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Liebesdramen

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Drittes Capitel.
Der Vorabend eines Duells

Louis von Fontanieu begab sich wieder in die Unterpräfectur. Da er nicht sehr schnell ging, so kam das Gerücht von dem Duell schon vor ihm dort an; in kleinen Städten ist der Vergleich mit einem Lauffeuer auf die Vervielfältigung zur Verbreitung einer Nachricht ganz buchstäblich anzuwenden.

Herr von Mauroy erwartete seinen Vetter in dessen Zimmer. Er erbot sich in Begleitung eines Freundes die Secundanten des Marquis von Escoman zu besuchen und mit ihnen das Nöthige zu verabreden.

Fontanieu wurde nun mit seinen Sorgen allein gelassen. Es fehlte ihm keineswegs an Muth, aber am Tage vor dein ersten Duell ist es einem jungen Manne nicht zu verargen, wenn er etwas aufgeregt ist und sich des Gedankens: heute roth und morgen vielleicht todt! nicht erwehren kann.

Er ging zur Stadt hinaus, und ohne Zweck und Ziel in‘s Freie. Der Weg führte in einer Pappelallee am Ufer des Flusses hin. Fontanieu dachte an die Heimat und dies dort zurückgelassenen Lieben, zumal an seine Mutter, die natürlich keine Ahnung hatte von der Gefahr, in der sich ihr Sohn befand. Zuweilen war er ganz gedankenlos, sein Geist schwebte gewissermaßen zwischen Leben und Tod.

Die Promenade war ganz menschenleer; es war freilich mehr ein Fahrweg als eine Promenade. Es fing an dunkel zu werden, und so wurde auch die Stimmung des jungen Mannes trüber. Plötzlich hörte er Hufschläge auf dem Straßenpflaster, und er sah sich nach dem Reiter um.

Er erkannte sogleich Roß und Mann. Das Pferd war jene schöne Stute, welche der Marquis von Escoman vor einigen Stunden seinem Freunde Guiscard gezeigt hatte. – Der Reiter war der Marquis selbst.

Der Anblick seines Gegners entlockte dem jungen – Manne einen tiefen Seufzer; sein Haß gegen den Marquis war ja nicht so groß, daß er kein anderes Gefühl hätte hegen können. Er wollte weiter gehen, als er bemerkte, daß der Marquis sein Pferd anhielt.

Der Marquis war hinter einer Biegung der Straße bereits verschwunden, und Fontanieu hörte mehre Stimmen, unter denen er eine Frauenstimme zu unterscheiden glaubte.

Wenn er weiter ging, mußte er wenige Schritte an dem Reiter vorübergehen, und dies wäre ihm gar nicht lieb gewesen; sein Stolz sträubte sich indeß gegen die Umkehr. Er nahm einen Ausweg: er ging an den Fluß hinunter und blieb dicht an der Böschung.

Er hörte die Stimmen nun deutlicher und der Dämon der Neugierde trieb ihn an zu lauschen.

Er schaute durch die Bäume und sah zwei Frauen. Die eine, welche bejahrt zu sein schien, stand in einiger Entfernung, während die andere die Hand auf den Hals des Pferdes gelegt hatte und vertraulich mit dem Marquis plauderte.

Die letztere war jung und sehr schön. Fontanieu zweifelte gar nicht, daß es die schöne Margarethe Gelis sei, von der ihm der Chevalier von Montglas eine für seine Eigenliebe so schmeichelhaft stille Neigung verrathen hatte.

Er bezweifelte es noch weniger, als er sah, wie sich der Marquis bückte, ihre Hand faßte, einen Kuß auf ihre Stirn drückte und ihr zum Abschied ganz vertraulich sagte: »Diesen Abend!«

Fontanieu war höchst aufgebracht; eine Anwandlung von Eifersucht weckte in seiner Seele den Haß, den er bis dahin noch nicht gegen den Marquis gefühlt hatte. Seine Eifersucht wurde indeß nicht durch die Vertraulichkeiten, die sich der Marquis mit Margarethe Gelis erlaubte, sondern durch den Gedanken erregt, daß sein Gegner in der düstern Stimmung, die er bei ihm ebenfalls voraussetzte, den Trost der Liebe hatte. Seine Verlassenheit schien ihm eine große Ungerechtigkeit des Schicksals und erinnerte ihn an die von Montglas kurz vorher entwickelten Grundsätze.

