Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane

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Am Nachmittag fuhr ich bei seiner Privatadresse vorbei, die in einem Frankfurter Vorort gelegen war und warf einen Umschlag mit Geldscheinen in den Briefschlitz.

Auf dem Rückweg in die Stadt kaufte ich mir dann in einem Elektro-Markt ein kleines Radio. Die nächsten Tage würde ich zum Großteil zwischen irgendwelchen Hotelwänden verbringen, wollte aber dennoch auf dem Laufenden bleiben. Ich musste wissen, wie weit meine Verfolger waren. Später besorgte ich mir dann ein Zimmer in einer anonymen Absteige am Bahnhof.

Der Pakistani, der hier den Portier spielte, sah sich zwar jeden Geldschein, den ich ihm vorstreckte, sehr genau unter einem Sichtgerät an, aber für meinen Pass hatte er nur einen flüchtigen Blick. Er notierte sich die Nummer in so ungelenken Buchstaben, dass ich bezweifelte, ob diese Hieroglyphen je wieder zu entziffern sein würden.

"Frühstück?", fragte er akzentbeladen.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein."

Das Zimmer war sein Geld nicht wert. An der Decke war Schimmel, der nur notdürftig mit weißer Farbe übertüncht worden war. Am Waschbecken tropfte der Wasserhahn und das Bett machte auch nicht den Eindruck, als könnte man sich dort allzu heftig im Schlaf drehen. Die Federn waren so gut wie ausgeleiert. Es war nicht schwer zu erraten wovon. Ich fragte mich, ob im Preis wenigsten frische Bettwäsche enthalten war. Ich breitete meine Sachen aus. Den Koffer, die Alben von Tina, meine Jacke, die Knarre.

Ich nahm das Magazin aus dem Griff der Automatik und steckte die Patronen wieder hinein. Dann wandte ich mich den Alben zu. Eigentlich hatte ich das vermeiden wollen, aber ich konnte nicht anders. Ich blätterte in den Folianten herum und sah dabei wieder ihr Gesicht. Ich fragte mich, ob man sie wohl schon gefunden hatte. Sie war nicht zur Arbeit gekommen, vielleicht würde jemand versuchen, bei ihr anzurufen oder sogar vor ihrer Wohnungstür auftauchen. Es kam darauf an, wie hartnäckig der Betreffende war. Wenn ich Glück hatte, würde sie noch eine ganze Weile in ihrer Wohnung liegen. Es war kein schöner Gedanke, aber die ganze Geschichte war nicht besonders schön und dies war nur eines von vielen weiteren hässlichen Details.

Mir war klar, dass ich mich irgendwann von diesen Alben würde trennen müssen, denn wenn ich Pech hatte, konnten sie der Strick sein, an dem man mich aufhängte. Ich musste sie verschwinden lassen, vernichten...

Aber noch nicht jetzt, dachte ich.

Ich hätte es gleich tun sollen. Sofort, ohne zu zögern.

Jetzt würde ich es sicher vor mir herschieben, bis ich keine andere Wahl mehr hatte und ich konnte nur hoffen, dass es dann zu nicht zu spät war.

In den nächsten zwei Tagen verpasste ich keine einzige Nachrichtensendung und versorgte mich morgens am Kiosk mit einem Stapel Zeitungen. Aber über die Sache in dem Haus am See brachten sie nichts mehr. Nachrichtensperre, so schätzte ich. Aus fahndungstaktischen Gründen. Sie wollten nicht, dass ich wusste, wie viel sie schon wussten. Auch über Tina fand ich nichts. Dafür las ich eine andere Meldung, die mich aufmerken ließ. Die Polizei hatte die Identität eines Mannes ermittelt, der vor zwei Wochen aus dem Main gefischt worden war: E. L. Nuredinov, Nuklearforscher aus Kasachstan. Ein Spezialgeschoss hatte ihm den Schädel zerfetzt, was die Identifizierung erschwert hatte.

