Wie wir Jesus trafen und beinahe im Gefängnis übernachtet hätten

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Wie wir Jesus trafen und beinahe im Gefängnis übernachtet hätten

Ein wahrer Pilgerbericht von Tochter und Vater auf dem Caminho Português da Costa.

Andreas Neumann


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet: herzsprung-verlag.de

© 2021 – Herszprung-Verlag

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Cover gestaltet mit Bildern von © Andreas Neumann

Alle Fotos: © Andreas Neumann

Karte Caminho Português da Costa: © ora Sutyagina – Adobe Stock lizenziert

Für die Richtigkeit der Webadressen im Anhang des Buches sowie die auf den Internetseiten publizierten Inhalte übernimmt der Verlag keine Haftung.

Originalausgabe Taschenbuch erschienen 2019

ISBN: 978-3-86196-905-1 - Taschenbuch schwarz-weiß

ISBN: 978-3-96074-059-9 - Taschenbuch farbig

ISBN: 978-3-96074-395-8 - E-Book

Herstellung: CAT creativ - cat-creativ.at

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Inhalt

Vorwort

Unser Weg

Wie konnte das passieren?

Gute Planung ist die halbe Miete

Es gibt kein Zurück

Von Porto nach Vila do Conde

Von Vila do Conde nach Marinhas

Weiter nach Viana do Castelo

Der Weg nach Caminha

Auf nach Vila Nova do Cerveira

Weiter nach Tui

Von Tui nach Veigadaña

Der Weg nach Arcade

Von Arcade nach Portela

Der Weg von Portela nach Valga

Von Valga geht es nach Teo

Unser Weg nach Santiago

Santiago

Heimflug

Packliste

Nachwort

Danksagung

Literaturhinweise

Der Autor

Unser Buchtipp

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Für Melina als Erinnerung.

*

Vorwort

Diagnose: Krebs. Tumor an der Bauchspeicheldrüse.

Für viele ein endgültiges Urteil.

Ich hatte Glück.

Aber auch Hilfe.

Die Ärzte. Nicht die Band – die im Krankenhaus. Alleine hätte ich das im Heimwerkerkeller nicht hinbekommen. Aber Spaß beiseite, da war noch mehr. Nicht richtig zu beschreiben. Gerade in den Nächten nach der OP. Und da ich gläubig bin, beschloss ich 2007, eine Pilgerreise zu machen, um mich für mein Überleben zu bedanken.

Zehn Jahre später war es endlich soweit. Und was ich erlebte, erfuhr und auch fühlte, überstieg meine Erwartungen bei Weitem. Die 14-tägige Reise auf dem Caminho Português da Costa in Begleitung meiner Tochter Melina hat mich nicht verändert. Ich bin durch die Erlebnisse kein anderer Mensch geworden. Aber die Fähigkeit, meine Sichtweise auf alltägliche Dinge auch eben mal aus anderer Perspektive zu betrachten, wurde neu entfacht. Es hat sehr viel Spaß gemacht, sich einmal nur auf die wesentlichen Dinge im Leben zu konzentrieren und die Einfachheit des Reisens zu genießen. Ohne Stress und ohne die Verantwortung, irgendwelche Erwartungen erfüllen zu müssen. Kein Fernsehen, kaum Internet – nur Gespräche mit Melina und den anderen Pilgerfreunden, eigene Gedanken ohne Nebel und beten in aller Stille. Es war erfrischend und es war oft auch lustig. Also, es darf gelacht werden beim Pilgern.

Und wenn Sie dieses Buch mit unseren Erlebnissen lesen, werden Sie bestimmt auch das ein oder andere Mal schmunzeln und sich vielleicht wünschen, dabei gewesen zu sein.

Andreas Neumann

*

Unser Weg

Porto nach Matosinhos S-Bahn

Matosinhos nach Vila do Conde 22 km

Vila do Conde nach Esposende Bus

Esposende nach Marinhas 5 km

Marinhas nach Viana do Castelo 21 km

Viana do Castelo nach Caminha 28 km

Caminha nach Vila Nova de Cerveira 14 km

Vila Nova de Cerveira nach Tui 17 km

Tui nach Veigadaña 19 km

Veigadaña nach Arcade 19 km

Arcade nach Portela 23 km

Portela nach Valga 21 km

Valga nach Teo 20 km

Teo nach Santiago 15 km

Gesamt 224 km

*

Die Karte zeigt den offiziellen Weg des Caminho Português da Costa von Porto nach Santiago de Compostela.


