Die Zukunft ist menschlich

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Die Zukunft ist menschlich
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Für Volker, Julian, Zoe und Hanan.

Ich bin dankbar für jeden Tag,

an dem wir gemeinsam die Zukunft teilen und gestalten.

ANDERA GADEIB

Die Zukunft ist menschlich

Manifest für einen intelligenten Umgang mit dem digitalen Wandel in unserer Gesellschaft


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Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-930-3

ISBN epub: 978-3-95623-871-0

Lektorat: Ulrike Hollmann, Hambergen

Umschlaggestaltung: Martin Zech, Bremen | www.martinzech.de

Autorenfoto: Amanda Dahms

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de

Copyright © 2019 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2019 erschienenen Buchtitel "Die Zukunft ist menschlich" von Andera Gedeib, ©2019 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise,

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Inhalt

Prolog: Ein Tag im Jahr 2050

Der Mensch im Mittelpunkt

Rückblick

1 Lösungen statt Probleme

Der gesunde Menschenverstand

Mensch und Maschine

2 Vom Algorithmus zum Menschen

Digitalität

Digitalisierung verändert Märkte – die Einfach-mal-machen-Ära

Roboter statt Mensch

Künstliche Intelligenz

Agieren statt reagieren

3 Das digitale Dilemma

Alles digital?

Das KISS-Prinzip

Übernimmt die Maschine?

Ethik

4 Die Gestaltungsfelder des digitalen Wandels

Einleitung

Arbeit

Freizeit & Leben

Bildung

Gesundheit

Mobilität

5 Wie wir das Digitale gestalten können

Methodenkoffer

Manifest

Anhang

Anmerkungen

Danke

Die Autorin

Testimonials

Wenn der Wind der Veränderung

weht, bauen die einen Mauern und

die anderen Windmühlen.

Chinesisches Sprichwort

PROLOG
Ein Tag im Jahr 2050

Wir befinden uns im Jahr 2050. Einem Jahr, in dem alles digitalisiert ist, was digitalisiert werden kann. Die lange Ankündigung ist wahr geworden.

Und wir werden fragen: Wo steht der Mensch? Wir schauen uns in die Augen und stellen fest, dass wir ja immer noch da sind. Dass es sogar Dinge gibt, die zutiefst human geblieben sind und – huch, entgegen allen Vorhersagen – nicht von Maschinen übernommen wurden. Im Gegenteil, der Mensch wird hier nun besonders wertgeschätzt. Mehr noch als vor Beginn der digitalen Revolution.

Wie wird dieses Szenario, unser Leben im Jahr 2050, aussehen? Welche Jobs wird es noch geben? Welche Tätigkeiten sind weggefallen, welche sind neu entstanden? Auf welchen Pfad haben wir in den Anfängen des Digitalisierungszeitalters unsere Kinder gesetzt, um ihnen eine bestmögliche Zukunft zu sichern? Welche Windmühlen haben wir gebaut, als der Wind der digitalen Veränderung aufzog?

Auf diese Fragen will dieses Buch eine Antwort geben. Es geht zurück auf die alten Philosophen, die das Wesen des Menschen schon vor Jahrtausenden, lange vor der digitalen (und industriellen) Revolution, erkundet haben. Außerdem greift es auf die neuesten Erkenntnisse der Gehirnforschung zurück und gibt eine Antwort darauf, welche Potenziale wir Menschen im Zeitalter der digitalen Revolution haben. Nicht zuletzt fußt es auf einigen Studien und der Erfahrung der Autorin und mehreren Tausend Interviews zu den Themen Innovation und Digitalisierung.

Im Gegensatz zu all den Horrorszenarien, in denen der Mensch keine Rolle mehr zu spielen scheint, will dieses Buch einen positiven Ausblick darüber geben, wie wichtig der Mensch in diesem Prozess ist. Es beschreibt anhand konkreter Beispiele, dass es an uns Menschen liegt, wie wir die Digitalisierung gestalten. Von Mensch zu Mensch und von Mensch zu Maschine (der Einfachheit halber werde ich im Buch den Computer mit seinen Bits und Bytes Maschine nennen). Es zeigt auf, wie jeder Einzelne Teil dieses aktiven Gestaltungsprozesses werden kann, wenn wir uns darauf einlassen. Wie wir Mut gewinnen, auch kritisch mit dem Digitalen umgehen und den digitalen Wandel aktiv bei den Hörnern packen. Ja, wie wir womöglich lernen, uns für die Digitalisierung zu begeistern.

Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.

Konfuzius, 551–479 v. Chr.

Dieses Buch ist eine Einladung, Teil dieses großen Transformationsprozesses zu sein, der in die Geschichte eingehen wird. Eine Einladung an jeden Einzelnen von uns, die Weichen für sein eigenes Leben und für das seiner Kinder und Enkel zu stellen. Denn es ist absehbar, dass die Welt unserer Kinder und Kindeskinder vollkommen anders aussehen wird als die Gegenwart, in der wir leben. Gestalten wir diese Zukunft also enkeltauglich.

Dabei meine ich mit »aktivem Gestalten des Digitalen« nicht, dass jeder zwangsläufig programmieren lernen muss, sondern dass wir die neuen, digitalen Angebote verstehen und einsetzen lernen. Dass wir von passiven Nutzern zu aktiven Gestaltern der (digitalen) Zukunft werden.

Das digitale Zeitalter hat gerade erst angefangen, und das in moderatem Tempo, auch wenn uns dies ganz und gar nicht so erscheint. Denn die technologischen Veränderungen entwickeln sich exponentiell und damit wird die Digitalisierung nie mehr so langsam voranschreiten wie heute. Dabei mag es sich jetzt schon anfühlen, als ob ein Schnellzug an einem vorbeirauscht.

Aber all das sollte uns keine Angst machen oder in Ohnmacht versetzen. Denn es könnte der Beginn einer der spannendsten Reisen sein, die wir je gemacht haben. Vorausgesetzt, wir breiten die Arme aus und heißen diese Veränderung willkommen. Denn auch die längste Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Öffnen wir uns für das Thema und trauen wir uns, eine erste neue Entdeckung zu machen, die wir zuvor – vielleicht aus Angst – gescheut haben. Seien Sie Teil dieser spannenden Reise. Gestalten Sie sie mit. Dieses Buch wird Ihnen die Perspektiven, Methoden und den Mut geben, das Thema aktiv anzugehen.

 

So etwa könnte ein Tag in der Zukunft aussehen: Noch bevor ich wach werde, registriert meine Matratze die Schlafqualität und stellt automatisch die optimale Temperatur ein. Sie merkt, wenn ich aufwache, und schickt ein Signal an die Kaffeemaschine. Diese kennt selbstverständlich meine Vorlieben um diese Uhrzeit und bereitet meinen Lieblingscappuccino vor, der frisch gebrüht auf mich wartet, wenn ich noch etwas verschlafen aus dem Bad in die Küche taumele. Nur Kaffee reicht als Flüssigkeitszufuhr über den Tag nicht. Deshalb trinke ich Wasser aus meiner intelligenten Flasche. Der Sensor in der Flasche verfolgt, wie viel Wasser ich über den Tag zu mir nehme, und ein hübsches Blinken in der Flasche sowie eine Push-Nachricht auf meinem Smartphone erinnern mich, wenn ich zu wenig trinke. Was reingeht, muss auch raus. Die intelligente Toilette analysiert wichtige Vitalparameter aus meinem Urin, den Blutdruck über den Sitz, empfiehlt mir vorausschauend die passende Ernährung für den Tag und sendet meine Biodaten selbstständig zum Arzt. Entdeckt dieser etwas Auffälliges in den Daten, meldet er sich bei mir und schlägt eine passende Therapie vor.

