Buch lesen: «Katerfrühstück»
Andreas Schulz
KAter
frühstück
Eine Karlsruher Geburtstagsparty
Kolumnen und Berichte
Andreas Schulz wurde 1988 in Karlsruhe geboren. Der Kolumnist, Autor und Historiker studiert Latein an der Universität Heidelberg. Daneben schreibt er Satirisches und Ernstes über Politik, seine Heimatstadt und deren Einwohner u. a. in der „Columna Maenia“ für die KULT-Fraktion. Gemeinsam mit Martin Keller und Peter Mendelsohn gründete er 2014 den „Karlsruher Allgemeinen Baustellen-Anzeiger“, kurz KABA, ein satirisches Magazin, das zweimal jährlich erscheint. Im selben Jahr erschien der Band „Von Politikern und anderen Fabelwesen. Ein Karlsruher Wahlkampf“.
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
falls Sie nicht auch das Gefühl haben, Sie wären in der letzten Zeit nicht schon genug mit Büchern zum Thema Karlsruhe überhäuft worden, dann habe ich etwas ganz Besonderes für Sie: Ein brandneues Buch zum Thema Karlsruhe!
Nun gut, ich gebe zu: Bücher über Karlsruhe gab es zum 300. Stadtgeburtstag 2015 reichlich. Ich aber, auch das gebe ich zu, wollte etwas aus der Reihe tanzen und erst dann ein Buch veröffentlichen, wenn keiner mehr daran denkt, ein Buch über „300 Jahre Karlsruhe“ zu schreiben: dann, wenn die Party bereits vorbei ist, wenn die Böden gewischt und die letzten Überreste der Sause beseitigt sind. In gewisser Hinsicht ist dieses Büchlein also ein Katerfrühstück mit Freunden, bei dem man mit ordentlichem Brummschädel krampfhaft versucht, den Abend – oder in unserem Fall ein ganzes Jahr – zu rekonstruieren.
Damit das Sich-Erinnern leichter fällt, habe ich für Sie das Jahr über Tagebuch geführt. Und in der Tat: So einiges hat sich in diesem Jubiläumsjahr ereignet. Baustellen haben uns auch in diesem Jahr geistig fit gehalten, Bürgerinnen und Bürger haben in der Flüchtlingskrise ein Zeichen der Weltoffenheit in ihrer Stadt gesetzt, und wir haben – was in Karlsruhe gar nicht so selbstverständlich erscheint – kräftig gefeiert!
Zudem habe ich in diesem Band aber auch Alltagsprobleme festgehalten, die vermutlich die meisten von Ihnen so oder so ähnlich kennen dürften. Denken Sie zum Beispiel an eine ganz gewöhnliche Fahrt mit der Straßenbahn, die in Karlsruhe schon einmal zum absoluten Abenteuer-Trip werden kann.
Manchmal haben aber auch Ereignisse dazu geführt, dass meine Fantasie mit mir durchging. Dabei dachte ich anfangs nur, man könnte an der ein oder anderen Stelle die Realität etwas aufhübschen, so zum Beispiel was die öffentlich in der Stadt aufgestellten Klaviere betrifft, die von mafiösen Beifall-Klatscher-Syndikaten unterwandert werden sollten.
Allerdings kam ich dabei auch einmal an den Punkt, an dem meine Fantasie Wirklichkeit werden sollte, als ich plötzlich in den nur erfundenen Abgrund in der Kaiserstraße blickte.
Sie können sich aus meinem Geschenkkorb einfach an jenen Texten erfreuen, die Sie gerade interessieren – sei es Lustiges oder Nachdenkliches, Erfundenes oder Historisches, Politisches oder Unpolitisches.
