Die Bewahrung der Godsvaja

Text
Aus der Reihe: Sinjas Welt #1
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Die Bewahrung der Godsvaja
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Andreas Milanowski

Die Bewahrung der Godsvaja

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1 Gwchil – Hüter der alten Schriften

2 Asgael und Agyrtha

3 Gernholt und Wallhart

4 In Brunnwarts Schenke

5 Yiengola

6 Brndil

7 Cáno Mattheys

8 Epilog

Anhang - in eigener Sache

Impressum neobooks

1 Gwchil – Hüter der alten Schriften

Eldoran hielt das Gefäß fest in beiden Händen. Die Kühle des Metalls hatte sich seiner Haut und seines Blutes bemächtigt, ein Frösteln durch seinen Körper laufen lassen. Hier würde er sterben – jetzt. So war es beschlossen. Dennoch sah er ohne Vorwurf in die Runde, in die Gesichter derer, die das Urteil über ihn gesprochen hatten. Dort saßen, an kalten, marmornen Tischen, die zehn verbliebenen Vertreter der Sippen und der Eine, der Erste, der Weise. Jedem einzelnen schaute der Elv in die Augen, um zu prüfen, ob es Zweifel gäbe an dessen Entscheidung. Ein Zucken der Lider, ein Blinzeln, eine Unsicherheit? Er sah nicht das Geringste. Dann wanderte sein Blick weiter, zu den hohen, glaslosen Fenstern, hinaus zu den schneebedeckten Gipfeln Andantes, der Sehnsucht folgend, weit fort zu sein von diesem Ort seines Verderbens und frei.

Zeitlebens war er Mitglied des Hohen Rates von Ildindor gewesen und, wie heute meine Wenigkeit, Bewahrer der Chroniken und Hüter der Schriften des Elvenvolkes. Seinem Auftrag, den Schatz des, nur Wenigen zugänglichen Wissens zu pflegen und für kommende Generationen zu erhalten, bis, dereinst, auf den Trümmern der ungeliebten Ordnung, ein neues Reich entstünde, war er, mit aller Hingabe, allem Dürsten nach Pflicht, bis zum letzten seiner Atemzüge nachgegangen – mit dieser einen, einzigen Ausnahme, für die er an diesem kühlen Winterabend gerichtet worden war.

Die, für die Ausübung der Aufgaben erforderlichen geheimen Schlüssel, Papiere und Ratschläge hatte er mir, seinem Sohn und Nachfolger im Amt, zeitig und rechtmäßig übergeben. Sodann hatte er sein Urteil angenommen, den Kelch an die Lippen geführt und Schluck für Schluck geleert, den das Tribunal ihm, trotz seines Vergehens, auf einem silbernen Tablett hatte reichen lassen, um ihm in Anbetracht früherer Verdienste einen würdigen Abschied zu ermöglichen. Das kalte Mondlicht war durch die spitzen Bögen der Fenster des Saales auf sein Lager gefallen, hatte seinen, vom Gift ausgezehrten Körper in unwirklich schimmerndes, magisches Weiß getaucht, bis er gegangen war.

Auch ich, Gwchil, sitze nun, wie so oft in den Jahren seit diesem Abend, im höchsten Turm der ehrwürdigen Stadt. An meterhohen, dunklen Regalwänden, vollgepackt mit alten, staubigen, modrig riechenden Geschichten, Erzählungen, Karten, Erinnerungen, Berichten schaue ich empor – und schreibe, zeichne auf, bewahre, Gefangener meines Handwerks. Grau bin ich geworden über der Arbeit und dem Verfassen dieser Zeilen, die Augen müde vom rußigen Flackern der Kerzen und das Blut der Nattern, mit dem ich einst meine Seiten beschrieb, ist geronnen zu teerigem Brei und schwarz. Oft denke ich zurück an jenen kalten Abend, das, was danach geschah und immer noch geschieht. Auch mein Blick wandert, über Baumspitzen hinweg, ins weite Land. Auch ich erinnere mich der Unbedachtheit und Torheit der Menschen und des Schmerzes, den sie den Meinen zufügten durch ihr Tun.

Bevor ich jedoch auf diese Begebenheiten zu sprechen komme, erscheint es mir notwendig, über eine ganz besondere Eigenart der Menschen, dieser seltsam unbegreiflichen Wesen, zu berichten. Viele von ihnen, so sie denn des Lesens mächtig sind, pflegen, noch bevor sie die erste Seite eines Buches aufgeschlagen, eines der Zeichen der Schrift geschaut oder gar Worte begriffen und gedeutet haben, seltsam anmutende, fast albern wirkende Rituale.

