Von singenden Mäusen und quietschenden Elefanten

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Von singenden Mäusen und quietschenden Elefanten
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INHALT

1.Es ist zu laut

Von der Faszination, den Tieren zuzuhören

2.So ähnlich, so fremd I

Von den vielen Bandbreiten innerhalb eines großen Spektrums

3.Versetzen wir uns in andere Körper

Wie der Perspektivenwechsel gelingen kann

4.So ähnlich, so fremd II

Wie wir uns mit moderner Technik verborgene Laute erschließen

5.Der Zoo als Labor

Erkenntnisse in „geschützter“ Umgebung

6.Worüber Tiere miteinander sprechen

Je sozialer, desto vokaler?

7.Sich mit Tieren verständigen

Was wir ihnen sagen – und was sie uns mitteilen

8.Begriffe, die nur für Menschen gelten?

Von der vermeintlichen Einzigartigkeit

9.Hört wieder mehr hin!

Vom Einander-Zuhören als Akt des Respekts

Dank

Literatur

Bild- und Tonquellen

Hörprobe

Mit den QR-Codes, die Sie in diesem Buch finden, können Sie zahlreiche Aufnahmen von Tierstimmen hören. Halten Sie dafür Ihr Smartphone mit geöffneter Kamera-App oder geöffnetem QR-Code-Scanner über den Code und folgen Sie dem Link, den Ihr Gerät anzeigt.

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ES IST ZU LAUT
Von der Faszination, den Tieren zuzuhören

Vor dem Einschlafen liege ich wach und lausche. Wenn ich nach der langen Reise endlich im Nationalpark angekommen bin und der Großstadtlärm von Kapstadt langsam verhallt, genieße ich es, in meinem Zelt oder in meiner Hütte zu liegen und den nächtlichen Geräuschen Afrikas zu lauschen. Viele in der afrikanischen Savanne lebenden Tiere sind auch in der Nacht aktiv, vor allem Raubtiere wie Löwen oder Hyänen. Nachts ist zudem die Schallübertragung besonders gut. Ein Rascheln und Knacksen in der Nähe ist zu vernehmen und ich werde selbst ganz ruhig. Ganz still liege ich da, um gut zuhören zu können. Welches Tier war das, und wie nah ist es? Plötzlich höre ich den Laut einer Antilope und den Warnruf eines Zebras. Meine Sinne schärfen sich. Es ist aufregend, fast furchteinflößend, wenn sich dann die Hyänen mit ihrem typischen „Lachen“ und ihren „Whoop“-Rufen zur Jagd formieren oder vielleicht sogar ein Löwe mit seinem tiefen, mächtigen Brüllen sein Revier akustisch markiert. Schlafen kann ich dann natürlich nicht mehr. Aber es sind Situationen wie diese, in denen ich mich wieder als Teil der Natur fühle, als Teil des großen Ganzen, das man so schnell vergisst, wenn man nachts in der Großstadt nur das Rauschen des Verkehrs vernimmt.

Ich fühle mich privilegiert, weil ich Situationen wie diese in Südafrika, in Botswana oder Nepal erleben darf. Aber ähnliche Erfahrungen können wir alle auch bei uns machen, in einem unserer Nationalparks oder einfach im nahen Wald. Oft reicht es, wenn man bei einem Spaziergang etwas abseits des Trubels aufhört zu plaudern, das Handy abschaltet, sich hinsetzt, innehält und beginnt zuzuhören.

Die Tiere bemerken natürlich unsere Anwesenheit, sie flüchten oder verharren, um nicht aufzufallen. Wenn wir aber ruhig sitzen blieben, dann wagen sich einige Tiere aus ihrer Erstarrung heraus, bewegen sich wieder, interagieren. Das Eichhörnchen huscht durch die Blätter, vielleicht sehen wir es nicht, aber wir können es hören, genauso wie den Vogel im Gebüsch oder die Maus im Laub. Die Tiere beginnen wieder ihrem natürlichen Verhalten nachzugehen. Alles, was wir dafür tun müssen, ist innezuhalten, zur Ruhe zu kommen und uns, zumindest für einen kurzen Moment, wieder als Teil der Natur verstehen.

