Lidwicc Island College of Floral Spells

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Fünf


Was wäre ohne die Pusteblume passiert?

Drakon, und du bist?«

»Margo.« Oh? Der zornige Unterton, der mitschwang? Ja, der war bewusst gewählt.

Tat mir die Abkühlung gut?

Ja.

Hatte er mir das Leben gerettet?

Ja.

War ich trotzdem sauer, weil er mich bloßgestellt hatte?

Ja.

Hörte ich auf, mich wie ein Sturkopf zu benehmen?

Nein.

»Hey, tut mir fast leid, dass ich dich so hops genommen habe.«

»Na fast danke.«

Drakons Augen schmälerten sich, bis nur zwei Halbmonde übrig blieben, als er breit grinsend auf meine nassen Klamotten sah. Seine zartgrünen Augen, die so eindrucksvoll tief in meine Seele blickten, faszinierten mich.

»Ganz ehrlich, Margo. Warum hast du dich da eben fast auf-spießen lassen?« Drakon fummelte an seinen Hosenträgern herum, die an seiner engen, dunkelblauen Chino hingen, und ließ sie mehrfach gegen das weiße Hemd schnalzen.

Wie weit konnte ich bei ihm gehen? Sollte ich ihm die Wahrheit sagen oder mich anpassen?

»Bin neu. Ist bisschen überwältigend.« War nicht völlig gelogen und verriet nicht zu viel.

»Verstehe, du stammst von armen Pflanzenbegabten ab. Du hast vorher noch keinen Fuß auf die Lidwicc Insel gesetzt?«

Pflanzenbegabten. Insel. Drakon sprach wie die Nonne über all das.

»Was hat das mit arm sein zu tun?«

»Wollte dir nicht zu nahe treten. Obwohl irgendwie ja schon.« Selbst wie er nach dem bescheuerten Satz seine platinblonden Haare zurückstrich, besaß einen überheblichen Touch.

»Lass dir lieber deinen Ansatz nachfärben.«

»Der ist gewollt dunkler.«

»Aha.« Ich musste von dieser Insel weg. Wie war ich überhaupt hierhergekommen?

Am liebsten wäre ich ausgerastet und im Kreis gelaufen, während ich ständig »Das darf doch nicht wahr sein«, wiederholt hätte, aber das verriete mich. Also ließ ich mich zurückfallen und spürte das Gras unter meinen Fingern, die Sonnenstrahlen auf meiner Haut, den angenehmen Wind an meiner Nasenspitze und beruhigte meinen Herzschlag.

»Du bist ziemlich seltsam. Sonderlich nett bist du auch nicht, ich bin nämlich ein Olivsson, weißt du?«

Nö, ich setzte mich jetzt nicht auf, da ich mir auch so vorstellte, wie er das Kinn vorreckte, die Nase noch höher trug und sanft mit dem Kopf wackelte.

»Und ich bin ein psychischer Totalnotfall.«

Hörte ich da ein belustigtes Schnauben?

Selbst die Wolken über mir kamen mir merkwürdig vor. Drehte ich durch oder sahen sie alle aus wie Blüten, Blätter, Bäume oder Pilze?

»Wenn du neu bist, was machst du dann allein so weit weg vom Schloss?«

»Schloss?« Innerlich zuckte ich zusammen. »Ich meine, klar, das Schloss. Ich bin nur gern allein, dann kann ich meine Batterien besser aufladen.«

Lange folgte nichts. »Spüre ich. Mach ich auch oft so.« Warum hatte er so lange für seine Antwort gebraucht?

»Kann ich dir etwas anvertrauen, Margo?«

»Warum mir?«

»Du wirkst nicht wie jemand, dem man glaubt, etwas über mich zu wissen, falls du es weitertratschst.«

Meine Lippen öffneten sich, ich beschloss jedoch, nicht zurückzuschießen. Immerhin hatte ich Schlimmeres gehört und er war ehrlich.

»Schieß los.«

Nachdem ich meinen Satz beendet hatte, zog etwas meinen Magen zusammen. Ich sah hinunter und entdeckte etwas, das sich wie ein Gürtel um mich schlang.

»Das ist nicht gut.« Erst jetzt erkannte ich, dass auch Drakon von der Ranke umschlungen wurde.

»Was –« Bevor ich nachhaken konnte, riss es mich vom Fleck weg und ich schoss hoch in die Luft.


