Transkulturelle Kommunikation

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[50]Trotz solcher Einschränkungen erscheinen jedoch einige Überlegungen aus der Diskussion um eine globale Informationsökonomie hilfreich für unser Verständnis der globalen Kommerzialisierung der Medien. Nach Carnoy et al. ist für den Wandel der letzten Jahrzehnte weniger spezifisch, dass die Welt als Gesamt Handelsmarkt nationaler Ökonomien ist. Spezifisch ist vielmehr, dass nationale Ökonomien jetzt als »Einheiten einer weltweiten Skala in Echtzeit« (Carnoy et al. 1993: 6) arbeiten. In diesem globalen Interdependenzgeflecht fließen Kapital, bestehen Arbeits- und Warenmärkte, sind Management und Organisationen umfassend und wechselseitig aufeinander bezogen institutionalisiert. Wir können also sagen, dass mit der globalen Kommerzialisierung der Medien eine weitere Ebene von Ökonomie in den verschiedenen Medienlandschaften entstanden ist. Medien sind allerdings nicht nur wichtig, wo sie selbst Gegenstand der Ökonomie sind. Darüber hinaus wird es für die einzelnen Unternehmen zentral, Informationen und Wissen zu empfangen, aufzubewahren und zu verarbeiten, wenn sie erfolgreich in globalisierten Märkten handeln wollen (Castells 1994: 21). Medien werden so wichtig für die wirtschaftliche Globalisierung überhaupt. Dafür ist der Finanzkapitalismus ein anschauliches Beispiel. Wie die Wissenssoziologin Karin Knorr-Cetina (2012) herausgearbeitet hat, basiert der globale Finanzhandel auf dem, was sie »skopische Medien« nennt, den fließenden visuellen Repräsentationen auf den Computersystemen der Börsen. Diese machen erst globale Finanzmärkte und ihre Angebote als solche erfahrbar. Der globale Finanzkapitalismus ist demnach selbst ein umfassend mediatisiertes Phänomen, und gerade das wirtschaftliche Interesse von global agierenden Finanzkonzernen hat die erheblichen Finanzinvestitionen in den Aufbau entsprechender Kommunikationsinfrastrukturen mitgetragen.

Gleichzeitig hat sich das, was global gehandelt wird, nachhaltig geändert. Neben den genannten Finanzdienstleistungen spielen sicherlich traditionelle Industrieprodukte nach wie vor eine wichtige Rolle. Betrachtet man jedoch die expandierenden Bereiche, so lässt sich ein erheblicher Relevanzgewinn von Informations-, Medienund Kulturprodukten ausmachen. Folgt man hier dem »Creative Economy Report 2010« der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD 2010: 126), betrugen im Jahr 2008 die Weltexporte aller Kreativindustrien über 592 Milliarden US-Dollar, wobei knapp 407 Milliarden auf Güter und 185 Milliarden auf Dienste entfielen. Legt man an dieser Stelle einen engeren Begriff der Kommunikationsprodukte der »alten« und »neuen« Medien inklusive der Werbung an und schließt damit beispielsweise Designprodukte und visuelle Kunst aus, betrugen die Exporte im selben Jahr noch über 131 Milliarden US-Dollar. Dahinter stehen im Vergleich 2003 bis 2008 Gesamtwachstumsraten von 14,4 Prozent. Und auch da, wo es um die Produktion von klassischen Industrieprodukten wie beispielsweise Autos geht, steht in Forschung und Entwicklung neben der Funktionalität und Effizienz des Produkts das Design im Vordergrund (vgl. Lash/Urry 1994: 4; nach UNCTAD 2010: 15 betrug im Jahr 2008 der Weltexport im Bereich von Designprodukten knapp 242 Milliarden [51]US-Dollar). Bedeutungsaspekte von Design werden wiederum transkulturell durch Medien kommuniziert.

In einem solchen Sinne lässt sich argumentieren, dass die heutige globale Kommerzialisierung der Medien von den Vorstellungen abweicht, wie sie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer (1988) als Begründer der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule mit der »Kulturindustrie« in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbanden (siehe Lash/Lury 2007: 4–15): Gehandelt werden weniger einzelne Waren, sondern »Marken«. In Bezug auf diese können sehr unterschiedliche (und auch kulturell angepasste) Angebote entstehen, was wiederum neue Differenzen schafft, die kommerziell gesehen zusätzliche Wertschöpfungen ermöglichen. Damit hängt zusammen, dass im Fokus der gegenwärtigen Produktion weniger singuläre Repräsentationen (der einzelne Film, das einzelne Buch usw.) stehen, sondern eine Ansammlung von Angeboten und Diensten, die sich um die jeweilige »Marke« herum gruppieren und die auch als materielle Medienobjekte (Spielzeugfiguren, Modeartikel usw.) unser Alltagsleben durchziehen.

