Waypoint FiftyNine

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»Verzeihen Sie die Frage«, wechselte der ehemalige Finanzminister das Thema und schob das Tablet ein Stück von sich. »Aber wie genau wird man zum Auftragsopfer?«

Kalzans Argumentation leuchtete ihm durchaus ein, aber er wusste noch viel zu wenig über den G-O-2T, um ihm einfach so zu vertrauen. Nach allem, was man so hörte, waren sie eine sehr egozentrische Spezies und ihre Wege oft unergründlich.

»Ich bin wirklich durch reinen Zufall auf meine Berufung gestoßen«, setzte Kalzan an. »Eine lustige Geschichte eigentlich. Ich war auf einem kleinen Planeten, wahrscheinlich haben Sie noch nie davon gehört: Zy33. Wirklich provinziell. Die Bewohner dort haben mich angebetet, Sie wissen ja, wie das mit primitiven Lebensformen und uns G-O-2Ts ist. Jedenfalls sollte es ein Fest zu meinen Ehren geben und das wollte ich mir aus der Nähe ansehen. Aber weil meine natürliche Gestalt so beunruhigend auf weniger entwickelte Völker wirkt, habe ich natürlich eine andere Erscheinungsform gewählt, um meine eigene Sicherheit zu gewährleisten. Ich bin als junges, unschuldiges Weibchen erschienen, in der Annahme, dass ich damit den Beschützerinstinkt der Anwesenden wecken und keiner Gefahr ausgesetzt würde. Nun, dummerweise sollte es bei diesem Fest mir zu Ehren ein Jungfrauenopfer geben. Ironie des Schicksals, nehme ich an.«

Kalzan zuckte mit den Schultern und fingerte an seinem Armreif herum, als wollte er überprüfen, dass er noch da war.

»Sie wurden von Ihren eigenen Gläubigen geopfert?«, vergewisserte der ehemalige Finanzminister sich.

»Danach habe ich sie verklagt«, erklärte Kalzan. »Habe mir einen der besten Anwälte des Universums genommen und Schadenersatz gefordert. Denn glauben Sie mir, ich bleibe zwar nicht tot, aber das Sterben ist doch jedes Mal auf’s Neue wieder äußerst unangenehm. Ist eine ordentliche Entschädigungssumme bei rausgesprungen und da kam mir die Idee, dass ich mir den ganzen Gerichtsprozess ja auch sparen könnte, indem ich meine Dienste einfach direkt anbiete. Ich habe als rituelles Opfer angefangen, ganz bescheiden. Jungfrauen, Priester, so etwas halt. Für die Bevölkerung hat das gleichzeitig den Vorteil, dass sie ihren traditionellen Bräuchen nachgehen können, ohne gleich eine Mordanklage fürchten zu müssen. Irgendwann bin ich dann aber in den Privatsektor gewechselt. Die Bezahlung ist dort einfach besser. Ein paar Mal habe ich mich von Amateuren umbringen lassen, die den Nervenkitzel wollten, ohne nachher den Ärger mit dem unauffälligen Entsorgen der Leiche zu haben. Aber ganz ehrlich? Das ist nicht das Richtige für mich. Die meisten dieser psychopathischen Mörder sind einfach bloß Sadisten. Nach so einem Tod braucht man Wochen, um sich wieder zu erholen. Ich habe mich deshalb auf Berühmtheiten spezialisiert. Gute Bezahlung, meistens ein schneller und sauberer Tod. Sie wissen schon, Attentate, hin und wieder mal eine Überdosis. Politiker, Schauspieler, Musiker.« Er beugte sich vertraulich ein Stück nach vorne. »Auf manchen Planeten ranken sich Gerüchte um mich, aber nachweisen konnte mir nie jemand irgendetwas. Und ganz im Vertrauen: Die meisten halten es für Unsinn, aber glauben Sie mir – Elvis lebt.« Er lehnte sich wieder zurück und lachte.

Der ehemalige Finanzminister verstand den Witz nicht. Aber er lachte ebenfalls jovial.

»Von diesen Massenveranstaltungen bin ich ganz abgekommen. Nur einmal im Jahr fliege ich noch nach Xul, für die Treibjagd dort. Ein wirklich bezaubernder Planet. Ich gehöre dort quasi schon zur Familie. Inzwischen laufe ich natürlich nicht mehr ganz so schnell wie noch vor 30 Jahren, aber die Leute sind sehr fair, lassen mir immer einen gehörigen Vorsprung.« Er schüttelte leicht den Kopf, als wäre er ganz in Gedanken versunken. »Aber ich muss Sie ja schrecklich langweilen, Herr Minister«, unterbrach er sich dann selbst, als wäre ihm gerade erst wieder eingefallen, worüber sie ursprünglich gesprochen hatten. »Ich spreche nur von der Vergangenheit, wenn es hier doch eigentlich um Ihre Zukunft geht.«

Demonstrativ schob er das Tablet wieder auf den ehemaligen Finanzminister zu.