Das war nun schon die Nummer zwei.

Und nächsten Donnerstag kam ein Mann namens Krylenko nach Frankfurt und auch sein Tod war schon beschlossene Sache, wenn nicht durch mich, dann durch jemand anderen. Als Mörder kam ich nicht mehr in Frage und wenn ich Erikson nicht völlig falsch verstanden hatte, erwarteten meine Auftraggeber auch gar nicht mehr, dass ich mich einschaltete. Ein Grund mehr für mich, es doch zu tun. Vielleicht hatte ich so eine Chance, an den oder die heranzukommen, die Tina auf dem Gewissen hatten. Vielleicht war es dieser Libanese namens Khalil, vielleicht war auch er nur eine Marionette. Aber ganz gleich, wer die Fäden zog, er sollte nicht ungeschoren davonkommen.

Ich stand stundenlang an dem kleinen Fenster meines Hotelzimmers und blickte hinaus auf die Straße und grübelte vor mich hin. Wenn ich ehrlich war, dann wusste ich selbst nicht so recht, worauf das ganze eigentlich hinauslaufen sollte, was ich wollte und was nicht. Von einer Sache abgesehen. Ich wollte am Ende noch leben.

Irgendwann rief ich dann zwischendurch bei Dietrich an, um zu sehen, wie weit er schon war. Erst hatte ich Schwierigkeiten, überhaupt zu ihm durchgestellt zu werden. Ich musste es zweimal versuchen, aber Hartnäckigkeit zahlt sich meistens irgendwann auch aus. Jedenfalls hatte ich ihn schließlich doch an der Strippe.

"Was wollen Sie?", grunzte er. "Glauben sie, ich kann hexen?"

"Ich wollte nur wissen, ob Sie auch voran kommen."

"Sicher."

"Wissen Sie schon genauer, wann die Papiere fertig sein werden?"

"Nein."

"Das wundert mich."

"Wieso?"

"Wenn Sie den Auftrag schon vermittelt hätten, hätte man Ihnen sicher gesagt, wie lange die Angelegenheit dauern wird."

"Lassen Sie mich meinen Job machen und tun Sie Ihren - sofern Sie im Augenblick einen haben. Jedenfalls gehen Sie mir besser nicht weiter auf die Nerven. Sie bekommen Ihre Papiere. Mein Wort darauf!"

Ich fragte mich, was sein Wort wert sein würde. Ich hoffte genauso viel wie beim letzten Mal. Aber leider unterliegt ja so gut wie alles der Inflation.

Plötzlich fragte er: "Von wo aus rufen Sie an?"

"Warum interessiert Sie das?"

Er schwieg zunächst und ich fragte mich, was das werden sollte. Dann sagte er: "Sie wollten doch Informationen über einen Mann namens Khalil. Libanese, wenn ich mich recht erinnere."

"Sicher", bestätigte ich.

"Wie viel wäre Ihnen das wert?"

"Mindestens so viel wie die Papiere. Wenn es sich um brauchbare Informationen handelt."

"Können wir uns treffen?"

"Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, können Sie das auch am Telefon. Außerdem sehen wir uns ja, wenn ich die Papiere kriege."

Ich hatte keine Lust, mich mit ihm zu treffen, das war die schlichte Wahrheit. Und ich glaubte auch nicht, dass er schon etwas haben konnte, das mich interessierte. Nicht nach den paar Tagen. Ich nahm an, dass er nur etwas heiße Luft produzieren und mich dafür abkassieren wollte. Seine Reaktion gab mir recht.

"Gut", meinte er. "Dieses Geschäft läuft uns ja nicht weg!"

"Nein, das tut es nicht."

Ich legte auf.







