Reilly und Sunfrost: Chronik der Sternenkrieger 8 Romane

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„Ich will Ihnen kurz die derzeitige Lage erläutern“, sagte Admiral Raimondo, der sich in einer Konferenzschaltung an alle Kommandanten seines Verbandes wandte. Commander Reilly nahm das Gespräch auf der Brücke entgegen.

48 Stunden waren vergangen, seit die STERNENKRIEGER den Treffpunkt NHCO-4422 erreicht hatte. In der Zwischenzeit hatte Botschafterin Peellaan die Verhandlungen mit dem Xabo-Kommandanten Padanklong aufgenommen. Bislang war über die Ergebnisse nichts bekannt geworden und Reilly befürchtete schon, dass die gesamte Erkundungsoperation im Niemandsland nun auf unbestimmte Zeit auf Eis lag.

Dabei wäre es dringend notwendig gewesen, sich endlich ein deutlicheres Bild der zurzeit in der Peripherie des Qriid-Imperiums herrschenden Lage zu verschaffen.

„Es scheint so zu sein, dass unsere politische Führung sehr vorsichtig ist, was ein Bündnis mit den Xabo angeht“, fuhr der Admiral fort. „Botschafterin Peellaan strebt eine sehr lockere Kooperation an, bei der keine konkreten Beistandspflichten bestünden, sondern von Seiten der Humanen Welten im wesentlichen technische und logistische Unterstützung geliefert wird. Die Xabo würden unser Space Army Corps natürlich liebend gern dazu verwenden, mit ihnen gemeinsam gegen die Qriid zu kämpfen. Aber dazu sind wir derzeit militärisch einfach nicht in der Lage. Das zuzugeben wiederum wäre nicht unbedingt klug, wie Sie verstehen werden. Kurz und gut, die Verhandlungen werden sich zweifellos hinziehen und ich könnte mir denken, dass sogar der Vorsitzende des Humanen Rats persönlich darin eingreift. Auf mein Drängen hin wird jetzt die Erkundungsmission trotz der unklaren diplomatischen Lage durchgeführt. Es ist anzunehmen, dass die meisten Schiffe vor Ende der Verhandlungen zurückkehren werden. Begeben Sie sich also mit Ihren Schiffen in die Ihnen zugewiesenen Raumareale. Wenn Sie auf Xabo-Schiffe treffen, werden die Sie als Verbündete ansehen und dies vielleicht ebenso deutlich funktechnisch demonstrieren wie es Kommandant Padangklong getan hat, um das Space Army Corps in den Konflikt hineinzuziehen. Ich kann Ihnen also nur empfehlen, den Xabo ebenso sehr aus dem Weg zu gehen wie den Qriid!“ Raimondo machte eine Pause. Auf seiner Stirn war eine sorgenvolle Falte zu sehen. Die Situation war riskant und niemand konnte das besser beurteilen als Raimondo, der wahrscheinlich einer der bestinformierten Männer der Humanen Welten war. „Ich wünsche jedem von Ihnen viel Glück!“, setzte der Admiral noch hinzu.

Dann wurde die Verbindung unterbrochen.

„Lieutenant Ramirez, Sie haben gehört, was der Admiral gesagt hat!“, äußerte sich Commander Reilly, nachdem die Verbindung unterbrochen war und wieder das ferne Licht der Sonne New Hope den Panorama-Schirm beherrschte.

Der Kegel von NHCO-4422 hob sich dunkel gegen das gelbliche Licht ab und ließ ein einzigartiges Spiel von Licht und Schatten entstehen.

„Ja, Sir“, bestätigte Ramirez.

„Dann gehen Sie auf maximale Beschleunigung.“

„Aye, aye!“

„Bringen Sie uns so schnell wie möglich in den Sandströmraum und nehmen Sie dann den einprogrammierten Kurs!“

Die Ionentriebwerke ließen den Boden erzittern. Ein dumpfes Rumoren war zu hören. Die Triebwerke liefen warm. Innerhalb von etwa acht Stunden konnten sie ein Schiff der Scout Klasse auf 0,4 LG bringen, was die Mindesteintrittsgeschwindigkeit für den Sandströmraum war.

