Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt

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2.2.3 Flexible und hybride Nachfragemuster

Mit der Ausdifferenzierung von NachfragemusternNachfragemuster verbunden ist die Tatsache, dass klassische Ansätze des Massenmarketings, die lange Zeit auf den sog. „Otto Normalverbraucher“ setzten, sich mit individualisierten und multioptionalen Konsumenten konfrontiert sehen, dem sog. „Markus Möglich“. Damit kommt der Identifizierung von zumindest partiell die Konsummuster auf einer Aggregatsebene deutenden und für ein differenziertes zielgruppenspezifisches Marketing zugänglich machenden Clustern ein hoher Stellenwert zu. Die Heterogenität der Lebensentwürfe wird dabei in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in den letzten Jahren oftmals mit dem Konzept der Lebensstile (vgl. Kap. 1.2.2.2) zu fassen versucht.

Viele Ansätze zur Charakterisierung des heutigen Touristen (vgl. z. B. FREYER 2011b, S. 195) gehen auf die fünf, von POON (1993, S. 115) identifizierten folgenden Kategorien zurück:

 Größere Kompetenzgrößere Kompetenz: größere Reiseerfahrung, höheres Qualitätsbewusstsein, höhere Lernfähigkeit, Vielfalt von Interessen

 Neue WertvorstellungenWertvorstellungen und LebensstileLebensstile: vom Besitz zum Genießen, Erlebnisorientierung, hohe Emotionalität, Wunsch nach Authentizität, Gesundheits- und Umweltbewusstsein

 Veränderte sozio-demographische Voraussetzungensozio-demographische Voraussetzungen: flexible Arbeitszeiten, mehr Freizeit, demographischer Wandel, kleinere Haushalte, mehr Singles oder Paare ohne Kinder, neue Konsumentengruppen

 Verändertes KonsumverhaltenKonsumverhalten: hybrider, multioptionaler Konsument, offen für neue Technologien und Vertriebskanäle

 Suche nach IndividualitätIndividualität: Risikoorientierung, Wunsch nach Individualisierung, Bedürfnis nach Wahl- und Handlungsfreiheit, fehlende Markentreue.

Aus dem Blickwinkel der Postmoderne ist dabei darauf hinzuweisen, dass die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Lebenskonzeptionen inzwischen möglicherweise ein konstituierendes Element der postmodernen Gesellschaften darstellt. Damit bleiben eben auch in postmodern geprägten Gesellschaften Elemente traditioneller Gesellschaften erhalten (wenn auch oft in räumlichen oder gesellschaftlichen Rückzugsräumen). Für den Tourismus bedeutet dies, dass zwar einerseits neue Produkte, wie z. B. Wander- oder Fahrradtourismus nachgefragt werden, die auf eine Aktivierung der Besucher und die Generierung von Flow-Erlebnissen (vgl. Kap. 1.2.2.2) abzielen. Gleichzeitig ist nicht davon auszugehen, dass passivere Urlaubsformen, wie z. B. der klassische Badetourismus verschwinden würden. Abgesehen davon, dass Teile der Bevölkerung nach wie vor klassische fordistische Angebotsformen nachfragen, ist auch zu beobachten, dass gerade der Wechsel zwischen unterschiedlichen Tourismusangeboten auf der Individualebene ein konstituierendes Element der aktuellen touristischen Nachfrage darstellt. Dies bedeutet, dass jemand, der beim letzten Urlaub z. B. einen Wanderurlaub mit einfachen Übernachtungsoptionen unternommen hat, beim nächsten Urlaub eine städtetouristische Destination aufsucht, um dort das Kulturangebot nachzufragen und sich dabei im Hochpreissegment bewegt. Der übernächste Urlaub kann dann einer Trendsportart wie dem Kite-Surfen gewidmet sein, das in einer außereuropäischen Destination praktiziert wird.

In sehr viel geringerem Maße als früher sind Touristen damit als auf bestimmte Destinationstypen oder bestimmte Urlaubsaktivitäten fixiert anzusprechen. Die Tatsache, dass ein und derselbe Reisende unterschiedliche Urlaubsformen in unterschiedlichen Destinationstypen nachfrägt, wird aktuell oftmals versucht mit dem Begriff „Hybrider TouristHybrider Tourist“ zu fassen.