Dritter Teil



Am Donnerstag war ich pünktlich am Flughafen, um Krylenko abzupassen, aber er kam nicht. Vier Tage lang nahm ich mir jede Maschine vor, die aus Moskau kam. Nichts. Erst am Montag tauchte er dann auf. Er hatte einiges getan, um sein Äußeres zu verändern, sich rasiert, sich die Haare dunkel gefärbt und eine dunkle Brille auf der Nase. Aber ich erkannte ihn trotzdem sofort. Er war so dämlich, eine russische Illustrierte aus der Manteltasche herausragen zu lassen. Und da wusste ich gleich, dass er es war. Wenn du länger leben willst, musst du cleverer werden, Krylenko!, dachte ich bei mir und ich fragte mich, ob er noch Zeit genug haben würde, um in diesem Punkt dazuzulernen. Krylenko kam natürlich nicht allein. Zwei Männer begleiteten ihn. Beide mit Schnurrbärten, beide dunkelhaarig, der eine vielleicht Mitte zwanzig, den anderen schätzte ich auf fünfundfünfzig.

 

Der Jüngere war sehr schlank, fast zierlich, der Ältere hatte einen Bauch und sah im Ganzen wie ein etwas zu blass geratenes Abziehbild von Saddam Hussein aus. Die beiden machten einen nervösen Eindruck und blickten sich immer wieder nach allen Seiten um. Seine Frau hatte Krylenko offenbar noch zu Hause in Moskau gelassen. Vermutlich wollte er sie später nachholen. Die Dreier-Gruppe kam ohne Schwierigkeiten durch die Kontrollen. Mit dem Gepäck brauchte Krylenko sich nicht herumzuärgern. Das holte einer der beiden schnauzbärtigen Wachhunde ab, und zwar der Jüngere, während der Ältere unruhig den Blick umherschweifen ließ.

Ich hielt mich im Hintergrund. Schließlich war ich nun wirklich nicht daran interessiert, irgendwie auf mich aufmerksam zu machen. Stattdessen sah ich mich nach Leuten um, die sich eventuell ebenfalls für Krylenko und sein Gefolge interessierten. Vielleicht jemand, der einen ähnlichen Zettel wie ich bekommen hatte, mit einem Datum und einer Uhrzeit, und der nun gekommen war, um den Russen in Empfang zu nehmen.

Mir fiel tatsächlich jemand auf. Eine Frau.

Aber sie war ganz gewiss keiner der Killer, die der graue Mann, der auch unter dem Namen Harry aufgetreten war, auf Krylenko angesetzt hatte.

Ich erkannte sie von den Fotos wieder, die der Graue mir in das Gepäckfach am Bahnhof gelegt hatte. Sie war zwar etwas älter geworden, vielleicht auch eine Spur fülliger und außerdem machte die Lockenfrisur, die sie jetzt trug, einen völlig anderen Typ aus ihr - aber sie war es. Sie war Krylenkos Tochter.

Die Begrüßung war kurz, aber herzlich. Dann hakte sich die junge Frau bei Krylenko unter.

Ich folgte der Gruppe vor die Tür. Dort wartete ein dunkelblauer Mercedes. Der Fahrer deutete auf die Uhr und schien damit zur Eile aufzufordern.

Krylenko stieg hinten ein und wurde von seinen beiden Bewachern in die Mitte genommen. Seine Tochter nahm vorne auf dem Beifahrersitz Platz. Der Wagen fuhr sofort los und ich hatte Mühe, schnell genug zu meinem eigenen zu gelangen, einzusteigen und hinterherzukommen. Am Scheibenwischer sah ich das Knöllchen. Ich hatte die vorgeschriebene Höchstparkdauer überschritten. Mein Versuch, in den laufenden Verkehr einzufädeln, war ziemlich riskant und entsprach auch nicht gerade dem, was man in der Fahrschule so beigebracht bekommt. Irgend jemand hupte und zeigte mir den Vogel. Aber ich kam dennoch durch.

Wenn ich den blauen Mercedes verlor, würde ich einer meiner letzten, einigermaßen vielversprechenden Spuren verlieren. Also setzte ich alles daran, ihm auf den Fersen zu bleiben und das möglichst so, dass Krylenko und sein Anhang nichts davon mitbekamen.

