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Die Entstehung der Kontinente und Ozeane

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Erscheinungen des Kontinentalrandes

Fig. 12.

Schwerestörung an einem Kontinentalrand, nach Helmert.


Wie Schiötz zuerst aus den Schweremessungen der im Polarmeere über dem Schelfrande treibenden „Fram“ erkannte und Helmert56 später ausführlich ableitete, zeigen die Pendelbeobachtungen am Rande der Kontinentalschollen eine charakteristische Schwerestörung, welche in Fig. 12 nach Helmert wiedergegeben ist. Nähert man sich vom Lande der Küste, so wächst die Schwere bis zu einem Maximum an der Küste selbst, um dann schnell zu sinken und an der Stelle, unter welcher der Boden der Tiefsee beginnt, ein Minimum zu erreichen, worauf sich dann in größerem Küstenabstande wieder der normale Wert einstellt. Das Zustandekommen dieser Schwerestörung kann man sich etwa folgendermaßen vorstellen. Der Beobachter auf dem Lande, der im Inlande normale Schwere gehabt hat, erreicht an der Küste ein Maximum, weil er sich dem schräg unter ihm liegenden schweren Sima des Tiefseebodens nähert. Dieser Überschuß an Schwere sollte zwar dadurch wett gemacht werden, daß die obersten 4 km durch das leichte Seewasser ersetzt sind. Aber diese Schichten liegen neben, nicht mehr unter dem Beobachter und bewirken also, statt die Schwere wieder auf ihren Normalwert herabzudrücken, eine Lotabweichung im Sinne einer Anziehung des Lotes durch die Kontinentaltafel. Dem Beobachter auf See, der sich der Küste nähert, geht es umgekehrt: Das Pendel reagiert auf die Massenverringerung unter ihm, und die Massenvermehrung neben ihm kann nicht die Größe, sondern nur die Richtung der Schwerkraft beeinflussen, so daß ein Minimum der Schwere entsteht. Daß überhaupt eine Schwerestörung eintreten muß, folgt schon aus der Überlegung, daß eine vertikale Grenzfläche zwischen leichtem und schwerem Material, wie sie hier vorhanden ist, nicht einer isostatischen Massenlagerung entspricht, sondern lediglich durch die Molekularkräfte der Kontinentalscholle erhalten bleiben kann.

Man kann diese Verhältnisse auch noch auf eine andere Weise betrachten, welche geeignet ist, ihre Wirkungen unmittelbar zu erläutern. In einer Kontinentalscholle muß der Druck offenbar nach einem anderen Gesetz mit der Tiefe zunehmen als im ozeanischen Gebiete. Vergleichen wir die Drucke in gleichen Höhen, so finden wir, daß im Kontinentalblock überall – mit Ausnahme seiner Oberfläche und seiner Unterfläche – der Druck höher ist als im ozeanischen Gebiete. Legen wir die Zahlenverhältnisse von Fig. 5 (S. 23) zugrunde, so erhalten wir für diesen Drucküberschuß in der Kontinentaltafel die Werte:



Fig. 13.

Wirkung der Druckkräfte am Kontinentalrand (schematisch).


Der Drucküberschuß wächst also im obersten Teile sehr rasch, weil dort Gestein gegen Luft steht, im nächsten Abschnitt nur etwa zwei Drittel so rasch weiter, da hier bereits Wasser im ozeanischen Gebiete vorhanden ist. In der Tiefe des Tiefseebodens wird das Maximum des Drucküberschusses erreicht. In noch größerer Tiefe wird dieser wieder kleiner, da jetzt das schwerere Sima im ozeanischen Gebiete liegt und hier eine schnellere Druckzunahme bewirkt. Und am Unterrande der Kontinentalscholle müssen die Drucke natürlich ausgeglichen sein. Diese Druckunterschiede verursachen am vertikalen Kontinentalrande ein Spannungsfeld, welches bestrebt ist, das Material der Kontinentaltafeln in die ozeanischen Räume hinauszupressen, und zwar am meisten in der Schicht des Tiefseebodens57. Wäre das Sial leichtflüssig, so würde es sich in dieser Schicht ausbreiten. Das ist nun nicht der Fall. Aber es ist doch plastisch genug, um diesen erheblichen Druckkräften merklich nachzugeben. Das zeigt sich klar in den stufenförmigen Brüchen, welche den Kontinentalrand in der Regel begleiten (Fig. 13).