Für die Anbieter in den Destinationen bedeuten diese veränderten Nachfragemuster, dass in sehr viel geringerem Maß als in früheren Zeiten treue Wiederholungsbesucher oder Stammkunden die Nachfrage charakterisieren. Dementsprechend hat die Notwendigkeit, durch Marktkommunikationsmaßnahmen auf sich aufmerksam zu machen und sich durch Produktinnovationen im Markt zu positionieren, bzw. von den Mitbewerbern abzuheben, deutlich an Bedeutung gewonnen.

Im Kontext sich verändernder Nachfragemuster ist auch zu berücksichtigen, dass sich im Zuge des sog. Demographischen WandelsDemographischer Wandel auch die Altersstruktur der Bevölkerung verändert (vgl. Abb. 23).

Abb. 23:

Bevölkerungspyramide Deutschland 2010 und 2050 (Quelle: eigene Darstellung auf der Basis der 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes; destatis.de)

Während aktuell die Nachfrage von mittleren Altersgruppen dominiert wird, werden in den nächsten Jahrzehnten zunehmend Reisende im Rentenalter auf dem Markt präsent sein. Volumen und Art der Nachfrage von älteren Reisenden werden künftig einerseits von den gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wie Renteneintrittsalter, Höhe der Altersbezüge oder gesundheitliche Situation abhängen. Aktuell wird die Generation 60plus, die teilweise bereits vor der gesetzlichen Altersgrenze mit oftmals soliden Altersbezügen in den Ruhestand geht und damit in der aktiven Phase zwischen 60 und 75 Jahren als potente Nachfrager auf dem Reisemarkt auftreten, von vielen Anbietern und Destinationen als gern gesehene Zielgruppe umworben. Wenn sich absehbar die Zeitpunkte des Eintritts in den Ruhestand nach hinten verschieben und auch Alterskohorten in den Ruhestand eintreten, die nicht mehr mehrheitlich kontinuierliche Arbeitsbiographien mit guten Altersbezügen aufweisen, ist teilweise offen, welche Nachfragemuster realisiert werden. Einerseits ist denkbar, dass ältere Nachfrager zwar aufgrund des späteren Eintritts in den Ruhestand nicht mehr in dem Maß als aktive (Früh-) Ruheständler adressiert werden können, wie die aktuell der Fall ist. Gleichzeitig ist aber auch zu erwarten, dass angesichts späterer Ruhestandseintrittsalter die Nachfrage nach, die Arbeitskraft erhaltenden bzw. wiederherstellenden gesundheitstouristischen Angeboten zunehmen wird. Eine bislang noch nicht gemeisterte Herausforderung wird in den kommenden Jahrzehnten sicherlich auch die Schaffung von angemessenen Angeboten für Hochbetagte (über 75 Jahre) darstellen, deren Anteil an der Bevölkerung sich deutlich erhöhen wird.

Insgesamt gesehen ist unter Berücksichtigung der nachfrageseitigen Rahmenbedingungen und Tendenzen auch für die nächsten Jahrzehnte davon auszugehen, dass die touristische Angebotsgestaltung weiterhin vor wachsenden Herausforderungen steht, der touristischen Nachfrage angemessen zu begegnen.

2.3 Subjektive Rahmenbedingungen der Nachfrageseite und deren Messung

Vor dem Hintergrund der sich ausdifferenzierenden und zunehmend auch volatiler werdenden Nachfrage kommt der Identifizierung der nachfrageseitigen Erwartungshaltungen und Dispositionen als Voraussetzung für eine marktadäquate und damit auch ökonomisch erfolgreiche Angebotsgestaltung eine zunehmende Bedeutung zu. Dementsprechend ist der folgende Abschnitt den Ansätzen zur Erfassung der subjektiven Rahmenbedingungensubjektive Rahmenbedingungen auf der Nachfrageseite gewidmet.

Ausgangspunkt der Analyse von nachfrageseitigen Dispositionen ist immer die Einbeziehung der gesellschaftlichen Gesamtkonstellation. Damit stellen Wertediskussionen genauso wie Einkommensniveaus oder Wohnverhältnisse, aber auch persönliche Lebensumstände oder die mediale Kommunikation relevante Aspekte dar, die als Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Analyse der individuellen Bedürfnisse und Erwartungen mit zu berücksichtigen sind.

