34 Kurz-Krimis

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ZUM DESSERT: EIN MORD!

Sie hatten sich zu einem gepflegten abendlichen tete-a-tete verabredet.

"Ich kann auch über nacht bleiben", hatte Nadine gesagt.

"Sagt dein Mann nichts dazu?"

"Nein, Robert."

"Aber..."Er runzelte die Stirn.

"Die Wahrheit ist: ich habe ihn schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen."

"Hattet ihr Streit?"

"Ja, ein bißchen. Aber ich hätte nicht gedacht, daß es so schlimm kommt und er einfach davonläuft und nicht wieder auftaucht."

Jetzt saßen sie vor einem vorzüglichen Essen. Robert war ein guter Hobby-Koch und hatte sich gehörig ins Zeug gelegt.

Es war ein alter Jugendtraum von ihm, Koch in einem Restaurant der haute cuisine zu sein. Aber daraus war nichts geworden.

Er hatte Jura studiert und war Anwalt geworden.

Robert hatte Lachs mit Kräuterbutter auf den Tisch gebracht und er sah mit Genugtuung, daß Nadine solche Kostbarkeiten zu würdigen wußte.

Sie hoben die Weingläser und prosteten sich zu.

"Auf meinen charmanten Gast", sagte Robert.

"Auf einen excellenten Koch!" erwiderte Nadine freundlich lächelnd. "Und auf einen faszinierenden Mann!"

"Sagen wir einfach: Auf uns!"

Sie nickte.

"Ja, das ist gut. Damit bin ich auch einverstanden."

Zum Nachtisch gab es köstliche Eistorte. Robert hatte sie selbstverständlich eigenhändig kreiert.

Nadine dachte kurz an ihren Mann und daran, was er wohl sagen würde, wenn er sie hier mit Robert hätte sehen können.

Nadines Mann war temperamentvoll und sehr eifersüchtig. Und vor allem war er nicht bereit, Nadine freizugeben Nadine wiederum war keine sehr starke Persönlichkeit. Sie hatte zwar schon oft Robert gegenüber angekündigt, daß sie sich nun endlich von ihrem Mann trennen wollte, aber wenn es dann ernst wurde, schreckte sie regelmäßig davor zurück.

Das war ein Punkt, den Robert nur schwer schlucken konnte und den er auch nicht verstand.

Er mußte es hinnehmen, schon deshalb, weil ihm wirklich etwas an Nadine lag. Er würde ihr soviel Zeit geben, wie sie brauchte.

"Was weiß dein Mann eigentlich von mir?" fragte Robert.

"Er weiß, daß da etwas ist. Aber er weiß keinen Namen. Er kennt dich also nicht, jedenfalls soweit ich weiß." Sie lachte und zeigte dabei ihre strahlend weißen Zähne. "Und das ist auch gut so, Robert!"

"Ich weiß nicht. Vielleicht würde es einiges klären..."

"Das glaube ich nicht! Ich kann dir sagen, was passieren würde, Robert!"

"Und was bitte?"

"Er käme hier vorbei, würde mit einem hochroten Kopf bei dir klingeln und dich dann gleich beim Kragen packen."

"Und dann?"

Sie zuckte mit den Schultern.

"Vielleicht - wenn er verhältnismäßig ausgeglichen ist - würde er eine ernste Warnung aussprechen. 'Lassen Sie in Zukunft die Finger von meiner Frau!' oder so ähnlich würde sich das anhören."

Robert verzog das Gesicht.

"Dein Mann ist doch keine Figur aus diesen alten Wildwest-Filmen!"

"Er benimmt sich aber so."

Robert schien das Ganze zu amüsieren.

"Wie ginge es dann weiter?"

"Vielleicht würdest du einen Kinnhaken abbekommen, vielleicht auch eine ausgewachsene Tracht Prügel..."

"Klingt nicht sehr verlockend."

"Was würdest du tun, Robert?" Sie schien auch zunehmend Gefallen an dieser Art der Gedankenspielerei zu entwickeln. "Mein Mann ist über eins neunzig groß und ein ziemlich breiter Schrank."

"Kein Problem, Nadine!"

Robert griff blitzschnell unter sein Jackett und zog eine Pistole hervor. Nadine erschrak.

"Mein Gott, Robert! Das... Das wußte ich bisher nicht!"

"Habe ich dir nicht erzählt, daß ich Sportschütze bin und eine Waffen besitze?"

"Doch, das wohl. Aber ich wußte nicht, daß du sie ständig bei dir trägst!"