Wenn man mir am Ende der Lektüre vorwerfen möchte, ich hätte nicht an alles gedacht, was sich in diesem Jahr ereignet hat, so möchte ich mich dafür mit folgender Ausrede entschuldigen: Karlsruhe ist ja tatsächlich eine sehr vielfältige Stadt. Mal erscheint sie so gemütlich und gelassen, dass man sich fast langweilen könnte, mal passieren Dinge, die man Karlsruhe und seinen Bewohnern nicht zugetraut hätte. Wir können uns in Karlsruhe in der Politik, in Kunst und Kultur, in der Forschung oder auch im Nachtleben betätigen. Ich habe in diesem Jahr versucht, alles davon zu tun, um Ihnen schließlich zumindest einige Besonderheiten meiner Heimatstadt zeigen zu können.
Stuttgart – nein, Spaß! – Karlsruhe,
im Dezember 2015
Neujahr
Es ist Neujahr, ich fühle mich miserabel und mein Kopf scheint vom schmerzenden Pochen in tausend Stücke zerspringen zu wollen. Nichts Ungewöhnliches an diesem ersten Tag im Jahr. Der eigentliche Wermutstropfen bei der ganzen Sache ist der, dass ich auch gestern schon Kopfschmerzen hatte und diese daher eher auf die Folgen einer Grippe statt auf übermäßiges Silvester-Feiern zurückzuführen sind.
Während also die Menschen überall auf der Welt das neue Jahr mit reichlich Alkohol und Spaß eingeläutet haben, hat mein Kopf seine ganz eigene Interpretation von Böllern an den Innenseiten meiner Schläfen gezündet, während mein Magen Raketen von Zwieback und Kamillentee die Speiseröhre aufwärts in den Himmel meiner Mundhöhle zurückschoss.
Da ich die Sause dort draußen im Lande verpasst habe, möchte ich nun – in einem leisen Anflug masochistischer Tendenzen – wenigstens lesen, wie schön der gestrige Abend für alle anderen gewesen sein musste. Ich quäle mich aus dem Bett und schalte den Computer ein. Ich tippe in die Suchmaschine etwas wie „Karlsruhe – Mega-krasse Silvesterparty – alle hatten Spaß“. Enter. Ich finde Bilder aus Köln, Kaiserslautern, Kassel, Kenzingen. Ich finde die Berichte über die Feiern in Berlin, München, Hamburg. Was ich nicht finde: Karlsruhe.
Vielleicht werde ich ja bei den Online-Medien fündig. Und tatsächlich: In den Unterrubriken bei ka-news taucht dann doch die Schlagzeile, der Bericht über die Nacht der Nächte auf: „Ohne besondere Ereignisse: Karlsruhe freut sich über eine ruhige Silvesternacht“.
Ja, das ist mein Karlsruhe! Noch nie hat es auch nur irgendein journalistisches Portrait, ein Reiseführer oder ein Augenzeugenbericht über meine Heimat besser geschafft, diese Stadt in nur einem einzigen Satz zu charakterisieren. Hier in Karlsruhe kümmert es uns eben wenig, wenn die ganze Welt aufgeregt und ausgelassen feiert. Wir sehen das eher pragmatisch. Warum sollten wir in Karlsruhe gerade heute feiern müssen, wenn wir genauso gut morgen feiern könnten. Oder übermorgen. Mal sehen.
Wir in Karlsruhe lieben unsere Gelassenheit, da kann uns auch solch ein Anlass einfach nicht aus der Ruhe bringen. Und das gilt auch für alle anderen Bereiche des öffentlichen Lebens. Seit Jahren wird hier gebaut: Die Straße, auf der wir heute zum Supermarkt fahren, gibt es morgen schon nicht mehr, und wenn heute eine Straßenbahn Richtung Hauptbahnhof fährt, fährt sie morgen eben nach Durlach. Wir regen uns nicht übermäßig über diese Dinge auf. Im Gegenteil: Das hält unsere Aufmerksamkeit aufrecht. In anderen Städten Deutschlands kaufen sich die Menschen für viel Geld irgendwelche Gehirn-Jogging-Bücher, um sich geistig fit zu halten. Wir in Karlsruhe müssen für ein solches Gehirntraining einfach nur vor die Tür.
