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Ritter von Harmental

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»Vielen Dank, Herr Marquis !« entgegnete Harmental, »ich verlasse. Sie nur, um Sie besseren Händen zu übergeben, als die meinen sind, sonst, glauben Sie es mir, würde nichts in der Welt mich vermocht haben, eher von Ihrer Seite zu weichen, als bis ich Sie auf Ihrem Lager ruhen wüßte.«

»Die glücklichste Reise, lieber Valef, rief Fargy »denn ich hoffe, die kleine Schmarre wird Sie nicht verhindern, sich nach Spanien auf den Weg zu machen. Nach der Rückkehr vergessen Sie nicht, daß Ihnen auf dem Platz Louis le Grand No. 14 ein Freund wohnt.«

»Und Sie, lieber Fargy, haben Sie vielleicht Aufträge für Madrid, so bitte ich darum, Sie können sie nicht zuverlässigeren und bereitwilligeren Händen anvertrauen.«

»Adieu, junger Mann, leben Sie wohl,« sprach der Capitain zu Ravanne. Vergessen Sie meinen Rath nicht, schaffen Sie den Berthelot ab, nehmen Sie den Bois Robert, vor allen aber kaltes Blut, dann werden Sie einmal einer der besten Fechter Frankreichs werden. Mein langer Degen läßt sich dem Bratspieße Ihrer Frau Mutter ganz gehorsamst empfehlen.«

Ravanne wußte, trotz seiner Geistesgegenwart, dem Capitain nichts zu entgegnen, er erwiderte dessen Abschiedsgruß und trat zu Lafare, der ihm von einen beiden Gefährten am meisten verwundet schien.

Harmental, Valef und der Capitain schritten zu dem Eingange des Gehölzes zurück, wo sie den Wagen und in demselben den Wundarzt fanden, der ganz gemüthlich ein Schläfchen machte. Harmental benachrichtigte ihn, daß der Marquis von Lafare und der Graf von Fargy, zu denen er ihm den Weg zeigte, seines Beistandes bedürften. Er gebot über dem noch seinen Diener, dem Wundarzte zu folgen, um diesem nöthigenfalls zur Hand zu gehen. Dann wandte er sich zu dem Manne mit den orangefarbenen Epauletts: »Capitain, sprach er, »ich glaube nicht, daß es gerathen wäre, das Frühstück zu verzehren, das wir beordert haben, empfangen Sie also meinen Dank für den Ritterdienst, den Sie mir geleistet, und haben Sie die Gefälligkeit, zur Erinnerung an mich, eines meiner beiden Pferde anzunehmen, wählen Sie das Beste, es sind beides treffliche Thiere, die Sie nicht im Stiche lassen werden, wenn Sie einst acht bis zehn Lieues in einer Stunde zurücklegen wollen.«

»Mein Seel, Chevalier, entgegnete der Capitain, indem er einen Seitenblick auf die schönen Pferde warf,« dessen bedurfte es nicht; unter Cavaliren sind Blut und Geldbeutel Dinge, die man sich einander mit Freuden borgt; Sie aber machen mir das Anerbieten mit so unwiderstehlicher Anmuth, daß ich dasselbe nicht zurückzuweisen vermag. Bedürfen Sie je meiner wieder, so vergessen Sie nicht, daß ich ganz und gar zu Ihren Diensten bin.«

»Und in einem solchen Falle, wo würde ich Sie aufzusuchen haben?« fragte lächelnd Harmental.

»Ich habe grade keine feste Wohnung, Chevalier; wenn Sie mich aber zu sprechen wünschen, so fragen Sie bei der Fillon nur nach dem Capitain Roquefinette.«

Und während die beiden jungen Cavaliere sich auf ihre Rosse schwangen, bestieg der Capitain das dritte, nicht ohne dabei zu bemerken, daß der Chevalier ihm von seinen Pferden das schönste zurückgelassen hatte. Sie befanden sich grade an einem Kreuzwege und jeder von ihnen sprengte nach verschiedener Richtung hin.