Und dann erwacht das Forschungsinteresse

Auf mich als Verhaltens- und Kognitionsforscherin mit einer Spezialisierung auf die Bioakustik üben Tierlaute natürlich eine besondere Faszination aus. In meiner Forschung beschäftige ich mich sowohl mit den Eigenschaften und der Entstehung der Laute als auch mit ihrer Bedeutung und Wirkung im Zusammenleben der Tiere. Die Art und Weise, wie Tiere miteinander kommunizieren, ermöglicht uns einen Einblick in ihre Lebensweise, in ihr Denkvermögen, in ihre Gefühlswelt.

Die Bioakustik ist eine derzeit aufstrebende Forschungsdisziplin, aber wir sind noch weit davon entfernt zu verstehen, was Tiere wirklich „sagen“. Zwar ist sich die Wissenschaft darüber einig: Tiere kreischen, bellen, schnattern und quieken nicht zufällig. Sie verständigen sich auch nicht einfach nur durch ein rein instinktives Ruf-Antwort-Muster. Doch wie und warum kommunizieren sie dann? Welche Informationen transportieren sie in ihren Lauten? Welche Arten von Sprachen sprechen sie, und was macht aus Lauten überhaupt eine Sprache?

Wir bemerken zuerst die „Laut-Auffälligen“

Es mag überraschen, aber von vielen Tieren, selbst von sonst gut erforschten Vögel- und Säugetierarten, kennen wir noch nicht einmal das gesamte Lautrepertoire. Der Fokus der Forschung lag bisher auf jenen Arten, die leicht zugänglich waren – oder besonders auffällig. Oft beschränkt sich unser Wissen auch nur auf eine Art einer ganzen Tierfamilie oder Ordnung. Manchmal wissen wir nur über einen speziellen Lauttyp einer Tierart genauer Bescheid.

Die Erforschung des akustischen Verhaltens von Elefanten etwa läuft seit vierzig Jahren, allerdings mit einem sehr starken Fokus auf den Afrikanischen Savannenelefanten. Der Großteil der Forschung beschäftigt sich mit ihren tieffrequenten Lauten, den „Rumbles“, mit denen die Tiere in ihren weitläufigen Lebensräumen miteinander in Kontakt bleiben. Über die Laute der Afrikanischen Waldelefanten und der Asiatischen Elefanten hingegen wissen wir noch sehr wenig. Das hat einen einfachen Grund: Elefanten sind zwar aufgrund ihrer Größe und ihrer Lebensweise prinzipiell eine eher schwierig zu erforschende Tierart, aber Savannenelefanten sind dabei einfacher zu beobachten als ihre Artgenossen, die in einem dichten, unzugänglichen Regenwald im Kongo oder in Indien leben. Wie Asiatische Elefanten ihre besonders hochfrequenten Quietschlaute produzieren, die eher an ein Meerschweinchen als an einen vier Tonnen schweren Dickhäuter erinnern, konnten mein Team und ich tatsächlich erst vor Kurzem herausfinden, dazu mehr im nächsten Kapitel.

Die Bioakustik ist in hohem Maß auf die Technik angewiesen. Für unsere Forschungen benötigen wir hochsensible Mikrofone, Rekorder, Kameras, Speichermedien und leistungsstarke Rechner sowie geeignete Analyseprogramme. Der technologische Fortschritt der letzten Jahrzehnte ermöglicht es uns heute, Fragestellungen zu bearbeiten, die vor zwanzig Jahren unlösbar gewesen wären. Dazu gehören zum Beispiel die vielen Tierlaute, die außerhalb unseres menschlichen Wahrnehmungs- beziehungsweise Hörvermögens liegen und die wir nun dank neuer Technologien problemlos aufnehmen und analysieren können.

Manchmal profitieren wir Forschenden sogar von den sozialen Medien. Snowball, ein tanzender Kakadu, wurde vor einigen Jahren zur Youtube-Berühmtheit und zog mit seinem erstaunlichen Rhythmusgefühl die Aufmerksamkeit von Aniruddh D. Patel und John R. Iversen vom kalifornischen Neurosciences Institute auf sich.

