Drei starke Geister

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Erstes Kapitel.

Der Nicolas.

Acht Jahre sind vergangen.

Wir sind im October 1833, um neun Uhr Abends, und auf dem weiten indischen Ocean, dessen Wellen mit eintönigem Brausen von dem Archipel der Sundainseln bis zum Nebelkap ziehen, schwimmt ein Schiff in der Dunkelheit still und mühsam daher.

Es ist der Nicolas, welcher von der Insel Madagascar kommt, am Kap anlegen und dann nach Manila steuern will.

Auf dem Verdeck des Schiffes ist es einsam und still. Mit Ausnahme des wachthabenden Officiers, der, in seinen Regenmantel gehüllt und die Hände auf den Rücken gelegt, auf - und abgeht, und des Steuermanns an seinem Rade, ist kein lebendiges Wesen zu sehen.

Die Nacht ist nicht allein dunkel, sondern kalt; der Himmel und das Meer haben eine gleichmäßige, schiefergraue Farbe und ein feiner Regen peitscht die Takelage des Schiffs.

Man hört Nichts als das Krachen des Fahrzeugs, welches alle seine Kräfte anstrengt, um diese mächtige See zu überwinden, und sich, wie ein Roß Unter den Sporen des Reiters, auf seinem Kiele bäumt./P>

Wir steigen in das Zwischendeck hinab um zu sehen, was hier vorgeht. In einer großen Kajüte, welche während des Tages als Speisesaal und des Abends als Versammlungszimmer dient, und die jetzt von einer an der Decke hängenden und mit einem breiten Schirme bedeckten Lampe erleuchtet wird, sitzen vier Personen um einen großen leeren Tisch. Zwei von ihnen spielen Domino, es ist der Commandant Durantin und der Doktor Maréchal.

Der Dritte lies’t, den Kopf aus die rechte Hand und den Ellnbogen auf den Tisch gestützt, auf der sein Buch liegt.

Der Vierte thut eigentlich Nichts, aber er scheint in so tiefe Betrachtungen versunken zu sein, daß er leicht von Allen Vieren am Meisten beschäftigt sein könnte.

Der Commandant ist ein Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren, ein gewöhnlichen Schiffsanzuge, ein ächter Seemann mit freiem Blick. einer Adlernase und weißen Zähnen.

Der Doktor kann etwa zweiunddreißig Jahre alt sein; er hat ein offenes Gesicht, ein klares, sanftes Auge, wie das eines Mannes sein muß, dessen Herz, dessen Magen und dessen Kopf gesund ist.

Ost Lesende ist ein junger Mann, den man höchstens für fünfundzwanzig Jahre halten kann; sein Name ist Felician Pascal, sein Gesicht ist bleich, seine von hohen. schwarzen Brauen beschatteten Augen haben einen außerordentlich sanften Ausdruck und sein gern lächelnder Mund scheint ihm nur gegeben zu sein, um fromme Worte zu sprechen; obgleich er keine Priesterkleidung trägt, so hat er doch schon die Tonsur erhalten und besitzt die ganze evangelische Milde eines jungen Dieners des Herrn. Wenn seine Hand sich auf das Buch legt, um ein Blatt >umzuwenden, so kann man sich nicht enthalten, die weibliche Zartheit und die aristokratische Form dieser Hand zu bemerken. Er ist ganz schwarz gekleidet, von mittlerem Wuchse und mehr schwächlicher als kräftiger Gestalt. In dem Augenblicke-, wo wir seine Bekanntschaft machen, ist sein auf der Hand ruhendes Gesicht, das von langen, schwarzen Haaren eingerahrnt und von der über ihm hängenden Lampe zur Hälfte beleuchtet wird, das angenehmste und gewinnendste, welches man sehen kann; es spricht aus ihm die Ruhe der Seele, der lebendige Glaube, das reine Gewissen.