»Und nur so kann ich meine Freundin retten?«

»Wen?« Calliope, die mich vorhin nun doch noch erwischt hatte, drehte sich von ihrem bunten Mosaikfenster weg und glotzte mich an. Nein, warte, sie hieß nicht Calliope. Callidora! Das war’s.

»Daphne.«

»Äh, ja, genau. Du musst dieses Schicksal annehmen. Wir wissen noch nicht, wie deine Magie versiegelt sein konnte. Noch nie ist uns das untergekommen und das wirft Fragen auf. Gibt es mehr wie dich? Du bist definitiv eine von uns.« Den letzten Satz sagte sie eher zu sich selbst.

Diese Infos fütterten meine Migräne und die freute sich darüber, noch mehr Kraft zu tanken, um mir gegen die Schläfen zu boxen.

»Und diese Insel ist eine Zauberschule, so wie in Büchern?«

»Denk gar nicht daran. Du bist auf Lidwicc Island und wir sind ein College. Außerdem ist das kein Märchen, sondern deine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.« Ihr Schleier verwehrte mir jeden Blick auf ihre Mimik. Ihre Stimme überzeugte mich davon, dass sie mich nicht veralberte.

»Wie kann das alles …«, ich breitete meine Arme aus, »… wahr sein? Wie kann es das überhaupt geben?« Wichtiger: Wozu Callidoras halbtransparenter Brautschleier?

»Ich finde es modisch.«

Okay? Konnte sie Gedankenlesen?

»Normalerweise wachsen wir damit auf. Wir werden von Eltern oder Familienmitgliedern unterrichtet, in Kursen oder in der nächstgrößeren Stadt. Das College ist für Pflanzenbegabte nach ihren Zwanzigern. Für jene, die gerne eine magische Laufbahn einschlagen wollen.« Callidora spaßte, oder?

Das konnte doch nicht wahr sein.

»Trink das.« Callidora schüttete ein Pulver aus einer winzigen Glasflasche in ein grünes Glas.

Das Pulver färbte sich pink, ehe es orange wurde. Sie stellte das Fläschchen zurück in einen antiken, dunkelbraunen Apothekerschrank. Überhaupt, warum konnte man Magie wirken und arbeitete dann in einem muffigen, dunklen Büro mit uralten Möbeln, die nach Uroma rochen und mit Kirchenfenstern ausgestattet waren?

»Ich will nicht unhöflich sein, aber ich trinke nicht gerne Pulverchen von Leuten, die mich entführen –«

»Entführen? Das ist doch nicht so. Retten!« Sie setzte sich hin, obwohl dort gar kein Stuhl stand. Doch während sie sich niederließ, wuchs die Rose auf ihrem Schreibtisch, der beinahe das gesamte Büro ausfüllte, an und glitt unter ihren Hintern.

»Ähm, ja, retten.« Es verlangte mir einiges ab, nicht staunend aufzuspringen. Würde ich mich daran jemals gewöhnen? »Gerettet haben und sagen, ich sei eine Zauberin.«

»Du bist keine billige Straßenzauberin, die Tricks vollführt und die Magie in den Schmutz zieht!« Ihr Zischen hallte durch das Büro, als wären alle ihre Topfpflanzen Lautsprecher, aus denen ihre Stimme in mich drang.

»Sygnómi

»Du wirst zu nichts gezwungen.« Mit ein paar Handbewegungen brachte sie andere Pflanzen zum Wachsen und stellte mit ihrer Hilfe das Glas auf eine Kommode.

»Außer hier zu bleiben.«

Callidora räusperte sich. Ich strapazierte ihren Geduldsfaden.

»Margo. Das ist zu deinem Besten. Ja, wenn es ein Gesetz gibt, dann, dass du verpflichtet bist, deine Magie kontrollieren zu können. Bei Menschen gibt es doch auch eine Schulpflicht.«

»Ich bin auf der Straße aufgewachsen.«

»Oh. Deine Eltern … Du kennst sie nicht?«

»Nope.« Dieses Thema stieß einen fetten Dolch, nein, einen Säbel in mein Herz. Anmerken ließ ich mir das selbstverständlich nicht.

»Weißt du, Margo, ich will dich nicht überfordern. Das ist doch wirklich nicht so. Ich hole jemanden, der dir deine Unterkunft zeigt und er bringt dich auf dein Zimmer, okay? Dort kannst du dich erstmal akklimatisieren. Vermutlich fällt es mir schwer, unsere Blase, in der wir leben, jemandem wie dir beizubringen. Das habe ich noch nie gemusst.« Die Stimme der Collegeleiterin schlug um, wurde wärmer, verständnisvoller.

