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Die Entstehung der Kontinente und Ozeane

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Erscheinungen der Tiefseeböden

Man braucht nicht anzunehmen, daß mit dem Zutagetreten des hoch temperierten Simas am Meeresboden irgendwelche katastrophalen Ereignisse verbunden wären. Der „kritische Druck“ des Wassers beträgt ja nur 20 Atm. und wird also schon in 200 m Tiefe erreicht. In größeren Tiefen tritt also bei noch so großer Erhitzung keine Dampfbildung mehr ein, sondern das überkritisch erhitzte Wasser sucht nur vermöge seiner Gewichtsverminderung aufzusteigen, wobei es natürlich bald der Mischung mit den fast auf den Gefrierpunkt abgekühlten Wassermassen der Tiefsee anheimfällt. So pflegen ja auch unterseeische Lavaergüsse in aller Ruhe zu erfolgen. Nach Bergeat haben z. B. in den Jahren 1888, 1889 und 1892 in der Nähe von Vulcano solche unterseeischen Ausbrüche in 700 bis 1000 m Tiefe stattgefunden und eine Zerreißung des von Lipari nach Milazzo führenden Kabels zur Folge gehabt, wodurch man überhaupt erst auf sie aufmerksam wurde. Es gilt als eine bekannte Eigentümlichkeit solcher submarinen Eruptionen, sich fast geräuschlos zu vollziehen65.

Die Tiefen der drei großen Ozeane sind nicht genau dieselben. Krümmel66 gibt als mittlere Tiefe des Pazifik 4097, des Indik 3929 und des Atlantik nur 3858 m an, und auf Grund der Ausmessung der Grollschen Tiefenkarten fand Kossinna67 noch größere Unterschiede, nämlich für den Pazifik 4286 m und den Indik 3977 m. Daß dieser Unterschied der Tiefen kein zufälliger ist, sondern ein systematischer, und daß er mit dem zwischen atlantischem und pazifischem Küstentyp zusammenhängt, zeigt am besten der Indik, dessen Westhälfte atlantischen, und dessen Osthälfte pazifischen Charakter trägt. Denn hier ist wiederum die Osthälfte erheblich tiefer als die Westhälfte. Diese Dinge haben für die Verschiebungstheorie deshalb ein besonderes Interesse, weil ein Blick auf die Karte zeigt, daß es gerade die ältesten Tiefseeböden sind, welche die größte Tiefe haben, während diejenigen, welche erst vor relativ kurzen Zeiten entblößt sind, die geringste Tiefe zeigen.

Fig. 19.

Karte der Tiefseesedimente, nach Krümmel.

1 roter Tiefseeton, 2 Radiolarienschlamm.


Ein getreues Bild dieser Tiefenverhältnisse und damit auch des Alters der Tiefseeböden gibt auch die Verteilung der Tiefseesedimente (Fig. 19), worauf Krümmel mich seinerzeit persönlich aufmerksam gemacht hat. In überraschender Weise sieht man hier sozusagen die Spur der Verschiebungen. Der rote Tiefseeton und der Radiolarienschlamm, die beiden echt „abyssischen“ (Tiefsee-) Sedimente, sind wesentlich auf den Pazifik und östlichen Indik beschränkt, während Atlantik und westlicher Indik von „epilophischen“ Sedimenten bedeckt sind, deren größerer Kalkgehalt mit der geringeren Meerestiefe ursächlich verknüpft ist.

