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Die Inseln der Weisheit

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»Offen gestanden, die Selbstverständlichkeit hat gelitten. Aber es bleibt doch die Hoffnung, daß wir das Verwirrende und Fragwürdige überwinden, und zu einer Klärung der Moralität gelangen können. Sie natürlich mit Ihrer nihilistischen Denkweise …«

– O, ich kann mich auch umstellen und ganz real werden. Für mich objektiviert sich das Bild der Gerechtigkeit ganz einfach in einem Hahnenkampf, und nach den Vorgängen, die Sie auf den ethischen Inseln erlebt haben, werden Sie verstehen, wie ich das meine. Wenn der Hahn seinen Gegner anspringt, so hat er in seinem Bewußtsein offenkundig die Vorstellung: er kämpft für eine »gerechte Sache«. Für sich, für seine eigne Sache, durchaus egozentrisch, selbstgerecht, – die Gerechtigkeit selbst …

»Aber das ist doch nur eine Vermutung, und außer Ihnen wird noch niemand auf die Idee verfallen sein, in der Leidenschaft der Hähne etwas derartiges zu wittern.«

– Sie sind im Irrtum. Das ist schon vorgedacht worden, sogar klassisch vorgedacht. Themistokles ließ im Theater zu Athen Hahnenkämpfe aufführen als Symbol des gerechten Griechenkrieges gegen die Perser. Das Volk identifizierte sich mit einem der gefiederten Kämpen und fand in dessen Erbitterung das Sinnbild seiner eigenen Erregung für Ehre und Freiheit. Und so ähnlich starrten auch unsere Insulaner auf ihre beiden Streithähne, deren Sache subjektiv um so gerechter wurde, je stärker ihnen die Zornesadern schwollen. Nicht das erklärte Motiv war das Ursprüngliche, sondern der Kampfeswille und der Siegeswunsch. Dort waren wir die Fremden, wir standen außerhalb der Interessen, behielten Distanz, und wir verstanden sonach die ganze Tragikomödie. Aber sobald wir in unseren eigenen Interessen stehen, verläßt uns das Urteil, wir glauben an die Gerechtigkeitssubstanz unserer Kämpfe; und nur ein aus fremder Welt hereingeschneiter Beobachter vermöchte zu erkennen, daß wir subjektiv noch immer als Recht werten, was objektiv gesehen Hahnenkampf bleibt.

»Sie können doch gar nicht beurteilen, was im Bewußtsein eines Hahnes vorgeht!«

– Kommt Ihnen der Verdacht so nebenbei? Halten Sie daran fest. Denn damit lüften Sie wieder ein Zipfelchen des Isisschleiers, der all unser Wissen bedeckt. Also wirklich, wir wissen nichts von der Tierseele, aber wir besitzen zu Tausenden Bücher von Autoren, die so tun, als wüßten sie. Hier feiert der Anthropomorphismus wahre Orgien, indem er aus spärlichen Analogien Unerschließbares erschließen will und sich in diesem Wollen berauscht. Und wenn ich soeben von einem Gerechtigkeitsgefühl im Hahnenkampf sprach, so war auch das nur eine Analogie, die mir ein Gleichnis ermöglichen sollte. Der Verdacht gegen seine Gültigkeit ist nicht nur berechtigt, sondern er muß zum Verdacht gegen alle Seelenkunde überhaupt erweitert werden. Was wir Psychologie nennen, ist die Summe der Versuche, mit einem einzigen Schlüssel an unzähligen Schlössern herumzuschließen, zu denen er absolut nicht paßt. Stellen wir uns vor, ein Mensch könnte für die Dauer einer Stunde Vogel werden; er würde später zurückverwandelt und hätte die Erinnerung an seine Vogelexistenz bewahrt; was uns dieser Mensch zu erzählen hätte, wäre der Anfang einer wahren Psychologie. Bis zur Erfüllung dieser Unmöglichkeiten behelfen wir uns mit einem Schulsurrogat, das sich für Lehre ausgibt, aus dem aber nichts Anderes gelernt werden kann, als eine docta ignorantia.