Die Beschleunigungsphase hatte in den letzten zwei Jahren seit dem Stapellauf der beiden ersten Prototypen um fast zwei Stunden verringert werden können, wofür in erster Linie den Technikern der STERNENKRIEGER unter Lieutenant Morton Gorescu die Lorbeeren gebührten. Ständig waren kleinere Verbesserungen eingeführt und die Steuersysteme noch optimiert worden. Die Fortschritte, die sich jetzt noch erzielen ließen, waren minimal, wenn man nicht grundsätzliche Neuerungen einführen wollte.

Jedenfalls hatte Morton Gorescu während einer Besprechung mal geäußert, dass man in den nächsten zehn Jahren kaum mit einer wesentlichen Unterschreitung der acht Stunden-Grenze zum Erreichen der Eintrittsgeschwindigkeit rechnen konnte.

Einzig und allein der sehr ehrgeizige Fähnrich Catherine White hielt das für möglich. Sie bombardierte ihren leitenden Ingenieur förmlich mit Vorschlägen, wie man beim Antriebssystem eine noch perfektere Optimierung gelangen konnte.

Wenn die mal Lieutenant wird, ist das wahrscheinlich nur eine Durchgangsstation für sie – so offensiv sie an ihre Karriere herangeht!, dachte Commander Reilly.

Acht Stunden später trat die STERNENKRIEGER in den Sandströmraum ein. Commander Reilly ordnete von nun an vollkommene Funkstille an.

Eine gute Woche dauerte der Flug bis in die Region an der Peripherie des Imperiums, die der STERNENKRIEGER zugewiesen worden war.

Ungefähr 50 Lichtjahre wurden in dieser Zeit überbrückt – ein Gebiet, über das man nur wusste, dass von dort keine Signale im qriidischen Zwischenraumfunk geortet worden waren.

Als die STERNENKRIEGER schließlich den Sandströmraum verließ, bediente Fähnrich Rajiv die Kontrollen der Steuerkonsole. Dass der Ruderoffizier eines Leichten Kreuzers durch einen Fähnrich vertreten wurde, war an sich keineswegs ungewöhnlich. Aber normalerweise setzte man die Fähnriche nicht bei schwierigen Manövern oder in heiklen Situationen ein. Und die Materialisierung im Normalraum war – zumindest fünfzig Lichtjahre weit im Niemandsland – sehr heikel. Schließlich wusste man nicht, was einen im Normalkontinuum erwartete. Abgesehen davon konnte der Austritt aus dem Sandströmraum durch den Feind angemessen werden. Danach sei es viel leichter unentdeckt zu bleiben, wenn man einfach im Schleichflug weiterflog. Dabei verzichtete man auf jeglichen Antrieb und kam einfach mit dem Austrittsschwung von 0,4 LG vorwärts. Um die Tarnung zu perfektionieren konnte man außerdem noch sämtliche Systeme abschalten, deren Funktion nicht überlebenswichtig war. Das reduzierte die elektromagnetischen Emissionen erheblich und erschwerte es dem Gegner außerdem, die für Space Army Corps-Schiffe typischen Signaturen zu erkennen.

Dass Rajiv die STERNENKRIEGER in diesem sensiblen Moment steuern durfte, hatte damit zu tun, dass er inzwischen bereits zwei Jahre auf der STERNENKRIEGER diente und mit dem Ruder inzwischen ebenso vertraut war wie Lieutenant Gorescu. Was Rajiv vor seiner anstehenden Beförderung noch brauchen konnte, war Praxis. Und Commander Reilly war entschlossen, dafür zu sorgen, dass Rajiv genau das auch bekam.

Dem Captain war das Eintauchen in den Normalraum vom Ersten Offizier gemeldet worden und so erschien Reilly wenig später auf der Brücke.

„Captain, ich habe Bruder Padraig rufen lassen, um Lieutenant Wu bei der Auswertung der Orter-Daten zu unterstützen“, meldete Lieutenant Commander Soldo.

Reilly nickte.

„Das ist gut“, meinte er und wandte sich anschließend an Lieutenant Wu. „Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, einen Teil Ihrer Konsole an Bruder Padraig abgeben zu müssen.“

„Keineswegs, Sir. Wir werden die Umgebung sehr genau im Auge behalten müssen!“

Einen Augenblick später betrat Bruder Padraig die Brücke.

Wie selbstverständlich nahm er seinen Platz neben Lieutenant Wu ein.

Der Erste Offizier, der sich die Orter-Daten ebenfalls auf seine Konsole anzeigen ließ, gab einen ersten, vorläufigen Bericht.