Diese Unterschiede der Tiefe der Ozeane können natürlich durch verschiedenes spezifisches Gewicht der darunterliegenden Gesteine verursacht sein. Der mineralogische Unterschied zwischen pazifischen und atlantischen Laven legt sogar diese Auffassung sehr nahe. Es könnte ja sein, daß sich die Zusammensetzung der zähen Simaflüssigkeit im Laufe der Erdgeschichte durch Auskristallisieren gewisser Bestandteile oder andere Ursachen etwas geändert hat, und daß die Tiefseeböden deshalb je nach ihrem Alter verschiedene Eigenschaften besitzen. Allein man sollte dann wohl erwarten, daß gerade junge Meeresböden die größten, nicht die kleinsten Tiefen aufweisen. Wahrscheinlicher dürfte es deshalb sein, daß es sich nur um den Einfluß der Temperatur handelt, daß also die alten Tiefseeböden stärker ausgekühlt und deshalb schwerer sind als junge. Beträgt nämlich das spezifische Gewicht des Sima 2,9, so würde es bei Temperaturerhöhung um 100° unter Zugrundelegung des kubischen Ausdehnungskoeffizienten für Granit 0,0000269 auf 2,892 verändert. Zwei um 100° verschieden temperierte Tiefseeböden, die miteinander im isostatischen Gleichgewicht stehen, müßten dann einen Tiefenunterschied von 300 m aufweisen, um welche der wärmere Boden höher liegt. Es ist freilich schwer vorstellbar, daß z. B. der Boden des Atlantik seine höhere Tiefentemperatur einen auf Millionen Jahre zu schätzenden Zeitraum hindurch bewahrt haben sollte, selbst wenn man den anfänglichen Temperaturunterschied viel höher (etwa 1500°) bemessen darf. Allein wir wissen ja nicht, aus welcher Quelle die Innenwärme der Erde überhaupt stammt. Wenn sie, wie manche meinen, durch den Zerfall der radioaktiven Stoffe erzeugt wird, und sogar wenn sie nur teilweise durch denselben unterhalten wird, dürfte der Gedanke, daß frisch entblößte Tiefenschichten vermöge ihres höheren Gehaltes an radioaktiven Stoffen selbst geologische Zeiträume hindurch erhöhte Temperatur aufweisen, wohl nicht gänzlich von der Hand zu weisen sein.

Wenn die Verschiebung der Kontinente auf der Flüssigkeit des barysphärischen Sima beruht, so wäre es merkwürdig, wenn bei diesen Prozessen das Sima als gänzlich ruhend zu betrachten wäre und seine Fähigkeit, zu strömen, sich nur darin äußerte, daß es den triftenden Kontinentalschollen nach unten ausweicht und hinter ihnen wieder emporsteigt. Es ist vielmehr wohl anzunehmen, daß bisweilen auch Strömungen selbständigeren Charakters im Sima auftreten. Die Karte gibt an einigen Stellen durch die Verzerrung früher anscheinend geradliniger Inselketten eine unmittelbare Anschauung von solchen mehr lokalen Strömungen des Simas. In Fig. 20 sind zwei Beispiele dafür gegeben, nämlich das der Seychellen, die einen von Madagaskar nach Vorderindien gerichteten, von der Mittellinie nach beiden Seiten schnell abnehmenden Strom anzuzeigen scheinen, und das der Fidschi-Inseln. Der erstere Strom paßt sehr gut zu unseren Vorstellungen von dem Zusammenschub der langen lemurischen Halbinsel gegen die asiatische Scholle, denn er läuft in der Spur von Lemurien, also im frisch entblößten Tiefseeboden, während die älteren Tiefseeböden nordwestlich und südöstlich davon sich langsamer bewegen. Die Form der Fidschi-Inseln dagegen, die an einen zweiarmigen Spiralnebel erinnert, scheint mit der Bewegungsänderung zusammenzuhängen, welche Australien erfuhr, als es seine letzte Verbindung (über Tasmanien) mit Antarktika zerriß und unter Zurücklassung der Girlande Neuseeland seine noch heute erkennbare Bewegung nach Nordwesten begann, die zur Kollision mit dem hinterindischen Schelfgebiet führte. Den schon früher besprochenen Inselbogen zwischen Feuerland und Grahamland, der auf den ersten Blick gleichfalls hierher zu gehören scheint, möchte ich jedoch nicht als Ausdruck einer lokalen Strömung auffassen, sondern auf die allgemeine Verschiebung der Kontinente nach Westen zurückführen. Denn ein ähnliches Zurückbleiben der kleineren Brocken nach Osten sehen wir in allen Breiten: Bei Mittelamerika die Antillen, in Ostasien die Inselgirlanden; ein ähnlicher Inselbogen (Prinz-Edwards-Inseln, Crozet-Inseln, Kerguelen, Heard-Insel) verbindet auch Südafrika mit Antarktika, und auch zwischen Australien und Antarktika entspricht die östlichere Lage Neuseelands einem solchen Bogen über die Macquarie-Inseln nach Wilkes- oder Viktoria-Land.


Fig. 20.

Oben: Madagaskar und Seychellen-Bank. Unten: Die Fidschi-Inseln. (Tiefenlinien 200 und 2000 m; Tiefseerinnen punktiert.)