Der Vierte, welcher in einiger Entfernung von den Uebrigen auf einem an der Wand der Kajüte stehenden Sopha sitzt oder vielmehr liegt, befindet sich völlig im Halbdunkel. Er ist dreißig Jahre alt, aber Jedermann würde ihn für fünf Jahre älter halten; es ist eine große, kräftige Gestalt, und seine Züge, sowie seine Kleidung, sind ein Gemisch von angeeigneter Distinction und von angeborener Alltäglichkeit. Wir wollen diesen Mann näher in’s Auge fassen und mit dem Kopfe beginnen. Ein etwas dunkler, von der tropischen Sonne gebräunter Teint, schwarze, wie die Flügel des Raben glänzende Haare, die in natürlichen Locken herabfallen und mit der größten Sorgfalt geordnet sind, eine wie Elfenbein glatte Stirn, mit den Erhöhungen der Entschlossenheit und des festen Willens, in reinen, ununterbrochenen Halbkreisen gebogene Brauen über einem Paar forschender Augen, welche mit außerordentlicher Beweglichkeit den Blicken Anderer ausweichen, die aber die Spuren einer- nicht durch physische Ausschweifungen, sondern durch innere Aufregung ermatteten Lebenskraft tragen; dies ist es, was an dem Gesicht dieses Mannes zuerst ausfällt. Die Nase ist gerade und wohlgeformt, aber die übrigen Theile des Gesichts können den prüfenden Blick leicht täuschen, denn ein dichter, an den Ohren beginnender Bart läßt Nichts davon sehen, als ein paar blasse Lippen, welche eine Doppelreihe weißer Zähne bedecken.

Im Gegensatze zu dem jungen Manne, den wir vorher schilderten, hat der, von dem wir fest sprechen, starke Hände mit muskulösen Fingern; er widmet ihnen eine große Sorgfalt, aber obgleich es ihm gelungen ist, sie weiß zu erhalten, so hat er ihnen doch keine elegante Form geben können. Sie sind zur Hälfte von feingefalteten Battistmanschetten bedeckt und an dem kleinen Finger der rechten Hand funkelt ein werthvoller Diamant.

Dieser Mann trägt eine weiße seidene Cravatte, die nachlässig um seinen Hals geschlungen ist, ein Gilet von englischem Stoffe, mit großen rothen, gelben und grünen Carreaus, in dessen linker Tasche sich eine dicke goldene Kette, welche quer über das weiße Hemd läuft, nebst der daran befestigten Uhr, verliert. Den Anzug vervollständigt eine Art Jäckchen von schwarzem Sammet, ein Beinkleid von braunem Cashemir, weißseidene Strümpfe und Tanzschuhe, welche dem Fuße Feinheit geben sollen. Dies ist das vollständige Bild dieses Mannes, der jenen durchdringenden Geruch von Ambra oder Moschus um sich verbreitete, mit dem die Bewohner der Kolonien sich so gern, aber zu ihrem Nachtheil umgeben.

Ist dieser Mensch gut oder schlecht? Das ist schwer zu sagen. Sind die Blässe und der scheue Ausdruck seines Gesichts und besonders die unangenehmen Linien, die ihm seinen hauptsächlichsten Charakter geben, eine Folge von erduldetem Unglück oder von heftigen Leidenschaften? Ist er ein Bösewicht oder ein rechtschaffener Mann? Bald scheint der Blick dieses Mannes aus einem Herde von Galle zu kommen, bald ist er wieder merkwürdig sanft; man kann sich nichts Veränderlicheres denken, als diese Physiognomie Während man den bitteren und höhnischen Zug um seine Lippen bemerkt, wird man erstaunt, diese Bitterkeit und diesen Hohn in ein Lächeln übergehen zu sehen, um das ihn ein junges Mädchen beneiden könnte, und dies eben so rasch, als eine Sommerwolke unter einem Windhauche ihre Form verändert.

So viel ist gewiß, daß dieser Mann, er sei gut oder schlecht, kein gewöhnlicher Mensch ist.

Auf dem Ofen liegende Bücher, an den Wänden hängende Landkarten und ein Thermometer vervollständigen das einfache Meublement dieser saubern von Mahagoni glänzenden Kajüte.

Das einzige Geräusch, welches man hörte, war, wie wir schon sagten, und wenn wir uns dieses Wortes bedienen dürfen, das Athmen des Schiffes, zu dem sich nur das leise Zittern der inneren Gegenstände und von Zeit zu Zeit das Klappern der Dominosteine gesellte.

»Domino!« rief plötzlich der Comntandant. »Mein lieber Doktor, Sie sind nicht stark in diesem Spiele. Ich hatte siebenundsiebzig Points,« fuhr Durantin fort, indem er seine Augen durchzählte, und jetzt dreiundzwanzig, das sind zusammen gerade hundert.«

»Sie haben ganz Recht, Kapitain,« erwiderte der Doktor, ich bin ein schlechter Spieler; Sie gewinnen mir schon die vierte Partie ab und ich möchte mich nach einem Beistande umsehen. Herr Valery, wollen Sie sich nicht mit Herrn Pascal vereinigen und eine Partie en quatre mit uns spielen.«

