Der letzte Schluck Corona

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Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile.

Alle Akteure dieser Geschichten sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind von den Autor*innen nicht beabsichtigt.

Copyright © 2020 (ePub) bei Edition 211, ein Imprint von Bookspot Verlag GmbH

1. Auflage

Lektorat/Korrektorat: Toby Martins, Jara Dressler

Layout: Martina Stolzmann

Covergestaltung: Martina Stolzmann

E-Book Herstellung: Jara Dressler

ISBN 978-3-95669-157-7

www.bookspot.de

Eine Art Vorwort

Corona – das spanische Wort für Krone. Corona ist kein ungewöhnlicher Nachname in Italien, Spanien, Südamerika. Und Corona ist eine beliebte Zigarren-Marke und die Bezeichnung für ein seit 1925 gebrautes, in Mexiko meistverkauftes Bier. Aber dann nennt man auch noch eine Viren-Familie so. Es gab schon viele Corona-Viren – die ersten wurden Mitte der 1960er beschrieben. Aber COVID-19 wurde zur Pandemie und hält uns global fest im Griff. Mit weltweit über eine Million Todesfällen und bei dem Ernst der Lage möchte man meinen, dass hier Humor fehl am Platz ist: Aber das Lachen über das Grauen, das Entsetzliche, den Tod hat eine lange Tradition.

Es ist nicht nur psychologisch der Versuch, das schier Unerträgliche erträglich zu machen und dem Druck des Furchtbaren zu entrinnen, es ist wie eine Reinigung der Seele.

Viel diskutiert wurde zum Beispiel Roberto Benignis Film Das Leben ist schön (1997), in dem er eine Holocaust-Geschichte als Tragikomödie erzählt. Oder Das Leuchten der Erinnerung von Paolo Virzi aus dem Jahre 2017, in dem die Krankheit Alzheimer mit einem wehmütigen Lächeln skizziert wird. Lachen und Tod sind unzertrennliche Bestandteile des Lebens. Und so ist es nicht pietätlos, COVID-19 mit einer Sammlung makabrer Geschichten zu »würdigen«. Ganz im Stil und Sinne unseres großen Vorbildes und Urvaters der Detektiv-Geschichten Edgar Allan Poe, dessen Geschichte Die Maske des Roten Todes zum ersten Mal 1842 veröffentlicht wurde – zehn Jahre nachdem eine Cholera-Epidemie über die amerikanische Stadt Baltimore hinweggefegt war.

Die Melange zwischen Bier und Seuche, zwischen Genuss und Völlerei, zwischen Lebenslust und Mordlust ist Anliegen der hier versammelten Autor*innen aus der Schweiz, aus Österreich, aus Deutschland und – last but not least – des Bremer Krimistammtisches, einer lockeren Verbindung von Menschen unter der Ägide von Jürgen Alberts, die dem Schreiben von Kriminalgeschichten huldigen. Mit schwarzem Humor und einem Glas oder einer Flasche in der Hand nehmen die Autor*innen den Schrecken unserer Tage aufs Korn. Eine Geschichte ist hier allerdings eine Ausnahme, sie kommt ohne Humor und überraschenden Plot-Twist aus, denn Gesine Reichstein hat sich eines tatsächlichen Falls angenommen und den 43 Student*-innen der Escuela Normal Rural »Raúl Isidro Burgos« ein Denkmal gesetzt, die am 26. September 2014 in Iguala, Mexiko, entführt und ermordet wurden, ohne dass alle ihre Täter je gefasst und der Gerichtsbarkeit überstellt wurden. Ihre deutsche Protagonistin jedoch ist so fiktiv wie die Figuren in dieser Anthologie. Auch andere Autoren rekurrieren auf historische Ereignisse, obwohl diese nicht im Mittelpunkt stehen, wie in den Geschichten von Jürgen Ehlers und Reinhold Friedl. Letzterer hebt übrigens auch ein weiteres Bier hervor: Tsingtao aus China, das aus deutscher Brautradition stammt, wenn dies auch die unrühmlichen Tage der deutschen Kolonialherrschaft waren.

So liegt hier eine Sammlung von Kriminalgeschichten voll von schwarzem Humor vor, die auch bei einem Glas Wein genossen werden kann – und alles in der Hoffnung, diese Pandemie baldigst in den Griff zu bekommen und voll der düsteren Ahnung, dass COVID-20 schon um die Ecke schielt. In diesem Sinne: PROST!

