Killer ohne Gnade: Ein Jesse Trevellian Thriller

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Teil 4

Big Tony Antonelli war ein gebeugter, grauhaariger Mann mit tiefliegenden dunklen Augen. Er wirkte beinahe unscheinbar in seiner blauen Strickjacke, die viel zu groß für diesen dürren alten Mann wirkte. Der dünne Oberlippenbart gab ihm etwas Aristokratisches. Zwischen den langen, dürren Fingern steckte der dicke Stummel einer Havanna.

Der Wind, der von See her blies, hatte sie längst gelöscht.

Von der Veranda seines Hauses in der Nähe von Montauk, Long Island, konnte Big Tony hinaus auf den Strand und das Meer sehen. Den unendlichen Atlantik, dessen Brandung ein unablässiges Rauschen verursachte. Das beruhigte die Nerven, fand Big Tony. Er hatte auch ein Haus in Little Italy in der Grand Street und ein weiteres in Miami, Florida. Und dann war da auch noch eines in Palermo in Sizilien. Aber dessen Besitz hatte rein sentimentale Gründe. Die alte Heimat, an die er sich noch vage erinnern konnte.

Big Tony war mit vier Jahren nach New York gekommen.

Und er sprach noch nicht einmal richtig Italienisch. Aber er hatte ein großes, weiches Herz, wenn es um diese Dinge ging. Diejenigen, die den Fehler gemacht hatten, sich mit ihm anzulegen, hatten ihn allerdings von einer ganz anderen Seite kennengelernt...

Big Tony trank seinen Espresso aus.

Auf seinen Knien lag die neueste Ausgabe der New York Times. Dann stand er auf. Die Zeitung klemmte er unter seinen Arm, während er den Blick über sein Anwesen schweifen ließ.

Ein Swimming Pool leuchtete blau in der Sonne.

Männer in dunklen Anzügen und schwarzen Brillen patrouillierten auf der Anlage herum. Walkie- Talkies beulten die Außentaschen ihrer Anzüge aus. Manchmal klappte der Wind eine Jacke zur Seite, so dass der Blick auf ein Gürtelholster inklusive Automatik-Pistole sichtbar wurde. Manche dieser Posten waren auch mit Maschinenpistolen oder Sturmgewehren ausgerüstet. Und die deutschen Schäferhunde, die sie an kurzen Leinen mit sich führten, sahen zwar im Moment ganz friedlich aus, konnten aber auf Zuruf zu reißenden Bestien werden.

Big Tony fühlte sich einigermaßen sicher.

Aber er wusste, dass man in seiner Position nicht wachsam genug sein konnte.

Schon so mancher, der sich zu sicher gefühlt hatte, war dann schneller unter die Erde gekommen, als er es in seinen schlimmsten Alpträumen für möglich gehalten hätte.

Wenn einer etwas davon wusste, dann war es Big Tony.

Er hatte so viele große Bosse kommen und gehen sehen. Kaum einer war geblieben und von diesen wiederum nur wenige für länger. Big Tony war eine Ausnahme. Er hatte überlebt, war von ganz unten sehr weit hinaufgekommen.

Er lächelte, als er die Sonne auf dem Meer glitzern sah.

Dann versuchte er, sich den Zigarrenstummel wieder anzuzünden. Er brachte es einfach nicht übers Herz, ihn wegzuwerfen. Was solche Dinge betraf, war er ein unverbesserlicher Geizhals.

Hinter sich vernahm Big Tony Schritte.

Der alte Mann drehte sich herum, innerlich noch halb in seinen Erinnerungen und Träumereien gefangen.

Ein Lächeln umspielte kurz seine dünnen, aufgesprungenen Lippen.

"Harry", stieß er hervor, als er den jungen, dunkelhaarigen Mann mit den kantigen Gesichtszügen auf sich zukommen sah.

Harrys Züge waren voller Entschlossenheit. Er war groß und breitschultrig. Unterhalb seines rechten Auges zuckte unruhig ein Muskel.

