiner von uns war in der Lage gewesen, den Jungen davon zu überzeugen, dass die Dinge, die er tat, schauderhaft und teuflisch waren.«

»Haben wir es denn auch tatsächlich versucht, Sanders? Haben wir alles getan, um Daniel auch wirklich zu helfen?«

»Weshalb quälst du dich nur mit all diesen Fragen. Genieße doch die letzten Tage deines Lebens, anstelle sie mit Fragen nach dem Weshalb und Warum zu verbringen«, appellierte er an sie.

»Warum, fragst du mich …« Ihr Blick suchte den Seinen. Sie senkte die Stimme: »Daniel, er ist hier. Er ist ganz in meiner Nähe. Ich kann ihn spüren. Das Böse, das von ihm ausgeht, es ist, als verfolge es mich wie ein unsichtbarer Schatten.«

»Da siehst du, du sagst es selbst, dass er böse war. Selbst heute, so viele Jahre danach, verfolgt er dich immer noch. Aus dem Grab heraus. Was, Moira, willst du mehr als Beweis, für das, was wir damals getan haben, und dass es gar nicht anders gegangen war, als zu handeln, wie wir gehandelt haben?«, erregte der Reverend sich. Warum grämt sie sich nur derart. Das alles liegt so lange zurück, und niemand will heute mehr daran erinnert werden.

»Ich habe Angst, dass er sich an den Menschen rächt, die sich in meiner Nähe aufhalten.« Sie senkte den Blick und betrachtete ihre Hände. »Ich will nicht, dass er nochmals anderen Menschen etwas antut«, flüsterte sie; und Sanders erkannte an ihrer Angst, wie sehr die Frau davon überzeugt war, dass Daniel nach Marlow-River zurückgekehrt war, um sich an allen zu rächen. Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Er wird nicht zurückkommen, Moira. Daniel ist tot und begraben. Niemand wird jemals wieder durch ihn in Gefahr kommen.«

»Nein, Sanders, du irrst. Er ist bereits zurück.«

»Das bildest du dir ein. Deine Krankheit ist es, die dir einen Streich spielt und dir diese Angst macht.«

Wieder legte sich dieses traurige Lächeln in ihr Gesicht. »Nein, du hast mich immer noch nicht verstanden, Sanders. Der Junge, Daniel, er ist zurück. Heute Nacht war er an meinem Bett gestanden. Als ich aufwachte, hat er nur böse gelacht.«

»Moira, hör‘ auf, bitte! Das hast du nur geträumt.«

Doch sie schüttelte wieder nur traurig mit dem Kopf.

3 – Marlow-River

Niemand im Ort war sonderlich begeistert davon, dass Moira DeMott wieder ins Dorf zurückgekehrt war.

Die Gerüchte um das, was vor dreißig Jahren sich in dem Ort zugetragen hatte, waren über all die Jahre niemals verstummt.

Das Dorf hatte damit zu leben gelernt, und alle waren froh und erleichtert gewesen, als sich die DeMott seinerzeit dazu entschlossen hatte, dem Ort den Rücken zu kehren und Marlow-River zu verlassen.

Dass der Rest ihrer Familie dennoch geblieben war, hatten sie zwar nicht sonderlicher als gut empfunden, jedoch mit den Jahren damit gelernt, zu leben und sie auch weiterhin als ihresgleichen zu akzeptieren. Immerhin waren es Bürger aus dem Ort, von daher hatten sie auch ein Recht gehabt, geblieben zu sein.

Wie auch heute Moira das Recht hatte, nach Marlow-River zurückgekehrt zu sein, um in ihrem Geburtsort zu sterben.

Unheil lag in der Luft, das spürte selbst das Mastvieh auf den Weiden.

Vor fünf Jahren hatte es angefangen. Damals hätte es niemand auch nur für möglich gehalten, dass ein Kind für all das Treiben verantwortlich gewesen sein sollte.

Daniel DeMott war ein hübscher kleiner Junge von fünf Jahren. Der Letztgeborene von Moiras Drillingen.

Duke war der Erste, danach wurde Desmond und als letzter Daniel geboren. Drei Buben, die, je älter sie wurden, sich immer ähnlicher sahen. Nur äußerlich allerdings.

Während Duke und Desmond liebenswerte kleine Jungen waren, war ausgerechnet das Kind, dem das Gesicht eines Engels geschenkt worden war, übertrieben böse. Nur brauchte es lange, bis die Einzelnen erkannten, wie böse das Kind war.