Fontanieu war in der Liebe noch eben so sehr ein Neuling wie in den sogenannten Ehrensachen; die Theorie war gut, aber die Praxis fehlte ihm noch. Die Erfahrung mußte bei ihm durch Eifer und guten Willen ersetzt werden. Der überreizte Gemüthszustand, der durch die Aussicht auf das nahe Duell hervorgerufen wurde, machte ihm Lust mit einer andern Art von Abenteuer einen Versuch zu machen. Das schöne Mädchen mußte auf dem Wege zur Stadt an ihm vorbeigehen. Er erwartete sie ohne einen bestimmten Entschluß, aber mit dem festen Vorsatz, seine Schiffe hinter sich zu verbrennen, wenn es die Umstände erheischten.

Die Dunkelheit machte ihn noch kühner, denn es war« inzwischen Nacht geworden. Als aber Margarethe oder wenigstens die, welche er dafür hielt – nur noch einige Schritte von ihm entfernt war, als er das Rauschen des seidenen Kleides auf dem Sandwege hörte, fing sein Entschluß an zu wanken, sein Blut langsamer durch die Adern zu strömen, sein Athem zu stocken; aber er bedachte, daß er morgen eine Degenspitze oder die Mündung eines Pistols vor sich haben werde und die Fassung nicht verlieren dürfe, und ohne sich weiter zu besinnen, verließ er seinen Versteck und war mit einem Sprunge an der Allee.

Die inneren Stürme, die den jungen Mann bewegten« mochten wohl seinem Gesicht einen etwas verstörten Ausdruck gegeben haben; denn die junge Dante schrie laut auf, als sie ihn erblickte. Die ältere, welche wohl vertrauter; mit der Gefahr sein mochte, trat zwischen ihre Begleiterin und Fontanieu, und hielt ihm entschlossen ihren Regenschirm entgegen.

Fontanieu machte jedoch keine Bewegung, um den Angriff fortzusetzen; er war ganz erstaunt über die Schönheit der jungen Dame und über den feinen, vornehmen Anstand, den er an ihr bemerkte und der mit ihrer sehr schiefen gesellschaftlichen Stellung im Widerspruch zu stehen schien. Er fühlte jetzt, daß es ihm weit leichter sein werde, den Marquis von Escoman trotzzubieten, als den Blick dieser großen blauen Augen auszuhalten. Er hatte seine Fassung verloren und wollte sich beschämt zurückziehen; aber die alte Dame ließ ihm nicht Zeit dazu.

Mitten in der schnell zunehmenden Dunkelheit hatte sie die Verlegenheit Fontanieu‘s nicht bemerkte sie sah sich nach Hilfe um, ohne jedoch ihre Vertheidigungsposition aufzugeben.

»Ich hoffe, lieber Freund,« sagte sie in der Voraussetzung, daß der junge Mann ein Räuber sei, »ich hoffe, wir werden uns verständigen. Thun Sie uns nichts zu Leide, und Madame wird Ihnen ihre Börse geben. Es ist ein schöner blanker Louisd’or darin, ich habe ihn selbst hineingethan, ehe wir fortgingen; mehr haben wir nicht bei uns, so wahr Susanne Mottet eine ehrliche Frau ist. Auf die Promenade nimmt man keine Capitalien mit – und im Grunde ist ein Louisd’or auch nicht zu verachten; Sie können schon einige Tage damit leben – denn ohne Zweifel werden Sie durch die Noth zu dieser schlechten That getrieben.«

Und ohne die Annahme ihres Vorschlags abzuwarten, griff sie mit der Hand, welches bei der defensiven Haltung des Regenschirms entbehrlich war, in die Tasche ihrer Herrin, nahm eine grünweiße Börse heraus, durch deren Maschen man das blanke Goldstück sah, und warf sie dem jungen Manne vor die Füße.

Der Irrthum Susannens gab dem Letzteren eine Keckheit, die er unter andern Umständen gewiß nicht gehabt haben würde.

»Sie irren sich, meine liebe Dame,« sagte er, die Geldbörse aufnehmend. »Ihre Börse verlange ich nicht als Lösegeld —«

»Gerechter Himmel!« rief Susanne,« was verlangen Sie denn?«

»Nichts und viel, wie Sie es nehmen wollen – ein Almosen und einen Schatz: einen einzigen Kuß von Ihrer Begleiterin,« antwortete Fontanieu mit einem Tone, dem er einen ungezwungenen, liebenswürdigen Ausdruck zu geben suchte.

Die Marquise von Escoman, die er für Margarethe Gelis hielt, hatte bis dahin kein Wort gesprochen, obgleich sie den Irrthum ihrer Begleiterin über das plötzliche Erscheinen des jungen Mannes nicht theilte.