Video

Hier können Sie Snowball, dem Gelbhaubenkakadu, bei einer rockigen Tanzeinlage zusehen

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Bis zu diesem Zeitpunkt dachte man, dass die Fähigkeit, sich im Takt zur Musik zu bewegen, eine rein menschliche wäre. Doch das war eine Fehlannahme – wie es so oft mit rein menschlich gedachten Fähigkeiten der Fall ist. Der Gelbhaubenkakadu begeistert mit seinen rhythmischen „Moves“ zu „Another One Bites the Dust“ der britischen Rockband Queen nicht nur die Youtube-Fans, sondern auch die Wissenschafts-Community und wurde zum Star einiger Publikationen in angesehenen wissenschaftlichen Journalen.

Das Rhythmusgefühl ist eine Form der akustischen Informationsverarbeitung. Gehörtes wird verarbeitet und in motorische Aktion, sprich Bewegungen, umgewandelt. Ähnliches passiert beim Nachsprechen oder Nachahmen, dem akustischen Imitieren. Auch dabei wird Gehörtes in Bewegungen – und zwar in Artikulationsbewegungen – übersetzt. Papageien sind hervorragende Imitatoren der menschlichen Sprache. Sie plappern, singen und grölen – je nachdem, was sie von ihren Besitzern zu hören bekommen. Das wirft die Frage auf: Inwieweit sind diese beiden Eigenschaften – akustische Imitation und Rhythmusgefühl – tatsächlich miteinander verknüpft?

Perspektivenwechsel: Der Mensch ist einzigartig, aber andere Tiere sind das auch

Snowball und Papageien generell sind ein gutes Beispiel dafür, dass wir Menschen nicht als einziges Lebewesen in der Lage sind, Laute zu imitieren. Diese Fähigkeit wird „vokales Lernen“ genannt und ist bei Menschen eine der essenziellen Voraussetzungen für den Spracherwerb. Dass aber auch Tiere zu vokalem Lernen fähig sind, ist in erster Linie bei den bereits genannten Papageien und Singvögeln nachgewiesen. Welche Säugetiere darüber hinaus zu dieser Art des Lernens imstande sind, versuchen wir gerade herauszufinden – oder welche Tiere es besser können und welche weniger gut.

Schwertwale etwa haben Familiendialekte, die durch Nachahmung von den Jungtieren erlernt werden. Bei Buckelwalen wiederum gibt es saisonale Gesänge, die sich weiterverbreiten. Es existiert ein Asiatischer Elefant, der tatsächlich einige Wörter auf Koreanisch „spricht“ – dazu im dritten Kapitel mehr –, und es gab Hoover, einen Seehund, der einzelne englische Wörter imitieren konnte. Ohne Zweifel: Die Imitation der menschlichen Sprache ist so etwas wie die „Königsdisziplin“ im Tierreich. Man geht aber heute davon aus, dass wohl mehr Arten zum vokalen Lernen in verschiedenen Formen fähig sind, als bisher gedacht.

Völlig überraschend haben im Jahr 2012 Forscher der Duke University in Durham, USA bei Mäusen festgestellt, dass sie über die neuronalen Voraussetzungen verfügen, um akustische Information zu imitieren, diese schnell zu verarbeiten und zu antworten. Ob und wie sie diese Fähigkeit tatsächlich einsetzen, wird noch genauer erforscht. Aber belegt ist bereits, dass der Mäuserich, wenn er ein Weibchen umwirbt, einen für den Menschen unhörbaren Gesang im Ultraschallbereich anstimmt – und er scheint von singenden Kontrahenten zu lernen. Braunmäuse gehen sogar „Singduelle“ mit anderen Männchen ein, die einem menschlichen Dialog ähneln. Sie lassen ihren Kontrahenten immer fertig singen – pflegen also eine ordentliche „Gesprächskultur“.

Der Seehund Hoover, der von 1971 bis 1985 im New England Aquarium in Boston lebte, ahmte auf verblüffende Weise die menschliche Sprache nach

Mit solchen faszinierenden Erkenntnissen der bioakustischen Forschung verschiebt sich unsere Perspektive: Die menschliche Sprache ist natürlich speziell und in ihrer Art und Komplexität einzigartig. Je mehr wir aber forschen, desto mehr erkennen wir, dass wir viele der grundlegenden Voraussetzungen für das Erlernen der Sprache mit den Tieren teilen, und zwar durchaus auch Arten wie Mäusen und Elefanten, die aus evolutionsbiologischer Sicht weit von uns entfernt sind.