Der gab sich einen Ruck. Er hatte nach einem Ausweg gesucht, und hier bot sich der optimale Ausweg an. Wäre er erst einmal tot, ließe das Universum ihn endlich in Ruhe. Er könnte an den Strand fahren, wie es der Diktator von UwU gemacht hatte. Vielleicht könnten sie sogar wieder einmal eine Partie Golf miteinander spielen.

Er presste seinen Daumen auf die gestrichelte Linie am Ende des Testaments und gab auf Nachfrage sein Passwort ein. Diese Kombination aus Biosensor und klassischer Technik entsprach dem Standard, da so das Risiko eines Missbrauchs minimiert wurde. Man ging davon aus, dass man entweder den Notizzettel mit den festgehaltenen Passwörtern verlor, oder seinen Daumen – nicht jedoch beides zugleich.

Ein grünes Häkchen leuchtete hinter seiner Unterschrift auf und Kalzan zog das Tablet wieder zu sich.

»Ich danke Ihnen, Herr Minister«, sagte er gut gelaunt und als der ehemalige Finanzminister den Blick hob, saß er sich selbst gegenüber. Nur lange Übung hielt ihn davon ab, erschrocken zusammenzuzucken. Ihm glückte sogar ein anerkennendes Nicken.

Er fand die Erscheinung um einiges stattlicher als die des armseligen Menschen davor. An den Rändern flirrte sein Abbild ein wenig, aber der G-O-2T hatte auch nicht besonders lange Zeit gehabt, um ihn zu kopieren.

»Wie läuft das jetzt?«, erkundigte er sich, nur um sicherzugehen.

Das Abbild des ehemaligen Finanzministers des Alterta Mondes lächelte ihn an. Er hatte genau die richtige Menge an Zähnen, um das Lächeln bedrohlich wirken zu lassen.

»Sie geben mir den Zugangscode zu Ihrem Raumschiff und ich verlasse die Bar. Sie warten hier und nachdem genug Zeit verstrichen ist, machen Sie sich auf den Weg. Erkundigen Sie sich ruhig über das Interkom bei der Bedienung, ob die Herren an der Theke bereits verschwunden sind. Wenn alles glatt läuft, hören Sie morgen früh in den Nachrichten von Ihrem Tod.«

Widerstrebend nannte der ehemalige Finanzminister den Zugangscode zu seinem Raumschiff. Er hätte es lieber selbst behalten – es war ein Luxusmodel der Extraklasse – aber er verstand die Notwendigkeit einer falschen Fährte. Seine Karriere hatte er auch nicht ohne Opfer hinter sich gebracht und darunter waren bereits wertvollere Dinge gewesen – seine Villa auf dem Alterta Mond, eine xitelische Vase und seine dritte Ehefrau.

Kalzan erhob sich und lächelte ihm ein letztes Mal zu. Dann verließ er die Torpedorohrbar. Der ehemalige Finanzminister blickte ihm nach und fragte sich, ob er wirklich noch länger auf den Bierbrunnen warten, oder sich doch lieber gleich einen FiftyNiner bestellen sollte. Ihm war nach Feiern zumute.

In der Bar begegnete Kalzan – noch immer in Gestalt des ehemaligen Finanzministers, auch wenn ihm diese Gestalt nicht sonderlich schmeichelte – der Bedienung, die sich endlich seiner Bestellung angenommen hatte. Er lächelte ihr freundlich zu.

Kalzan war schon die ganze Zeit über nach Lächeln zumute, was hauptsächlich daran lag, dass der ehemalige Finanzminister ein Idiot war.

Neben dem Tisch, an dem die künstliche Intelligenz mit dem bezeichnenden Namen KRAWUMM! auf ihn wartete, hielt er kurz.

»Wir machen uns auf den Weg«, verkündete Kalzan und dank der manipulierten Stimme reagierte KRAWUMM! sofort. Er schaltete aus dem Ruhemodus und erhob sich schwerfällig, um seinem neuen Besitzer zu seinem neuen Raumschiff zu folgen. Kalzan hatte schon immer einen KRAWUMM! haben wollen. Außerdem hatte er sich auch ein neues Raumschiff gewünscht.