Es sei in diesem Zusammenhange auch ganz kurz der mittelatlantischen Bodenschwelle gedacht. Die Auffassung von Haug, welcher den ganzen Atlantik als eine riesige Geosynklinale und die mittelatlantische Schwelle als den Beginn der Faltung dieser Geosynklinale betrachten will, ist heute wohl ganz allgemein als unzureichend erkannt. Wir verweisen hier nur auf Andrées Kritik68. Auch für diese merkwürdige Erscheinung gibt die Verschiebungstheorie eine einfache Erklärung in die Hand: Es handelt sich hier wohl um die ehemalige Grabensohle aus der Zeit, als der Atlantik erst einen relativ schmalen Grabenbruch darstellte, der mit abgesunkenen Randpartien, Küstensedimenten und wohl teilweise auch geschmolzenen lithosphärischen Massen angefüllt war. Die Inseln, welche heute die lange Bodenschwelle krönen, sind wohl alle bereits zu dieser Zeit als Bruchstücke der Spaltenränder entstanden, was natürlich nicht hindert, daß ihr sichtbarer Aufbau ganz vulkanisch sein kann. Als sich dann im weiteren Verlauf der Verschiebung die atlantische Simaoberfläche wie Gummi auseinanderzog, nahm dieses sprödere Material an der Ausdehnung nicht teil, sondern blieb gesammelt, stets die Mitte zwischen beiden Kontinenten haltend. Die sogenannten Tiefseesande mit Mineralkomponenten bis zu 0,2 mm Durchmesser, die offenbar in Küstennähe abgelagert sind, aber von der Valdivia-Expedition und von der deutschen Südpolar-Expedition unter v. Drygalski mitten im Ozean entdeckt wurden, scheinen besonders auf ein solches Ziehen des Meeresbodens hinzudeuten, da nur auf diese Weise alle Teile desselben früher küstennah gewesen sein können.

 

Über die Natur der Tiefseerinnen69 läßt sich wohl auf Grund der bisherigen, sehr dürftigen Beobachtungen noch kein abschließendes Bild gewinnen. Sie sind, wie schon oben erwähnt wurde, so häufig der konvexen Seite von Girlanden vorgelagert, daß sich ein ursächlicher Zusammenhang beider Erscheinungen wohl nicht von der Hand weisen läßt. Sie liegen hier offenbar an der Grenze zwischen dem lithosphärischen Material und dem barysphärischen und scheinen jedenfalls relativ schnellen Prozessen zu entspringen, weil das Sima offenbar noch keine Zeit gefunden hat, die Vertiefung auszufüllen. Sie befinden sich immer am Rande des alten Tiefseebodens, z. B. östlich von Japan die Tuscarora-Rinne, während am entsprechenden Rande der Hauptscholle (Korea), wo die Simafläche erst frisch entblößt ist, keine Rinne vorhanden ist. Es scheint also, als sei der alte Tiefseeboden infolge seiner tiefergehenden Abkühlung und Erhärtung allein dazu befähigt, solche großen Spalten zu bilden. Die Zugkräfte, welche sie aufrissen, waren jedenfalls wohl dieselben, welche auch die Abtrennung der Girlande von der Hauptscholle verursachten. In Fig. 21 ist als Beispiel der Querschnitt der Yap-Rinne nach G. Schott und P. Perlewitz wiedergegeben, welche auch die typische „Horst“-Erhebung auf der der Inselreihe gegenüberliegenden Seite der Rinne zeigt. Die Tiefen darin sind fünffach übertieft; die gestrichelte Linie entspricht den natürlichen Verhältnissen.

Bei der tiefen, rechtwinklig gebogenen Rinne südlich und südöstlich der Insel Neu-Pommern beruht die Entstehung offensichtlich auf dem gewaltsamen Fortzerren der Insel nach Nordwesten infolge Kollision mit Neuguinea; die 100 km tief sich hinabsenkende Inselscholle pflügt das Sima, welches nachströmend das Loch noch nicht ganz gefüllt hat. Den Zusammenhang dieses ganzen einzigartigen Vorganges mit der Bewegung Australiens und Neuguineas werden wir später zu besprechen haben. Es ist dies wohl derjenige Fall, wo wir uns am genauesten Rechenschaft über die Entstehung einer Tiefseerinne ablegen können.


Fig. 21.

Übertiefter Querschnitt durch die Yap-Rinne. (Oben gestrichelt die natürlichen Maßverhältnisse.)