Ich fragte mich was wohl geschehen würde, wenn ich meinen Auftrag jetzt doch noch ausführte. Ich dachte an die halbe Million, von der nur hunderttausend auf meinem Konto waren.

Aber dann schob ich den Gedanken ziemlich rasch wieder bei Seite. Sollten sich andere die Finger daran verbrennen.

Meine Probleme waren schon groß genug.

Es ging hinaus auf die Autobahn. Der Mercedes legte ein ziemlich hohes Tempo vor und fuhr fast auf ausschließlich der linken Fahrbahnseite.

In sicherer Entfernung folgte ich ihm. Das ging vielleicht vierzig, fünfzig Kilometer so, dann nahm er eine Ausfahrt, was ich erst im letzten Moment mitbekam, weil ein Sattelschlepper mir die Sicht verdeckte.

Ich musste stark abbremsen.

Mein Hintermann fuhr mir fast in den Kofferraum. Ich sah ihn im Rückspiegel wild gestikulieren und war froh, dass ich mir nicht anhören musste, was er gerade so vor sich hin schimpfte. Aber die Krylenko-Leute hatten von diesem Bremsmanöver nichts mitbekommen.

Ich fuhr ihnen im Sichtschatten des Sattelschleppers nach.

Es ging auf eine Landstraße, dann auf eine kleinere Landstraße, durch ein Dorf und durch noch eins und dann auf eine hundertfach geflickte Asphaltpiste, die sich in Serpentinen durch ein Waldgebiet schlängelte.

Irgendwann bog der Mercedes dann seitwärts ein. Ich wartete eine Weile, bis ich ihm folgte. Es war kaum mehr, als ein Waldweg, dem sich der Mercedes da anvertraut hatte. Die Reifenspuren hatten sich tief in den weichen Boden gegraben. Nach einiger Zeit kam Sand und dann schließlich Schotter.

Der Weg teilte sich. Ich hielt den BMW an und und stieg aus. Von dem Mercedes war nirgends mehr etwas zu sehen. Und aussagekräftige Spuren gab es auch keine mehr auf dem hartgepressten Schotter.

Ich fluchte innerlich. Mir blieb kaum etwas anderes übrig, als mich für eine der beiden Wege zu entscheiden und zu hoffen, dass es nicht der falsche war. Also setzte ich mich wieder hinters Steuer und brauste die Piste entlang, soweit die Schlaglöcher das zuließen. Der Wald lichtete sich. Es kamen einige Felder und Wiesen. Und schließlich hatte ich auch wieder Asphalt unter den Reifen.

Ein Trecker mit dahintergehängtem Güllewagen kam mir entgegen. Die Straße war so schmal, dass einer von uns zur Seite ausweichen musste, wenn wir aneinander vorbei wollten.

Ich hielt den BMW mitten auf der Straße und stieg aus. Dem Güllemann blieb nichts anderes übrig als anzuhalten. Ich sah die Falten auf seiner Stirn. Er war sauer, das lag auf der Hand. Ich machte eine beschwichtigende Geste und kam etwas näher.

"Hey!", rief ich. "Haben Sie einen Mercedes hier herfahren sehen?"

"Was?"

Sein Trecker tuckerte auch im Leerlauf noch ziemlich laut. Der Mann oben auf dem Bock beugte sich gnädigerweise etwas herab und bog mit der Linken eine Ohrmuschel nach vorne, so als ob das seine Hörleistung maßgeblich verbessern konnte.

Ich holte also tief Luft und und schrie ihm meine Frage noch einmal hinauf.

Er ließ den Motor etwas weniger hochtourig laufen, offenbar, weil er selbst keine Lust hatte, so zu schreien.

"Nee", meinte er und schüttelte den Kopf. "Mercedes, sagen Sie?"

"Ja, dunkelblau. Mit fünf Leuten drin. Vier Männern und einer Frau.

Er lüftete seine Mütze und kratzte sich mitten auf seiner verschwitzten Halbglatze. Dann schüttelte er abermals den Kopf.