Geprüft wird der Band, in der Hand gewogen, als gäbe die Masse eines Werkes Auskunft über das Gewicht seines Inhalts. Sodann wird der Duft des Papiers, des Leims, der Farbe geatmet. Danach die Dicke geschätzt, die Zahl seiner Seiten. Nicht selten auch fahren die Fingerkuppen zart über die Decke des Einbandes, eventuelle Reliefs oder feinste Unebenheiten der Arbeit zu erspüren, der vagen Hoffnung folgend, die Aufs und Abs des zu Lesenden seien schon vorab mit Hilfe des Tastsinns zu ergründen. Weniger oft begegnen mir solche, die den Seiten mit der Zunge oder den Lippen nachgehen, an ihnen lutschen oder lecken, um auf diese Art den Geschmack des, vom Speichel angelösten Blattes zu erfahren. Eine eher seltene, aber nicht ganz ungewöhnliche Art der Annäherung an Geschriebenes. Häufig dagegen wird es zu Gehör gebracht, oft, leider, durch einfachen Vortrag. Geschieht dies durch Menschenmund, so ist es für die, doch weitaus empfindsameren Ohren des Elven oft nur schwer erträglich, da die Stimmen der Menschenwesen meist schrill, viel zu laut und, in der Regel, auch vollkommen unausgebildet sind.

Nimmt man all dies zusammen, so fragt man sich am Ende doch, wozu dieses, den Gebrauch aller Sinne fordernde, eigenartige Tun, da es ja augenscheinlich nur darum geht, dem Aufgeschriebenen seinen Inhalt abzugewinnen? Welch merkwürdigen Eingebungen folgen diese Wesen bei der Ausführung ihrer scheinbar sinnlosen Handlungen? Ich meine, von Folgendem berichten zu können: nicht Verstandeswissen ist es, das sie in sich tragen, diese Buchriecher, Buchschmecker, -taster, -hörer, sondern die Ahnung eines uralten Mysteriums - des Geheimnisses ihrer, des Menschen- und unserer, des Elvenvolkes gesammelter Erinnerung. Eine lange Geschichte ist sie, die Geschichte unserer Geschichten und sie beginnt in einer fernen Vergangenheit.

2 Asgael und Agyrtha

Als Asgael mit schweren Schritten die letzten, von gewaltigen Wurzelsträngen geformten Holzstufen nach Agyrtha Brndil hinaufkletterte, neigte der Tag sich bereits seinem Ende zu. Grau, mit Wolken verhangen war der Himmel, die Luft schwer und feucht. Eine leichte Brise, die von den kalten Landen herüberwehte, spielte zart mit dem langen, weißen Haar des Alten und brachte ihm ein wenig Erfrischung. Traurig indes klang das Lied, das der Wind in den Ästen Agyrthas sang. Asgael atmete schwer und lauschte. Lange schon hatte er aufgehört, zu zählen, wie oft er den beschwerlich steilen Weg aus dem Tal hier heraufgestiegen war. Genauso viele Male hatte er, an exakt dieser Stelle des Weges, innegehalten, hinaufgeschaut in das gewaltige, mächtig ausgewachsene Geäst des alten Baumes und sich still gefragt, ob der Tag für sein Vorhaben der richtige sei. Ebenso oft hatte ihm eine Stimme, deren Quelle er nie hatte benennen können, geantwortet, Agyrtha sei bereit.

Der Alte sog die Abendluft tief in seine Lungen. Dann sammelte er seine Kräfte und schickte sich an, die letzten Stufen zu erklimmen, hinauf zum Brndil. Enorme Anstrengung lag hinter ihm und die Muskeln seiner Beine brannten wie Feuer, als er, endlich, das Tor passierte, das von zwei, dreimal mannshohen Menhiren gebildet wurde. Die Himmel schienen dem Treffen wohlgesonnen, denn just in dem Moment, da Asgael Agyrthas Reich betrat, stach der letzte Strahl der untergehenden Sonne hinter der dunklen Wolkendecke hervor. Für einen winzigen Augenblick ließ er die Krone des Baumes in hellem Brennen erstrahlen. Als ginge der gesamte Brndil in Flammen auf, wurde der Zauberer eingefasst von goldenem Leuchten. Die Strahlen drangen in ihn, erfüllten ihn ganz und nahmen ihm den Atem. Vor seinen Augen entfaltete sich ein weiter Bogen aus gleißendem Licht, dessen Glanz hinüberreichte, wie eine Brücke in die Welt, nach der seine Seele sich mit Macht sehnte. Als könne er dieses Strahlen mit all seinen Sinnen in sich aufsaugen, hatte er das Gefühl, die Grenzen seines Körpers lösten sich auf, er würde eins mit der Quelle dieses Lichts. Noch einmal huschte ein Lächeln über das Gesicht des Druiden. Dann wurde sein Geist still. Seine Gedanken schwiegen. Er fiel selig auf die Knie, sank ins Moos und glitt, erschöpft, in einen tiefen, todesähnlichen Schlaf.