»Danke, das wäre toll.«


Die Wand neben mir stabilisierte mich. Der Schwindel verschwand leider nicht so zügig, wie ich es mir gewünscht hätte. Alles drehte sich. Die altmodische Blümchentapete vermischte sich mit dem cremefarbenen Hintergrund. Hoffentlich merkte Donald, der die Tür zu meiner neuen Bleibe aufsperrte, die er mir zeigen sollte, nichts.

»War’s für dich ’ne große Umstellung, hierherzukommen?« Hoffent-lich hörte ich mich normal an.

Donald zog den Schlüssel ab, öffnete die Tür und hielt inne. Vorsichtig musterte er mich. Die Skepsis in seinen zusammengezogenen Augenbrauen sprach Bände. Vermutlich dachte er, ich sei betrunken. Was sollte ich machen? Sorry, dass ich zuvor noch nie einen Turm betreten hatte, der statt Treppen eine gigantische Kletter-pflanze an den Steinmauern besaß, die einen in den gewünschten Stock emporhob.

»Nich’ wirklich. Hab ja gewusst, worauf ich mich einlass. Joa, vielleicht, wenn ich von hier aus Thessaloniki besuche. Die Umstellung zwischen der arabischen Sprache meiner Family in Nordafrika und der Griechischen. So viel habe ich mit denen dort ohnehin nicht zu tun.«

»Denen?«

»Menschen, die keine Pflanzenmagie haben?«

»Oh.«

»Und deine Family? Vermisst du sie?«

»Eventuell würde ich das, wenn ich noch eine hätte.«

»Ich, oh, sorry, wusste nicht. Ich habe auch keine richtige, enge Familie mehr. Wir sind jetzt deine Familie.« Donalds Grinsen folgte dem Aufschwingen der Tür.

 

Besaß ich nun eine Familie? Noch nie hatte ich eine gehabt. Oder doch. Daphne. Aber sie war weg. So wie sie immer alle verschwanden. Alle versprachen sie unentwegt, zu bleiben. Dass sie anders wären. Dass die anderen mich nicht geschätzt hätten. Bis auch sie verschwanden, sich selbst aus meiner Biografie ausradierten. Egal, wie ich mich auch benahm. Tat ich alles für andere, war ich zu aufdringlich, zu selbstverständlich, für mich musste man sich nicht mehr bemühen. Oder ich war zu viel. Ging ich auf Abstand, warf man mir vor, unnahbar zu sein. Nein, nirgendwo gab es eine Familie für mich. Wie sollte mich auch jemand haben wollen, taten es nicht mal die Menschen, die mich auf die Welt gebracht hatten. Tat ich es ja nicht einmal selbst.

»Kommst du endlich?« Donald sah um die Ecke. »Oder hast du da Wurzeln geschlagen?« Er kicherte. »Das ist witzig, weil wir Pflanzenmagier- und Magierinnen sind.«

»Hab ich verstanden, Donald.« Ich folgte ihm.

»Nenn mich Don.«

»Don.« Mit meinem Fuß stieß ich die Tür hinter mir zu.

Als sie zuschlug, wackelte das Bücherregal neben mir und eine Pflanze kippte um. Ich wollte gerade einen perfekten Hechtsprung ausführen, da schlang die Pflanze sich um den Globus daneben und rettete sich selbst.

»Warst du das?«

»Jup.«

Perplex blinzelte ich meinen Schock weg und verfolgte die dunkelbraunen Querbalken an der Decke des senfgelben Raums. Ich stellte mich auf den bunten Webteppich und drehte mich im Kreis. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal in einem richtigen Raum gewesen war, in dem ich sogar leben sollte. Ich freute mich so übertrieben, dass ich in mich hinein grinste, was ich niemals zugeben würde. Äußerlich blieb ich gelassen. Selbstverständlich tat ich das.

»Kommst du, ich zeig dir, wo du pennst.«

»Bin gleich hinter dir.«

»Warum grinst du so, Margo?«

»Tu ich doch gar nicht.«

Wir eilten an einem kleinen Raum vorbei, der sich als Küche mit zusammengewürfelten Möbeln herausstellte. Nur kurz erhaschte ich einen Blick auf den türkisfarbenen Kühlschrank. Gleich daneben stand die Tür zum Badezimmer offen. Ich bestaunte den Duschkopf, der wie eine riesige Tulpe aussah, sodass ich in Don hineinstolperte.