»Schließlich bleibt uns doch der gesunde Menschenverstand, der uns Auskunft gibt, wo uns eine akademische Lehre im Stich läßt.«

–Der gesunde Menschenverstand ist als letzte Instanz der Einsicht ungefähr ebenso brauchbar, wie die Kanonen von O-Blaha als ultima ratio des Friedens. Denn es besteht ein Widerspruch zwischen ihm und der vollen Einsicht. Er sagt vielfach Richtiges an, allein diese Richtigkeiten sind in der Regel nicht viel wert. Denken Sie an die Insel der Perversionen mit ihren Denkgetrieben, in denen sich der gesunde Menschenverstand nicht mehr zurechtfand. Die Erinnerung hieran wird Ihnen das Verständnis für Kant›s schönes Wort schärfen: Meißel und Schlägel können ganz wohl dazu dienen, ein Stück Zimmerholz zu bearbeiten, aber zum Kupferstechen muß man die Radiernadel brauchen! Damit will Kant sagen: der gemeine, gesunde Menschenverstand ist zu feinerer Denkarbeit unfähig. Ja Erasmüs bezeichnet ihn geradezu als das Werkzeug der Narrheit. Wir hatten Gelegenheit, den höheren, den spekulativen Verstand zu üben, in den zahllosen Widersprüchen, die uns auf unserer Reise in den Weg traten. Und zwei Dinge sind uns besonders klar geworden: erstens: jener Verstand läuft mit einem ungültigen Zeugnis durch die Welt, denn er selbst, nur er, hat sich sein Gesundheitsattest geschrieben und gesiegelt; zweitens: wenn irgendwo eine Wissenschaft existiert, so kann sie nur die Kenntnis von dem sein, was gegen die Selbstverständlichkeiten des gesunden Menschenverstandes erkämpft werden mußte.

Und diese Wissenschaft lebt. So großmächtig sie dasteht, wird sie doch das Scherflein nicht verschmähen, das wir ihr in Form versprengter Kristalle zutragen. Wir fanden sie auf den Inseln und entdeckten dabei, daß sie in Struktur und Stellung der Facetten Besonderheiten aufweisen. Anders als sonst bei Kristallen bricht sich der Lichtstrahl auf ihnen: Er erzeugt ein Farbband, dessen Buntheit von der Fahrt erzählt, dessen dunkle Linien aber spektralanalytisch gedeutet werden können. Dann ergeben sie folgenden Sinn:

Manche Denkpfade erscheinen sehr abwegig, führen aber zu Aussichten, die sich in der Wanderung auf gebahnten Heerstraßen nicht erreichen lassen.

Es ist ein Vorurteil, zu glauben, die Wahrheit müsse mit der Richtigkeit zusammenfallen. Es gibt im Denken zahllose Unrichtigkeiten, die der Wahrheit viel näher liegen, als die exakten Ergebnisse.

Der Verstand kann hypertrophisch entarten und wird vor dieser Gefahr nur durch eine besondere Diät geschützt. Die grobe Nahrung der Tatsachen und starren Folgerungen verdickt ihn; er muß sie durch die Feinkost der Symbole, Bilder, Visionen, mystischer Ahnungen unterbrechen. Nicht nur der Maler, auch der Philosoph soll inwendig sein »voller Figur«. Er muß wahrsagen können in Formeln und weissagen in sibyllinischer, orphischer, eleusinischer Sprache.

Die Berufung auf eine vermeintliche Wirklichkeit darf niemals den Ausschlag geben, denn sie ist nur die Außenprojektion einer inneren Vorstellung und würde, wenn sie mehr wäre, aller Norm widerstreiten. Eine gedachte Wirklichkeit kann sich mit dem Gesetz vertragen, eine reale Wirklichkeit besitzt die Wahrscheinlichkeit Null, das heißt, sie ist unmöglich. Hiermit hängt innig zusammen: kein Prinzip ist durchführbar, jedes muß irgendwo abbrechen oder bei erzwungenem Fortlauf zur Karikatur umschlagen. Dies vor allem ist der Sinn unserer Atalanta-Fahrt auf der Tuscarora-Tiefe zwischen Hawai und Aleuten. Sie hat uns zahlreiche lebendige Proben dafür geliefert, und dem Leser dieses Berichtes bleibt es überlassen, nach weiteren Proben in seiner eigenen Umwelt auszuspähen.

Dafür, daß er sie finden wird, liegt noch eine besondere Garantie vor: in einer Strophe des nämlichen Nostradamus, dessen Verheißung uns wie erinnerlich zur Entdeckung der Inseln leitete. War seine Ansage richtig, so wird man auch wohl seinem Nachspruch ein gewisses Vertrauen nicht vorenthalten. Ich habe mir diesen Quatrain aufgespart und bringe ihn hier, getreu übersetzt, als Fazit der Expedition:

 
»Durch diese Fahrt wird dir die Wahrheit hell,
Daß irgendein Prinzip uns stets gebannt hält;
Und du entdeckst – nur eins gilt prinzipiell:
Das kein Prinzip lebend›ger Probe standhält.«