Unerhört – Esther Vilar und der dressierte Mann

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Den Stoff zum dressierten Mann trug Esther Vilar schon seit vielen Jahren mit sich herum. Seit ihrer Heirat, seit der Geburt ihres Sohnes? Eine Außenseiterin war sie schon immer gewesen, auch an der Facultad de Medicina in Buenos Aires, wo damals noch wenige Frauen studierten (und noch weniger unterrichteten). Sie hatte in Argentinien harte Zeiten erlebt, doch das hatte nichts mit ihrem Geschlecht zu tun, im Gegenteil, sie fühlte sich als Frau eher privilegiert. Die Klagen über Diskriminierung, mit denen sie erst später in Deutschland konfrontiert wurde, konnte sie vor diesem Hintergrund nie wirklich ernst nehmen. Und mit der Zeit erschienen sie ihr nachgerade lächerlich, ja obszön.

Ein bestimmtes Schlüsselereignis gab es nicht. Was als Ahnung begonnen hatte, verfestigte sich über die Jahre zur Gewissheit. Und wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, auch das lag in ihrem Naturell, dann wollte sie es genau wissen, dann brachte sie die Sache zu Ende. Sie begann Zeitungsartikel zu sammeln, kaufte sich feministische Bücher (von denen sie die meisten, seien wir ehrlich, lediglich überflog). Später wurde kolportiert, sie habe ihre Thesen durch Feldforschungen in den USA vertieft. Die Wahrheit ist: Vilar kannte die Vereinigten Staaten zu jenem Zeitpunkt bloß aus dem Kino (wo sie auch ihre Kenntnisse der englischen Sprache erwarb). Entscheidend für den dressierten Mann waren am Ende die kleinen Beobachtungen und Erlebnisse des Alltags – all die unscheinbaren Begebenheiten, wie sie jeder Mensch aus eigener Erfahrung kennt –, die sie zusammenfügte und die dem Büchlein eine ungeheure Kraft verliehen, weil sie eben jeder nachvollziehen konnte.

Die Zeit war reif für Neues. Die industrialisierte Welt befand sich in einem Umbruch, wie ihn die Menschheit in so kurzer Zeit noch nie erlebt hatte. Die Wirtschaft boomte seit über einem Jahrzehnt. Der Volkswagen wurde zum Symbol einer Epoche, in der sich der einfache Arbeiter plötzlich Annehmlichkeiten leisten konnte, die vorher einer kleinen privilegierten Schicht vorbehalten waren. Das Fernsehen eröffnete eine neue Dimension der Massenkommunikation, brachte die große weite Welt in die traute Stube. Düsenflugzeuge rückten ferne Länder und Kontinente zusammen. Die Antibabypille wirkte sich nicht nur befreiend auf das Sexualleben der Menschen aus, sie machte auch die Familienplanung viel einfacher. Und es herrschte Vollbeschäftigung, Arbeitskräfte waren gesucht.

Die technologische Revolution vereinfachte auch die Arbeit im Haushalt enorm. Die Supermärkte, die allenthalben wie Pilze aus dem Boden schossen, führten nun Fertiggerichte in ihrem Sortiment, die das Kochen zum Kinderspiel machten. Die Betreuung von ein, zwei, allenfalls drei Kindern, welche dank der Pille schnell zur Regel wurden, konnte bestenfalls noch als Vollbeschäftigung eingestuft werden, bis diese zur Schule gingen. Dass die Frauen die Arbeit in den Fabriken, Büros und Chefetagen ebenso gut wie die Männer erledigen konnten, hatten sie bereits im Krieg bewiesen. Dass sie, die in ihren vollautomatisierten Haushaltungen nicht mehr viel zu tun hatten, zumindest in den Industrieländern vermehrt in die Arbeitswelt einbezogen werden mussten, stand außer Frage. Die Frage war nur, wie und in welchem Ausmaß dies geschehen sollte.