Der Baron Valef kehrte durch die Barriere von Paffy nach Paris zurück, begab sich sofort in das Arsenal, empfing dort die Befehle der Herzogin von Maine, zu deren Haushalte er gehörte, und reiste noch denselben Tag nach Spanien ab.

Der Capitain Roquefinette ritt im Schritt, Trab und Galopp im Bois de Boulogne umher, um sein neues Pferd zu prüfen, und als er sich überzeugt hatte, daß es wie Harmental versicherte, wirklich ein treffliches Thier say, lenkte er dasselbe zu der Restauration des Herrn Durand zurück, wo er ganz allein das Frühstück verzehrte, das für drei Personen bestellt war. – Noch an demselben Tage führte er sein Pferd auf den Roßmarkt, wo er es für sechzig Louisd’or verkaufte; es war nur die Hälfte seines Werthes, aber – man muß Opfer bringen, wenn man etwas prompt realisieren will.

Was den Chevalier von Harmental betrifft, so kehrte er durch die elyseeischen Felder nach Paris zurück, wo er in seiner Wohnung, Straße Richelieu, zwei unterdessen angelangte Briefe vorfand. Einer derselben war von einer ihm nur zu gut bekannten Handschrift so daß er an allen Gliedern zitterte. Er berührte das Schreiben nur zögernd, so als ob er eine glühende Kohle erfassen wolle; endlich faßte er Muth, brach bebend das Siegel und las wie folgt:

»Mein lieber Chevalier!

»Sie wissen, man ist nicht der Gebieter seines Herzens. Es ist eine Schwäche unserer Natur, dieselbe Person und dieselbe Sache nicht lange Zeit lieben zu können. Was mich betrifft, so will ich vor anderen Frauen das Verdienst voraus haben, daß ich meinen Geliebten nicht betrüge. Kommen Sie also nicht zu der gewohnten Stunde zu mir, man würde Ihnen sagen, ich sei nicht zu Hause, und ich bin zu redlich, um meinen Kammerdiener oder meine Kammerfrau eine so grobe Lüge aussprechen zu lassen.«

»Adieu also, mein lieber Chevalier, gedenken Sie meiner nicht mit allzugroßem Zorne und machen Sie daß ich nach zehn Jahren noch das von Ihnen sagen kann, was ich jetzt von Ihnen sage, daß ich Sie nämlich für einen der galantesten Cavaliere Frankreichs halte.

Sophie d’Averne.«

»Alle Teufel!« rief Harmental, indem er mit der geballten Faust auf einen zierlichen Tisch schlug, daß er zusammenstürzt, »hätte ich den armen Lafare getödtet, ich hätte in meinem ganzen Leben keine Ruhe wiedergefunden.«

Nach diesem Ausbruche, der den Chevalier etwas erleichterte, schritt derselbe mehrmals im Zimmer auf und ab, mit einem Wesen, welches dartat, daß er noch mehr solcher Enttäuschungen bedürfe, um sich zu der Höhe der philosophischen Moral zu erheben, welche ihm die schöne Treulose gepredigt hatte. Erst nach einiger Zeit gewahrte er auf dem Fußboden den zweiten Brief liegend, den er völlig vergessen hatte. Er schritt noch zwei- bis dreimal an demselben vorüber, ohne ihn mehr als eines gleichgültigen Blickes würdig zu achten. Endlich hob er ihn verächtlich auf, öffnete ihn langsam, betrachtete die Handschrift, welche ihm völlig unbekannt war, suchte nach der Unterschrift, die aber fehlte, und durch diesen Anflug vom Geheimnißvollen neugierig gemacht, las er folgende Zeilen:

»Chevalier!