„Wir haben es hier mit einer gelben Sonne vom Sol-Typ zu tun, die von den Astronomen des Observatoriums von Petersburg, New Hope IV, den Namen Sinclair-Davis bekommen hat. Die Entfernung von der Erde beträgt 103,6 Lichtjahre. Triple Sun 2244 – das Heimatsystem der Xabo – ist ganze sechs Lichtjahre entfernt“, sagte Soldo.

„Planeten?“, fragte Reilly.

„Insgesamt zehn. Nummer fünf hat eine Sauerstoffatmosphäre, gleicht aber einem großen Schneeball mit einer Vereisung der gesamten Oberfläche. Die anderen Planeten sind recht ungemütlich. Aber sie sind sehr ergiebige Rohstofflager.“

„Das kann ich nur bestätigen“, meldete Bruder Padraig. „Schon die Spektralanalyse ließe das Herz jeden Prospektors höher schlagen.“

„Qriid-Schiffe?“, hakte Reilly nach.

„Bislang negativ“, meldete Lieutenant Wu. „Aber im weiteren Umkreis dieses Systems müssen Qriid-Einheiten sein, denn ich konnte ein schwaches Sandströmfunksignal orten, dessen Ausgangspunkt etwa zwei Lichtjahre entfernt ist.“

„Reicht die Qualität zur Entschlüsselung?“, fragte Soldo.

„Ich gebe es gerade durch den Rechner, fürchte aber, dass wir zu wenig über den verwendeten Code wissen. Möglicherweise ergibt die Rechnerprüfung auf immanente Logik zumindest ein paar Bruchstücke des Textes, aber darauf würde ich mich nicht verlassen.“

Soldo wandte sich Reilly.

„Ich schlage vor, auf Schleichflug zu bleiben und alle überflüssigen Systeme zeitweilig zu deaktivieren.“

„Solange es nur die Heizung in der Kabine des Captains ist – einverstanden“, gab Reilly zurück.

„Ehrlich gesagt, wundert es mich, dass wir bis jetzt noch keine Qriid-Schiffe innerhalb des Systems geortet haben", bekannte Bruder Padraig.

Reilly hob die Augenbrauen. „Wie kommen Sie darauf?"

„Abgesehen davon, dass es nur einen einzigen und dazu sehr kalten Planeten mit Sauerstoffatmosphäre gibt, handelt es sich um einen idealen Standort für die Raumfahrtindustrie. Es sind sämtliche Rohstoffe in ausreichender Menge vorhanden."

„Und dass man zur Montage von Raumschiffen nicht unbedingt einen Planeten braucht, beweisen ja unsere eigenen Spacedocks!", ergänzte Thorbjörn Soldo.

4

Es dauerte nicht lange und die Ortung meldete das erste Qriid-Schiff. Es befand sich auf der Bahn von Sinclair-Davis III, einem Planeten von Erdgröße, der allerdings eine Atmosphäre hatte, die nur wenige Prozent Sauerstoff enthielt und ansonsten vor allem von Schwefelwasserstoff geprägt war.

 

„Schleichflug fortsetzen“, befahl Reilly.

„Sir, ich schlage eine Kurskorrektur um dreißig Grad vor“, sagte Soldo. „Dann würden wir – bezogen auf das Qriid Schiff - auf einem Ausweichkurs fliegen.“

„Aber wir müssten für eine derartige Korrektur die Ionentriebwerke aktivieren, was das Risiko birgt, dass wir entdeckt werden“, widersprach Reilly. Er schüttelte den Kopf. „Nein, I.O., wir gehen auf Nummer sicher.“

„Wir könnten die Kurskorrektur im Ortungsschatten eines Asteroiden vornehmen“, schlug Soldo vor, den die Idee einer Kurskorrektur einfach nicht loszulassen schien.

Reilly überlegte einen Augenblick. Dann wandte er sich an Rajiv. „Ruder! Markieren Sie mögliche Punkte, an denen wir vermutlich für das Qriid-Schiff nicht zu orten sind!“, befahl er.

„Schon geschehen, Sir.“

In einem Teilfenster des Panoramaschirms erschien eine schematische Übersicht, die sowohl das Sinclair-Davis-System, als auch die gegenwärtige Position der STERNENKRIEGER sowie die Lage jener Punkte zeigte, an denen der Leichte Kreuzer vermutlich ohne entdeckt zu werden, eine Kurskorrektur vornehmen könnte.