Über etliche Monate hinweg hatten die Marlow-River-Bewohner überlegt, wer es war, der in den Nächten das Vieh abschlachtete, und wer für den Tod so vieler Hunde und Katzen verantwortlich war.

Den Katzen waren die Schwänze in Brand gesteckt worden, während den Hunden die Beine abgehakt worden waren.

Durch Zufall hatte einer der Bewohner eines Tages Daniel bei einem dieser geschundenen Tiere vorgefunden. Blutüberströmt war er gewesen, doch er hatte es abgestritten, dem Hund etwas angetan zu haben. Gefunden hätte er ihn, hatte der Fünfjährige damals behauptet. Und die Meisten hatten ihm geglaubt, da es zu unwahrscheinlich erschienen war, dass ein kleiner Junge, einem Tier etwas derart Schreckliches angetan haben sollte noch, dass man Daniel für fähig gehalten hätte, auch all das andere Getier geschunden und getötet zu haben.

Dennoch, die ersten Zweifel waren geweckt worden, auch wenn es seine Mutter Moira nicht wahrhaben wollte, dass auch nur angenommen werden konnte, dass einer ihrer Drillinge, etwas derart Fürchterliches getan haben sollte.

Heute, dreißig Jahre danach, war die Erinnerung an die Geschehnisse von damals zurückgekehrt. Und mit der Erinnerung auch die Angst vor dem, was womöglich noch kommen sollte.

Das Grauen davor, was sich aus dem Grab heraus schleichen und aufs Neue zu töten anfangen könnte.

Die Meisten, die die Gräueltaten seinerzeit miterlebt hatten, fürchteten sich davor, dass mit Moira DeMotts Rückkehr, auch das Böse nach Marlow-River zurückgekehrt war, und der Tote seinem Grab entfliehen und erneut mit dem Morden beginnen würde.

4 – Doc Winston

Die, die betroffen gewesen waren, die durch Daniel einen Verlust zu verschmerzen gehabt hatten, mieden schon die Nähe von Moiras Farm.

Über all die Jahre war selbst der Reverend nicht in der Lage gewesen, den betroffenen Familien beizubringen, dass es nichts gab, was es auf der Farm zu fürchten gab. Seit jedoch die DeMott wieder da war, wurden aus diesen Reihen Stimmen laut, die Frau aus Marlow-River zu vertreiben, und das noch, bevor das Grauen erwachte und aufs Neue zuschlug.

»Wir müssen Sanders zwingen, dass er die Frau aus dem Dorf verjagt«, forderte eine ältere Frau, die beim Einkaufen auf einige Betroffene getroffen war.

»Er wird sie niemals von hier fortjagen. Gerade er nicht«, sagte ein anderer und verzog angewidert den Mund.

»Ich hab gesehen, wie er vorhin zu ihrer Farm abgebogen ist«, mischte sich nun auch noch die Verkäuferin des Ladens ein. »Aber wen wundert’s«, sagte sie weiter und schickte ihren Blick zu den Leuten hin.

»Und was ist mit meinem Justin?«, klagte eine Frau Mitte fünfzig. »Bis heute ist er nicht gefunden worden.«

»Den hat Satan mit in die Hölle genommen«, vermutete der Metzger des Ladens. »Wir wissen doch alle, schon seit damals, dass es keine weitere Hoffnung auf Justin gibt.«

»Du hast leicht reden, Metzger. Dein Kind war es ja nicht«, jammerte die Frau, und zog ein Taschentuch aus ihrem Einkaufsbeutel, um die Tränen fortzuwischen. Sie hatte niemals den Verlust um ihren Sohn überwunden. Seit Jahren suchte sie den Jungen bei Nacht, in der Hoffnung, ihn doch noch eines Tages in die Arme schließen zu können.

»Der Nächste bitte«, rief die Frau an der Kasse, der Gruppe zu.

Die Mutter des niemals zurückgekehrten Justin, entfernte sich von den anderen und lief zur Kasse hin. »Alles fängt von vorne an«, flüsterte sie der Kassiererin zu. »Ich fühle es.«

»Bitte Mrs Garcia, Sie machen den anderen Angst«, erwiderte die Frau an der Kasse, und merkte, wie auch ihr sich die Nackenhaare stellten.

Ein junger Mann betrat den Laden und lief auf die Gruppe zu. Kurz davor blieb er stehen und nahm eine Konservendose aus dem Regal und tat, als würde er das Etikett eingehend studieren. Dabei hörte er der Menschenmenge interessiert zu. Nach einer Weile entschloss er sich und trat zu den Leuten hin. »Hallo. Ich bin Doc Winston. Konnte nicht umhin, Wortfetzen Ihres Gesprächs aufzuschnappen«, stellte er sich vor, und gleichzeitig fest.

