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Buch lesen: «Das verbrannte Bett»

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Das verbrannte Bett

Josef Blümel, der Herr Kanzleioffizial, wäre Wiener gewesen, gleichviel ob er in Paris, London oder Berlin auf die Welt gekommen, ob er auf Haiti, Sumatra hätte leben müssen, auf dem Mars oder auf dem Grund des Meeres.

Eilige Schritte waren Herrn Blümel verabscheuungswert. Schnell sprechen hätte er gar nicht fertiggebracht. Verdrießlichkeiten galten als persönliche Beleidigung. Das Kaffeehaus brauchte er, wie der Donaukarpfen die Donau.

Ebensowenig hätte der Herr Kanzleioffizial Musik entbehren können, wenn sich nach Schluß der Bureaustunden graues Unbehagen heranzuschleichen sucht, selbst an achtbare Beamte, alleinstehend und zu keinerlei Verschwendung geneigt. Kein Tingeltangelgeklapper, sondern die heiteren, heimatlichen Erzeugnisse eigener Landsleute, wie Mozart, Schubert, Strauß. Man war vertraut mit ihnen in allen Eigenarten, genau so wie mit Trambahngeklingel, Autogeschrei, Hustengepolter, Weibergeschwätz. Nur daß sie einem erheblich angenehmer waren.

Trotzdem war der Herr Kanzleioffizial aufregenden Neuigkeiten, Absonderlichkeiten und überhaupt jeder Art merkwürdiger Zwischenfälle des Lebens durchaus nicht abgeneigt. Er brachte ihnen Interesse entgegen, beinahe Gefallen.

Nur mußten sie anderen geschehen sein.

Gesprächsweise jedoch, auch durch Druckerschwärze in Buch oder Zeitung vermittelt, war er zu jedem Miterleben bereit.

In diesem Punkt war er geradezu selbstlos zu nennen. Sogar seine Sparsamkeit endete hier.

So aufregend es ihm selbst war, auch nur einen Vorortzug zu besteigen, so wenig kam es ihm auf die Größe und Menge der Gefahren an, die sich in jenen Berichten der Aufregung und des Entsetzens anderer steigern und anhäufen mochte.

Es war fast bewundernswert, was der Herr Kanzleioffizial in dieser Hinsicht an Grauenhaftem, Schauerlichem, Entsetzensvollem standhaft aushalten konnte.

Auch in anderer Hinsicht hatte es Herr Josef Blümel zu einer Art kleiner Meisterschaft gebracht. Das war die Gabe, sich kostenlose Genüsse zu verschaffen.

Einfacher und damit zutreffender gesagt: sich Genüsse zu verschaffen. Denn unter Genuß konnte der Herr Kanzleioffizial nur etwas Kostenloses verstehen.

* * *

So war es ihm eines pfingstlichen Sommersonntags wieder einmal gelungen, den besten Platz zu erobern, im fröhlichsten Gartenlokal, am Rand der Donau.

Unter Lindengezweig, noch dazu blühendem, schattig und sonnig zugleich, so dicht am Saum des rauschenden Stromes, daß man die blaue, bootbuntbebürdete Donau sowohl sah wie hörte.

Hier genoß der Herr Kanzleioffizial vorzüglichen Kaffee, in den kurzen hörbaren Schlucken des Genießers, gleichzeitig aus einem Buch der Leihbibliothek abenteuerliche Dinge des Tibetgebietes in sich aufnehmend.

Es war keine Kleinigkeit, sich in diesen windigen Tibetländern zu tummeln. Der Herr Kanzleioffizial war nun schon zehn Seiten lang unterwegs. Er mußte miterleben, daß ein Lama, umhüllt von Geheimnissen, einen seiner Schüler von sechzig Krankheiten heilte.

Die Möglichkeit einer Erkrankung lauert auch über dem Anspruchslosesten beständig. Herr Josef Blümel bemühte sich darum nachzurechnen, um welche Krankheiten es sich hier gehandelt haben mochte. Trotz sorgfältigster Grübelei gelang es ihm nicht, mehr als achtundfünfzig menschliche Leiden zusammenzubringen.

Als er, unzufrieden mit sich selbst, aus dieser Versunkenheit auftauchte, mußte er bemerken, daß er nicht mehr allein am Tisch saß.

Eine blonde Dame befand sich ihm gegenüber. Feste weiße Frauenhände brockten knusprige Kipfel in nußbraunen Kaffee. Wie wenn niemand sonst auf der Welt wäre. Wie wenn es weit und breit keinen gäbe, der sie dabei hätte beobachten können. Beispielsweise hätte sagen können, daß man jemanden, der so blond, hoch, straff und sicher in der Welt säße, unbedingt für eine Preußin gehalten hätte, würde man nicht feststellen, daß hier ein Kipfel auf echt Wiener Art gehandhabt würde.