Sie war nichtsdestoweniger sehr erschrocken, als sie eine Viertelstunde von der Stadt, in der Dunkelheit einen Unbekannten vor sich sah. Die Unsicherheit, welche sie in der Stimme des jungen Mannes bemerkte, gab ihr indeß einigen Muth wieder. Seine lebten Worte weckten in ihr das Gefühl der verletzten weiblichen Würde; sie trat auf Fontanieu zu, der ihr die Börse überreichte und den Arm ausstreckte, um seinen Tribut zu empfangen.

»Halt, mein Herr!« sagte sie kalt, »wir wollen die Sache lieber so lassen, wie Susanne vorgeschlagen hat. Des Verlustes einer Kleinigkeit werde ich mich stets mit Gleichgültigkeit erinnern, aber es würde mir weh thun, wenn ein dem Anscheine nach gebildeter Mann die mir schuldige Achtung verletzte.«

»Wie groß auch mein Wunsch ist, Ihnen zu gefallen,« erwiederte Fontanieu, der sich bemühte das Gespräch in dem gleichen Tone fortzusetzen, »kann ich mich doch nicht entschließen, in Ihren Augen als Straßenräuber zu gelten.«

»Sie haben Unrecht mein Herr; diese letzte Rolle ist nicht gehässiger als die, welche Sie durch den Angriff einer wehrlosen Frau spielen, und in meinen Augen viel weniger lächerlich.

Fontanieu war ganz erstaunt. Eine Grisette in Châteaudun konnte sich unmöglich mit dieser imponirenden Würde und zugleich so ungezwungen ausdrücken. Er fing daher an zu fürchten, daß er sich geirrt habe, und es folgte eine kurze Pause, in welcher er seine Verlegenheit verrieth.

Susanne Mottet errieth zuerst die Ursache dieses Stillschweigens.

»Mein Gott!« sagte sie, ihren Regenschirm drohend erhebend, »diese schreckliche Beleidigung hat wieder der Herr Marquis verschuldet. Er ist erstaunt, uns allein zu begegnen, und trotzdem reitet er weiter, statt seine —«

»Susanne,« sagte die Marquise ernst, »vergessen Sie sich nicht!«

Aber diese unterbrochenen Worte der erbitterten Feindin Escoman’s hoben alle Zweifel des jungen Wegelagerers und führten ihn wieder auf den zuerst betretenen Weg.

Susanne wollte sagen: »seine Frau;« Fontanieu aber verstand: »seine Geliebte.«

Der Marquis war so zügellos in seinen Sitten, die Marquise hingegen lebte so eingezogen, daß Louis von Fontanieu wohl von seiner Maitresse gehört hatte, aber von der Marquise fast gar nichts wußte. Mit etwas mehr Erfahrung würde er gewußt haben, daß sich ein Mann wie der Marquis von Escoman gegen seine Maitresse nicht so benimmt, wie es Susanne rügte, sondern derlei Unhöflichkeiten nur für seine Frau aufspart. Aber er war erst in das Leben eingetreten und daher noch kein scharfer Beobachter, und die junge Dame, für welche die alte Susanne so rührend das Wort genommen, schien ihm mehr als je Margarethe Gelis zu sein.

 

Er nahm das Geldstück aus der Börse und reichte es der Dame ans der einen Hand, während er die Börse mit der andern an sein Herz drückte.

»Nein, mein Herr,« antwortete die Marquise, den Kopf schüttelnd, »nicht das Eine ohne das Andere.«

Louis von Fontanieu gab seine Ungeduld zu erkennen.

»Ich sehe wohl,« sagte er, »daß wir uns nicht so schnell verständigen werden. Die Nacht bricht an, und ich bitte Sie um Erlaubniß, Sie bis an das Stadtthor zu begleiten; wir können ja unterwegs die Sache besprechen.«

»Nein, mein Herr,« antwortete die Marquise, »wir sind jetzt ausgeplündert und haben daher keinen Raubanfall mehr zu fürchten. Behalten Sie daher Geld und Börse und lassen Sie uns fortgehen.«

»In der That,« sagte Fontanieu, den diese unerwartete Kälte ärgerte, »man hatte mir Hoffnung auf eine bessere Aufnahme gemacht.«

»Darf ich fragen, mein Herr, wer so gütig gewesen ist, für meine Gesinnung zu bürgen?«

»Ein Bekannter, der die Ihnen von dem Marquis d‘Escoman bereitete Stellung kennt.«

»Sie kennen also den Marquis von Escoman und die Stellung, die er mir bereitet hat?« erwiederte Emma ganz erstaunt.