»Wenn Sie in Ihrer Phantasie halb so viel Romantik, und in ihrem Herzen nur halb so viel Muth besitzen, wie Ihre Freunde behaupten, so ist man bereit, Ihnen ein Unternehmen anzuvertrauen, das Ihrer würdig ist und durch dessen Resultat Sie sich an einem Mann rächen können, den Sie in dieser Welt am meisten hassen, indem es Sie zugleich zu einem so glänzenden Ziele führen wird, wie Sie dasselbe in Ihren schönsten Träumen niemals gehofft. Der gute Genius, der Sie leiten soll, und dem Sie gänzlich vertrauen müssen, wird Sie in dieser Nacht zwischen zwölf und zwei Uhr auf dem Balle im Opernhause erwarten. Erscheinen Sie dort ohne Maske, wird er sich Ihnen nähern, kommen Sie aber maskiert, so werden Sie ihn an einem violetten Bande erkennen, das er auf der linken Schulter tragen wird. Die Parole ist »Sesans, öffne Dich!« Sprechen Sie sie kühn aus und es wird sich Ihnen eine Höhle erschließen, weit wunderbarer als die AliBaba’s.«

»Meinethalben denn,« rief Harmental, »wenn der Genius mit dem veilchenblauen Bande nur halb so viel hält, als er verspricht, so hat er in mir seinen Mann gefunden.«

III.
Der Chevalier

Der Chevalier Raoul von Harmental, mit dem unsere geneigten Leser, bevor wir weiter erzählen, eine etwas nähere Bekanntschaft machen müssen, war der einzige Abkömmling einer der vornehmsten Familien in Nivernais. Obgleich diese Familie niemals eine bedeutende Rolle in der Geschichte spielte, so erfreute sie sich doch einer gewissen Berühmtheit, die sie sich theils selbst erworben hatte, theils ihren Verbindungen verdankte. Als der Sire Gaston von Harmental, der Vater unseres Chevaliers, im Jahr 1672 nach Paris kam, und Lust verspürte, in den königlichen Equipagen zu fahren, hatte er den Beweis geführt, daß sein Stammbaum bis zum Jahr 1399 sich erstrecke. Sein Oheim mütterlicher Seite, Graf Torigny, hatte, als er im Jahr 1691 einen Orden erhielt, gleichfalls seine sechzehn Ahnen dargethan, und so war mehr als hinreichend geschehen, um den aristokratischen Anforderungen jener Zeit zu genügen.

Den Chevalier konnte man weder arm noch reich nennen, das heißt: sein Vater hatte ihm eine Besitzung in der Gegend von Nevers hinterlassen, welche ihm jährlich 20- bis 25.000 Livres eintrug. Das war mehr als nöthig, um in seiner Provinz wie ein vornehmer Herr zu leben; der Chevalier aber hatte eine ganz vortreffliche Erziehung erhalten und fühlte sich vom Ehrgeize vorwärts getrieben. Er verließ also, nach erlangter Volljährigkeit im Jahr 1711, seine Heimath und begab sich nach Paris.

Sein erster Besuch war bei dem Grafen von Torigny, auf dessen Einfluß er zuverlässig rechnete, um bei Hofe eingeführt zu werden. Unglücklicherweise hatte der Graf Torigny grade damals selbst dort den Zutritt nicht, da er sich aber ungemein für die Familie Harmental interessierte, so empfahl er seinen Neffen dem Chevalier von Villarceaux, und dieser führte bereitwillig den jungen Mann bei der Frau von Maintenon ein.

Frau von Maintenon besaß eine treffliche Eigenschaft, nämlich: ihren frühern Liebhabern Freundin geblieben zu seyn. Sie empfing den Chevalier von Harmental mit großer Freundlichkeit, Dank den alten angenehmen Erinnerungen, die ihn bei ihr empfahlen, und als einige Tage darauf der Marschall von Villars ihr seine Aufwartung machte, legte sie ihm durch einige Worte ihren Schützling so dringend ans Herz, daß der Marschall, hocherfreut sich dieser Königin in partibus gefällig beweisen zu können, ihr erwiderte, daß er von dieser Stunde an zu seinem Generalstabe gehören solle, und daß er ihm in jeder Rücksicht behilflich seyn würde, die gute Meinung zu rechtfertigen, welche seine erhabene Beschützerin von ihm hege.