2.3.1 Der Reiseentscheidungsprozess

Eine der Grundvoraussetzungen für die Analyse der subjektiven Dispositionen ist ein Grundverständnis von den Abläufen im ReiseentscheidungsprozessReiseentscheidungsprozessReiseentscheidungsprozess. In der Sozialpsychologie werden unterschiedliche Phasen von Entscheidungsprozessen unterschieden, die übertragen auf den Reiseentscheidungsprozess in Abbildung 24 dargestellt sind.

Die einzelnen Phasen zeichnen sich durch eine zunehmende Konkretheit aus. Während ein Reisewunsch noch relativ diffus sein kann, werden in der Präferenzphase unter Einbeziehung zusätzlicher Informationen (aber auch der früher gemachten Erfahrungen) Urlaubsformen und mögliche Zielgebiete ins Auge gefasst. Diese werden idealtypisch vergleichend bewertet, bevor eine Entscheidung getroffen wird.

Abb. 24:

Phasen des Reiseentscheidungsprozesses (Quelle: eigener Entwurf in Anlehnung an HECKHAUSEN & GOLLWITZER 1987)

Übersetzt in die Marktkommunikation wird diese Unterteilung meist als AIDA-ModelAIDA-Model bezeichnet (vgl. z. B. FREYER 2011b, S. 207f.). Unter dem Akronym werden die vier Begriffe:

 AAIDA: Attention

 I: Interest

 D: Decision

 A: Action

verstanden, die ebenfalls an die sozialpsychologischen Entscheidungsphasen angelehnt sind, aber den Marketingblickwinkel auf die Art und Inhalte der Ansprache potentieller Reisender richten.

Während der Phase der Aufmerksamkeitsgenerierung (= Attention) sind es meist Informationen, die passiv von den potentiellen Reisenden aufgenommen werden. Abgesehen von Relevanz der Mund-zu-Mund-Propaganda durch Bekannte und Freunde (= Word of Mouth), die in Zeiten von Social Media auch über entsprechende Internetplattformen erfolgt, auf denen Reiseerfahrungen geteilt werden (= Word of Mouse), bedeutet dies für die Anbieter, dass die Information aktiv an die potentiellen Kunden herangetragen werden müssen (= Push-Marketing). Gleichzeitig liegt der Schwerpunkt der Marktkommunikation auf relativ allgemeinen Darstellungen, die insbesondere auch emotionale Komponenten enthalten und auf das Image einer Destination abzielen.

 

In der Phase des Interesses (= Interest) und der Entscheidung (= Decision) werden demgegenüber vom potentiellen Reisenden verstärkt aktiv Informationen über in Frage kommende Destinationen und die dortigen Angebote für Übernachtungen und Aktivitäten gesucht (= Pull-Marketing). Diese sollen auch einen höheren Grad an Konkretisierung aufweisen, um konkrete Vergleiche zu ermöglichen. Aber auch in diesen Phasen spielt die (in den Tourismuswissenschaften bislang nur sehr partiell analysierte) „Word of Mouth“- oder „Word of Mouse“-Information eine wichtige Rolle.

Die Herausforderung für die touristischen Leistungsträger besteht darin, einerseits intensiv und zielgruppenadäquat ein Interesse an einem touristischen Angebot durch – auch emotional geprägte – allgemeine Darstellungen zu wecken und andererseits leicht zugänglich auch konkrete Detailinformationen abrufbar zu halten. Gleichzeitig ist evident, dass es für kleinere und weniger bekannte Destinationen oftmals schwierig ist, die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten. Dementsprechend kommen dem Zusammenschluss und der Kooperation in größeren Einheiten, die leichter ein bestimmtes Maß an Bekanntheit erreichen können, im Tourismus eine entscheidende Rolle zu (vgl. Kap. 4).