Reilly wandte sich an Soldo. „Wir halten uns Ihren Vorschlag als zusätzliche Option offen“, bestimmte er.

„Captain, ich orte hier eine sehr schwer zu isolierende Strahlungsemission, die ganz sicher künstlichen Ursprungs ist“, meldete Bruder Padraig.

„Ist es eine Qriid-Signatur?“, fragte Reilly.

„Ich habe keine Ahnung. Dazu wissen wir einfach zu wenig über die Qriid-Technik.“

„Bleiben Sie der Sache auf der Spur, Bruder Padraig.“

„Ja, Captain. Ich…“ Bruder Padraig zögerte und drehte sich herum.

Commander Reilly sah ihn etwas verwundert an.

„Gibt es noch etwas, Bruder Padraig?“

„Ich hätte für Planet Nummer 5 einen Namensvorschlag zu machen.“

Reilly zuckte die Schultern. „Bitte – wenn Ihnen Sinclair-Davis V nicht gut genug klingt, können Sie gerne einen Trivialnamen für diesen Eisplaneten auswählen, der dann später auch in die offiziellen Sternenkataloge eingetragen wird!“

„Wie wäre es mit Snowball?“, fragte Bruder Padraig lächelnd.

„Da dieser Name jetzt ohnehin nicht mehr aus unseren Köpfen zu verbannen sein wird – warum nicht?“, erwiderte Reilly.

5

Nirat-Son lauschte dem leisen Brummen. Er hatte diesen Wohlklang inzwischen gewöhnt. Das Brummen wurde durch eins der kleineren Energie-Aggregate erzeugt, das Teil des Energieversorgungssystems war. Dem Qriid war es gelungen, die Energieversorgung zumindest soweit wiederherzustellen, dass innerhalb der Pilotenkabine des Xabo-Raumers eine Temperatur herrschte, die jetzt deutlich über dem Gefrierpunkt lag. Sein Überleben war also gesichert, auch wenn der Sturm noch länger anhielt. Außerdem hatte Nirat-Son Nahrungsmittelkonzentrate gefunden, die bei der Xabo-Besatzung offenbar als Notrationen vorgesehen waren. Die regulären Nahrungsmittelvorräte waren von den Vielbeinern geplündert worden. Zumindest nahm Nirat-Son das an, denn er war auf ein paar Staukammern gestoßen, deren Außenwände die typischen Löcher aufwiesen, bei denen man davon ausgehen konnte, dass sich hier ein Vielbeiner mit seinen Beißwerkzeugen und den ätzenden Substanzen in seinem Maul durchgefressen hatte.

Von den Nahrungsmittelkonzentraten waren nicht alle für einen Qriid gefahrlos genießbar. Aber ein Teil schon und das bedeutete, dass er bei guter Einteilung eine längere Zeit in dem Wrack ausharren konnte.

Seinen Berechnungen zu Folge reichten die Energievorräte bei sparsamem Verbrauch zwei Wochen, die Nahrungsmittelkonzentrate sogar noch länger.

Und Wasser hatte er genug. Schließlich gab es Unmengen an Schnee, der auf das Wrack niederfiel und nur geschmolzen werden musste.

Regelmäßig erstattete Nirat-Son seinem Tanjaj-Nom einen kurzen Status-Bericht.

Immerhin erfuhr er auf diese Weise, dass die Besatzung der KLEINEN KRALLE bislang nicht von den Vielbeinern heimgesucht worden war. Allein der Herr weiß warum!, dachte Nirat-Son. Mal tauchten diese teuflischen Vielfraße in großer Zahl aus dem Eis auf und mal sah man lange Zeit nichts von ihnen, obwohl doch eigentlich die Gelegenheit zu einem Angriff ausgesprochen günstig war. Es war nicht nachzuvollziehen und je länger Nirat-Son darüber nachdachte, desto weniger Logik konnte er im Verhalten dieser gefräßigen Biester entdecken.

Die Zeit schien in dem kleinen Unterschlupf, den er gefunden hatte, stehen zu bleiben. Draußen toste der Sturm und es schien fast so, als würde er einfach nicht abflauen wollen. Die Wetterdaten, die ihm sein Ortungsgerät lieferte, ließen Nirat-Son hin und wieder hoffen. Die Windgeschwindigkeit und der Niederschlag gingen zeitweilig zurück, nur um dann einer besonders heftigen Phase dieses Unwetters als Ouvertüre zu dienen.