Er zuckte mit den Schultern. "Ich habe oft genug die Opfer von Gewalttaten vor Gericht vertreten müssen. Wir leben in einer gefährlichen Zeit und ich möchte nicht eines Tages selbst zu diesen Opfern gehören."

Sie atmete tief durch. "Ja, das verstehe ich. Aber wenn man so etwas sieht, verschlägt es einem im ersten Moment einfach die Sprache..." Dann blitze es in ihren Augen. "Würdest du meinen Mann erschießen, wenn er hier auftauchen würde?"

Er nickte. "Warum nicht? Wären damit nicht alle meine Probleme gelöst? Ich hätte dich endlich für mich gewonnen..."

Sie lächelte freundlich und faßte seine Hand. "Leider ist das wohl kein gangbarer Weg", meinte sie.

"Weshalb nicht?"

"Du scherzt! Aber im Ernst: Weil die meisten Morde irgendwann einmal aufgeklärt werden. Bei Autoeinbrüchen ist das anders, da hat man als Täter eine Chance. Aber nicht als Mörder, Robert."

Sie lachten beide herzhaft. Der Wein hatte sie bereits etwas beschwipst und ihre Zungen gelockert.

"Weißt du, weshalb die meisten am Ende gefaßt werden?" fragte sie und gab auch gleich die Antwort: "Weil sie keinen wirklich guten Ort wissen, an dem man die Leiche verstecken kann!"

"Man könnte meinen, du hättest praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet!"

"Nein. Ich habe nur jede Menge Romane gelesen." Um ihre Mundwinkel spielte ein schwer zu deutendes Lächeln. "Angenommen, mein Mann wäre hier aufgetaucht, hätte dich zur Rede gestellt, vielleicht auch angegriffen und du hättest ihn erschossen... Wo hättest du die Leiche versteckt? In den Fluß geworfen? Im Garten vergraben?"

"Bevor wir uns darüber unterhalten, Schatz: Möchtest du zum Schluß noch einen Cappuccino?"

"Oh, ja, gerne."

"Gut, dann gehe ich schnell in die Küche und mach uns einen!"

Sie sah ihm nach und dann fiel ihr Blick auf die restlichen Stücke der Eistorte, die zu schmelzen begonnen hatten. Nein, es wäre doch wirklich zu schade drum gewesen! Die Torte mußte schnellstens wieder eingefroren werden, wenn man sie noch retten wollte! Nadine zögerte nicht lange. Sie kannte sich in Roberts Bungalow gut aus, fast wie zu Hause.

Sie nahm die Torte und lief mit ihr in den Keller, wo sich die Vorratskammer befand. Nadine stand zwei Tiefkühlschränken gegenüber, die vermutlich mit Delikatessen angefüllt waren.

Nadine wußte nicht, in welchen die Torte gehörte.

Sie versuchte es beim rechten Eisschrank und öffnete die Tür. Die Torte fiel ihr vor Schreck aus der Hand, als sie in das ihr wohlbekannte Gesicht ihres Mannes blickte.

TÖDLICHE TROPFEN

Sie trafen sich so oft es ging, ohne daß Anne bei ihrem Mann damit Mißtrauen erregte. Meistens an einem neutralen Ort, in einem Cafe zum Beispiel. Anschließend gingen sie oft noch in seine Wohnung.

Das machte keinerlei Schwierigkeiten. Vor Jahren war er verheiratet gewesen, so hatte er ihr erzählt, aber seit seiner Scheidung lebte er allein.

"Diese Nachmittage gehen so schnell vorbei!" sagte sie seufzend und schaute dabei auf die Uhr. "Robert, ich glaube nicht, daß ich das noch lange aushalte!"

Robert Burger zuckte mit den Schultern.

"Laß dich scheiden, dann bist du wieder frei und kannst tun und lassen, was du willst!"

Anne machte ein ziemlich ratloses Gesicht.

"Haben wir das nicht schon oft genug durchdiskutiert!"

Burger nickte. Ja, das hatten sie. Anne und ihr Mann hatten sich auseinander gelebt, es gab kaum noch Gemeinsamkeiten, jeder lebte sein Leben neben dem des anderen, ohne daß es dabei mehr Berührungspunkte gab, als unbedingt nötig.