Karlsruhe ist also auch eine Stadt, die trotz aller Gemütlichkeit und Gelassenheit, die sie ausstrahlt, seine Bürger dennoch jeden Tag aufs Neue herausfordert. Und das ist gut so. Wer in Karlsruhe lebt, lebt in einer Stadt des Mittelmaßes: Karlsruhe ist nicht so ausgeflippt wie Berlin – aber auch nicht so trantütig wie Stuttgart. Karlsruhe verwirklicht große Bauvorhaben nicht so radikal wie Stuttgart – aber auch nicht so radikal stümperhaft wie Berlin.
Ich persönlich lebe daher gerne in Karlsruhe. Ich muss mich hier nicht entscheiden, ob ich eine sportvernarrte, eine kulturaffine, eine grüne, eine forschende oder eine politisch-aktive Stadt bevorzuge. In Karlsruhe habe ich die Wahl, heute das eine, morgen das andere erleben zu können.
Vor allem mag ich Karlsruhe gerade an diesem Tag aber auch deshalb, weil ich hier getrost auch mal mit einer Grippe im Bett liegen kann, ohne Angst zu haben, dass ich draußen etwas Maßgebliches verpasse.
Baugeschichte
Karlsruhe feiert in diesem Jahr sein 300-jähriges Bestehen. Damit kann Karlsruhe zwar nicht unbedingt mit einer Historie, wie etwa Köln sie besitzt, punkten. Dafür ist aber Karlsruhe die vermutlich einzige Stadt in ganz Deutschland, die seit 300 Jahren dasselbe Motto verfolgt: Bauen. Andere Städte haben in ihrer Geschichte natürlich auch viel und einiges gebaut. Für Karlsruhe und seine Kultur hingegen ist das Bauen so essentiell wie für Köln die Karnevalstradition oder für München das Weizenbier und das Oktoberfest.
Wenn es also für München eigene Reiseführer für die urigsten, schönsten und was weiß ich für sonstige Kneipen gibt, dann hat Karlsruhe auch das Anrecht auf einen eigenen Baustellenreiseführer. Ein kleines Problem gibt es da allerdings. So schnell wie in Karlsruhe neue Baustellen aus dem Nichts erschaffen werden, kommt kein Verlag nach, die neuen Auflagen mit den neuesten Löchern, Kränen, Betonmischern, Warnleuchten und so weiter herauszubringen. Daher muss sich ein Karlsruher Baustellenführer wohl immer mit den bereits abgeschlossenen Baustellen begnügen. Ein solcher historischer Teil des Reiseführers könnte dann etwa so lauten: „Historischer Abriss“ (das war schon der erste Wortwitz) „über die Baugeschichte Karlsruhes“ (und das war der zweite. Von wegen „-ruhe“ ...)
Karlsruhes Geschichte beginnt nämlich direkt mit einem Abriss und einem anschließenden Neubau. Im Jahre 1689 hatten französische Truppen während des pfälzischen Erbfolgekrieges Durlach und das dortige Schloss in Schutt und Asche gelegt. Markgraf Friedrich Magnus, nun obdach- und stadtlos, war daraufhin bestrebt, das Schloss und die Stadt wieder aufzubauen – natürlich prunkvoller und weitläufiger als der alte Zustand. Und wenn man schon mal am Bauen ist, dann kann man das Schloss auch gleich für das eigene Jagdfaible aufrüsten. Die Bürger wollten diesen Fetisch ihres Markgrafen aber so gar nicht teilen und so kam es bereits mehr als 300 Jahre vor dem Bau der U-Strab zu massiven Protesten aus der Bevölkerung. Da die Markgrafen damals offenbar noch keine Ahnung hatten, wie man eine Volksabstimmung für seine Absichten manipuliert, sahen sie sich gezwungen, dem Volk nachzugeben. Markgraf Karl Wilhelm, der Nachfolger von Friedrich Magnus, wählte daher einfach einen neuen Standort für seine nicht unbedingt schüchternen Pläne einer dem Versailler Schloss ähnelnden Residenz aus: den heutigen Schlossplatz mit angrenzenden Wäldern.