Toby Martins, Bremen im Herbst 2020

Marita und Jürgen Alberts
Unter dem Aromen-Baum

Ein Krimi in vielen Stimmen


Das war ein schöner Abend.

Schön nennst du das?

Mit diesem Ende hätte keiner rechnen können.

Ich schon.

Ach ja. Und wieso?

Weil ich sofort was gespürt habe, als Markus uns die Haustür öffnete …

Markus war wie immer.

War er nicht. Er hatte einen geröteten Kopf und hyperventilierte.

Du übertreibst, Magrit.

Markus war neben der Spur, Thomas. Hab ich gleich gesehen. Und wie er uns seine Perdita vorstellte. Junges Gemüse, hübsch mit ihren langen, schwarzen Haaren, dazu auch noch clever … Und er führt sie uns vor wie ein …

Na was?

Das sag ich jetzt nicht.

Ich wollte nicht zu Markus’ Geburtstagsfeier, 50 Jahre. Ist ein Wendepunkt, ab jetzt laufen die Uhren rückwärts. Final countdown. Aber Markus hat am Telefon so gedrängelt. Es sei ja nicht nur sein Fünfzigster, nein, es gebe auch noch eine veritable Überraschung. Und dann hat mich Magrit bearbeitet. Ich solle doch mal an die Feier zum 30-jährigen Abitur denken. Wäre doch ein wundervolles Wiedersehen gewesen. Markus sei ein so amüsanter Gesprächspartner. Ich hatte fast den Eindruck, dass er an dem Abend mit meiner Magrit geflirtet hat. Naja, irgendwann gingen mir die Argumente aus, no defense left, und wir sind zu Markus gefahren.

Als wir in die Wohnung kommen, sehen wir Henny und seine Frau Elfie. Der stattliche Herr Professor, alte Schule, mit Schmiss auf der rechten Wange, allzu lautstark für meinen Geschmack. Die beiden stehen etwas verloren mit einem halb geleerten Sektglas in der Hand vor dem Esstisch und warten, dass sie platziert werden. Ihr könnt euch setzen, wohin ihr wollt, sagt Perdita, wir haben keine festgelegten Plätze. Henny wendet sich an Markus und prustet los: Du hast dich ja mächtig verändert, wozu so ein Geburtstag doch gut sein kann.

Das Essen war exquisit, superb, ein wirklicher Genuss.

Sie haben es von einem Caterer kommen lassen, muss ein Vermögen gekostet haben, schon die reichliche Portion Beluga Kaviar …

Aber der Nachtisch stammte von Perdita, aus ihrer spanischen Heimat, crema catalán, den hat sie selbst gemacht.

Du glaubst auch alles, Thomas. Ich habe das Puddingpulver rausgeschmeckt, obwohl die crema ziemlich mit Sherry getränkt war.

Elfie hat nichts von dieser köstlichen Verführung gegessen, sie vertrage keinen Zucker. Perdita wollte ihr schnell etwas Obst aufschneiden, aber Elfie lehnte ab. Zu ihren Unverträglichkeiten gehöre auch Fruchtzucker. Wenn ich das gewusst hätte, erwiderte Perdita entschuldigend. Kann man nicht wissen, gab Elfie patzig zurück.

In dem Moment spitzte ich die Ohren. War Elfie auf die junge Frau eifersüchtig? Passte es ihr nicht, dass die Halb-Spanierin ihr die Show stahl? Elfie trug einen teuren Fummel von Gaultier, den ich ein paar Wochen zuvor in der ›Elle‹ gesehen habe. Perdita trug ein weiß-schwarzes Kleid von Adolfo Dominguez, wie sie mir in der Küche verriet. Das sei ihre Marke, schon seit Jahren. Ich habe mitbekommen, wie Henny seine Elfie anblaffte.

Kannst du wenigstens heute Abend deine spitze Zunge im Zaum halten.

Wieso? Ich hab doch gar nichts gesagt.

Da machen sich unsere Gastgeber so viel Mühe mit diesem wundervollen Menü und du reitest auf deiner Zuckernummer rum.

Ich vertrage nun mal keinen Zucker.

Aber jede Menge Aufmerksamkeit.

Halt dich zurück, Henny! Sonst gibt es ein Debakel.

Markus steht auf, klopft an sein Glas. Er will eine Rede halten, kommt aber nach wenigen Sätze ins Stocken. Wie früher, wenn er im germanistischen Seminar vor sich hin stotterte. Alle Augenpaare richten sich auf Markus, das Geburtstagskind.