An der Theke lösten sich drei zwielichtige Individuen aus ihrer bisherigen Position und folgten der Gestalt des ehemaligen Finanzministers ebenfalls.

Sie passierten den Waffencheck und durchquerten den Hangar. Die drei Verfolger benötigten deutlich länger am Waffencheck, denn sie gehörten zu der Fraktion Gürtel-und Hosenträger – oder in diesem Fall Schusswaffe und Nahkampfklinge. Er selbst hatte sich nur einen kurzen Moment aufhalten müssen, während KRAWUMM! seinen Gewaltblocker entfernt bekam.

Kalzan wartete nicht auf seine Verfolger, sondern betrat sein neues Schiff. Er war äußerst beeindruckt. Die Sitze waren gepolstert und die Einrichtung modern. Der ehemalige Diktator von UwU war mit deutlich weniger Stil gereist. Das Sicherheitssystem war ebenfalls hervorragend. Es kam allerdings nicht zum Einsatz, denn Kalzan hatte es bereits deaktiviert und die Luftschleuse unverschlossen gelassen.

Zugegebenermaßen hätte das die Verfolger vielleicht misstrauisch stimmen sollen, da man von Kopfgeldjägern einen gewissen Intelligenzquotienten erwarten konnte. Im Gegensatz dazu waren sie Kalzan für den Job eher unterqualifiziert vorgekommen. Kalzan pfiff fröhlich vor sich hin, während er auf die Schritte hinter sich lauschte.

Dann fragte eine Stimme: »Wie ist es gelaufen, Boss?«

»KRAWUMM!«, sagte Kalzan.

Dank der Stimmerkennung reagierte die künstliche Intelligenz sofort. Augenblicklich machte sie ihrem Namen alle Ehre.

Es blieb nur zu hoffen, dass das Reinigungssystem seines neuen Raumschiffes genauso effizient funktionierte wie KRAWUMM!. Drei Kopfgeldjäger hatten sich soeben zu ungleichen Teilen über den gesamten Innenraum verteilt.

»KRAWUMM!«, fuhr Kalzan fort. »Lege neuen Besitzer fest. Stimmerkennungsbasis.«

»Stimme wird aufgezeichnet«, verkündete KRAWUMM! dumpf. »Bitte sprechen Sie jetzt.«

Kalzan schaltete das Simulationsarmband an seinem Handgelenk aus und augenblicklich änderte sich seine Gestalt. Laut und deutlich sagte er: »Neue Stimme übernehmen.«

KRAWUMM! surrte, dann blinkte ein grünes Licht in Kopfhöhe auf.

»Stimme übernommen. Schutzperson menschlich.«

 

Kalzan lächelte zufrieden und ließ sich auf dem Steuersitz nieder. Doch sein richtiger Name lautete Karl – und er war tatsächlich ein Mensch.

Menschen waren weder eine besonders widerstandsfähige Spezies, noch waren sie besonders intelligent. Aber sie waren kreativ. Wo andere bloß von einem Kopfgeld träumten, dachte Karl an all die Ersparnisse, die ein Toter unmöglich ausgeben konnte. Deshalb hatte er sich mit den Auftragsmördern zusammengeschlossen.

Außerdem waren Menschen gut in Mathematik. Karl hatte ausgerechnet, dass sehr viel geteilt durch eins mehr ergab als sehr viel geteilt durch vier.

Karl zog sein Tablet hervor und tippte eine Nachricht an die Regierung des Alterta Mondes, in der er ihnen die Koordinaten ihres ehemaligen Finanzministers in der Torpedorohrbar ebenso wie die Nummer von Karls Bankkonto mitteilte, auf das sie das Kopfgeld überweisen sollten.

Obwohl Menschen weder besonders widerstandsfähig noch besonders intelligent waren, hatten sie sich nicht grundlos über das ganze Universum ausgebreitet. Neben ihrer Kreativität und ihren Rechenkünsten hatten sie den meisten übrigen Spezies noch etwas anderes voraus. Sie waren echte Drecksäcke.

Karl blickte auf die Steuerkonsole vor sich und überlegte, wohin er als Nächstes aufbrechen sollte. Er hatte ein Simulationsarmband, auch wenn dessen Funktion nur für wenige Minuten zu täuschen vermochte. Er hatte ein nagelneues Luxusraumschiff und er hatte einen KRAWUMM! Das Universum stand ihm offen.