Für die den südamerikanischen Anden westlich von Chile vorgelagerte Atakama-Rinne scheint sich die Möglichkeit einer noch anderen Erklärung zu bieten. Berücksichtigen wir nämlich, daß sich bei der Aufstauung dieses Gebirges alle Schichten unterhalb des Tiefseeniveaus nach unten stauchen, so muß hierdurch auch der benachbarte Tiefseeboden mit hinabgezogen werden. Dazu kommt noch ein weiterer Grund für das Sinken des Kontinentalrandes, nämlich die Abschmelzung der nach unten gerichteten Gebirgsfaltung und die durch die Westwanderung der Scholle bewirkte Entführung der geschmolzenen Massen nach Osten. Auch hierdurch muß der Kontinentalrand sinken und wird das benachbarte Sima mit hinabschleppen.

Indessen bedürfen alle diese Vorstellungen über die Natur der Tiefseerinnen noch durchaus der Bestätigung durch weitere genauere Erforschung, namentlich auch durch Schweremessungen. Bisher liegen hierüber meines Wissens nur Heckers Beobachtungen über der Tongarinne vor, welche eine Schwerestörung ergaben, was mit unserer Vorstellung, daß hier der isostatische Ausgleich durch Nachströmen des Sima noch nicht erfolgt sei, zu harmonieren scheint. Es wäre aber von großer Wichtigkeit, die Natur dieser interessanten Schwerestörung durch weitere Beobachtungen auch an anderen Rinnen genauer kennen zu lernen.

Viertes Kapitel.
Die Verschiebungen der Kontinentalschollen

Zu irgend einer Zeit hat die lithosphärische Haut den ganzen Erdball bedeckt. Sie kann damals nicht 100, sondern nur etwa 30 km dick gewesen sein, und war mit einer „Panthalassa“ bedeckt, deren durchschnittliche Tiefe Penck zu 2,64 km berechnet, und die wohl nur wenige oder gar keine Teile der Erdoberfläche frei ließ. Diese Vorstellung paßt durchaus zu dem, was wir über die älteste Entwickelung des Lebens auf der Erde wissen. „Es zweifelt wohl kaum jemand ernstlich daran, daß das Leben des Süßwassers, sowie des festen Landes und der Luft aus dem des Meeres hervorgegangen ist“70. Vor dem Karbon kennen wir noch keine Vierfüßler und Insekten, vor dem Devon keine Landpflanzen und vor dem Silur überhaupt keine luftatmenden Tiere.

Durch irgendwelche Kräfte wurde nun diese verschiebbare und selber plastische Erdhaut aufgerissen, und diesem Aufreißen auf der einen Seite entsprach auf der anderen Seite ein Zusammenschub. So bildeten sich die ersten Faltengebirge, und gleichzeitig begann das Meer, sich in Tiefsee und Flachsee zu gliedern, die auch damals schon durch einen Steilabfall geschieden waren. Walther schreibt: „Allgemeine biologische Gründe, die stratigraphische Stellung der heutigen Tiefseefauna, ebenso wie tektonische Untersuchungen drängen uns die Überzeugung auf, daß die Tiefsee als Lebensbezirk keine primitive Eigenschaft der Erde aus den ältesten Perioden ist, und daß ihre erste Anlage in dieselbe Zeit fällt, wo in allen Teilen der jetzigen Kontinente tektonische Faltungsbewegungen einsetzen und das Relief der Erdoberfläche so wesentlich umgestalten71“. Diese ersten Risse der Lithosphäre, in denen die barysphärische Oberfläche zum ersten Male zutage trat, mögen denjenigen ähnlich gewesen sein, welche heute die meisten der ostasiatischen Inselgirlanden von der Hauptscholle trennen. Sie öffneten sich um so weiter, je größere Fortschritte die Faltung der lithosphärischen Haut machte. Es war ein Vorgang, den wir etwa mit dem Zusammenfalten eines runden Papierlampions vergleichen können. Auf der einen Seite Öffnung, auf der anderen Zusammenschub. Höchstwahrscheinlich ist es die Fläche des allgemein für sehr alt gehaltenen Pazifischen Ozeans, welche auf diese Weise zuerst ihres lithosphärischen Mantels beraubt wurde. Schon beim Aufreißen und auch noch bei der weiteren Öffnung des Risses bröckelten vom Rande dieses Mantels kleinere Stücke ab, welche im Sima stecken bleibend als Inseln oder submarine Erhebungen den Tiefseeboden bedeckten. Die Inselreihen des Pazifik zeigen eine merkwürdige Parallelität; Arldt hat 19 Reihen ausgemessen, welche alle sehr nahe N 62,5° West streichen72. Es liegt nahe, anzunehmen, daß dieser Strich des Pazifik jene alte Verschiebungsrichtung andeutet, durch welche sich dieses Tiefseebecken öffnete73. Vermutlich sehen wir das Äquivalent dieses Aufreißens des Pazifik in den alten Faltungen, welche die Gneismassive Brasiliens, Afrikas, Vorderindiens und Australiens durchziehen74. Diese Zusammenschübe hatten eine erhebliche Verdickung des Lithosphärenmantels zur notwendigen Folge, und die Überflutung desselben muß also im Laufe der Erdgeschichte – ganz abgesehen vom Wechsel ihres Ortes – im ganzen immer mehr abgenommen haben, ein Ergebnis, das mit der herrschenden Meinung übereinstimmt.