"Nein", behauptete er. "Ich habe keinen Mercedes gesehen. Das wäre mir aufgefallen."

"Wirklich nicht? Denken Sie nochmal nach. Sie kommen doch aus der Richtung hier!" Ich deutete dorthin, woher ich gekommen war.

Der Güllefahrer verzog jetzt ärgerlich das Gesicht.

"Ganz bestimmt nicht", grunzte er.

"Gibt es hier in der Nähe vielleicht ein Wohnhaus oder so etwas."

"Bauernhöfe, ja."

"Irgendetwas, wo man Zimmer mieten kann oder dergleichen."

"Nein. Fremdenverkehr ist hier gleich null."

"Oder vielleicht..."

"Hören Sie, ich habe Ihre Frage beantwortet. Und jetzt wäre es wirklich sehr nett, wenn Sie endlich die Straße freimachen würden."

"Okay, okay..."

"Ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten..." Der Rest ging im Aufheulen seines Traktormotors unter. Ich glaubte nicht, dass ich da viel verpasst hatte.

Der Güllegeruch war mir inzwischen schon ziemlich heftig in die Nase gestiegen.

Ich sah zu, dass ich wieder hinters Steuer kam. Dann lenkte ich den BMW zur Seite und ließ den Güllewagen vorbei.

Bei der nächsten Gelegenheit zum Wenden fuhr ich dann zurück, hing dann für fast zehn Minuten hinter dem lahmen Trecker, ehe der endlich seitlich in einen Feldweg einbog.

Schließlich erreichte ich die Abzweigung und raste mit der Gewissheit durch die Schlaglöcher, endlich auf dem richtigen Weg zu sein.

Das Erwachen kam, als ich schließlich wieder auf eine Hauptstraße stieß, ohne unterwegs etwas gesehen zu haben, wo man einen Mann wie Krylenko samt seiner Tochter eine Weile verstecken konnte. Ich schlug wütend die Handballen gegen das Lenkrad.

Ich hatte vielleicht insgeheim den Fehler gemacht, die Leute zu unterschätzen, die Krylenko unter ihre Fittiche genommen hatten. Vielleicht waren sie nur durch diese Walachei gefahren, um einen eventuellen Verfolger abzuschütteln, was ihnen ohne Zweifel gelungen war. Und wenn das Versteck doch hier in der Gegend lag, dann war es ein sehr Gutes.

Eines, wie ich es mir für mich gewünscht hätte. Ich blickte die Hauptstraße erst rechts, dann links entlang. Rechts sah ich einen einsamen Wagen herankommen. Es war ein ziemlich rostiger VW-Bus, der einen Hang hinaufkroch, hinter dem die Straße verschwand. Links sah ich in einiger Entfernung eine Tankstelle. Im Grunde war es gleichgültig, für welche Richtung ich mich entschied. Den Mercedes würde ich wahrscheinlich ohnehin nicht mehr einholen.

So nahm ich die Seite mit der Tankstelle. Vielleicht wussten die Leute dort etwas. Außerdem sagte mir der Tankanzeiger, dass es ohnehin langsam Zeit zum Nachfüllen wurde.

Ich fuhr also vor die Zapfzäule und füllte nach, bis nichts mehr hineinging.

Dann ging ich in das kleine Häuschen, in dem außerdem noch Zeitschriften, Lebensmittel, Autozubehör und allerhand unnützen Kleinkram zu kaufen gab. Ein ziemlich beleibter Mann saß hinter dem Tresen und wischte sich gerade den Schweiß von der Stirn. Mich konnte das nicht im mindesten wundern und es hatte auch nichts mit seiner Körperfülle zu tun. Jedenfalls nicht nur. In seinem Laden herrschte nämlich ein furchtbares Tropenklima und ich fragte mich unwillkürlich, wie viele von seinen bunten Schokoladenriegeln dem wohl schon zum Opfer gefallen und schlecht geworden waren.

