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Dore Brandt

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Dore lachte. »Tröste dich, Gretel,« rief sie, »als ich kürzlich in einer der ersten Proben im Text stockte, brüllte er: ›Natürlich, die Diva bemüht sich erst gar nicht um die Worte. Sie ist da und lächelt, und das genügt. Die Diva ohne Worte. Die Diva ohne Worte‹, schrie er noch immer, als ich mich längst wieder zurecht gefunden hatte und weitersprach.«

»Es lacht sich gut darüber nachher«, sagte Grete.

»Ja,« erwiderte Dore, »im Augenblick selbst werde ich bleiern mutlos bei solchen Worten.«

»Ach du«, seufzte Grete. »Du brauchst nicht bange zu sein, Dore.

Wenn du dir auch dein Leben ein wenig verpatzt hast.« Sie deutete nach der Tür des Kinderzimmers.

»Laß' das aus dem Spiel, Grete«, sagte Dore rauh. »Das verstehst du nicht.«

»Nix für ungut, Dorel, a jeder hat seine Lebensanschauung.«

Grete schied mit herzlichen Freundschaftsgefühlen von Dore. Trotzdem flog mit der Mitteilung ihrer Verlobung auch das Geheimnis von Dores Mutterschaft in die Welt hinaus. Eine solche Neuigkeit als Erste erzählen zu dürfen, das konnte sich Grete nicht entgehen lassen, so sehr sie Dore zugetan war.

»Weißt du es schon? Deine frühere Freundin, die Dore Brandt, hat ein Kind, einen Buben«, zischelte Rhea Günter höhnisch Ernst Bergmann zu. Sie haßte ihn, weil er sie beiseite geworfen hatte wie einen alten Handschuh, weil er sie bei den Begegnungen im Theater behandelte, als hätte er sie niemals gekannt.

Bergmann fühlte eine Glutwelle durch seinen Körper jagen. Er hätte Rhea Günter ins Gesicht schlagen mögen.

Wortlos, mit hochrotem Gesicht ging er an ihr vorüber und ließ sie stehen.

Die Worte hatten ihn gepackt. Sie verließen ihn nicht mehr. Er war nicht im Zweifel, wer der Vater von Dores Kind war, und Glutwelle auf Glutwelle jagte in sein Gesicht.

Warum wußte er so sicher, daß Dore niemand anderm angehört hatte? Warum stellte er Dore so hoch? Er, der die Frauen als guten Zeitvertreib betrachtete. Eine Betäubung für die grenzenlose Einsamkeit der Seele, aber bei Gott kein Heilmittel.

Planlos durchstreifte er den nächtlichen Tiergarten. Mutter war Dore geworden, hatte Qualen erlitten. Bei wem? Wo?

Es zuckte in seinem Herzen. Mutter! Er kam nicht mehr los von diesem Wort.

Auch am andern Morgen, als er nach unruhigem Schlummer erwachte, konnte er nichts anderes denken. Als er auf die Straße hinausging, blickte er auf die Kinder, die ihm begegneten. Auch von ihm lebte ein Kind in der Welt. Ein Geschöpf, dem die junge, blühende Dore das Leben gegeben hatte.

Unaufhörlich umkreisten seine Gedanken Dore und das Kind.

Indessen war Dores ganzes Fühlen und Denken auf ihre Kunst gerichtet. Man hielt Generalprobe ab, und diesmal mußte es gelten. Man spielte das Werk des wunderlichsten Dichters von heute, formlos, fehlerhaft war es, aber der Funke echter Kunst sprühte und knisterte darin. Dore hatte ihn aufgenommen, durch ihre Adern rann heiliges Feuer. Sie spielte nicht, sie erlebte und riß die kleine aufmerksame Schar der Zuhörer mit sich.

Am Schluß der Probe holte sich jeder der Mitspielenden von Gollberg ein letztes Wort. Ruhig, liebenswürdig hielt er Kritik ab.

Als Dore an ihn herantrat, nickte er ihr freundlich zu.

»Gut, Dore«, sagte er. »Ganz wieder auf festen Füßen. Morgen gibt es einen Triumph.«

»Ich wittere schon den Frühling in der Luft. Mir ist so wohl, und – Peter hat den ersten Zahn.« Sie lachte ihn schelmisch an.

»Wunderlich«, sagte Gollberg kopfschüttelnd und blickte sinnend auf Dore.

Als Dore heimkehrte, fand sie ihre Mutter vor, die sie erwartete, um das Bittet für einen Logenplatz in Empfang zu nehmen. Sie erzählte lebhaft, auf welche Weise es ihr gelungen war, daß sie morgen in das Theater kommen konnte.

»So werde ich durch meine böse Dore noch in den alten Tagen eine geschickte Lügnerin«, sagte sie lächelnd und strich liebkosend über Dores schönes Haar.