 

Es war eine ungemeine Freude für den Chevalier, sich ein solches Glücksthor erschlossen zu haben. Ein Feldzug stand bevor. Ludwig der Vierzehnte stand in der letzten Periode seiner Regierung, in der der Unfälle. Tallard und Marsin waren bei Hochstein geschlagen worden; Villeroy hatte bei Ramillys eine Niederlage erlitten, und selbst der Marschall Villars hatte gegen Marlborough und Eugen die berühmte Schlacht bei Malplaquet verloren. Das auf einen Augenblick durch Colbert und Louvois niedergebeugte Europa, erhob sich in Massen gegen Frankreich. Der König, einem verzweiflungsvollen Kranken gleich, welcher täglich einen Arzt ändert, veränderte täglich sein Ministerium; jeder Versuch aber deckte nur neue Schwächen auf. Frankreich konnte keinen Krieg mehr führen, und war außer Stande den Frieden zu schließen. Vergebens erbot es sich Spanien zu räumen und seine Gränzen zu beschränken, das war noch nicht Demüthigung genug! Man verlangte, daß der König den fremden Heeren den freien Durchzug durch Frankreich gestatten solle, damit sie seinen Enkel vom Throne Spaniens wegjagten; und daß er die festen Plätze: Cambrai, Metz, La Rochelle und Bayonne überliefere; wenn er es anders nicht vorzöge, spätestens innerhalb eines Jahres ihn mit den Waffen in der Hand selbst zu entthronen.

Unter diesen demüthigenden Bedingungen, war demjenigen ein Waffenstillstand zugestanden, der früher nach Willkür über Krieg und Frieden gebot, der sich »der Vertheiler von Kronen,« und »Zuchtruthe der Nationen« nannte, den man den Beinamen: »des Großen, des Unsterblichen« gegeben hatte, zu dessen Ehre man, seit einem halben Jahrhundert den Marmor und die Bronze bearbeitete, den Alexandriner abmaaß und den Weihrauch verschwendete! – Ludwig XIV. hatte in der Ministerversammlung geweint! – Seine Thränen hatten eine Armee in’s Leben gerufen, und diese Armee war unter den Befehl des Marschall Villars gestellt worden.

Villars zog gradeswegs dem Feinde entgegen, dessen Lager sich bei Denain befand, und der, überzeugt, daß Frankreich in den letzten Zügen liege, in Sicherheit schlummerte, Noch niemals hatte auf einem einzigen Haupte eine größere Verantwortlichkeit geruht; von einem einzigen Wurfe Villars hing Frankreichs Glück oder Unglück ab.

Die Alliierten hatten zwischen Denain und Marchiennes eine Befestigungslinie gebildet, welche Eugene und Albemarie, in ihrem voreiligen Stolze, die »Landstraße nach Paris« nannte. Villars beschloß, Denain durch Ueberrumpelung einzunehmen, den Albemarie zu schlagen, und alsdann Eugene zu bekämpfen.

Um ein so außerordentlich kühnes Unternehmen zu vollbringen, mußte nicht bloß der Feind, sondern auch die französische Armee getäuscht werden; der Erfolg dieses coup de main lag eben in dessen scheinbarer Unmöglichkeit.

Villars sprach daher laut seine Absicht aus, die Linien von Landrecies zu durchbrechen.

In einer bestimmten Stunde der Nacht brach sein ganzes Heer in dieser Absicht auf. Plötzlich aber erfolgt der Befehl, sich links abzuwenden. Drei Brücken werden in der Eil geschlagen. Villars passiert den Fluß, durchzieht Sümpfe, die man für ungangbar hielt, und wo dem Soldaten das Wasser bis zum Gürtel ging. Er erscheint wie ein Blitz vor den ersten Redouten, er nimmt sie fast ohne Flintenschuß, er wirft eine Befestigung nach der andern über den Haufen, erreicht Denain, durchschreitet den Graben, der es umgiebt, dringt in die Stadt und trifft dort auf dem Marktplatze seinen jungen Schützling, den Ritter von Harmental, welcher ihm den Degen Albemaries bringt, den er zum Gefangenen gemacht hat.