»So eilig?«

»Sorry.«

»Kein Ding. Kann mir gar nicht vorstellen, wie das auf dich wirken muss.«

»Ziemlich abgedreht.«

Don öffnete lachend die Tür zum Schlafzimmer und das könnte widersprüchlicher nicht sein. In der einen Hälfte stand ein Bett mit Nachttisch und einem Schrank. Daneben fand sich ein halber Dschungel. Unzählige Pflanzen hingen von der Decke, an den Wänden, standen am Boden oder lagen sogar im zweiten Bett. Darauf saß die Sonne.

Ja, die Sonne. Anders konnte ich es nicht beschreiben. Ein kleines, zierliches Mädchen winkte mir mit seinen gelben Fingernägeln zu. Ihre knallgelben Haare und Sonnenohrringe schwankten dabei hin und her.

»Das ist Yellow.«

»Thää? Dein Ernst?«

Das Mädchen schmunzelte – mit hellorangem Lippenstift.

»Nein, das ist Harmonia«, sagte Don zwischen zwei Lachern, bei denen auch Harmonia mit einstimmte.

»Witzig. Ich bin Margo.«

»Hallo, Margo, schön, dass wir uns kennenlernen. Du bist meine Zimmergenossin. Obwohl das klingt irgendwie beanspruchend. Ich bin ja auch deine. Ich wollte nicht klingen, als wäre ich etwas Besseres, weil ich zuerst hier gewesen bin. Wir sind Zimmergenossinnen. Sagt man noch Genossin?« Sie trug gelb, sie strahlte die pure Lebensfreude aus und quasselte wie ein Wasserfall.

»Ähm, ja, hi.«

Ein Klatschen brachte mich dazu, von der personifizierten Sonne wegzusehen. Don rieb seine Hände. »Ich bin dann mal weg.« Er zeigte hinter sich. »Man sieht sich.«

»Bye und danke«, rief ich ihm hinterher, da er schneller weg war, als ich Pita Gyros sagen könnte.

Als ich das Zimmer betrat, stellte ich mich vor das Fenster und blickte bis zum Meer. »Wie ist es hier so?«

»Bin selbst erst angekommen. Bisher ganz cool. Viele kenne ich jedoch von früher. Irgendwo hat man sich meisten schon gesehen. Feste, Bälle oder über die App. Ähm, stehst du da noch lange?«

»Warum?« Jetzt wandte ich mich zu ihr.

»Die Pflanzen auf meinem Bett standen genau im Sonnenschein, nun verdeckst du ihn.« Die Lippen schmollend verzogen und einen Dackelblick aufgesetzt, deutete sie unbeholfen auf ihre Pflanzentöpfe am Bett.

»Tut mir leid.« Ich huschte einen Schritt zurück und setzte mich auf das freie Bett.

Meine Hände und Füße fühlten sich an, als würden kleine Ameisen darin herumlaufen und Eiswürfel transportieren. Die Informa-tionen, die es zu verarbeiten galt, entzogen mir all meine Energie.

»Sonnenblumenkerne?«

Ehe ich darauf antworten konnte, zuckte ich zusammen und sog scharf die Luft ein, da sich eine Sonnenblume mitten vor meinem Gesicht streckte.

»Upsi, wollte dich nicht erschrecken, ähm.« Ein kleiner Strang einer Kletterpflanze umschlängelte mein Handgelenk. Ganz vorsichtig und behutsam, als wäre er gar nicht da. »Dein Puls ist voll hoch. Bist du so nervös? Bist du psychisch angeschlagen? Hast du eine Sozialphobie?«

»Immer ruhig mit den jungen Sprösslingen. Ich bin keine von euch. Eine Pflanzenmagierin.«

»Das geht doch nicht, wie wärst du sonst durch den magischen Schild gekommen?« Harmonia drückte der Monstera vor sich einen Spiegel hin und klebte sich kleine Schmetterlingssticker unter ihre Augen.

Dieser Schimmer am Abgrund, den ich gesehen hatte, war ein Schutz gegen nichtmagische Wesen? Das erklärte auch, warum ich die Insel nie vom Land aus gesehen hatte.