Dies seitliche Vorquellen der tieferen plastischen Schichten ist auch der Grund dafür, daß die Ränder zerspaltener und weit getrennter Schollen, wie Südamerika und Afrika, in ihrer Küstenlinie die Parallelität besser bewahrt haben als in der Grenzlinie zwischen Kontinentalabfall und Tiefseeboden.

Es ist nicht undenkbar, daß der Vulkanismus aus dem Grunde so häufig an den Küsten auftritt, weil durch das geschilderte Spannungsfeld die Simaeinschlüsse der Lithosphäre – als welche wir Stübels periphere Herde bezeichnen können – zur Auspressung gelangen können. Ganz besonders sind diese Bedingungen natürlich bei ozeanischen Inseln zur Stelle, welche ringförmig von einem solchen Spannungsfelde umgeben sind58. Solche Inseln müßten außerdem in dem Maße, wie ihre untergetauchten Massen sich seitlich ausbreiten, nach und nach an Höhe verlieren, so daß sich das Sinken der Korallenatolle auch auf diese Weise erklären ließe.


Fig. 14.

Girlanden von Nordost-Asien. (Tiefenlinien 200 u. 2000 m; Tiefseerinnen punktiert.)


Die interessanteste Erscheinung des Kontinentalrandes bilden aber die Inselgirlanden, die namentlich an der ostasiatischen Küste ausgebildet sind (Fig. 14). Auf der Grundlage der alten Vorstellungen hat Richthofen für sie eine Erklärung gegeben59, die wohl bisher das größte Ansehen genießt, wenn auch schon verschiedentlich Widerspruch dagegen erhoben worden ist. Richthofen denkt sie sich entstanden durch einen vom Pazifik kommenden Zug in der Erdrinde. Zusammen mit einer breiten Zone des benachbarten Festlandes, die auch durch bogenförmigen Verlauf der Küste und der Erhebungen ausgezeichnet ist, sollten die Inselbögen ein großes Bruchsystem bilden. Das Gebiet zwischen Inselkette und Festlandsküste sei die erste „Landstaffel“, welche infolge einer Kippbewegung im Westen unter den Meeresspiegel getaucht sei, während der Ostrand als Inselgirlande herausrage. Auf dem Festlande glaubte Richthofen noch zwei weitere derartige Landstaffeln zu sehen, deren Senkung jedoch geringer war. Die regelmäßige Bogenform dieser Brüche bildete zwar eine Schwierigkeit, doch glaubte man diesen Einwand mit dem Hinweise auf bogenförmige Sprünge im Asphalt und anderen Stoffen entkräften zu können. Es muß hervorgehoben werden, daß diese Theorie ein großes historisches Verdienst besitzt, nämlich insofern, als die Einführung von Zugkräften einen Bruch mit dem Dogma vom Gewölbedruck darstellte, und durch ihre Autorität die Zurückführung sonstiger Randbrüche der Kontinente auf Zugkräfte ermöglichte.

Indessen stehen dieser Richthofenschen Erklärung der ostasiatischen Inselgirlanden schwerwiegende Einwände entgegen. Beim Asphalt und anderen Beispielen dürften strukturelle Vorbedingungen nötig sein, um die Bogenform der Risse zu erzeugen. Wo solche fehlen, sehen wir in der Natur durch Zug meist nur geradlinige Risse entstehen, von den geplatzten Ölfarben alter Gemälde und den Trocknungsrissen in Lehm bis zu den Grabenbrüchen der Erdrinde und den Mondrillen. Die oben eingehend besprochenen Gräben Ostafrikas zeigen uns, wie solche durch Zug entstandenen Spalten der Lithosphäre aussehen. Wie Horn betont hat60, zeigt Ostasien auch tektonisch gar nicht die Merkmale von Brüchen, sondern von einem Zusammenschub senkrecht zur Küste. Schon aus der topographischen Karte erkennt man, daß wir nicht ein durch Brüche zerstückeltes Tafelland wie Ostafrika vor uns haben, sondern daß die Inselreihen ebenso wie das kontinentale Küstenland aus Faltengebirgen aufgebaut sind, die zur Küste parallel verlaufen. Namentlich spricht aber die Tiefenkarte, so unvollkommen sie infolge mangelnder Lotungen auch heute noch ist, dafür, daß Richthofens Erklärung einer Abänderung bedarf. Denn sie zeigt, daß zwischen Girlande und Festlandsrand die Erdoberfläche sich nicht allmählich senkt, sondern ein Tiefseebecken eingeschaltet ist, welches bereits dicht innerhalb der Girlande große Tiefen erreicht. Nach unseren Vorstellungen von der barysphärischen Natur der Tiefseeböden liegt hier zwischen Girlande und dem Festlande das Sima fensterartig zutage. Die Inselgirlanden stellen also abgelöste oder in Ablösung begriffene Randketten der Kontinentalscholle dar.