»Wie abscheulich!« eiferte Susanne. »Die Stellung, die er Ihnen bereitet hat! Jedermann weiß in Châteaudun, wie er sich gegen uns benimmt. Wer weiß, ob uns nicht der Herr Marquis selbst diese Falle gestellt hat.«

»Ich heiße Louis von Fontanieu,« erwiederte der junge Mann mit Verwunderung über die Haltung der vermeinten Margarethe Gelis. »Es ist also nicht auffallend, daß ich einen Mann von meinem Stande kenne.«

»Mein Herr,« sagte Emma, »bis jetzt betrachtete ich Ihr Benehmen nur als eine Unbesonnenheit, jetzt aber bekommt es das Ansehen einer Schlechtigkeit. Sie sind indeß noch jung, Sie sind ein Edelmann und gewiß noch nicht unempfänglich für Ehre. Erlauben Sie daher, daß ich Sie als Edelmann behandle. Ich beschwöre Sie, verlängern Sie diesen empörenden Auftritt nicht; Sie kennen mich nicht und ahnen daher auch nicht, wie weh Ihre letzten Worte einem ohnedies schon tief verwundeten Gemüthe gethan haben.«

Aus den Worten der Marquise sprach ein so tiefes, Gefühl« daß Fontanieu sogleich seine Eroberungsgedanken aufgab und seine Keckheit zu bereuen begann.

»Verzeihen Sie mir,« sagte er, »ich habe Sie schwer beleidigt; ich habe Sie verkannt und mich durch den Ruf, in welchem Sie stehen, verleiten lassen. Mein Unrecht ist um so größer, da ich Ihnen nur in meiner Verstimmung, in meinem Schmerze eine ungenügende Entschuldigung bieten kann.

»Verstimmung? Schmerz?« erwiederte die Marquise mit Ironie.

»Finden Sie das so erstaunlich?« fragte Louis von Fontanieu.

»Ich wundere mich darüber, weil ich an einen Schmerz nicht glaube, der noch einer Hoffnung Raum gibt, und weil Sie mir noch viel zu jung scheinen, um nicht mehr hoffen zu können.«

»Sie glauben also meinen Worten nicht?«

»Was kann Ihnen daran liegen, ob ich Ihren Worten traue oder nicht? Ich habe Sie nur durch eine Unschicklichkeit kennen gelernt – Sie sehen, daß ich den allermildesten Ausdruck für Ihre Handlungsweise wähle. Was in Ihrem Innern vorgeht, kümmert mich nicht, ich verlange nur, daß Sie mir aus dem Wege gehen.«

»Ich bitte Sie,« erwiederte Fontanieu, »gehen Sie so nicht von mir, es würde mir Unglück bringen; ich befinde mich in einer Lage, wo man der Verzeihung bedarf. Noch ein Wort, und vielleicht wird meine Offenheit für mich reden. Ich will Ihnen mit wenigen Worten Alles sagen, selbst auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen. Ich will lieber lächerlich als gehässig erscheinen; Sie sehen also, daß mir vor Allem an meiner Entschuldigung liegt. Ich habe morgen ein Duell; vielleicht wissen Sie es schon, denn in dieser kleinen Stadt findet ja das unbedeutendste Ereigniß ein Echo.«

»Ich habe es noch nicht gewußt,« antwortete dies Marquise mit einiger Ironie; »aber die peinliche Stimmung, von der Sie sprechen, ist doch wohl nicht durch dieses Duell hervorgerufen worden?«

Louis von Fontanieu erröthete und biß sich in die Lippen.

»Sie haben Recht, Madame,« sagte er, »ich fürchte keineswegs den Tod; aber Angesichts des Grabes, das für mich vielleicht schon gegraben ist, stehe ich allein, verlassen, mitten unter fremden Menschen, wie in einer Wüste, ohne ein befreundetes Herz, dem ich meine Gedanken mittheilen könnte, ohne ein zärtliches, trauliches Wort von süßlächelden Lippen zu hören. Das ist die Ursache meiner peinlichen, trostlosen Stimmung, die mich so eben zu der schlechten That trieb.«

»Sie sollten lieber sagen,« erwiederte Emma, »daß« Sie verrückt sind.«

»Ja, ich war es vielleicht vor einer Weile, aber jetzt bin ich es nicht mehr. Man sagt ja, daß die Wahnsinnigen nicht weinen, und ich fühle Thränen in meinen Augen. – O, wenn meine gute Mutter bei mir wäre! sie ist jetzt vielleicht recht heiter und sorglos, ohne zu ahnen, daß sie ihren Sohn vielleicht nie wieder sehen wird!«

Fontanieu sprach mit so tiefem, wahrem Gefühl, daß die junge Dame gerührt wurde.