Da die Bevölkerungszahlen bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts nur langsam anstiegen, besann sich Markgraf Karl Friedrich, der Enkel des einstigen Baupioniers, auf die eigentlichen Wurzeln der Stadt: Er füllte die Lücken in der Bevölkerung einfach mit neuen Bauten. Zu seinen Haupterrungenschaften zählen zahlreiche Landstraßen, Kanäle und die Ansiedelung wirtschaftlicher Betriebe. Infolgedessen erreichte Karl sogar, dass Berühmtheiten aus dem ganzen Deutschen Reich die noch junge Baustellenstadt bewundern und begutachten wollten. Auch Goethe verweilte (wenn auch aus Lärmgründen nur kurz) in der Stadt.
Danach wurde in den folgenden Dekaden munter weitergebaut, bis die Alliierten unter vielen anderen Städten auch Karlsruhe einen Neu(bau)anfang ermöglichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Karlsruhe traumatisiert. Mehr als 200 Jahre Tradition war auf einen Bombenschlag hin zerstört.
Aber, statt wie andere Städte lange in dieser traumatischen Nachkriegslethargie zu verharren, tat man in Karlsruhe genau das, was man am besten konnte: Man baute.
Diese muntere Geschichte des Bauens kann für den Besucher dieser Stadt heute wieder live und in Farbe bewundert werden. Hier wird weiter abgerissen, gebaut, abgerissen, gebaut (meist in der dazu passenden Reihenfolge: war schön, wird hässlich). Dabei findet sich der Besucher in einer Melange aus dem historischen Traditionsbewusstsein fürs Bauen und den original und authentisch nachempfundenen Baustellengeräuschen wieder. Karlsruhe. Eine Stadt. Millionen von Baustellen. Eine Geschichte. Zukunft seit 1715.
Karneval
Karlsruhe gilt oft als gemütliches und etwas verschlafenes Städtchen. Das zeigt sich auch an zwei Ereignissen, die derzeit die Medien dominieren: Karneval und Pegida. Während Karlsruhe das Feiern lieber früher als später beendet, hat sich die neue Protestbürgerbewegung erst jetzt bis nach Karlsruhe vorgearbeitet. Vielleicht erleben wir hier aber auch nur die Fortführung der närrischen Zeit in anderer Verkleidung.
Der Karneval ist rum. Endlich. Außer in Karlsruhe. Da herrscht eine Woche nach dem Beginn der Fastenzeit auf dem Stephanplatz erneutes Narrentreiben. Dieses Mal heißt der Organisator des Umzugs allerdings nicht Karlsruher Narrenzunft sondern „Kargida“. Der Inhalt und Anlass ist aber weitgehend derselbe: Es geht ums Verkleiden. An diesem Tag wird die bestehende Ordnung wieder einmal auf den Kopf gestellt. Daher marschieren die Montagsspaziergänger einfach an einem Dienstag und einer der Organisatoren gibt sogar der „Lügenpresse“ ein Interview.
Überhaupt steht die gesamte Demonstration unter dem Motto des Karnevals. Auf Seiten von Kargida werden so auch einige stadtbekannte Hooligans mitdemonstrieren, die extra für diesen Anlass in das Gewand des friedlichen und gelehrten Christenmönchen schlüpfen und so tun, als würden sie das Abendland verteidigen, das sie aber wohl noch nicht mal richtig buchstabieren können.
Natürlich darf an einem solchen Tag auch die Gegenseite sich dem karnevalistischen Treiben nicht entziehen. Daher müssen also auch alle friedlich in Karlsruhe lebenden Muslime in die Rolle des gewaltbereiten Islamisten mit Terrorambitionen schlüpfen und alle Muslima tragen an diesem Tag natürlich Burka, damit die friedlichen Christen auch etwas zum dagegen Demonstrieren haben. Kein Ritter ohne Drachen, kein Cowboy ohne Indianer. Das gehört an Karneval einfach dazu.