Er könnte wieder einmal nach Dalyss, überlegte er. Der letzte Urlaub mit der Sekretärin des ehemaligen Diktators von UwU hatte ihm eigentlich ganz gut gefallen. Schöne Golfplätze gab es dort.

Und leisten konnte er es sich jetzt auch. In Kürze würde er wieder einmal erben.

Der Raumfahrer

(Ein Intermezzo von Günther Kienle)

Im Korridor vor den Toiletten rammte mich beinahe ein Stahlkoloss, der aussah wie ein Kampfroboter. Seltsam, dass Security-Jack so ein Ding überhaupt reingelassen hatte.

»Pass doch auf«, rief ich. Aber der Blechklotz reagierte nicht und der Typ daneben grinste nur frech. Ein merkwürdiges Paar. Eine klobige Maschine neben einem stattlichen Wesen, dessen bedrohliche Zähne sein Grinsen nicht gerade sympatisch machten.

Der Betrieb in der Bar brummte so langsam. Alien, Elfen und ein paar abgerissene Gestalten bevölkerten den Raum. Letztere wahrscheinlich Stammgäste, die den ganzen Abend an ihrem Tisch kauerten und systematisch ihren Alkoholrausch aufschichteten, wie die Eingeborenen auf Neu-Biebergemünd eine Ziegelmauer. Aber nirgendwo sah ich Jörg. Da ging man mal pinkeln und schon war der Kurze weg.

Ein junger Typ in blauer Borduniform hing am Tresen herum. Er trank einen Schluck Bier und sah gleichzeitig der Bedienung auf den Hintern. Unsere Blicke kreuzten sich. Von all den Anwesenden wirkte er am wenigsten abgeranzt. Vielleicht konnte er mir weiterhelfen.

»Staubige Gegend hier«, sagte ich zu ihm.

Er wies auf den Barhocker neben sich. »Dem kann man abhelfen.«

Ich setzte mich. Der Raumfahrer schien noch keine dreißig zu sein und trug braune kurze Haare unter einer blauen Schildmütze mit Captainstreifen.

»Cap Sierenmoser«, stellte er sich vor. Dabei tippte er lässig an seine Mütze.

»Günther«, sagte ich. »Hallo.«

»Du hast das Vergnügen mit dem Besitzer, Captain und Pilot der Pride of Königstetten.« Er drehte sich zum Barkeeper. »Hey Virginio, ein Bier für meinen durstigen Freund hier.«

»Königstetten«, murmelte ich vor mich hin.

»War auf der Akademie der zweitbeste Pilot aus diesem wunderschönen Ort.«

Ich verkniff mir die Frage nach der Anzahl der Einwohner.

»Besser hatte nur noch Major Ferry von Gravensteiner abgeschnitten … dieser Angeber.«

»Nie von ihm gehört«, sagte ich.

Cap grinste. »Du gefällst mir.«

Der Mexikaner hinter der Theke zapfte ein großes Glas Bier und stellte es vor mir ab. »Ein Älpler Spezial. Sehr zum Wohle, Señor.«

Dankbar nickte ich ihm zu.

Cap griff zu seinem Glas und hielt es mir auffordernd hin. Ich erhob das Glas und stieß mit ihm an.

»Könnte das letzte Glas sein, bevor uns der Sensenmann erwischt«, sagte der Pilot.

»Hört sich an wie aus einem Song«, antwortete ich.

Wir nahmen beide einen großen Schluck.

»Das zischt«, stellte ich fest. »Fehlt nur noch ein FiftyNiner zum Nachspülen.«

Cap sah mich ernst an. »Du kannst hier die ganze Nacht durchsaufen. Einen Bierbrunnen allein? Kein Problem. Aber lass bloß die Finger vom Hausdrink!«

Abwesend nickte ich. Mein Kontostand erlaubte sowieso keinen Rausch. Ich sah genervt auf die Uhr. So langsam könnte der Kurze mal wieder auftauchen.

»Hast du so einen abgebrochenen Riesen gesehen?«, fragte ich. »Mit dunklen Haaren, Brille und Bart.«

»Axt?«

»Nee, keine Axt. Eher so Typ Liebling aller Schwiegermütter.«

»Ach, so ’ne Weichflöte.«

»Ey, hör ja auf, meinen Kumpel zu beleidigen!«, rief ich empört.