Burger verzog das Gesicht und musterte seine Geliebte mit einer Spur von Abschätzigkeit. "Ein goldener Käfig ist dir letztlich doch lieber, als die Freiheit", stellte er mit einer Spur Bitterkeit fest. Als Anne geheiratet hatte, war sie naiv genug gewesen, zu glauben, daß ihre Liebe ewig halten würde. An ein Ende hatte sie nicht einen Gedanken verschwendet und als sie dann Paul Emmerich, den jungen Erben einer gutgehenden Kaufhauskette heiratete, hatte sie gegen eine Gütertrennung nichts einzuwenden gehabt.

Warum auch? Sie war in kleinen Verhältnissen groß geworden und daher überzeugt, jederzeit auch wieder ohne den Luxus auskommen zu können, den sie bei ihrem Mann kennenlernen sollte.

Aber mittlerweile waren über zwanzig Jahre vergangen, und die hatten sie in dieser Hinsicht vielleicht ebenso stark geprägt, wie die Zeit davor.

Sie konnte nicht mehr dorthin zurück, woher sie gekommen war.

Anne schaute noch einmal auf die Uhr.

"Es ist höchste Zeit. Ich muß zu Hause sein, bevor Paul aus dem Büro kommt..."

"Es wird also alles beim Alten bleiben..."

Sie zuckte mit den Schultern. Burger war ein biederer Steuerberater. Selbstständig zwar, aber er würde ihr kaum das bieten können, was sie von Paul gewohnt war.

"Wenn ich mich scheiden lasse, bekomme ich nichts", erklärte sie kühl. "Aber im Falle seines Todes bin ich erbberechtigt..."

"Und dein Sohn - Thomas?"

"Es würde genug für mich übrigbleiben." Sie lächelte ihn rätselhaft an. "Mehr jedenfalls, als du je auf einem Haufen gesehen hast!" Sie zuckte mit den Schultern. "Leider erfreut Paul sich blendender Gesundheit!"

Robert Burger lächelte etwas unsicher zurück. "Du willst doch wohl nicht etwa vorschlagen, daß man da - wie soll ich sagen? - etwas nachhelfen sollte?"

Anne Emmerichs Gesicht wurde auf einmal ziemlich ernst.

"Man kommt auf die seltsamsten Ideen, nicht wahr...?"

*

Am folgenden Tag erreichte Burger ein aufgeregter Anruf von Anne. Sie schien völlig außer sich zu sein.

 

"Paul ist tot", sagte sie.

"Was?"

"Die Polizei war hier, sie haben Fragen gestellt, ich -"

"Wodurch ist dein Mann gestorben?"

"Gift..."

"Mein Gott... Mord!"

"Robert, wir müssen uns unbedingt treffen!"

Sie hat es wirklich getan! durchzuckte es ihn. Sie hat ihn umgebracht!

Dieses Maß an Entschlossenheit hatte er ihr gar nicht zugetraut!

*

Anne Emmerich trug eine Sonnenbrille, als sie das Cafe betrat, in dem sie ihren Treffpunkt vereinbart hatten. Der Kragen ihres Mantels war hochgeschlagen und sie blickte sich ständig um.

"Glaubst du, daß dir jemand folgt?" fragte Burger stirnrunzelnd.

"Es wäre möglich, daß die Polizei mich beschattet."

"Hat man dich in Verdacht?"

"Robert, sie wissen von unserem Verhältnis! Früher oder später werden die Kripo-Leute auch bei dir auftauchen."

"Verdammt, Anne! Konntest du mich da nicht rauslassen?"

Sie zuckte mit den Schultern.

"Sie wissen es nicht von mir. Paul hat mich beschatten lassen und bei der Durchsicht seiner Sachen sind sie auf die Ermittlungsberichte eines Privatdetektivs gestoßen... Ich hatte nichts damit zu tun!"

"Und ich möchte nichts mit einem Mord zu tun haben!"

"Glaubst du, mir ist das angenehm?" Sie atmete heftig.

"Ich brauche jetzt deine Unterstützung! Wer, wenn nicht du, sollte mir jetzt beistehen. Mein ehrenwerter Sohn vielleicht? Du weißt doch, was mit ihm ist!"

Burger wußte es. Thomas Emmerich war ständig betrunken und ein notorischer Spieler. Glücklicherweise war er als Sohn eines reichen Vaters geboren worden, der die horrenden Spielschulden - wenn auch zähneknirschend - begleichen konnte.

"Wie geht es jetzt weiter?" fragte Burger schwach.

"Ich brauche ein Alibi, Robert. Diese Kripo-Leute werden immer weiter bohren!"

*

"Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden, Mutter!"