Als Herr Valery, der Mann mit dem bunten Gilet, sich anrufen hörte, stand er auf, näherte sich den Spielenden mit der Miene eines vom Schlafe Erwachenden und sagte:

»Ich bin es zufrieden.«

»Ich ebenfalls,« versetzte der junge Mann, indem er sein Buch zuschlug. Dann rieb er sich die Hände und setzte hinzu: »Wissen Sie, daß es diesen Abend ein wenig kalt ist, Herr Kapitain?«

»Wollen wir Feuer machen lassen?«

»O, so schlimm ist es nicht,« erwiderte Felician; »aber kühl ist es.«

»Ich bemerke es ebenfalls,« sagte Valery, indem er sich an den Tisch setzte; »dieses Regenwetter dringt bis auf die Knochen. Ich habe Kopfweh und ich gestehe, daß ein wenig Feuer mir nicht unangenehm sein würde.«

»Seit einigen Tagen scheinen Sie sich nicht ganz wohl zu befinden, Herr Valery,« bemerkte der Doctor. »Wollen wir ein kleines Examen anstellen?«

»O, das ist nicht nöthig, es fehlt mir Nichts:«

Der Kapitain klingelte, ein Matrose erschien.

»Mache Feuer,« sagte Jener.

Eine Minute später pfiff der Ofen.

Die Wärme that Jedem wohl; die Partie begann und man plauderte während des Spiels. Valery allein fröstelte.

»In wieviel Tagen werden wir das Kap erreichen?« fragte Pascal den Kapitain.

»Spätestens in zwei Tagen.«

»Der Nicolas segelt gut.«

»O ja, er macht seine elf Knoten in der Stunde.«

»Sie setzen, Kapitain.»

»Sechs und sechs?«

»Ja.«

»Dann passe ich.

»Und Sie, Herr Valery?«

»Ich habe Sechsen.«

»Eilen Sie denn so sehr, nach dem Kap zu kommen?« fragte der Kapitain den jungen Mann.

»Ja, ich wünsche, möglichst bald wieder in Frankreich zu sein, aber vorher muß ich zwei bis drei Monate am Kap bleiben, und ich wünschte daher, ich wäre schon dort.«

»Ihre Mutter lebt in Frankreich?«

»Ja, mit meiner Schwester.«

»In welcher Gegend Frankreichs wohnen sie denn?«

»Im Poitou, ihrem und meinem Geburtslande.«

 

»Wirklich? Auch ich bin aus Poitou« und wir sind also Landsleute,« sagte Maréchal.

»Blanc Zwei,« rief Valery.

»Zwei As,« sagte der Kapitain« indem er einen Stein ansetzte.

»Aus welcher Stadt sind Sie denn, Herr Doctor?« fragte der junge Mann.

»Ich bin aus Melle, einem sehr hübschen Städtchen auf der Höhe, welche die beiden Thäler der Legére und der Béronne voneinander scheidet.«

»Und ich aus Moncontour, am rechten Ufer der Dive.«

»Das ist ein allerliebstes Städtchen« das ich sehr gut kenne, aber es ist sehr klein.«

»Höchstens tausend Einwohner.«

»Und wie kommt es, daß Sie dieses Oertchen verlassen haben und schon so jung auf der südlichen Halbkugel herumschiffen?«

»Ueberall Blanc,« sagte Durantin. »Sie plaudern und spielen nicht! Ueberall Blanc!«

»Sie wissen doch, Kapitain, daß Niemand Blanc haben kann, da es schon sieben Mal heraus ist.«

»Dann decken Sie auf. Ich habe zweit!« sagte der Kapitain, indem er triumphirend seine Doppeleins zeigte.

»Man muß gestehen, daß der Kapitain gut spielt,« bemerkte Pascal lächelnd; dann wendete er sich an Maréchal und sagte, während die Steine umgewendet wurden:

»Sie fragten mich wohl, aus welchem Grunde ich Moncontour verlassen hätte und schon so jung auf den südlichen Meeren herumschiffte?«