2.3.2 Das Einstellungsmodell

Die Erfassung des ImagesImage einer Destination bzw. der ZufriedenheitKundenzufriedenheit mit einem touristischen Angebot folgt meist den psychologischen Ansätzen der neobehavioristischenNeobehaviorismus Schule. Dort wird ganz grundsätzlich das menschliche Handeln als Reaktion des Organismus auf externe Stimuli verstanden, weshalb dieser Ansatz oftmals auch als S-O-R-ModellS-O-R-Modell bezeichnet wird. Grundüberlegung ist, dass das Individuum externe Stimuli intern verarbeitet und dementsprechend dann darauf reagiert. Während in der Frühphase dieses Ansatzes der Informationsverarbeitungsprozess im Individuum oftmals als Black Box angesehen wurde, richten sich in den letzten Jahrzehnten die Anstrengungen vor allem darauf, eben genau diese Prozesse nachvollziehbar zu machen, um sie nicht nur zu verstehen, sondern ggf. auch beeinflussen zu können.

Dabei kommt dem EinstellungsmodellEinstellungsmodell eine zentrale Rolle zu. Die im Wesentlichen auf FISHBEIN & AJZEN (1975) zurückgehende Einstellungsforschung teilt das Konstrukt Einstellung in zwei bzw. drei Teilkomponenten auf und wird oftmals auch als Adequacy-Importance-Ansatz bezeichnet. Als erste Komponente der Einstellung wird das Maß, in dem Merkmale eines bestimmten Angebots die individuellen Bedürfnisse erfüllen (= Adequacy), angesehen. Die subjektive Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, dass ein Einstellungsgegenstand eine bestimmte Eigenschaft aufweist, wird auch als kognitive Komponentekognitive Komponente bezeichnet. Die zweite emotionaleemotionale Komponente oder motivationale Komponentemotivationale Komponente besteht in der Wichtigkeit, die einem Merkmal zugemessen wird (= Importance). Das Produkt aus beiden Komponenten wird als Einstellung im engeren Sinn verstanden (vgl. Abb. 25). Da meist mehrere Attribute/Eigenschaften von Angeboten berücksichtigt werden, wird als Einstellung die Summe der Produkte aus den einzelnen Teilattributen verstanden. Dementsprechend wird auch von mehrdimensionalen oder multiattributiven Einstellungskonzeptenmultiattributive Einstellungskonzepte gesprochen.

Abb. 25:

Das neobehavoristische Konstrukt Einstellung (Quelle: eigener Entwurf in Anlehnung an FISHBEIN & AJZEN 1975)

Neben der kognitiven und der emotionalen Komponente wird für die Einstellung im weiteren Sinn als dritte Komponente noch eine Verhaltensintention (konative Komponente) mit aufgenommen. Eine Reaktion auf Stimuli bzw. ein konkretes Verhalten (z. B. Reiseentscheidung) wird neben der Einstellung auch noch von weiteren antizipierbaren und nicht antizipierbaren Einflussgrößen mit beeinflusst. Bei der Analyse von Reiseentscheidungen sind damit neben der Einstellung auch weitere Einflussgrößen mit zu berücksichtigen.

Der Begriff Einstellung wird meist synonym mit den Begriffen Image oder (Kunden-)Zufriedenheit verwendet.

BAMBERG & SCHMIDT (1993) haben das Einstellungsmodell noch um die Komponenten „normative Überzeugung“ und „Kontrollüberzeugung“ erweitert, mit denen Werte und Normen des Individuums sowie die in der Peer-Gruppe relevanten Normen und Wertvorstellungen bezeichnet werden. Normative und Kontrollüberzeugung werden (wie antizipierbare Situationsvariablen) als ebenfalls verhaltensrelevant angesehen. Insbesondere unter dem Blickwinkel auf dem Nachhaltigkeitsparadigma verpflichteten Reiseaktivitäten kommt den Wertvorstellungen des Individuums bzw. den unterstellten Reaktionen des Umfeldes auf ein konkretes Reiseverhalten des Individuums (z. B. interkontinentale Flugreise; vgl. Kap. 5.2) eine analytische Relevanz zu. Das Gesamtkonstrukt wird als „Theory of Planned Behavior“Theory of Planned Behavior (Theorie des geplanten Verhaltens) bezeichnet.