Es war schon vier Uhr nachmittags. Frau Faber deckte geschäftig ein Mittagbrot auf, dann eilte sie wieder hinaus. Sie gönnte Frau Brandt jetzt die wenigen Minuten, die sie ihrem Kinde widmen durfte.

Dore aß wenig und saß schweigend an dem großen Tisch, den das gelbliche Lampenlicht erhellte, während durch die unverhüllten Fenster noch ein matter Tagesschein in das Zimmer fiel. Im Nebenzimmer hörte man Frau Faber zu dem lallenden Kinde sprechen.

»Es ist friedlich bei dir, Dore«, sagte die Mutter, die sich zu Dore an den Tisch gesetzt hatte. »Es ist traurig, daß ich verstohlen zu dir kommen muß. Und doch bist du die Freude meines Lebens. Deine Schwestern kommen nur zu mir, um sich die kleinen und großen Mißhelligkeiten ihrer Ehe und ihres Haushaltes vom Herzen zu schwatzen. Sobald ich alle ihre Verdrießlichkeiten erfahren habe, stürzen sie davon. Und der Vater hat viel Ärger im Dienst. Er fürchtet den Abschied, und wenn er ermüdet nach Hause kehrt, dann läßt er seine ganzen Sorgen über mich aus. Ich bin ja zu alle dem die Nächste, gewiß. Aber es ist so wenig Freude dabei. Nach meinen Wünschen, nach meinen Gedanken fragt niemand. So ist es immer gewesen. Du aber bringst einen Schimmer, einen Glanz in mein Leben. Du bist so, wie ich mich selbst als junges Mädchen erträumt hatte. Ich hatte es eine Spanne Zeit ganz vergessen, daß ich auch einmal ein junges Mädchen war, das Rosen an dem weißen Kleide trug. Aber ich schwatz' von mir, und du willst gewiß allein sein und ausruhen, mein Kind.« Die Mutter stand hastig auf und hüllte sich in ihren schwarzen Umhang.

Dore begleitete die Mutter ein Stück des Weges, bis sie in einen Wagen der elektrischen Bahn stieg, nicht ohne nochmals viel Glück für den morgigen Ehrentag gewünscht zu haben.

Dore ging langsam zurück, die gut bürgerliche Bezeichnung für die morgige Erstaufführung noch in den Ohren.

Wen liebten die alten, guten Frauen eigentlich in ihr? Ahnten sie überhaupt nur etwas von ihrem wirklichen Selbst?

Die Laternen flammten auf, die abendlichen Straßen waren stark belebt. Die Luft war naß und feucht, und Wolken jagten an dem dunklen Himmel. Dore mischte sich in den vorwärts eilenden Menschenstrom und ließ sich von ihm treiben.

Sie ging an ihrer Wohnung vorüber, die gerade Charlottenburger Chaussee hinunter, deren Laternenreihen wie Lichtperlenketten den Regen durchschnitten. Sie wanderte weiter unter den nassen, tropfenden Baumgerippen, dann verließ sie die Menschenmenge, und eine kleine Bogendrücke überschreitend, ging sie tiefer in den Tiergarten hinein. Ein paar Enten flatterten auf, dann ward es ganz still, nur das gleichmäßige Fallen der Regentropfen gluckste in die Stille und ließ die Gedanken in langsamem Rhythmus schwingen.

Die Glocken der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche begannen dröhnend den Abend einzuläuten. Sieben Uhr. Da hatte wieder Frau Faber den kleinen Peter zur Ruhe gelegt. Unter den Wellen des ehernen Schalles ging Dore gemächlich vor sich hin und kam wieder nach Haus. Als sie die Treppe emporstieg, öffnete Frau Faber oben die Tür, und ehe noch Dore vor ihr stand, flüsterte sie erregt: »Dore, ein Herr wartet auf dich. Schon lange. Er hat auch Peterchen bewundert. Ich dachte, du bist es, die da käme, und öffnete mit dem Buben auf dem Arm. Ein stattlicher Mann.«

Und ganz in die traumhaft müde Ruhe der verflossenen Stunde gehüllt, trat Dore in das Zimmer.

Da stand in der Mitte des freundlichen Raumes, in dem sie zu Hause war, die geliebte Gestalt, die sie stets vor Augen hatte.

Dore blieb an der Tür stehen und lehnte sich leicht an die Wand.

Bergmann, groß, breitschultrig, mit hölzern herunterhängenden Armen, rührte sich nicht vom Platz.

»Entschuldige, daß ich dich heute störe, trotzdem du morgen Abend Bedeutungsvolles vorhast. Aber ich mußte dich sprechen«, brachte er endlich mit schwerer Zunge hervor.