Pointiert formuliert fasst der Ausdruck der globalen Medienkommerzialisierung, dass sich in verschiedenen Regionen der Welt ein Verständnis von Medien etabliert, wonach diese (auch) kommerzielle Waren sind. Auf dieser Basis werden Medien als Inhalte und Technologien nationale Grenzen überschreitend gehandelt. Im Rahmen dieses basalen Grundverständnisses bestehen allerdings erhebliche Unterschiede, wie sich eine solche globale Kommerzialisierung der Medien jeweils konkretisiert. Dies macht eine exemplarische Betrachtung von China und Russland deutlich. Beide Länder sind insofern interessante Beispiele, als in ihnen Medien lange Zeit nicht als Ware, sondern als »Sprachrohr der Partei« galten, und sich spätestens seit den 1990er-Jahren auch dort eine Kommerzialisierung abzeichnet, die gleichwohl sehr unterschiedlich verläuft.

Bezogen auf China hat der Kommunikationsforscher Dan Schiller argumentiert, dass wir die dortigen Veränderungen in einem weitergehenden Rahmen sehen müssen. Wir sind mit einer »strukturellen Rekonfiguration des transnationalen Kapitalismus konfrontiert, mit dem Chinas Aufstieg hochgradig verflochten ist« (Schiller 2005: 86). Diese Formulierung weist darauf hin, dass die Etablierung einer heutigen Kommerzialisierung der Medien einerseits die Möglichkeiten günstiger Produktion in China einschließt. Andererseits müssen wir die Veränderungen in China selbst in diesem Zusammenhang einordnen. Detailliert wurde dies von Yuezhi Zhao aufgearbeitet. Hierbei kann sie zeigen, dass die chinesische Regierung seit den 1970er-Jahren in sehr unterschiedlichen Bereichen von Medien und Kommunikation Marktmodelle eingeführt hat, um so an der globalen Kommerzialisierung und den dabei erwarteten Gewinnen partizipieren zu können. In diesem Zusammenhang sind die Kooperationen mit der International Data Group oder der News Corporation und anderen global agierenden Medienkonzernen zu nennen. Zhao geht an dieser Stelle so weit zu argumentieren, dass selbst in China neoliberale Ideen und Vorstellungen des Marktes [52]Referenzpunkt der Diskussion gewesen sind (Zhao 2008: 26). Dies heißt umgekehrt aber nicht, dass der Staat bzw. die chinesische kommunistische Partei ihre Rolle als regulativer Akteur aufgegeben hätte. Im Gegenteil: Seit den Protesten auf dem Tiananmen-Platz bzw. dem Zusammenbruch der UdSSR nahmen die regulativen Anstrengungen weiter zu, weswegen Yuezhi Zhao von einer »parteikontrollierten Medienkommerzialisierung« (Zhao 2012: 158) spricht. Diese Parteikontrolle wird über medienbezogene moralische Paniken legitimiert. Die Beispiele, die Zhao hier anführt, sind die Legitimation der Regulation von Internetcafés und von Internetinhalten über moralische Paniken nach einem tödlichen Brand in einem nicht registrierten Pekinger Internetcafé sowie in Bezug auf Glücksspiel und Pornografie im Internet (Zhao 2008: 32 f.). Das Argumentationsmuster dabei ist, dass der Staat bzw. die Partei als Regulator notwendig ist, um problematische Seiten der Kommerzialisierung zu verhindern. Dabei stehen die kommerziellen Interessen global agierender Medienkonzerne dieser Form der Regulation von Inhalten nicht im Wege. Beide vertragen sich vielmehr: Um in China aktiv zu werden, akzeptieren selbst Unternehmen wie die News Corporation die bestehenden Zensurinteressen (Zhao 2008: 42). Eine Ausnahme war in Teilen allenfalls GOOGLE, das zwar über Jahre die eigene Suchmaschine selbst zensierte, um in China Fuß fassen zu können. Im Jahr 2010 zog sich das Unternehmen dann aber aufgrund eines der chinesischen Regierung zugeschriebenen Hackerangriffs aus dem chinesischen Suchmaschinenmarkt zurück. In anderen Bereichen wie Kartendiensten hat GOOGLE aber nach wie vor eine wichtige Stellung in China (Levy 2012: 398–400) – und die weitere Zurückhaltung wird bereits 2012 wieder in Frage gestellt (Efrati/Chao 2012).