In der Flotte der Tanjaj hatte man über diesen Eisplaneten so gut wie nichts gewusst – und schon gar nichts über sein Klima, das einige gefährliche Besonderheiten aufzuweisen schien.

Mehrere Qriidia-Tage vergingen und Nirat-Son sah schließlich ein, dass er die Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr auf die KLEINE KRALLE abschminken konnte. Der Tiefdruckwirbel, der den gegenwärtigen Sturm verursachte, schien sehr stabil ausgerechnet in der Region zu wüten, die sich die Besatzung der KLEINEN KRALLE für ihre Landung ausgesucht hatte.

Nirat-Son vertrieb sich die Zeit damit, weitere Systeme der Xabo-Technik zu reaktivieren. Was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Die Grundausbildung in Raumfahrttechnik, die der Tanjaj mitgemacht hatte, stieß dabei schnell an Grenzen.

Bei den wenigen und kurzen Gesprächen, die er mit Bras-Kon auf der KLEINEN KRALLE führte, versuchte der Tanjaj-Nom seinen Untergebenen immer wieder dazu zu drängen, etwas über den Zweck der offenbar geheimen Xabo-Mission herauszufinden.

Dazu war es wahrscheinlich nötig, den Hauptrechner zu reinitialisieren, was Nirat-Son auch versucht hatte. Allerdings war er aber bislang erfolglos gewesen. Und eigentlich wollte er auch seine stabile Energieversorgung durch Experimente gleich welcher Art nicht gefährden.

Andererseits war es natürlich auch in dieser Situation seine Pflicht gegenüber dem Aarriid und dem Imperium, das er in erster Linie der heiligen Sache diente, der er sich wie alle Tanjaj verschrieben hatte. Eine Sache, hinter der die Existenz des Einzelnen unweigerlich zurücktreten musste.

Innerhalb der ersten Qriidia-Woche, die er in seinem Unterschlupf verbrachte, versuchte er noch zweimal eine Reinitialisierung des Hauptrechners, ohne das es ihm dabei gelang, in das Hauptsystem vorzudringen. Der Bordrechner des Xabo-Raumers stürzte jeweils schon nach wenigen Augenblicken wieder ab.

Erst beim dritten Versuch, den Nirat-Son einige Qriid-Tage später unternahm, klappte es schließlich.

Danach musste er unzählige Sicherheitssperren überwinden. Anderseits lenkte Nirat-Son diese Tätigkeit von der Eintönigkeit ab. Außerdem musste er dann nicht dauernd über seine immer noch bedrohliche Lage nachdenken.

Es lenkte ihn ab, behutsam weitere Schritte in das Hauptsystem des Bordrechners zu machen. Die Übertragung des Zeichensatzes der Xabo sowie die Übersetzung der Menueangaben war kein Problem. Den Qriid war das Idiom der Xabo bestens bekannt. Schließlich hatten sie zahlreiche Abhörstationen betrieben, bevor sie das Volk der Lederflügler angegriffen hatten.

Der Translator des Qriid hatte also keinerlei Probleme mit de Menue-Anweisungen.

Die Nachforschungen Nirat-Sons ergaben schließlich erste Ergebnisse. So fand er heraus, dass der Name des Kleinraumers, mit dem die Xabo diese Eiswelt angeflogen hatten, FORSCHERGEIST war. Es handelte sich also um eine wissenschaftliche Mission, so glaubte Nirat-Son erkennen zu können. Andererseits fragte er sich, wie die Xabo angesichts ihrer eigentlich dich recht verzweifelten Lage es verantworten konnte, irgendwelchen Grundlagenforschungen nachzugehen, die keinerlei militärischen Hintergrund hatten.

Bei dem havarierten Xabo-Raumer war das nach Nirat-Sons Ansicht auch nicht der Fall.

Der Qriid schleuste das Programm in den Bordrechner des Xabo-Schiffs ein. Tatsächlich wurde er nach ein paar weiteren, ziemlich eintönigen Qriidia-Tagen endlich fündig.