»Kein Stress, Mann. Hat sich grad nicht so angehört, als würdet ihr euch übermäßig gut leiden können.«

»Machst du Witze? Ich liebe diesen Typen! Also nicht so wie meine Frau natürlich.«

»Versteh schon«, sagte Cap. »Ist ’n Buddy.«

»Genau.« Ich nickte. »Bester Schreibbuddy.«

»Erinnert mich ein wenig an Cornelius und Susi. Die beiden streiten sich ebenfalls ständig, sind aber eigentlich ein Herz und eine Seele.«

»In welchem Genre schreiben die?«, fragte ich.

»Ähm, war ein blöder Vergleich. Cornelius ist ein Abenteurer und Susi die KI seines Schiffes.«

Schweigend nahmen wir noch einen großen Schluck.

Wo in aller Welt steckte dieser Katzenbilder postende Schrumpfhesse bloß?

Von Pest und Maden und Wollsocken (von Dorothee Stern)

Cornelius Napoleon Smith hatte ein Problem. Eigentlich hatte er mehrere, doch das Dringlichste war im Moment, dass er in einem stickigen Seuchenschutzanzug auf allen vieren durch einen dunklen Gang kroch und seine Taschenlampe flackerte.

Würde er das Geld besitzen, hätte er schon längst in einen Luminator der Firma Luxerna investiert – den intergalaktischen Spezialisten für Beleuchtungsangelegenheiten. Aber Cornelius hatte kein Geld. Das war auch eines seiner Probleme.

»Der Akku deiner steinzeitlichen Taschenlampe steht auf 23 %, mein lieber Cornelius«, teilte seine KI Susi ihm über den Voice Plug mit, über den er mit ihrem Hauptcomputer im Raumschiff verbunden war.

»Danke, das sehe ich selbst.« Er duckte sich unter einem Stück Beton hindurch, das den Weg kurzzeitig verengte. Diese Tortur dauerte auch schon wieder viel zu lange.

»Allerdings hast du deine Mission erst zu 33,33 % erfüllt. Das ist schlecht. Nun wäre eine Powerbank oder gar ein paar Ersatzakkus doch ganz praktisch, nicht wahr?«

»Du bist nicht hilfreich!« Cornelius musste sich auf den Bauch legen, um weiterzukommen. Wenn das so weiterging, würde er niemals ankommen. Und womöglich würde er den ganzen Weg ohne Licht zurück kriechen müssen. Das waren alles andere als rosige Aussichten.

»Geht das vielleicht auch netter, Cornelius Napoleon Smith? Sonst schalte ich mich auf Standby und du kannst gucken, wie du allein klar kommst mit 23 % Akku auf einem verseuchten, verlassenen Planeten.«

Super, jetzt war sie wieder eine eingeschnappte KI. »Ich habe nur Tatsachen benannt«, stellte er klar. Da vorne wurde es hell. War da etwa ein Ausgang zu sehen? Hatte das Kriechen endlich ein Ende? »Außerdem, sei doch nicht immer gleich beleidigt.«

»Ich benenne nur Tatsachen.«

»Ja, ja.« Cornelius verdrehte die Augen. Der Gang wurde mittlerweile immer enger und ungemütlicher. Hoffentlich war das Licht dort vorne auch echt und keine Einbildung seines Gehirns.

»22,7 %.« Susi begann, Eye of the tiger zu spielen.

Er schüttelte genervt den Kopf und schlug ihn sich prompt an der Decke an. »Du bist wirklich nicht hilfreich …«

Ächzend quetschte er sich durch eine besonders enge Stelle, dann war auf einmal wieder ganz viel Platz. Er konnte sich sogar hinknien. Er musste nahe am Ausgang sein.

»Auf über 90 % der menschlichen Spezies wirkt dieses Lied motivierend, Cornelius. Sei doch keine solche Spaßbremse«, nörgelte Susi.

»Ach, sei still!« Cornelius begann, in Richtung Licht zu robben. Es wurde auch Zeit, dass er hier rauskam. Seine armen Knie nahmen ihm das ganze Gekrabbele langsam übel.

Hätte er gewusst, wie viel Kriecherei dieser Job beinhalten würde, hätte er ihn vielleicht gar nicht angenommen. Eigentlich hatte er während seines letzten Auftrags auf 999K758 genug davon gehabt. Aber die Kasse war so gut wie leer und wenn er nicht dazu übergehen wollte, seine Sammlung an antiken Wollsocken zu verkaufen, musste er jedes Angebot annehmen, das ihm über den Weg kam. Als freiberuflicher, intergalaktischer Archäologe hatte man es eben nicht leicht.

