Buch lesen: «Heliosphere 2265 - Band 3: Enthüllungen (Science Fiction)»

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Heliosphere 2265

Band 3

„Enthüllungen“

von Andreas Suchanek



Sol-System, Kuipergürtel, Forschungsstation CAVE, 20. Januar 2266, 08:30 Uhr

Admiral Juri Michalew versah den letzten Bericht des heutigen Tages mit seiner Signatur, dann berührte er das „Senden“-Icon. Damit war der Papierkram erledigt. Zeit für einen Drink. Während er seinen Kopf vorsichtig bewegte – selten war er so verspannt gewesen –, ging er zu der kleinen Anrichte, auf der gläserne Flaschen verschiedenster Formen standen. Er griff nach jener mit der goldgelben Flüssigkeit, kippte sie in ein bereitstehendes Glas und ging zurück zum Schreibtisch. Müde fläzte er sich in seinen Konturensessel und aktivierte die Massage-Funktion, bevor er vorsichtig an dem achtzig Jahre alten weganischen Whiskey nippte. Das torfige Aroma breitete sich in seinem Mund aus und floss feurig seinen Hals hinab.

Als ein abgehackter Signalton erklang, überlegte er ernsthaft, einfach nicht zu reagieren. Er war müde und angespannt, konnte sich kaum noch auf die Arbeit konzentrieren. Wenn sein unfähiger Adjutant schon wieder mit schlechten Nachrichten kam, würde er ihn aus der nächsten Luftschleuse schleudern. Vielleicht machte er das so oder so.

Er warf einen Blick auf den Monitor und fuhr elektrisiert in die Höhe. Ein paar Tropfen Whiskey spritzten auf seine Uniformhose. Noch während der selbstreinigende Stoff sich um das Problem kümmerte, sagte Juri: „Herein!“

Die Türhälften fuhren mit einem Zischen in die Wand und gaben den Blick auf Florian von Ardenne frei. Der Wissenschaftler war vor einigen Tagen dem Parlidenprojekt zugeteilt worden, damit dort endlich Fortschritte erzielt wurden.

„Treten Sie ein, Doktor“, sagte Juri und winkte dem gedrungenen Mann mit dem beachtlichen Bauchumfang ungeduldig zu. „Setzen Sie sich.“

„Danke, Sir.“

Wie gefordert nahm von Ardenne Platz und legte seine Hände entspannt ineinander verschränkt auf seinen Bauch. Sein schlohweißer Haarschopf stand wie üblich zerzaust in alle Richtungen ab, was ihm das Aussehen eines verwirrten Genies verlieh.

„Ich hoffe, Sie bringen gute Nachrichten“, sagte Juri. Instinktiv schob er das Whiskeyglas zur Seite. In der Flotte wurde es nicht gerne gesehen, wenn jemand echten Alkohol trank. Nicht umsonst wurde auf Schiffen meist nur dieses widerliche Vitamin-Koffein-Zeug ausgeschenkt. Er wusste, dass Florian von Ardenne kein Kostverächter war und selbst ab und an während der Arbeit etwas Härteres kippte. Solange der Wissenschaftler Ergebnisse lieferte, wurde darüber hinweggesehen. „Auch einen?“ Er deutete auf das Glas.

Der Wissenschaftler zögerte kurz, schüttelte aber den Kopf. „Danke, Sir. Auch wenn ich ihn jetzt nötig hätte. Ich fürchte, ich bringe schlechte Neuigkeiten.“ Er rieb sich erschöpft die Augen. „Wir haben auf der Grundlage von Doktor Petrovas Analysen weitere Scans angefertigt und einen Weg gesucht, die Verbindung zu trennen.“

„Es ist misslungen“, sagte Michalew mit schwacher Stimme.