Anders gelagert, aber im Hinblick auf die globale Medienkommerzialisierung ebenso charakteristisch, ist der Fall der ehemaligen UdSSR bzw. des heutigen Russlands. Aufschlussreich sind diesbezüglich die Analysen von Olessia Koltsova (2006, 2008). Sie zeigt detailliert auf, dass wir bezogen auf Medien und Kommunikation den Wandel im postsozialistischen Russland in zwei Phasen einordnen können. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR gab es eine Phase geringer staatlicher Regulation, in der sich von ihr so bezeichnete »Institutionen-übergreifende Gruppen« (Koltsova 2008: 58) als zentrale Akteure etablierten. Diese zum Teil nicht-legalen Gruppen um einzelne Oligarchen unterhielten eigene Medienkonglomerate, von denen das bekannteste Media-MOST mit der ersten und erfolgreichsten nicht-staatlichen, gesamtrussischen Fernsehanstalt NTV gewesen ist. In Abgrenzung zu den vorherigen sowjetischen Medien agierten diese Medienkonglomerate als kommerzielle Unternehmungen, wobei deren Finanzressourcen allerdings nur zu 30 Prozent aus »legitimen Quellen« (Koltsova 2008: 60) stammten, die anderen 70 Prozent von »versteckten Machtakteuren, die Medien zum Führen politischer Auseinandersetzungen nutzen« (Koltsova 2008: 60). In dieser Zeit der »sogenannten Medienkriege« (Roudakova 2012: 260) gab es einen staatlich nicht weiter regulierten Fluss verschiedenster Medienprodukte nach Russland, gleichzeitig aber keine weitergehenden ausländischen Investitionen[53] im Bereich der Medien. Seit 1999 mit dem Machtantritt Putins – erst als Ministerpräsident (1999 bis 2000), dann als Präsident (2000 bis 2004) – agierte der Staat wieder direktiver, bis hin zu einer Quasi-Verstaatlichung der nationalen Fernsehsender von Media-MOST. Die aktuelle staatliche Position wird vor allem durch drei Maßnahmen gesichert, nämlich erstens durch eine Zentralisierung, zweitens eine Standardisierung der Organisationsstruktur und drittens eine selektive Isolation vor globalen Einflüssen (Koltsova 2008: 62). Auch wenn so die regulative Stellung des russischen Staates wieder zugenommen hat, gibt es an einem Punkt keine Veränderung: Es dominiert die Auffassung, dass Medien in ihrem umfassenden Sinne kommerzielle Güter sind.

 

Diese beiden Beispiele führen uns plastisch vor Augen, was unter der eingangs formulierten Aussage zu verstehen ist, dass wir die globale Kommerzialisierung der Medien nicht als eine zufällige Entwicklung beschreiben können. Vielmehr ist sie das Ergebnis des Ineinandergreifens verschiedener staatlicher wie nicht-staatlicher Akteure. Historisch reicht die Kommerzialisierung weit ins 19. Jahrhundert zurück, die Zeit eines rasanten Ausbaus von Verkehrs- und Kommunikationsnetzen (Osterhammel 2011: 1012–1028; siehe auch Mattelart 1999). Beschleunigt hat sich die globale Kommerzialisierung der Medien gleichwohl seit den 1990er-Jahren, wobei sie von global agierenden Medienkonzernen gefordert und insbesondere von den USA vorangetrieben wurde. Wir haben es hier mit einem komplexen Prozess der politischen Transformation von Regulation zu tun, dessen Vision eine primäre Regulation über Märkte ist: »Free trade in communication« (Thussu 2006: 67) wurde mit der Open-skies-Politik seit der Reagan-Administration zum erklärten Ziel medien- und kommunikationspolitischen Agierens vor allem der USA. Nach einem solchen Verständnis sind Medien im weitesten Sinne des Wortes als Waren wie andere auch zu begreifen. Sie sollten keinen spezifischen Beschränkungen unterliegen. Dies widerspricht beispielsweise europäischen Vorstellungen, wonach Medien nicht nur »Waren«, sondern ebenso (im Interesse einer kulturellen Vielfalt zu fördernde) »Kulturprodukte« sind.