Susi schmollte und ließ dafür in doppelter Lautstärke Eye of the tiger in Dauerschleife laufen. Ein dezenter Hinweis, dass er für ihren Geschmack zu lahm war.

Endlich erreichte Cornelius das Ende des Ganges und zwängte sich durch das Loch in der Wand ins Freie. Frische Luft drang durch den Filter seiner Atemmaske und die rote Sonne von R108 schien auf das Plastik seines Schutzanzuges.

»Susi, scanne die Umgebung. Sind wir schon nah dran?«

»Wie nah ist für dich nah? In einem Kilometer hast du dein Ziel erreicht. Im Übrigen brennt deine Taschenlampe noch.« Susi könnte sie auch selbst ausschalten, tat es aber nicht. Natürlich nicht. Eingeschnappte Zicke. Cornelius knipste seine Lampe aus und steckte sie zurück in seine Umhängetasche. Das arme Ding war durch den engen Gang ganz schön verdreckt worden, das würde er nachher sauber machen müssen.

»Welche Richtung?«, fragte er.

Susi projizierte ihm einen Richtungspfeil auf das Visier seines Schutzanzuges. Sie hielt ihn also offensichtlich für geistig minderbegabt.

»Folge dem Pfeil.«

Cornelius verkniff sich jeden weiteren Kommentar. Er würde es sowieso nur schlimmer machen. Stattdessen begann er, in die angezeigte Richtung zu gehen.

Wobei Gehen das falsche Wort war. Er musste vielmehr über sämtlichen Schutt, der auf der Straße herumlag, hinüberklettern. R108 war vielleicht einmal schön gewesen, inzwischen war jedoch nichts mehr davon übrig. Seit R108 sich damals vor vierhundert Jahren der Invasion der Menschen entgegengestellt hatte, war es der Bevölkerung übel ergangen. Erst waren sie durch eine Blockade vom Handel abgeschnitten worden, dann waren ihre Herrscher verschleppt worden und zuletzt hatten die Menschen mit einer neuartigen Mutation der Pest infizierte Ratten freigesetzt.

Innerhalb weniger Jahre waren sämtliche Bewohner der Pest erlegen und die Menschen konnten sich an R108s Ressourcen bedienen. Nun lag der Planet bis auf die Ratten verlassen da und keiner wagte es, eine Wiederansiedlung zu versuchen.

Susi schwieg immer noch beleidigt, also marschierte Cornelius weiter und weiter und weiter …

»Du hast dein Ziel erreicht«, ließ sie schließlich reserviert vernehmen.

Er blieb stehen. »Bist du sicher?«

Hier war nicht viel, außer Ruinen und Trümmerhaufen. Allerdings konnte man das über so ziemlich jeden Fleck von R108 sagen.

»Der Scan bestätigt es.« Susi blendete ein Bild ein, das Cornelius als wandelndes Skelett und mehrere, handgroße Striche direkt unter ihm zeigte. Das mussten die Maden sein.

Cornelius zog seine Umhängetasche über den Kopf und ließ sie auf den Boden fallen, dann kniete er sich hin und begann seine Ausrüstung auszupacken. Klappspaten, Einmachgläser mit Formaldehyd und extra dicke Arbeitshandschuhe, die er sich jetzt überzog. Von den Maden der Gattung Vermis Morbus Aeger gebissen zu werden, würde ihm eine äußerst unschöne Pestinfektion einbringen, die er ohne Geld für eine baldige Behandlung vermutlich nicht überleben würde.

»Kannst du jetzt bitte mal diese scheußliche Musik ausmachen?«

Susi stellte die Musik ab. Totenstille trat ein und nur das Heulen des Windes in den Ruinen war zu hören.

Er klappte seinen Spaten auf und begann zu graben. Hätte er Zeit und außerdem keine Angst gehabt, sich mit der Pest anzustecken, würde er sich vielleicht auch noch ein wenig in den Ruinen umsehen, um nach verborgenen Schätzen zu suchen. Seinem Geldbeutel würde das jedenfalls nicht schaden. Leider hatte er keine Zeit – er musste in ein paar Stunden schon im Waypoint FiftyNine sein, um seinem Käufer die Maden zu überbringen.

 

»Ist hier sonst noch irgendjemand?«, fragte er Susi, um die unangenehme Stille zu brechen.

»Diverse Lebensformen. Die meisten insektuös und wirklich eklig.«

»Ratten?«

»Auch.«

Super. Je eher sie wieder von hier verschwinden konnten, desto besser.