In diesem Augenblick wird Eugens Ankunft verkündet. Villars wendet sich schnell, langt vor ihm auf der Brücke an, die er passiren muß, fast Posto auf derselben und erwartet den Feind. Jetzt beginnt die wirkliche Schlacht, denn die Einnahme von Denain war nur ein Scharmützel. Eugene versucht Angriff auf Angriff; siebenmal wirft er eine besten Truppen der Artillerie und den Bayonetten entgegen, welche die Brücke vertheidigen; endlich, seine Kleider von Kugeln durchlöchert, sein Blut aus zwei Wunden dahinströmend, besteigt er sein drittes Pferd; der Sieger bei Hochstedt und Malplaquet zieht sich endlich zurück, indem er vor Zorn Thränen vergießt. Um sechs Uhr hat alles eine andere Gestalt angenommen: Frankreich ist gerettet und Ludwig XIV. wieder Ludwig der Große!

Harmental hatte sich betragen, wie jemand, der sich durch eine einzige That die Rittersporen verdienen will. Villars, der ihn mit Staub und Blut bedeckt, sieht, erinnert sich, wer ihn empfohlen. Er ließ ihn zu sich rufen, während er noch auf dem Felde der Schlacht den Bericht über dieselbe auf einer Trommel schrieb. Als er Harmental in der Nähe erblickte, hielt er einen Augenblick mit Schreiben inne und fragte: »Sind Sie verwundet?«

»Ja, Herr Marschall, aber so leicht, daß es nicht der Mühe werth ist, davon zu reden.«

»Fühlen Sie sich kräftig genug, sechzig Lieues zu Pferde zurückzulegen, und zwar im schnellsten Lauf, ohne sich auch nur eine Minute Rast zu gestatten.«

»Ich fühle mich zu allem kräftig, sobald es der Dienst des Königs und der Ihre verlangt.«

»So machen Sie sich unverzüglich auf den Weg. Eilen Sie zur Frau von Maintenon, erzählen Sie ihr Alles, was Sie mit Ihren eigenen Augen gesehen, und kündigen Sie im voraus den Courier an, der den Bericht über die gewonnene Schlacht überbringen wird. Will Frau von Maintenon. Sie zum Könige führen, so lassen Sie das geschehen.«

Harmental begriff die ganze Wichtigkeit des ihm geworbenen Auftrags, und staub- und blutbedeckt, wie er war, warf er sich, ohne die Kleider zu wechseln, auf ein frisches Pferd und sprengte auf die nächste Post; zwei Stunden darauf war er in Versailles. Villars hatte vorausgesehen, was sich ereignen würde. Bei den ersten Worten, die den Lippen des jungen Mannes entflogen, erfaßte Frau von Maintenon seinen Arm und führte ihn zum Könige. Der Monarch arbeitete gegen seine Gewohnheit mit Voisin in seinem Zimmer, denn er war ein wenig unwohl. Frau von Maintenon öffnete die Thür, führte Harmental zu den Füßen des Königs und rief mit zum Himmel emporgehobenen Händen: »Sire, danken Sie dem Ewigen, denn Sie wissen, daß wir nichts durch uns selbst sind, und daß alle Gnaden nur von Gott kommen.«

»Was gibts denn, sprechen Sie mein Herr!« rief Ludwig XIV., auf den jungen Mann blickend, der vor ihm knieete, den er aber nicht kannte.

»Sire, entgegnete der Chevalier, das Lager bei Dedain ist erobert, der Graf Albemarie ist zum Gefangenen gemacht, der Prinz Eugen ist auf der Flucht und der Marschall Villars legt seinen Sieg Ew, Majestät zu Füßen.«

Trotz der Gewalt, die er über sich selbst besaß, erblaßte Ludwig XIV. dennoch; er fühlte, daß seine Kniee schwankten, und er erfaßte den Tisch, um nicht in seinen Lehnsessel zurückzusinken.

»Was fehlt Ihnen Sire?« fragte Frau von Maintenon, indem sie sich ihm näherte.