»Armer junger Mann!« sagte sie, »Gott wird Ihrer Mutter den letzten Trost nicht rauben; suchen Sie daher bei Gott den Trost, dessen Sie bedürfen.«

»Sie sehen, daß ich nicht so schuldig war, wie ich schien,« sagte Fontanieu, indem er ein Knie vor der jungen Dame beugte. »Gewähren Sie mir also die Verzeihung, um die ich Sie bitte, und nehmen Sie mit diesem Goldstück Ihre Börse zurück. Ach! ich hätte gern einen Talisman daraus gemacht, der die Stelle Ihres holden Bildes in meinem Herzen vertreten haben würde.«

Die Marquise von Escoman nahm ihre Geldbörse und rollte sie, wie in Gedanken vertieft, zwischen den Fingern zusammen.

In diesem Augenblicke hörte man auf dem Fahrwege das Rollen eines Wagens. Dieses Geräusch erinnerte die Marquise an die Nothwendigkeit, dieser Scene ein Ende zu machen. Sie ging an Louis von Fontanieu vorüber und sagte mit einem beinahe freundlichen Wink:

»Fassen Sie Muth. Ich kann Ihnen zwar nicht bieten, was Sie suchen; aber wenn Sie glauben, daß das Gebet einer fremden Person nicht schaden könne, so werde ich Sie in mein Gebet mit einschließen.«

Sie entfernte sich schnell und mit vornehmer Haltung . Fontanieu machte keine Bewegung, sie zurückzuhalten.

Er schaute den beiden Frauen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden waren. Dann stand er auf, und als er sich mit der Hand auf die Erde stützte, faßte er die Geldbörse, welche die Marquise in der Eile hatte fallen lassen.

Er drückte die Börse an seine Lippen und eilte fort um sie der Eigenthümerin zurückzugeben; aber er besann sich und stand wieder still. Warum sollte er sich von einem Gegenstande trennen, der ihn an dieses schöne wunderholde Weib erinnerte – an ein Wesen, das ihn entzückte, dem er sein ganzes Leben zu widmen beschloß!

Nicht ohne einiges Zögern gab er der Versuchung nach. Der Louisd’or steckte wieder in der Börse, und um so mehr war er verpflichtet, sie der Eigenthümerin zurückzugeben.

Während er noch mit seinem Gewissen zu Rathe ging, fühlte er einen leisen Schlag ans seiner Schulter.

Er sah sich um und erkannte die alte Dame, die wieder umgekehrt war.

»Mein Herr«s sagte Susanne fast athemlos und daher nicht in so feierlichem Tone, wie sie wohl beabsichtigt hatte, »ich habe wohl gewußt, daß Sie morgen ein Duell haben, ich weiß auch mit wem. Schonen Sie Ihren Gegner nicht, und wenn Gott Sie zum Werkzeuge seiner Rache, oder vielmehr seiner Gerechtigkeit macht, so hoffen Sie. Denn ich werde dann die beste Freundin des Mannes sein, der meinem armen Kinde Freiheit und Glück wiedergibt.«

Und ohne Fontanieu‘s Antwort abzuwarten, verschwand Susanne Mottet wieder in der Dunkelheit.

Wie räthselhaft unserm Helden auch die Worte der alten Dame schienen, so machten sie doch seiner Unschlüssigkeit ein Ende. Er dachte, der Verlust der Geldbörse sei wohl nicht ganz unfreiwillig, und nahm sich fest vor, über das ihm so seltsam scheinende Verhältniß des Marquis von Escoman zu Margarethe Gelis genaue Erkundigung einzuziehen.

Er steckte die Börse mit dem darin befindlichen Goldstück in die Westentasche und flüsterte den Namen Margarethe mit schwärmerischer Zärtlichkeit.

Viertes Capitel.
Das Duell

Louis von Fontanieu kam in einer kaum zu beschreiben den Aufregung nach Hause. Er fand nun Alles erklärlich, was ihm der Chevalier von Montglas über die leidenschaftliche Liebe des Marquis von Escoman für Margarethe Gelis gesagt hatte; ein so reizendes Geschöpf zu lieben, war gewiß verzeihlich.

Nach und nach aber erblickte er die Wirklichkeit durch die in seinem Geiste zurückgebliebene glänzende Luftspiegelung. Morgen sollte er dem Marquis von Escoman, der schon manche Ehrensache muthig ausgefochten, im Zweikampf gegenüberstehen. Er hingegen hatte noch nie ein Duell gehabt.