Verwundert musterten die Leute den Fremden. »Was wollen Sie von uns. Und was geht Sie unser Gespräch an«, fuhr die ältere Frau den jungen Mann an.

»Britta«, sagte ein anderer und schickte einen entrüsteten Blick zu der älteren Frau hin, »du weißt doch noch nicht einmal, was der Mann von uns will.« Er streckte dem Fremden die Hand entgegen. »Sie dürfen das nicht falsch verstehen, was Britta gesagt hat. Die Menschen sind außer sich vor Sorge und Angst, zurzeit«, erklärte er. »Ich bin übrigens Graham Jenkins«, stellte er sich endlich dem jungen Mann vor.

»Charles Winston. Doc Charles Winston. Habe meinen Doktor in Psychologie gemacht.«

»Wie mir scheint, sind Sie dafür noch viel zu jung.« Britta Wait schaute den Mann misstrauisch an.

Der Mann lachte. »Das meinen die Meisten. Doch ich habe einige Schuljahre übersprungen, von daher …« Er hob die Hand und zeigte mit dem Finger auf sich, dabei wiederholte er »Wie gesagt, Doc Winston.«

»Wir haben hier keine, die einen Seelenklempner brauchen«, brummte ein anderer Mann, der sich an der Gruppe vorbeizwängte.

»Dafür einen Exorzisten«, raunte es von Britta.

Der junge Mann hob die Braue. »Wie bitte? Das glaube ich nicht«, versuchte er, mehr aus den Leuten herauszubekommen. Er wollte Genaueres über die Gerüchte erfahren, die ihm über Marlow-River zu Ohren gekommen, und letztendlich der Grund dafür waren, dass es ihn an diesen Ort gezogen hatte.

»Der Teufel kommt nach Marlow-River zurück.« Der ältere Mann strich sich übers Kinn.

»Unsinn«, ereiferte Britta sich. »Der Teufel ist bereits wieder da. Seit Moira wieder zurück ist. Mit ihr ist der Satan zurückgekommen.«

Winston betrachtete die Runde verwundert. Massenhysterie, schoss es ihm durch den Kopf. Wie er bereits auf Grund der Gerüchte, schon vermutet hatte. »Etwas Derartiges gibt es nicht. Der Teufel ist nicht real. Er ist das Gegenteil des Guten, mehr aber auch nicht«, versuchte er, den Leuten die Angst zu nehmen.

»Woher wollen Sie das wissen? Wie lange sind Sie denn schon in Marlow-River«, widersprach Graham Jenkins.

Doc lächelte. »Ich bin gerade erst angekommen. Muss mir auch noch ein Zimmer suchen. Dennoch, die Geschichte Ihres Dorfes interessiert mich aufs Äußerste. Ich würde zu gerne mehr darüber erfahren. Auch darüber, wodurch es zu diesem Massenglauben gekommen ist.«

»Massenglauben, haben Sie es genannt.« Jenkins beugte sich zu ihm hinüber. »Junger Mann, Sie sollten vorsichtiger sein. Ihre Meinung nicht übereilt von sich geben. Wenn Sie möchten, bei mir im Haus ist ein Zimmer frei. Dort können Sie wohnen. Und ich werde Ihnen mehr von diesem Massenglauben, wie Sie es zu nennen pflegen, erzählen«, schlug er vor.

 

»Das hört sich doch gut an. Ihr Angebot nehme ich gerne an«, antwortete Winston, überrascht darüber, derart schnell von einem völlig Fremden, in dessen Haus, zum Bleiben eingeladen worden zu sein.

»Bist du völlig verrückt geworden, Graham«, rief der Metzger von seiner Theke aus, zu ihm hin. »Du kennst doch den Kerl gar nicht. Nur, weil der behauptet, ein Seelenklempner zu sein, heißt das doch noch lange nicht, dass er auch einer ist.«

»Wenn nicht, dann weiß ich mich schon gegen ihn zu erwehren«, lachte Jenkins und packte den Fremden am Arm. »Wir sollten gehen, sonst macht einer von denen, noch den Teufel höchstpersönlich aus Ihnen.«

»Wer sagt dir denn, dass er das nicht auch ist«, rief ihm der Metzger hinterher, während Graham Jenkins mit dem Doc den Laden verließ, allerdings nicht, ohne zuvor seinen Einkauf aufs Förderband gelegt und anschließend auch noch bezahlt zu haben.

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