»Ich fühle Madame, daß ich Ihnen alles verdanke,« entgegnete Ludwig XIV.,« Sie retten den König, Ihre Freunde retten das Königreich.

Frau von Maintenon neigte sich und küßte ehrfurchtsvoll die Hand des Monarchen. Ludwig XIV. trat darauf, noch immer bleich und tief bewegt, hinter den großen Vorhang, der den Salon von einem Schlafzimmer trennte, und deutlich hörte man ihn dort mit leiser Stimme ein Dankgebet sprechen. Bald darauf trat er wieder hervor, ruhig und ernst, so als ob nichts vorgefallen wäre. »Jetzt mein Herr,« sprach er, »erzählen Sie mir umständlich, was sich alles zugetragen hat.«

Harmental stattete nunmehr einen ausführlichen Bericht von jener merkwürdigen Schlacht ab, welche Frankreich gerettet hatte. Als er geendet hatte, fragte Ludwig XIV.: »Und von sich selbst, Herr, erzählen Sie nichts? Und dennoch sind Sie, wenn ich anders nach Ihren blutbefleckten und staubigen Kleidern urtheilen soll, nicht müßig geblieben?«

»Sire, ich that, was ich vermochte, erwiderte der junge Mann, mit ehrfurchtsvoller Verbeugung, »wenn übrigens von mir etwas zu berichten ist, so überlasse ich, mit Ew. Majestät Erlaubniß, dies dem Marschall von Villars.«

»Gut gesprochen, junger Mann, und sollte er es zufällig vergessen, so werden wir uns Ihrer erinnern.« Harmental zog sich freudeerfüllt zurück. Frau von Maintenon begleitete ihn bis zur Thür. Der Chevalier küßte ihr ehrerbietig die Hand, und beeilte sich alsdann Nahrung zu sich zu nehmen und der Ruhe zu pflegen; denn er hatte seit vierundzwanzig Stunden nichts genossen und nicht geschlafen.

Bei einem Erwachen ward ihm ein Päckchen überreicht, welches von dem Kriegsministerium für ihn eingegangen war, dasselbe enthielt seine Bestallung als Obrist. Zwei Monate darauf ward der Friede geschlossen; Spanien verlor die Hälfte seiner Monarchie, Frankreich aber blieb unangetastet. –

Ludwig XIV. starb und der Hof theilte sich in zwei verschiedenartige und unversöhnliche Partheien. Das Haupt der einen, der der Bastarde, war der Herzog von Maine, das der legitimen Prinzen, der Herzog von Orleans. Hätte der Herzog von Maine die Ausdauer, den kräftigen Willen und den Muth seiner Gemahlin Louise Benedicte von Condé besessen, er würde vielleicht den Sieg davon getragen haben, da er sich auf das königliche Testament stützen konnte; aber er hätte sich dann öffentlich vertheidigen müssen und der Herzog von Maine, schwach an Geist und Herz taugte nur für Dinge, die sich unter der Hand abmachen ließen. Er ward offen angegriffen und seine geheimen Schleichwege und Kunstgriffe wurden ihm nutzlos. Eines Tages ward, er und zwar fast ohne Kampf von der Höhe herabgestürzt, auf welche ihn die blinde Liebe des alten Königs gehoben hatte. Sein Fall war schwer und schmachvoll, er zog sich zurück, überließ die Regentschaft seinem Nebenbuhler und behielt von allen seinen Würden nichts, als die Oberaufsicht über die Erziehung der königlichen Kinder, den Befehl über die Artillerie und den Vortritt vor den Herzögen und Pairs.

Das Dekret des Parlaments versetzte dem alten Hof einen furchtbaren Schlag. Der Pater Letellier kam, seiner Verbannung zuvor, Frau von Maintenon flüchtete nach Saint-Cyr, und der Herzog von Maine zog sich nach der schönen Villa von Sceaux zurück.