»Meine Magie ist wohl irgendwie versiegelt gewesen.«

»Aua!« Harmonia rieb sich ihr Auge, nachdem sie abgerutscht war, und der Blick, mit dem sie mich musterte, stellte sich als eine Mischung zwischen Belustigung und Skepsis heraus. »Soll das heißen, du hast von dem allen hier nichts gewusst?«

»Nope.«

»Heiliger Bimbam. Na dann wundert es mich eher, dass du nicht schreiend in eine magiefressende Pflanze läufst.«

»Ha, ha, ja. Ähm …« Ich kratzte mich am Hinterkopf. »Und wo genau sind die? Diese magiefressenden Pflanzen. Ich frage für eine Freundin.«

Harmonia bürstete ihre – natürlich gelben – Augenbrauen und bestrafte mich mit einem belehrenden Blick. »Die gibt es nur im Dschungel. Denk gar nicht daran. Was soll ich nur ohne meine Zimmer-gen-– Nein, ähm. Kumpanin machen. Geht Kumpanin?«

Harmonia gehörte zu den Menschen, die bestimmt im Handumdrehen neue Bekannte fanden.

Ich rieb meine Oberschenkel und stand dann auf. Die Nervosität in mir ließ mich nicht lange still sitzen. Daher konnte ich genauso gut den Raum weiter inspizieren. Warum fiel mir jetzt erst die kleine Pusteblume auf, die allein in der Ecke stand?

»Was ist mit der? War die böse oder so?« Ich lachte, weil ich dachte, ich hätte einen genialen Pflanzenmagierwitz gemacht.

Harmonia lachte nicht, woraufhin auch meines versiegte.

»Hm, ich habe gedacht, die gehört meiner Zimmerpartnerin. Partnerin! Das mag ich lieber. Wie es aussieht, wohl eher nicht?«

»Nein, ich habe nicht so den grünen Daumen.«

In dem Moment, in dem ich zu Ende gesprochen hatte, wuchs die Pusteblume aufs Doppelte, dann Dreifache an.

»Offensichtlich ja doch«, kommentierte Harmonia.

Nach Harmonias Satz sprang ich zurück, bis ich mit dem Rücken am Fenster stand. »Harmonia, wenn du das nicht machst, wer dann? Ich nämlich nicht.« Furcht brachte mein Herz zum Rasen. Schon wieder.

»Warte, was?« Harmonia gesellte sich mit wenigen Bewegungen zu mir. »Zurück mit dir!« Sie bewegte ihre Finger, sodass ihre Pflanzen sich vor uns aufbauten.

»Danke. Drehen Pflanzen öfter mal durch?«

»Nein, nie. Sie sind ja nicht an sich magisch. Das steuert jemand.«

Harmonia, die diese Welt kannte, angespannt um sich blickend zu erleben, machte mir noch mehr Angst. Das war nicht normal. Ich sah mich ebenfalls um. Was glaubte ich zu finden? Für mich wäre es eher ungewöhnlich, etwas zu finden, das nicht komisch wirkte.

Zwei, drei Schritte später hatte Harmonia ihr Handy in der Hand und öffnete eine App. »Vielleicht gibt es etwas in der Notfallanzeige.«

»Ihr habt eigene Apps?«

»Oh, Darling …«

»Was es auch gewesen ist, es hat sich erledigt.« Vorsichtig schlüpfte ich hinter Harmonia hervor und ging zu ihrer Pflanzenwand.

Ein paar kleine Lücken ermöglichten es mir, dahinter zu gucken.

»Und?«

»Nichts.«

Wieder bei Harmonia winkte ich ab. »Fehlalarm? Mach die Wand wieder weg. Ich muss ma’ für kleine Pflanzenmagierinnen.«

Harmonia sagte nichts, starrte nur ihre Wand an.

»Wieder nicht witzig? Ihr seid ja echt anspruchsvoll.«

Harmonia schüttelte hastig den Kopf. »Darum geht es nicht«, nuschelte sie und zeigte hinter mich.

Als ich mich umdrehte, erkannte ich die Samen der Pusteblume, die sich ihren Weg durch die Pflanzen bahnten. Direkt auf uns zu.

»Ich schätze, dass das auch nicht normal ist?«

Harmonia, die mit mir auf mein Bett sprang, sagte nichts. Das reichte mir auch als Antwort. Ich stellte mich auf das Bett und drängte mich gegen die Wand, Harmonia vor mir.

»Kannst du nicht irgendetwas machen?« Harmonia drückte sich an mich.

»Ich?« Ich? Meinte sie das ernst?

Der erste Samen erreichte Harmonia und landete auf ihrem Unterarm.

»Puh, nichts passiert.« Sie wischte mit ihrem Handrücken über ihre Stirn. »Hab gedacht, uns –«

Von einer Sekunde auf die andere wurde sie zu einem gelben Strudel und verschwand in dem Samen, der sie berührt hatte.