„Ich fürchte, so ist es. Es steht außer Frage, dass wir das Problem grundsätzlich lösen können, doch dafür benötigen wir mehr Zeit.“

„Die haben wir nicht, Doktor.“ Beinahe hätte Juri sein Glas gegen die Wand geworfen. In letzter Sekunde beherrschte er sich und stürzte stattdessen den Rest der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in einem Zug hinunter. „Sie sind Geheimnisträger, Sie haben Zugriff auf alle Berichte und Dokumente, die der Admiralität zugehen. Lesen Sie zwischen den Zeilen, Doktor.“

„Sie meinen, es wird einen Krieg geben?“

Michalew lachte bellend. „Nein! Das ist ja das Problem. Das wird es nicht. Diese Sesselfurzer in der Regierung werden debattieren, Sanktionen beschließen und Reden halten, doch niemals feuern die den ersten Schuss ab. Nicht unter Präsidentin Ione Kartess. Die Frau weiß, wie das Spiel funktioniert. Glauben Sie ernsthaft, dieses Weib riskiert ihre Wählerstimmen?“

„Sollten wir ihr dann nicht dankbar sein?“

Michalew mochte von Ardenne. Der Mann neigte zwar zur Selbstüberschätzung und Arroganz, doch er ließ sich nicht einschüchtern, sagte offen seine Meinung. „Das dachte ich bisher auch. Doch nun sitzen Sie vor mir und erklären, dass wir noch Monate benötigen, bis ein geeignetes Mittel hergestellt ist. Diese Zeit haben wir nicht.“

„Warum nicht?“

Kommentarlos aktivierte Juri den im Schreibtisch integrierten Holo-Projektor. Innerhalb von Sekunden manifestierten sich Lichtpunkte, zerflossen und erschufen eine Szene. „Das sind die Aufnahmen eines Kampfes zwischen dem Interlink-Kreuzer HYPERION und einem Parlidenschiff im Elnath-System. Die Aufzeichnung stammt von einer der Außenkameras.“ Juri stoppte die Aufzeichnungen, als der feindliche Raumer im Feuer der Torpedos explodierte. „Deshalb können wir nicht länger warten. Was denken Sie, geschieht, wenn die Wahrheit publik wird?“

„Dann wird die Präsidentin eine Flotte ...“

„… aus Diplomaten losschicken – und das zu Recht. Sobald die Presse sich einschaltet, hat sie keine andere Wahl mehr. Solange diese Informationen aber geheim bleiben, gibt es eine zweite Option: eine Streitmacht, die gegen die Parliden losschlägt.“

„Ich glaube nicht, dass sie das tun wird.“

„Nein, vermutlich nicht.“ Juri erhob sich. „Aber ich denke, der Zeitpunkt ist gekommen, unseren trägen Politikern einen Schubs zu geben.“

„Was ist mit Sjöberg? Sollte er nicht erfahren ... Nun ja ... Sie wissen, was ich meine“, sagte von Ardenne.

Dies war einer der wenigen Momente, in denen Juri Mitleid mit seinem Feind hatte. Seitdem er Admiral Björn Sjöberg kannte, standen sie sich als Kontrahenten gegenüber. Ob im Rat der Admiralität oder – durch allerlei Verbindungen und Bestechungen – in der Politik. Doch heute war das anders. Und, wie Juri es Doktor Irina Petrova vor vielen Wochen versprochen hatte, er würde diese eine Waffe nicht gegen Sjöberg einsetzen.

Wenn alles wie erhofft funktionierte, wäre das auch gar nicht nötig. Und sollte es doch anders kommen, lag sein Ausweichplan bereit. So oder so, der Moment der Entscheidung war gekommen.

Er aktivierte das interne Komm-System und befahl seinem Adjutanten, eine Notfallsitzung des Rates einzuberufen. „Und bitten Sie auch die Präsidentin dazu“, schloss er.

Bevor der verblüffte Randall nachhaken konnte, hatte Juri die Verbindung wieder beendet.

Doktor von Ardenne verabschiedete sich mit besorgtem Blick. Er ahnte, was bald auf sie alle zukommen würde.

Juri starrte für einige Sekunden durch das Bullauge, bevor er sich erhob und sein Whiskeyglas erneut füllte. Rien ne va plus; nichts geht mehr.

*

Raumstation NOVA, Alzir-System, 21. Januar 2266, 08:30 Uhr

„Sir, ich beende in zehn Sekunden den Interlink-Flug“, meldete Lieutenant Peter Task in seiner typisch lethargischen Sprechweise von der Navigationskonsole.