Herr Blümel wendete sich wieder dem Tibetgebiet zu.

Er wünschte endlich zu erfahren, auf welche Weise diese unheimlichen Priester ihre übernatürlichen Kräfte zu erringen wußten.

Junge Damen hielt Herr Blümel nicht für Wertobjekte, im eigentlichen Sinn. Er gab zu, denn er hielt auf Gerechtigkeit, daß ganz vereinzelte Exemplare in dieser Hinsicht irrezuführen vermochten, äußerlich.

Jedoch es mußte Männer geben, die sich nicht täuschen ließen; die sich klar blieben, warum ihnen Verstand verliehen. Zu diesen rechnete sich Josef Blümel.

Nicht ganz aus eigenem Verdienst. Die Liebesheirat, der er sein Dasein zu verdanken hatte, wandelte sich zur furchtbaren Zwickmühle, die zwei Leben langsam zermahlt hatte.

Verzeihlich also, daß sich Josef Blümel ängstlich hütete, keiner Frau zu begegnen, die ihm hätte gefallen können. Daß er ängstlich darauf bedacht war, jedem Wink zu häuslichem Glück zu entgehen.

Obwohl er sich immer mehr allein fand. Nun, Anfang der Vierzig, hatte er längst alle Jugendbekannte durch die Ehe verloren. Alle diese Bedauernswerten hatten sich eines Tages eingebildet, die Frau gefunden zu haben, auf die sie zeitlebens gewartet hatten.

Herr Blümel bedauerte sie. Ohne sich loben zu wollen, konnte er sagen, daß er nie einen Freund beneidet hatte.

Von solch gefestigtem Standpunkt aus durfte sich Herr Josef Blümel ruhig eine Lesepause gestatten, um sein Gegenüber ein wenig zu mustern.

Er durfte zugeben, daß die neue Damenmode, die Hals und Arme auch nicht mit dem winzigsten Stofffetzchen zu verdecken suchte, als praktisch anzusprechen war, bei seiner Tischgenossin. Mit nichts war hier viel erreicht. Linien der Jugend und Anmut kamen ungeschmälert zu ihrem Recht.

Auch schien es Herrn Blümel, wie wenn blond die richtige Sommerfarbe wäre.

Vermutlich waren es diese Feststellungen gewesen, die den Herrn Kanzleioffizial bewogen hatten, dem blonden Fräulein mitzuteilen, daß es schönes Wetter wäre und er selbst der Herr Kanzleioffizial Josef Blümel sei.

Die Fremde antwortete freundlich, daß sie erstes schon heute früh bemerkt hätte.

Als Gegengabe der zweiten Mitteilung verriet sie ohne Zimperlichkeit den eigenen Namen.

Sie hieß Konstanze Krause, wohnhaft und gebürtig im preußischen Berlin.

Darauf sprach sie nichts weiter.

Dies beirrte Herrn Blümel. Bei seiner Abwägung weiblicher Eigenschaften kamen auf ein Gramm Schweigenkönnen zwei Kilo Schwatzlust.

Diese Berechnung versagte hier.

Genau wie die Art mit Kaffee und Kipfel umzugehen irreführend gewesen.

Irgendwie jedoch war man schließlich in ein Gespräch gekommen. Möglich sogar, daß Herr Blümel Ursache dazu gegeben. In Rückerinnerung schien es ihm, als habe er die junge Berlinerin auf die vielen bunten Wasserfahrzeuge aufmerksam gemacht, die über die Donau schnellten; wahrscheinlich nur aus wienerischer Heimatliebe.

Jedenfalls wußte er bald, daß er eine ganz moderne junge Dame vor sich hatte. Konstanze Krause besaß seit drei Jahren ein Handschuhgeschäft im Westen von Berlin. In einer Seitenbiegung der berühmten Tauentzienstraße, wo Luxus und Leichtsinn Tag und Nacht einander spazieren führten.

Obwohl Konstanze Krause nicht nur aus guter Familie stammte, sondern aus bester, hatte sie diesen Mut zur Selbständigkeit gewahrt.

Das hatte der Herr Kanzleioffizial übrigens beinah alles selbst mit Sicherheit festgestellt, bevor es ihm mitgeteilt worden.

In der Theorie zollte Herr Josef Blümel Hochachtung solcher selbständigen Weiblichkeit. Sie lauerte nicht bedrohlich auf die Ehe. Sie konnte ihr Geschick an sich herankommen lassen, wie ein Mann.