Nur die Gegendemonstranten von „No-Kargida“ wollen einfach keinen Spaß verstehen und kommen unverkleidet zum Umzug als das, was sie eben sind: Gegendemonstranten. Um aber nicht komplett als Spaßbremsen da zu stehen, hat man sich wenigstens einen Slogan gegeben, der an den Karnevalsgedanken anknüpfen soll: „Karlsruhe ist bunt!“. Na also. Wenigstens sind die Kargida-Gegner keine Totalverweigerer.
Schließlich wäre auch für den Verlauf der ganzen Veranstaltung zu wünschen, dass alle Teilnehmer sich aus Traditionsbewusstsein auf die Grundsätze des Karnevals besinnen: 1. Ein echter Fastnachter braucht keinen Alkohol, um Spaß zu haben. Wer Jeck-Sein mit Gewalt verwechselt, ist kein echter Fastnachter sondern einfach nur ein Idiot. 2. Falls die rivalisierenden Karnevalsgruppen aufeinandertreffen, sollten beide bedenken, dass man sich an Karneval nicht mit Flaschen und Steinen sondern höchstens mit Konfetti und Kamellen bewirft.
Spätestens gegen 20:22 Uhr ist dann auch in Karlsruher die närrische Zeit endgültig vorbei. Zum Glück. Ich mochte den Karneval nämlich noch nie. Früher hatte ich Angst vor den Masken. Heute habe ich eher Angst, was sich wohl hinter der Maske verbirgt.
Frühlingsgefühle
Es wird allmählich wärmer in Karlsruhe. Früher als alle Blumen auf der Erde blühen dieses Jahr allerdings die Veilchen rund um die Augen von Demonstranten und selbsternannten Fußballfans. Apropos Fußballfans: Die Stadt will ja nun auch endlich ein neues Stadion für den KSC beschließen.
„Frühling lässt sein blaues Band ...“. Ja, wir merken es deutlich: Der Frühling flatter nun auch in Karlsruhe leise durch die Lüfte. Und nicht nur die Knospen fangen in diesen Tagen zu sprießen an. Zart regen sich auch die ersten Gefühle in der vielleicht schönsten aller Jahreszeiten.
Sollten Sie, liebe Nicht-Karlsruherinnen und Nicht-Karlsruher, sich da überlegen, mal ein paar Tage im grünenden Karlsruhe zu verbringen, so sei Ihnen ans Herz gelegt: Hüten Sie sich vor den Karlsruher Frühlingsgefühlen und bringen Sie unbedingt einen Helm mit! Diese noch junge Stadt steckt nämlich tief im pubertären Gefühlschaos. In Karlsruhe schlagen derzeit nicht nur die Bäume aus, auch das Wetter spielt verrückt. Vor allem dienstags und sonntags herrscht in der Stadt erhöhte Niederschlagsgefahr. Leider liegt das allerdings nicht nur am Wetter. Seit der Pegida-Ableger Kargida nämlich in Karlsruhe aufmarschiert und sich auch die Gegner der Demo in Stellung gebracht haben, ist die Innenstadt dienstags zur Gefahren- und Kampfzone ausgewiesen worden. Ab 18:30 Uhr beherrscht der nicht nur verbal geführte Diskurs zwischen Linken und Rechten, Rechten und Polizei, Polizei und Linken und so weiter das Gebiet zwischen Mühlburger Tor und Marktplatz. Sollten Sie also einen entspannten Dienstagabend genießen wollen, bleiben Sie am besten zuhause.
Dieselbe Sturmwarnung gilt übrigens auch für die Wochenenden. Da heißen die Kontrahenten zwar KSC-„Fans“ und „Fans“ der Gegner. Handlungen und Teilnehmer dürften allerdings so ziemlich konstant gleich bleiben.