 

Um zu einer genaueren Auffassung dieses Ablösungsvorganges zu gelangen, müssen wir die in den Girlanden auftretenden Gesetzmäßigkeiten etwas schärfer ins Auge fassen. Sehr auffällig ist ihr übereinstimmender geologischer Bau. Die konkave Seite der Girlande trägt stets eine Reihe von Vulkanen, offenbar eine Folge des bei ihrer Biegung hier entstehenden Druckes, der die Simaeinschlüsse herauspreßt. Die konvexe Seite dagegen trägt tertiäre Sedimente, während diese am entsprechenden Festlandsufer meist fehlen. Dies deutet an, daß die Ablösung erst in jüngster geologischer Zeit vor sich gegangen ist, und daß die Girlande zur Zeit der Ablagerung dieser Sedimente noch den Rand des Festlandes bildete. Diese tertiären Sedimente zeigen überall starke Lagerungsstörungen, eine Folge des bei der Biegung hier auftretenden Zuges, der zur Zerklüftung und zu vertikalen Verwerfungen führt. Daß dieser Außenrand der Girlande trotz der mit der Dehnung sonst überall verbundenen Senkung gehoben erscheint, deutet eine Kippbewegung der Girlande an, die man sich dadurch verursacht denken kann, daß sie gemäß der allgemeinen Westwanderung der Kontinentalscholle an ihren Endpunkten mitgeschleppt, in der Tiefe aber durch das Sima zurückgehalten wird. Mit demselben Vorgang scheint auch die meist ihren Außenrand begleitende Tiefseerinne zusammenzuhängen. Es ist sehr auffällig, daß sich diese Rinne niemals auf der frisch entblößten Simafläche zwischen Kontinent und Girlande, sondern stets nur an deren Außenrande, also an der Grenze des alten Tiefseebodens bildet. Sie erscheint hier als eine Spalte, deren eine Seite von dem stark ausgekühlten und bis in große Tiefen bereits erstarrten alten Tiefseeboden und deren andere Seite von dem lithosphärischen Material der Girlande gebildet wird. Gerade in Verbindung mit der genannten Kippbewegung der Girlande wäre die Bildung einer solchen Randspalte zwischen Sial und Sima sehr verständlich. Das frisch entblößte Sima am Kontinentalrand ist dagegen zu flüssig, um eine Spalte bilden zu können. Natürlich bedarf aber diese Vorstellung von der Natur der Tiefseerinnen noch der Kontrolle, namentlich durch Schweremessungen. Wir werden später auch Fälle kennen lernen, wo noch andere Ursachen für die Entstehung einzelner solcher Rinnen anzunehmen sind.

Es bestehen aber noch andere Gesetzmäßigkeiten bei den ostasiatischen Girlanden. Zunächst ist die bauchige Küstenlinie des Kontinents, dem sie vorgelagert sind, zu nennen. Namentlich, wenn wir außer der Küstenlinie selber auch die 200 m-Tiefenlinie in Fig. 14 betrachten, so zeigt sich, daß der Kontinentalrand stets das Spiegelbild einer S-Form aufweist, während die davor liegende Girlande einen einfachen konvexen Bogen bildet. Diese Verhältnisse sind schematisch in Fig. 15 B dargestellt. Die Erscheinung ist bei allen drei in Fig. 14 enthaltenen Girlanden in gleicher Weise ausgebildet und trifft z. B. auch beim ostaustralischen Kontinentalrand und seiner einstigen, durch den Südost-Ausläufer Neuguineas und Neuseeland gebildeten Girlande zu. Diese bauchigen Küstenlinien kennzeichnen einen Zusammenschub parallel zur Küste und also auch zur Streichrichtung der Küstengebirge. Sie sind als horizontale Großfalten zu betrachten. Es handelt sich hierbei um eine Teilerscheinung in dem gewaltigen Zusammenschub, den das ganze östliche Asien in der Richtung Nordost-Südwest erfahren hat. Macht man den Versuch, diese Schlangenlinie der ostasiatischen Festlandsküste zu glätten, so wächst die Entfernung zwischen Hinterindien und der Beringstraße, die jetzt 9100 km beträgt, auf 11100 km.