»Ja wohl.«

»Das ist ganz einfach. Sobald ich in das Alter kam, um mir ein Urtheil bilden zu können, erwachte der sehnliche Wunsch in mir, Priester zu werden. Schon als ich noch ein kleines Kind war, wurde meine Seele von den religiösen Cremonieen, von dem Weihrauch, dem Gesange der Chorknaben, den Blumen am Frohnleichnamsfeste, den weißgekleideten Mädchen, die ich in den Prozessionen bei Sonnenschein, und von den Fahnen der heiligen Jungfrau beschattet, vorüberziehen sah, mit einer frommen Begeisterung erfüllt, und Thränen der Rührung traten mir dabei in die Augen, Später wurde dieses religiöse Gefühl eine Ueberzeugung und mein Beruf wurde mir klar. Meine Mutter, die mir in Nichts entgegen sein wollte, brachte mich auf das Gymnasium in Niort, wo ich bis in mein einundzwanzigstes Jahr Theologie studirt habe. Dann empfing ich die ersten Weihen, denn, wie Sie sehen, habe ich die Tonsurt aber ehe ich sein unwiderrufliches Gelübde ablegte, wollte ich die anderen Religionen genau kennen lernen« studiren und miteinander vergleichen, damit mein Glaube sich nicht allein auf das Gefühl, sondern auf Ueberzeugung gründen sollte. Deshalb habe ich diese Reise unternommen, von der ich jetzt zurückkomme.«

»Und überzeugt?« fragte Valery.

»Ja, mit der festen Ueberzeugung, daß es nur Eine wahre, richtige und ewige Religion giebt, die christliche der ich mein Leben weihen will.«

»Sie wollen also Priester werden?« fragte Durantin.

»Ja.«

»Ihre Kenntnisse und die besonderen Studien, die Sie gemacht haben, werden Ihnen sogleich Anwartschaft auf eine höhere Stelle geben.«

»O, mein Ziel ist ein sehr bescheiden; ich wünsche Nichts, als Pfarrer an unserer kleinen Kirche in Moncontour zu werden und dort mit meiner Mutter und meiner Schwester ferner zu leben, umgeben von den Erinnerungen aus meinen Kinderjahren und von den guten Menschen, die ich an diesem Orte kenne und die meinem Herzen fehlen würden, wenn ich mich auf immer von ihnen trennen sollte. Ich habe die Grenzen der Welt berührt und diesen Wunsch bringe ich mit nach Hause.«

»Wissen Sie, daß es das Glück ist, was Sie zurückbringen?«

»Ich glaube es.«

»Aber warum wollen Sie am Kap bleiben? Ich erlaube mir, Ihnen alle diese Fragen vorzulegen,« sagte der Kapitain, »weil Sie selbst so bereitwillig von Ihren Verhältnissen sprechen und ich mich für Sie interessire; denn so wahr ich ein Seemann bin, ich kenne nichts Interessanteres und nichts Achtungswertheres, als einen jungen Priester, welcher die ganze Begeisterung der Jugend auf die Liebe zur Religion anwendet.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Theilnahme, Herr Kapitain,« erwiderte Felician, indem er Durantin die Hand reichte. »Ich muß mich am Kap aufhalten, um eine kleine Erbschaft in Empfang zu nehmen, welche mir und meiner Schwester zugefallen ist, ohngefähr fünfzigtausend Franken, die uns ein Oheim, der am Kap lebte, hinterlassen hat. Diese Summe soll die Mitgift meiner lieben Blanche vervollständigen, und wenn ich die Freude habe, sie bei meiner Zurückkunft an einen braven Mann zu verheirathen, der sie versteht und die guten Eigenschaften ihres Herzens zu schätzen weiß, so habe ich Nichts mehr von Gott zu erbitten.«

»Das Leben ist doch eine merkwürdige Sache,« bemerkte der Kapitain, obgleich das Philosophiren sonst nicht seine Gewohnheit war; »wir sind hier vier Personen beieinander, welche Alle physisch von demselben Orte kommen und nach demselben Lande gehen, und doch hat Keiner von uns die nämliche Bestimmung. Maréchal ist Arzt, ich bin Seemann, Herr Pascal will Priester werden, und Sie Herr Valery. . .?«

»Meine Bestimmung ist die prosaischeste von allen; ich kehre nach Frankreich zurück, nachdem ich auf der Insel Madagaskar, wo ich seit sieben Jahren gewohnt, mein Glück gemacht habe.«

»Nun, dann sind Sie nicht der Unglücklichste von uns, nicht wahr, Maréchal?«

»Das meine ich auch.«

»Ich beklage mich auch nicht,« erwiderte Valery, indem er sich mit der Hand über die Stirn fuhr, wie ein Mensch, der an Kopfschmerz leidet.

Eine Pause von einigen Minuten folgte auf dieses Gespräch. Jeder dachte nach. Die Seele ergreift so schnell die Gelegenheit, um in sich selbst zu blicken.

Der Kapitain war der Erste, der das Stillschweigen unterbrach.

»Aber wir sind ja mit unserer Partie noch nicht zu Ende,« sagte er.