Die Evolution der Sprache ist eine der größten Wissenschaftsfragen unserer Zeit. Wie und warum hat der Mensch die Sprache als ultimatives Kommunikationsmittel entwickelt? Welche Veränderung, welche Anpassungen – von der Anatomie bis hin zu neuronalen Prozessen und Verbindungen – waren nötig, um die Sprache zu entwickeln?

Der Sprachursprung als Zeitraum, in dem der Mensch lernte, sich sprachlich zu artikulieren, lässt sich nicht datieren. Wir können auch keine Fossilien von Stimmbändern oder den Knorpeln des Kehlkopfes nach Hinweisen auf die Sprachentwicklung untersuchen, da solche Weichteile nicht in versteinerter Form überliefert sind. Wir wissen aber, dass Sprechen eine kognitive Höchstleistung ist, bei der wir Gehörtes verarbeiten, verstehen, uns eine Antwort überlegen und diese formulieren müssen – und das alles in zeitlich sehr kurzen Abfolgen.

Um mehr über die Entstehung der Sprache herauszufinden, verknüpft sich die Bioakustik mit der Biolinguistik und verfolgt einen Forschungsansatz, der beide Disziplinen umfasst. Basierend auf den Vorarbeiten des Linguisten Noam Chomsky wird die Sprache als biologische Eigenschaft von Lebewesen begriffen.

Die fundamentale Frage ist nun: Welche Aspekte von Sprache kommen ausschließlich beim Menschen vor – und welche Merkmale finden wir auch bei Tieren? Könnten Tiere, die in ähnlichen Sozialgefügen wie Menschen leben – beispielsweise Wale oder Elefanten –, einem ähnlichen Selektionsdruck unterworfen worden sein und dadurch eine gut entwickelte Kommunikation hervorgebracht haben? Diese Gemeinsamkeiten oder Unterschiede können wir empirisch untersuchen und dadurch tatsächlich viel über die Evolution der menschlichen Sprache erfahren.

Lärm im Meer: Im Wasser ist der Schall noch schneller

Wale und Delfine haben auf mich schon immer eine besondere Anziehungskraft ausgeübt. Natürlich hatte ich wie viele Kinder Tiere gern, aber ich habe früh begonnen, mich besonders für Meeressäugetiere zu interessieren. Die Eleganz, mit der diese riesigen Tiere durchs Wasser gleiten, die speziellen Anpassungen an den Lebensraum Meer, an das Leben im und unter Wasser und natürlich ihre Kommunikation haben mich fasziniert. Ich finde, Wallaute klingen ganz speziell, es ist ein sehr klarer und harmonischer Klang in den wunderschönen Gesängen der Buckelwale. Mit zehn Jahren konnte ich sämtliche wissenschaftliche Walnamen auswendig, darunter Orcinus orca für den Schwertwal, Megaptera novaeangliae für den Buckelwal oder Physeter macrocephalus für den Pottwal.

Hörprobe

Die lang gezogenen Laute der Buckelwale ergeben eine auch für menschliche Ohren faszinierende Melodie

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Als ich dann im Jahr 1996 zu studieren begann, war das Thema Lärm im Meer bereits sehr präsent. Das Bewusstsein für die Probleme stieg, die etwa der Schiffslärm verursacht, genauso wie Militärsonare, die Schall mit bis zu 230 Dezibel aussenden, Hochseefischen mit Dynamit, indem Fischschwärme durch Explosionen betäubt werden, oder Druckluftkanonen, um Erdölvorkommen im Meeresboden ausfindig zu machen. Wie beeinflusst dieser Schall die Säugetiere im Meer?

Wir wissen mittlerweile, dass das Gehör von Walen durch Lärm nachhaltig beschädigt werden kann. Im Gegensatz zu Fischen, bei denen sich die für die Wahrnehmung wichtigen Sinneszellen, die Haarzellen im Innenohr, wieder regenerieren und nachbilden können, ist das bei Säugern nicht möglich. Einmal abgestorbene Haarzellen können nicht mehr ersetzt werden. Der Lärm beeinträchtigt darüber hinaus die Orientierung der Meeresriesen und wird auch mit den zunehmenden Fällen von Walstrandungen in Verbindung gebracht.