Da nun jedes Problem auch eine adäquate Lösung erfordert, habe ich schon mal einen Vorschlag dazu ausgearbeitet. Eine zweite Kombilösung sozusagen: Beim Bau des neuen Stadions empfehle ich dringend, die bereits ausgiebig diskutierte Multifunktionsarena mit ein- und ausfahrbarem Rasen zu verwirklichen. Künftig wird dann offiziell ein Tag in der Woche benannt, an dem sich all diejenigen im Stadion versammeln können, denen Taten wichtiger als Worte sind. Ohne Rasen, versteht sich. Die Teilnehmer dieser Veranstaltung unterschreiben vor Einlass in die Arena sowohl auf Schusswaffen als auch auf Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenkasse zu verzichten. Dann haben sie zwei Stunden Zeit, sich so richtig auszutoben.
Geht einer k.o., kann er ein weißes Fähnchen schwenken, das er zuvor am Eingang gegen dasjenige mit KSC-, Pegida- oder No-Pegida-Logo eingetauscht hat. Die brauchen die Kontrahenten eh nicht, denn es ist ihnen vermutlich komplett egal, unter welcher Fahne sie kämpfen. Nachdem sich dann alle mit Fäusten, Flaschen und Schlagstöcken so richtig die Meinung geflüstert haben und alle Argumente ausgetauscht sind, werden die Überreste beseitigt und der Rasen wird wieder ausgerollt.
Dann scheint auch über Karlsruhe wieder sechs Tage lang die Sonne und Touristen und Einwohner können friedlich tun und lassen, was sie gerade wollen. Sei es zu flanieren, zu demonstrieren oder einfach mit der Familie ein Fußballspiel im Stadion zu verfolgen.
Smartphone
Ich habe mir ein neues Smartphone gekauft! Diesen so erhebenden Moment möchte ich heute mit Ihnen teilen. Ein neues Telefon zu kaufen, war einst ja mal ein ganz normaler Vorgang, so wie wenn ich mir eben neue Socken kaufen musste, weil die alten nicht mehr tragbar waren. Solch eine Tätigung war darüber hinaus nur sehr selten vonnöten, da diese Steinzeithandys durchschnittlich eine sehr lange Haltbarkeit besaßen.
Heutzutage ist ein neues Smartphone allerdings das Nonplusultra der Kaufaktivitäten. Fast täglich werden wir ja überschüttet mit technischen Neuerungen, die wir so schnell wie möglich auch selbst besitzen wollen. Die kurze Haltbarkeit eines heutigen Gerätes unterstützt unsere neu entdeckte Technikaffinität dabei ungemein, weil wir uns sowieso fast jedes Jahr ein neues kaufen müssen, da das alte nicht mehr taugt.
Das Smartphone hat damit heute so gut wie alles ersetzt, was uns früher über alle möglichen Sinne berauschen konnte.
Wenn ich früher eine neue Freundin hatte, konnte ich es nie abwarten, sie stolz all meinen Freunden vorzustellen und dabei all ihre positiven Eigenschaften aufzuzählen. Heute treffe ich mich mit meinen Freunden und präsentiere mein Handy – selbst das Vokabular gleicht dem eines Machos beim Beschreiben einer neuer Errungenschaft: „Geile Rundungen hat das neue Teil! Geschmeidige Oberfläche! Sexy Design!“
Ähnlich dürfte es auch den Rauchern ergehen: Wo man früher aufstand, um sich direkt danach eine Zigarette anzuzünden, die endlich den achtstündigen Entzug beendete, gafft man heute, noch ehe man seine Augen richtig vom Schlaf befreien konnte, auf den Bildschirm des Smartphones, um alle Nachrichten, Chats, E-Mails und SMS zu lesen, die man während seiner somnablen Chat-Abstinenz verpasst haben könnte.