Er fand Daten über Hinterlassenschaften einer Rasse, die von den Xabo die Erhabenen oder auch die Vergessenen genannt wurden. Diese Namen hatten durchaus ihren Sinn. Dieses Volk war nämlich vor langer Zeit ausgestorben, musste aber unendlich hoch entwickelt gewesen sein und hatte überall in diesem Seitenarm der Galaxis, das eine oder andere Artefakte hinterlassen.

Auf einer jener Welten, die die Xabo nach ihrer Flucht vor den Qriid in Besitz genommen hatten, war eine Station dieses offenbar vor Äonen verschwundenen Volkes gefunden worden. Der Inhalt der Datenspeicher war nicht mehr zu entschlüsseln gewesen. Jetzt suchten die Xabo fieberhaft nach weiteren Hinweisen auf diese uralte Spezies.

Die Absicht dahinter liegt doch auf der Kralle!, dachte Nirat-Son. Sie wollen an das technologische Erbe der verschollenen Zivilisation heran und hoffen, so ihre militärische Unterlegenheit wettmachen zu können!

Dieser Plan war nach Nirat-Sons Ansicht jedoch von vorn herein zum Scheitern verurteilt. Schließlich gehörte zur militärischen Überlegenheit keineswegs nur eine Überlegenheit der Waffentechnik. Viel entscheidender war der Faktor des Glaubens. Zu allem entschlossene Krieger im Dienst des Glaubens waren dazu im Stande, Dinge zu vollbringen, die die Ungläubigen niemals bewerkstelligen konnten.

Nirat-Son gab darüber einen Bericht an Bras-Kon weiter. Er verschickte außerdem ein paar charakteristische Daten aus dem Hauptspeicher des Bordrechners, sodass der Tanjaj-Nom nun die anderen Angehörigen der Beiboot-Crew sich ebenfalls Gedanken darüber machen konnten.

Bras-Kon hörte sich Nirat-Sons Bericht nachdenklich an.

„Du meinst also, dass die Xabo hier auf Korashan V gelandet sind, weil sie nach Hinweisen auf diese ‚Erhabenen’ gesucht haben“, schloss der Tanjaj-Nom.

„Das ist korrekt, ehrenhafter Tanjaj-Nom“, bestätigte Nirat-Son.

„Bei dem Oberflächen-Scan, der noch an Bord der KRALLE DER GLÄUBIGEN durchgeführt wurde, ist seinerzeit nichts besonders aufgefallen.“

„Die Ortungsdaten unseres Mutterschiffs müssten sich auf dem Bordrechner der KLEINEN KRALLE befinden“, sagte Nirat-Son. „Ich schlage vor, dass man sich dies noch einmal genauer ansieht…“

Es herrschte einige Augenblicke lang Schweigen und Nirat-Son wusste auch sofort, weshalb. Offenbar gefiel es Bras-Kon nicht, dass ein Rekrut ihm einen Vorschlag machte. Ich hätte mich vorsichtiger ausdrücken sollen, dachte Nirat-Son.

„Auch unsere Raumschiffe sind immer wieder auf Hinterlassenschaften einer offenbar vor sehr langer Zeit untergegangenen Zivilisation gestoßen“, sagte Bras-Kon schließlich und Nirat-Son war erleichtert darüber, dass dem Tonfall des Tanjaj-Nom keinerlei Verstimmung anzumerken war.

„Du sprichst von den Verstoßenen“, stellte Nirat-Son dann fest und dachte: Jetzt, da du dieses Thema angesprochen hast, kann ich es auch!

Tatsächlich waren auch die Qriid immer wieder auf Artefakte einer uralten Zivilisation gestoßen, die vor vielen Zeitaltern untergegangen sein musste. Die Überlieferungen der Qriid berichteten davon, es habe sich um Gottes erstes auserwähltes Volk gehandelt. Aber die Auserwählten wurden auf Grund der Tatsache, dass sie von Gott den Auftrag zur Errichtung der Göttlichen Ordnung bekommen hatten, überheblich. Ein äußeres Zeichen dafür war, dass sie ihre Schiffe mit einer Schicht aus leuchtendem Kristall überzogen, sodass sie prächtiger waren als die Schiffe aller anderen Völker.

Da sie Gott immer mehr missachteten und schließlich zu der Ansicht neigten, sie selbst seien Götter, wurden aus den Auserwählten schließlich die Verstoßenen. Der Überlieferung nach war Gottes Zorn dermaßen groß gewesen, dass er nicht nur ihre Zivilisation dem Untergang geweiht, sondern auch die Erinnerung an die körperliche Gestalt der Auserwählten getilgt hatte, sodass man sie schließlich auch die Vergessenen nannte.

