Zurück in die Wirklichkeit

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Zurück in die Wirklichkeit
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Andrea Lieder-Hein

Zurück in die Wirklichkeit

Eine unheimlich skurrile Familie

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Familie Hansen aus Lübeck

Der Unfall

PharmaHealth-Lübeck: Konzernspitze-Treffen

Abi-Vorbereitungen

Einstein und die Blutspende

Mathis und seine Geliebte

OP-Raum-Temperatur

Der erste Mord

Weg mit der Leiche

PharmaHealth-Lübeck

Leas Unfall

PolizeiArbeit und Gerichtsmediziner

Tattoos und Schönheits-OPs

Hochzeitspläne in Burghausen

Beobachtungen

Familien-Aussprache

Im Schlaflabor

Urlaub an der Lübecker Bucht

Marzipan-Mord

Die Notärztin auf der Passat

Marienkirche, Teufelchen und der Bäcker

Hochzeit in Bayern

Reset mit Folgen

Impressum neobooks

Familie Hansen aus Lübeck

Greta Hanssen schaute auf den kleinen Innenhof ihres alten Hauses in der Dr. Julius-Leber-Straße. Sie selbst hatte diese wunderbare grüne Oase geschaffen, sie ganz alleine, mitten im Herzen Lübecks. Wann immer sie wollte, konnte sie zu Fuß zur Breiten Straße gehen. Shoppen, gucken, relaxen, oder wie jetzt mit einem Cappuccino in der Hand unter dem neuen Sonnenschirm die wunderbare Ruhe genießen. Mitten in der Innenstadt eines Weltkulturerbes.

Ihre Gedanken schweiften weiter zu ihren Kindern. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie liebevoll an ihre Zwillinge dachte. Ben war der Erstgeborene. Energisch, durchsetzungsfähig, ja, und manchmal auch bockig. Sophia dagegen war zart, vorsichtig, anmutig. Beide hatten gerade ihren 17. Geburtstag gefeiert und freuten sich nun auf ihre Sommerferien. Die letzten vor ihrem Abitur.

Oma und Opa Hanssen waren damals mehr als zufrieden, als ihr Sohn Mathis ihnen Greta Wendt vorstellte. Greta, damals 16 und in der Oberstufe des Ursulinen-Gymnasiums in St. Gertrud. Mathis ging auf das Hermanneum in St. Jürgen und hatte Greta bei einem Schwimmwettbewerb gesehen. Ab da hatte er nur noch Augen für sie gehabt. Greta im Krähenteich, im blau-gepunkteten Badeanzug und mit langen, dunklen Zöpfen.

Als Greta nach ihrem Abitur mit 18 an der Uni Kiel Biologie studierte, um sich dann auf Meeresbiologie zu spezialisieren, befand sich Mathis gerade in Kanada. Er machte dort ein Auslands-Semester in Pharmazie. Sein Onkel wohnte in Kanada und hatte mal wieder seine Verbindungen spielen lassen und vermittelte Mathis im Anschluss auch noch ein Forschungspraktikum in einer universitären Arbeitsgruppe in Chemie.

Eigentlich wäre für Gretas Karriere auch so eine meeresbiologisch arbeitende Arbeitsgruppe an einer Uni mehr als ratsam gewesen, nach dem Studium. Oder eine Promotion. Aber deshalb drei Jahre lang auf ein richtiges Familienleben mit Kindern, gemeinsamen Urlauben und Garten VERZICHTEN? NEIN, entschieden Greta und Mathis. NEIN Karriere, JA Familienglück und Kinder.

Seit der Zeit war Greta Hausfrau und Mutter. Die Karriere fehlte ihr nicht, denn sie arbeitete auch als beliebte Krimi-Autorin. Ihre Bücher schrieb sie zu Hause am Laptop und war deshalb gerade in den ersten Jahren immer greifbar für ihre Zwillinge. Greta war das, was sie ihr spezielles Glück nannte: Erfüllte Mutter, erfolgreiche Autorin und liebende Ehefrau. Mitten in Lübeck, in einer der für sie schönsten Städte Deutschlands. Im „echten“ Norden, lachte sie in sich hinein. Schleswig-Holsteins neuer Slogan hatte bereits viel Aufsehen erregt. Klang aber auch gut.