Man wird es vielleicht befremdend finden, wenn ich behaupte, daß der Muth mindestens eben so sehr eine Sache der Gewohnheit wie des Temperamentes sei. Man gewöhnt sich an die Gefahr wie an Alles; wenn man einigemale eine, und dieselbe Gefahr glücklich überstanden hat, so scheint dieselbe geringer als im Anfange, und zum fünften oder sechsten Male geht man ihr mit weit ruhigerem Herzen entgegen, als das erste Mal.

Es war daher natürlich, daß Louis von Fontanieu von Zeit zu Zeit von einem bangen Gefühl ergriffen wurde, und obgleich er seine Gedanken mit andern Dingen zu beschäftigen suchte, so gedachte er doch nicht ohne tiefe Worte des Evangeliums: Mensch, Du bist Staub, und wirst wieder zu Staub werden!

Gegen zehn Uhr Abends wurde die Glocke an seiner Thür gezogen und sein Diener meldete die Herren von Mauroy und von Apremont.

Mauroy, der Vetter Fontanieu‘s, hatte ihn, wie wir wissen, in die vornehme Gesellschaft von Châteaudun eingeführt,und kam nun, um über seine Unterredung mit den Sekundanten des Marquis von Escoman Rechenschaft zu geben. Herr von Apremont war der Freund, der ihn begleitet hatte.

Die Sache war schnell abgethan worden. Als Waffe hatten beide Parteien den Degen gewählt, und das Duell sollte am andern Morgen um sieben Uhr in einem nahen Wäldchen stattfinden.

Herr von Mauroy sah seinen Vetter scharf an, während er ihm Bericht abstattete; er suchte zu errathen, ob im entscheidenden Augenblicke auf die Stärke seiner Nerven zu zählen sei.

Louis von Fontanieu hörte ganz ruhig zu.

»Sie sind also mit dem Degen vollkommen vertraut?« fragte Mauroy.

»Vertraut ist viel gesagt,« erwiederte Louis; »ich führe morgen den Degen zum ersten Male in einer ernsten Sache; ich bin aber auf dem Fechtboden eben nicht ungeschickt gewesen.«

»In der That,« sagte Apremont, »ich sehe dort an der Wand Rapiere und Masken.«

»Würde es Ihnen unangenehm sein, lieber Vetter,« fragte Herr von Mauroy, »mir eine Probe Ihrer Fechtkunst zu geben?«

»Durchaus nicht,« sagte Louis von Fontanieu; »ich will noch einige Kerzen anzünden, es ist nicht hell genug.«

Fontanieu zündete alle Kerzen und Lampen an, die er in seiner Wohnung hatte, und das Zimmer, in welchem sich die drei Herren befanden, wurde taghell erleuchtet.

Mauroy und er nahmen die Mensur, nahmen die Rapiere und fingen ihre Fechtübung an.

Louis von Fontanieu war, wie schon erwähnt, ein Zögling der Militärschule von St. Cyr, und hatte natürlich auch Fechtunterricht erhalten. Seine große, kräftige, geschmeidige Gestalt war ihm dabei sehr zu Statten gekommen, und er war aus dem Fechtboden einer der Besten geworden.

Er traf seinen Vetter dreimal, während dieser ihn nur einmal mit der Spitze seines Rapiers berührte.

»Ich bin sehr mit Ihnen zufrieden, lieber Vetter,« sagte Mauroy; ich habe mich mit dem Marquis von Escoman nie gemessen und kann Ihnen daher über seine Fechtart nichts Näheres sagen. Aber ich glaube, daß Herr von Apremont dem Marquis etwa gleichkommt. Wollen Sie mir erlauben, ihm das Rapir zu übergeben?«

»Herr von Apremont wird mir viel Ehre erweisen,« antwortete Fontanieu mit jener natürlichen Höflichkeit, dir aus einem Fechtboden fast zur Etikette wird.

Apremont nahm das Rapir und legte sich aus.

Dieses Mal waren sich die beiden Gegner ziemlich gleich. Apremont stand in dem Rufe eines guten Fechters und Pistolenschützen. Nach einer Viertelstunde war er viermal, Louis dreimal getroffen worden.

 

»Sie können’s mit dem Marquis sehr wohl aufnehmen,« sagte Apremont.

Fontanieu dankte seinen beiden »Gevattern«, die sich mit dem Versprechen entfernten, ihn in der Frühe um halb sieben Uhr abzuholen.

Louis blieb allein, die beiden Rapiere und die Maske in der Hand haltend; die zweite Maske war noch aus seinem Gesicht.