Fig. 15.

Schema der Entstehung von Inselgirlanden. A Querschnitt; B Aufsicht. (Der stark ausgekühlte Teil des Sima ist durch Strichelung bezeichnet.)


Bei dieser Vorstellung eines Zusammenschubes in der Streichrichtung einer bereits vorhandenen Faltung müssen wir etwas verweilen. Durch Faltung wird die Struktur einer Kontinentalscholle wesentlich verändert. Namentlich wenn die einzelnen Gebirgsketten gut voneinander getrennt sind, muß offenbar eine Art Teilbarkeit nach parallelen vertikalen Ebenen entstehen (vgl. den schematischen Querschnitt A in Fig. 15). Wie wird sich ein solches Gebilde bei Zusammenschub in Richtung der Gebirgskämme verhalten? Ein extremes Beispiel haben wir in einem Spiel Karten. Legen wir es auf den Tisch, so haben wir horizontale Schichtung, und ein Zusammenschub führt zu der gewöhnlichen Gebirgsfaltung, bei der die Falten nur nach oben oder unten ausweichen. Stellen wir das Spiel aber auf die hohe Kante, so haben wir vertikale Teilbarkeit; ein Zusammenschub führt jetzt zu seitlichem, horizontalem Ausweichen der Falten. Schon beim Kartenspiel sehen wir, daß oft zufällig einzelne Randglieder sich durch abweichende Krümmung abzweigen, während der Rest geschlossen bleibt. Bei den ostasiatischen Inselgirlanden wird diese Abzweigung offenbar durch die Westwanderung der Kontinentalmassen unmittelbar herbeigeführt. Alle Girlanden, welche wir auf der Erdkarte sehen, namentlich auch die Girlanden Mittelamerikas, die Antillen, bleiben nach Osten zurück oder doch – bei den Aleuten – nach derjenigen Richtung, welche im Diluvium mit Rücksicht auf die damalige Pollage Osten war.

Sehr auffällig ist ferner die gleichartige Staffelung der Girlanden. Die Aleuten bilden eine Kette, welche weiter östlich in Alaska nicht mehr Randkette ist, sondern aus dem Innern kommt. Sie endigen bei Kamtschatka, von wo ab nun die bisher innere Kamtschatka-Kette mit den Kurilen als äußerste Kette die Girlande bildet. Diese endigt wiederum bei Japan, um der bisher inneren Kette Sachalin-Japan den Platz zu räumen. Auch südlich von Japan läßt sich diese Anordnung noch weiter verfolgen, bis bei den Sunda-Inseln die Verhältnisse verworrener werden. Und auch die Antillen zeigen genau dieselbe Staffelung. Es liegt auf der Hand, daß diese Staffelung der Girlanden eine unmittelbare Folge der Staffelung der einstigen Randgebirge der Kontinente ist und also auf das früher besprochene allgemeine Gesetz der Staffelfalten zurückgeht. Die auffällig gleiche Länge der Girlanden [Aleuten 2900, Kamtschatka–Kurilen 2600, Sachalin–Japan 3000, Korea–Riu-Kiu 2500, Formosa–Borneo 2500, Neuguinea–Neuseeland ehemals 2700 km]61 könnte vielleicht auf diese Weise bereits tektonisch in der Anlage der Randgebirge vorgezeichnet sein; es könnte aber auch sein, daß sie die Grenze darstellt, bis zu welcher sich eine Druckübertragung beim Zusammenschub des Kontinentalrandes geltend macht. Denn wenn wir auf unser Beispiel mit dem Kartenspiel zurückgehen, so ist klar, daß die sich abzweigenden Randketten nicht beliebig lang sein können, sondern nur so lang, daß eine Druckübertragung von den beiden Endpunkten her noch möglich ist.