Mir konnte es egal sein. Ich war nicht hungrig.

Zum Glück.

Ich bezahlte meine Tankfüllung und fragte nach dem Mercedes. Er schüttelte schon den Kopf, bevor ich zu Ende war. Also hakte ich noch einmal nach.

"Könnte doch sein, dass er hier vorbeigekommen ist." Ich deutete aus dem Fenster. "Sitzen Sie immer hier?"

"Sicher."

"Die ganze Zeit über?"

"Klar. Die Zapfsäulen sind ja SB."

"Häh?"

"Selbstbedienung. Und hier kann ich die Kasse nicht alleine lassen." Er hob seine speckigen Schultern. "Letztes Jahr hat mich mal so'n Hund rausgelockt, weil er angeblich Hilfe brauchte. Ich war nur nur 'ne Minute draußen, aber Sie glauben gar nicht, was hinterher alles fehlte..."

"Ja,ja...", nickte ich.

"Also..."

"Von hier aus blicken Sie doch direkt auf die Straße. Sie müssten den Mercedes gesehen haben."

"Kann mich nicht erinnern. Ich habe allerdings auch nicht darauf geachtet. Warum wollen Sie das so genau wissen?"

"Wenn sich jemand hier in der Gegend für ein paar Tage oder so verstecken wollte, wo würden Sie das machen?"

"Sie stellen aber ganz schön seltsame Fragen", meinte er. "Vor wem wollen Sie sich denn verstecken? Haben Sie 'ne Bank ausgeraubt oder so?"

Hatte ich mal versucht, aber das war eine andere Geschichte. Eine, die ich jetzt wirklich nicht aufwärmen wollte.

"Haben Sie eine Karte von der Gegend?"

"Sicher."

"Mit großem Maßstab? So ähnlich wie Messtischblätter."

Er zeigte mir sein Sortiment.

Es war ziemlich bescheiden und ich konnte nur hoffen, dass etwas brauchbares dabei war.

"Diese Karte hier hat den größten Maßstab. Was Besseres kann ich Ihnen leider nicht anbieten."

Ich nahm die Karte und begann, sie auseinander zu klappen.

"Macht zehn Mark fünfzig!", hörte ich den penetranten Einwurf des Dicken.

Ich zeigte ihm indessen die Gegend, durch die ich gerade gefahren war. Aber er hatte für mein Problem im Augenblick keine Antenne.

"So was gibt's bei mir nicht", knurrte er.

"Was?"

"Nur gucken und dann nicht kaufen."

"Ich kaufe es ja!"

"Hm."

Ich fuhr mit dem Finger auf der Karte herum und fragte: "Gibt's hier in der Gegend etwas? Ein Haus oder so?"

Er schüttelte den Kopf und sagte: "Da ist doch nur Wald."

"Ja, das sehe ich auch!"

"Warum fragen Sie dann?"

Wie beiläufig ließ ich die Polizeimarke aus meiner Tasche herausgleiten und legte sie ihm sichtbar auf den Tresen.

 

"Ich würde Sie nicht fragen, wenn's nicht wichtig wäre!"

Seine Glupschaugen traten etwas hervor und man konnte ihm richtig ansehen, wie es in seinem Kopf plötzlich zu arbeiten begann. "Also es gibt da ein paar Bauernhöfe, aber die sind mehr hier unten." Er deutete mit seinem fleischigen Finger auf ein südlich gelegenes Gebiet.

"Und hier oben?"

Er schien einen Moment lang nachzudenken, dann nickte er leicht.

"Es gibt da ein Haus. Ungefähr hier."

"Mitten im Wald?"

"Ja. Ein ehemaliges Heuerhaus, das sich ein Architekt ausgebaut hat." Er zuckte mit den Achseln. "Der Architekt lebt allerdings nicht mehr." Der Dicke tickte sich mit dem Zeigefinger der Rechten an die Stirn. "Der Mann war nicht ganz richtig hier oben, hatte Depressionen und so. Am Ende hat er Selbstmord begangen."