"Onkel Tony, du wolltest mich sprechen."

Big Tony nickte. Er hatte seine Frau und seine beiden Kinder bei einem Bombenattentat verloren. Und seitdem setzte er all seine Hoffnungen auf Harry, seinen Neffen. Er sollte die Familie irgendwann einmal führen. Wenn er das Zeug dazu hatte. Aber wann es soweit war, das wollte Big Tony selbst bestimmen...

Tony hob die Zeitung und deutete damit auf die zierliche Sitzecke. "Setz dich", sagte er.

"Danke, aber..."

"Carlo wird dir einen Espresso bringen."

Harry zuckte die Achseln und setzte sich. Der alte Mann trat auf ihn zu und warf die Zeitung vor seinen Neffen auf den Tisch.

Das grimmige Gesicht von John Mariano blickte einen von einem Foto aus an. In der Rechten hielt er seinen Flammenwerfer. Zwei Munitionsgürtel kreuzten sich über seiner gewaltigen Bodybuilderbrust. Er war der Bestienkiller...

"Es ist zu schade, dass dieser begabte Mensch so früh aus dem Leben gerissen wurde", sagte Big Tony im Tonfall echten Bedauerns. "Er war talentiert. Ich wusste es von Anfang an..."

Harry grinste.

"Du hast seiner Karriere ja auch ziemlich auf die Sprünge geholfen!"

Big Tony sah seinen Neffen mit einem undefinierbaren Blick an. "Dir nicht auch, Harry?", erwiderte er dann auf eine Art und Weise, die dem Jüngeren nicht gefiel.

Harry lockerte seine Krawatte.

Big Tonys letzte Bemerkung hatte einen Unterton, der Harry nicht gefiel.

"Harry, du warst in den letzten Jahren wie ein Sohn für mich", sagte er dann mit leiser, verhaltener Stimme. Und sein Blick wurde sehr ernst dabei.

"Und ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast, Onkel Tony!"

"Das Gedächtnis ist eine flüchtige Angelegenheit, Harry. Glaub mir. Ich bin älter als du... Jeder hat seinen Preis, für den er selbst den Namen seiner Mutter vergessen würde."

Big Tonys Blick war jetzt eisig. Und obwohl er eigentlich ein kleiner, unscheinbarer Mann mit krummen Rücken war, wirkte er jetzt beinahe furchteinflößend. Ein Feuer brannte in seinen Augen. Das Feuer jenes unbändigen Willens, der ihn ganz nach oben getrieben hatte. Immer weiter und höher. Bis an einen Punkt, an dem es nur noch den Blick zurück zu geben schien. Und die Sorge darum, dass nicht alles, was er errichtet hatte, wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrach, sobald er selbst mal nicht mehr existierte.

"Weißt du, nach dem Tod meiner Frau und meiner Kinder hatte ich schon gedacht, dass meine Kraft mich verlassen hätte", sinnierte er. "Wofür das alles? Wofür die Toten und das Blut, auf dem das alles errichtet wurde, wenn es niemanden gibt, der es weiterführt..." Big Tonys Zeigefinger schnellte vor wie die Klinge eines Klappmessers. Sein Blick war hellwach.

"Das hat sich durch dich geändert, Harry. Und es täte mir sehr weh, wenn du mich hintergehen würdest!"

"Das würde ich nie tun, Onkel Tony!"

"Hör zu, ich will dir deine Sünden nicht einzeln unter die Nase reiben. Du bist jung und du hast deshalb ein Recht darauf, Fehler zu machen. Also Schwamm über die Vergangenheit. Ich weiß, dass du hinter meinem Rücken einiges getan hat, was mir nicht gefällt..."

"Hör zu, ich kann..."

Big Tony hob die Hand. Es war eine energische Geste, die keinen Widerspruch zuließ.

"Ich will keine Erklärungen, Harry."

"Ich habe nur das Interesse der Familie im Sinn!"

"Ja, ich weiß. Das verbindet uns. Und wenn es anders wäre, hätte ich dich nie in die Position gebracht, in der du heute bist."