Betrachten wir die Verteilung der Girlanden im Pazifik, so sehen wir ein großzügiges System. Namentlich wenn wir Neuseeland als einstige Girlande Australiens auffassen, so ist die ganze Westküste des Pazifik mit Girlanden bedeckt, während die Ostküste frei davon ist. Bei Nordamerika kann man vielleicht in der Abtrennung von Inseln zwischen 50 und 55° Breite, der Küstenausbauchung bei San Franzisko und der Abtrennung der kalifornischen Randkette noch unentwickelte Anfänge zur Girlandenbildung erkennen. Im Süden läßt sich möglicherweise die Westantarktis als Girlande (dann vermutlich Doppelgirlande) ansprechen. Im ganzen deutet also das Girlandenphänomen auf eine Verschiebung der westpazifischen Kontinentalmassen, die etwa nach Westnordwest, also für die diluviale Pollage etwa nach Westen gerichtet war, die ferner mit der Längsachse des Pazifik (Südamerika–Japan) und mit der Hauptrichtung der alten pazifischen Inselreihen (Hawaii-Inseln, Marshall-Inseln, Gesellschafts-Inseln usw.) zusammenfällt. Die Tiefseerinnen, einschließlich der Tongarinne, sind als Spalten senkrecht zu dieser Verschiebungsrichtung angeordnet. Es ist wohl keine Frage, daß alle diese Dinge ursächlich miteinander verknüpft sind. Stellen wir uns ein kreisrundes Blatt aus Gummi vor, welches in die Länge gezogen wird, so haben wir ein ähnliches Bild: der eine Durchmesser wächst, der andere verkleinert sich; durch das Ziehen des Gummis werden alle Punktgruppen (Inselgruppen) zu Ketten in die Länge gezogen, und senkrecht zur Zugrichtung reißen Spalten auf. Die ostasiatischen Inselgirlanden treten hierdurch in enge Beziehung zum Bau des ganzen pazifischen Ozeans, ebenso wie sie in engster Beziehung zum Bau von Asien stehen.

Das Zurückbleiben der sich ablösenden Randketten leitet uns hinüber zu einem allgemeineren Gesetz, nach welchem überhaupt alle kleineren lithosphärischen Bruchstücke, also namentlich Inseln, aber auch vorspringende Halbinseln, bei der Westwanderung der Kontinente zurückbleiben; sie bleiben gewissermaßen im Sima stecken, während die großen Schollen sich über dasselbe fort verschieben. Es ist nicht schwer, einzusehen, daß der Grund hierfür in dem Stirnwiderstand der bewegten Schollen im Sima zu suchen ist, der für kleine Schollen relativ viel größer ist als für große, weil nämlich die Mächtigkeit oder Eintauchtiefe der kleineren Schollen nicht entsprechend ihrer Dimension verkleinert ist62.


Fig. 16.

Tiefenkarte der Drakestraße, nach Grolls Tiefenkarten der Ozeane.

 

So bleiben nicht nur die Inselgirlanden und die ganz abgetrennten Inselgruppen im Sima stecken, während die Kontinentalscholle sich weiterschiebt, sondern auch der zerrissene lithosphärische Lappen Hinterindiens und der Sunda-Inseln bleibt nach Osten zurück, die Südspitze Grönlands, Florida, Feuerland und Grahamland. Die Tiefenkarte der Drakestraße (Fig. 16) mit diesen beiden nach Osten zurückbleibenden Landspitzen kann geradezu als Illustration für diese plastischen Deformationen dienen. Noch im Diluvium hat hier Landverbindung geherrscht, was nur möglich war, wenn beide Landspitzen noch in der Gegend des Inselbogens der Sandwichinseln lagen. Seitdem sind sie von da aus nach Westen weiter gewandert, ihre schmale Verbindung aber ist im Sima stecken geblieben.


Fig. 17.

Tiefenkarte von Hinterindien. (Tiefenlinien 200 u. 2000 m; Tiefseerinne punktiert.)