»Bitte, setze dich doch«, sagte Dore als Antwort, indem sie zu dem Tisch hinüber zu gelangen suchte; zitternd, unsicher, als schritte sie auf einem schmalen, schwankenden Brett durch brausende Flut. Dann stützte sie sich gegen den Tisch und wagte flüchtig zu Bergmann hinüberzusehen.

Er blieb aufrecht stehen und sagte in demselben schweren Tonfall: »Du hast unrecht an mir getan, Dore.«

»Ich an dir?«

»Ja, du wolltest mir ein Glück vorenthalten, das mir bestimmt war.«

»Woher sollte ich wissen – daß – es dir ein Glück bedeuten könnte.«

»Weil du mich kennst.«

»Ich kenne dich nicht. Ich weiß nur, daß du allein deiner Wege gehen mußtest, nachdem du dir ein paar Stunden mit mir die Zeit vertrieben hast. Ich will dir keinen Vorwurf machen. Wir handeln eben alle so, wie wir aus uns heraus handeln müssen.«

»Ich glaube nicht, Dore, daß ich wankelmütiger Kerl das bisher tat. Ich elender Lebensstümper. Aber auf das, was ich dir jetzt sage, sollen deine Worte gelten, Dore! Seit ich weiß, daß von dir und mir ein Kind lebt, weiß ich auch, daß wir zusammengehören.«

Er schwieg und wartete.

Dore blieb stumm.

»Dore, komm. Laß' uns von nun an gemeinsam das Leben aufnehmen, freudig, tapfer, ein stolzer Schutzwall dem Kinde. Du liebst mich ja, Dore.«

»Ich –« Ich liebe dich nicht, wollte Dore sagen, aber die Worte gingen nicht über ihre Lippen.

»Du mußt mich ja lieben, Dore. Schon um der Qualen willen, die du um mich gelitten hast.«

Dore beugte tief das Haupt.

»Dore – Dore.«

Sie richtete sich auf.

»Da kommst du auf einmal zur Tür herein, und alles soll gut sein. Und eines Tages wirst du wieder hinausgehen, und alles wird wieder zu Ende sein.«

»Wir sind doch keine Bauern, keine Tiere. Wir haben einen Menschen zusammen geschaffen, Dore. Das bindet doch Menschen unserer Art unlöslich aneinander. Fühlst du das nicht? Hast du es nicht jeden Tag, jede Stunde empfunden?«

Von Dores Kopf war nichts als die Krone des leuchtenden Haares zu sehen.

Bergmann machte einen schnellen Schritt vorwärts, dann blieb er wieder unbeholfen stehen.

 

»Du denkst vielleicht, zu dir allein wäre ich nicht zurückgekehrt. Es kann möglich sein, Dore. Ich weiß es nicht. Es ist wahr, ich habe sie nicht gespürt, jene große Liebe, die ich nur auf der Bühne anschaulich darzustellen vermag, wenn mir ein Dichter zu sagen gab, wonach ich sehnte und dürstete. Ich bin auch nicht herumgelaufen und habe mir ein Kind gewünscht, nein, weiß Gott nicht. Aber als ich ihn sah, den kleinen Bub, der meine Augen hat – meine Augen – nur unverdorben, nur unverdorbenen Blickes, da war es mir zum ersten Male, als wäre ich nicht mehr allein.«

Dore sah auf bei diesen Worten.

Bergmann hielt erschreckt inne. Er versuchte sein kühles, überlegenes Lächeln auf sein Gesicht zu bringen.

»Siehst du, ich rede schon wie ein Pastor, Dore«, sagte er heftig atmend mit mühsamem Lächeln. »Nun sage ja vor dem Altar.«

Dore rührte sich nicht. Es war ihr nicht möglich, den Mund zu öffnen.

»Dorel« Bergmanns Stimme klang drohend und verzweifelt. »Ich kenne mich, ich kann nicht betteln, laß mich nicht gehen, Dore.«

Er sah auf Dore, die mit hilflosen, glücklichen Augen zu ihm hinüberblickte.

»Du wirst nicht einsam bleiben, Dore. Soll mein Kind einen andern Vater nennen, sich mit einer Liebe, die nebenher von einem Fremden für ihn abfällt, begnügen. O, ich weiß, was es heißt, als Kind mit gleichgültiger Fürsorge abgespeist zu werden. Durch das ganze Leben spürt man es.«

Dore kam einen Schritt auf Bergmann zu.

»Du weißt ja nicht einmal, wie er heißt«, sagte sie mit einem süßen, verlegenen Lächeln und sah zu Bergmann auf.

»Doch weiß ich's – Peter!« erwiderte Bergmann und lächelte ebenfalls.

Und in diesem Lächeln löste sich die Starrheit der bebenden Körper, weich und kühlend strich es über die heißen Gesichter, lockte die Blicke liebkosend ineinander und zog näher und näher. –

Klein Peter durfte sorglos schlafen.