Solche Auseinandersetzungen um die Form der Regulation von Medien- und Kommunikation können anhand der Kontroversen um GATT, GATS, TRIPS (siehe hierzu Grant 2011: 341–343, auf den im Weiteren Bezug genommen wird) und jüngst ACTA festgemacht werden. Der im Jahr 1947 unterschriebene GATT-Vertrag (General Agreement on Tariffs and Trade, dt. Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) ist ein Abkommen zur Regelung des internationalen Handels von Waren. Hierbei wurden vor allem drei Prinzipien festgeschrieben: erstens das Prinzip der Zollreduktion (»tariff reduction«, Reduktion von Einfuhrzöllen auf den Import von Gütern), zweitens das Meistbegünstigungsprinzip (»most favoured nation«, Handelsvorteile, die einem Vertragspartner gewährt werden, müssen für alle anderen Vertragspartner gelten) und drittens das Prinzip der Inländerbehandlung (»national treatment«, ausländische Anbieter dürfen nicht anders behandelt werden als inländische). [54]Hinter diesen Prinzipien stand die Theorie des »komparativen Vorteils« im Weltwirtschaftssystem (Grant 2011: 341). Danach sollte sich jedes Land auf die Produktion und den Export bestimmter Güter spezialisieren, die es im Vergleich zu anderen Ländern besser und günstiger produzieren kann, um durch den Erlös die Güter zu importieren, deren Eigenproduktion im Vergleich zu anderen Ländern weniger konkurrenzfähig wäre. Die Vorstellung war, dass durch eine solche Spezialisierung der Vorteil für alle Länder der Größte sein würde – »free trade« also allen zu einem besseren Lebensstandard verhilft. Aus Sicht der US-amerikanischen Regierung sind diese Vorstellungen uneingeschränkt auf Medien anzuwenden. Bereits bei der ursprünglichen Formulierung des GATS-Vertrags gab es aber auch davon abweichende Positionen. Auf Betreiben europäischer Staaten wurden in Einschränkung des Prinzips der Inländerbehandlung Quoten für inländische Filme zugelassen (Artikel IV, »special provisions relating to cinematograph films«). Fragen von Kultur spielten daneben dahingehend eine Rolle, dass Ausnahmen von den Prinzipien des Vertrags zum Schutz der öffentlichen Moral und bei nationalen Kunstschätzen möglich sind (Artikel XX, »necessary to protect public morals«, »imposed for the protection of national treasures of artistic, historic or archaeological value«). Dieser GATT-Vertrag gilt bis heute als Grundlage des freien Handels mit kulturellen Waren wie Büchern, Zeitschriften, Musikaufnahmen oder Filmen.

Eine solche Position wurde in den 1990er-Jahren weiter durch die Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen gefestigt. An deren Ende stand die Schaffung der World Trade Organisation (WTO) am 1. Januar 1995 als Dachorganisation der Verträge GATT, GATS und TRIPS. Erklärtes Ziel der WTO ist die Privatisierung und Liberalisierung auf nahezu allen Ebenen des Handels – auch des Handels mit Medienprodukten (vgl. WTO 1998: 38 f.). Während der erste GATT-Vertrag von 1947 ausschließlich ein multilaterales Abkommen der Regelung des internationalen Handels war, ist die WTO eine intergouvernementale Organisation mit einem eigenen Sekretariat. Ein Ziel dabei ist nicht nur der durch einen zweiten GATT-Vertrag (GATT 1994) bestätigte und durch Erläuterungen weiter konkretisierte freie Handel mit Waren, wie er bereits im ersten GATT-Vertrag (GATT 1947) formuliert war. Hinzu kommt als zweiter Baustein des Vertragswerks der WTO das »General Agreement on Trade and Services« (GATS, dt. »Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen«). Kernprinzipien des GATS sind wiederum die Meistbegünstigung und die Inländerbehandlung, die nun aber auf den Handel mit Dienstleistungen übertragen werden. Aufgrund von unüberbrückbaren Positionsunterschieden zwischen Europa (das eine Ausnahme im kulturellen Bereich einforderte) und den USA macht der GATS keine Aussage zu kulturellen Dienstleistungen. Gleichwohl können nach diesem Vertragswerk die WTO-Mitgliedsstaaten selbst bestimmen, welche Dienstleistungsbereiche sie wann für den Markt öffnen. Als dritter WTO-Baustein ist das »Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights« (TRIPS, dt. »Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen[55] Eigentum«) anzusehen. Dieses regelt den Handel bezogen auf Urheberrecht, Markenrecht und Patente. Wiederum sind Inländerbehandlung und Meistbegünstigungsklausel die zentralen Prinzipien des Vertragswerks. Von besonderer Aktualität ist TRIPS durch die Diskussion um das »Anti-Counterfeiting Trade Agreement« (ACTA, dt. »Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen«). Dessen Zweck ist die Spezifizierung der im TRIPS-Abkommen beschlossenen Vereinbarungen, womit sich die Vertragsparteien zusätzlich verpflichten sollen, diese auch durchzusetzen. Vorgespräche zu diesem Abkommen begannen 2006, die eigentlichen Verhandlungen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen 2008 und 2010 in zwölf Verhandlungsrunden statt. Beteiligt waren an diesen neben der EU u. a. Australien, Japan, Jordanien, Kanada, Marokko, Mexiko, Neuseeland, die Schweiz, Singapur, Südkorea, die USA sowie die Vereinigten Arabischen Emirate. Bei dem Abkommen geht es u. a. um die Definition von Standards zur Sicherung des geistigen Eigentums im Internet. Dies schließt beispielsweise die Möglichkeit ein, dass Behörden Onlineanbieter dazu zwingen können, Informationen zur Verfügung zu stellen, anhand derer Rechteverletzer identifiziert werden können. In der Folge kam es insbesondere in Europa 2011 bzw. 2012 zu erheblichen, von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteuren getragenen Protesten gegen ACTA, was im Juli 2012 zu einer Ablehnung von ACTA durch das europäische Parlament führte.