Als Anne Emmerich das Wohnzimmer betrat, fand sie ihren Sohn dort auf dem Sofa ausgestreckt. In der Rechten hielt er ein halbleeres Glas. Anne erstarrte.

"Was soll das heißen, Thomas."

"Das weißt du ganz genau!" Er verzog das Gesicht. "Du bekommst ein ansehnliches Vermögen, über das du frei verfügen kannst! Wolltest du das nicht immer?"

"Du ebenfalls, mein Sohn!"

"Ich mache dir keinen Vorwurf!" Er stand auf und griff nach einer Karaffe. "Möchtest du auch einen Drink, Mutter?

Vielleicht beruhigt dich das etwas..."

Anne überlegte kurz, dann nickte sie.

Thomas reichte ihr ein Glas. Sie wollte es gerade an die Lippen setzen, da klingelte es an der Tür. Mit dem Glas in der Hand ging sie zur Tür und öffnete. Es war einer von den Kriminalbeamten.

"Lorant, mein Name. Vielleicht erinnern Sie sich noch", erklärte er.

"Ich erinnere mich."

"Darf ich hereinkommen?"

"Natürlich."

Sie gingen ins Wohnzimmer. Bevor Anne einen Schluck aus ihrem Glas nehmen konnte, fragte Lorant: "Hat Ihr Sohn Ihnen das eingeschenkt?"

"Ja, wieso?"

"Dann würde ich es nicht trinken!" Er nahm ihr das Glas ab." Das kommt ins Labor. Es könnte nämlich sein, Frau Emmerich, daß Ihr Sohn die zu erwartende Erbschaft nicht mit Ihnen teilen möchte..."

"Was meinen Sie damit?"

Lorant wandte sich an Thomas Emmerich.

"Wir haben den Apotheker gefunden, der Ihnen die tödlichen Tropfen verkauft hat. Er hat Sie auf einem Photo einwandfrei identifiziert!" Er hob das Glas, das er Anne abgenommen hatte. "Ich bin gespannt, was die Analyse ergibt..."

DER KOPF-ABHACKER

"Haben Sie schon gehört?" fragte mich Mrs. Cross, als sie an meinen Bankschalter trat. "Loretta ist verschwunden."

Ich schluckte, sah der alten Dame in die Augen und wurde rot. Eine alte Krankheit von mir. Ich kann nichts dagegen machen. "Welche Loretta?" fragte ich.

"Wir haben doch nur eine Loretta hier im Ort. Loretta Grayson."

"Oh."

"Sie sind eigentlich noch ein bißchen jung für Gedächtnisschwund!"

"Liegt wohl daran, daß ich schon viel mitgemacht habe."

Es war keine besonders intelligente Antwort, das gebe ich zu, aber mir fiel halt nichts besseres ein. Und außerdem konnte ich ihren unterschwellig tadelnden Tonfall nicht ausstehen. "Wie möchten Sie Ihre fünfzig? So wie immer?"

"Wie immer", nickte sie. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß sie nur in die Bank kam, um mit jemandem zu reden.

Deswegen hob sie ihre Rente in Fünfzig-Dollar-Raten ab. Wenn man so darüber nachdachte, dann war es schon ziemlich traurig.

Sie fing wieder an, von Loretta zu reden, obwohl ich gehofft hatte, daß sie damit aufhören würde. Aber die Sache schien Mrs. Cross ziemlich zu beschäftigen.

Mich auch.

Und das war auch der Grund dafür, daß ich nicht darüber reden wollte. Aber Mrs. Cross kümmerte das nicht. Ihre Worte plätscherten wie ein Wasserfall.

"Was denken Sie darüber?" erkundigte sie sich.

"Ich weiß nicht."

"Man hört jetzt soviel von diesem Wahnsinnigen. Sie wissen schon..."

"Hm."

"Ich meine den, der seinen Opfern den Kopf abhackt..."

Die Sache hatte groß in der Zeitung gestanden. Fünf Leichen, alle geköpft. Die Köpfe hatte man nie gefunden.

Genau der richtige Stoff, um alten Frauen den Schlaf zu rauben und ihnen einen Grund zu geben, sich das Maul zu zerreißen.

Und was war mit jungen Frauen?

Ein anderes Thema.

Ihre faltige Haut wirkte irgendwie reptilienhaft. Die Gläser ihrer Brille waren nahezu flaschendick.

"Sie haben sie doch ganz gut gekannt, oder?" fragte sie.