Ich mache mich für eine Kurzreise bereit. Bevor ich losfahre, chatte ich per App mit meinen Haushaltsgeräten. Der Kühlschrank schlägt vor, den Stromsparmodus zu aktivieren, und ich bestätige mit einem kurzen »OK« per Smartphone. Daraufhin wünschen mir die Hausgeräte eine gute Reise und ich verlasse das Haus. Vor der Haustür wartet das autonome Auto auf mich. Natürlich kennt es bereits mein Ziel. Ich setze mich in einen der bequemen Sessel und los geht die Fahrt. Selbstredend sitze ich nicht hinter dem Steuer, schließlich fährt das Auto von heute autonom und damit vollkommen selbstständig. Ich kann mich stattdessen während der Reise mithilfe der großen Displays an den Seitenwänden unterhalten lassen. Meine Lieblingsserien werden angezeigt, Vorschläge, die zu meinen Vorlieben passen, und die neuesten, individuell für mich zusammengestellten Nachrichten warten darauf, gelesen zu werden.

Was denken Sie? Ist das Szenario faszinierend oder abschreckend? Der Großteil der Menschen lehnt es heute ab.

Der Mensch im Mittelpunkt

Ich schreibe dieses Buch für die Zeit, in der es uns Menschen noch gibt. Also, in der sie die Oberhand behalten. Und zwar nicht nur weil ich aus tiefstem Herzen Optimistin bin, sondern auch weil ich fest davon überzeugt bin, dass uns noch sehr viel Zeit bleibt. Allerdings ist es auch höchste Zeit, die Zukunft in die Hand zu nehmen.

Die Dystopie von der Welt, in der die Maschinen das Sagen haben, liegt noch in weiter Ferne. Ich schaue wenig Science-Fiction-Filme und mir fehlt vielleicht die Vorstellungskraft, welche Maschinen im Film schon erfunden wurden, die uns Menschen überholen sollen. Aber ich bin von Hause aus mit der Informatik vertraut und glaube, sehr gut zu verstehen, was die letzten Jahrzehnte der Digitalisierung für uns bedeuten und wo die Reise hingehen könnte. Ich kann Sie gleich zu Anfang des Buches schon beruhigen: In jedem Fall sind wir weit davon entfernt, dass irgendwelche Computer für uns denken oder die Weltherrschaft übernehmen.

Da jede Maschine vom Menschen gemacht ist, schließe ich nicht aus, dass es solche Wahnsinnsideen irgendwo auf der Welt gibt. Vielleicht auch häufiger, als uns lieb ist. Begreifen Sie das als Aufruf an Sie, sich aufzumachen und ganz wach zu erkunden, worin wir Menschen gut sind und warum es nottut, dass jeder Einzelne von uns einen Unterschied machen kann. Mir liegt am Herzen, dass jeder ein Mindestmaß an Verständnis für die digitalen Entwicklungen hat und dass jeder Einzelne Verantwortung für seine eigene Zukunft, aber auch für unsere Gesellschaft übernimmt.

Doch sind wir als Gesellschaft, ist jeder Einzelne, die Politik bereit, die digitale Zukunft aktiv zu gestalten? Haben wir eine Vision, wie sich die Überlegenheit des Menschen auf unsere Arbeit auswirkt? Wie können wir mit den Möglichkeiten des Digitalen besser werden? Stehen wir der Digitalisierung positiv genug gegenüber? Was muss passieren, um uns in die Lage zu versetzen, sie positiv zu gestalten?

Mit jedem kleinen Schritt, jeder kleinen Antwort auf die vielen Fragen kommen wir der positiven Utopie näher: der Harmonie zwischen Mensch und Maschine.

Halb voll

Es ist Silvester. Meine 13-jährige Tochter gießt ein Glas ein und hält inne. Sie fragt: »Mama, ist das Glas halb voll oder halb leer?« Ich sage: »Es ist halb voll. Alles eine Frage der Einstellung.« Sie daraufhin: »Mama, es muss halb voll sein. Es gibt kein halb leer.« Auf meinen fragenden Blick erwidert sie: »Ein Glas kann voll sein und halb voll. Aber entweder es ist leer oder eben nicht leer. Ein ›halb leer‹ gibt es nicht.«

Guter Gedanke, schießt es mir durch den Kopf. Vielleicht ist das Töchterchen weiter als die meisten von uns? Ich jedenfalls habe mir diese Halb-voll-Haltung recht bewusst zugelegt. Auf die Chancen zu schauen statt auf die Risiken. Eben auf das Halbvolle, auf die Möglichkeiten, die vor mir liegen, statt auf die verpassten Chancen. Dem will ich in diesem Buch nachgehen, befindet sich die Welt durch die Digitalisierung doch so sehr im Wandel, wie wir es bislang noch nicht erlebt haben.