Fig. 22.

Ehemalige und künftige hypsometrische Kurve der Erdoberfläche.

···· für die Zukunft, – für die Gegenwart,

– · – für die Vorzeit, – — im Urzustand

(zugleich mittleres Krustenniveau).


Ein wechselndes Spiel von Zug- und Druckkräften in der schwimmenden und plastischen Erdrinde war also nicht imstande, seine Wirkungen selbst wieder aufzuheben; denn die Zugkräfte konnten nicht die Falten wieder glätten, welche die Druckkräfte aufgeworfen hatten, sondern führten nur zu Zerreißungen. Es war und ist also ein einseitig fortschreitender Prozeß, bei dem der Lithosphärenmantel fortgesetzt an Oberfläche und Zusammenhang verliert, während er gleichzeitig an Dicke wächst. In Fig. 22 sind die hypsometrischen Kurven dargestellt, welche hiernach für die Vorzeit, Gegenwart und Zukunft anzunehmen sind. Das heutige mittlere Krustenniveau stellt zugleich die ursprüngliche Oberfläche der noch ungespaltenen Lithosphäre dar.

Es ist einleuchtend, daß dieser Prozeß der Verkleinerung der Lithosphäre nicht in der ganzen Erdgeschichte dasselbe Tempo behalten konnte. Je kleiner die Kontinente werden und je mächtiger ihre Schollen sind, um so geringer wird das Ausmaß neuer Faltungen sein. Mit anderen Worten: Hat sich die Größe der Lithosphäre verringert, so muß die Gebirgsbildung in der Erdgeschichte schwächer geworden sein. Und dies ist in der Tat der Fall.

E. Kayser 75 schreibt: „Es ist von großer Bedeutung, daß die ältesten archäischen Gesteine überall auf der Erde stark gestört und gefaltet sind. Erst vom Algonkium an finden sich neben gefalteten hier und da ungefaltete oder nur schwach gefaltete Ablagerungen. Gehen wir zur nachalgonkischen Zeit über, so sehen wir, wie die Ausdehnung und Zahl der starren unnachgiebigen Massen hier immer größer, und dementsprechend der Umfang der faltbaren Krustenteile immer beschränkter wird. Dies gilt bereits für die carbonisch-permischen Stauungen. In nachpaläozoischer Zeit schwächten sich die faltenden Kräfte allmählich mehr und mehr ab, um indes in der jüngeren Jura- und der Kreidezeit wieder zu erwachen und in der jüngeren Tertiärzeit einen neuen Höhepunkt zu erreichen. Es ist aber sehr bezeichnend, daß das Verbreitungsgebiet dieser jüngsten großen Gebirgsstauung selbst hinter der carbonischen Faltung ganz beträchtlich zurückblieb“. Diese Tatsache der allmählichen Abnahme der Faltungsvorgänge in der Erdgeschichte scheint unsere Vorstellungen von der Entwickelung der Erdrinde ganz besonders zu stützen. Denn die Faltungen müssen naturgemäß um so mehr abnehmen, je mehr sich die Lithosphäre in Stücke zerteilt und je mehr die Oberfläche dieser Stücke zusammenschrumpft. Kleine Schollen, wie z. B. Madagaskar, dürften in Zukunft überhaupt keiner Faltung mehr unterworfen sein. Auch im Tertiär ist die bedeutendste Faltung, nämlich die des Himalaja, gerade auf der größten Scholle erfolgt.

 

Hiernach hat die Annahme nichts Unwahrscheinliches, daß im Mesozoikum die Lithosphäre nur noch etwa die Hälfte der Erdoberfläche bedeckte.