Ich zuckte etwas zusammen. Mein Gott, ich stierte sie an wie ein Alien-Monster, das direkt von einer stockigen Leinwand heruntergestiegen war.

"Wen?" fragte ich und schluckte. Ich konnte ihren Blick durch die dicken Brillengläser nicht sehen. Nur die tiefen Furche auf ihrer Stirn.

"Na, Loretta! Oh, Gott, jetzt rede ich schon in der Vergangenheit von ihr!"

Ich sagte: "Machen Sie sich keine Sorgen um Loretta."

"Meinen Sie?"

"Ganz bestimmt?"

"Ja. Ich habe sie heute morgen noch gesehen."

"Wirklich?"

"Hören Sie, ich habe noch zu tun."

"Ja, sicher..."

"Bis zum nächsten Mal, Mrs. Cross!"

Sie humpelte davon. Ich atmete tief durch. Und dabei registrierte ich, daß Mrs. Cross einen sehr kurzen Hals hatte. Ich weiß auch nicht, warum mir das in diesem Moment auffiel. Ja, ein sehr kurzer Hals war das

Ich war ziemlich müde, als ich nach Hause kam. Das Haus hatte ich geerbt. Für mich allein war es viel zu groß, aber streng genommen lebte ich auch gar nicht allein. Das Haus war immer voller Freunde.

Immer.

Ich atmete tief durch, als ich die abblätternde Fassade sah. Mein Gott, das Haus brauchte mal wieder einen Anstrich.

Vielleicht im nächsten Frühjahr.

Vielleicht...

Ich schloß die Tür auf.

"Hallo?" rief ich. Dann legte ich den Schalter um. Der Strom ging an. Das Licht auch.

"Loretta?" fragte ich. Sie hatte die Augen geschlossen. Sie sah so friedlich aus, wenn sie die Augen geschlossen hatte. Ich ging zum Tisch, wo ich meine Apparatur aufgebaut hatte und legte einen Hebel um.

Etwas surrte.

Und es stank ein bißchen verschmort.

Loretta machte die Augen auf.

"Schön, daß du wieder da bist."

"War anstrengend heute in der Bank."

"Hat dir Mister Bascomp wieder zugesetzt?"

"Dieser Mann ist die personifizierte Nervensäge!"

"Mach dir nichts draus, Billy."

"Tu ich nicht."

"Irgendwann liegt Mister Bascomp unter der Erde und du bist Direktor!"

Ich zuckte die Achseln und machte ein ziemlich skeptisches Gesicht.

"Der ist ziemlich zäh."

"Du doch auch, oder?"

"Naja, geht so!"

Dann zischte es und ich fluchte vor mich hin. Weißer Qualm stieg auf. In meiner Apparatur gab es einen Kurzen. Loretta schloß die Augen. Sie schloß die Augen, als würde sie sagen wollen: "Welcher erwachsene Mann verbringt seine Zeit schon damit, solche Apparaturen zu bauen?" Aber sie sagte es nicht. Und sie sagte auch nicht, daß ich mit dem Zeug auf dem Tisch vermutlich irgendwann mir selbst das Dach überm Kopf anzünden würde...

Sie sagte nichts.

War auch am besten so. Aber das war das Gute an ihr. Sie wußte einfach, wann sie den Mund halten mußte.

Von vielen kann man das nicht sagen.

Am nächsten Tag stand etwas von einer Leiche in der Zeitung.

Sie war ganz in der Nähe in einem Maisfeld gefunden worden.

Und sie hatte keinen Kopf.

Die ganze Gegend sprach darüber.

Auch Dorothy, die in Bewleys Cafe arbeitete, wo ich immer in der Mittagspause hinging. Da ich meine Pause erst machte, als die Mittagszeit schon längst vorbei war, hatte sie Zeit, sich zu mir zu setzen.

Wir waren die einzigen in dem Laden.

"Ich frage mich, was er mit den ganzen Köpfen macht", sagte sie.

"Wer?"

"Na, der Verrückte!"

"Woher weißt du, daß es ein Mann ist?"

Sie zuckte die Achseln. "Habe ich einfach so angenommen.

Übrigens habe ich gehört, daß die Tote Loretta Grayson sein soll."

"Ach, ja? Wie will man das sagen - ohne Kopf?"

"Ihre Sachen gehörten Loretta."

"Naja..."

"Furchtbar sowas."

"Schlimm."

"Willst du noch einen Kaffee, Billy?"