In der Praxis jedoch waren diese Damen nicht weniger unangenehm als jene Lauernden. Ihre abwägenden, kühlen, ruhigen Blicke brachten Schulprüfungen in beunruhigende Erinnerung. Sie waren imstande, schülerhafte Unsicherheit hervorzurufen.

Im allgemeinen genommen.

Nicht bei Josef Blümel, der gegen jede Wirkung weiblicher Art gewappnet war.

Darum hielt er es für nebensächlich und gleichgültig, daß er bei der Verabschiedung dem Fräulein unbeabsichtigt mitgeteilt hatte, daß er täglich spazierengehe, mittags zwischen elf und zwölf Uhr, die Kärntner Straße entlang, auf der Schattenseite …

* * *

Der Herr Kanzleioffizial schlief nicht gut in der folgenden Sommernacht. Wahrscheinlich weil sie zu lau war.

Die Träume fielen auf ihn nieder wie gewichtige Eisentüren.

Obwohl Herr Blümel, wie an jedem Abend, seine gymnastischen Entspannungsübungen gewissenhaft ausgeführt hatte. Auch nur mit einer leichten Decke hygienisch bedeckt war. Die Fenster waren selbstverständlich weit geöffnet.

Hatte er sich aus den schweren Träumen ins Wachsein gerettet, quälte ihn die Primzahl elf auf folternde Art. Er wünschte sie mit Gewalt aufzuteilen, begnügte sich endlich damit, sie zu addieren, zu subtrahieren, zu multiplizieren. Sie sauste in seinem Kopfe umher, wie wenn sich eine Mücke in seinen festverschlossenen Schädel Eingang zu verschaffen gewußt.

Der Grund zu dieser Qual blieb Herrn Josef Blümel unerklärlich.

Erst als es hell wurde, klärte sich auch in dem Herrn Kanzleioffizial das Bewußtsein.

Er sagte sich, daß diese ganze nächtliche Verdrießlichkeit nur zurückzuführen sein könne auf seine törichte Mitteilsamkeit gegenüber jener fremden jungen Dame.

Nicht nur, daß diese Schwatzhaftigkeit einer Verabredung glich, sie war obendrein eine Lüge, zumindest eine Voreiligkeit.

Herr Josef Blümel spazierte nie um elf Uhr durch die Kärntner Straße, weder auf der schattigen Seite, noch auf der sonnigen. Aus dem einfachen Grund, weil seine Bürozeit bis zwölf Uhr dauerte.

Der Herr Kanzleioffizial hielt es für notwendig, dafür zu sorgen, daß er sich nicht selbst Lügen gestraft hatte. Wozu selbst vor Gericht niemand gezwungen werden kann.

In dieser schwülen Urlaubszeit der Vorgesetzten würde es wahrscheinlich von niemandem bemerkt werden, wenn Herr Josef Blümel seinen Bürokittel etwas früher an den Nagel hängen würde. Etwa fünf Minuten vor elf Uhr.

Diese Vermutung war kein Irrtum gewesen. Schon am Nachmittag wußte dies Herr Josef Blümel.

Er hatte sich wirklich nicht Lügen strafen lassen um einer Frau willen. Er hatte seinen Bürokittel fünf Minuten vor elf an den Nagel gehängt. Es hatte niemand bemerkt. Der Herr Kanzleioffizial war die Kärntner Straße entlang gegangen, auf der Schattenseite.

Nicht nur einmal. Was Josef Blümel unternahm, führte er gründlich aus. Er war viele dutzendmal die belebte Straße entlang spaziert. Bekannten war er nicht begegnet. Auch nicht der flüchtigsten Bekanntschaft.

Am nächsten Tag fühlte sich Herr Blümel verpflichtet, seine Vermutung noch einmal auf die Probe zu stellen. Wieder wurde sein frühes Fortgehen von niemand beachtet.

Je pflichttreuer man ist, um so rascher siegt Gewohnheit. Am dritten Tag schon glaubte Herr Blümel diesen kleinen Extraweg nicht mehr entbehren zu können und deutlich zu bemerken, daß schon sein Bürokittel unruhig wurde nach dem Nagel an der Wand.

Der Herr Kanzleioffizial kam zu der Auffassung, diese selbstverordnete Ferienstunde als eine Art Badereise hinzunehmen. Eine Sommerfrische billig und bekömmlich. Wahrscheinlich hatte hier der Selbsterhaltungstrieb sein Recht verlangt.

Nach einer Woche jedoch gab es eines Tages keine Schattenseite mehr auf der Kärntner Straße. Es regnete.