Er hängte Rapiere und Masken wieder an die Wand und setzte sich an seinen Schreibtisch, um an seine Mutter zu schreiben.

In diesem Briefe, der nur im Falle eines Unglücks abgeschickt werden sollte, schüttete er sein ganzes Herz aus und gab allen seinen zärtlichen Gefühlen einen Ausdruck. Bei den letzten Zeilen flossen seine Thränen.

Es war weder Furcht noch Schwäche, sondern eine ungemein starke Aufregung.

Er siegelte den Brief, aber nun schien es ihm, als ob er seiner Mutter noch viel zu sagen hätte.

Er erbrach das Siegel und schrieb noch vier Seiten voll.

Dann ging er zu Bett und dachte an Margarethe Gelis.

Sein Schlaf war ziemlich ruhig.

Er träumte, sein Schlummer werde von den beiden Frauen bewacht. Sie standen auf beiden Seiten seines Bettes, und allmälig bekamen sie Flügel, so daß zwei Engel daraus wurden.

Gegen fünf Uhr erwachte er. Der Tag brach an. Louis hatte noch eine halbe Stunde Zeit, an die beiden Gestalten zu denken, welche die ganze Nacht an seinem Lager gewacht hatten.

Um sechs Uhr kamen Mauroy und Apremont. Sie fanden ihn völlig angekleidet und bereit ihnen zu folgen.

Sie brachten Degen mit, welche sowohl dem Marquis von Escoman als dessen Gegner unbekannt waren.

Die Freunde sprachen noch eine Viertelstunde von gleichgültigen Dingen und brachen dann auf.

« Der Wagen Mauroys hielt vor der Thür.

Ein junger Arzt war zum Stelldichein beschieden. Fünf Minuten nachher war Louis von Fontanieu auf dem Kampfplatz.

Einige Minuten nachher kam auch der Marquis von Escoman in Begleitung Guiscard’s und des Chevalier von Montglas.

Die Gegner begrüßten sich mit einer leichten, aber höflichen Verbeugung; die vier Sekundanten traten zusammen, der Arzt blieb in einiger Entfernung.

Die Unterredung der Sekundanten war kurz, die Bedingungen waren ja bereits festgestellt worden. Es blieben nur die Degen zu wählen.

Man warf ein Goldstück in die Höhe; der Marquis hatte die Wahl. Er wählte die Degen seines Gegners, ohne dieselben in Augenschein zu nehmen.

Die Degen wurden den Gegnern von den Secundanten überreicht, und jeder von ihnen zog seinen Rock aus.

Der Chevalier von Montglas und der Vicomte von Mauroy stellten sich, mit dem Stock in der Hand, neben die Kämpfenden und gaben das Zeichen.

Die Klingen kreuzten sich. Der Marquis von Escoman schien vollkommen ruhig und gefaßt; ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen, und hätte sich seine Stirn nicht in leichte Falten gezogen, so hätte man glauben können, es sei eine gewöhnliche Fechtübung gewesen.

Louis von Fontanieu war mehr fest und entschlossen als ruhige seine Füße schienen am Boden festgeniete;z man sah es ihm an, daß er den festen Vorsatz hatte, keinen Schritt zurückzuweichen; seine etwas emporgezogene Oberlippe zeigte unter dem kleinen Schnurrbart die fest aufeinandergedrückten weißen Zähne; sein Auge funkelte von Muth und zugleich von Lebenslust; man sah es ihm an, daß er nicht sterben wollte und mit seiner ganzen Willenskraft am Leben festhielt.

Der Marquis von Escoman hatte anfangs geglaubt, mit seinem Gegner leicht fertig zu werden, aber schon im ersten Gange erkannte er an der Kraft und Gewandtheit Fontanieu‘s den Meister in der Fechtkunst. Er war daher vorsichtig, um das Spiel seines Gegners zu beobachten; dann aber fiel er plötzlich mit aller Gewalt aus, und er würde seinen Gegner durch und durch gestoßen haben, wenn seine Degenspitze nicht auf einem harten Gegenstande abgeglitten wäre; sie streifte nur die Rippen Fontanieu‘s

Dieser parirte instinctmäßig die Klinge, die er in seiner Seite fühlte, und zwar mit solcher Heftigkeit, daß dem Marquis der Degen aus der Hand fiel.

Fontanieu’s Hemd färbte sich mit Blut.

Ehe sich der Marquis bückte, um seinen Degen wieder aufzunehmen, stellte Louis behende den Fuß auf die Klinge.