»Es ist wahr,« entgegnete der Doctor, indem er sieben Steine nahm, was die Uebrigen bis auf Valery ebenfalls thaten.

»Entschuldigen Sie, meine Herren, wenn ich nicht mehr spiele,« sagte dieser, indem er aufstand; »aber ich befinde mich nicht ganz wohl und will zu Bett gehen.«

»Es ist wahr, Sie sind blaß,« versetzte der Arzt; »geben Sie mir Ihre Hand, Sie haben etwas Fieber.«

»O, es wird Nichts sein; ich werde auf der See immer ein wenig unpäßlich. Ich bedarf Nichts weiter als der Ruhe.«

»Jedenfalls werde ich Sie noch ein Mal besuchen, ehe ich zu Bett gehe.«

»Ich danke Ihnen, lieber Doctor«,aber es ist nicht >nöthig, daß Sie sich bemühen.«

Valery sagte seinen drei Gesellschaftern gute Nacht und verließ das Zimmer, um in seine Kajüte zu gehen.

»Jetzt spielt also Jeder für eigene Rechnung,« sagte der Kapitain, der wie man sieht, ein eifriger Dominospieler war. »Wer setzt aus?«/P>

»Sie selbst, Kapitain.«

»So, nun dann, Doppelfünf.«

Zweites Kapitel.

Der Kranke.

Ungefähr dreiviertel Stunde nachdem Valery sich entfernt hatte, und während die drei Spieler plaudernd Thee tranken, wurde die Thür des Zimmers geöffnet und Valery trat wieder ein.

Er hatte seinen Schlafrock angezogen und war blaß wie eine Leiche.

»Nun, da sind Sie ja wieder,« sagte der Kapitain, »das freut mich.«

Aber während Durantin so sprach, betrachtete er den jungen Eingetretenen mit Besorgniß und flüsterte dann dem Arzte zu:

»Sehen Sie nur, wie blaß er ist!«

»Ja, ich komme wieder zu Ihnen,« entgegnete Valery mit einem erzwungenen Lächeln und indem er sich niedersetzte, denn er schien sich nur mit Mühe auf den Füßen halten zu können, »doch nur um einige Worte mit dem Herrn Doktor zu sprechen.«

Dabei hörte man deutlich, wie die Zähne des Kranken zusammenschlugen. Er reichte dem Arzte die Hand.

»Sie haben heftiges Fieber,« sagte Maréchal.

»Ja, ich fühle mich sehr unwohl,« erwiderte Valery mit ruhiger Stimme und fast mit Stolz.

»Haben Sie sich nicht zu Bett gelegt?«

»O ja.«

»Warum haben Sie mich dann nicht rufen lassen?«

»Ich wollte Sie wegen einer so unbedeutenden Sache nicht incommodiren.«

»Das ist eine große Unvorsichtigkeit von Ihnen.«

»O, ich habe eine gute Constitution.«

»Ja, aber es giebt Anfälle, denen auch die kräftigste Constitution nicht widersteht.«

»Habe ich einen solchen Anfall?«

»Das will ich nicht sagen, aber ich wiederhole Ihnen, Sie haben ein heftiges Fieber und können nicht vorsichtig genug sein.«

»Sagen Sie mir, was ich thun soll, Herr Doktor, und ich will es thun.«

Es war leicht zu sehen, welche Anstrengung es Valery kostete, um seine Ruhe und Fassung zu behaupten. Er zitterte unwillkürlich an allen Gliedern und seine blauen Lippen waren in beständiger Bewegung. Es schien fast als suchte er Etwas in diesem Kampfe seines Willens gegen den Körper.

»Haben Sie während Ihres Aufenthaltes in Madagascar zuweilen ähnliche Anfälle gehabt wie der gegenwärtige,« fragte der Arzt.

»Nein, nie.«

»Und es ist ganz plötzlich gekommen?«

»Ja wohl.«

»Haben Sie die Güte aufzustehen, wenn es Ihnen möglich ist.«

Valery stand auf, aber er mußte die Hand vor die Stirn legen, um den fieberhaften Schwindel zu verscheuchen, der ihn bei der geringsten Bewegung ergriff.

Der Doktor öffnete das Hemd des Kranken und untersuchte dessen Brust, die mit großen rothen Flecken bedeckt war.«

»Hm! das ist nicht richtig,« murmelte er vor sich hin.

»Was meinen Sie, Doktor?«

»Nichts.«

»Sie schüttelten doch mit dem Kopfe?«

»Aufrichtig gesagt, habe ich die ersten Folgen Ihrer Unvorsichtigkeit gesehen.«

»Die rothen Flecken wohl?»erwiderte Valery in einem Tone, welcher bewies, daß er dieses Symptom schon bemerkt und daß es ihn beunruhigt hatte.