Wir können aus dieser Abbildung 16 noch eine weitere Erscheinung ablesen, die eine wichtige Rolle in der Großtektonik zu spielen scheint, nämlich das Gleiten der Randketten. Diese Erscheinung hat eine gewisse Verwandtschaft mit den Inselgirlanden, insofern es sich in beiden Fällen um eine Ablösung von Randketten handelt. In der Glaziologie besteht eine ganz entsprechende Verwandtschaft zwischen Spalten und Blaubändern. Beide entstehen als Diskontinuitäten infolge unzureichender Plastizität und stellen Trennungen dar, die offenen Spalten unter Zug, die Blaubänder unter Druck, beide unter Blattverschiebung. Die gleitenden Randketten der Gebirge entsprechen den Blaubändern, welche dem Seitenrand eines Gletschers folgen. Die Randkette klebt eben am alten Simaboden der Tiefsee, und es bildet sich zwischen Randkette und der nächst inneren Kette eine Gleitfläche aus, längs welcher nun beliebig große Blattverschiebungen eintreten können.

Noch zwei besondere Fälle seien erwähnt, um die plastischen Deformationen der Kontinentalschollen zu erläutern. In Fig. 17 ist eine Tiefenkarte von Hinterindien dargestellt. Der Knick der Malakka-Halbinsel entspricht dem Nordabbruch von Sumatra; aber es ist nicht möglich, die nördlich dieser Insel erkennbare fensterartige Entblößung der Barysphäre dadurch wieder zuzudecken, daß wir die Halbinsel Malakka wieder ausrichten. Das zeigt schon die vor dem Fenster liegende Inselkette der Andamanen. Wir müssen hier offenbar annehmen, daß der große Zusammenschub des Himalaja einen Zug auf die hinterindischen Ketten in ihrer Längsrichtung ausgeübt hat, daß unter diesem Zuge die Sumatrakette am Nordende dieser Insel gerissen ist und daß der nördliche Teil der Kette (Arakan) wie ein Tauende nach Norden in den großen Zusammenschub hineingezogen worden ist und noch wird. Zu beiden Seiten dieser grandiosen Blattverschiebung müssen sich dabei Gleitflächen ausgebildet haben. Interessanterweise blieb die äußerste Randkette, die Andamanen und Nikobaren, am Sima haften, und es war erst die zweite Kette, die diese merkwürdige Verschiebung erfuhr.


Fig. 18.

Kalifornien und die Erdbebenverwerfung von San Franzisko.


Das zweite Beispiel ist Kalifornien. Die kalifornische Halbinsel zeigt an ihren seitlichen Vorsprüngen Schleppungserscheinungen (Fig. 18), die ein Vorwärtsdrängen der Landmassen nach Südsüdost zu beweisen scheinen. Die Spitze der Halbinsel ist durch den Stirnwiderstand des Sima bereits amboßartig verdickt, und die Halbinsel erscheint im ganzen bereits stark verkürzt, wie aus dem Vergleich mit dem Ausschnitt des kalifornischen Golfs hervorgeht. Daß die Spitze früher wirklich in der vor ihr liegenden Einkerbung der mexikanischen Küste gelegen hat, bestätigt die geologische Karte durch das gleichartige ausgedehnte Vorkommen von Intrusivgesteinen (postkambrischen) hüben und drüben. Man braucht aber wohl nicht anzunehmen, daß diese Verkürzung ganz als Zusammenschub zu deuten ist, es handelt sich offenbar außerdem auch um ein Gleiten. Wir können die ganze Halbinsel und die nördlich sich anschließenden Küstenketten als gleitende Randketten betrachten, die allerdings im nördlichen Teil mit der Hauptscholle wieder fest zusammenhängen, wodurch die große Ausbauchung der Uferlinie bei San Franzisko ihre Erklärung als Stauung findet. Diese Auffassung wird in auffallender Weise bestätigt durch die berühmte Erdbebenverwerfung von San Franzisko vom 18. April 1906, die nach Rudzki63 in unsere Fig. 18 eingezeichnet ist. Denn der östliche Teil schnellte hierbei nach Süden, der westliche nach Norden. Wie zu erwarten, zeigten die Vermessungen, daß der Betrag dieser Blattverschiebung mit zunehmender Entfernung von der Spalte immer geringer wurde und in größerer Entfernung nicht mehr nachweisbar war. Die große nordamerikanische Scholle strebt also, relativ zum Sima, nach Süden, und ihre westlichen Randketten erfahren so großen seitlichen Widerstand am Boden des Pazifik, daß sie an diesem kleben und infolgedessen an dem Hauptteil der Scholle entlanggleiten. Größtenteils ist diese Gleitbewegung wohl ein kontinuierliches Fließen; wächst aber das Spannungsfeld über die Grenze der Bruchfestigkeit hinaus, so kommt eben eine plötzliche Verwerfung den reinen Fließbewegungen zu Hilfe.