Als er erwachte, konnte er nicht sagen, wie lange er so gelegen hatte. Er war in Dunkelheit gehüllt, die schwarze Nacht über den Berg gekommen. Asgaels Augen versuchten, die Umgebung zu erkunden, doch mehr als eine Ahnung des gewaltigen Schattens, der sich über ihn gewölbt hatte, wollte sich ihnen nicht zeigen. Dass er keines seiner Glieder würde bewegen können, hatte er von den vielen seiner vorherigen Besuche gewusst. Er und Agyrtha kannten sich seit Äonen, doch, auch wenn das Vertrauen zwischen den beiden mit der Zeit gewachsen war, Agyrtha hatte nie von seiner Vorsicht abgelassen. Wesen mit Gehörnen oder Geweihen, mit Beinen, mit Armen und Zähnen, noch dazu solche, die Äxte, Sägen oder andere Werkzeuge benutzten, konnten seinesgleichen übelsten Schaden zufügen. So war es, aus seiner Sicht, nur folgerichtig und angemessen, ihr Wesen und ihre Absichten aufs Genaueste zu prüfen, bevor man ihnen gestattete, sich im Brndil zu bewegen.

 

Hatte Asgael dies anfangs noch als eine, für ihn selbst überaus unangenehme Laune seines Gefährten angesehen, so hatte er sich nach den ersten Vereinigungen daran gewöhnt und sie als unabdingbare Voraussetzung ihrer Gemeinsamkeit angenommen. Er hatte sich der Symbiose hingegeben und aufgehört, sich dagegen zu wehren. Dadurch waren seine Seele und sein Körper ruhig geworden, bereit für die Befragung. Agyrtha achtete, im Gegenzug, sehr sorgfältig darauf, dem Zauberer nicht mehr Schmerzen und Leid zuzufügen, als es ihm unbedingt notwendig schien. So waren zwar dessen Handflächen von feinen Strängen blutig durchbohrt, seine Arme und Beine aber lediglich, durch knochiges Wurzelwerk, stramm an den Moosboden des Brndil gefesselt, seine Augen und inneren Organe unverletzt und verschont.

„Agyrtha, was ist dein Begehr?“, fragte Asgael den Gefährten schweigend, mit der bloßen Kraft seiner Gedanken.

„Asgael, ich will wissen, ob du noch immer reinen Geistes bist!“, brummte Agyrthas ruhige, tiefe Stimme. Hätte nicht der Boden, auf dem er lag, gezittert wie während eines Bebens, der Zauberer hätte geschworen, der Klang sei in seinem Kopf entstanden. Er war es nicht. Agyrtha hatte gesprochen, der Herr von Brndil. Langsam löste er seinen harten Griff.

Asgael stöhnte auf. Sein Leib begann, aus der Erstarrung zu erwachen. Alles schmerzte, seine Muskeln, seine Knochen, die Gelenke, Arme, Beine, der Rücken, der Kopf, besonders die gequälten, durchbohrten Handflächen. „Musst du immer noch deine Säfte durch meine Adern fließen lassen, um zu ergründen, ob du mir vertrauen darfst? Um ein Haar hättest du mich getötet!“

„Du weißt, Freund“, fauchte Agyrtha und diesmal klang seine Stimme fordernd, wie ein zorniger Windstoß, „du weißt, welche Erfahrungen unseresgleichen mit den Deinen gemacht haben. Es ist nicht mehr als recht und billig, mich zu versichern, dass du noch auf der Seite der Wahrhaftigkeit stehst und dies immer wieder und immer aufs Neue.“

„So sei es denn“, sagte Asgael und schloss demütig die Augen. Noch einmal packte Agyrtha mit all seiner Kraft zu. So stark war seine Umarmung, dass dem Alten erneut die Luft wegblieb. Schreckensweit schauten seine Augen in dunkle Unendlichkeit. Er verlor die Kontrolle über seinen Geist, seinen Körper, sein ganzes Sein. Wenig später schon hatte er die Grenze zu Agyrthas Reich überschritten und stand, wie im Traum, vor seinem gewaltigen Stamm. Vier ausgewachsene Männer, selbst, wenn sie sich an den Händen gepackt und ihre Arme gestreckt, hätten wohl nicht vermocht, das Gewächs zu umfassen. Behutsam legte der Zauberer seine Handflächen auf die glatte Rinde des Buchenbaumes. Sein Blut und Agyrthas Säfte hatten sich gemischt und pochten in seinen Adern. Die offenen Wunden schmerzten und brannten wie Feuer. Asgael rückte noch näher an den Baum heran und drückte nun auch seine nackte, behaarte Brust flach an den Stamm. In Höhe seines Gesichtes tat sich, wie es schon hunderte Male zuvor geschehen war, ein Fenster auf in der Rinde des Baumes. Der Zauberer öffnete seinen Mund einen Spalt breit, legte seine Lippen auf das blanke Holz, das ihm sein Gefährte darbot und küsste es zärtlich. Er leckte und schmeckte das Harz, roch die frische Erde, das feuchte Laub zu seinen Füßen und fühlte sich Eins mit dem uralten Gewächs. Gleichklang und tiefer Friede erfüllten seine Seele. Aller Schmerz war in diesem Moment vergessen.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?