Ich habe mir Perdita angesehen, wie sie strahlte. Ab und zu lächelte sie Henny verschmitzt an. Welchen Härtegrad hatte dieses Lächeln? Wollte sie etwas weglächeln? In diesem Augenblick ahnte ich, der Abend wird böse enden.

Markus setzt noch einmal an und spricht von der kleinen Überraschung heute Abend: Perdita und ich, wir waren vor drei Wochen auf dem Standesamt. Dieser Markus, wer hätte ihm das zugetraut? So eine tolle Frau als Freundin, ja, ok. Kann mal passieren, aber gleich heiraten? Dieser Markus, mit seiner halbgaren Unikarriere, hat es wenigstens bis zum Mittelbauern geschafft, während Henny die Leiter ganz nach oben gefallen ist, un barone, wie man in Italien sagt. Er soll im Rennen um das Rektorat an der Gießener Uni sein. Ganz aussichtsreich sogar.

Hat er ja geschickt angestellt, zum Geburtstag einladen, um dann mit seiner Neuerwerbung zu protzen. Das war ein herber Schlag für Henny. Der hat gesessen. Konnte ich an seinem Gesicht ablesen. Der kleine Mittelbauer zeigt dem großen Boss: Schau her, ich kann mir so ein … ach, das wollte ich ja nicht sagen.

Sag es ruhig, Magrit, wenn es dir Spaß macht.

Markus hat halt Glück gehabt. Schon bei der Feier zum 30-Jährigen ließ er durchblicken, dass er zu haben ist.

 

Du musst es wissen, hast ja lange genug mit ihm herumpoussiert.

Da war nix, und wenn schon … Du hättest auf jeden Fall nicht diese Frage stellen dürfen?

Welche Frage?

Ha, die Frage, wo und bei wem Perdita studiert hat.

Was war schon dabei?

Das brachte den Stein ins Rollen. Man muss doch nur eins und eins zusammenrechnen.

Und erhält einen flotten Dreier. Du meinst …

Genau das. Gleicher Studienort, gleiche Fakultät. Gleiche Spezialgebiete. Sie war nicht nur seine Studentin. Wie die beiden sich angestarrt haben, ich dachte, da explodiert bald ...

›Der Gott des Gemetzels …‹

Was?

›Die Zimmerschlacht.‹

Was hat das jetzt …

Wer hat Angst von Virginia Woolf?

Ach so.

Wenn ich euch ins Nebenzimmer bitten darf, sagt Markus und macht die Schiebetür auf. Wir schauen uns verdutzt an, really puzzled, wie mein Freund Trevor aus York immer sagt. Auf dem Tisch stehen Flaschen, die in Silberpapier eingewickelt sind. In der Mitte eine große Glasschale. Wir machen zur Feier des Tages ein Craft-Bier-Tasting, verkündet Markus und weist uns die Plätze an.

In Bier ist doch Zucker drin, sagt Elfie.

Halt dich zurück, fährt Henny sie an. Scheint kein leichtes Leben mit so einem Stinktier zu sein. Magrit, was hast du nur für ein Glück mit mir.

Markus beginnt mit einem kleinen Vortrag: Bier ist nämlich nicht gleich Bier, es ist eine Delikatesse. Craft-Biere zeichnen sich durch vielfältige Aromen aus. Die Brauer verwenden ausgesuchte Rohstoffe und kombinieren diese, bis ein einzigartiger Geschmack entsteht. Dadurch werden unzählige Kreationen und sogar neue Bierstile geschaffen.

Und dann sagt Markus: Wir probieren gleich mal die erste Runde. Die Schale in der Mitte dient dazu, den Probeschluck wieder abzugeben, sonst werden wir zu schnell betrunken.

Henny grätscht dazwischen: Aus Weingläsern? So machen es die Kenner, erwidert Markus.

Markus ist in seinem Element und doziert ausgiebig. Jedes Bier-Tasting beginnt mit dem Äußeren des Bieres: Wir beachten die Farbe, die Blume, und gehen dann langsam zum Geruch und Geschmack über.

Unser erstes Bier trägt den schönen Namen: Sissy. Spielt übrigens nicht nur auf die österreichische Kaiserin an, sondern Sissy heißt im Englischen Memme, Feigling.

Du Klugscheißer, geht Henny dazwischen, als ob wir das nicht wüssten.

Markus fragt uns, wonach dieses Indian Pale Ale schmeckt. Und er beantwortet die Frage selbst: Dieses Bier hat Noten von Mandarine, Grapefruit, einen Anflug von Vanille und Himbeeren in der Nase sowie eine massive Bitterkeit und eine Schippe Rauch im Geschmack.