Und genau in diesem Punkt postulierte Vilar einen radikalemanzipatorischen Ansatz, wie ihn bislang noch niemand zu formulieren gewagt hatte: Männer und Frauen sollten sich alles teilen, von der Arbeit bis zur Kinderbetreuung. Und: Das Problem lag nicht primär bei den Männern, sondern bei den Frauen, die ihre Privilegien nicht hergeben wollten; als nutzlose Luxusgeschöpfe, die das von ihren Männern sauer verdiente Geld verwalteten und ausgaben, hatten sie sich bequem in ihrer Opferrolle eingerichtet; die feministischen Klagen über die Ausbeutung der Frau waren nichts anderes als ein dreistes Ablenkungsmanöver, das die herrschenden Machtverhältnisse zementieren und jede grundlegende Veränderung verhindern sollten!

Esther Vilar war 35 Jahre alt, als sie den dressierten Mann in lediglich zwei Monaten niederschrieb, in einem Zug. Oder war es eher ein Rausch? Der Stoff war da, das Schreiben ging ihr leicht von der Hand. Auch der Titel – bisweilen der anspruchsvollste Teil eines Buches – stand von Anfang an fest. Schwieriger, ungleich viel schwieriger war es, einen Verlag zu finden, der ein derartiges Pamphlet abdrucken mochte. Klaus, ihrem Ehemann, hatte sie das Manuskript erstmals vorgelegt, als es zur Hälfte geschrieben war. Er begriff sofort, dass sie einen Scoop gelandet hatte. Deutschland, meinte er, sei viel zu klein für ein derartiges Werk. Als der Text fertig war, reiste er damit nach Amerika. Nach einer Woche kam er zurück, mit leeren Händen. Vilar verschickte den dressierten Mann an zwei Dutzend deutsche Verlage. Wochen, Monate gingen ins Land, keine Zusage, keine Absage, einfach nichts. Die beiden beschlossen, das Büchlein im Eigenverlag zu drucken, im Caann-Verlag, den sie eigens zu diesem Zweck gründeten. Das war im Herbst 1970.

Es ist eine Frau, die den Bann bricht, unerwartet und ohne jede Vorankündigung. Am 22. November 1970 schreibt die bekannte Publizistin Inge Stolten im auflagestarken Nachrichtenmagazin Stern zwei Seiten über den dressierten Mann. Stolten hat Vilar nie getroffen, über welche Pfade das Büchlein in ihre Hände geraten ist, lässt sich nicht mehr ergründen. Aus politischer Sicht ist Stolten eine unverdächtige Rezensentin. Die bekennende Sozialistin und Frauenrechtlerin steht beileibe nicht im Ruch einer Konservativen. Trotzdem lässt sie sich von Vilars Thesen derart begeistern, dass sie sich diese gleich zu eigen macht. Stolten ergänzt ihre Buchbesprechung mit einer Untersuchung der bekannten französischen Frauenrechtlerin und Soziologin Evelyne Sullerot, die im Laborversuch bestätigt, was Vilar empirisch zusammengetragen hat. Sullerot hatte eine Gruppe von zufällig ausgewählten Studentinnen und Studenten gebeten, einen Tag in ihrem Leben als 50-Jährige zu beschreiben, so wie sie ihn sich im Idealfall vorstellten. Die jungen Männer schrieben alle über ihren Beruf, die Frauen sahen sich ausnahmslos als Mütter und Hausfrauen. Und keine fragte sich, ob für diese Rolle wirklich ein Universitätsstudium nötig sei.

Zwei Wochen nach der Rezension von Stolten vermeldet der Stern, dass der dressierte Mann nun doch einen großen Verlag gefunden habe und im Januar bei Bertelsmann erscheine.