Ist das Glas halb voll oder halb leer? Das ist eine Frage der Haltung. Ist sie positiv oder negativ? Geht alles zur Neige und wir können ohnehin nichts tun oder haben wir noch alle Chancen in der Hand?

Wir könnten nun einstimmen in all die negativen Schlagzeilen zur Digitalisierung. Beispielsweise, dass alle anderen Länder uns überholen. Erst das Silicon Valley oder Israel, dann China. Wer weiß, wer als Nächstes kommt und unserer Nation Chancenlosigkeit vorgaukelt. Die ehemals starke Wirtschaftsnation, abgehängt von all den anderen, die schneller sind, sich besser an die neuen Bedingungen anpassen? Na dann gute Nacht.

Und wohlgemerkt, fix unterwegs sind wir als Land wirklich nicht. Man sagt uns auch eher eine Technologiefeindlichkeit als -freundlichkeit nach,1 unsere Mobilfunk-Abdeckung oder mangelndes WLAN in Innenstädten oder im ÖPNV sind einzelne Beispiele dafür. Wir führen eine Diskussion, dass das Internet »nicht an jeder Milchkanne« (gemeint ist der ländliche Raum) nötig sei.2 Es sind harte Fakten, dass wir nicht ganz vorne an der Digital-Spitze stehen. Aber wie reagieren wir? Kopf hängen lassen und abwarten, was passiert? Ich bin dafür, dass wir gemeinsam eine Halb-voll-Haltung einnehmen und zusehen, was wir daraus machen können.

Meine Reisen in den vergangenen Jahren an die Hotspots der Digitalisierung oder Chancen-Orte haben mich vielfach inspiriert, was ich gerne teilen möchte. So werden wir im Kapitel 4 gemeinsam ins Silicon Valley (USA), nach Seoul (Südkorea), Tel Aviv (Israel) und Kapstadt (Südafrika) reisen und einen Blick darauf werfen, wie dort der digitale Wandel gestaltet wird.

Außerdem werden wir in fünf Gestaltungsfelder eintauchen, in denen ich in den vergangenen Jahren viel geforscht habe und Erfahrungen sammeln konnte: Arbeit, Freizeit, Bildung, Gesundheit und Mobilität. Mit belastbaren Daten will ich Ihnen Mut machen, sich für Ihren Bereich selbst Gedanken zu machen.

Lassen Sie uns einen »Weltbürger«-Blick auf die mögliche Zukunft Deutschlands werfen. Die Digitalisierung bietet eine Menge Potenzial für Wohlstand in der Nation – ja, und es gibt viel zu tun, um diese Bewegung wieder mit anführen zu können. Es braucht die Haltung, dass wir es schaffen können, ebenso wie die notwendigen Bedingungen und Lösungsansätze. Für jeden Einzelnen, egal in welcher Rolle, und für die Gesellschaft im Ganzen.

Rückblick

Seit 30 Jahren beschäftigt mich die digitale Welt. An der Uni interessierte mich die Wirtschaftsinformatik als verbindende Disziplin zwischen der realen und der digitalen Welt. Wir lernten, Probleme aus der physischen Welt, speziell der Wirtschaft, in Bits und Bytes, also die Sprache der Computer zu übersetzen.

Maschinen, insbesondere Computer und wie sie funktionieren, haben mich schon früh fasziniert. Vielleicht liegt das daran, wie ich groß wurde: Mein Vater zerlegte als Elektrotechniker zu Hause immer alles, wenn es kaputt war. Mit Vorliebe die Dinge, die über (mindestens) ein Kabel verfügten. Der Duft von Lötzinn lag bei uns quasi immer in der Luft.