Geht’s noch, Markus, wo hast du denn diesen gequirlten Quatsch aufgeschnappt? Sissy ist süffig! Mehr interessiert mich nicht. Ich nehme gleich noch eine Füllung. Von wegen ausspucken. Er schnappt sich die Flasche …

Igitt, unterbricht ihn Elfie. Eine Schippe Rauch im Geschmack, da kann ich mir ja gleich eine Kohlenmonoxid-Vergiftung verpassen.

Hast du noch mehr solcher Juwelen, fragt Henny, der auch den Rest der Flasche in sein Glas gießt. Er gökst vernehmlich, und lässt den Rülpser in ein lautstarkes Prost übergehen.

Perdita lacht und wieder strahlt sie Henny an. Das war nicht nur ein One-Night-Stand, die beiden hatten in Gießen eine Amour fou. Komisch, dass Elfie das gar nicht schnallt. Aber sie ist mit ihrem Zuckerdebakel beschäftigt.

Gibt’s noch was zu trinken, fragt Henny, oder war’s das schon? Markus läutet die nächste Runde ein. Ein Basalt Bock, hat 7,7% Umdrehungen, aufgepasst …

Schmeckt bestimmt nach Basalt, zischt Elfie.

Richtig, Frau Professor, sagt Markus. War ja wohl nicht so schwer, fährt Henny dazwischen. Perdita, was meinst du zu diesem erhellenden Abend über die dunkle Seite des Bieres?

Perdita lacht, lässt die Frage aber unbeantwortet.

Markus erklärt, was die anderen schmecken sollen. Basalt Bock gehört zu den Steinbieren. Einheimische Basaltsteine werden auf 800 °C erhitzt und in den Sud gelassen. An den heißen Steinen karamellisiert der Malzzucker und bildet eine feine …

Zucker, hab ich doch gesagt. Gibt’s hier keinen Wein? Elfie findet kein Gehör.

Henny trinkt noch einen Schluck und noch einen und sagt dann, das Basalt-Bier würde nach Laternenpfahl ganz unten schmecken. Wie bitte, kontert Markus ziemlich laut. Schmeckt nach Hund, was meinst du Perdita?

Markus hat sich sehr viel Mühe gemacht, uns einen besonderen Abend zu bereiten. Jetzt lass ihm doch die Freude.

Angelesener Quark, zischt Henny.

Gibt es auch ein Bier ohne Zucker, will Elfie wissen.

Kommen wir zur nächsten Runde, sagt Markus und lässt sich von den Zwischenrufern nicht aus dem Takt bringen. Neben dem Geruch und Geschmack des Bieres ist auch der Bierschaum, also Volumen, Stabilität und Größe der Luftbläschen ein Beurteilungskriterium. Deswegen muss beim Einschenken das Glas schräg gehalten werden.

Das sind ja Neuigkeiten, Markus, du überraschst uns immer wieder. Ich hätte die Flasche senkrecht ins Glas ausgeleert. Was für ein Bier gibt’s denn in der dritten Runde? Oder ist schon jemand k. o.? War das nicht der Titel eines Boxerromans »K. o. in der dritten Runde«? Wer war noch der Autor? Dieser Mörder aus Wien. Jack Unterweger. Den kennt ihr nicht, oder? Der Professor in seinem Element, wenn er anderen seine Überlegenheit beweisen kann, dann gib ihm, aber feste.

Wart’s nur ab, Henny, mal sehen, ob du dieses Bier überstehst, sagt Markus mit einem breiten Grinsen. Das hier nennt sich Imperial Coffee Chocolate Cream Stout. Aha, sagt Henny, der schon leichte Schlagseite hat, jetzt kommt der Nachtisch. 9,3%, fügt Markus an.

Abgefahren, sagt Elfie. Schmeckt nach Kaffee und Chocolate, das rieche ich ohne einen Schluck nehmen zu müssen.

Es ist ein starkes, schweres, schwarzes Stout mit der würzigen Noten von Arabica-Bohnen und mit einer sanften Schokoladigkeit aus peruanischen Kakaonibs. Diese Aromen kommen beide vom Malz. Henny hält sein Glas hin und sagt: Das Wort Schokoladigkeit hätte ich dir in einem Referat angestrichen und an den Rand geschrieben: unbeholfen. Nicht wahr, Perdita?