Störlärm verbreitet sich unter Wasser extrem gut, denn die Schallübertragung im Meer ist schneller und weitreichender als an Land – je dichter das Medium, desto höher die Schallgeschwindigkeit. Als Studentin fand ich die Auswirkungen, die dieser Lärm auf das Leben und die Kommunikation der Wale im Meer hat, faszinierend und beängstigend zugleich. So beschloss ich, mich auf die Bioakustik zu konzentrieren.

Die Faszination der Lautproduktion jenseits der „Stimme“

Während des Studiums lernte ich die Kommunikation zahlreicher Tierarten kennen. Mir wurde bewusst, dass die Kreativität der Natur keine Grenzen kennt. Die ausgeklügelten Mechanismen und die Diversität, mit der im Tierreich kommuniziert wird, beeindruckten mich. Selbst bei den Insekten findet man hoch entwickelte Lautapparate.

Wohl kaum ein Geräusch prägt die Klangkulisse am Stadtrand im Frühling so sehr wie der – manchmal durchaus etwas penetrante – „Gesang“ der Feldgrille. Wie für Langfühlerschrecken typisch, reibt die männliche Feldgrille dabei ihre Vorderflügel aneinander, die spezialisierte Strukturen aufweisen. Die Schrillleiste des rechten Flügels streicht über die Schrillkante des linken Flügels, um das typische Zirpen zu produzieren. Diesen Vorgang nennt man Stridulation. Wobei die Feldgrille sogar über mehrere Gesangsformen verfügt: einen an die Weibchen gerichteten Lock- und Werbegesang und – wie könnte es unter Männchen anders sein – einen Rivalengesang. Hören kann die Grille übrigens mit den Füßen, denn ihre Hörorgane befinden sich an den Vorderbeinen.

Hörprobe

Während der Paarungszeit knurren die Männchen des Zwerguramis, eines Knochenfisches, besonderes laut

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Der Knurrende Zwerggurami lebt im südostasiatischen Raum und überrascht durch ungewöhnliche Laute

Eine überraschend lautaktive Tiergruppe sind auch die Knochenfische, die ich besonders genau kennenlernen durfte, weil Professor Kratochvil, mein Doktorvater, darauf spezialisiert ist. Fische haben keine Stimmbänder, sondern produzieren Laute unter anderem mithilfe der Schwimmblase mittels sogenannter Trommelmuskeln, die sehr unterschiedlich aufgebaut sein können. Der aus Südostasien stammende Knurrende Gurami gibt zum Beispiel Laute von sich, die mithilfe von Muskulatur und Strahlen der Brustflossen samt den dazugehörigen Sehnen erzeugt werden. Besonders laut „knurren“ die Zwerggurami-Männchen während der Paarungszeit, wenn sie ihr Revier gegen Rivalen verteidigen.

Von der Heuschrecke bis zum Rothirsch oder dem Elefanten: Revierverteidigung, Abschreckung von Rivalen über Rufe, die zeigen, wie stark, fit und kampfbereit man selbst ist, sowie das Anlocken von Partnern findet man als akustisches Verhalten bei so gut wie allen Tiergruppen. Das mächtige Röhren eines dominanten Rothirsches in der Brunft oder das tiefe, pulsierende „Rumbeln“ eines sechs Tonnen schweren Elefantenbullen in der sogenannten „Musth“ – einem Zustand erhöhter Kampf- und Paarungsbereitschaft, der durch ein erhöhtes Testosteronlevel ähnlich der Brunft verursacht wird – beeindruckt Weibchen und warnt Rivalen. Bei Säugetieren gilt in der Regel: je tiefer die Stimme, desto attraktiver das Männchen. Das trifft auch auf Menschen zu: Forscher der Pennsylvania State University konnten nachweisen, dass auch Männer mit einer tiefen Stimme auf Frauen anziehend und auf andere Männer einschüchternd wirken.