Nach reiflicher Überlegung kam Herr Blümel zu dem Ergebnis, daß dieses Naturereignis nur so aufgefaßt werden könne, als daß der Straße zwei Schattenseiten zugeschrieben werden müßten.

Herr Blümel ging also die Straße abwechselnd links und rechts hinunter, wieder hinauf und hin und her.

Niemand begegnete ihm, mit dem ein Gruß auszutauschen gewesen wäre.

Regenwetter wirkt niederschlagend aufs Gemüt. Herr Blümel wenigstens erklärte es sich damit, daß er sich heute über mancherlei ärgerte. Es hatte wirklich den Anschein, wie wenn nur die Dummen Glück hätten. Überall sah er junge Gecken Grüße und Scherze tauschen, Handküsse geben.

Dabei glaubte Herr Blümel nicht einmal an das Sprichwort. Es konnte unmöglich soviel Glück im Weltall aufzutreiben sein, wie nötig gewesen wäre, um alle Dummheit zu belohnen.

Gerad im Augenblick dieser Feststellung, streng und präzis, streckte ihm das blonde Fräulein Konstanze die Hand zur Begrüßung entgegen.

Herr Josef Blümel machte viele Worte, um zu beweisen, daß hier Zufall wunderliches Spiel getrieben.

Die Berlinerin nahm diesen Augenblick natürlicher auf.

Sie bekannte, darin einen Beweis dafür zu sehen, daß sich Ausdauer belohne. Sie habe den Herrn von der blauen Donau jeden Mittag zu treffen versucht. Sie hätte angenommen, daß eine Persönlichkeit wie der Herr Kanzleioffizial, ernsthaft, verläßlich auf den ersten Blick, nicht ohne Ursache mitteilte, daß er täglich diese Straße durchwandre, auf der Sonnenseite.

Josef Blümel lächelte. Seinetwegen hatte sich das schöne Mädchen, groß, blond, selbständig, der heißen Sonnenglut ausgesetzt.

Gleichzeitig stieg Verdruß in ihm auf. Diese Mädchen! Selbst die selbständigsten waren imstande, Sonne und Schatten zu verwechseln. Nicht die wichtigsten Bemerkungen konnten sie im Kopf behalten.

Herr Blümel vermochte nicht zu verhindern, daß sich Strenge in seine Stimme mischte, als er bemerkte, daß er von der Schattenseite gesprochen hätte. In praller Sonne zu gehen, hielt er für ungesund, sowohl für die Haut, als für das Hirn.

Konstanze meinte, das könne doch nicht Herrn Blümels Ernst sein? Der lieben Sonne aus dem Weg gehen zu wollen? Es gäbe doch nur eine Sonne, aber so viele Wolken.

Solche Sprüche, die Poesie und praktische Lebensführung in Gegensatz brachten, liebte Herr Blümel nicht.

Er antwortete, daß scharfes Sonnenlicht Kleider und Anzüge verbleichen lasse und somit entwerte.

Indessen schritt man nebeneinander dem Stefansdom zu. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Wie man nur spazierengehen kann in einer Großstadt, deren Verkehrspuls ein Promenadenring ist.

Herr Blümel stellte fest, daß das blonde Fräulein diesen Wiener Schritt vortrefflich einzuhalten verstand, gemächlich und doch nicht langweilig. Geübter Walzertakt hätte man ihn nennen können.

Konstanze prüfte ebenfalls. Sie dachte: Langweilig aber praktisch. Der geborene Ehemann. Daher seine Feigheit vor der Ehe. Armer Kerl.

Ganz von ungefähr kam ihr in den Sinn, welches Kopfzerbrechen ihr die Buchführung bereitete. Solcher Kanzleioffizial würde sich solchen Geschäftsbüchern sicherlich mit Vergnügen widmen, in Feierstunden.

Auch in Wien würde sich ein Handschuhladen führen lassen.

Zufällig hatte Konstanze solchem Luftschloß schon in die Fenster geguckt.

Es gab am »Graben« ein Fräulein Steffi Pichler, die mit Freuden bereit gewesen wäre, ihr flottes Handschuhgeschäft einzutauschen gegen ein ähnliches in der Reichshauptstadt.