Jetzt hör endlich auf, mit dieser Frau zu charmieren, das geht mir echt gegen den Strich. Die hat doch überhaupt keine Ahnung von Bier oder Männern.

Was soll das nun wieder heißen, Elfie? Ich weiß schon …

Was weißt du, Henny? Meinst du, ich hätte keine Augen und Ohren …

Können wir zum Bier-Tasting zurückkommen, versucht Markus die Wogen zu glätten. Wir sind auch bald zu Ende.

Wird aber auch Zeit, Markus, zischt Elfie. Ihre Einwürfe lassen an Schärfe nichts zu wünschen übrig.

In der Tat gibt es Biere, die nach Krankenhaus und nach Pflastern riechen. Diese Aromen kommen von der Hefe und dem meist höheren Alkoholgehalt des Bieres. Dadurch entsteht ein an Phenol erinnernder Geruch.

Das will ich probieren, sagen Henny und Elfie, fast gleichzeitig. Ein Krankenhaus-Bier, her damit, trompetet Henny, und auch was für Zuckerkranke, setzt Elfie nach.

Nein, nein, soweit wollte ich dann doch nicht gehen, antwortet Markus, wir begnügen uns mit … halt, vorher noch etwas, was die Aromen angeht: Da gibt es Biere, die nach Seife schmecken, nach Tabak, nach Leberwurst, nach Salami, nach Teer, nach Heu, nach Obstkuchen …

Ich will Obstkuchen, ruft Elfie. Obstkuchen, Obstkuchen, bitte jetzt sofort. Sie ruft hysterisch nach dem Kuchen-Bier.

Henny hält seiner Frau schnell den Mund zu.

Lass es gut sein, Markus, sagt Perdita, du wirfst hier Perlen vor die …

Säue, sag es ruhig, Perdi. Wir sind alles Banausen, tumbe Trinker, ignorante Säufer …

Das hab ich nicht gemeint, Henny. Ich wollte nur Markus den Abend nicht verderben, er hat so lange an diesem Thema geforscht.

Gesoffen, meinst du, Perdi, hat sich einen reingetan und behauptet, er würde was erforschen oder für die Wissenschaft, was weiß ich … Nur, dass es jetzt gar nichts mehr zu trinken geben soll, finde ich … Kommt schon, erwidert Markus, keine Sorge. Er nimmt eine von den silbern eingepackten Flaschen und schenkt dem Herrn Professor ein volles Glas ein. Der leert es umgehend und fordert den Mittelbauern auf nochmals einzuschenken.

Willst du dir mal wieder die Kante geben?, fragt Elfie ihren Mann.

Das bestimme immer noch ich.

Aber so lasse ich dich nicht mehr ans Steuer.

Es gibt Taxen, jede Menge Taxen. Henny lallt vor sich hin.

Plötzlich geht das Licht aus, ein Vorhang wird zur Seite gezogen und an der Wand erscheint ein großes Bild. Überschrift: Der Bier-Aromen-Baum. Auf schwarzem Grund ist ein Stammbaum zu sehen. Aus dem Wasser, dem Körper des Bieres, führen Linien. Zum Hopfen, der Würze des Bieres – zum Malz, der Seele des Bieres – zur Hefe, dem Geist des Bieres. Daraus entstehen weitere Linien, die zu den einzelnen Noten führen: Grüner Apfel, Flieder, Klebstoff, Kohlgemüse, Schwefeldioxid …

Ein lautes Aufstöhnen. Henny kippt mit dem Stuhl nach hinten und schlägt mit dem Kopf auf dem Parkettboden auf.

Perdita ist als Erste bei ihm. Henny, bist du …

Markus schaltet das Licht wieder an. Hat er was abgekriegt? Er kippelte ja schon früher gerne auf den Hinterbeinen des Stuhles.

Keine Angst, mein Henny steht schon wieder auf. So leicht haut den nichts um, sagt Elfie und schiebt Perdita zur Seite.

Markus zieht den Vorhang wieder zurück und lässt so den Bier-Aroma-Baum verschwinden. Das Beste kommt zum Schluss, sagt er und schenkt eine weitere Runde ein. Henny würdigt er keines Blickes.

Wenn Biere töten könnten. War das nicht dein Spruch, Thomas? Auf der Rückfahrt von diesem denkwürdigen Geburtstagsfest. Aber da wussten wir ja noch nicht, was wirklich passiert war.

Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass der Verstorbene einen Alkoholwert von 1,5 Promille aufwies und dass einem der Biere ein Alkaloid des Oleanders beigemischt wurde. Ob das aber eine ausreichende Erklärung für das plötzliche Ableben des Professors Henny Wassermann war, konnte abschließend nicht geklärt werden.