Er hatte Harmonia absorbiert. Als wäre sie ein Tropfen auf einem Taschentuch.

Obwohl es keinen Ausweg gab, presste ich mich gegen die Wand, pustete den Samen entgegen, die darauf aufwirbelten, und kratzte an der Wand entlang. »Hilfe!«

Bis alle Samen gesammelt auf mich einprasselten und auch ich verschwand.

Sechs


Was wäre bei einem anderen Ergebnis passiert?

Der Biss auf die Unterlippe hielt meinen Schrei bedingt zurück. Noch nie hatte ich diesen Schmerz gefühlt, wenn Feuer deine Haut versengte. Darauf hätte ich auch gern verzichtet. Wieder blickte ich um mich, um einen Ausweg aus diesem Todesgarten – was hatten die alle mit ihre Gärten? – zu finden, in den mich der Samen teleportiert hatte. Ja, teleportiert. Was hatte ich nur getan, um das zu verdienen?

Schmerz zuckte durch meinen Körper und erinnerte mich daran, dass es hier gefährlich war.

Also versteckte ich mich hinter einem Busch und hatte Zeit, mir die Brandwunde auf meinem Fuß anzusehen. Sofort winkelte ich meine Beine an und zog meine Schuhe sowie Socken aus.

Shit.

Der Geruch meines verbrannten Fleisches löste meinen Würgereflex aus. Ewig hatte ich mich nicht mehr geekelt. Auf der Straße bekam ich einiges mit. Meine Hand stoppte über der Wunde. Ich traute mich nicht, sie zu berühren. Mehrmals kamen meine Finger gefährlich nahe. Immer wieder zuckte ich zurück.

Keine Ahnung, was man in so einem Fall machte. Ich sah mich um. Nirgends fand ich auch nur einen Tropfen Wasser. Nachdem ich die Suche aufgab, blickte ich hinter den Busch.

Noch immer nichts. Nur dieser Baum in der Mitte, der gefühlt zwanzigmal so groß war wie ich. Die Fläche rundum stand in Flammen. Das Feuer knackte leise und hinzu kamen piepsige Schreie in meinem Ohr sowie dieser Drang, die Pflanzen vor dem Feuer zu retten.

»Verfluchter Mist, was mache ich nur?« Mehrmals schlug ich mit der Faust auf den Boden.

Okay, ich musste die Lage rekapitulieren. Was hatten wir da? Irgendwo endete dieser Garten voller Bäume an einem unsichtbaren Schild, der mich elektrisierte, sobald ich ihn berührte. Ja, ich war so dumm gewesen und hatte das ausprobiert. Das Feuer engte mich ein. Den Drecksbaum in der Mitte, der bis zum Kuppeldach reichte, umgab ab der Hälfte ebenfalls ein Schild, sodass ich es nicht schaffte, hochzuklettern. Immer wieder erinnerte mich der Todesgarten an den bei meiner Ankunft, aber sie unterschieden sich dennoch. Ein Baum, den ich noch nie gesehen hatte. Die Rinde glitzerte golden und die weinroten Blätter funkelten am Rand. Oh, und dann gab es da noch die Hitze, die mir den Schweiß aus allen Poren trieb.

 

Was sollte dieser Scheiß? Wie konnte mich ein fliegender Samen einer Pusteblume in einen Garten schmeißen und die wohl wichtigste Frage: Warum gerade ich?

Voller Aggressionen, die mich innerlich auffraßen und stärker loderten als jede Flamme unter dieser vermaledeiten Kuppel, stand ich auf. Mein Fuß schmerzte. Ich humpelte zum Baum in der Mitte, während das Feuer mich verfolgte, und ja, beinah genoss ich den Schmerz, da er mir die Sicherheit gab, nicht zu träumen.

»Und? Was jetzt?« Ich schrie einen Baum an.

Es war offiziell: Ich ging zu Grunde.

»Fühlst du dich toll? Wie du da stehst und mir nicht hilfst? Wenn ich brenne, brennst du auch.«

Das Feuer rollte auf uns zu, wie eine Welle, die sich ihren Weg bahnte. Alles rundum hatte das Feuer bereits verschluckt. Der Baum und ich gegen die Flammen.

Trotz all meiner Wut taten mir die sterbenden Blumen, Gräser und Bäume leid. In Griechenland gab es doch ständig Brände. Die Sommer waren heiß. Warum dann dieses Mitleid?