Cornelius legte die Schaufel beiseite und griff nach seinem Spatel. Laut dem Scan näherte er sich den Maden und musste jetzt vorsichtig sein, um sie nicht zu beschädigen. Sein Käufer zahlte nur für intakte Ware. Langsam entfernte er mit dem esslöffelähnlichen Werkzeug Schicht für Schicht der hellen Erde, bis er auf ein Stück Knochen stieß. Hatten es sich die Maden etwa in einem Skelett gemütlich gemacht? Das wäre ja äußerst praktisch.

»Oh, ein Rückgrat!«, rief er.

»Immer wieder erstaunlich, wofür du dich begeistern kannst.«

Er hörte nicht auf den verächtlichen Unterton und begann, das Rückgrat freizulegen. Das war ein völlig intakter Knochen einer ausgestorbenen Spezies – das würde auf dem Schwarzmarkt eine Menge Geld einbringen.

»Die Maden, Cornelius, die Maden«, erinnerte ihn Susi.

Richtig, da war ja noch etwas gewesen. Dann würde das Rückgrat eben warten müssen.

Cornelius griff nach den Einmachgläsern und der langen Pinzette, mit der er dann vorsichtig die riesigen Maden hochhob. Die Viecher waren ganz gelb und haarig und glitschig. Wirklich ekelhaft, da musste er Susi zustimmen.

Susi murmelte derweil etwas über die Konzentrationsfähigkeit eines antiquierten Social Media Algorithmus.

Er ignorierte sie, stattdessen beförderte er die erste Made in das vorgesehene Einmachglas. Vier Stück brauchte er und dann würde er das Rückgrat einsammeln und sich schleunigst wieder aus dem Staub machen.

Susi war währenddessen auffallend still.

»Ist irgendwas?« Cornelius verfrachtete die nächste Made in ein weiteres Einmachglas.

»Cornelius, du solltest dich wirklich beeilen. Und ganz schnell herkommen.«

Die nächste Made landete in der Formaldehydlösung. »Wieso, was ist denn?«

»Der Kühlschrank brennt«, entgegnete sie.

Cornelius erstarrte mit der vierten Made in der Luft. »Der was brennt?«

»Der Kühlschrank. Er steht in Flammen. Du musst ganz schnell kommen. Deine Präparate verbrennen und … und … und … ich auch. Und dein Cyberscooter sowieso.«

»Dann flute den Raum mit Stickstoff!« Cornelius verschloss das letzte Einmachglas und beförderte diese dann hastig in seine Tasche. Er musste sich jetzt erst noch um das Rückgrat kümmern. Wenn er das nicht machte, würde er es vermutlich bereuen.

»Ich habe keine Gaslöschanlage, Cornelius. Ich bin eine Standardversion. Du hast mir nie ein Upgrade gekauft.« Sie klang ein bisschen nervös.

»Das darf doch jetzt nicht wahr sein …« Er beeilte sich, das Rückgrat freizulegen, doch diese Arbeit erforderte Konzentration und Geschick und er durfte sich nicht von Susi ablenken lassen.

»Cornelius, wann kommst du? Dauert es noch lange? Cornelius, machst du dich bitte auf den Weg? Ich habe dir eine neue Strecke berechnet.«

»Hetz mich nicht!« Er kratzte vorsichtig mit dem Spatel ein wenig Dreck zur Seite, dann konnte er das Rückgrat heben. »Außerdem was soll das heißen, du hast eine neue Route berechnet?«

»Mir ist gerade aufgefallen, es gibt auch einen Weg an der Oberfläche. Geht wirklich ganz schnell. Du solltest sofort aufbrechen.«

»Was? Und du jagst mich durch die Dunkelheit?« Ein wenig zu aggressiv stopfte Cornelius das Rückgrat und seine Grabungsutensilien in seine Tasche und stand auf. »Hättest du das nicht prüfen können, bevor du mich in diesen elendigen Gang geschickt hast?«

»Meine Sensoren gehören offensichtlich dringend mal wieder gereinigt.« Jetzt klang sie verletzt.

»Ja, ja, das mache ich demnächst.« Er sah sich um. »In welche Richtung muss ich?«

»Bitte komm schnell. Sehr zügig. Am besten, du rennst.« Sie blendete wieder einen Idiotenpfeil auf dem Visier seines Anzuges ein, der ihm die Richtung anzeigte.

Cornelius seufzte. Es half ja alles nichts. Wenn der Kühlschrank brannte, musste er sich beeilen.