1971 ist ein bewegtes Jahr. In Vietnam startet das letzte Flugzeug mit dem berüchtigten Entlaubungsmittel Agent Orange, während Ex-Beatle John Lennon sein erstes Soloalbum (Imagine) lanciert; in der DDR wird Erich Honecker zum Ersten Sekretär der Zentralkomitees der SED ernannt, in Uganda übernimmt Idi Amin Dada nach einem unblutigen Putsch die Macht, in Persien lässt der Schah Reza Pahlavi 2500 Jahre Monarchie feiern, in Chile verstaatlich Präsident Salvador Allende sämtliche Kupferminen entschädigungslos (zwei Monate später wird er von General Augusto Pinochet gestürzt); das Kurzhaar-Obligatorium bei der deutschen Bundeswehr wird abgeschafft, für Langhaarige gilt aber eine Netzpflicht; die BRD-Post weigert sich, DDR-Briefmarken mit Motiven wie Antifaschistischer Schutzwall oder Unbesiegbares Vietnam abzustempeln, der Transitvertrag zwischen Ost- und Westdeutschland kommt trotzdem zustande; in New York gewinnt Joe Frazier den Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Muhammad Ali nach Punkten, der Belgier Eddy Merckx gewinnt zum dritten Mal in Folge die Tour de France; in Hamburg und Kaiserslautern ermorden Mitglieder der »Baader-Meinhof-Bande« (RAF) die Polizisten Norbert Schmid und Herbert Schoner; Heinrich Böll lanciert seinen Bestseller Gruppenbild mit Dame; die UNO nimmt China als Mitglied auf und schließt gleichzeitig Taiwan aus, Bangladesch trennt sich von Pakistan; in Ägypten wird der Assuan-Staudamm eingeweiht, in der UdSSR stürzt das Raumschiff Sojus 11 nach erfolgreicher Mission beim Landeanflug ab, die dreiköpfige Besatzung stirbt, die amerikanische Apollo 15 landet dagegen sicher, obwohl sich einer der Fallschirme nicht öffnet; in Kanada wird Greenpeace gegründet, in Genf die internationale Hilfsorganisation Médecins sans frontières (Ärzte ohne Grenzen); in den USA wird die Rundfunkwerbung für Tabak verboten, der holländische Programmierer Ray Tomlinson verschickt das erste E-Mail der Geschichte und benutzt dabei erstmals das »Affenschwanz-Zeichen« (@); in Frankreich erklären 343 Frauen, unter ihnen Größen wie Simone de Beauvoir, Françoise Sagan, Catherine Deneuve und Jeanne Moreau, öffentlich »Ich habe abgetrieben!«, in Deutschland kopiert die Zeitschrift Stern die von Alice Schwarzer initiierte Protestaktion für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs mit einem legendären Cover (Größen wie Senta Berger, Romy Schneider oder Lis Verhoeven outen sich); in der Schweiz beschließt die Mehrheit der männlichen Stimmbevölkerung (65,7 Prozent), den Frauen das aktive und passive Stimmrecht zu gewähren (wobei acht Kantone die Vorlage ablehnen), in London gründet Erin Pizzey das erste offizielle Frauenhaus Europas; der Zeichentrickfilm Asterix der Gallier wird zum Kassenschlager des Jahres und überholt sogar das Hollywooddrama Love Story; im peruanischen Amazonas überlebt die 17-jährige Juliane Koepcke das Auseinanderbersten eines vom Blitz getroffenen Passagierflugzeugs sowie den Sturz aus 3000 Metern Höhe in den Regenwald fast unverletzt, nach tagelangem Marsch durch den Dschungel trifft die junge Deutsche auf Holzfäller, sie ist gerettet.

Für Esther Vilar ist es ein Jahr der Ungewissheit. Ihre Stelle als Ärztebesucherin eines Pharma-Unternehmens hat sie verloren. Mit dem Job hatte sie ihre ganze Familie während sieben Jahren über Wasser gehalten. Die Kündigung war ihr »nahegelegt« worden, wie man so schön sagt. Vilar konnte es ihrem Arbeitgeber nicht verübeln. Ihre Aufgabe – Ärzte besuchen eben, um diese über Neuheiten auf dem Markt zu informieren, wobei sie ihre Agenda frei bestimmen durfte und sich weder um den Verkauf noch um Provisionen zu kümmern brauchte – war weder besonders anspruchsvoll noch anstrengend gewesen. Im Grunde war sie als Ärztin überqualifiziert für diese Aufgabe. Doch in den letzten Monaten hatte Vilar nicht einmal mehr das minimale Plansoll erfüllt. Seit sie mit der Niederschrift des dressierten Manns angefangen hatte, konzentrierte sie all ihre Energie auf die Schriftstellerei. Etwas anderes konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen.