*

Wie konnte das passieren?

Alles fing damit an, dass ich 2007 nach einer schweren Krebserkrankung den Entschluss gefasst hatte, zu pilgern. Ich wollte immer schon mal eine Pilgerreise machen und so kam mir der Tumor gerade recht. Nur so richtig mit dem Thema beschäftigt hatte ich mich vorher nie. In meiner Naivität wollte ich nach Jerusalem pilgern. Laut Google Maps mit einer Entfernung von etwas mehr als 4000 Kilometern auch locker in einer Zeit von 826 Stunden machbar. Ruhepausen nicht mit eingerechnet.

Mein damaliger Zustand ließ dies natürlich nicht zu. Ich war viel zu geschwächt und hatte fortlaufend das Bedürfnis, zu schlafen, auch ohne dass eine Chemotherapie durchgeführt wurde. Als Erstes musste ich also wieder richtig gesund und belastbar werden. Und ich musste die zu laufende Strecke reduzieren. Umziehen nach Israel kam nicht infrage, denn der tägliche Weg zur Arbeit wäre zu weit gewesen und die Technik der Wissenschaft war noch nicht so weit, dass ich mich dorthin hätte beamen können. Ich brauchte eine andere Lösung beziehungsweise einen anderen Weg. Nach langen Recherchen stand meine Route dann fest.

Überraschung! Von Wuppertal über Köln nach Aachen. Das waren 160 Kilometer und die waren in sieben Tagen für mich in meiner Verfassung gut zu schaffen. „Eine Woche fürs Pilgern kann ich locker im Laufe des Jahres entbehren“, dachte ich.

Es gab in den folgenden Jahren aber immer irgendetwas, das mich daran hinderte, loszulaufen. Wichtige Termine auf der Arbeit, Urlaubsplanung mit der Familie, Urlaubsplanung mit Freunden, Arbeiten am eigenen Haus und im Garten und leider auch Nachsorgetermine. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich tief im Innern auch Angst vor dieser körperlichen Herausforderung hatte, 160 Kilometer zu Fuß zu laufen. Und so dauerte es tatsächlich bis zum Herbst 2016, bis die Pilgertour im Detail geplant und gebucht war.

Aber ganz anders, als ich es mir 2007 vorgestellt hatte ...

*

Gute Planung ist die halbe Miete

Eigentlich war Pilgern im Jahr 2017 wieder kein Thema. Denn bei meiner Tochter Melina stand das Abitur an und vor dem Studienbeginn sollte noch ein gemeinsamer Familienurlaub gemacht werden. Meine Frau Sabine und ich hatten dabei ein Auge auf Island geworfen. Melina war hellauf begeistert, als sie von dem nicht alltäglichen Reiseziel erfuhr. Aber bei der Feinplanung des Urlaubs stellte ich leider sehr schnell fest, dass die Kosten für eine Woche Island unser komplettes Jahresbudget für alle Urlaube sprengen würde.

Nur ein Beispiel: Um auf Island mit dem Leihwagen nicht nur auf befestigten Straßen fahren zu dürfen, sondern auch auf Schotterpisten, muss man ein Allradfahrzeug mieten. Und diese Vehikel kosten für sieben Tage fast 600 Euro. Auch weitere Kosten wie Unterkunft und Verpflegung waren laut Statistischem Bundesamt 2017 in Island mit einem Abstand von 62,5 Prozent gegenüber den Kosten in Deutschland – noch vor Norwegen (45,9 Prozent) und der Schweiz (38,7 Prozent) – am höchsten.

 

Also nicht nach Island.

Nur wohin stattdessen?

Mehr aus Spaß warf ich ein, dass wir auch pilgern könnten. In den Blicken meiner Frau las ich alles andere als Begeisterung. Aber Melina war sofort Feuer und Flamme. Jedenfalls so lange, bis ich Wuppertal ins Spiel brachte.

Später am Abend kam Sabine auf mich zu und erklärte mir, dass sie die Idee mit dem gemeinsamen Pilgern von Melina und mir grundsätzlich für eine gute Sache halten würde, aber ob es nicht auch andere Wege gäbe, die für Melina interessant wären. Sie wäre bereit, dafür auf den gemeinsamen Sommerurlaub zu verzichten.

Jetzt könnte man glauben, das Buch gleitet ein bisschen in die Sparte Science-Fiction ab, aber genauso ist es passiert.

Na ja, fast.