Marita und Jürgen Alberts, beide Jahrgang 1946, leben und schreiben in Bremen. Ihre Spezialität sind Krimi-Duette, die sie in vielen Anthologien veröffentlicht haben. Auf ein Mord (KBV-Verlag) und Es muss nicht immer Mord sein (Edition Falkenberg) – so lauten die Titel ihrer gesammelten Kurzgeschichten. Außerdem haben sie gemeinsam acht Reiseromane verfasst.

Jürgen Alberts hat fast 50 Romane verfasst, in den Genres Kriminalroman, historischer Roman, Familiensaga.

Mehr dazu unter www.juergen-alberts.de

Manfred Baumann
Das schlägt dem Fass die Krone aus


D

ragoner?« Er schüttelte sein wuchtiges Haupt. Hätte Gustav Schaum noch ein paar seiner dunkelgrauen Haare statt seit Jahren eine Glatze, wären die Strähnen wohl nach allen Seiten geschwirrt. »Was meinst du mit Dragoner?«

Die Frau verschloss die Tasche mit den Instrumenten.

»Corona!« Sie erhob sich aus der Hocke. Ihr Blick war spöttisch. »Ich sagte ›Corona‹.«

Jetzt kapierte der Polizist gar nichts mehr. ›Dragoner‹ hätte er noch halbwegs einordnen können. Das hatte irgendetwas mit alten Kavalleriesoldaten zu tun. Aber was hatte sie in ihrer hingenuschelten Bemerkung mit ›Corona‹ gemeint?

»Bezieht sich das auf unseren Toten?« Er wies mit der Hand auf die Leiche. »Ist das wieder so ein Fachausdruck, den ich dann in deinem Bericht finde und ohnehin nicht verstehe?«

Sie kniff ihm in die Wange. »Nein, mein Lieber. Ich sagte: Donna buona vale una corona.«

Ach Gott! Wieder so ein verrücktes italienisches Zeug! Seit Frau Dr. Tabea Himmler vor fünf Monaten zum zehnjährigen Jubiläum als Gerichtsmedizinerin einen Volkshochschulkurs geschenkt bekommen hatte, nervte sie ihre Umgebung ständig mit irgendwelchen hingedroschenen italienischen Brocken.

»Und was heißt das?«

Sie bückte sich nach der kleineren Tasche, hob auch diese hoch. »Corona bedeutet Krone, mein Lieber. Donna buona vale una corona ist eine in Italien beliebte Redewendung und heißt sinngemäß: Eine gute Frau ist eine Krone wert.« In seinem kahlen Schädel dämmerte es allmählich.

 

»Verstehe. Und mit dieser donna buona meinst du natürlich dich selbst.«

»Esatto, signor commissario! Ich bin nicht nur buona sondern sogar noch bravissima. Denn ich habe jetzt schon einen entscheidenden Hinweis für dich. Ich gehe davon aus, dass der Tod tatsächlich durch Aspiration eintrat.«

Zumindest diesen Begriff verstand er.

»Er ist also ertrunken.«

»Ja.« Sie wies mit der Hand zum großen goldfarbenen Bottich. »Aber bevor er in dieser Brühe ersoff, hat man ihm vermutlich eine über den Schädel geknallt. Die Schwellung ist längst zurückgegangen, kaum noch zu sehen. Aber man kann sie noch feststellen. Zumindest wenn man eine donna buona ist.« Sie wandte sich grinsend zum Gehen.

»Womit hat man ihm eine verpassst?«

»Genaueres erfährst du, wenn ich ihn auf dem Tisch habe.« Sie zwinkerte ihm zu und rauschte davon.

Gustav Schaum stöhnte. Corona? Krone? Er befand sich in einer Brauerei und er hatte hier eine Leiche liegen. Da hätte er selbst wohl zu einer anderen Redewendung gegriffen. Das schlägt dem Fass die Krone aus! Oder so ähnlich. Oder heißt es Boden? Egal! Er blickte zum großen Metallbottich. Kann man dieses Ungetüm überhaupt als Fass bezeichnen? Wozu dient dieser eigenartige Kessel? Zur Gärung? Zur Lagerung? Er hatte keine Ahnung von den geheimnisvollen Vorgängen in einer Brauerei. Was ihn am Brauvorgang allenfalls interessierte, war das Ergebnis. Im Glas oder im Krug. Und einen ordentlichen Schaum musste man sehen. Das war er schon seinem eigenen Namen schuldig. Er wandte sich um.