Sie stellte sich Berlin als Paradies der Lebenslust vor. Großstadt, wie sie sein sollte. In der man überhaupt nur Trab lief. Wien spielte doch nur Großstadt. Im Grunde hielt man hier jeden, der Eile hatte, für einen Trottel. Steffi aber wollte mitten hinein in den Trubel, Strudel, Knudel, wo man nichts anderes mehr kannte als Jagen, Hetzen, Vorwärts. Sie war Braut eines Kunstfahrers auf Motor. Dessen Lebensparole war: verbotenes Schnelltempo. Rattatata. Außerdem hatte er Stellung in Berlin angenommen …

Konstanze dagegen glaubte Gemächlichkeit verlockend zu finden. Sanfte Spaziergänge entlang der Donau, hinauf zum Kahlenberg, Ausflüge in den Wiener Wald, mit einem Picknickkörbchen, das möglicherweise von einem Ehemann getragen wurde, in rechtschaffenem Stolz …

Konstanzes nachdenkliche Schweigsamkeit beunruhigte Herrn Josef Blümel. Er beeilte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen, das sich um Musik drehte. Morgen würde wahrscheinlich der Himmel wieder blau sein. Dann sollte niemand versäumen, in den Schönbrunner Park zu gehen, wo Walzer gespielt würden, von Lanner und von Johann Strauß.

Konstanze antwortete weder ja noch nein.

Sie fragte, ob Herr Blümel selbst irgendein Instrument spiele?

Herr Blümel gestand ein, daß er die Geige zu handhaben wisse. Vom Blatt sowohl wie nach dem Gehör. »Wiener ist Wiener,« fügte er entschuldigend hinzu.

Sie blickten beide zum Stefansturm auf, dessen Spitze sich mit allen ihren Zierlichkeiten in die Wolken verlor, wie eine zarte Melodie vergangener Stunden oder kommender.

Schließlich verabschiedete man sich.

Man hatte keine Verabredung getroffen.

Jedoch hatte Fräulein Konstanze mit keinem Wort widersprochen, als Herr Blümel noch einmal versichert hatte, daß es gesund sein würde, für Gemüt wie Körper, Walzer zu hören im Schönbrunner Park …

* * *

Gut und schlecht gibt es nicht. Beides Worte ohne greifbare Begriffe. Selbst auf das Wetter angewandt, ohne Sinn und Verstand. Immer gibt es Greise, die frieren, immer Jünglinge, denen es zu heiß ist.

So sagte sich Herr Blümel ärgerlich am folgenden Nachmittag.

Der Himmel war grau, aber es regnete nicht.

Wer konnte es wissen, ob es Schönbrunner Walzerwetter werden würde oder nicht?

Es konnte regnen, ebensogut war es möglich, daß es schön blieb.

Der Bericht an der Urania sagte dasselbe. Natürlich umständlicher, wie es sich gehörte für eine amtliche Verkündigung.

Herr Blümel begann sich mit jedem in ein Gespräch einzulassen, der leichtsinnigerweise vor dem Wetterbericht haltmachte. Nicht allein des Wetters wegen. Oder etwa des geplanten Konzertbesuches halber. Oder gar, weil er glaubte, jene junge Berlinerin dort wiedersehen zu können und sonst vielleicht für immer aus den Augen zu verlieren. Alles das waren Flüchtigkeiten. Herr Blümel fragte aus Interesse am Menschentum.

Eilige, Elegante, Schäbige, Langsame wurden befragt, ob das Wetter schön werden würde, ob es bleiben würde, wie es ist, oder sich zum Regen anschicken könnte?

Eilige riefen: Schon möglich.

Womit alle drei Fragen mit einer Klappe erschlagen waren.

Elegante antworteten beunruhigt, daß sie nicht wüßten, warum es regnen sollte.

Langsame erklärten umständlich, daß alle drei Möglichkeiten nicht ausgeschlossen wären.

Wieder vermißte Herr Blümel jede Einheitlichkeit im menschlichen Auffassungsvermögen.

Er blickte ärgerlich nach oben. Die ganze Wetterwerkstatt hinter den Wolken dünkte ihm geschaffen eigens für Weibspersonen. Um ihren Launen, Ausreden, Ausflüchten, Veränderungsmöglichkeiten jeder Art in die Hände zu spielen. Er traute ihr nichts mehr Gutes zu, sondern nur Zweifelhaftes.

Ärger macht ungerecht. Man meint es da oben wahrscheinlich mit jedem gut. Auch Herrn Blümels Zweifel wurden bald behoben. Prasselnder Regen sauste hernieder.

Herr Blümel wußte endlich, was er zu tun hatte. Er spannte seinen Regenschirm auf, den er auf jeden Fall bei sich hatte, klappte den Kragen seines hellen Sommerrockes hoch und begann seinem Stammcafé entgegenzueilen.