2.3.3 Das GAP-Modell

Mit dem Einstellungsmodell lässt sich die Kundenzufriedenheit als Verhältnis zwischen erwartetem und erlebtem Service abbilden. Daran anknüpfend versucht das auf PARASURAMAN, ZEITHAMEL & BERRY (1985) zurückgehende GAP-ModellGAP-Modell zu identifizieren, an welchen Stellen im Erstellungsprozess einer Dienstleistung (Reise) Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit (als Gap zwischen erwartetem und erlebtem Service) entstehen kann (vgl. Abb. 26, „GAP“ = Lücke, Diskrepanz). Mit diesem Modell werden, aufbauend auf dem Einstellungsmodell, Grundlagen für eine Problemanalyse bzw. Optimierungsansätze geschaffen mit dem Ziel, die Kundenzufriedenheit zu optimieren.

Abb. 26:

Das GAP-Modell (Quelle: eigener Entwurf nach PARASURAMAN, ZEITHAMEL & BERRY 1985)

Ausgangspunkt ist

 GAP 5GAP 5: Der Unterschied zwischen dem erwarteten Service und dem erlebten Service auf der Kundenseite. Eine solche Differenz kann (unabhängig davon, ob die Kundenerwartungen überhaupt angemessen sind) angebotsseitig entstehen durch

 GAP 1GAP 1: wenn das Management keine adäquaten Vorstellungen von den Kundenbedürfnissen besitzt;

 GAP 2GAP 2: die Vorstellungen von den Kundenerwartungen nicht entsprechend innerhalb des Unternehmens (oder der touristischen Servicekette) an das Personal im Kundenkontakt kommuniziert werden;

 GAP 3GAP3: die unternehmensseitig formulierten Normen für die Servicequalität nicht entsprechend umgesetzt werden;

 GAP 4GAP4: in der Marktkommunikation der versprochene Service nicht dem realiter dann auch geleisteten Service entspricht.

Von PARASURAMAN, ZEITHAMEL & BERRY (1988) wurden die einzelnen Aspekte der Servicequalität (in Anlehnung an das multiattributive Einstellungsmodell) weiter unterschieden.

Sie formulierten fünf Hauptdimensionen, die noch heute in vielen Analysen Verwendung finden und die als SERVQUAL-Ansatz bezeichnet werden, der die relevanten Dimensionen der Servicequalität zu erfassen sucht:

 ReliabilityReliability: zuverlässige und korrekte Erbringung der Dienstleistung (Zuverlässigkeit)

 AssuranceAssurance: höfliches, kompetentes und sicheres Auftreten (Leistungs- und Fachkompetenz)

 TangiblesTangibles: äußeres Erscheinungsbild (materielles Umfeld)

 EmpathyEmpathy: Einfühlungsvermögen der Mitarbeiter

 ResponsivenessResponsiveness: schnelle, aktive und kompetente Reaktion dem Kunden gegenüber (Entgegenkommen).

2.3.4 Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren

Das GAP-Modell und der SERVQUAL-Ansatz wurden aufbauend auf dem Einstellungsmodell entwickelt, um die Aspekte zu identifizieren, die zu Kundenzufriedenheit führen können. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie relevant die einzelnen Aspekte sind. Für die Kunden können (Stichwort Anspruchsinflation) letztendlich sehr viele Elemente der Servicequalität wünschenswert sein. Aus Unternehmenssicht gilt es, unter dem Blickwinkel einer möglichst effizienten Generierung von Kundenzufriedenheit, diejenigen Aspekte zu identifizieren, die in besonderem Maß hierzu beitragen.

Von KANO (1995) wurde mit dieser Zielsetzung das sog. Kano-ModellKano-Modell entwickelt, das (ähnlich wie bei der MASLOW’schen Bedürfnispyramide; vgl. Kap. 1.2.2.2) zwischen Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren unterscheidet (vgl. Abb. 27).

 BasisfaktorenBasisfaktoren stellen dabei einen implizit vorausgesetzten Basisnutzen voraus. Dies kann z. B. die Tatsache sein, dass ein reserviertes Hotelzimmer bei Anreise dann auch wirklich verfügbar ist. Basisfaktoren stellen eine Art Markteintrittsschwelle dar. Ihr Vorhandensein bzw. ihre Erfüllung führt nicht zu Kundenzufriedenheit, da die Erfüllung eben vorausgesetzt wird. Umgekehrt resultiert die Nichterfüllung bzw. das Fehlen von solchen Basisfaktoren in Unzufriedenheit.