Mathis arbeitete nach seinem Pharmazie-Studium bei „PharmHealth-Lübeck“ als Geschäftsführer der Forschungsgruppe „Zivilisationskrankheiten“. Die Kernkompetenz dieses Unternehmens war „Gesundheit im Bereich Volkskrankheiten“. Das Lübecker Unternehmen versorgte weltweit Verbraucher mit Mitteln gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs, Infektionen und Störungen des Fettstoffwechsels. Mathis verdiente mehr als gut und sie hätten sich eine Villa in Travemünde leisten können, aber hier bei Oma und Opa, mitten in Lübeck, war es für sie alle ideal.

Opa Gustav, Gretas Vater, war hier schon aufgewachsen, als Gustavs Vater Erdmann in der Dr. Julius-Leber-Straße nach dem Krieg eine Kohlenhandlung eröffnet hatte. Und Oma Margarete, Gretas Mutter, half ihrer Tochter im Garten mit Rat und Tat. Und mit den Rosen.

Na, Flocke, was willst du denn? Kekse? Nein, du bist ein Hund. Keine Kekse für Flocke.

Flocke, ein brauner Königspudel, wackelte mit dem Schwanz, aber Greta ließ sich nicht erweichen.

Der Unfall

Moin, Liebes. Schon auf?

Ja, ist doch schon nach sechs.

Kinder schlafen noch. Dann essen wir eben alleine. Auch mal schön. Hmmmm, ... Kaffee-Duft. Herrlich.

Ist aus einer French Press. Die habe ich gestern erstanden. Bekommt mir besser.

Und riecht fantastisch. Du bist schon so chic. Hast du was vor?

Blutspende im Klinikum.

Ah, da muss man natürlich gut aussehen. Scherz beiseite. Bus oder Auto? Ich weiß, wie du dich vor dem Kreisel fürchtest.

Angst muss man bekämpfen. Auto.

Gut so. Denk noch einmal über unseren gemeinsamen Urlaub nach, Liebes. Sophia wollte unbedingt eine Woche ins Kloster oder in eine Burg. Abi-Stress abbauen. Überleg mal, ob wir das mit einplanen wollen.

Ja, mach ich. Ich werd’ auch noch mal zur Telekom gehen. Unser Telefon hat manchmal so Aussetzer. Der Festnetz-Anschluss.

Mach das. Und fahr vorsichtig.

Mach ich, immer!

Dr. Mathis Hanssen war stets einer der ersten bei „PharmaHealth-Lübeck“. Er liebte es, wenn außer ihm noch keiner da war und um ihn herumwuselte. Greta lachte in sich hinein. Oder ob er eine Geliebte hatte? Sie kicherte laut, während sie in der Küche neuen Kaffee kochte. Nein, Mathis war treu. Er war ein Glücksgriff. Und die Kinder ebenfalls.

Ben und Sophia waren keine Freunde von Frühstück in Ruhe. Sie blieben lieber etwas länger im Bett. Als sie gegen sieben nach unten kamen, tranken beide nur eben einen Kaffee, schnappten sich ihre Dosen mit Snacks und gingen winkend davon. Bis zur Bushaltestelle war es nicht weit.

Greta räumte alles zusammen und schaute auf die Uhr. Kurz nach sieben. Es war Freitag. Da konnte sie von 7-13 Uhr spenden. Das passte. Bewaffnet mit BlutspendeAusweis und PersonalAusweis machte sie sich auf zu ihrem Golf .

Es gruselte sie ein wenig, wenn sie an den großen Kreisel dachte, durch den sie gleich fahren musste.

Die Mühlenbrücke erschien vor ihren Augen wie eine Drohung, aber sie fuhr tapfer weiter, erinnerte sich an ihre ersten SchwimmVersuche im Krähenteich, damals, mit ihrem Vater. Dann schaute sie verträumt hinüber zum Mühlenteich. Ja, da hatte sie Mathis näher kennen gelernt.