Der Regen verstärkte sich. Herr Blümel trug

Schuhe, die nicht für Galopp berechnet waren. Er hatte die Gewohnheit, stets solche zu kaufen, die um ein weniges zu weit waren. Eigentlich ohne daß er es wollte. Er hatte sehr kleine Füße. Die Natur schien nun einmal nicht gewollt zu haben, daß er auf großem Fuß leben sollte. Herr Blümel aber konnte sich nie entschließen, die kleinste Schuhnummer zu wählen für die gleiche Summe, mit der er die größte hätte erstehen können.

So war Herr Blümel aus manchem Grund nicht unzufrieden, als er das Café erreicht hatte.

Doch schon mischte sich ins Behagen ein kleiner Widerspruch. Es verdroß Herrn Blümel, Fräulein Konstanze nicht erzählt zu haben, daß es üblich bei ihm war, das gemütliche Café am Graben aufzusuchen, falls er nicht ausnahmsweise einen Spaziergang vorzöge. Verschwiegenheit war achtbar. Geheimnistuerei aber lächerlich. Herr Blümel mußte sich vorwerfen, in diesem Fall lächerlich gehandelt zu haben. Dieses Mädchen, blond, edel gebaut, aus angesehener Familie, in selbständiger Stellung, hatte alle Berechtigung auf volles Vertrauen …

Immerhin, der Kaffee duftete köstlich, schmeckte ebenso und brachte bald die federnde Belebtheit, die nur dieses unentbehrliche Gift zu vergeben hat.

Außerdem gelang es Herrn Blümel, seine sämtlichen Lieblingszeitungen zu erwischen, sie alle miteinander auf seinen Stuhl zu schieben und sich darauf zu setzen. Auch zeitweiliges Besitzerrecht will gesichert sein.

Herr Blümel wußte, daß der Herr mit dem altmodischen Kotelettenbart, der im speckigen Bratenrock stets in der Nebennische saß, auf die gleichen Neuigkeitsblätter entbrannt war. Zuzusehen, wie er den weiten, spiegelwandigen Raum nach den Zeitungen durchjagte, Tisch nach Tisch umschnüffelte, ratlos verzweifelt, wie ein Hund, der die Spur seines Herrn verlor, war ein Schauspiel, kostenlos, also köstlich. Es gab Lebensgenüsse genug, die unabhängig sind von jenen Verzwicktheiten, die zusammenhängen mit Frauen, Ehetum und ähnlichen Gebieten.

Auf solchen Gedankenwanderungen mußte es Herrn Blümel erfreuen, als er jetzt in der Zeitung las, daß es einem geschickten Forscher gelungen war, einen Hahn soweit zu bringen, Eier auszubrüten. Tadellos, fachgewandt, vorschriftsmäßig war dem Hahn dieses Kunststück gelungen, das sich wichtigmachende Hennen durch überlautes Glucksen anzukünden pflegen. Auch die Naturgesetze bekamen allmählich einen Riß, Herr Blümel war überzeugt davon, die ganze Überschätzung der Weiblichkeit im Weltall würde eines Tages zerplatzen wie Seifenblasen.

Herr Blümel hatte unter diesen Fortschrittshoffnungen nicht bemerkt, daß drei neue Gäste mit lebhaften Worten die Nebennische füllten, die Herr Blümel durch Spiegelung übersehen konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Viel hatte Herr Blümel dort schon miterlebt, Lustspiele, Dramen, auch Filme, alles in kostenloser Beobachtung.

Der Klang einer Stimme, die ihm angenehme Melodien der Erinnerung zu spielen begann, rief ihn aus seiner Versunkenheit in das Problem brütender Hähne.

Wem gehörte diese Stimme? Er blickte auf. Er wußte es.

Da saß Fräulein Konstanze zwischen einem Herrn und einer Dame. Sie trug eine Ledermütze, unter der sich das Blond hervordrängte, auffällig wie ein selten gewordenes Goldstück aus überreichem Geldbeutel.

Sonst bemerkte Herr Blümel ein helles Kleid, aus dem der Hals, lang, schlank und weiß, emporragte.

Herr Blümel wollte sich einreden, daß Gänse ähnliche glatte lange Hälse besäßen. Aber er konnte nicht verhindern, daß er an einen Schwan denken mußte. Sogar an einen Singschwan.

Auch die Dame neben dem blonden Fräulein war dem Herrn Kanzleioffizial nicht unbekannt. Ein Stammgast des Cafés am Graben mußte wissen, wer Fräulein Steffi Pichler ist.

Herr Blümel besorgte zwar keine Einkaufe in solchem Luxusgeschäft. Doch es gehörte zu Fräulein Pichlers Gewohnheiten, die Tür ihres Ladens weit geöffnet zu halten bei jedem Wetter. Vermutlich in der

Absicht, daß jeder Lufthauch einen Kunden hineinwehen sollte.