»Ja,i»antwortete Maréchal.

»Es ist also gefährlich?«

»Nein, das nicht, aber es erfordert eine sorgfältige Behandlung. — Herr Kapitain,»sagte der Arzt zu Durantin, »Sie möchten Herrn Valery eine größere und luftigere Kajüte anweisen.«

»Auf dem Verdeck?«

»Ja, wenn es irgend möglich ist.«

»Wir haben noch die, welche der französische Gesandte inne hatte, ein wahres Prachtzimmer. Ich stelle es Herrn Valery zur Verfügung.«

»Fühlen Sie sich stark genug, um so weit zu gehen?« fragte der Arzt den Kranken.

»O gewiß, ich bin stärker als Sie glauben.«

»Dann haben Sie die Güte, sogleich hinauf zu geben, es ist besser.«

»Gute Nacht, meine Herren,« sagte Valery, »entschuldigen Sie, daß ich Sie gestört habe.«

»Morgen früh werden wir Sie besuchen, und sollten Sie diese Nacht irgend Etwas bedürfen, so wecken Sie uns, wenn wir schlafen.«

Valery dankte dem Kapitain und schickte sich an, die Kajüte zu verlassen. Aber kaum hatte er vier Schritte gethan, so mußte er stehen bleiben; die Natur war stärker als sein Wille und er schwankte. Er machte eine heftige Anstrengung; aber noch ehe er sich an die Wand lehnen konnte, sank er ohnmächtig in die Arme des Doctors, welcher dies hatte kommen sehen und daher dicht hinter ihm geblieben war.

»Zwei Mann!« rief der Arzt.

Man rief sogleich zwei Matrosen.

»Traget diesen Herrn in die Gesandschaftskajüte und leget ihn in’s Bett.«

Die beiden Matrosen nahmen den Kranken, einer beim Kopfe und der andere bei den Füßen, und trugen ihn in sein neues Zimmer.

»Ist Herrn Valery’s Krankheit gefährlich?« fragte nun der Kapitain.

»Gewiß ist sie gefährlich, es ist nichts geringeres ein Anfall des gelben Fieber’s, wozu er den Keim von Madagaskar mitgebracht hat. Ich habe ihm deshalb eine abgesonderte Kajüte geben lassen, denn dieses Teufelsfieber ist ist ansteckend und es wäre kein Spaß, wenn wir es Alle bekämen.«

»O, der Unglückliche!« rief Pascal; »wir wollen hoffen, daß Gott ihn rettet.«

»Er muß überdies eine Riesennatur haben, daß er mit einem solchen Fieber noch hat herunter kommen können; ich biet gewiß kein Schwächling, aber ich bin überzeugt, daß ich nicht im Stande gewesen wäre, mich von der Stelle zu rühren.«

»Es muß wohl Jemand bei ihm wachen?« fragte Pascal.

»Allerdings.«

»Nun, so will ich bei ihm bleiben.«

»Sind Sie von Sinnen? Dazu haben wir Leute. Ich wiederhole Ihnen, es ist ein fürchterliches Fieber und steckt binnen fünf Minuten an. Ich lasse Sie nicht nur bei Herrn Valery nicht wachen, sondern werde Ihnen sogar, wenn Sie ihn morgen früh besuchen, ein Fläschchen geben, um daran riechen zu können, so lange Sie bei ihm sind.«

 

»Gehen Sie zu ihm, Doctor,« sagte der Commandant, »er wird Ihrer bedürfen.«

Der Arzt entfernte sich.

Der Kranke war inzwischen noch immer ohnmächtig zu Bett gebracht worden.

Maréchal ließ ihn flüchtiges Salz einnehmen und er kam bald wieder zu sich.

Als Valery die Augen aufschlug, schien er von der Ruhe und Festigkeit, die ihn bis zu seiner Ohnmacht nicht Verlassen hatte, ein wenig verloren zu haben.

»Wie fühlen Sie sich?« fragte der Arzt.

»Sehr schlecht.«

Aus dieser Antwort sprach schon eine gewisse Angst.

»Ich war wohl ohnmächtig geworden?« fragte er.

»Ja.«

»Wo denn?«

»Unter.«

Der Doktor stand auf.

»Gehen Sie schon?« fragte der Kranke.