Endlich sei noch kurz des bekannten Unterschiedes zwischen „pazifischem“ und „atlantischem“ Küstentypus gedacht. Die „atlantischen“ Küsten stellen Brüche eines Tafellandes dar, während die „pazifischen“ durch Randketten und vorgelagerte Tiefseerinnen gekennzeichnet sind. Zu den Küsten mit atlantischem Bau zählt man auch diejenigen von Ostafrika mit Madagaskar, Vorderindien, West- und Südaustralien, sowie die Ostantarktis, zu den pazifischen auch die Westküste Hinterindiens und des Sunda-Archipels, die Ostküste Australiens mit Neuguinea und Neuseeland, und die Westantarktis. Auch Westindien mit den Antillen hat pazifischen Bau. Den tektonischen Unterschieden dieser beiden Typen entspricht auch ein verschiedenes Verhalten der Schwerkraft64. Die atlantischen Küsten sind, abgesehen von der oben beschriebenen Störung des Kontinentalrandes, isostatisch kompensiert, d. h. die schwimmenden Kontinentalschollen sind hier im Gleichgewicht. Dagegen herrscht bei den pazifischen Küsten keine Isostasie. Bekannt ist ferner, daß atlantische Küsten relativ frei von Erdbeben und auch von Vulkanen sind, während pazifische an beiden reich sind. Wo einmal an einer Küste atlantischen Typs ein Vulkan auftritt, zeigen seine Laven, worauf Becke hingewiesen hat, systematische mineralogische Unterschiede gegenüber den pazifischen Laven, sie sind nämlich schwerer und eisenreicher, scheinen also aus größerer Tiefe zu stammen.

Vom Standpunkt der Verschiebungstheorie ergibt sich noch ein weiterer Unterschied zwischen diesen beiden Küstentypen, welcher vielleicht geeignet ist, Licht auf den ursächlichen Zusammenhang dieser Erscheinungen zu werfen. Die atlantischen Küsten sind nämlich stets solche, welche sich erst seit dem Mesozoikum, zum Teil noch erheblich später, durch Spaltung der Scholle gebildet haben. Der vor ihnen liegende Meeresboden stellt also eine relativ frisch entblößte Sima-Oberfläche dar und muß daher als relativ flüssig betrachtet werden. Es kann aus diesem Grunde nicht überraschen, daß diese Küsten isostatisch kompensiert sind. Bei Verschiebungen ferner erfahren die Kontinentalränder wegen dieser größeren Flüssigkeit des Simas nur wenig Widerstand und werden daher weder gefaltet noch gepreßt, so daß weder Randgebirge noch Vulkane entstehen. Auch Erdbeben sind hier nicht zu erwarten, da das Sima flüssig genug ist, um alle erforderlichen Bewegungen ohne Diskontinuität, durch reines Fließen, zu ermöglichen. Die Kontinente verhalten sich hier, übertrieben ausgedrückt, wie starre Eisschollen in flüssigem Wasser.