 

Ein warnendes Beispiel seien jedem Qriid die Vergessenen, deren Schicksal den Gläubigen immer vor Augen halten sollte, wie schmal der Pfad tugendhafter Gottestreue sein kann, hieß es beschwörend in den Sprüchen des Ersten Aarriid. Eine Zeile, die auch Nirat-Son sehr gut in Erinnerung geblieben war.

„Gott wird es nicht zulassen, dass die Xabo uns mit Hilfe des Erbes der Vergessenen schädigen“, sagte Bras-Kon unterdessen in einem Tonfall, der eine tief empfundene Überzeugung ausdrückte. „Der Herr wird es nicht zulassen, dass das Heilige Imperium durch den Fluch unserer eitlen Vorgänger um die Früchte seiner Anstrengung gebracht wird!“

Und wenn Gott die Qriid damit prüfen will?, fragte sich Nirat-Son, der in dieser Frage die Glaubenszuversicht seines Tanjaj-Nom in keiner Weise teilte. Schließlich war es Teil der offiziellen Lehre, das Gott das Böse zuließ, um die Gläubigen zu prüfen und vor die Wahl zu stellen.

Die Aussage seines Tanjaj-Nom erschien Nirat-Son dagegen eher wie Zweckoptimismus.

Es gab viele, geradezu phantastische Geschichten über die Vergessenen und ihre Kriege. Wenn es den Xabo tatsächlich gelang, auch nur einen Bruchteil ihrer Waffe zu benutzen, so würde das die militärischen Kräfteverhältnisse zweifellos stark verändern.

„Mir scheint, dass die Forschungsmission der Xabo auf diesem Planeten ein Akt der Verzweiflung ist", war Bras-Kon überzeugt. „Unsere eigenen Wissenschaftler haben sich auf Dutzenden von Planeten bemüht, aus den Hinterlassenschaften der Vergessenen irgendeinen Nutzen zu ziehen. Schließlich heißt es ja ausdrücklich in der Weisheit des ersten Aarriid, dass man das Erbe der Vergessenen studieren möge, um aus ihren Sünden und Fehlern zu lernen. Und wenn in diesem Fall keine konkreteren Hinweise vorliegen..."

„Ich konnte die Logbücher des Xabo-Raumers bisher noch nicht vollständig sichten, aber es ist wohl so, dass ein schwacher fünfdimensionaler Impuls sie hier her gelockt hat."

„Dann sind die Xabo davon ausgegangen, hier tatsächlich eine Anlage der Vergessenen vorzufinden, die sich noch in einem aktiven Status befindet."

„Es sieht ganz danach aus. Leider kann ich von hier aus bislang keine Messungen im Fünf-D-Spektrum durchführen, da ich mit den Instrumenten des Xabo-Schiffs zu schlecht vertraut bin."

„Wir werden von der KLEINEN KRALLE aus Messungen durchführen", versprach Bras-Kon.

Der Tanjaj-Nom urbrach zunächst die Kom-Verbindung.

Die Qriid-Wissenschaft wusste, dass es ein fünfdimensionales Kontinuum gab. Aber da bislang aus dieser Erkenntnis keinerlei kriegswichtige, praktische Anwendung erfolgt war, hatte man dessen Erforschung nicht sehr intensiv betrieben. Dementsprechend gehörte ein Scan fünfdimensionaler Strahlungskomponenten auch nicht zu den Standard-Ortungsverfahren.

Nirat-Son war überrascht, als sein Tanjaj-Nom sich schon kurze Zeit später über Funk wieder bei ihm meldete.

„Es gibt tatsächlich eine 5-D-Strahlungsquelle auf diesem Planeten“, stellte er fest. „Und sie befindet sich ganz in deiner Nähe, Nirat-Son.“

„Sobald sich der Sturm gelegt hat, sollte man die Umgebung absuchen“, schlug Nirat-Son vor.

„Das würde kaum etwas bringen“, widersprach Bras-Kon. „Die 5-D-Strahkungsquelle ist sehr schwach und inzwischen wissen wir auch die Ursache dafür. Sie liegt nämlich auf dem Grund des Ozeans!“