 

Bertelsmann, ein namhafter Verlag, und Stern waren schon mal ein guter Anfang. Doch das große Echo lässt auf sich warten. Im März bringt die Frankfurter Rundschau eine zweispaltige Rezension, einen Totalverriss. Titel: »Party-Geblödel einer Weitgereisten«. Diagnose: »Mit Sorgfalt wird Realität als zu ernst gemieden. ›Der Dressierte Mann‹, den Esther Vilar uns vorführt, ist kaum noch Karikatur.« Fazit: »Sollte ihr Buch den tieferen Sinn haben, aggressiv-parodistisch aufzuklären, hat es das Klassenziel nicht erreicht.« Nichts, aber auch gar nichts lässt die Rezensentin am Buch gelten. Immerhin, Vilar wird wahrgenommen.

Die Stuttgarter Zeitung urteilt eine Woche später etwas gnädiger: »Es war längst fällig, den Emanzipationsspieß einmal umzudrehen und statt der ständigen Beschimpfung des Mannes endlich eine Beschimpfung der Frau zu veranstalten.« Wer sich gegen die Ausbeutung und Beherrschung der Frau durch den Mann auflehne, müsse sich fairerweise auch gegen die Ausbeutung und Beherrschung durch die Frau stellen. »Vieles stimmt sogar, manches ist längst bekannt und das meiste bekommt in dieser Sicht einen amüsanten Touch. Mehr nicht. (…) Das Ärgerliche an dem Buch, das auch Wahrheiten für Einsichtige enthält, ist lediglich, dass die Autorin sich hemmungslos auf Allgemeinplätzen tummelt. Sie sagt ›die Frau‹ und meint eine bestimme Sorte von Frauen.« Aber diese Frauen seien nur eine Minderheit. Fazit: »Trotz allen Einwendungen jedoch bleibt das Buch eine brauchbare Diskussionsgrundlage zum Thema der weiblichen Emanzipation.«

Im Mai folgt eine wohlwollend-spöttische Besprechung im Spiegel (»Das hatte Mann schon lange mal hören wollen«). Im Juni die nächste scharfe Klatsche in der Welt: »Emanzipierte aller Länder – zerstreut Euch! Leise, bitte, und ganz unauffällig. Streicht die Vokabel Gleichberechtigung aus Eurem Wortschatz.« Amüsant sei das Büchlein wohl, aber nicht ernst zu nehmen. Als Antidot empfiehlt die Autorin »Sexus und Herrschaft – Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft« von Kate Millett. Schließlich gehe es bei der Geschlechterfrage nicht um individuelle Befindlichkeiten, sondern um »gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse«.

Diesen Vorwurf wird sich Esther Vilar noch häufig anhören müssen: Ihre Thesen seien zu einseitig, zu polemisch formuliert, sie blende das soziale Gefälle aus, es fehle die politische Vision. Damit kann sie gut leben. Wer eine Streitschrift verfasst, erwartet kein Lob, er fordert den Widerspruch vielmehr heraus. Vilar vertritt ihre Thesen zwar kompromisslos. Doch zugleich hat sie in Interviews immer wieder klargestellt, dass sie nie die alleinseligmachende Wahrheit für sich in Anspruch genommen hat. Sie will aufrütteln, zum Denken anregen, und das funktioniert nun mal nicht mit ausgewogenen Betrachtungen, die alle möglichen Eventualitäten berücksichtigen und damit jede Widerrede im Keim ersticken.

Für Vilar ist es wohlgemerkt kein Spiel, sie meint es ernst, sie glaubt an ihre Thesen. Doch sie sucht keine Anhänger. Ihr schwebt eine Kontroverse vor, in der sich jeder seine eigene Meinung bilden soll, um ein Thema, bei dem viel nachgeplappert und wenig nachgedacht wird. Und das ist ihr bis dahin höchstens im Ansatz gelungen. Allein die Tatsache, dass man sich mit ihrer These auseinandersetzte, wenn auch widerwillig, abwehrend und abschätzig, war schon alles andere als ein selbstverständlicher Erfolg. Doch das launige Geplänkel war weit entfernt von der ernsthaften Debatte, die sie sich erhofft hatte. 30 000 Mal ging ihr Büchlein in den ersten zehn Monaten über den Ladentisch. Das war zwar ansehnlich für einen Erstling, aber nicht mehr. Leben konnte sie davon definitiv nicht. Alles deutete auf ein Strohfeuerchen hin, das bald erlöschen würde.