»Flick!!!«, brüllte er. Sofort erschien ein junger Mann an der großen Eingangstür und eilte auf ihn zu. Er hatte abstehende Ohren. Wie kleine Propeller.

»Zur Stelle, Herr Kommissar.«

»Mich interessiert als Antwort jetzt nur ein lautes ›Ja!‹ Verstanden?«

Der Kriminalassistent blickte unsicher zu seinem Vorgesetzten.

»Also, Flick. Haben wir schon den Täter?«

Die Röte im sommersprossigen Gesicht von Kriminalassistent Phileas Flick nahm zu. »Leider nein … also, äh, kein Ja, Herr Kommissar.« Er tippte auf sein Tablet.

»Aber ich konnte bereits ein paar wertvolle Details ermitteln.«

»Sie hatten auch über eine Stunde Zeit«, bellte sein Gegenüber. »Also, Zusammenfassung. Von Anfang an! Und das hopp, hopp.« Assistent Flick wischte zitternd über sein Tablet.

»Name des Toten, Andreas Wuggler. Alter 37. Ledig. Seit drei Jahren in der Firma.

Funktion in der Brauerei: CICDO.«

Der Ermittlungsleiter stierte ihn verständnislos an.

»Äh, das ist eine Abkürzung, Herr Kommissar, und heißt Chief Innovation and Culture Design Officer.«

»Und das bedeutet …?«

»Äh …«, die rote Färbung im Gesicht des jungen Assistenten wurde noch stärker. »Das … äh … weiß ich leider nicht. Äh, noch nicht. Aber ich werde dem selbstverständlich umgehend …« Der Kommissar wies mit barscher Geste zur Leiche. »Und wer hat den toten … Chiefdingsda gefunden?«

Immerhin das konnte der Kriminalassistent beantworten. Und zwar in allen Details. Eifer kroch in seine Stimme. »Ein Herr Schromm, Adalbert. Seit 49 Jahren und fünf Monaten im Betrieb. Steht kurz vor der Pensionierung. Herr Schromm begann hier schon als Lehrling, war dann über Jahrzehnte Bierausfahrer. Jetzt bekleidet er den Posten eines Hausmeisters. Ich habe ihn schon herbestellt. Er wartet draußen auf Sie, neben dem Eingang zur Halle 4.«

»Sonstige Zeugen?«

»Bis jetzt noch keine, Herr Kommissar.«

Wäre auch zu schön gewesen!, dachte Schaum. Fange ich halt mit diesem Schromm an. Und dann mit Fragen sich durch die Belegschaft ackern. Die übliche Tour eben.

»Flick, Sie warten hier, bis die Spurensicherung fertig ist. Alles genauestens absuchen! Dann lassen Sie den Toten in die Gerichtsmedizin bringen. Und das hopp, hopp! Verstanden?«

»Jawohl, Herr Kommissar.«

Adalbert Schromm war um einiges älter als er, trug dichtes weißes Haar. Der steht also kurz vor der Pensionierung, dachte Gustav Schaum. Und wann war er selbst soweit? In einer halben Ewigkeit! Er hatte vor einigen Jahren die Leitung der Mordermittlung übernommen. Er hatte sich nicht danach gedrängt. Es war halt kein anderer da. Immerhin gab es höhere Zulagen und auch sonst mehr Kohle auf dem Konto. Zu irgendetwas musste die Rackerei ja gut sein.

»Guten Tag. Ich bin Kommissar Gustav Schaum. Ich leite die Ermittlungen.« Die Vorstellung klang wie ein drohendes Bellen. Der alte Mann reichte ihm dennoch freundlich die Hand. Er hatte um 6:00 Uhr seine erste Runde über das Gelände gemacht, wie immer. Da sei ihm die halb geöffnete Tür aufgefallen. Er habe nachgeschaut und dabei den Toten entdeckt.

»Im Bottich. Oder wie nennt ihr dieses Metallding? Kessel? Fass?«

»Sagen Sie, wie Sie möchten, Herr Kommissar. Dann passt es schon.«

Der Polizist wechselte wieder zu bellendem Tonfall.