 LeistungsfaktorenLeistungsfaktoren sind erwartete oder erwünschte Nutzen oder Leistungen. In einem Hotel kann dies z. B. eine gute Erreichbarkeit oder ein umfangreiches Frühstücksbuffet sein. Eine gute Servicequalität führt hier auch zu einer Zunahme der Kundenzufriedenheit, genauso wie das Fehlen wiederum zu Unzufriedenheit führt.

 BegeisterungsfaktorenBegeisterungsfaktoren werden vom Kunden normalerweise nicht erwartet. Zu unerwarteten Leistungen kann z. B. zählen, wenn auf dem Hotelzimmer ein Früchtekorb oder ein Bademantel zur Benutzung durch den Hotelgast offeriert wird. Fehlt eine solche Leistung, führt dies – da sie ja nicht erwartet wird – nicht zu Unzufriedenheit. Umgekehrt wird das Vorhandensein mit Zufriedenheit honoriert (vgl. Abb. 27).

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass sich das Konstrukt Kundenzufriedenheit durch zeitliche Dynamik und individuelle Nutzenerwartung der Kunden auszeichnet. Hier spielen neben gesellschaftlichen Wandlungsprozessen vor allem der Erfahrungszuwachs und die dadurch veränderten individuellen Erwartungshaltungen eine Rolle (vgl. Kap. 2.2). So können im Laufe der Zeit Begeisterungsfaktoren zu Leistungs- und später auch zu Basisfaktoren „degradieren“. Illustriert sei dies nochmals am Beispiel eines umfassenden Frühstücksbuffets. Wurde dieses vor einigen Jahrzehnten noch nicht erwartet und stellte somit bei Vorhandensein einen Begeisterungsfaktor dar, gehört es inzwischen zum Standard, und Kundenzufriedenheit kann nur durch ein möglichst umfassendes und differenziertes Buffet mit hochwertigen Produkten generiert werden. Denkbar ist, dass es künftig irgendwann dann zum Basisfaktor wird, mit dem keine zusätzliche Kundenzufriedenheit mehr geschaffen werden kann.

Abb. 27:

Basis- Leistungs- und Begeisterungsfaktoren und deren Einfluss auf die Kundenzufriedenheit (Quelle: eigener Entwurf nach PECHLANER, SMERAL & MATZLER 2002, S. 19)

Operationalisiert wird die Zugehörigkeit zu Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren zumeist durch den Vergleich der explizit abgefragten Wichtigkeit (= emotionale Komponente der Einstellung) mit der impliziten Wichtigkeit. Implizite Wichtigkeit wird als Beitrag des entsprechenden Items zur Gesamtzufriedenheit verstanden, die üblicherweise mittels einer Regressionsanalyse berechnet wird (genau z. B. bei KAGERMEIER 2006).

Für die Darstellung wird häufig das sog. Importance GridImportance Grid gewählt. Bei diesem werden die Bezüge zwischen expliziter und impliziter Wichtigkeit für die einzelnen Items in vier Quadranten dargestellt (vgl. Abb. 28). Für die Analyse werden die Ergebnisse für die einzelnen Items in die Quadranten eingetragen. Dabei bilden die beiden Mittelwerte aller Itemmittelwerte meist die Achsenschnittpunkte.

 

Abb. 28:

Importance Grid (Quelle: eigener Entwurf nach MATZLER 2000, S. 301)

Eine beispielhafte Darstellung findet sich in Abbildung 29. Die dargestellten Werte stammen aus einer Erhebung in einer industriekulturtouristischen Einrichtung (Zeche Zollern in Dortmund). Festzuhalten ist an diesem Fallbeispiel, dass zum einen keine klaren Begeisterungsfaktoren identifiziert werden konnten. Die Leistungsfaktoren werden stark von der Art der museumsdidaktischen Aufbereitung („Architektur“, „übersichtliche Anordnung der Objekte“, „stimmige Atmosphäre“ und „in Vergangenheit zurückversetzen“) geprägt.