Jayden lehnte sich entspannt in seinem Konturensessel zurück und beobachtete den Holotank im Zentrum der Kommandobrücke. Es dauerte nicht lange, und das Status-Symbol auf seiner Konsole wechselte von Interlink- auf Pike-Antrieb. Das Schiff raste mit einer Restgeschwindigkeit von 0,45 LG auf die inneren Planeten zu, während es mit 3700 m/s² abbremste.

„Sir, ich etabliere den Kontakt zu den stationierten Überlichtplattformen“, meldete Lieutenant Kensington von der Ortungskonsole. „Unser Code wird akzeptiert, Phasenverbindung steht.“

Um die Entfernung von etwas mehr als 16 AE ins Innere des Systems zurückzulegen, benötigten die Schiffssensoren normalerweise viele Stunden. Stattdessen behielten die stationären Überlichtplattformen das System mit ihren integrierten Sensoren im Blick und leiteten die Daten über eine Phasenfunkverbindung an einfliegende Schiffe der Space Navy und die Station weiter.

„Ich schalte uns auf den Kamera-Feed eines Überwachungssatelliten von NOVA“, sagte Kensington mit einem verschmitzten Grinsen. Sie ahnte wohl, worauf jeder schon sehnsüchtig wartete: den Anblick der Raumstation.

Jayden starrte, wie jeder seiner Offiziere, auf den Holotank, in dem sich NOVA manifestierte. Es war etwas Besonderes, hier zu sein; jene Raumstation zu besuchen, bei der sich die Flotte im Parlidenkrieg gesammelt hatte, um zur finalen Schlacht aufzubrechen. NOVA war Legende.

Vor neunzig Jahren erbaut, schwebte die Station im Grenzgebiet zwischen dem Raum der Parliden, der Rentalianer und der Menschheit. Aus Angst vor einem weiteren Krieg hatten die Vorgänger von Präsidentin Kartess die Raumstation nach und nach zu einer wahren Festung mit angeschlossener Raumwerft ausgebaut. Da es jedoch zu keinen erneuten Kampfhandlungen gekommen war, hatte sich NOVA zu einem Grenzposten entwickelt. Auf dem einzigen bewohnbaren Planeten des Systems war eine Kolonie entstanden, die sich hauptsächlich aus den Familien und zivilen Arbeitern der Station zusammensetzte. Mittlerweile lebte dort die dritte Generation.

NOVA glich in ihrer Form einem anthrazitfarbenen Ovoid, der von drei Ringen umhüllt wurde. Jeder Ring war durch mehrere Verstrebungen mit dem Hauptteil verbunden. Überwachungssatelliten, Torpedoforts, Überlichtplattformen und Phasenstörer hüllten NOVA in eine schützende Kugelschale, die vor feindlichen Angriffen warnen und die Station verteidigen konnte. In einer Entfernung von 0,2 AE drehte sich die blau-grüne Kugel von Alzir I, die von ihren Bewohnern Pearl genannt wurde.

„Sir, wir erhalten eine Nachricht von NOVA“, sagte Lieutenant Sarah McCall routiniert, während sie auf ihrer Kommunikationskonsole etwas eingab und parallel in ihr Headset lauschte. Die junge Frau mit dem braungelockten Haar blickte nicht mehr ganz so schüchtern drein wie in den vergangenen Wochen. Ihr Selbstbewusstsein wuchs langsam, aber stetig. Trotzdem wirkte sie noch immer wie ein Küken, das man viel zu früh aus dem Nest seiner Mutter geschubst hatte. „Es ist Commodore Harris.“

Mit einem Nicken gab Jayden ihr zu verstehen, das Gespräch anzunehmen. Im Holotank bildete sich die Silhouette des kommandierenden Offiziers von NOVA-Station.