Harry Antonelli lehnte sich etwas zurück. Seine Augen wurden schmal. Er atmete tief durch und biss sich auf die Lippe. Er verkniff sich eine Bemerkung.

"Ich will keine Alleingänge mehr, Harry! Damit das ein für allemal klar ist!"

"Aber..."

"Es ist genug Blut geflossen, Harry... Ich will nicht, dass alles in Gefahr gerät, was ich aus kleinsten Anfängen heraus aufgebaut habe!"

"Vor zehn Jahren hättest du nicht so geredet", erwiderte Harry zwischen den Zähnen hindurch. Sein Blick war finster.

Und er wunderte sich selbst über die Entschlossenheit, die aus seinen Worten herausklang.

Big Tony sah seine Neffen nachdenklich an. Ich muss auf ihn aufpassen, ging es ihm durch den Kopf. Harry hat eine Menge Temperament. So wie ich früher... Aber er darf nicht übermütig werden!

"Ich werde versuchen, ein Treffen mit den anderen Familien anzusetzen", erklärte Big Tony dann. "Und ich möchte, dass du dabei bist."

"Sitzen die Tarrascos auch am Tisch?"

"Natürlich!"

"Onkel, die haben systematisch versucht, deine Leute umzudrehen, einzuschüchtern und für sich zu gewinnen! Die haben jemanden bei den Behörden, der dafür gesorgt hat, dass unsere Nachtclubs dauernd im Hinblick auf ihre hygienischen Verhältnisse überprüft werden... Und der Brandanschlag auf das Exquisite? Hast du das schon vergessen?"

"Dafür haben sie bezahlt!"

"Dafür habe ich gesorgt!"

"Ja, und damit beinahe einen Krieg vom Zaun gebrochen. Solche Dinge regelt man anders, mein Junge!"

"So? Das glaube ich nicht. Onkel, die müssen den Respekt vor dem Namen Antonelli behalten, sonst bricht alles nach und nach in sich zusammen. Alles, was du mit soviel Mühe aufgebaut hast!" Harry war aufgesprungen. Es hielt ihn nicht mehr auf dem Stuhl. Voller Leidenschaft ballte er die Fäuste.

"Ich habe nur getan, was du hättest tun müssen. Aber du hattest nicht die Kraft dazu..."

"Das ist nicht wahr!", rief Big Tony. Seine Stimme überschlug sich. Auf einmal hatte er ein beengendes Gefühl in der Halsgegend. Wie eine Schlinge, die sich langsam zuzog.

Mein Gott, er hat recht!, ging es ihm durch den Kopf. Aber das wollte er nicht wahrhaben. Alles in dem alten Mann sträubte sich dagegen. Wo ist dein alter Elan geblieben?

Wütend funkelte er seinen Neffen an.

"Hör zu, Harry, wir brauchen die Tarrascos und die anderen Familien, wenn wir gegen die Russen und die Puertoricaner bestehen wollen!"

Harry lachte höhnisch.

"Ein fauler Frieden ist das!"

"Mag sein. Aber im Moment haben wir keine andere Wahl und ich hoffe, dass der Schaden, den die von dir eingeleiteten Aktionen angerichtet haben, sich wieder beheben lässt..."

 

Harry schüttelte den Kopf.

"Du solltest die Tarrascos zertreten, Onkel! Jetzt! Bevor sie dasselbe mit dir tun! Noch wären wir groß genug, um sie mit einem Schlag zu vernichten."

"Ich habe deine Meinung zur Kenntnis genommen, Harry", sagte Big Tony dann in einem Tonfall, der einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. Seine Stimme war kaum mehr als ein zerbrechliches Wispern und doch klang darin eine furchtbare Entschlossenheit mit. "Ich entscheide hier immer noch. Und du solltest dir genau überlegen, ob du das akzeptieren kannst oder nicht!"

Harry atmete tief durch.

Der Ärger war ihm anzusehen.