Diese Rennerei war eindeutig nichts für ihn! Cornelius stützte sich schwer atmend an einer umgestürzten Säule ab und gestattete sich, einen Moment auszuruhen. Er verfluchte sich selbst dafür, dass er damals nicht in eine Gaslöschanlage investiert hatte, aber wer hatte denn schon Geld dafür? Er sicherlich nicht.

»Wie sieht die Lage aus?«, fragte er Susi, während er deutlich langsamer weiterging.

»Ich habe Angst«, antwortete sie.

»Ich bin ja gleich da.« Cornelius trat um eine Ruine herum, dann kam sein kleines Raumschiff – die George Washington – in Sicht. Komisch, er konnte gar keinen Rauch erkennen …

Neben der George Washington parkte ein gewaltiges, tiefergelegtes Raumschiff. Es war ihm leider wohlbekannt: die Brad Pitt.

»Was machen die denn hier?« Cornelius fasste unbewusst seine Umhängetasche fester.

Mehrere Männer – vielleicht zehn oder fünfzehn – liefen in nagelneuen, funkelnden Schutzanzügen um die George Washington herum. Im Cockpit war Alfredo zu sehen.

»Susi, was ist hier los?« Cornelius griff nach seiner Laserkanone.

»Dieser Grobian will mich kaputtschießen, Cornelius!«, wimmerte sie in sein Voice Plug.

Cornelius seufzte. Von allen Leuten im Universum musste ja auch unbedingt Alfredo auftauchen.

Er zog seine Laserpistole und trat auf sein Raumschiff zu. »Würde mir mal irgendjemand sagen, was genau ihr hier veranstaltet?«

Alle brachen in Applaus aus. »Wohooo, er hat’s geschafft! Hat ja nur eine halbe Ewigkeit gedauert.«

Alfredo trat aus der Luke der Washington, in der Hand eine von Cornelius kostbaren Wollsocken. Harry Potter, Slytherin-Edition. Limitiert!

»Leg das auf der Stelle wieder hin!« Cornelius hob die Kanone. »Und entferne dich von meinem Raumschiff! Das ist Hausfriedensbruch!«

»Hättest es nicht offenlassen sollen, Smithy!« Alfredo war ein überheblicher Kotzbrocken wie eh und je. Es sah aus, als hätte er sich mal wieder optisch idealisieren lassen, seit sie sich das letzte Mal begegnet waren, denn er wirkte noch geleckter als bei ihrem Universitätsabschluss. Wahrscheinlich hatten Mami und Papi dafür bezahlt, so wie sie es immer taten.

»Gib mir die Socke!« Cornelius hielt die offene Hand hin und trat weiter auf ihn zu. »Und es ist völlig egal, ob die Luke offenstand oder nicht. Du darfst das trotzdem nicht!«

»Gut, ich gebe dir deine geliebte Socke zurück.« Alfredo wedelte damit durch die Luft. Wo war die Schutzhülle, in der sie vakuumiert verpackt gewesen war? »Wenn du mir dafür die Maden gibst, Smithy. Ist doch ’n fairer Deal, oder?«

Der Rest von Alfredos Leuten hatte Cornelius inzwischen umstellt.

»Das ist meine Socke! Ich sollte dich wegen Diebstahl anzeigen, du Hund!« Er zitterte inzwischen vor Wut.

»Ach, komm schon. Mach es dir doch nicht schwerer, als es sein müsste.« Alfredo zupfte wie in Gedanken an dem Slytherin-Wappen herum. »Das könnte alles so viel einfacher gehen: Du gibst mir die Maden, die du gerade da hinten ausgebuddelt hast, und du kriegst deine … Socke. Ernsthaft, Smithy, Socken? Du warst ja schon an der Uni immer etwas verschroben, aber das ist ja schon ein skurriler Fetisch.«

»Die sind antik!« Cornelius machte einen Schritt auf ihn zu. »Woher willst du außerdem wissen, dass ich irgendwelche Maden ausgegraben habe?«

»Weil Crandall mich beauftragt hat, ihm die Maden zu bringen. Dann landen wir hier und deine süße kleine Schaluppe steht hier. Das kann also nur eines bedeuten: Crandall hat dich zuerst beauftragt und dann haben ihn Zweifel beschlichen, ob du das auf die Kette bekommst, Smithy.« Alfredo grinste sein abscheulich genetisch nachperfektioniertes Grinsen. »Also hat er zur Sicherheit mal lieber uns geschickt. Ein kluger Mann. Bisschen paranoid, wenn du mich fragst, aber so ist das mit den ultrareichen Cyberhändlern. Du kennst das ja.«