»Fein, ich gebe auf. Dann bin ich eben eine Pflanzenmagierin. Okay? Hier, ich sage es. Ich bin eine von euch. Das ist alles wahr. Zufrieden? Lass endlich deine Äste runter und hilf mir zu dir rauf.« Ich schlug auf den Stamm des Baumes ein und rempelte ihn an.

»Na? Gar nichts? Kein kleiner Zweig, der sich runter beugt?« Ich schnaubte belustigt. Doch das wandelte sich rasch zu einem Zischen, als Schweiß in meine Brandwunde floss.

»Au!« Das Au stammte nicht von mir.

Sprach die Natur zu mir? »Jetzt geht’s aber los.«

Wieder dieser Schwindel, der mich verfolgte.

All das laugte mich aus. Ich ließ mich zurück auf meinen Hintern fallen. Meine Atmung beschleunigte sich. Meine Restenergie strömte aus meinem Körper und verließ mich.

Daphnes Verschwinden, meine Entführung, diese Insel, die Magie, Callidora, Harmonia, Pflanzen, die mich absorbierten, verletzten und nun dieser Brand. Nein, ich wollte das nicht mehr.

Mein Shirt stank und die Flecken darauf zeigten fast nichts mehr von der ursprünglichen Farbenpracht. Ich zog an meinem Kragen. Die Wut in mir heizte mich auf. Woher auch immer ich die Kapazitäten fand, um aufzustehen, ich schaffte es.

»Ich will nicht mehr. Ihr wollt mich brennen sehen? In Flammen aufgehen? Bitte. Nehmt mich. Warum soll ich kämpfen? Mein ganzes Leben lang musste ich mich durchbeißen, alles aushalten, mein Schicksal und das, was es mit mir macht, akzeptieren. Ich habe es satt, in einer nie enden wollenden Schlacht gefangen zu sein.«

Mein Brustkorb hob und senkte sich, brannte vom Schreien, vom Rauch und die Hitze von tausend Sonnen stach in meiner Lunge. Die Feuerpranken loderten neben mir, streckten sich zu mir und peitschten vor meine Füße. Trotzdem lenkte mich etwas ab.

Erst ein Blatt, dann zwei, die an mir vorbeihuschten.

Sofort drehte ich mich um, den Rücken zum Baum. Erst da erkannte ich, dass sich hunderte, tausende Blätter um mich versammelt hatten. Wie in einem Hurrikan begannen sie um mich zu wirbeln.

Sie legten einen Zahn zu, erhöhten die Geschwindigkeit und dann wurden sie zu einem Wirbelsturm. Meine Haare tanzten um mich. Das Orange der Flammen nahm ich nur noch verschwommen hinter dem Sturm wahr. Ich war im Auge des Wirbels. Todesmutig steckte ich meinen Finger in den Wirbel, bis ein Blatt mich aufschnitt und ich zurückschreckte.

»Verdammt.« Den Finger im Mund und schon schmeckte ich mein Blut wie flüssiges Metall, bevor es mit Speichel vermengt in meinen Rachen lief.

Machte ich das? Locken fielen mir vor die Augen. Ich schlug sie mir aus dem Gesicht.

»Hör auf!« Erst der Baum, dann der Wirbelsturm. Woran ließ ich als Nächstes meine Wut aus? »Ich will das nicht können.«

Doch umso mehr meine Wut zunahm, desto höher wurde die Geschwindigkeit des Strudels. Er breitete sich aus, riss verbrannte Strauchreste aus.

Fein, er hörte nicht auf mich? Dann fütterte ich ihn mit noch mehr Zorn. Davon versteckte sich genug in mir.

Mein Leben lief an mir vorbei. Die Waisenhäuser, die Schläge, die Gürtel, die Spucke anderer, die sich ekelhaft warm an meinen Wangen anfühlte. Meine Eltern, die gesichtslos in meinen Träumen auftauchten und sich weiter und weiter von mir entfernten. Und jetzt die Magie, die mich in Ketten legte.

»Nimm dir alles, was du willst.« Ich breitete meine Arme aus und legte den Kopf in meinen Nacken.

Das reißerische Geräusch des Sturms rauschte in meinen Ohren, der Strudel verband sich mit dem Feuer um uns. Hie und da preschten Feuerzungen in den Hurrikan, ehe sie fortgezogen wurden. Die Blätter im Windkanal fingen Feuer und die Wärme brachte mich um den Verstand. Fühlte es sich so an, stünde man auf einer Sonne?