„Captain Cross“, grüßte Harris mit dröhnender Bassstimme. Sein weißes Haar hatte eine Vielzahl lichter Stellen, sein Vollbart glänzte seidig. „Wir haben hier selten einen solchen Helden zu Gast.“

Für einige Momente verschlug es Jayden ob dieses Verweises auf sein Meisterstück bei Tikara II – wo er eine Kolonie gegen eine angreifende Flotte des Eriin-Bundes verteidigt hatte – die Sprache. Es gelang ihm jedoch, sich zu fassen und die gekräuselten Mundwinkel von Commander Ishida zu ignorieren. „Danke, Sir. Es freut uns auch, dass wir hierher beordert wurden. NOVA ist etwas Besonderes.“

„Das ist sie“, sagte Harris geschmeichelt. „Und Sie kommen, wie mir mitgeteilt wurde, mit wertvoller Fracht. Ich werde Ihre Ankunft direkt an die Admiralität melden. Das rentalianische Schiff PI-RA-Irgendwas – ich kann mir diese verdammten Kettennamen einfach nicht merken – verspätet sich etwas.“

Jayden warf kurz einen Blick auf die Status-Konsole jenes Kreuzers, den sie noch immer im Schlepptau mit sich führten. Sie hatten die SE-RA-TA-LA-MU mit Traktorstrahlen an die HYPERION gekettet, um sie bei NOVA-Station an ein rentalianisches Schiff zu übergeben. An Bord befand sich der zweite Teil jenes geheimnisvollen Artefaktes, auf das sie erstmals im Elnath-System gestoßen waren.

„Ich würde mich freuen, Sie zum Essen an Bord der Station begrüßen zu dürfen“, sagte Harris und riss Jayden damit aus seinen Gedanken. „Ihren Offizieren steht es natürlich frei, die Station oder Pearl zu besuchen. Nach so vielen Monaten an Bord eines Raumschiffes stürzen sich die meisten Crews geradezu durch die Atmosphäre an den nächstbesten Sandstrand.“ Er lachte dröhnend. „Ich kann Ihnen versichern, die goldenen Sandstrände der südlichen Areale sind nicht umsonst für ihre Schönheit bekannt.“

„Ich nehme Ihr Angebot gerne an, Commodore“, sagte Jayden dankbar. „Und meine Crew wird die Gelegenheit sicher auch ergreifen, ein wenig planetare Luft zu schnuppern.“

„Also abgemacht. Ich werde Sie abholen lassen, sobald die HYPERION angedockt hat. Harris Ende.“

Das Abbild des Commodore verschwand und machte wieder dem Bild der NOVA-Station Platz.

„Arbeiten Sie einen Rotationsplan aus, der es jedem an Bord gestattet, wenigstens einige Stunden am Boden zu verbringen“, sagte Jayden an Commander Ishida gewandt. „Ich denke, es reicht, wenn eine Rumpfmannschaft zurückbleibt.“ Auf das Nicken seiner I.O. fügte er hinzu: „Und achten Sie darauf, dass Sie selbst auch ein wenig Freizeit abbekommen.“ Er zwinkerte ihr zu.

„Natürlich, Sir! Ich denke, in der letzten Schicht werde auch ich mir Pearl genauer ansehen. Es soll dort einige beeindruckende Lagunen in den Küstenregionen geben.“

„Vermutlich ist für jeden etwas dabei.“

Ein Icon auf seiner Konsole machte Jayden auf eine eingehende Nachricht von der Station aufmerksam. Sie stammte vom I.O. der Station und betraf die Ortungsoffizierin der HYPERION. „Lieutenant Kensington“, wandte er sich an diese. „Sie werden ebenfalls auf die Station gebeten, um bei der Anpassung des neuen Ortungsprotokolls behilflich zu sein. Scheinbar gibt es dabei einige technische Schwierigkeiten.“

„Natürlich, Sir.“ Kensington blickte zu ihm auf. „Die Station erhielt erst vor Kurzem die verbesserten Sensorlinsen inklusive einiger Updates im Computerkern. Wir hatten vor dem Start der HYPERION ähnliche Probleme.“

Ab und an vergaß Jayden, dass sein Interlink-Kreuzer Vorreiter an vielen Fronten war – genau genommen an allen. Erst nach und nach erhielten die anderen Schiffe die von der HYPERION erprobten technischen Neuerungen, die sie auf ein ähnliches Level wie den Interlink-Kreuzer aufrüsteten. Gerade das Fehlen eines Holotanks machte sich oftmals in der Kommunikation bemerkbar. Einige Raumer arbeiteten teilweise noch immer mit altmodischen 3D-Monitoren, wodurch der Computer das übertragene Bild in ein holografisches umwandeln musste. Darunter litt die Qualität.