In Fig. 23 ist der Versuch gemacht, die Erdkarte für die Karbonzeit zu rekonstruieren. Freilich nicht in dem üblichen Sinne einer Unterscheidung zwischen Land und Wasser, sondern nur zwischen lithosphärischer und barysphärischer Oberfläche, oder zwischen Kontinentalschollen und Tiefseeböden. Die Hinzufügung der Epikontinentalmeere zu den Meeresräumen wird keine Schwierigkeiten machen, sobald diese Grundlage gegeben ist, und ist für die Verschiebungstheorie nicht von unmittelbarem Interesse.


Fig. 23.

Lage der Kontinentalschollen für die Karbonzeit (ohne Rücksicht auf Wasserbedeckung).


Die Karte bietet naturgemäß ein fremdartiges Aussehen und wird die Vermutung nahelegen, daß bei ihrer Zeichnung ziemlich willkürlich verfahren wurde. Das ist indessen nicht der Fall. Es handelt sich um eine – innerhalb der gegebenen Grenzen – exakte Rekonstruktion, und es sei erwähnt, daß mehrfache unabhängige Wiederholungen keine merklichen Abweichungen von der mitgeteilten Karte ergaben. Für die Rekonstruktion wurde ein Globus von 0,5 m Durchmesser benutzt. Auf ihm wurde die Form der Kontinente einschließlich der Schelfe auf Pauspapier durchgepaust, wobei die größeren, um der Kugelform zu genügen, mehrmals durchgeschnitten wurden. Sodann mußten die nach dem Kartentermin gefalteten Gebirge, also namentlich die tertiären, geglättet werden. Für den alpinen Faltengürtel wurde dabei ein Zusammenschub von 10 bis 15° angenommen. Die großen „herzynischen“ Faltungen des Oberkarbons sind nicht mehr dabei berücksichtigt, so daß hiernach der Zeitpunkt der Karte das Ende des Karbons oder Anfang des Perms wäre. Die so ausgeschnittenen und vergrößerten Kontinente wurden nun gleich in der richtigen Lage zum Äquator auf dem Globus aufgeklebt, d. h. in diesem Falle so, daß Südafrika dicht beim Südpol lag und der Äquator durch Deutschland ging. Da das Gradnetz des Globus durch das Pauspapier hindurch zu sehen war, machte dann die Übertragung auf eine vorbereitete Gradnetzprojektion keine Schwierigkeiten mehr. Die Zusammenfügung der Kontinente geschah in erster Linie nach parallelen Konturen; oft gab die Tiefenkarte noch in anderer Weise Auskunft über die Triftbahnen der Kontinentalteile, nämlich durch zurückbleibende Inseln oder unterseeische Bodenerhöhungen. Am sichersten ist die Zusammenfügung da, wo neben der Parallelität der Konturen auch noch von hüben nach drüben hinübersetzende tektonische Brücken verwertet werden konnten (atlantische Spalte); unsicher da, wo nur die biologischen Beziehungen verwertbar sind, wie rings um Antarktika. Hier stört unsere Unkenntnis der Konturen und der Landausdehnung sehr. Unter der mir bis jetzt durchaus wahrscheinlichen Annahme, daß Dekan unmittelbar mit der madagassischen Ostküste einerseits und der australischen Westküste andererseits zusammengehangen hat, bleibt nicht genug Platz für eine zusammenhängende antarktische Landmasse von der Größe, wie sie unsere heutigen Karten unter hypothetischer Verbindung der bekannten Küstenstrecken darstellen. Ich habe deshalb hier die Hypothese gemacht, daß die Westantarktis und König-Eduard-Land, welche zusammen gerade eine Länge gleich zwei ostasiatischen Inselgirlanden haben (z. B. von Jesso bis Formosa), tatsächlich eine solche Doppelgirlande darstellen, welche schon erheblich nach der Seite Südamerikas zurückgeblieben ist. Der etwas zu kleine Raum, der zwischen Australien, Afrika und Südamerika für die Ostantarktis bleibt, legt hier die in der Karte angedeutete Annahme nahe, daß Coatsland nicht mit Viktoria-Land und Wilkesland zusammenhängt, sondern gleichfalls ein zurückgebliebenes Kontinentalstück darstellt, bei dessen Heranschiebung das Gesamtareal der Ostantarktis erheblich kleiner wird. Bei der in der Figur gezeichneten Lage der Westantarktis wird erreicht, daß dieselbe auch gleich noch einen Teil der jetzigen australischen Ostküste abdeckt. Dies ist nicht unerwünscht, denn das Fehlen tertiärer Marinschichten an dieser Westküste im Gegensatz zur Südküste deutet an, daß das heutige Ufer noch im Tertiär vom Meere durch eine Gebirgskette, die spätere Girlande, getrennt war. Und die Girlande Neuseeland, welche, wie zwei lange Rücken am Meeresboden zeigen, in der Korallensee zwischen Neuseeland und Australien anzusetzen ist, ist wohl nicht lang genug, um die ganze australische Ostküste zu decken. Der östliche Ausläufer Neuguineas erscheint in der Rekonstruktion gleichfalls als Girlandenteil, etwa ähnlich wie das heutige Kamtschatka. Der große Kontinentallappen Hinterindien, der heute bei der allgemeinen Westwanderung der Kontinente stark östlich zurückbleibt, wurde in der Rekonstruktion nach Westen gedrückt, wodurch einerseits erreicht wird, daß sich die Schollen hier zum Zusammenschluß nähern, und andererseits, daß ein einheitlicher Zug von Girlanden entsteht, der von der Westantarktis über Neuseeland, Neuguinea, die Sunda-Inseln, Japan usw. bis zu den Aleuten hinauf geht. Erteilt man in unserer Karte der ganzen Kontinentalmasse eine Rotation nach Westen um die Erdachse, wie es der Westwanderung der Kontinente entspricht, so sieht man ohne weiteres, daß diejenige Hälfte des Kontinentalrandes, welche Girlanden trägt (von Kap Horn über Japan zur Beringstraße), die Rückseite der Scholle darstellt, während die Seite ohne Girlanden (von Kap Horn über San Franzisko zur Beringstraße) die Vorderseite wird. Die übereinstimmende, heute von OSO nach WNW weisende Richtung der pazifischen Inselreihen wird parallel zum karbonischen Äquator und stimmt mit der Richtung der Westwanderung der Kontinente überein. Im übrigen enthält unser Kärtchen noch allerlei bewußte Ungenauigkeiten zum Zwecke besserer Orientierung, wie z. B. die Entblößungen der Barysphäre zwischen den Girlanden und der Hauptscholle, die natürlich im Karbon noch nicht bestanden haben, u. a.