So hatte Herr Blümel oft genug beobachten können, wie Fräulein Steffi einem Kavalier die hellgelben Wildledernen anprobierte. Finger für Finger mit sanften Streichbewegungen bearbeitend. Dabei wurde geplaudert. Anscheinend Heiteres. Man lächelte und lachte.

Herr Blümel beobachtete Fräulein Konstanzes festgeformte Hände, die nicht klein waren, jedoch keineswegs groß zu nennen. Es waren Hände, denen zuzutrauen war, daß sie gegebene Versprechen halten würden.

Verkaufte man die Handschuhe auch in Berlin auf solche intime beschauliche Art? Oder hinderte dort das energische Tempo solches Verlieren in Unnützigkeiten?

Jedenfalls mochte es auch dort angebracht sein, daß eine Dame in derartiger Lebensstellung einen männlichen Menschen als Schutzwall neben sich hatte.

Herrn Blümels Blicke glitten zu dem Nachbar der beiden Damen. Das war ein Mann des Tages, motorvertraut. Herr Blümel hatte dies auf den ersten Blick festgestellt.

Über diesen neuen Typ, dieses Musterbild der Zeit hatte sich Herr Blümel erst kürzlich mit einem jüngeren Kollegen gestritten.

Dieser hatte behauptet, daß die Zeit wieder gekommen wäre, wo Muskel- und Körperkraft Maßstab des Mannes ausmachten, nicht mehr der steife Kragen und die Gehirngrammchen. Dem halsfreien Proletarier gehörten Zukunft und Weib.

Herr Blümel hatte Bedauern gefühlt. Er glaubte zu wissen, daß auch dieser Kollege nur die Anschauung einer Frau echote. Ihretwegen verließ er die Beamtenbahn mit dem sicheren Endziel der Pensionsberechtigung. Denn diese Frau hatte verkündet, sie würde schon am Hochzeitstag sterben vor Langeweile, wüßte sie im voraus, genau auf Heller und Pfennig, was ihr Lebensgefährte verdienen würde, nicht nur bis ans Lebensende, sondern sogar noch darüber hinaus.

Abwechslung, Aussichten, Erwartung, Neugier, ungeahnte Möglichkeiten sollten die Lebensfahne flattern lassen.

Herr Blümel hatte dazu geschwiegen. Auch dieser Arme, sonst zuverlässig und korrekt, glaubte auf dieses Geflatter zeitlebens gewartet zu haben. Bedauernswert jeder, der einem weiblichen Wesen übertriebenen Wert beimessen konnte.

Während dieses Gedankens mußte Herr Blümel bemerken, wie Fräulein Konstanze im Spiegelbild einen silbernen Likörbecher bereit hielt, um ihn gegen einen gleichen anklingen zu lassen, den die massive Klaue des Kräftelenkers umfaßt hatte. Man schien irgendeinen Plan oder einen Entschluß damit besiegeln zu wollen.

Herr Blümel hatte sich plötzlich erhoben, vorwärts bewegt und eine Verbeugung gezwängt zwischen die Silberbecher, bevor sie sich berühren konnten.

Fräulein Konstanze erschrak sichtbar.

Aus Freude? Oder weil sie herausgerissen wurde aus leichtsinnigem Spiel? …

* * *

Alle Vermutungen sind beinahe richtig.

Konstanze hatte an Herrn Blümel gedacht. Er war einbegriffen gewesen in dieses Becherklingen, das dem Austausch zweier Lebenswege hatte gelten sollen, einem Jongleurspiel, in dem die Städte Berlin und Wien die Goldkugeln waren.

Ziffern und Zahlen der Geschäftsbücher zweier Handschuhgeschäfte hatten ergeben, daß hier ein Tausch niemanden betrügen würde.

Nun hatte Konstanze sich und den anderen eine Woche Bedenkzeit ausbedungen. Sie spielte Lotterie mit der Zukunft. Sie hatte sich gesagt, sollte ihr Herr Blümel noch einmal, unverabredet begegnen, wollte sie ihn bei manchem Zusammensein prüfen, beobachten, zu ergründen suchen.

Konstanze hatte also eigentlich gewünscht, Herrn Blümel wieder zu begegnen.

Gleichzeitig aber gehofft, daß ihr Plan von selbst zerfließen würde, wie manches andere Luftschloß, mit dessen Grundstein sie balanciert hatte im Zukunftsgewölk.

Berlin war Berlin. Man tadelte es, wenn man dort war. Man sehnte sich zurück, wenn man es verlassen. Konnte jemand diese Stadt verstehen, der nicht dort aufgewachsen war? Der Pariser liebt sein Paris, er braucht es wie der Säugling die Milch. Warum schämt sich der Berliner, daß es ihm nicht anders geht, mit dem brausenden Steinmeer zwischen Spree und Havel, zwischen blauen Seen und patinagrünen Fichtenwäldern?