Sein Kopf war dunkelrot angelaufen. Am liebsten hätte er seine Wut herausplatzen lassen. Aber Harry war bei allem Temperament klug genug, um zu wissen, wann er nachgeben musste. Und jetzt war so ein Zeitpunkt.

"Ich habe deine Autorität nie angezweifelt, Onkel", sagte er kleinlaut.

Big Tony nickte leicht. Harry wusste, dass der große Tony Antonelli im Ernstfall nicht einmal davor zurückschreckte, Mitglieder der eigenen Familie umzubringen, wenn es sein musste.

Die beiden Männer sahen sich an.

Ein stummes Duell. Ein gegenseitiges Abschätzen.

Im Moment ging es noch eindeutig zu Gunsten des alten, grau gewordenen Leitwolfs aus.

Noch.

*

Teil 5

Leo Mendrowsky wurde im FBI-Hauptquartier von New York an der Federal Plaza verhört. Unsere Vernehmungsspezialisten Irwin Hunter und Dirk Baker nahmen ihn sich vor und gingen die ganze Story mit ihm noch ein paar Dutzendmal durch. Zeitweilig war ich dabei, aber ich konnte mir das irgendwann nicht mehr anhören. Über einen bestimmten Punkt wollte Mendrowsky einfach nicht hinaus.

"Ich habe das Gesicht des Kerls nicht gesehen!", rief er einmal aufgebracht. "Punkt, basta! Soll ich mir vielleicht was ausdenken, nur damit ihr G-men zufrieden seid! Wie Sie wissen, habe ich das Recht zu schweigen - also seien Sie froh, dass ich keinen Gebrauch davon mache, sondern Ihnen sage, was ich weiß. Auch, wenn das vielleicht nicht viel ist."

Später versuchte Prewitt, unser Zeichner die Beschreibungen Mendrowskys in Bilder umzusetzen.

Aber das Bild eines dunkelhaarigen Mannes von hinten war nicht gerade das, was wir uns für die Fahndung wünschten.

"Wir werden vermutlich das ganze Film-Team nochmal zusammentrommeln müssen, um nach dem Kerl zu fragen", meinte Milo später, als wir in unserem Dienstzimmer saßen und die Aussagen, die gegenüber der City-Police gemacht worden waren, nach Hinweisen zu durchforsten. Aber von den Kollegen hatte natürlich keiner gezielte Fragen gestellt, die einen Unbekannten in Lederjacke im Visier hatten.

Den Killer...

Wer immer ihn auch geschickt haben mochte.

"Vermutlich wird es nicht einmal etwas bringen", erklärte ich. "Ein Teil der Leute ist vermutlich schon abgereist."

Sie noch einmal zusammenzutrommeln würde Unmengen von Steuergeldern verschlingen. Und wenn wir am Ende ohne Erfolg dastanden, würde man uns dafür einen Strick knüpfen. Gespart werden musste überall. Und jeder Cent wurde dreimal umgedreht, bevor er ausgegeben werden durfte.

Immerhin hatte wir noch ein paar andere Eisen im Feuer. Da war die Waffe, die Mendrowsky bei sich gehabt hatte, außerdem die Geschosse, die er am Drehort des letzten, unvollendeten Bestienkiller-Streifens verballert hatte.

Unsere Erkennungsdienstler hatten sie fein säuberlich aus dem Putz oder dem Beton oder wo sie sonst auch immer gelandet waren herausgekratzt. Daran, dass es sich um die Mordwaffe handelte, konnte für mich kaum ein Zweifel bestehen. Alles sprach dafür. Aber vielleicht würden sich noch weitere Hinweise ergeben.

Die Seriennummer der Waffe war abgefeilt gewesen. Aber zweifellos war der Umbau das Werk eines Spezialisten. Eine genau justierte Zielanlage, die durchaus Seltenheitswert hatte und ein Laserpointer. Unsere Spezialisten kümmerten sich darum. Vielleicht ließ sich die Herkunft der Waffe oder einer ihrer Zusatzteile näher bestimmen. Möglicherweise fanden wir sogar jemanden, der sich darauf spezialisiert hatte, solche Umbauten für Spezialbedürfnisse durchzuführen.