Wie muthig und sorglos auch der Marquis war, so fühlte er doch in den wenigen Secunden, welche dieser Zwischenfall dauerte, einen Todesschauer durch seine Adern laufen. Er mußte denken, sein Gegner, durch die Wunde gereizt, werde den Stoß erwiedern. Aber statt nachzustoßen, hob Fontanieu den Degen des Marquis auf und überreichte ihm denselben.

Der Marquis legte sich wieder aus und Fontanieu kreuzte mit gleicher Schnelligkeit die Klinge.

Aber als der Kampf wieder anfangen sollte, trat der Chevalier von Montglas vor und trennte die Klingen durch einen tüchtigen Stockschlag.

»Es ist genug, meine Herren!« sagte er; »der Ehre ist Genüge geleistet. Marquis, vergessen Sie, daß Herr von Fontanieu in Ermanglung eines hinlänglichen Vermögens eine Stellung gesucht, ohne auf die Cocarde Rücksicht zu nehmen, und drücken Sie als Freund die Hand, in welcher einen Augenblick Ihr Leben war.«

Die andern Zeugen stimmten dem Chevalier bei und erklärten, daß sie eine Fortsetzung des Kampfes nicht dulden würden.

Der Marquis von Escoman fügte sich willig ihren dringenden Bitten.

»Von Herzen gern, Montglas; ich habe Herrn von Fontanieu Unrecht gethan, und er hat sich so ehrenvoll gerächt, daß mir nichts übrig bleibt, als um die Ehre seiner Freundschaft zu bitten.«

Fontanieu nahm die Hand, die ihm der Marquis reichte.

»In der That,« sagte Escoman, »es freut mich, daß meine tiefe Quart keinen bessern Erfolg gehabt hat. Es ist ein Opfer, das meine Eigenliebe dem Gewissen bringt, denn ich hatte die Ueberzeugung, diesen von einem Fechtmeister meines Regiments erlernten Stoß meisterhaft zu führen. Ich glaube übrigens, daß das wunderbare Gelingen Ihrer Parade weniger eine Folge des von Ihrem Degen beschriebenen Halbkreises als eines Hindernisses war, das meine Klinge unter Ihren Kleidern traf.«

Fontanieu, der noch sehr aufgeregt war, sah in den Worten des Marquis mehr als eine einfache und gleichgültige Frage, er glaubte, sein Gegner setze Zweifel in seine Ehrlichkeit und riß schnell sein Hemd auf, um seine entblößte Brust zu zeigen.

Man sah die von dem Degen des Marquis gezogene blutige Furche.

Der Marquis errieth die Gedanken seines Gegners.

»Glauben Sie denn,« setzte er hinzu, »daß ich nach der ritterlichen Großmuth, welche Sie gegen mich bewiesen, einem bösen Gedanken Raum geben könne? Nein, ich vermuthe blos, daß meine Degenspitze Ihre Uhr und eine jener Kleinigkeiten welche die jungen Leute als Talisman oder Amulette bei sich zu tragen pflegen, getroffen hat. Ich selbst bin nicht mehr jung und trage doch noch solche Siebensachen.«

»Escoman hat Recht,« sagte der Chevalier von Montglas, »und es ist erlaubt, eine sonderbare Thatsache aufzuklären. Ich habe im Jahre 1814 erlebt, daß ein Dragoneroffizier des Usurpators, mit dem ich mich schlug, seinen Degen an meinen Berlocken zerbrach; er hätte mir sonst die Klinge durch den Leib gestoßen. Ich stieß nach —«

Der Chevalier hielt erröthend inne. Er erinnerte sich, daß er ebenfalls eine Ehrensache hatte, und daß die Erzählung seiner Heldenthaten nicht am rechten Orte war.

»Ich glaube, daß Sie Recht haben, Herr Marquis,« sagte Louis von Fontanieu, der inzwischen in seine Westentasche gegriffen hatte. »Belieben Sie sich selbst zu überzeugen.«

Er zog die ganz vergessene kleine Börse heraus, welche seinen blutigen Fingern entglitt und auf den Rasen fiel.

Montglas nahm die Börse auf, zog das Goldstück heraus und betrachtete es aufmerksam.

»Ein Seitenstück zu dem Degenstoß auf meine Berlocken,« sagte er frohlockend. »Sehen Sie, Herr Marquis, das Gold hat trotz seiner Härte eine Schramme. Dieses Geld war gut angelegt, wie einst ein geistreicher Mann sagte.«

Der Chevalier reichte dein Marquis die Börse und das Goldstück.

Fontanieu erblaßte; er fürchtete, der Marquis werde einen Gegenstand erkennen, welcher, wie Louis glaubte, seiner Geliebten gehörte.«