Nicht weiter eingegangen werden soll an dieser Stelle auf den nächsten Analyseschritt, der in einer ähnlichen Darstellungsweise wie das Importance Grid die beiden Wertebereiche für die Zufriedenheit und die explizite Wichtigkeit darstellt und als „HandlungsrelevanzmatrixHandlungsrelevanzmatrix“ bezeichnet wird. Niedrige Zufriedenheiten und hohe Wichtigkeiten signalisieren bei dieser Darstellungsform die Aspekte mit hohem Handlungsbedarf (vgl. Abb. 107 in Kap. 6.4).

Abb. 29:

Beispiel für das Ergebnis eines Importance Grid (Quelle: KAGERMEIER 2006, S. 301)

Neben den ausführlich dargestellten multiattributiven Verfahren zur Messung von Kundenzufriedenheit existieren eine Reihe weiterer Verfahren. Diese sind überblicksartig in Abbildung 30 wiedergegeben. Dabei wird grundsätzlich unterschieden zwischen den sog. „objektiven Messansätzenobjektive Messansätze, bei denen aus „Expertensicht“ – und damit vermeintlich objektiv – versucht wird, die Servicequalität zu erfassen. Neben strukturierten Beobachtungen kommt dabei oftmals auch das „Silent Shopping“ oder „Mystery Guest“ genannte Verfahren zum Einsatz. Bei diesem durchläuft ein Testbesucher den gesamten Kundenpfad und dokumentiert strukturiert Stärken und Schwächen an den einzelnen Kundenkontaktpunkten. Dieses Verfahren kommt auch bei Qualitätsmanagementansätzen zu Einsatz. So wird es (ab Stufe II) bei der Initiative „ServiceQualität Deutschland“ des Deutschen Tourismusverband (DTV 2015) eingesetzt, bei der im Zuge der Zertifizierung von touristischen Angeboten die dortige Servicequalität gemessen wird (vgl. Abb. 91 in Kap 6.2). Das in Deutschland eingesetzte Verfahren lehnt sich stark an das früher entwickelte „Qualitätsgütesiegel für den Schweizer Tourismus“ an, das vom „Schweizer Tourismusverband“ (STV/FST 2015) getragen wird.

Hinsichtlich der Zahl der unterschiedlichen Verfahren und auch der Verbreitung bei der Analyse von Kundenzufriedenheit dominieren eindeutig die sog. „subjektiven Messansätzesubjektive Messansätze“. Diese setzen beim Kunden und dessen subjektiver Sichtweise an. Der hier ausführlicher behandelte und bei weitem am weitesten verbreitete Ansatz entspricht in der Systematik den „multiattributiven Modellen“ multiattributive Modelle in der Rubrik „merkmalsorientierte Verfahren“ der „subjektiven Messansätze“. Weitere subjektive Messansätze sind insbesondere die „ereignisorientierten Verfahren“,ereignisorientierte Verfahren bei denen der Fokus nicht auf einzelnen Eigenschaften (Items) der Servicequalität liegt, sondern im Wesentlichen dem Kundenpfad, d. h. den einzelnen Kontaktpunkten folgt. Dabei werden neben quantitativen Verfahren wie der (stark an den multiattributiven Modellen angelehnte, aber eben am Kundenpfad orientierten) „sequentiellen Ereignismethode“ oftmals qualitative Verfahren wie „Story Telling“ oder auch die „Critical Incident Technique“ eingesetzt. Bei diesen werden entweder frei die Erfahrungen sequentiell berichtet oder es wird gezielt auch nach Problemen und Schwachstellen gefragt. Ähnlich gehen die „problemorientierten Verfahren“ problemorientiere Verfahren vor, bei denen meist die Beschwerdeanalyse (sei es eingegangene Beschwerden oder auch aktiv abgerufene potentielle Beschwerdeanlässe) eingesetzt wird (genauer bei KAGERMEIER 2006).