Ich hob die Schultern. "Sicher." Ich war etwas müde.

Ein bleiernes Gefühl hatte sich in mir breitgemacht. Es ging von meinem Kopf aus, begann irgendwo hinter der Stirn und es dauerte gar nicht lange, dann war es bis in die Zehenspitzen vorgedrungen.

"Ich würde dich gerne mal besuchen, Billy."

"Heute besser nicht."

"Wieso nicht?"

"Heute paßt es schlecht."

"Vielleicht komme ich einfach mal vorbei, ja?"

"Ich weiß nicht..."

Als ich wieder zu Hause war, wurde mir klar, daß ich Loretta nicht wieder hinkriegen würde. Ich experimentierte noch etwas mit den Drähten herum, die ich an ihrem Kopf angebracht hatte. Über feine elektrische Impulse ließen sich die Augenlider und der Mund öffnen und schließen. Sie wirkte dann so lebendig, auch wenn ihre Gesichtszüge manchmal etwas maskenhaft blieben. Ich vermied daher, sie grellem Licht auszusetzen. Man muß die Dinge nicht so genau sehen. Muß man wirklich nicht. Sie war da. Loretta. Einfach da. Eine Gefährtin. Sie konnte auch den Mund halten. Habe ich das schon erwähnt? Ich weiß nicht...

Traurigkeit erfaßte mich.

"Was ist los, Billy?"

"Ich weiß es nicht."

"Warum ist da immer dieser weiße Qualm?"

Ich schluckte. "Ich krieg' das schon hin, Loretta."

Eine Lüge.

Als der weiße Qualm erneut aufstieg, schaltete ich die Apparatur ab. Schade, dachte ich. Du wirst mir fehlen.

"Was?"

"Nichts."

Der bleiche, tote Mund verstummte.

Endgültig.

Ich ging zum Kühlschrank, fragte mich, was ich verkehrt gemacht hatte und nahm mir eine Dose Budweiser. Das Bier war warm. Scheiße. Ich hatte nicht daran gedacht, daß ich den Stecker herausgezogen hatte, um die Dose für meine Apparatur nutzen zu können. Ich schlürfte die warme Brühe, machte den Fernseher an, hörte aber nicht richtig zu.

Beim nächsten Mal mache ich es besser, dachte ich. In Gedanken ging ich die gesamte Schaltung noch einmal durch.

Ich sah dabei zu Loretta hinüber.

Zu ihrem Kopf.

Irgendein Schleim tropfte unten aus der Öffnung am Hals, die ich eigentlich mit einer Polyester-Dichtung verstopft hatte.

Es war fünf Uhr nachmittags, als Dorothy kam. Sie trug ein Kleid. Ich hatte sie noch nie in einem Kleid gesehen, immer nur in karierten Hemden und Jeans.

Ich starrte sie an. Sie wurde rot. Ich wahrscheinlich auch.

"Hi!"

"Hi, Dorothy!"

"Ich dachte, ich komme mal vorbei."

"Tja..."

"Komme ich ungelegen?"

"Nein, aber..."

Ich hielt sie zurück, als sie an ihm vorbeigehen wollte.

Sie sah mich an. Ihre Augenbrauen bildeten eine Schlangenlinie. Eine Frage stand in ihrem Gesicht.

 

"Hast du Besuch?"

"Quatsch."

"Was ist dann los?"

"Ich muß eben was wegräumen, Dorothy. Dann kannst du reinkommen, okay?"

"Irgendwie riecht das komisch bei dir da drinnen..."

"Ich habe gebastelt. Mit Polyester... Warte hier, ja?"

"Okay", seufzte sie.

Ich wußte nicht, wo ich Lorettas Kopf so schnell hinstecken sollte. Ich packte ihn schließlich in den Mülleimer. Die Klappe ging nicht richtig zu. Ich mußte ihn ziemlich quetschen.

Die Apparatur ließ ich so stehen, wie sie aufgebaut war.

Es hätte zuviel Arbeit gemacht, alles von neuem zu verkabeln. Nur die Blutflecken wischte ich weg. Und diesen Schleim, der aus Lorettas Kopf herausgequollen war. Aber viel war davon nicht vorhanden.

Ich bin immer sehr reinlich.

Ich holte die Axt.

Der Puls schlug mir bis zum Hals.

Dorothy...

Sie hat ein schönes Gesicht, dachte ich. Und einen schlanken, langgezogenen Hals. Anders als Mrs. Cross.

"Du kannst reinkommen, Dorothy!"

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