Der Besprechung der einzelnen, in dieser Rekonstruktion angenommenen Kontinentalverbindungen sei die folgende Tabelle vorausgeschickt, welche nach Arldt angibt, wie viele von 20 Spezialforschern für die verschiedenen geologischen Zeiten die im Kopf angegebenen Landbrücken annehmen oder leugnen76. Unter der „lemurischen“ Brücke ist eine Landverbindung zwischen Madagaskar und Vorderindien, unter der „gondwanischen“ in etwas ungewöhnlicher Weise eine solche lediglich zwischen Afrika plus Madagaskar und Australien verstanden. Die „südgeorgische“ ist der Landweg zwischen Südamerika und Westantarktis, die Macquarie-Brücke derjenige zwischen Australien und Ostantarktis. Die indoaustralische Brücke verbindet Hinterindien, z. T. auch Vorderindien mit Australien, die amerikanische Nord- und Südamerika; die südpazifische Brücke ist als Kontinent im südlichen Pazifik gedacht, welcher hier (und nicht über die Antarktis) Australien mit Südamerika verbinden soll. Die nordpazifische Brücke geht über den Schelf der Beringstraße. Es ist natürlich eine mißliche Sache, die Stellungnahme zur Frage der Existenz einer Landbrücke sozusagen von einer Abstimmung abhängig zu machen. Allein bei dem ungeheuren Tatsachenmaterial paläontologischer und biologischer Art, welches hierfür in Betracht zu ziehen ist, und dem Umstand, daß der einzelne Forscher fast immer ein bestimmtes Spezialgebiet vorzugsweise berücksichtigt, bleibt kaum ein anderer Weg77.


Annahme (+) oder Ablehnung (-) von Landbrücken durch 20 Spezialforscher, nach Arldt.





Die Tabelle enthält nicht nur Landbrücken über heutige Tiefseeflächen, sondern auch solche über heutige Schelfgebiete, wie die Beringstraße („nordpazifische Brücke“), oder sogar solche über heutige Landgebiete, die aber früher zeitweise Schelfverbindungen waren, wie die zwischen Nord- und Südamerika, die arabische und die eurasische Brücke. In letzterem Falle kann man wohl überhaupt kaum von einer Brücke reden. Wir werden auf diese lehrreiche Tabelle im folgenden wiederholt zurückgreifen.