Umso überraschender kam der Durchbruch. Er lässt sich auf den Tag, ja auf die Minute genau festmachen. Es geschah am Abend des 30. Oktober 1971, in der Wiener Stadthalle.

Den Anlass gibt die TV-Show Wünsch dir was, eine Koproduktion der öffentlich-rechtlichen Sender ZDF, ORF und SRF, die jeweils am Samstagabend zur besten Sendezeit simultan in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz ausgestrahlt wird. Die Unterhaltungssendung unter der Leitung des skandalumwitterten Glamourpaares Dietmar Schönherr und Vivi Bach ist heiß umstritten. In der Presse wird der adlige Schönherr wahlweise als »Lümmel« (Wiener Kronenzeitung), »Schaumann und Buhmann« (Spiegel) oder »Wahlhelfer der Roten« (Stuttgarter Zeitung) tituliert. Seine auf bezaubernde Art lispelnde Ehefrau Vivi Bach, eine dänische Bäckerstochter und Schlagersängerin, sorgt mit gewagten Ausschnitten und knappen Röcken für spitze Kommentare. Es laufen Wetten zur Frage, wann die Sendung, die den TV-Intendanten stapelweise Beschwerden und sehr viel Kopfzerbrechen beschert (»am Rande des Erträglichen« gemäß ORF-Direktor Helmut Zilk), abgesetzt wird. Aber mit Einschaltquoten von zeitweise über 50 Prozent aller Haushaltungen im deutschsprachigen Raum – ein heutzutage fast unvorstellbarer Wert – ist Wünsch dir was ein Blockbuster.

Diese gewaltige Beachtung ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass es im deutschen Sprachraum damals schlicht keine Alternative zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Zum andern surft die Schönherr & Bach-Show, bei der jeweils drei klassische Kleinfamilien – Vater, Mutter, zwei Kinder – aus Österreich, aus der Schweiz und aus Deutschland in einem spielerischen Wettbewerb gegeneinander antreten, stets hart am Zeitgeist. Der Siegerfamilie wird ein Wunsch erfüllt – daher der Titel der Show –, den sie am Anfang der Sendung anbringen darf, in einem bestimmten finanziellen Rahmen (5000 D-Mark) natürlich – etwa ein neuer Familienwagen, Familienurlaub auf den Kanaren, eine Familienreise zu den olympischen Spielen und dergleichen. Mit gewagten Arrangements, provokativen Einlagen, kontroversen Gästen und kalkulierten Randalen sorgen Schönherr und Bach stets dafür, dass die Presse nach der Sendung etwas darüber zu berichten hat. Wer am Montag bei der Arbeit, in der Schule ober beim Kaffeekränzchen mitdiskutieren will, muss am Samstagabend Wünsch dir was gesehen haben. Und ganz wichtig: Es wird in Farbe gesendet, was noch nicht so selbstverständlich ist.

In der Sendung vom 30. Oktober 1971 treten die Familien Ley (Österreich), Rieckhoff (Deutschland) und Elsener (Schweiz) gegeneinander an. Die Show beginnt auf einem Autobahnrastplatz, die drei Familien sitzen artig an drei Campingtischen, die Damen mit hoch toupiertem Haar, die Herren mit Nylonhemden und knalligen Krawatten, die Jungmannschaft in Jeans, daneben je ein poppiger VW-Käfer (blau, orange und gelb), im Hintergrund eine Alpenidylle. Die Aufgabe besteht nun darin, den ganzen Picknick-Kram inklusive Familie innerhalb von 90 Sekunden im Käfer zu verstauen. Elseners schlagen als Letzte die Tür des Käfers zu, doch, Überraschung, sie gehen als Sieger aus der ersten Runde hervor. Denn bewertet wird, wie wir erst jetzt erfahren, nicht die Schnelligkeit, sondern die Reinlichkeit. Und da sieht es, sorry, schlecht aus für die Leys: Sie haben eine leere Cola-Flasche liegen lassen. Das gibt Minuspunkte.