Der Ritter von Harmental, als allerdings dabei interessirter aber dennoch ruhiger Zuschauer, hatte alle diese Intriguen mit angesehen, und immer darauf gewartet, daß sie eine Wendung nähmen, die ihm gestattete, daran Theil zu nehmen. Hätte es einem offenen Kampfe gegolten, so hätte er sich natürlich der Parthei angeschlossen, zu der ihn die Dankbarkeit trieb. Zu jung und noch zu keusch in der Politik, wenn wir uns anders dieses Ausdruckes bedienen dürfen, um stets den Mantel nach dem Winde zu hängen, blieb er dem Andenken des alten Königs und den Ruinen des alten Hofes getreu. Seine Abwesenheit vom Palais Royal, um welches jetzt alles herumkroch, das gern eine Rolle spielen wollte, ward als eine Widersetzlichkeit von seiner Seite ausgelegt, und eines Morgens empfing er demnach einen Beschluß, der seine Bestallung als Obrist zurücknahm.

Harmental besaß den Ehrgeiz seines Alters. Die einzige ehrenvolle Laufbahn, welche damals einem Cavalier offen stand, war die der Waffen; sein erstes Auftreten war so glänzend, und der Schlag, der in seinem fünfundzwanzigsten Jahre alle seine Hoffnungen zertrümmerte, traf ihn daher um so schmerzlicher. Er eilte zu dem Marschall von Villars, der früher sein eifriger Beschützer gewesen war; derselbe aber empfing ihn mit dem kalten Wesen eines Mannes, der gern das Vergangene in die Vergessenheit begraben möchte; auch begriff Harmental sogleich, daß der alte Hofmann im besten Zuge sei, die Farbe zu ändern, und er zog sich demnach bescheiden zurück.

Obgleich jenes Zeitalter, das Zeitalter des Egoismus war, war dennoch die erste Probe, welche der Chevalier davon erhielt, ungemein bitter; er befand sich aber grade in jenem glücklichen Alter, in welchem die Wunden des Ehrgeizes nicht anhaltend schmerzen. Der Ehrgeiz ist die Leidenschaft derjenigen, die keine andere mehr besitzen, Harmental aber besaß noch alle, von denen man im fünfundzwanzigsten Jahre bestürmt wird.

Ueberdem hatte sich der Zeitgeist damals noch nicht der Schwermuth zugeneigt. Sie ist ein modernes Gefühl, entstanden aus dem Umsturz der Glücksgüter und der Ohnmacht der Menschen. Im 18. Jahrhundert, als man noch nicht von dem Abstracten träumte und nach dem Unbekannten verlangte, suchte man das Vergnügen, den Ruhm, kurz das Glück gradeswegs auf, und wer nur schön, tapfer oder intriguant war, der konnte auch dorthin gelangen.

 

Der Ritter von Harmental war daher auch nur acht Tage lang traurig, dann mischte er sich wieder in die heitere Menge, ließ sich von dem Strome mit fortreißen, und dieser Strom führte ihn zu den Füßen einer schönen Frau.

Drei Monate lang war er nunmehr der glücklichste Mensch von der Welt; während dieser drei Monate vergaß er Sainte Cyr, die Tuillerieen und das Palais Royal; er wußte nicht, ob es noch eine Frau von Maintenon, einen König, oder einen Regenten gäbe. Er wußte nur, daß es angenehm sei zu lieben, wenn man geliebt wird.

In dieser behaglichen Gemüthstimmung befand er sich, als er, wie wir bereits erzählt haben, durch Lafare aus seinem schönen Traume aufgeschreckt wurde. Die Untreue seiner Geliebten führte jetzt seinen früheren Ehrgeiz zurück, und er gedachte jetzt zum ersten mal wieder schmerzlich an den Verlust seines Regiments.

Auch bedurfte es nur des zweiten geheimnißvollen Briefes, um seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben. Er beschloß demnach, sich auf dem Ball im Opernhause einzufinden; wenn wir aber der Wahrheit ihr Recht widerfahren lassen wollen, müssen wir eingestehen, daß dieser Vorsatz bei ihm wenigstens zum Theil durch die Bemerkung herbeigeführt wurde, daß die Handschrift des Briefes eine weibliche zu sein schien.