65E. Kayser, Lehrbuch der Geologie 1, Allgem. Geol., 5. Aufl., S. 784. Stuttgart 1918.
66Krümmel, Handb. d. Ozeanographie 1, 144. Stuttgart 1907.
67Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin 1915, S. 646.
68Andrée, Über die Bedingungen der Gebirgsbildung, S. 86 f. Berlin 1914.
69Die Bezeichnung „Tiefseegräben“ halte ich für weniger glücklich, da sie wohl einen anderen Bau und andere Entstehung besitzen als die Grabenbrüche der Lithosphäre.
70Steinmann, Die kambrische Fauna im Rahmen der organischen Gesamtentwickelung. Geol. Rundschau 1, 69, 1910.
71J. Walther, Über Entstehung und Besiedelung der Tiefseebecken. Naturwiss. Wochenschr., N. F., 3. Bd., Heft 46 (zitiert nach Eckardt).
72Arldt, Handb. d. Paläogeographie 1, 231-232, Leipzig 1917.
73Und zwar wohl in der Weise, daß die oberflächlichen Simaschichten bei der immer weiter fortschreitenden Öffnung in Richtung der Verschiebung gezogen wurden. Hierdurch mußte eine anfangs unregelmäßig gestaltete Inselgruppe in eine mit der Zugrichtung übereinstimmende Kette ausgezogen werden.
74Von den beiden in Afrika vorhandenen alten Streichrichtungen (Nordost und Nord) würde die jüngere nördliche gut zur Richtung der pazifischen Inselreihen passen.
75E. Kayser, Lehrb. d. allg. Geol., 5. Aufl., S. 904. Stuttgart 1918.
76Th. Arldt, Handb. d. Paläogeographie 1, Paläaktologie, S. 278-281, Leipzig 1917. Der Übersicht halber haben wir in der Tabelle auf die Namen verzichtet. Es sind: Arldt, Burckhardt, Diener, Frech, Fritz, Handlirsch, Haug, v. Ihering, Karpinsky, Koken, Kossmat, Katzer, Lapparent, Matthew, Neumayr, Ortmann, Osborn, Schuchert, Uhlig, Willis.
77W. Michaelsen machte mich darauf aufmerksam, daß die heutige Verbreitung der Regenwürmer wichtige Schlüsse auf frühere Landzusammenhänge gestatte. Das Vorkommen gleicher oder nahe verwandter Unterfamilien oder sogar Gattungen auf getrennten Kontinenten läßt auf einen früheren Landzusammenhang schließen, da die Regenwürmer, für die das Meer im allgemeinen ein unüberschreitbares Hindernis ist, nur auf Landwegen zu ihrer jetzigen Verbreitung kommen konnten. Herr Michaelsen hatte die Güte, mir die Kärtchen seines Werkes „Die geographische Verbreitung der Oligochaeten“, Berlin 1903, 186 Seiten, durch Nachtragungen auf den neuesten Stand gebracht, zur Verfügung zu stellen, und sie durch wertvolle mündliche Mitteilungen zu ergänzen, wofür ihm herzlich gedankt sei. Die Karten bestätigen in überraschender Weise die oben angenommenen Landverbindungen der Vorzeit. Eine besonders große Zahl von Verwandtschaftsfäden spinnt sich in den verschiedensten Breiten quer über den Atlantischen Ozean fort. Im Südatlantik weisen diese Beziehungen mehr auf ältere Zeiten hin (Chilotaceen, Glossoscolecinen-Microchaetinen, Ocnerodrilinen, jüngere Microchaetinen, Trigastrinen), während der Nordatlantik nicht nur von der vielleicht älteren Gattung Sparganophilus überspannt wird, sondern auch von den zweifellos jungen Gattungen der Lumbricinen, die in zusammenhängendem Zuge von Japan bis Portugal verbreitet sind und zugleich jenseits des Atlantik im Osten der Union (nicht aber im Westen!) in endemischen Arten auftreten. – Einen ähnlichen Gedankengang hat Irmscher in seiner am 11. Oktober 1919 in Hamburg gehaltenen öffentlichen Antrittsvorlesung: „Die Entstehung der Kontinente in ihren Beziehungen zur Pflanzenverbreitung“ auf die geographische Verbreitung der rezenten Pflanzengattungen angewendet und gezeigt, daß diese sich gleichfalls mit der Verschiebungstheorie in Einklang bringen läßt. (Noch nicht gedruckt.) Die großen Verbreitungsmöglichkeiten des Pflanzensamens, z. B. durch Stürme, schaffen hier allerdings eine weitgehende Durchmischung, die das Bild sehr verworren macht und seine Deutung erschwert.