War es mit Wien ebenso? Diese Stadt, die wie ein alter herrlicher Garten immer wieder gemächlich die gleichen Pflanzen, immer aufs neue die gleichen Menschenarten hervorbrachte, ungeachtet alles Zeitgetümmels? Verstand man die Musik des Stefansdoms, wenn man nicht schon als Kind mit diesen Melodien gespielt hatte, wie mit Kreisel und Murmel? Vermochte man sich wirklich einzufügen in den Spazierrhythmus der Ringstraße, wenn sich nicht schon die ersten Schritte dort hatten erproben können?

War man sowenig imstande, seine Heimat zu vertauschen wie sein Herz?

Konstanze, Blicke und Gedanken draußen in rauschenden Regenstreifen, spürte zwischen Kaffeeduft, Löffelgeklapper und Stimmgeschwirr des Wiener Cafés den feinen Hauch ihres parfümierten Kaufladens, dessen bunte geschmackvolle Enge oft den Rahmen bildete für anmutiges Gesellschaftsgeplauder.

Freundinnen, Bekannte der Jugendzeit, fanden sich dort ein, um scherzend, spöttisch oder begeistert zu streiten über Kunst, Theater, Bücher, Reisen, über Moden jeder Art. Mit der Leichtigkeit des Schaums, der sich über den Wellen kräuselt und über gefüllten

Sektkelchen. Lebensschwimmer, die nichts von der Tiefe wissen wollten, die sich weder weit hinaus wagten, noch zu tauchen suchten, wenigstens nicht ohne Korkgürtel oder feste Kappe. Deren Sterne die Bogenlampen waren und die es alle verstanden, auf Spaziergängen oder Wagenfahrten umzukehren, kurz ehe die drohenden Vorstädte beginnen.

Hatten sie genug von der Kühle oder der Wärme des bunten Ladenwinkels, eilten sie davon, zu Fuß oder im Auto. Sie kümmerten sich nicht im geringsten darum, ob dieser bunte, behaglich scheinende Fleck im Stadtgetrubel für Konstanze das Podium sein könnte eines tüchtigen Boxerkampfes mit Kalkulationen von Einkauf, Verkauf und Wiedereinkauf und anderen geschickten Handgriffen, mit denen der Erwerbenmüssende unermüdlich dem schlauen Leben zu parieren wissen muß.

Man darf den Flüchtigen ihre Gleichgültigkeit nicht übel nehmen. Konstanze wußte aus ihrer Kinderzeit, jenen verwöhnten Tagen, daß auch Leichtlebige nicht so leichtlebig sind, wie es Zuschauern scheint. Angst ist der Hintergrund all unserer Taten. Jeder versucht, sich auf seine Weise vor dem Schicksal zu verstecken. Der eine verschanzt sich hinter Arbeit, der andere sucht hinter Vergnügungen Unterschlupf. Notwendig sind alle. Die Leichtlebenden erhalten das Lachen.

Konstanze lachte gern. Konstanze verstand zu lachen. Wozu durchaus nicht jeder befähigt ist.

So hatte Udo von Silken behauptet. Er kannte

Konstanze von Kindheit an. Ihre Väter waren Freunde gewesen.

Udo war einer der treuesten unter Konstanzes Kundschaft. Er kaufte unermüdlich Handschuhe. Das heißt, er ließ die Schuld dafür ankreiden.

In diesem Punkt war Udo Meister.

Er entschuldigte dies mit der Erklärung, daß er unmöglich Geld besitzen könne, denn er wäre etwas, das es heut überhaupt nicht mehr gäbe. Adel wäre abgeschafft, Besitz ausgerottet, Tradition weggeblasen.

Er aber bildete das Ergebnis von allen dreien. Durfte man ihn dafür verantwortlich machen?

Udo hatte eine lässige Art sich zu bewegen, zu sprechen und zu urteilen, über die sich Konstanze zu ärgern glaubte. Kein anderer bewegte sich so. Wenigstens kannte Konstanze niemanden, der ihm vergleichbar wäre. Wenige auch brauchten solche kleine Handschuhnummern und verfügten trotzdem über solchen festen Griff.

Udo verlangte manchmal Damenhandschuhe. Immer in flottester Ausführung. Natürlich auch auf Kredit.

Es konnte Konstanze gleichgültig sein, was sie dem Jugendfreund auf Konto schrieb, ob Handschuhe für Damen oder für Herren.