Abb. 30:

Kundenorientierte Ansätze zur Messung von Zufriedenheit (Quelle: eigener Entwurf nach KAISER 2002, S. 106)

Die Ansätze zur Erfassung der Kundenzufriedenheit sind insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass diese nicht einfach oder direkt zu messen ist. Daher versuchen alle Ansätze, sich dem Konstrukt „Kundenzufriedenheit“ indirekt zu nähern. Insgesamt gesehen hat die Kundenzufriedenheitsforschung im Tourismus in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen, da sie eine zentrale Grundvoraussetzung für darauf aufbauende QualitätsmanagementansätzeQualitätsmanagement darstellt. Vor dem Hintergrund der steigenden und sich permanent verändernden Bedürfnisse der Reisenden sowie angesichts sich akzentuierender Wettbewerbskonstellationen wird deren Bedeutung sicherlich auch künftig noch zunehmen. Bis Ende des 20. Jahrhunderts kamen dabei vor allem multiattributive Modelle zum Einsatz. Da diese aber bezüglich der Möglichkeiten zur Erfassung der Detailliertheit und Differenziertheit von Kundenerfahrungen klare Grenzen aufweisen und oftmals nur stark generalisierte Befunde liefern, zeichnet sich inzwischen ab, dass künftig neben den sog. objektiven Messansätzen auch stärker ereignisorientierte und problemorientierte Verfahren zum Einsatz kommen werden, auch wenn diese oftmals zu keinen so klar standardisierten und quantifizierbaren Befunden führen.

Zusammenfassung

 In diesem Kapitel wurde zunächst die quantitative Entwicklung der touristischen Nachfrage vorgestellt und die dafür relevanten Hintergrunddimensionen angesprochen.

 Gleichzeitig sollte ein Verständnis dafür geweckt werden, dass sich die touristische Nachfrage kontinuierlich ausdifferenziert und komplexer wird. Damit besteht für die Anbieterseite die Herausforderung darin, die Kundenwünsche nicht nur zu erfassen, sondern auch entsprechende Trends frühzeitig zu antizipieren.

 Entsprechend der Relevanz der Erfassung von Kundenzufriedenheit wurde im dritten Abschnitt des Kapitels auf Ansätze zur Messung von Kundenzufriedenheit eingegangen. Diese wurde als sozialpsychologisches Konstrukt eingeführt und exemplarisch die multiattributiven Ansätze zur Messung von Kundenzufriedenheit beim Subjekt des Kunden genauer besprochen.

Weiterführende Lesetipps

KAISER, Marc-Oliver (2002): Erfolgsfaktor Kundenzufriedenheit. Dimensionen und Messmöglichkeiten. Berlin

Eine umfassende Einführung in die unterschiedlichen Konzepte und Ansätze zur Erfassung und Messung der Kundenzufriedenheit.

Wichtige Datenquellen für grundlegende quantitative Angaben zur touristischen Nachfrage:

FUR (= Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen): Reiseanalyse. Kiel

Jährlich erscheinende Publikation mit Basisinformationen zur Struktur und Entwicklung des deutschen Urlaubsreisemarktes auf der Basis einer als repräsentativ geltenden Befragung bei der deutschen Wohnbevölkerung. Wichtigste Quelle für länger zurückreichende Zeitreihen zur touristischen Nachfrage. Erhebung zu Jahresbeginn retrospektiv für das zurückliegende Jahr. Erscheint im Herbst mit den Daten für das zurückliegende Jahr. Vorstellung erster Ergebnisse im März auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin (ITB) bzw. auf anderen Tourismusbörsen. www.fur.de

UNWTO (United Nations World Tourism Organization): Yearbook of Tourism Statistics. Madrid

Jahrbuch mit Angaben zu Einreisen und Übernachtungen weltweit und differenziert nach jedem Land. www.unwto.org

Statistisches Bundesamt: Tourismus. Wiesbaden

Angaben zu Ankünften und Übernachtungen im gewerblichen Beherbergungswesen der Bundesrepublik Deutschland differenziert nach unterschiedlichen Parametern. www.destatis.de

Europäische Kommission, Eurostat: Tourismus. Luxembourg

Neben Angaben zu Ankünften und Übernachtungen im gewerblichen Beherbergungswesen der EU-Länder (auch weiter regional differenziert) werden auch Angaben über die Reiseteilnahme von EU-Bürgern veröffentlicht. Dabei auch eine Vielzahl von kartographischen Darstellungen auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen verfügbar. ec.europa.eu/eurostat/de