Es besteht an dieser Stelle nicht der Raum, die Rolle der WTO, ihrer Vertragswerke und der Auseinandersetzung um diese detailliert zu analysieren (siehe allgemein in Bezug auf die Transformation von Nationalstaaten Sassen 2008, speziell bezogen auf Fragen von Medienkommunikation Voon 2011). Was die wenigen hier angerissenen Aspekte allerdings deutlich gemacht haben, ist die Ambivalenz eines »free trade in communication«: Auf der einen Seite geht es darum, durch entsprechende Abkommen und Organisationen die Handelsbarrieren abzubauen. Hier wird Regulation als Auflösung von Handelshemmnissen greifbar. Entscheidend dafür ist die Durchsetzung eines Verständnisses von Medienprodukten und -diensten als Handelswaren. Auf der anderen Seite wird aber wiederum staatliche Regulation bis hin zu weitreichenden Eingriffen in die Privatsphäre eingefordert, wenn sie darauf zielt, Urheberrecht im Hinblick auf seine ökonomischen Verwertungsmöglichkeiten durchzusetzen. Dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man im Blick hat, dass die WTO und ihre Vertragswerke dort, wo sie Medien und Kommunikation betreffen, darauf zielen, die globale Kommerzialisierung voranzutreiben. Auffallend ist dabei die kommunikative Figuration, in der die Verhandlungen geschehen: Es handelt sich um Treffen zwischen staatlichen Vertretern zum Gutteil unter dem Ausschluss von Öffentlichkeit. Unternehmensinteressen fließen als staatliche Wirtschaftsinteressen vermittelt in die Verhandlungen ein. Für weitere Akteursgruppen bleibt diese kommunikative Figuration aber geschlossen. Auch dies thematisieren jüngere Anti-WTO-Proteste.

Die globale Kommerzialisierung der Medien lässt sich neben den Vertragswerken der WTO (und den Auseinandersetzungen um diese) auch daran festmachen, in welchem[56] Maße der Aufbau einer globalen Kommunikationsinfrastruktur mit deren Kommerzialisierung verbunden war. Dies lässt sich an den Beispielen der Satellitenund Internetinfrastrukturen zeigen.