Dabei bin ich Späteinsteiger. Kein Atari oder Commodore aus den Anfängen der 80er-Jahre war mein erster Computer, sondern 1989, mit damals 19 Jahren, ein 286er-PC. Meine Freundin erzählt mir heute noch die Geschichte, wie ich ihn zu Beginn am liebsten aus dem Fenster geschmissen hätte, weil er nicht das tat, was ich wollte. Schon damals musste man erst lernen, wie diese Geräte auf den Menschen hören, die digitalen Maschinen stellten sich nicht auf den Menschen ein. Wir werden uns hier mit der Frage auseinandersetzen, wie weit wir heute, 30 Jahre später, sind und wie es wohl in weiteren 30 Jahren aussehen wird.

Meine zweite Mission ist das Marketing, also die »konsequente Ausrichtung« eines »Unternehmens an den Bedürfnissen des Marktes«3: Wie genau bringe ich erfolgreich eine Idee rüber? Wie muss ein neues Produkt gestaltet sein und wie beziehe ich die Zielgruppe ein?

Im sogenannten Marktforschungspraktikum meines Studiengangs waren wir ganz praktisch eingebunden und befragten für den belgischen Rundfunk Hörer. Also stand ich mit einigen Mitstudenten einige Tage auf belgischen Straßen und in Fußgängerzonen, um »die Stimme des Volkes« methodisch fundiert zu ergründen. Diese Übung ließ mich zwangsläufig mit anderen Augen durch die Welt gehen und für alle Zeit den Menschen in den Fokus nehmen.

Die Kombination der beiden Studienfächer war sehr selten – und sorgte für Belustigung. Denn meine Studienkollegen im Marketing befanden die (Wirtschafts-)Informatiker als eigenartig: »Da hat man doch Quadrataugen, wenn man den ganzen Tag auf einen Rechner starrt«, hieß es. Die Computerfans wiederum fanden, dass das Marketing »stets auf blauen Wolken schwebt und sich neue Geschichten ausdenkt«. Beide hatten vermutlich ein wenig recht. Ich jedenfalls fühle mich bis heute in beiden Disziplinen zu Hause und schaue aus beiden Perspektiven auf die digitalen Möglichkeiten.

Ich war, eher zufällig, dabei, als das Internet 1995 seine ersten Schritte in Richtung Wirtschaft ging, nämlich bei der Entstehung des WWW – World Wide Web, wie es damals noch ausführlich benannt wurde. Was heute schlicht »Internet« heißt, war damals ein Novum in der Wirtschaftswelt. Tim Berners Lee hatte im Jahr 1992 am Schweizer CERN die neue Sprache HTML (Hypertext Markup Language) erfunden, die Inhalte mit Hyperlinks auf elegante Weise miteinander verbinden sollte. Was an den Unis gleich experimentell eingesetzt wurde, gelangte kurz darauf in die Wirtschaftswelt.

In einem interdisziplinären Studentenprojekt durfte ich den ersten kommerziellen Webserver in Aachen mitprogrammieren. Die Fachpresse besprach ihn damals als einen der ersten dreißig (!) Webserver in Deutschland. Damit war ich früh mit dem Medium verbunden, das kurz darauf die gesamte (Wirtschafts-)Welt auf den Kopf stellen sollte. Es ließ mich seitdem nicht mehr los.

Ein besonderes Erlebnis war mein zweiter Aufenthalt in den USA. Ich hatte früher einige Monate in New York State gelebt und zog zum Ende des Studiums nach Arlington bei Washington D.C. Für meine Abschlussarbeit fand ich einen Experten für »Computational Statistics« als Sparringpartner: Professor Edward Wegman4 eröffnete mir schon im Jahr 1996 eine Zukunftswelt, nämlich die zu virtuellen Realitäten.