»Nur auf einen Augenblick.«

»Wohin wollen Sie?«

»Ich will Flanell holen, um Sie frottiren zu lassen, und eine Medicin zubereiten.«

»Könnte dies nicht Jemand Anderes besorgen?«

»Nein, warum?«

»Weil ich wünschte, daß Sie bei mir blieben.«

»Fühlen Sie sich schlechter?«

»Ja, ich fühle mich schlecht, aber ich bin noch nicht todt.«

Diese Worte sprach Valery in einem Tone, der wie eine Herausforderung des Todes klang.

Sein ganzer Körper hatte steh indessen mit einem kalten Schweiße bedeckt und er war nahe daran, von Neuem ohnmächtig zu werden.

»Ich fühle mich nicht mehr so stark als vorhin,« sagte er, wie um seinen ersten Anfall von Schwäche zu entschuldigen; »die Ohnmacht hat mich ein wenig angegriffen. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich ohnmächtig werde.«

»Riechen Sie dieses Fläschchen, so lange Sie allein sind, ich bin gleich wieder bei Ihnen; verlieren Sie die Geduld nicht und bleiben Sie gut zugedeckt.«

Zur größeren Sicherheit, deckte Maréchal selbst den Kranken zu und umstellte sein Bett mit Stühlen.

Als Valery allein war, blickte er um sich, als wollte er dadurch seinen Zustand besser kennen lernen; dann neigte er das Ohr auf seine Brust, um sich gleichsam zu überzeugen, daß er noch lebte. Bald erhob er lächelnd den Kopf wieder und sprach vor sich hin:

»Ich war ein Narr. . . es ist Nichts; ein Mensch wie ich stirbt nicht in Einem Tage.«

Dann betrachtete er seine Hände, in denen niemals Blut geflossen zu sein schien, und gab sich dieser Beschäftigung mit einer Art wilder Freude hin. Er bog die Finger nach allen Seiten, ließ die Gelenke knacken, legte die Hand auf seine Brust, während er tief athmete, und ein triumphirendes Lächeln öffnete abermals seine entfärbten Lippen.

»Ich hatte wirklich geglaubt, es wäre vorüber mit mir,« sagte er zu sich selbst, und ein Schauder durchrieselte bei diesem Gedanken seinen ganzen Körper.

In diesem Augenblicke trat ein Matrose ein, welcher Flanell und mehrere Flaschen brachte.

»Brauchen Sie sonst etwas, mein Herr?« fragte der Mann, ohne sich dem Bett zu nähern.

»Nein; was bringst Du da?«

»Es sind Arzneiflaschen, die mir Herr Maréchal gegeben hat, um sie hierher zu tragen.«

»Wo ist Herr Maréchal?«

»Im der Apotheke. Soll ich ihn rufen?« fragte der Matrose,« der es nicht erwarten konnte, die Kajüte wieder zu verlassen, denn der Arzt hatte ihm anempfohlen, sich so kurze Zeit als möglich darin aufzuhalten.

»Nein,« antwortete der Kranke, dem die Ungeduld des Matrosen nicht entging. »Bleibe bei mir.«

Der Matrose stellte sich an die Wand und drehte seine Mütze in den Händen herum.

Valery sah ihm einige Minuten zu und sagte dann zu ihm:

»Tritt doch ein wenig näher, Freund; Du scheinst zu fürchten, von meiner Krankheit angesteckt zu werden, aber sie ist gar nicht ansteckend.«

Der Matrose that einen Schritt, aber nicht mehr.

»Du fürchtest Dich also ernstlich?« sagte Valery in fast beleidigtem Tone.

»Nun ja, mein Herr, ich habe Frau und Kinder, und das gelbe Fieber hat man bald am Halse.«

»Das gelbe Fieber?« rief der Kranke heftig erschrocken, »habe ich denn denn das gelbe Fieber?«

Der Matrose sah ein, daß er einen Fehler begangen hatte; aber er dachte: »Gleichviel, Jeder ist sich selbst der Nächste, und er antwortete daher;

»Der Herr Doktor hat es gesagt.«

»Das gelbe Fieber!« wiederholte Valery mit stierem Blicke; »stirbt man nicht Unter gräßlichen Schmerzen an dieser Krankheit?«

»Ja wohl, mein Herr.«

»Hast Du schon Leute daran sterben sehen?«

»O, schon viele; mein Bruder ist auch daran gestorben, deshalb habe ich so große Angst davor.«

Der Matrose legte sich weiter keinen Zwang auf und hielt sein Taschentuch vor Mund und Nase.«

»Du kennst also die Symptome dieses Fiebers?«

»Ja.«

»Wie fängt es an?« fragte Valery, indem er sich anstrengte, ruhig zu scheinen.