Auf basaler Ebene kann der Aufbau einer Satelliteninfrastruktur an den Starts von geostationären Kommunikationssatelliten festgemacht werden. Deren technische Übertragungsmöglichkeiten nahmen zugleich über die Jahrzehnte erheblich zu: Nach einer geringen Zahl von Starts bis Anfang der 1980er-Jahre erreichte im Jahr 2000 die Zahl der Starts geostationärer Kommunikationssatelliten ihren bisherigen Höhepunkt (siehe hierzu Abbildung 4, S. 57). Parallel hierzu wurde die Satelliteninfrastruktur privatisiert und kommerzialisiert. Die ersten Satelliten waren staatliche Projekte bzw. Kooperationen zwischen Nationalstaaten mit dem Ziel einer entsprechenden (öffentlichen) Kommunikationsversorgung. Seit den 1980er-Jahren wurde Satellitenkommunikation mehr und mehr eine privatwirtschaftliche Angelegenheit. Was in den Vordergrund rückte, waren neben den nationalstaatlichen politischen Interessen die wirtschaftlichen Interessen einzelner Konzerne an verschiedenen Kommunikationsmärkten. Dies wird exemplarisch an der Entwicklung des größten Akteurs im Bereich der Satellitenkommunikation deutlich, nämlich INTELSAT (siehe hierzu die Fallstudie in Thussu 2006: 78–81; zur Entwicklung der Satelliteninfrastruktur im Allgemeinen vgl. die Beiträge in Parks/Schwoch 2012). Gegründet wurde INTELSAT 1964 als »International Telecommunications Satellite Consortium« durch einen zwischenstaatlichen Vertrag von 18 Nationen auf Anregung und unter Führerschaft der USA. Nach zehn Jahren beteiligten sich an INTELSAT 86 Länder, im Jahr 2001 waren es rund 150. Ziel der Organisation war es, ihren Mitgliedsstaaten fortgeschrittene Satelliten-Kommunikationsdienste zur Verfügung zu stellen. Trotz dieser allgemeinen Ziele blieb die Organisation bis Ende des Kalten Kriegs unter der Kontrolle der westlichen Länder, die die Hauptinvestoren gewesen sind. Bis in die 1990er-Jahre war INTELSAT mit seinem globalen System von 19 Satelliten in einer Vielzahl von Ländern als Anbieter von Satelliteninfrastruktur Monopolist. Mitglied von INTELSAT konnten nur (National-)Staaten werden – der Infrastruktur der scheinbar grenzenlosen Satellitenkommunikation lag also ein territoriales Konzept vom Zugang zu dieser zugrunde. Vor dem Hintergrund des zunehmenden kommerziellen Interesses an Satellitentechnologie und der fortschreitenden Kommerzialisierung der verschiedensten Medienlandschaften überhaupt wurde am 18. Juli 2001 auch INTELSAT in ein Privatunternehmen gewandelt und ist seit 2005 Eigentum einer internationalen Gruppe von Aktienbesitzern.

Parallel zu dieser exemplarisch anhand von INTELSAT greifbar werdenden Kommerzialisierung der Satellitenkommunikation begann deren zunehmende Ablösung vom »Westen«. Intersputnik wurde bereits 1971 als Pendant zum westlichen INTELSAT per Staatsvertrag durch die sozialistischen Staaten des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe in Moskau gegründet. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR bzw. des Ostblocks ist die Organisation nach wie vor und seit 2005 über ihre kommerzielle Verwertungsgesellschaft »Intersputnik Holding Ltd.« im Satellitengeschäft aktiv.

[57]Abbildung 4: Kommerzialisierung der Satelliteninfrastruktur, 1962–2010


Quelle: eigene Darstellung1

 

Daneben haben sich seit Ende der 1970er-Jahre regionale Satellitenanbieter etabliert. Solche regionalen Satellitendienste trugen dazu bei, dass Alternativen zu INTELSAT bzw. ein regional differenziertes und größeres Angebot an Satellitenkommunikationsmöglichkeiten entstehen konnten. Zu nennen sind neben dem europäischen Eutelsat (1982 als zwischenstaatliche Regierungsorganisation nach dem Vorbild von INTELSAT gegründet) beispielsweise das ebenfalls europäische, private Astra-Konsortium (im Besitz des 1985 gegründeten, ersten privaten europäischen Satellitenbetreibers Société Européenne des Satellites – SES), der lateinamerikanische Panamsat (1984 von Rene Anselmo gegründet, um den ersten internationalen Satelliten in Privatbesitz zu starten, im Juni 2006 von INTELSAT dann aufgekauft), AsiaSat (1988 als erster privater regionaler Satellitenanbieter Asiens gegründet; Hauptaktionäre China International Trust and Investment Corporation, CITIC und SES; AsiaSat 1 begann1990 zu senden) und der von den Mitgliedern der Arabischen Liga etablierte Arabsat (1976 gegründet; der Arabsat 1a nahm 1985 den Betrieb auf).