Gehört werden – oder wie ein Lebewesen in seine Umwelt eingebettet ist

Die Größe eines Tieres, der hormonelle oder emotionale Zustand, all das beeinflusst die Eigenschaften der Stimme und den ausgestoßenen Laut – und beeinflusst damit auch den Empfänger. Um das Kommunikationssystem einer Tierart wirklich verstehen zu können, muss ich in meiner Forschung jeden einzelnen Aspekt berücksichtigen. Ich muss mich mit der Anatomie und Funktionsweise der schallproduzierenden Strukturen und Organe beschäftigen, mit allen internen Faktoren, die die Struktur des Lautes beeinflussen können, also das Alter und das Geschlecht des Tieres kennen, seinen hormonellen oder emotionalen Zustand beachten sowie auch gewisse kognitive Fähigkeiten, mit deren Hilfe das Tier die Lautstruktur modifizieren kann. Dank der Spektralanalyse, mit der sich dieses Spektrum von Frequenzen untersuchen lässt, kann ich dann herausfinden, welche Informationen über das Tier, über das lautgebende Individuum selbst in der akustischen Struktur des Lautes kodiert sind. Verlässt der Laut das Maul, den Schnabel oder den Mund, so wird er sofort durch die Umwelt verändert und mit zunehmender Entfernung abgeschwächt. Physikalische Mechanismen wie Schallreflexion oder Absorption wirken auf den Laut ein, atmosphärische und klimatische Bedingungen haben aber ebenso einen Einfluss wie der Lebensraum, das sogenannte Habitat, an sich. In der Savanne ist die Schallübertragung eine völlig andere als im dichten Regenwald.

 

Und was passiert dann, wenn der Laut mit all diesen Veränderungen von einem Artgenossen wahrgenommen wird? Die Antwort scheint simpel: Das Tier muss ihn hören, die Information verarbeiten und darauf reagieren. Kommunikation benötigt immer einen Sender und zumindest einen Empfänger. Es ist eine Interaktion zweier Lebewesen, und jedes beeinflusst das Verhalten des anderen. Aber wie wird der Empfänger reagieren? Es ist genau diese Reaktion, die ein ganz entscheidender Aspekt in der Kommunikation ist. Denn diese Reaktion wirkt als Feedback zurück auf den Sender. Ist ein Paarungsruf etwa besonders attraktiv und zeigt an, wie stark und groß das Männchen ist, wird das Weibchen sich eher dazu entschließen, sich anzunähern, als bei einem Paarungsruf, der gewisse Schwächen aufweist, salopp gesagt also weniger sexy ist. Die Lautproduktion ist nämlich sehr energieaufwendig. Wenn Männchen in der Paarungszeit oft und kontinuierlich Rufe produzieren, gelingt es nur den Stärksten, eine gewisse Lautstärke und Energie in der Stimme aufrechtzuerhalten. Evolutionär haben derartige Fähigkeiten einen gewaltigen Einfluss auf den Sender, in unserem Fall auf das Männchen, weil sich die Eigenschaften der erfolgreichen Individuen häufiger fortpflanzen als jene der unterlegenen.

Als Bioakustikerin sitze ich demnach nicht „nur“ mit meinem Mikrofon im Wald oder in der Savanne, am Tümpel oder vor einem Erdloch und warte mehr oder weniger geduldig darauf, dass ein Tier vokalisiert, sondern ich arbeite mit sehr diversen und vielfältigen Methoden – im Labor genauso wie im Freiland. Ich untersuche die Anatomie und Morphologie der schallproduzierenden Organe, ich sammle Kotproben für Hormonanalysen, verbringe viel Zeit vor dem Rechner, um die Struktur von Lauten zu analysieren, und tüftle an Experimenten, um Hypothesen zu verifizieren.

Ich beschäftige mich aber auch mit dem Hörvermögen der Tiere. Zur Bestätigung, dass etwa ein gerade entspannt fressender Elefant einen interessanten Laut wahrgenommen hat, muss er innehalten und die Ohren leicht abspreizen. Nur unter Einbeziehung dieser Beobachtung kann ich bei Experimenten auch wirklich feststellen, ob die Tiere ein Geräusch wahrgenommen haben oder nicht. Erkenntnisse darüber, wie und was Tiere hören, in welchen Frequenzbereichen sie besonders sensibel sind, sind derzeit wichtiger denn je, wenn wir verstehen wollen, welcher Lärm welche Tiere stört. Denn wir Menschen verpesten die Umwelt mit Lärm. Er ist eines der universellen Umweltprobleme – an Land wie auch im Wasser.