Vor ihr fuhr immer noch ein schwarzer Mercedes. Plötzlich kam wie aus dem NICHTS ein beiger Labrador von rechts in den Kreisel gesprungen. Sie erkannte die Gefahr und bremste ab. Auch der Mercedes vor ihr tat das. Abrupter als sie, denn er hatte gerade Fahrt aufgenommen, um schnell in die Lücke im Kreisel vorzustoßen. Leider hatte der Fahrer hinter ihr von alledem nichts bemerkt. Wollte zügig hinter Greta und dem Mercedes in den Kreisel und knallte mit lautem Geschepper hinten auf Gretas roten Golf. Der Unglücksfahrer hatte wohl so viel Speed drauf gehabt, dass er den Golf in den Mercedes schob. Greta durchfuhr ein Stich durch ihr Herz. Sie beobachtete in Zeitlupe, wie sie Millimeter für Millimeter auf den schwarzen Mercedes auffuhr und der ganze Verkehr im Kreisel sich stückchenweise ihrem Golf näherte. Dann nahm sie der Airbag auf und ließ ihre Gedanken ruhen.

 

In nur wenigen Minuten kamen Krankenwagen und Notarzt, schnitten Greta mit Hilfe der Feuerwehr aus dem Auto und versorgten alle Verletzten vor Ort. Aber davon bekam Greta nichts mit, auch nicht von der Not-OP und der Verlegung auf die Intensiv-Station des UKSH.

Ein Telefonat informierte Dr. Hanssen bei „PharmaHeath-Lübeck“ von dem Unfall seiner Frau. Er fuhr sofort in die Klinik. „Sie hatte immer panische Angst vor dem Kreisel zur Ratzeburger Allee. Hätte sie nur den Bus genommen. Greta, wir brauchen dich.

Mathis Hanssen wurde immer nervöser. Seine Greta, schwer verletzt. Hoffentlich war alles nicht so schlimm wie er es sich gerade vorstellte.

Die ca. zwölf Kilometer schaffte er in einer knappen halben Stunde. Dann parkte er sein Auto bei der Klinik und betrat das UniversitätsKlinikumSchleswigHolstein.

PharmaHealth-Lübeck: Konzernspitze-Treffen

Mathis Hanssen eröffnete die Versammlung mit einem Zeitungsartikel.

Kollegen, Ihr wisst es bereits, unsere Lage schreit quasi um Hilfe. Wir müssen was unternehmen. Ich hatte letzte Woche ein Interview mit Eva Maier von dem Lübecker Tageblatt. Lest Euch den Artikel auf der Leinwand bitte eben durch. Danach werden wir eine neue Strategie ausarbeiten. Dr. Dr. Niclas Asmussen ist seit einigen Monaten unser neuer Konzern-Kollege, der uns mit innovativen Ideen füttern wird.

***

Sinkende Produktpreise, Kostendruck und stagnierende Nachfrage

Von Eva Maier

Lübeck - Hauptgründe für die anhaltende Umsatz- und Gewinnschwäche des Pharmakonzerns „PharmaHealth-Lübeck“ sind sinkende Produktpreise, Kostendruck und eine stagnierende Nachfrage in den angestammten Märkten sowie die zunehmende Konkurrenz durch billige Nachahmerprodukte. Vor diesem Hintergrund setzt das Unternehmen weiter auf zum Teil massive Kostensenkungs- und Restrukturierungsmaßnahmen. Aber auch neue Produkte befinden sich in der Forschung.

Der siebtgrößte deutsche Pharmakonzern hat 2013 unter dem starken Euro gelitten und erwartet auch im laufenden Jahr keine größeren Zuwächse. Aus Sicht der Unternehmensleitung muss und will der Konzern aus eigener Kraft das Geschäft mit rezeptfreien und neu entwickelten Präparaten gegen die sogenannten „Volkskrankheiten“ stärken.

Der Familienkonzern, der für Produkte wie HanseThyrox und Hanseprolol bekannt ist, steht weiter unter Druck: Der Umsatz sank im vergangenen Jahr um mehr als drei Prozent auf knapp 14 Mrd. Euro. Bereits im Vorjahr waren die Umsätze um gut drei Prozent gesunken. Und auch die Gewinne sind rückläufig. Man muss was tun. Die Aktionäre machten das bei ihrer Aktionärsversammlung im Juni deutlich und wiesen auch auf die Kursverluste im vergangenen Quartal hin.