Dave Oaktree von unserem ballistischen Labor war da ganz optimistisch.

Am späteren Nachmittag machten Milo und ich uns auf nach Midtown Manhattan. Meinen Sportwagen, der wie ein Dienstwagen ausgestattet war und in den ich einen Großteil meines Gehalts investierte, parkte ich in einer Seitenstraße.

Man musste sich schon verdammt gut im Big Apple auskennen, um um diese Zeit zu einem Parkplatz zu kommen.

Wir suchten Carla Mariano auf, die Witwe des Bestienkillers. Sie residierte in Marianos New Yorker Wohnung - und die befand sich einer ganz exquisiten Lage. Ganz am Ende der Seventh Avenue in einer Traumetage, von der aus man einen weiten Blick über den Central Park hatte.

Ich wechselte einen vielsagenden Blick mit Milo, als uns der Leibwächter hereinließ. Es handelte sich um einen kahlköpfigen Schwarzen, dessen Schultern so breit waren, dass man sich unwillkürlich fragte, ob er ohne Probleme durch eine normale Tür passte. Er war einen Kopf größer als ich. Als er den Mund verzog, sah ich, dass ihm die obere Schneidezahnreihe komplett fehlte. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet John Mariano sich von einem Mann hatte beschützen lassen, dessen Aussehen einem Bösewicht in den Bestienkiller-Filmen alle Ehre gemacht hätte.

Die Wohnung war sehr groß für New Yorker Verhältnisse.

Dreihundert Quadratmeter, so schätzte ich, nachdem wir dem kahlköpfigen Riesen durch einen Empfangsraum in ein weitläufiges Wohnzimmer gefolgt waren.

Sie musste ein Vermögen gekostet haben, das weit außerhalb dessen lag, was sich ein armer FBI-Agent vorstellen konnte.

"Mrs. Mariano - die beiden FBI-Männer", stellte uns der Leibwächter vor.

An der Fensterfront stand eine dunkelhaarige Frau mit langen, bis über die Schulter fallenden Haaren. Ihre Figur war eine einzige, schwindelerregende Kurve. Das enge rote Kleid, das sie trug, schien nicht einen einzigen Millimeter zwischen ihrer bräunlich schimmernden Haut und dem anschmiegsamen Stoff freizulassen. Soweit ich mich informiert hatte, war sie ein ehemaliges Starlet, das sich in Hollywood erfolgreich nach oben geschlafen hatte. Jetzt war sie Erbin eines Millionenvermögens.

Mit provozierender Langsamkeit drehte sich die Schöne um und warf dann den Kopf zurück, so dass das lange Haar nach hinten fiel. Der Ausschnitt ihres Kleides war ziemlich tief und gewährte interessante Einblicke. Den linken Arm hatte sie in die geschwungene Hüfte gestemmt.

Wir hielten ihr unsere Ausweise hin.

"Mein Name ist Jesse Trevellian. Ich bin Special Agent des FBI. Und dies ist mein Kollege Milo Tucker. Wir hätten Ihnen gerne ein paar Fragen zum Tod Ihres Mannes gestellt."

Sie zuckte die Achseln und atmete tief durch. Ihre runden, festen Brüste hoben und senkten sich dabei auf eine Art und Weise, die sie genau zu kalkulieren schien.

"Setzen Sie sich. Wollen Sie etwas zu trinken?"

"Wir sind im Dienst", sagte Milo.

Sie hob die Augenbrauen. "Das ist Ihr Pech, Sir!"

"Ja, vielleicht..."

Wir ließen uns in einer modern wirkenden Sitzecke nieder.

Alles Designer-Möbel. Der letzte Schrei und sündhaft teuer.

Carla Mariano klimperte mit dem Armreif, der ihr am Handgelenk hing und beugte sich etwas vor.

"Ich werde Ihnen nicht viel sagen können", meinte sie dann.