"Wem gehört das Haus heute?"

"Keine Ahnung." Er zuckte die Achseln. "Würde mich nicht wundern, wenn es leerstünde."

"Warum das?"

"Weil es einerseits fast unbezahlbar ist, jedenfalls für Otto Normalverbraucher. Und weil es andererseits ziemlich ungünstig liegt. Wer zieht schon so in die Einsamkeit? Niemand der jeden Tag zur Arbeit muss."

"Waren Sie schon mal dort?"

"Ja, ist aber schon ein paar Jahre her."

"Vielleicht sagen Sie mir, wie man dort hinkommt."

"Sicher."

Ich langte zu der Polizeimarke auf dem Tresen und wollte sie wieder in der Hosentasche verschwinden lassen.

"Kann ich die nochmal sehen?", fragte der Glatzkopf.

Ich nickte.

"Sie können sogar draufbeißen, wenn Sie wollen!"

So genau wollte er es dann aber doch nicht wissen. Er nahm die Marke, sah sie sich an und gab sie mir dann zurück. "Auf Verbrecherjagd?"

Ich seufzte.

"Ach, jetzt fällt's mir ein", meinte er dann plötzlich.

"Was?"

"Es hat schon mal jemand nach diesem Haus gefragt."

"Ach, ja?"

"Ja. Eine Frau."

"Was wollte sie dort?"

"Ich habe nicht gefragt. Aber es wäre möglich, dass sie es kaufen oder mieten wollte."

Ich gab eine ungefähre Beschreibung von Krylkenkos Tochter und fragte ihn, ob die Frau so ausgesehen habe. Er konnte sich nicht exakt erinnern. "Könnte sein, könnte auch nicht sein."

"Es wäre schön, wenn Sie sich etwas eindeutiger festlegen könnten."

"Ist das denn wichtig?"

Ich zuckte die Schultern.

"Weiß man vorher nie."

"Tut mir leid."

"Wann war das denn?"

"Dass die Frau hier nachgefragt hat? Oh, das ist schon länger her."

"Wie lange?"

"Vielleicht zwei Wochen. Ja, mindestens zwei Wochen. Wissen Sie, die Leute kommen und gehen und die meisten wollen irgend etwas wissen. Wo ist der nächste Campingplatz? Wie komme ich zur Autobahn? Und so weiter. Das geht bei mir zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus."

"Verstehe."

"Ich würde Ihnen gerne helfen."

"Hat sich noch jemand nach dem Haus erkundigt?"

"Nein. Vielleicht bei Willi."

"Wer ist das?"

"Willi ist hier, wenn ich nicht hier bin."

Ich nickte.

"Schon gut", murmelte ich. "Wie komme ich zu dem Haus?"

"Fahren Sie so zurück, wie Sie gekommen sind", begann der Glatzkopf dann. "Sie kommen dann irgendwann an ein Kruzifix."

"Mir ist keins aufgefallen."

"Kann sein, dass es durch Gestrüpp überwuchert und Ihnen deswegen nicht aufgefallen ist. Wenn Sie jetzt zurückfahren, haben Sie es auf der linken Seite. Sie müssen halt die Augen aufmachen."

"Gut. Und dann?"

Er kratzte sich hinter dem linken Ohr und meinte schließlich : "Sie fahren in den Wald hinein. Sie werden denken, dass dort gar kein Weg herführt, geschweige denn eine Straße. Lassen Sie sich nicht beirren. Einfach weiterfahren. Sie kommen dann auf einen Schotterweg. Bei der nächsten Abzweigung rechts ab. Und dann links."

"Okay", nickte ich.

"Wenn Ihre Stoßdämpfer hinterher ruiniert sind..."

"...dann haben Sie hier sicher ein paar Neue, nicht wahr?"

Er grinste.

"So ist es."

Ich hoffte, dass ich auf sein Angebot nicht zurückzukommen brauchte.