Nun fing auch der gigantische Baum mit seinem uralten Stamm, den verzweigten Ästen und dem dichten Blätterdach Feuer. Die Schreie in meinem Kopf waren kein Piepton mehr, sondern inbrünstige Bitten um Hilfe. Tz. Wer scherte sich denn je um meine Hilferufe?

Meine Gedanken unterbrachen, als ein winziger Samen vor mir auftauchte. Scheu, unscheinbar landete er auf meiner Nasenspitze. Meine Augen taten weh, so verkrampft starrte ich darauf. Wieder diese Pusteblume. Würde ich gleich wieder verschw–


»Bin nicht so der Kleidertyp.« Mir hörte natürlich wieder niemand zu, aber was hatte ich auch erwartet, nachdem man mich ohne zu fragen in einen Todesgarten hinein- und wieder hinausteleportiert hatte?

Im Spiegel vor mir begutachtete ich das bodenlange Kleid, das mit seinem festen Stoff nicht nur schwer war, sondern auch bis zu meinem Kinn hochging und mit den langen Ärmeln keinen Platz zum Atmen ließ. Das Muster aus den großen weißen, pinken und blauen Blüten, die an schwarzen Stielen und Blättern hingen, wirkte, als trüge ich ein Haute Couture Kleid. So wie die Models, die ich nur von den Magazin-covern an Kioskständen kannte. Von einer absurden Situation in die nächste. Erst von einem Feuerwirbel gejagt, jetzt Kleider-anprobe. Wie lange mein Herz das noch mitmachte? Was würde zukünftig passieren? Ein Sprung ins Meer, um danach im Wüsten-sand aufzutauchen?

Als sie dann auch noch eine pinke Gerberablüte in meine Haare steckten, war es offiziell: Ich fühlte mich unwohl.

»Sind wir fertig?« Eine Frau um die dreißig legte ihre Hände auf meine Schultern und sah mich durch den Spiegel an, der in einem pflanzenbewachsenen Rahmen steckte.

Der strenge Dutt sowie der Feldwebelton passten so gar nicht zu ihrem zarten Gesicht und dem feengleichen Körper.

»So fertig wir in dieser kurzen Zeit sein können.« Der Junge neben mir sagte das zwar höflich, unterschwellig merkte ich, dass er genervt war.

»Prima. Gehen wir.«

Ich erhob mich und folgte der blonden Generalin. Ihr Militär-outfit, das statt Grün- Lilatöne hatte, saß perfekt und hätte ich lieber getragen.

»Ich bin Esmeralda. Alle nennen mich Mera.«

»Margo.«

Sie klopfte auf ein Klemmbrett. »Ich weiß, wer du bist.«

»Mhm.«

Der weitläufige Raum mit den Säulen und dem Stuck verlieh dem Saal historische Vibes. Hatte man mich auch noch in die Vergangenheit geschickt? Wir liefen quer über den Fischgrätenboden und erst jetzt erkannte ich Harmonia, die ebenfalls gestylt wurde. Selbst-verständlich steckten sie sie in ein gelbes Kleid.

Knarrender Boden, Föhngeräusche, die Haarspraywolken verteilten, und immer mal wieder kleine Auas, wenn jemand von einem Glätteisen verbrannt wurde. Was ging hier vor sich?

»Komm, Schritt halten, Margo.«

Wieder direkt hinter Mera blieb mir keine Zeit, mich umzusehen. Die weiße Flügeltür öffnete sich und wir eilten durch einen Flur.

Dank der ständig wechselnden Geschehnisse spürte ich mich selbst nicht mehr. Ganz wie in den Zeiten, in denen Daphne und ich Bücherboxen geklaut hatten, in denen sich eine zwanzigteilige historische Romanreihe befand. Wir lasen die Nächte durch, schliefen kaum, hielten uns mit Energiedrinks wach und irgendwann fühlte man sich total benommen. Das multipliziert mit hundert beschrieb meinen Zustand.

»Du hast für Furore gesorgt.«

»Ich?« Ich deutete auf mich, obwohl sie mich gar nicht ansah.

»Ja, du. Dein Auftritt in der Simulation. Nicht schlecht.«

Dass meine Erlebnisse mit dem Feuer nicht hundertprozentig real gewesen waren, hatte ich mittlerweile mitbekommen, dennoch verstand ich den Prozess dahinter und wie sie verfolgt hatten, was geschehen war, nicht.

»Was habe ich falsch gemacht?«