Eine Bedingung gab es dann doch: eine Woche Strandurlaub auf Mallorca. Mitte September. Nur wir zwei. Jackpot! Natürlich willigte ich ein, jetzt musste nur noch eine andere Pilgerroute her.

Die Wahl fiel dann, nach tagelanger Recherche im Internet, auf den Caminho Português da Costa. Ein mit 240 Kilometern Länge in zwölf Tagen machbares Ziel. Hinzu kam, dass wir in Porto starten und an der Küste entlanglaufen konnten. Die perfekte Tour für uns. Der Zeitraum der Reise, von Anfang bis Mitte Juli, war auch recht schnell durch Ausschlussverfahren gefunden. Denn berücksichtigt werden mussten der Praktikumsbeginn von Melina, der Urlaub der Kollegen und die Kosten der Flüge. Diese buchten wir direkt im Herbst 2016 online: Hinflug von Köln nach Porto und zurück von Santiago de Compostela über Barcelona nach Düsseldorf.

Jetzt galt es, sich auf einschlägigen Internetseiten in Sachen Pilgern schlauzumachen: Was brauchte man alles? Was musste man für die Reise wissen.

Es fing an mit den Basics. Der richtig passende Rucksack und die passenden Wanderschuhe mussten gekauft werden. Socken, Shirts und Unterwäsche aus Merinowolle kannte ich bis dato überhaupt nicht, wurden jedoch auf einer Homepage empfohlen. Der Preis schreckte zwar erst ab, aber die Anschaffung lohnte sich, denn die Wäsche, die nicht roch, wenn sie vollgeschwitzt war, trocknete sehr schnell. Na ja, nach drei Tagen bei 30 Grad sollte sie aber trotzdem gewaschen werden.

Für die genaue Routenplanung, inklusive der Unterkünfte, sollte uns, neben dem gelben Reiseführer von Reimund Joos, ein kleines Blättchen mit dem Namen Herbergen und Etappenorte des Caminho Português vom Freundeskreis der Jakobuspilger behilflich sein, welches wir bei der Onlineorder des Pilgerpasses gleich mitbestellt hatten. Die Übernachtungen in Porto und in Santiago de Compostela wurden dann auch von uns direkt übers Internet gebucht. So standen Start- und Zielpunkt fest. Ein Tag war als Puffer eingeplant für Dinge, die wir nicht vorhersehen konnten. Das alles sollte die Voraussetzungen für ein entspanntes, nicht zu kräftezehrendes Pilgern schaffen.

Nun kam meiner Ansicht nach der schwierigste Teil der Vorbereitung. Welches Equipment war unverzichtbar auf unserer Reise und welche Dinge, die wir gerne benutzten, mussten zu Hause bleiben? Wo schränkten wir uns ein? Wir hatten ja keinen Vier-Doppelrollen-Trolley mit 110 Liter Volumen dabei.

Die Erfahrungsberichte und Packlisten von anderen Pilgern haben uns auf jeden Fall etwas bei der Vorauswahl geholfen. An so etwas wie Hirschhorntalg, eine Creme, die Blasen an den Füßen und wunde Stellen verhindern soll, hätte ich nie gedacht.

Natürlich mussten auch individuelle Dinge beachtet werden. Ohne mein Taschenmesser ging gar nichts. Das bedeutete aber auch, der Rucksack konnte nicht als Handgepäck aufgegeben werden. Wäre ohnehin grenzwertig von den Maßen her gewesen. Wichtig war es auf jeden Fall, das Gewicht im Auge zu behalten, denn je schwerer die Last, desto anstrengender das Laufen.

Ich habe jedes Teil einzeln ausgewogen. Das hört sich im ersten Moment total bescheuert an – und meine Familie hat mich zu dem Zeitpunkt auch für bescheuert gehalten – aber die Summe der einzelnen Gewichte addierte sich ruckzuck in für den Rücken sehr schmerzhafte Regionen. Sandalen, die ich zuerst mitnehmen wollte, wogen zum Beispiel fast 800 Gramm. Getauscht gegen Crocs, diese neumodischen Plastikschuhe, die nur 300 Gramm wiegen, machte gleich ein halbes Kilo weniger Last. Das wusste ich aber beim Packen noch nicht. Nur, dass die Sandalen mit einem Anteil von zehn Prozent am Gesamtgewicht zu schwer waren. Also musste ich zur Auswahl des Schuhwerks mit dem idealen Gewicht zwangsläufig die Kofferwaage mit ins Schuhgeschäft nehmen. Als ich die ersten Schuhe ausgewogen hatte, kam auch schon gleich eine Verkäuferin und fragte, ob sie helfen könne ... und wo ich denn ausgebrochen sei. Am Ende des Buches gibt es die detaillierte Original-Packliste mit allen Gewichten.