***

Was wir brauchen sind mehr Patienten. Je mehr Kranke, je besser. Und da wir Mittel für Volkskrankheiten herstellen, wird unsere Palette täglich größer, um es mal mit schwarzem Humor auszudrücken. FÜR Volkskrankheiten heißt das „Je mehr, je besser“, ... ür uns. Haha. Aber nun übergebe ich das Wort an Herrn Asmussen. Bitte, Niklas.

Ich bin relativ neu hier. Wer mich noch nicht kennt: Mein Name ist Niclas Asmussen und ich bin die Wunderwaffe für PharmaKonzerne und andere große Global Player. Ich wurde von Dr. Hanssen eingestellt, um für frischen Wind zu sorgen. Hier mein Vorschlag:

Viel Fleisch, kaum Bewegung, Stress im Alltag und Fettstoffwechselstörungen verhelfen der Pharmaindustrie praktisch stündlich zu neuen Patienten. Allerdings dauert es leider finanziell zu lange, um sie gewinnträchtig auszubeuten. Es muss einfach schneller gehen.

Meine Idee:

Unser Schilddrüsenpreparat Hansethyrox geht gut, bringt satte Gewinne. Da erreichen wir viele Patienten. Wir fügen dem Medikament einen Blutdruck erhöhenden Wirkstoff hinzu und schon haben wir Patienten, die unseren Betablocker Hanseprolol zusätzlich benötigen.

So verfahren wir sukzessive mit allen Mitteln. Diabetiker könnten bei Hansaglibose noch ein entzündungsförderndes Mittel integriert bekommen. Bei Volkskrankheiten hat die Werbung uns vermittelt, irgendwann kommt jeder dran. Da wundert sich NIEMAND über laufend zunehmende Krankheiten am eigenen Körper. Im Gegenteil! Jeder wird sich selbst die Schuld geben. Nikotin, Alkohol, Stress, kein Sport, falsches und zu üppiges Essen... Irgendwas stimmt immer.

Meine Damen und Herren, DAS ist der Weg!!!

Herr Asmussen, ich bin Emilia Eisele von der Forschungsgruppe Diabetes. Ich muss es mal laut sagen. Ich finde, die ethische Komponente bleibt auf der Strecke. Es ist widernatürlich, wenn wir Krankheiten schaffen und sie nicht heilen oder wenigstens lindern.

Frau Eisele, lassen Sie mich darauf direkt antworten. Frauen fühlen mit. Das ist schön, aber für ein wirtschaftlich denkendes Unternehmen uninteressant. Ja, schlimmer noch, VERNICHTEND.

Wir sind doch nicht die einzigen, die so etwas machen. Nahezu jedes Jahr kommt eine erfundene Krankheit hinzu. Dazu zwanzig Medikamente für deren Heilung.

Lebensmittel werden angereichert mit Dingen, die uns nicht fehlen. Früher hat man einige Lebensmittel nicht vertragen, heute leidet man unter Allergien und Intoleranten. Dazu kommen Verstopfungen, Scheidentrockenheit, Hyperhidrose oder auch übermäßiges Schwitzen genannt, sowie Hyperkeratose, nämlich Hornhaut-Verdickung an den Füßen. Krank? Oder Normal?

Die Grenze zwischen NORMAL und KRANK verläuft auch bei der Psyche fließend. Hyperaktiv, Burnout, schüchtern, Phobien.... Frau Eisele, früher waren Kinder zappelig, Leute energielos, ängstlich oder zurückhaltend. Heute sind das KRANKHEITEN. Und die muss man behandeln. Da verdienen Ärzte, Apotheken, Heilpraktiker, Discounter, Pharmakonzerne ...

Wenn WIR da nicht aufspringen, tun es andere. Aktionäre und weitere wichtige Leute schupsen uns dann runter in die Bedeutungslosigkeit. Sie auch, Frau Dr. Eisele. Oder freuen Sie sich schon auf Ihre Rente?

Vielen Dank, Dr. Asmussen. Eine interessante Idee, der wir nachgehen sollten. Wir treffen uns in einer Woche wieder. Ich bin im Moment etwas in Sorge. Wie Sie alle wissen, hatte meine Frau einen schlimmen Unfall. Ich fahre jetzt zu ihr. Sie ist inzwischen wieder zu Hause, aber ich mache mir doch Gedanken.

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