„Sir, ich werde Alpha 365 bitten, sich mit der Stationssicherheit in Verbindung zu setzen“, sagte seine I.O. „Wir sollten Lieutenant Bruce Walker so schnell wie möglich überstellen.“

Sie ließ sich nichts anmerken, doch die Ereignisse um den Kampf im Kartas-System steckten ihr zweifellos noch in den Knochen. Jayden hatte den Gefangenen zwischenzeitlich in der Arrestzelle besucht. Der Mann war noch immer uneinsichtig und behauptete weiterhin, weder den Kommandoaccount von Ishida gehackt noch einen Torpedoschuss ausgelöst zu haben. Der Sicherheitschef und die Chefingenieurin hatten Mister Walker die Tat jedoch zweifelsfrei nachgewiesen, weshalb ihm ein Militärgericht bevorstand. Dem wahren Drahtzieher der Geschichte konnten sie einstweilen leider nichts anhaben.

Wenn die HYPERION das nächste Mal die Erde ansteuerte, würde Jayden ein ernstes Gespräch mit Admiral Juri Michalew suchen, der zweifellos hinter der Angelegenheit steckte. Sein Hass auf Ishida schien mittlerweile wahnhafte Züge angenommen zu haben.

„Machen Sie das, Commander“, sagte er. „Soll sich das Militärgericht mit ihm herumschlagen. Je eher ich ihn von meinem Schiff habe, desto besser.“

Er warf einen Blick auf die Konsole. Bis zum Erreichen der Station würden noch einige Stunden vergehen. „Ich bin in meinem Bereitschaftsraum.“

*

Das Schott öffnete sich zischend. Jayden kam es so vor, als betrete er eine andere Welt. Der Verbindungstunnel war in ein angenehmes weiches Licht getaucht, und die Wände bestanden rundum aus transparentem Stahl. Mehrere Schiffe hatten an den Landepods der Ringe angedockt, darunter nun auch die HYPERION.

„Eine beeindruckende Station“, sagte Jayden.

„Das ist sie.“ Lieutenant Kensington schritt bedächtig neben ihm her. „Ich habe mir auf unserem Flug hierher die technischen Spezifikationen angesehen. NOVA ist Jahrzehnt für Jahrzehnt gewachsen und hat sich weiterentwickelt – wie ein organisches Lebewesen. Die Waffen entsprechen noch immer dem neuesten Stand, da die Station aufgrund ihrer exponierten Lage stetig gewartet und erweitert wird.“

Kensington hatte ihre Hausaufgaben gemacht, doch nichts anderes hatte er erwartet. Seit sie in der Schlacht im Elnath-System im Alleingang zwei Kreuzer der Parliden zerstört hatte, hatte sie seine volle Aufmerksamkeit. Sie erledigte die ihr zugewiesenen Aufgaben mit Elan, hatte stets ein Lächeln auf den Lippen und bewies ein ums andere Mal sowohl Kompetenz als auch Einfallsreichtum.

„Oh!“ Die Augen der Offizierin verengten sich zu schmalen Schlitzen.

„Lieutenant?“ Jayden folgte ihrem Blick und entdeckte einen braunhaarigen schlanken Mann, der am nächsten Schott Stellung bezogen hatte. Die Rangabzeichen wiesen ihn als Commander aus. „Kennen Sie ihn?“

„Ich fürchte, das tue ich, Sir.“ Ihre Lippen bildeten einen kerzengeraden Strich und jede Emotion war von ihrem Gesicht gewichen.

Der Unbekannte entdeckte Jayden und trat auf ihn zu. „Mein Name ist Commander Zev Buckshaw, Captain. Commodore Harris schickt mich, damit ich Sie zu seinem Quartier bringe und mich um Ihre Kommunikationsoffizierin kümmere.“ Er nickte Tess knapp zu. „Lieutenant.“

„Sir“, presste sie hervor.

„Sie beide kennen sich?“, hakte Jayden nach.

„Miss Kensington und ich hatten bereits das Vergnügen“, erwiderte der Commander.