Ich erwähnte eben, dass es sich bei der Auswahl des Equipments um den schwierigsten Teil der Vorbereitung handelte, aber der spannendste war er auch. Ich kam mir vor wie vor einer großen Expeditionstour, bei der es enorm wichtig ist, die richtige Ausrüstung dabeizuhaben. Alles wurde noch mal begutachtet, geprüft, Alternativen abgewogen. Als ob wir zum Mars reisen und unser Leben davon abhängen würde. Ich musste an Teil eins der Filmreihe Herr der Ringe denken, in dem die Gruppe der Gefährten nur mit Stoffbeuteln und teilweise barfuß über sämtliche Bodenarten wanderte und zusätzlich dabei noch schneebedeckte Gipfel erklomm, die normalerweise nur von Profibergsteigern bezwungen wurden. Funktionskleidung Fehlanzeige.

Und wir würden nach Portugal reisen und von Stadt zu Stadt pilgern. Irgendwann war genau aus diesem Grund dann Schluss mit dem ganzen Checken und wir fieberten voller Freude dem 2. Juli 2017 entgegen. Das wichtigste Gepäckstück trug ich sowieso immer bei mir: meine Kreditkarte.


*

Es gibt kein Zurück

Sonntag, 2. Juli 2017

Hamm: Wolken Köln: Regen Porto: Sonne

Hotel 100 Contos 50 € – Essen 24 €

So richtig wohl fühlte ich mich nach dem Aufstehen noch nicht. Keine Urlaubsstimmung. Eher Anspannung. Ich bin ein Mensch, der gerne plant und Listen erstellt, auf denen alles ersichtlich ist. Skipassverteilung, Fixkostenabrechnung, Weihnachtsgeschenke ... Solch einem Abenteuer, bei dem nichts, außer den Flügen sowie Start- und Zielort feststanden, schien ich nicht gewachsen zu sein. Ich brauchte Kontrolle und ich hatte mich dabei erwischt, wie ich dachte, so eine kleine Verstauchung oder auch ein gebrochenes Bein wäre jetzt genau das Richtige, um unschuldig aus dieser Nummer rauszukommen. Ich war ein Feigling.

Doch dann ging es doch um 7:40 Uhr bei allerbester Gesundheit von mir und Melina los. Sabine fuhr uns beide und unseren Sohn Fabian, der zurück nach Edinburgh musste, zum Bahnhof in Hamm. Dort angekommen, wurden noch einmal alle von ihr gedrückt, dann war sie auch schon wieder auf dem Weg nach Hause. Wir aber betraten die Bahnhofshalle.

Jetzt ging es los! Das Ticket am Automaten war ausnahmsweise mal schnell gelöst, die Brötchen und der Kaffee gekauft und der Zug stand auch schon da. Frühstück! Um 8:44 Uhr startete der Gleisexpress. Erst Richtung Flughafen Düsseldorf – dort musste Fabian aussteigen – und dann weiter Richtung Köln Hauptbahnhof.

Während der Fahrt in die Altbierhauptstadt unterhielt ich mich mit Fabian über verschiedene Themen. Melina saß auf der anderen Seite des Ganges, hörte Musik und schlief zwischendurch immer wieder ein. Das fing ja gut an! Schon beim Zugfahren erschöpft! Aber das lag sehr wahrscheinlich daran, dass ihr immer noch der Abiball und der damit verbundene Schlafmangel von vor zwei Tagen zu schaffen machte.

Pünktlich um 10:00 Uhr erreichten wir den Flughafen in Düsseldorf. Wir verabschiedeten Fabian und ich freute mich auf das Wiedersehen mit ihm Ende November in Edinburgh zur Verleihung der Masterurkunde. Für Melina und mich ging der Weg weiter zum Hauptbahnhof nach Köln. Weil wir noch genug Zeit hatten, wollten wir nicht sofort zum Flughafen fahren, sondern uns noch ein bisschen die Beine in der Innenstadt vertreten. Den kurzen Bummel durch Köln hätten wir uns aber eigentlich schenken können, denn gerade in dem Moment, als wir aus dem Bahnhof kamen, fing es an zu regnen.