"Warum nicht?"

"Ich war nicht am Drehort, als es geschah... Mein Gott, es war so schrecklich, als ich es erfuhr. Und dann musste ich mir immer wieder die Bilder in den Nachrichten ansehen..."

"Die Bilder, die den Mord zeigten?"

"Ja. Ich weiß nicht, ob der Kameramann dringend Geld brauchte oder wie eine Kopie an die Medien gelangen konnte. Jetzt ist es zu spät, um es noch zu verhindern. Es war respektlos gegenüber einem Toten..."

Es war eine Spielfilmszene, dachte ich. Eine, bei der der Tod Regie geführt hatte und die Leiche nicht nach Beendigung des Drehs wieder aufstand, wie es sonst der Fall war.

Meine Gedanken behielt ich für mich.

"Gibt es irgend jemanden, dem Sie den Mord zutrauen würden?", fragte ich.

Sie zuckte die Achseln. "John hatte ein Talent dazu, sich Ärger einzuhandeln."

"Reden Sie weiter!"

"Was glauben Sie, wie lang die Liste der Kameraleute, Co-Produzenten und so weiter ist, mit denen er sich überworfen hat! Alles musste genau so sein, wie er es wollte. Jedes Detail. Johnny war besessen, was Details anging..."

"Er war jemandem bekannt, der Tony Antonelli heißt", stellte ich fest.

Ihr Blick veränderte sich. Ganz leicht zogen ihre Augenbrauen sich zusammen. Irgend etwas hatte meine Frage in ihr ausgelöst und ich hätte einiges darum gegeben, um in dieser Sekunde zu wissen, was das war.

"Wissen Sie, mir geht im Moment so vieles durch den Kopf und... Mein Namensgedächtnis war noch nie sehr gut!"

"Versuchen Sie sich zu erinnern. Ein kleiner, grauhaariger Mann."

"Antonelli, sagen Sie? Ja, ich glaube, wir sind uns mal auf einer Party begegnet. Johnny kannte ihn von früher."

"Was heißt früher?"

"Aus einer Zeit, als ich ihn noch nicht kannte. Das heißt früher."

"Wissen Sie, ob er mit diesem Antonelli in letzter Zeit irgendwelchen Ärger hatte?"

"Ich habe mich nie um Johnnys Geschäfte gekümmert. Das war bei uns eine eiserne Regel. Da hatte ich mich nicht einzumischen."

Ihre Stimme hatte einen eisigen, klirrenden Tonfall. Sie wirkte sehr berechnend auf mich. Jedenfalls ganz und gar nicht wie eine von Trauer überwältigte Witwe, die ihrer Gefühle kaum Herr werden konnte. Sie sah mich geradeheraus an. Ihre dunklen Augen musterten mich.

"Ganz gleich, was man jetzt demnächst in den bunten Blättern lesen wird - ich habe meinen Mann geliebt. Mitsamt all seinen Macken....

"Als da wären?"

"Ich glaube, das ist eher privat!"

"Wir haben Grund zu der Annahme, dass sein Tod im Zusammenhang mit seinen Verbindungen zum organisierten Verbrechen stehen..."

"Das sind nur Zeitungsgeschichten", sagte Carla Mariano kühl.

"Mrs. Mariano, wir sind nicht daran interessiert, den Nachruhm Ihres Mannes zu schmälern oder an seinem Denkmal zu sägen. Das einzige, was wir wollen ist, seinen Mörder zu finden, weil das unser Job ist."

"Was Sie nicht sagen. Dann tun Sie das", erwiderte sie spitz.

"Etwas mehr Offenheit Ihrerseits könnte uns dabei vielleicht helfen. Schließlich wird es einen Grund dafür geben, dass jemand Ihren Mann erschossen hat..."

Sie verzog spöttisch das Gesicht und musterte mich von oben bis unten.

Dann sagte sie mit ironischem Unterton: "Ich bewundere Ihren kriminalistischen Scharfsinn, Mister... Wie war nochmal der Name?"