„Verlieren wir uns doch hier nicht in gekünstelter Etikette. Mister Buckshaw und ich können uns nicht ausstehen. Wir hatten in der Vergangenheit an Bord der SANNING einige Meinungsverschiedenheiten, was sich auf meine Personalakte auswirkte.“

Jayden erinnerte sich an die Personaldatei seiner Ortungsoffizierin. Während all ihre bisherigen Vorgesetzten ein Loblied auf sie sangen, gab es eine einzelne Beurteilung, die so unterirdisch schlecht war, dass sie einem Offizier durchaus die Karriere versauen konnte.

„Wir sind jedoch erwachsene Menschen“, fügte Kensington hinzu. „Ich versichere Ihnen, Sir, unsere Arbeit wird nicht darunter leiden.“

„In Ordnung, Lieutenant, ich verlasse mich darauf.“ Er bedachte sie mit einem durchdringenden Blick, bevor er dem Commander bedeutete, voranzugehen. „Dann wollen wir den Commodore nicht warten lassen.“

Buckshaw führte sie auf direktem Weg durch die belebte Station, vorbei an einer Gruppe von Offizieren, Werftarbeitern und Zivilisten, die offenbar eine Führung erhielten, zum Quartier des Stationskommandanten. Als Jayden sich verabschiedete und seine Ortungsoffizierin neben dem Commander davongehen sah, war er beunruhigt. Sobald sie wieder an Bord der HYPERION waren, würde er ein Gespräch mit Lieutenant Kensington führen. Bis dahin brachten die beiden sich hoffentlich nicht gegenseitig um.

*

„Ich hätte nicht gedacht, dass es jemand wie Sie auf die HYPERION schafft“, sagte Commander Zev Buckshaw überheblich, als Captain Cross außer Hörweite war. „Das Niveau in der Flotte ist doch weiter gesunken, als ich bisher dachte.“

Er machte sich nicht die Mühe, leise zu sprechen, was ihnen neugierige Blicke von vorbeigehenden Offizieren einbrachte.

„Ich frage mich, warum Commodore Harris Sie überhaupt hierher gebeten hat“, sagte er. „Ich habe ihm erklärt, dass Sie eher etwas zerstören werden, uns aber sicher keine Hilfe sind.“

Tess ballte beide Hände deutlich sichtbar zu Fäusten, schwieg jedoch.

„Ich denke, bevor ich Sie zur Kommandozentrale bringe, sollten wir uns unter vier Augen unterhalten, um einige Dinge klarzustellen.“

Tess schnaubte. „Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Sir.“ Sie hatte die Pläne der Station studiert und längst bemerkt, dass sie sich nicht auf dem Weg zur Zentrale befanden. Gut so!

Buckshaw führte sie zu einem der multidirektionalen Lifte, mit dem sie weiter in die Tiefen von NOVA fuhren. Sie quetschten sich zu einer dichten Menschentraube in die Kabine.

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn sie unsere Ortungsstation nicht alleine aufsuchen würden“, sagte er hämisch – natürlich erneut laut und deutlich. „Die Systeme sind weitreichend vernetzt und äußerst komplex. Wir haben auch ohne Ihre Pfuscherei genug zu tun.“

„Da habe ich keinen Zweifel, Sir“, presste Tess hervor. „Vor allem, wenn Sie für die Personalführung verantwortlich sind.“

Buckshaw sog scharf die Luft ein. „Auf der HYPERION können Sie Ihren vorgesetzten Offizier vielleicht beleidigen, hier auf NOVA sollten Sie sich das aber verkneifen!“

Die Lifttüren öffneten sich und der Commander führte Tess durch einen verlassenen Gang. Dicht vor einem Schott blieb er stehen. Ein leises Ping signalisierte, dass die K.I. seine persönliche I.D. akzeptierte. Die Tür rollte zur Seite und schloss sich hinter ihnen wieder.

„Hab ich übertrieben?“, fragte Zev zaghaft und lächelte ihr zu.

Tess schüttelte grinsend den Kopf. „Das war perfekt.“ Sie griff nach seiner Hüfte und zog ihn zu sich heran. „Gott, habe ich dich vermisst.“

Sie versanken in einem innigen Kuss.

*

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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119 S. 16 Illustrationen
ISBN:
9783944652030
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