Ganz anders aber bei den alten, tief ausgekühlten Meeresböden vor den pazifischen Küsten. Hier ist das Sima fast von gleicher, ja bisweilen vielleicht größerer Zähigkeit als das Sial des Kontinentalrandes. Die Kontinente verhalten sich hier nicht mehr wie starre Schollen auf einer Flüssigkeit, sondern wie eine plastische Haut auf einer sehr zähflüssigen Masse, z. B. wie Schlacken auf einer erstarrenden Schmelze. Bei Verschiebungen erfahren sie starken Stirnwiderstand (während die Reibung an ihrer Unterseite, wo das Sima wieder flüssiger ist, relativ gering ist), so daß Randgebirge aufgeworfen werden, sobald die Bewegung eine Komponente gegen den alten Tiefseeboden hin besitzt. Ist sie von ihm fortgerichtet, so haftet die Randkette am Tiefseeboden, und statt daß dieser sich zieht, zerreißt lieber die lithosphärische Haut und läßt die Randkette als Girlande zurück, während der Zwischenraum mit leichtflüssigerem Sima aus der Tiefe gefüllt wird. Die bis in große Tiefen fortgeschrittene Erstarrung des alten Meeresbodens befähigt diesen auch, spaltenähnliche Erscheinungen, die Tiefseerinnen, zu bilden. Bei dem geringen Flüssigkeitsgrade des Simas wird hier häufig die Spannungsgrenze überschritten werden, bei der ein plötzliches Zerreißen der lithosphärischen Haut, also ein Erdbeben, eintritt. Daß auch die vulkanischen Magmen hier eine andere Zusammensetzung haben, erscheint gleichfalls verständlich.

56Helmert, Die Tiefe der Ausgleichsfläche bei der Prattschen Hypothese für das Gleichgewicht der Erdkruste und der Verlauf der Schwerestörung vom Innern der Kontinente und Ozeane nach den Küsten. Sitzber. d. Kgl. Preuß. Ak. d. Wiss. 18, 1192-1198, 1909.
57Die Verhältnisse liegen gerade umgekehrt als Willis voraussetzt, wenn er ein Vordringen der schweren ozeanischen Gesteine gegen die tieferen Schichten der Kontinentalschollen annimmt (Research in China 1, 115 ff., Washington 1907).
58Manche Forscher, wie Moolengraaff, halten die pazifischen Inseln für reine Vulkankegel, die dem Tiefseeboden einfach aufgesetzt sind und nun zur Herstellung der Isostasie langsam sinken, wie ja die Korallenatolle zeigen. Ich halte aber die andere, z. B. von Gagel für die Kanarischen Inseln und von Haug für viele pazifische Inseln vertretene Anschauung für wahrscheinlicher, daß alle diese Inseln Brocken der Lithosphäre und daß sie nur in manchen Fällen so vollständig mit Lava überzogen sind, daß ihr lithosphärischer Kern nirgends zutage liegt.
59F. v. Richthofen, Über Gebirgskettungen in Ostasien. Geomorphologische Studien aus Ostasien 4; Sitzber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss., Berlin, Phys.-math. Kl., 40, 867-891, 1903.
60E. Horn, Über die geologische Bedeutung der Tiefseegräben. Geol. Rundsch. 5, 422-448, 1914.
61Die westindischen Girlanden zeigen dagegen eine Abstufung: Kleine Antillen-Südhaiti-Jamaika-Mosquitobank 2600, Haiti-Südcuba-Misteriosabank 1900, Cuba 1100 km.
62Setzen wir voraus, daß die Dicke zweier Schollen die gleiche ist, daß ihre Konturen geometrisch ähnlich, und sie zur Bewegungsrichtung gleich orientiert sind. Der Widerstand, den sie bei Verschiebung zu überwinden haben, zerfällt in zwei Teile, deren einer, die Reibung an der flüssigen Simaunterlage, der Oberfläche proportional ist. Der andere Teil aber, der Stirnwiderstand an den oberen kristallisierten und darum zäheren Simaschichten, wächst nur proportional der linearen Dimension, nämlich dem zur Bewegungsrichtung senkrechten Durchmesser. Da nun anzunehmen ist, daß die verschiebenden Kräfte, welcher Art sie auch seien, bei Schollen gleicher Dicke ihren Oberflächen proportional sind, so wird der erste Teil des Widerstandes keinen Unterschied für große und kleine Schollen ergeben, da Widerstand und Kraft in gleicher Weise wachsen. Der zweite Teil des Widerstands aber wächst nur mit der linearen, nicht wie die Kraft mit der quadratischen Dimension der Scholle, so daß die Schollen um so leichter beweglich werden, je größer sie sind.
63Rudzki, Physik der Erde, S. 176. Leipzig 1911. Vgl. auch Tams, Die Entstehung des kalifornischen Erdbebens vom 18. April 1906. Peterm. Mitt. 64, 77, 1918.
64Otto Meissner, Isostasie und Küstentypus. Peterm. Mitt. 64, 221, 1918.