[58]Abbildung 5: Kommerzialisierung der Internet-Infrastruktur 1989–2000


Quelle: eigene Darstellung2

Die bisherige Betrachtung macht deutlich, dass mit einer Kommerzialisierung der Satellitenkommunikation zumindest in einem dreifachen Sinne eine Abkopplung derselben von einer national-territorialen Bezüglichkeit einherging: Erstens stellen Satelliten Kommunikationsinfrastrukturen zur Verfügung, die als solche Territorien übergreifen. Bis heute sind Satelliten ein zentraler Aspekt der technischen Möglichkeiten transkultureller Kommunikation – ob als wechselseitige Medienkommunikation des Telefongesprächs oder aber als produzierte Medienkommunikation des Satellitenfernsehens (und auch für die virtualisierte Medienkommunikation eines globalisiertierten Computerspielens ist die Satellitenverbindung wichtig). Zweitens wurden im Bereich der Satellitenkommunikation Kompetenzen von Nationalstaaten auf privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen übertragen. Drittens haben sich schließlich die Verfügungsmöglichkeiten über Satellitentechnologie von westlichen Ländern – allen voran den USA – gelöst. Auch im arabischen bzw. asiatischen Raum besteht mittlerweile Verfügungsgewalt über »eigene« Satelliten. Aus dem ehemals als internationale Organisation[59] zum Austausch von Programmen zwischen arabischen Ländern gegründeten ARABSAT ist ein Anbieter von Infrastruktur für eine transnationale arabische Fernsehindustrie geworden (Kraidy/Khalil 2009: 17). Trotz aller dabei nach wie vor bestehenden Ungleichheiten weisen solche Entwicklungen darauf hin, wie weit die Globalisierung von Medienkommunikation vorangeschritten ist: Die Satellitentechnologie bietet zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein die gesamte Welt umschließendes Netzwerk an Übertragungsmöglichkeiten, wobei die Zahl der zur Verfügung stehenden Transponder ein fragmentiertes Angebot unterschiedlicher (digitaler) Medien möglich macht. Dies gestattet auch kleineren Anbietern einen Zugriff auf Satellitentechnologie.

Neben der Satellitentechnologie bildet das Internet eine Infrastruktur transkultureller Kommunikation, die durch eine Kommerzialisierung gekennzeichnet ist (siehe Abbildung 5, S. 58). Bemerkenswert dabei erscheint, dass die rasante Entwicklung des Internets wiederum mit dessen fortschreitender Privatisierung und Kommerzialisierung einherging und sich auch diese Infrastruktur zumindest in Teilen von den USA entkoppelte (siehe Castells 2005: 19–45; Curran et al. 2012): Seit seinem Vorläufer ARPANET – ein Computernetzwerk, das von der Advanced Research Projects Agency des Verteidigungsministeriums der USA im September 1969 geschaffen wurde – war die Entwicklung der Infrastruktur des Internets bis Mitte der 1990er-Jahre fest mit US-amerikanischen Regierungsorganisationen verbunden (vgl. Castells 2005: 20 f.). Auch nach der Übernahme des ARPANET 1983 durch die National Science Foundation (NSF) hatte eine US-amerikanische, wenn auch wissenschaftliche, Institution die Kontrolle über das sich langsam entwickelnde »Netzwerk der Netzwerke«, wobei die NSF finanziell nach wie vor vom amerikanischen Militär unterstützt wurde. Seit Mitte der 1990er-Jahre zeichnete sich aber eine umfassende Privatisierung und Kommerzialisierung des Internets ab. Stimulierend hierfür war die Entwicklung des HTML-basierten World Wide Web (WWW) in den Jahren 1989 und 1990 durch Tim Berners-Lee, einem Programmierer am CERN, dem europäischen Kernforschungszentrum in Genf, und dessen Vorstellung des ersten Browsers 1991. Unter den verschiedenen öffentlichen Weiterentwicklungen des Browsers befand sich Mosaic (1993), auf dessen Basis mit Netscape der erste kommerzielle Browser entwickelt wurde, dem bald der Internet Explorer und der erste sogenannte Browser-Krieg folgte. Die WWW-Standards werden seit 1994 vom World Wide Web Consortium (W 3C) verwaltet, einem unter dem Gründer und Vorsitzenden Tim Berners-Lee am MIT lokalisierten Gremium. Es handelt sich hierbei also um keine zwischenstaatlich anerkannte Kommission, weswegen die W 3C-Vorgaben letztlich Empfehlungen darstellen. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Erwartungen an das Internet, die sich die Clinton-Regierung zu eigen machte, bzw. dem wachsenden wirtschaftlichen Interesse privater Unternehmen wurde im April 1995 der letzte von der Regierung betriebene »backbone« des Internets geschlossen (vgl. Castells 2001: 50). Die Annahme eines Standardprotokolls für Kreditkartentransaktionen im Jahr 1997 gab den Erwartungen an die Möglichkeiten von Online-Verkäufen einen[60] starken Auftrieb (Curran et al. 2012: 42). Auf der Basis des etablierten TCP/IP-Protokolls expandierte das Internet bald weltweit in großer Geschwindigkeit, und die Kontrolle über die Vergabe von IP-Adressen übernahm im Jahr 2000 mit der 1998 gegründeten »Internet Corporation for Assigned Names and Numbers« (ICANN) eine auf Betreiben der amerikanischen Regierung geschaffene private Organisation. Die Infrastruktur des Internets wird seit diesem Zeitpunkt weitgehend von privatwirtschaftlichen Organisationen und Unternehmen getragen. Der aktuelle Höhepunkt einer solchen Privatisierung und Kommerzialisierung der Internetinfrastruktur ist, dass mit den seit 2003 geplanten und seit 2005 ausgebauten eigenen Datenzentren durch GOOGLE nicht nur dessen Verzeichnisse der Internetsuche in »privater Hand« sind. Im Jahr 2009 waren es 24 große Einrichtungen, ebenso ist GOOGLE nach Selbstauskunft der weltweit größte Besitzer von Glasfaserkabeln (siehe Levy 2012: 234, 243 sowie die Abbildung 9, S. 105). Mit der Etablierung des ebenfalls von GOOGLE vorangetriebenen Cloud-Computing werden zusätzlich erhebliche Datenmengen von privaten Anwendern, Kleinunternehmen und öffentlichen Institutionen in eine rein private Infrastruktur verlagert.