Ich habe mir also so ein neues Smartphone gekauft – und dieses Ereignis wollte ich so schnell wie möglich mit der ganzen Welt teilen. Da man von seinem eigenen Handy schlecht ein Selfie schießen kann, musste ich vor die Tür, in die reale Welt. Die Ereignisse habe ich natürlich, wie man das heute so macht, in einer eigens dafür heruntergeladenen Tagebuch-App festgehalten.
10.00 Uhr: Ich laufe zur Haltestelle. Beim Laufen habe ich ein bisschen Zeit, mein neues Smartphone etwas genauer zu betrachten. Eigentlich sieht es fast genauso aus wie mein altes: Es hat einen Bildschirm, einen Deckel, hinter dem sich ein Akku befindet, und es hat einen An- und Ausknopf. Dennoch haftet an ihm natürlich der Geruch des Neuen, die Faszination einer nicht zersplitterten und einwandfrei glatten Oberfläche! Mit Stolz werde ich es auf den Tischen von Kneipen präsentieren, während meine Freunde ihre Finger an den Rissen ihrer alten Modelle weiterhin wundreißen.
Ich werde ihnen dann genüsslich alle neuen Funktionen und Extras aufzählen – von denen ich die meisten selbst nicht genau verstehe. Aber darauf kommt es auch nicht an. Hauptsache sie sind vorhanden und klingen fortschrittlich. Ich kenne ja auch nicht alle Funktionsabläufe eines menschlichen Körpers und kann ihn trotzdem faszinierend oder schön anzuschauen finden.
10.10 Uhr: Wo ist denn die Taste, mit der ich telefonieren kann?
10.55 Uhr: Ich wollte eigentlich in der Innenstadt aussteigen. Da ich aber während der Bahnfahrt eine Facebook-Diskussion über die Vorzüge von Katzenvideos gegenüber Foodporn-Bildern mitverfolgt habe, habe ich glatt die Haltestelle verpasst und bin nun im nächsten Vorort von Karlsruhe angekommen.
Macht nichts. Nun bleiben mir wenigstens weitere 20 Minuten, um selbst aktiv in die Diskussion einzugreifen und meine Finger über die glatte Oberfläche meines neuen Smartphones schweben zu lassen.
11.15 Uhr: Bürgerinnen und Bürger der Innenstadt! Macht euch bereit! Jetzt werde ich euch meine neue Errungenschaft präsentieren! Die Türen der Bahn öffnen sich, ich steige aus, mein ganzer Stolz in meinen Händen. Ich muss nur noch den Satz auf Facebook zu Ende tippen.
11.16 Uhr: Das letzte Wort, das meine Finger durch die glatte Oberfläche hinein ins Handy streicheln, es lautet „nein!“. Dann rennt mich auch schon eines dieser neureichen „Ich scheiß’ mir noch in die Hosen –aber hey, ich habe ein Tablet!“-Kinder über den Haufen, das gerade versucht hatte, die Bahn zu erwischen, während es gleichzeitig Bilder von seinem Sprint auf Instagram hochladen wollte. Mein Smartphone rutscht mir aus den Händen, knallt aufs Bordsteinpflaster und mein Display besitzt nun durch all seine Risse und Splitter wieder die altbewährte Funktion einer 3D-Oberfläche. Das Schreiben erfolgt für mich ab diesem Moment wieder nur durch vollen Körpereinsatz: Jeder Buchstabe, den ich ab jetzt in mein nicht mehr ganz so neu aussehendes Smartphone tippen werde, wird in meinen Fingerkuppen nun einen bleibenden, schmerzenden Eindruck hinterlassen.
12.00 Uhr: Ich treffe mich mit einem Freund. Auch er hat ein neues Smartphone. Seines allerdings erstrahlt immer noch im Glanze einer einwandfreien Oberfläche, was mich neidisch und melancholisch zu gleich werden lässt. Ich denke zurück an die gefühlt längst vergangene Zeit (etwa 35 Minuten), in der auch ich mich noch in der Oberfläche meines Gerätes spiegeln konnte.
Der kostenlose Auszug ist beendet.