So forschte ich zunächst wissenschaftlich und später in der eigenen Unternehmerpraxis an Zukunftsthemen. Zu den vielen Abschlussarbeiten, die ich in den 90ern betreute, gehörten schon der intelligente Kühlschrank und Mülleimer. Wie viele Kühlschränke bestellen heute selbst Milch nach, wenn sie zur Neige geht, und wie viele Mülleimer in den Haushalten sortieren heute, 25 Jahre später, selbstständig den Müll? So gut wie keine. Was muss also passieren, dass diese oder andere Digitaltechnologien in unsere Haushalte einziehen?

Ich bin überzeugt, dass es vor allem eines braucht: den Blick auf die Perspektive der Nutzer und Nachfrager zu richten und weniger auf die Technologie selbst. Es ist meine Motivation für dieses Buch, Ihnen – seien Sie Verbraucher oder Entscheider – exakt diesen Fokus zu vermitteln. Wie viele Ressourcen könnten wir sparen, wie viel Zeit und Geld besser einsetzen, wenn wir dieses einfache Prinzip leben würden?

 

Kürzlich spazierte ich durch Bremen und entdeckte ihn in der Fußgängerzone: den intelligenten Mülleimer. Solarzellenbestückt und leider schon ziemlich dreckig, erzählte er seine Geschichte, oder besser gesagt, seine Funktionen. Und die beeindruckten mich. Denn dieser Mülleimer im öffentlichen Raum presst den Müll besonders klein und meldet der zuständigen Behörde, wenn er geleert werden muss. So ein autarkes kleines Ding im Bremer Stadtgeschehen erfüllt seinen Zweck auf smarte Weise. Wenn er sowohl für ein sauberes Stadtbild sorgt als auch die Gebühren für die Bremer reduziert, bin ich sicher, dass es ihn nachhaltig geben wird, bringt er doch einen relevanten Nutzen.

Die Frage ist: Wie schaffen wir es, vom Problemdenken rund um die Digitalisierung zu einer Lösungsorientierung zu kommen? Ohne Probleme wegzudiskutieren, sondern ihnen stattdessen mit einer Halbvoll-Haltung und Lösungsansätzen zu begegnen?

Mehr als 20 Jahre beschäftige ich mich nun mit der Unterstützung neuer Produkte und Services. Eines ist dabei besonders wichtig: Um zukünftige Innovationen auf ihren Weg in den Markt zu bringen, setze ich bewusst früh an. Einige Unternehmen kommen bereits mit ersten Ideen, aus denen Produkte entstehen sollen, vor anderen liegt ein weißes Blatt, sie wollen mit uns etwas gänzlich Neues schaffen. In allen Fällen aber liegt unser Blick gleich zu Beginn gezielt auf den Bedürfnissen der Nutzer.

Was macht ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung erfolgreich? Innerhalb von zwei Jahrzehnten konnte ich mit meinem Unternehmen sieben Millionen Online-Interviews durchführen und damit insgesamt 8000 Produkten oder Services helfen. In der Online-Befragung stellen wir typischerweise die Idee als Text und Bild vor, sodass potenzielle Kunden beurteilen können, wie gut die Idee allgemein gefällt, wie neu und andersartig sie ist und ob man das Produkt oder den Service – unabhängig vom Preis – kaufen würde. Diese Interviews führen wir weltweit online und in allen Branchen durch, vom Schokoriegel über das Erkältungsmittel bis hin zum Elektroauto.

Mitmachen: Wenn Sie jetzt Lust bekommen haben, an Umfragen teilzunehmen, dann können Sie sich hier melden: www.dialego.de/zukunft.

Sie können sich vorstellen, dass uns inzwischen ein richtig großer Datenschatz vorliegt, der die Frage beantworten kann: Was macht eine neue Idee erfolgreich? Welches Muster finden wir? Wann probieren Menschen ein neues Produkt? Denn wir müssen etwas Neues, ein Produkt oder einen Service, ein erstes Mal ausprobieren, um dauerhaft Kunde zu werden und es damit erfolgreich zu machen. Wie wir uns auf diese Weise dem Menschen zuwenden, werden wir in Kapitel 3 und 4 genauer betrachten. Zunächst einmal möchte ich mit Ihnen ganz allgemein in die Lösungssuche einsteigen.