Aber zwei Ereignisse machten den Kurzbesuch der Domstadt dennoch erwähnenswert. Das erste Ereignis war der Versuch, als Pilger den Kölner Dom zu besichtigen. Dieser Besuch scheiterte an den Security-Mitarbeitern, die uns wegen unserer Rucksäcke nicht hineinlassen wollten. Da halfen auch kein Bitten oder ein Pilgerausweis. Dies alles wäre ja noch nachvollziehbar gewesen bei den ganzen Attentaten, von denen immer wieder in den Medien berichtet wurde, wenn wir beide nicht in die Kathedrale gedurft hätten: Melina mit ihrem 50 Liter Rucksack wäre der Zugang gestattet worden, während ich mit meinem 48 Liter Rucksack keine Chance hatte. Wahrscheinlich doch mehr Gesichts- und nicht Gepäckkontrolle. Den Spruch „Dann müssen wir die Bombe eben umpacken“ habe ich mir verkniffen. Sonst wäre ich den Caminho Português sehr wahrscheinlich nicht gelaufen. Jedenfalls nicht im Juli 2017.

Das zweite Erlebnis nahmen sowohl Melina als auch ich gleichzeitig aus den Augenwinkeln wahr. Wir schauten uns danach beide an und mussten herzhaft lachen. Was war passiert?

Wir waren kurz vor einer Bäckerei, die in der Auslage zur Fußgängerzone jede Menge frisch gebackener Berliner anbot. Im selben Moment, in dem wir das leckere Fettgebäck bestaunten und der Speichelfluss im Mund wie durch Zauberhand auf enorme Weise zunahm, liefen drei Jogger im Sportlerdress und mit Pulsarmband augenscheinlich wahrnehmungsfrei daran vorbei. Doch dann stoppten sie – für uns völlig unerwartet – zehn Meter weiter abrupt ab, tauschten Blicke aus, gingen gemütlich auf die Berliner zu und verschwanden im Backshop. Welches Trainingsprogramm dort wohl absolviert wurde? Da der Regen zunahm, ging es für uns kurz danach wieder zurück zum Bahnhof und mit der S-Bahn dann zum Flughafen Köln/Bonn. Die restliche Wartezeit haben wir gut in einem amerikanischen Fast Food-Restaurant bei einem kleinen Snack und Sudoku abgesessen.

Vor dem Einchecken hatte ich dann noch die Aufgabe, meinen Rucksack in Frischhaltefolie einzuwickeln. So war er gut genug gegen Schmutz und Beschädigungen geschützt und die Walkingstöcke waren fest verstaut. Die durften auf keinen Fall verloren gehen, denn sie waren, wie sich im Laufe unserer Reise zeigte, eine große Hilfe beim Wandern.

Nachdem Melina sich dann noch frühzeitig für die Reise in der Flughafenbuchhandlung ein Buch gekauft hatte, ging es direkt weiter zum Sicherheitscheck. Dort prüfte man mich intensiv, sogar nach Sprengstoff wurde mit einem ganz speziellen Papiertuch an meinem Körper und in meinen Sachen in der Plastikschale gesucht. Da ich nicht davon ausgehe, dass die Security vom Kölner Dom Gedanken lesen konnte und recht zügig die Kollegen vom Flughafen informiert hatte, wird es wohl eine reine Routineuntersuchung gewesen sein.

Das Einchecken ohne Bordgepäck war sehr angenehm, ebenso der Flug. Schwierig wurde es erst wieder, als wir am Airport in Porto Tickets für die Metro kaufen mussten, um vom Flughafen nach Porto zu gelangen. Es gab sechs unterschiedliche Automaten, aber nicht bauartbedingt, sondern rein bezahltechnisch. Das wussten wir aber zu dem Zeitpunkt unserer Ankunft noch nicht. Der erste Versuch nach etwa fünf Minuten Wartezeit schlug fehl, da lediglich Kartenzahlung akzeptiert wurde. Aber nicht mit Kreditkarte, sondern mit so etwas wie einer Geldkarte, die man vorher aufladen musste. Beim zweiten Versuch warteten wir zehn Minuten, um dann festzustellen, dass nur Kleingeld angenommen wurde. Bravo!

Wir standen nun etwas hilflos herum und die eigens für die Betreuung der Automatenkunden abgestellte Mitarbeiterin der Metro konnte nur eine Sprache: Portugiesisch. Ja gut, wir waren in Portugal, aber es flogen nicht nur Portugiesen von und nach Porto. Bei einer Gruppe von Asiaten versuchte ich es auf Englisch und bekam dann in lupenreinem Deutsch mit badischem Dialekt die Antwort. Sachen gibt’s. Der junge Mann studierte in Baden Württemberg. Danach stellten wir uns am richtigen Automaten an, zogen unsere Tickets und machten uns auf den Weg zum Bahnsteig.