In diesem Stil geht es weiter über die nächsten 45 Minuten mit spielerisch inszenierten Wettbewerben und musikalischen Einlagen. Das Publikum im Saal darf ausnahmsweise auch mal auf die Bühne, um in die Kamera zu winken. Dabei kommt es zu einer Rangelei, die in eine kleine Saalschlacht vor laufenden Kameras mündet. Doch die vermeintlich spontane Schlägerei ist inszeniert, wie wir bald erfahren, ein Teil des Wettbewerbs: Die Kandidaten müssen nun unter acht Personen die vier Angreifer bestimmen, welche mit dem Gerangel angefangen haben, beziehungsweise die vier Opfer. Das Replay der Inszenierung bringt die Auflösung. Nicht ganz überraschend entpuppen sich die hippiehaft gekleideten Paradiesvögel als die Guten und die unauffälligen Normalos als die Bösen. Die Rieckhoffs haben falsch getippt und fliegen raus, die anderen liegen richtig. Die letzte Runde wird nun zwischen den Leys und den Elseners ausgetragen.

Die Stimmung in der Wiener Stadthalle ist bereits angeheizt, als eine unscheinbare Frau die Bühne betritt. In ihrem braven Outfit – Mittelscheitel, halblanges Haar, ungeschminkt, graues Deuxpièces mit schwarzem Lackgurt, weiße Strümpfe, grobe Absätze – hat sie etwas Schulmädchenhaftes an sich. Auf jeden Fall wirkt sie nicht wie eine 35-jährige Mutter. Die Unbekannte wird als Esther Vilar vorgestellt, ursprünglich Argentinierin, Ärztin, Feministin und Buchautorin. Ohne jede erklärende Einführung setzt Vilar zu einem Monolog an. Ihre mit starrer Mine und hoher Stimme in einem perfekten Bühnendeutsch, das sich keinem Dialekt zuordnen lässt, vorgetragenen Sätze wirken auf eine seltsam berührende Weise mechanisch, ja fast autistisch; die Gelassenheit, mit der sie diese formuliert, stehen in einem eigentümlich Kontrast zum ungeheuerlichen Inhalt:

»Es sind nicht die Frauen, die sich befreien müssen, sondern vor allem die Männer. Aufrufe zur Befreiung der Frau, wie sie zurzeit in Mode sind, sind nichts anderes als Erbauungsliteratur. Erbauungsliteratur, weil sie den Männern und den Frauen genau das sagt, was sie am liebsten hören. Den Frauen sagen sie, dass sie ja so arm sind und so unterdrückt, und das gibt den Frauen eine fantastische Ausrede, um aus dem System Ehe noch mehr rauszuholen, als sie es sowieso schon tun. Den Männern sagt man, dass sie Tyrannen seien, und die Männer hören das gern, sie halten das für ein Kompliment, sie finden das besonders männlich. Nach meiner Meinung verhält es sich im Großen und Ganzen doch ganz, ganz anders. Nach meiner Meinung werden die Männer von den Frauen hemmungslos ausgebeutet, sie werden zum Geldverdienen dressiert (zögernder Szenenapplaus, ein leises Lächeln huscht über ihr maskenhaftes Gesicht). Es ist so, dass die Frau die Macht hat, und nicht der Mann, (Geraune im Saal, jetzt redet sie bestimmter) die Frau hat die absolute Macht, sie hat sie aus verschiedenen Gründen, aber vielleicht vor allen Dingen, weil der Mann die Frau auf sexuellem Gebiet sehr viel mehr begehrt, als es umgekehrt der Fall ist. Die Frau hat sozusagen das sexuelle Monopol. Die Frau kann ihn manipulieren. Eine emanzipierte Frau wäre nach meiner Definition eine Frau, welche diese Macht, die sie über die Männer hat, in keiner Weise missbraucht. Aber solche Frauen gibt es fast nicht.«

Freundlicher Applaus.

Mutter und Tochter Elsener haben nun vier Minuten Zeit, mit Vilar die These vom dressierten Mann kontrovers zu diskutieren. Danach sind Mutter und Tochter Ley an der Reihe. Das Publikum bestimmt die Sieger – die Sieger der Samstagabendshow.