Dies darf aber nicht zu der Fehlannahme verleiten, dass eine solche Kommerzialisierung der Internet-Infrastruktur ein Vorgang gewesen wäre, der jenseits staatlichen Einflusses stattgefunden hätte bzw. in dessen Folge Staaten in der Regulation irrelevant geworden wären. Dies trifft hier ebenso wenig zu wie bei der Satelliteninfrastruktur. Die bisherige Darstellung sollte bereits deutlich gemacht haben, dass dieser Prozess der Kommerzialisierung des Internets selbst von Seiten der amerikanischen Politik vorangetrieben wurde. So traf die Entscheidung zur Privatisierung und Kommerzialisierung des Internets die Clinton-Regierung, die sich davon eine positive wirtschaftliche Entwicklung erhoffte. Letztlich entsprach die Form der Privatisierung und Kommerzialisierung der Internet-Infrastruktur der Vorstellung eines »free trade of communication«, wie er in den USA sowohl von Seiten der Politik als auch der privaten Medienunternehmen generell vorherrschend war. In gewissem Sinne lässt sich argumentieren, dass die technologische Konvergenz als Rechtfertigung der Liberalisierung von Medienmärkten diente (Mansell/Raboy 2011: 3). Ebenso bedeutet die Kommerzialisierung des Internets nicht, dass dieses ein staatlich unkontrollierter Raum wäre, wie auch die Beispiele von autoritären Regimen wie beispielsweise in China oder im Iran zeigen. In diesen wird die Internet-Infrastruktur nicht nur bezogen auf die Nutzungsmöglichkeiten kontrolliert, sondern das Internet wird auch für Propagandazwecke verwendet (Curran et al. 2012: 49–51; Morozov 2012: 85–112; Sreberny/Khiabany 2011: 101–136). In diesem Sinne spricht Des Freedman auch von einem »Outsourcing« der Internetregulation, das letztlich als ein spezifischer staatlicher Regulationsmechanismus anzusehen ist: »Mit anderen Worten, Intermediäre bieten effektivere Regulationsmechanismen an, um sichere und betriebsfähige Netzwerke aufzubauen anstatt direkte Zwangsmaßnahmen. Die Lösung für Regierungen ist es, die richtige regulative Balance zwischen einer Stimulation von ökonomisch[61] gewünschten Aktivitäten und dem Schutz individueller Rechte von Privatheit und Sicherheit zu finden« (Freedman 2012: 104). In einem solchen Sinne ist die ICANN auch keine von der amerikanischen Regierung wirklich unabhängige Organisation, sondern ein Instrument der Regulation u. a. der Adressvergabe im Internet unter Einfluss der amerikanischen Regierung (Mueller 2010: 230–251).