"Trevellian."

"Ich glaube nicht, dass ich mir den merken muss."

"Das können Sie halten wie Sie wollen", erwiderte ich.

Ihre provozierende Art brachte mich etwas aus dem Konzept.

Sie schlug die Beine übereinander. Ihr Augenaufschlag war gekonnt. Ich fragte mich, wie oft sie den trainiert hatte.

Zum Glück behielt Milo den roten Faden unserer Ermittlungen im Auge.

"Möglicherweise wurde Ihr Mann unter großem zeitlichen Druck ermordet", erklärte er. "Die Tatsache, dass der Killer vor gut hundert Zeugen zuschlug, anstatt abzuwarten, bis er sein Opfer allein antrifft, legt das Nahe. Es muss etwas eingetreten sein, dass..."

"Das ist doch reine Spekulation." Sie war immer noch eine Kratzbürste.

"Natürlich", gab Milo zu. "Versuchen Sie sich an den Tag vor Mr. Marianos Ermordung zu erinnern. War da irgend etwas Besonderes?"

"Nein."

"Schildern Sie ihn uns."

"Es war ein Tag wie jeder andere. Ich habe Johnny kaum gesehen..."

"Hat er gedreht?"

"Ja." Sie zögerte plötzlich und korrigierte sich dann: "Das heißt nein. An dem Tag nicht. Er hat sich mit irgendwem getroffen. Fragen Sie mich nicht, wer das war. Geschäftspartner. Leute, die Geld in seine Filme pumpen, um noch mehr damit herauszubekommen. Wissen Sie, dass ein John Mariano soviel Dollars im Jahr umgesetzt hat, wie ein mittlerer Konzern?"

"Ich nehme an, er hatte Unterstützung für diesen Bereich... Anwälte, Manager..."

 

"Eine ganze Bowling-Mannschaft!"

Ich erhob mich, sah mich ein bisschen im Wohnzimmer um. Das machte Carla sichtlich nervös. Ich wandte mich einem Schreibtisch zu und versuchte, dessen Fächer zu öffnen. Sie waren abgeschlossen.

"Ist dies der Schreibtisch Ihres Mannes?", fragte ich und bekam als Antwort nur eine Gegenfrage.

"Dürfen Sie das, was Sie da machen?"

"Die Frage ist nur, ob wir mit einem Durchsuchungsbefehl zurückkommen oder Sie so freundlich sind, uns die persönlichen Sachen Ihres Mannes zu überlassen."

"Was hätten Sie denn gern?"

"Telefonregister, Kontoauszüge, die Telefonrechnung, sofern sie Einzelnachweise ausweist und..."

Sie unterbrach mich.

"Wissen Sie was? Am besten Sie kommen mit einem Papier wieder, was dazu ermächtigt, hier alles nach Herzenslust auf den Kopf zu stellen. Bis dahin hätte ich gerne meine Ruhe, Mister... Wie war doch noch der Name?" Ihr Lächeln war aufreizend.

Bei dieser Lady bissen wir vorerst auf Granit. Aber wenn sie uns auch sonst alles vorenthalten hatte, was es vielleicht zu verbergen gab - sie hatte uns ein paar interessante Einblicke in ihren Charakter gegeben.

Ich ging auf sie zu und gab ihr eine der Karten, die der FBI für seine Agenten drucken lässt. "Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch und helfen uns doch bei der Suche nach dem Mörder Ihres Mannes weiter", erklärte ich eisig.

Der riesenhafte Kahlkopf hatte sich indessen hinter mir aufgebaut. Ich stieß um ein Haar gegen ihn, als ich mich herumwandte.

Er verzog das Gesicht zu dem, was bei anderen Leuten vielleicht ein Lächeln war.

Irgendwie schien das als Aufforderung zum Gehen gemeint zu sein.

Im Moment hatten wir hier auch nichts mehr zu suchen.

"Wir sehen uns wieder, Mrs. Mariano", versprach ich, bevor Milo und ich uns auf den Weg machten.

*

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