Insgesamt dauert Vilars Auftritt nicht mehr als fünfzehn Minuten, und doch wird daraus eine Sternstunde der deutschen TV-Debatte. Mutter Elsener, eine klassische Hausfrau, kann nicht mit Esther Vilar mithalten, das wird schnell klar. Doch ihre Tochter übernimmt bald das Szepter, sie kommt in Fahrt, fordert Vilar zu einer engagierten, aber gesitteten Kontroverse über die Rolle der Mutter und Hausfrau heraus (während ihre Mutter stumm und mit leicht säuerlicher Miene zuhört). Bei den Leys ist es umgekehrt, hier ist es die Mutter, die Vilar Paroli bietet. Ein Ausschnitt:

Ley: Sie finden, dass eine emanzipierte Frau den Mann nicht missbraucht?

Vilar: Das würde ich darunter verstehen. Aber es gibt fast keine.

Ley: Ich habe in meinem Leben nie den Eindruck gehabt, dass ich meinen Mann missbraucht hätte. Sondern eher (lacht verschmitzt), dass ich ihn sehr glücklich gemacht habe.

Vilar: Es ist sicher so, dass sich die Männer sehr wohl fühlen in dieser Rolle. Die Männer sind gerne Sklaven, das ist eben der springende Punkt. Die Männer versklaven sich den Frauen viel zu gerne. Sie sind auf die Frauen vollkommen angewiesen. Und sie fühlen sich am glücklichsten, wenn sie eine Frau haben, die sie beherrscht, die ihnen sagt, wann sie gut waren und wann sie böse waren, ob sie viel Geld verdient haben oder nicht, ob sie ein guter Angestellter sind oder nicht.

 

Ley (fröhlich): Das ist sehr allgemein. Ich habe mich mit meinen Freunden in der Studienzeit wunderbar verstanden. Ich liebe meinen Mann, ich mag seine Freunde. (Applaus)

Die unverkrampfte Gegenüberstellung von abstrakter Theorie und konkretem Erleben verleiht der Debatte Spannung, jeder kann sich etwas darunter vorstellen. Jeder kann mitreden. Vivi Bach erkennt die Brisanz und lässt der Diskussion ihren freien Lauf. Das Schlusswort überlässt sie Esther Vilar, die nun merklich entspannter redet:

»Es gäbe noch unendlich viel zu sagen. Ich habe mein Buch ›Der dressierte Mann‹ vor allem deshalb geschrieben, weil ich hoffen würde, dass die Frauen ein bisschen, ein ganz kleines bisschen menschlicher werden können. Aber das ist natürlich eine Illusion, ich weiß. Die Frauen werden vielleicht noch lange Zeit die Männer nicht als Menschen, sondern hauptsächlich als Arbeitsroboter betrachten. Es wäre wunderbar, wenn eines Tages der Tag kommen würde, an dem die Frauen ihre Liebe nicht mehr verkaufen würden, denn das ist es, was die Frauen machen, sie verkaufen ihre Liebe. Manche machen es ganz direkt, sie stellen sich an eine Straßenecke und warten auf einen Freier, andere machen es ein bisschen in verfeinerter Form, sie heiraten einen Arzt oder einen Rechtsanwalt, oder einen Abteilungsleiter, aber es kommt auf das gleiche heraus schließlich. Ich denke, die Männer können nichts unternehmen, die Männer sind den Frauen völlig ausgeliefert, sie können sich selbst nicht helfen.«

Buhrufe und tosender Applaus.

Zu den Besonderheiten von Wünsch dir was gehört, dass die Zuschauer während der Sendung ins Studio telefonieren und ihre Kommentare abgeben können. Mit etwas Glück wird man sogar live zugeschaltet und darf ein paar Sätze mit Schönherr austauschen. An jenem Abend laufen die Leitungen heiß. Hunderte von Anrufen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum gehen ein. Es gibt nur ein Thema: die Vilar und der dressierte Mann. Die meisten Anrufer äußern sich ablehnend, viele empören sich, dass man »diese Gans«, »dieses Weib, sofern man sie überhaupt als solches bezeichnen kann« überhaupt auftreten lässt. Einige wenige sind allerdings begeistert, etwa jener Schweizer, der Vilar gleich direkt ins eidgenössische Parlament delegieren möchte, wo seit einer Woche neuerdings auch Frauen zugelassen sind.