 

Leider war unsere Metro nun weg – nächste Abfahrt in vierzig Minuten. Das konnte ich nicht glauben. Okay, dass bei uns zu Hause in ländlicher Umgebung der Bus nur alle sechzig Minuten fährt, verstand ich. Aber hier am internationalen Flughafen Aeroporto Francisco sa Carneiro?

Doch warum störte mich das eigentlich? Ich hatte doch kein Vorstellungsgespräch, zu dem ich pünktlich erscheinen musste. Ich wollte entschleunigen. Warum ging ich sonst zu Fuß? Ich glaube, das war an diesem Tag eine wichtige erste Lektion. Wir fanden auch vierzig Minuten später unser Hotel 100 Contos noch.

Doch leider war alles verriegelt. Zum Glück gab es auch hier freundliche Nachbarn, die dumme Pilger nicht einfach so vor verschlossenen Türen stehen ließen. Und nach einem Hinweis checkte ich meine E-Mails und fand tatsächlich eine Nachricht vom Inhaber des Hotels – und darin war ein Code enthalten, den man nur an der Tastatur an der Eingangstür eingeben musste. Ich schaffte es trotz mehrerer Versuchen nicht, das Portal zu öffnen. Irgendetwas machte ich falsch. Melina bekam die Tür dann beim ersten Versuch auf.

Das Zimmer war einfach, aber sauber und, das war mir an diesem Nachmittag noch nicht klar, im Vergleich zu den noch folgenden Unterkünften in den nächsten zwölf Tagen der reinste Luxus. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es 18:15 Uhr war. Um 19:00 Uhr schloss die Kathedrale. Jetzt aber los, denn wir brauchten heute noch den Stempel, weil wir morgen früh loswollten. Eine wilde Suche durch die Innenstadt von Porto begann. Zum Glück kannte sich Melina mit der Navigationsapp besser aus als ich. Irgendwie erinnerte mich unsere Suche nach der Kathedrale unter Zeitdruck an eine Unterhaltungsshow von früher mit Günther Jauch als Außenreporter, die sich Rätselflug nannte. Die Innenstadt von Porto hatte es in sich – es ging bergauf und bergab. Immer wieder sahen wir hier und da mal die tollen Sehenswürdigkeiten, wie die historischen Straßenbahnen, die Porto zu bieten hat.

Als wir die Kirche um 18:50 Uhr erreichten, war ich fix und fertig und nassgeschwitzt. Der erste Härtetest für das Merinoshirt. Wir stellten uns im Touristenbüro für einen Stempel an, um dann im Gespräch mit der Mitarbeiterin zu erfahren, dass es den eigentlichen Stempel nur in der Kathedrale selbst gab.

Gerade noch kurz vor – sprichwörtlich – Toresschluss schafften wir es in die Kirche und bekamen mit einem nicht gerade freundlichen Blick als letzte Besucher den heiß ersehnten ersten Abdruck in unseren Pilgerpass. Alle weiteren Besucher wurden an der Pforte freundlich, aber bestimmt abgewiesen und auf den nächsten Tag vertröstet. Glück gehabt.

Als Belohnung gab es ein Abendessen im Restaurant DeGema. Beim Betreten des Restaurants roch es herrlich nach gebratenem Fleisch. Die bestellten Burger waren saftig und die besten, die wir bis dato gegessen hatten. Dazu ein leckeres Super Bock vom Fass und als Nachtisch ein Eis. Vergessen waren die ersten Strapazen des Tages und ein wohliges Gefühl stellte sich ein. Ich merkte, wie ich in den Entspannungsmodus wechselte. Sehr schön.

Auf dem Heimweg zum Hotel, diesmal in aller Ruhe, sahen wir uns noch kurz die Vorstellung einer Tanzschule im Rahmen ihres Unterrichtes auf einem öffentlichen Platz an. Sehr beeindruckend, wie diese Schüler den Tango beherrschten.

Wieder im Hotel angekommen, war an Schlaf nicht zu denken. Direkt auf der Straßenseite gegenüber saß eine ältere Frau mit ihren Einkaufstüten auf dem Gehweg und führte Selbstgespräche. Und zwar in der aus unserer Sicht für Südländer typischen Weise. Voller Emotionen und lautstark stritt sie sich mit ihrem imaginären Gegenüber.

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