»Ich nehme an, Sie kannten Herrn Andreas Wuggler gut. Immerhin sind Sie schon seit fast 50 Jahren in diesem Betrieb.«

»André.«

Der Kommissar verstand nicht. »Was meinen Sie?«

»André. Er wollte von allen André genannt werden.«

»Aha. Und warum?«

Der Hausmeister zuckte mit den Schultern. »Dazu können Ihnen sicher andere aus unserem Betrieb mehr erzählen.«

»Ist Ihnen sonst etwas heute Morgen aufgefallen? Haben Sie jemanden in der Nähe gesehen?« Der Weißhaarige schüttelte den Kopf.

»Gut, Herr Schromm, das war’s fürs erste.« Jetzt anschnauzen, beschloss er, damit der Kerl weiß, mit wem er es zu tun hat. »Sie rühren sich nicht von der Stelle, halten sich gefälligst zu unserer Verfügung.« Er machte auf den Absätzen seiner neuen Schuhe kehrt und stapfte davon. Der alte Mann blickte ihm lange nach.

Gustav Schaum schnaubte. Der Mann würde keine große Hilfe sein. Wahrscheinlich hatte der alte Hausmeister auch gar keine Ahnung, was hier im Betrieb vor sich ging. Schaum stoppte, sah sich um. Gleich hinter den modern gestylten Hallen waren noch die Reste alter Gemäuer zu erkennen. Wenn er sich recht erinnerte, war diese Brauerei über Jahrhunderte Teil einer Benediktinerabtei gewesen. Der Name ›Kronenbronn‹ prangte auch jetzt noch auf den Etiketten der Flaschen. Seit die alte Klosterbrauerei vor einigen Jahren von einem internationalen Konzern übernommen worden war, hatte man das Angebot verändert. Jetzt wurden hier Biere mit exotischen Geschmacksrichtungen angeboten. Irgendwas mit Früchten oder Gewürzen. Er trabte weiter, folgte dem großen Hinweisschild mit dem Schriftzug ›Direktion. Verwaltung. Kaufmännische Leitung.‹ Die Fragerei war noch mühsamer, als erwartet. Es gelang ihm zwar, einige Hinweise zu bekommen. Von manchen der Befragten wurde er richtiggehend überschüttet mit angeblich immens wichtigen Beobachtungen. Das Blöde war nur: Es passte nichts zusammen. Totaler Widerspruch. Also eine Qual. Wie immer. Doch dann, ein Lichtblick. Der Lichtblick war knapp einen Meter sechzig groß, trug ein schlicht geblümtes Kleid, hatte graue Haare und saß in der Buchhaltung. Hannelore Bibler las er auf dem Namensschild. Frau Bibler war schon an die vierzig Jahre im Betrieb, würde demnächst in Rente gehen. »Ja, das mit André stimmt, Herr Kommissar. Herr Wuggler hat gleich bei seinem Einstieg in unseren Betrieb das vorgefertigte Schild mit ›Andreas‹ abmontieren und ersetzen lassen. Jetzt stand da ›André Wuggler. CICIDO‹.«

So ganz hatte ihm das bisher noch keiner erklären können, welcher Sinn sich hinter diesem Buchstabegewirr verbarg. Zumindest niemand von den älteren Mitarbeitern. Und die jungen, die seit der Übernahme durch den Crallbeken Konzern hier offenbar das Sagen hatten, waren derzeit fast alle auf einem viertägigen Get-together-Meeting. Herr Wuggler kümmerte sich um die Kreation neuer Biersorten. So viel hatte er zumindest verstanden. Und um die Strategie, wie man die neuen Sorten am gewinnbringendsten bezeichnete, bewarb und vertrieb.

»Er ließ es sich also lieber André nennen, unser Herr Wuggler. Besonders auch von den Damen.«

Von den Damen? Hatte er da eben einen spöttischen Klang in Frau Biblers Stimme wahrgenommen? Er war sich nicht sicher.

»Hatte Herr Wuggler eine besondere Beziehung zur Damenwelt? Auch innerhalb des Betriebes?«

Sie strahlte ihn mit einem Ausdruck reinster Unschuld an.

»Viele werden Ihnen gewiss bestätigen, dass Herr Wuggler durch sein Auftreten auf Damen schon eine gewisse Wirkung erzielte. Er war ein ›Charmeur‹, werden Sie hören.« Ihre Augen begannen zu funkeln. Die Miene vermittelte immer noch die reinste Unschuld. »Würden Sie allerdings mich fragen, Herr Kommissar, und wäre ich ein Lästermaul, dann würde ich sagen: Er war ein schamloser Weiberer und hinter jedem Rockzipfel her. Auch in diesem Betrieb, von unserem Lehrmädchen im ersten Ausbildungsjahr bis zur Frau des Chefs.«