Die Bild rückt den TV-Skandal mit fetten Lettern auf die Titelseite: »Ehefrauen nicht viel besser als Mädchen von der Straße«. Das Boulevardblatt lässt die Story während Tagen hochkochen. »Zuseher drohen mit Mord«, weiß der Wiener Kurier zu berichten, 864 Anrufer hätten sich beim ORF innerhalb zweier Tage gemeldet, rund 800 von ihnen hätten sich negativ geäußert. Die Zeit lobt den Mut der TV-Macher (»Schönherr riskierte beinahe alles – und es gelang ihm beinahe alles«), meldet aber auch Zweifel an (»Ob er es vorher wusste, dass sein größtes Risiko im Auftritt von Esther Vilar lag?«). Die Kronen-Zeitung nimmt es mit einer Portion Sarkasmus: »Die personifizierte Provokation hat Schönherr den arglosen Zuschauern via Fernsehschirm ins traute Heim geschickt. Sie war nicht auf Anhieb als solche zu erkennen: ein zierliches Persönchen, scheinbar lieb und rundherum schutzbedürftig. Doch als Esther Vilar den Mund aufmachte, konnte man nicht länger zweifeln: dieses kulleraugige Wesen hat Haare auf den Zähnen. (…) Nun hat Esther Vilar, so scheint’s, die Wahl, totgeprügelt oder aufgehängt zu werden.« Das österreichischen Blatt lässt es sich trotzdem nicht nehmen, Vilars Pamphlet zum dressierten Mann gleich über mehrere Seiten im Original zu zitieren.

Als einziges Blatt kommentiert die Welt am Sonntag Vilars Auftritt mit unverhohlener Sympathie. Die Autorin Edith Geus setzt sich nicht nur inhaltlich mit den Thesen um den dressierten Mann auseinander, sie hat auch das Gespräch mit der Autorin gesucht und lässt diese ausführlich zu Wort kommen. »Natürlich habe ich überspitzt formuliert, ich musste übertreiben, sonst hätte mir keiner zugehört», zitiert sie Vilar, »ich wollte ein Gegengewicht zur Women’s-Liberation- Bewegung schaffen, die ich einfach für unfair halte.« Im Gespräch räumt sie auch ein, dass sie sich selber von der Kritik nicht ausschließe und auch nicht immer konsequent handle: »Wenn ich meinen Sohn nicht männlich erziehe, also dressiere, gilt er unter seinen Kameraden als verweichlicht. Ich kann ihn jetzt nicht zum ersten undressierten Mann erziehen. Dafür ist die Zeit noch nicht reif. Und ich will ihn nicht eines Tages dafür büßen lassen, dass seine Mutter solche Einfälle hatte.«

Doch solche Zwischentöne, das hat Vilar richtig erkannt, sind nicht gefragt. Und letztlich spielte es auch keine Rolle, ob nun die Zustimmung oder die Ablehnung überwog (Letzteres wäre vielleicht sogar noch besser gewesen). Esther Vilar, nur das zählte, war innerhalb von fünfzehn Minuten zu einer Autorin geworden, die jeder kannte im deutschsprachigen Raum, zu der jeder eine Meinung hatte – und die etwas zu sagen hatte.

Die Pointe am ganzen Hype war, dass er weder geplant noch absehbar gewesen war. Eigentlich hatte Schönherr die australische Feministin Germaine Greer für seine Sendung gebucht. Doch Greer musste kurz vor ihrem Auftritt aus gesundheitlichen Gründen absagen. In der Not rief man darauf Esther Vilar nach Wien, die bloß wenige Autostunden entfernt in München lebte. Und die scheue Frau sorgte mit ihrem ersten TV-Auftritt um ihren Erstling gleich für ein publizistisches Erdbeben im oberen Bereich der nach oben offenen Skala.

Am 8. November 1971 vermeldete der Spiegel, Esther Vilar habe nach Hunderten von Anrufen und Tausenden Zuschriften mit Drohungen aller Art kapituliert. Sie wolle nun mit ihrem Sohn Martin in Südamerika untertauchen. Doch das war eine Ente, und es sollte nicht die letzte sein. Jetzt ging es erst richtig los.

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