»Mit Erbrechen. Frost, Kopf- und Magenschmerzen, und dann bekommt der ganze Körper rothe Flecken.«

»Wie diese?M fragte der Kranke, indem er seine Brust zeigte.

»Ja, Herr,« erwiderte der Matrose, während er den Kopf ängstlich vorstreckte, um besser sehen zu können.

»Also muß ich sterben!« rief Valery mit einem Schrei, der fast dem Brüllen eines Tigers glich. In diesem Schrei lag die ganze Wuth und der ganze Schmerz, welche ein Mensch durch die Stimme auszudrücken vermag.

Der Kranke nahm den Kopf zwischen beide Hände, verbarg ihn in den Kissen und zerraufte sich mit Verzweiflung das Haar.

»Sterben! sterben!« wiederholte er; »ich soll sterben in meinem dreißigsten Jahre und jetzt, da ich reich bin! Nein, es ist unmöglich! Ich will nicht sterben!«

Während er dies sagte, streckte er die geballte Hand zum Himmel empor, aber sie fiel bald wieder kraftlos zurück.

Das Delirium stellte sich bereits ein.

»Ich will den Doctor sprechen!« rief der Kranke; »hole ihn auf der Stelle herbei!«

Dem Matrosen war dies sehr erwünscht und er ließ es sich daher nicht zweimal sagen.

»Ich will nicht sterben!« wiederholte Valery fortwährend, als ob er überzeugt wäre, daß sein Wille den Tod entfernt halten könnte. In seiner furchtbaren Aufregung sprang er wie ein Rasender aus dem Bett und an die Thür, die er in dem nämlichen Augenblicke öffnete, als der Arzt zurückkam.

»Wenn Sie dergleichen Unbesonnenheiten begehen,« sagte Maréchal in fast strengem Tone zu ihm, »so muß ich Sie in Ihrem Bette festbinden lassen, denn ich bin für Ihr Leben verantwortlich, und wenn ein Unglück geschieht, so will ich mir wenigstens nichts vorzuwerfen haben.«

»Ja, Herr Doktor, ich will Ihnen folgen,« entgegnete der Kranke, indem er sich schüchtern wie ein von der Mutter auf einem Fehler ertapptes Kind wieder in’s Bett legte. »Sie retten mich, nicht wahr, Sie versprechen es mir?«

»Ich werde mein Möglichstes thun, und es wird mir gelingen, wenn Sie der Wissenschaft nicht durch neue Thorheiten hinderlich sind.«

»Ich gestehe Ihnen, daß ich mich entsetzlich vor dem Tode fürchte.«

»Sie haben indessen noch Vorhin einen so großen Muth bewiesen.«

»Weil ich stolz auf meine Natur war und nicht glaubte, daß ich sterben..könnte. Jetzt aber, da ich meine Krankheit kenne, wiederhole ich Ihnen, daß ich große Angst habe. Der Arzt ist wie ein Beichtvater, man kann ihm Alles sagen. Retten Sie mich und ich gebe Ihnen die Hälfte meines Vernögens; retten Sie mich, Herr Doctor, ich bitte Sie, ich beschwöre Sie!«

Maréchal betrachtete mit Staunen und fast mit Argwohn diesen Mann, der sich so muthvoll gezeigt hatte, so lange er nicht an die Gefahr glaubte, und der so schwach und demüthig geworden war, seitdem er sie vor Augen sah.

»Beruhigen Sie sich, Herr Valery, Sie werden wieder gesund werden.«

»Bürgen Sie mir dafür?«

»Ich werde Alles thun, was in weinen Kräften steht.«

»Es ist unmöglich, daß ich sterbe!« rief der Kranke wieder; »ich kann es nicht, ich will es nicht!«

Es wäre unnöthig zu wiederholen, was er noch ferner sprach, und zu versuchen, in der Fluth von Worten, Gebeten und Gotteslästerungen, dir, er ausstieß, einen Sinn zu entdecken.

So ging es; die ganze Nacht fort und merkwürdiger Weise hörte er nicht auf, in seinem Delirium den Namen Pascals auszusprechen und nach ihm zu verlangen. Bis zum Morgen wurde er frottirt, um den Blutumlauf wiederherzustellen, und der Arzt versäumte überhaupt kein Mittel, das in seiner Macht stand.

Gegen Morgen wurde der Kranke etwas ruhiger und sobald er ein Wort sprechen konnte« folgte er der ersteren Idee seines Deliriums und sagte zu Maréchal:

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