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Liebesdramen

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Siebentes Capitel.

Wie ein schlechter Rechtshandel auszubeuten ist

Der Marquis von Escoman reiste seiner Gemahlin wirklich nach.



Er hatte zu viele vertraute Freunde, als daß ihm lange unbekannt geblieben wäre, was in der Carmeliterstraße vorging.



Wozu würde auch ein vertrauter Freund nützen, wenn er dem Freunde nicht Alles erzählte, was diesem unangenehm sein muß? Und er erzählt es in einer Weise, die ihm noch schönen Dank erwirbt.



Guiscard, der unter der ganzen nobeln Sippschaft dem Marquis am nächsten stand, zeigte bei dieser Gelegenheit eine chevalereske Hingebung und Selbstverläugnung. Obgleich kaum genesen von seiner Wunde, verließ er sein Zimmer, um dem Marquis die bereits stadtkundige Geschichte zu erzählen.



Wie das Gerücht sagte, hatte Margarethe die Marquise mit Herrn von Fontanieu überrascht; das Aufsehen, welches die Grisette gemacht hatte, schien der geschäftigen Fama noch nicht zu genügen, sie setzte hinzu, die beiden Geliebten Fontanieu’s seien handgemein geworden, und durch ihren Dolmetscher Guiscard fügte sie noch einige Einzelheiten bei, die sogar dem Marquis von Escoman das Blut in die Wangen trieben.



Der Wüstling, der eine tugendhafte Frau hat, fühlt sich gemeiniglich in seiner Eitelkeit geschmeichelt; er schreibt die Ehrenhaftigkeit und den guten Ruf der Dame, welche seinen Namen führt, nicht ihrem tadellosen Wandel; sondern seinem persönlichen Verdienste zu. Ueberdies betrachtete der Marquis von Escoman die von ihm nicht erwiederte und sehr gering geachtete Zuneigung der Marquise als einen Theil ihres Heiratsgutes. Dieses wollte er wohl vergeuden, aber sich nicht stehlen lassen.



Die Mittheilung Guiscard’s machte daher einen weit größeren Eindruck aus ihn, als zu erwarten war. Sein Verdruß war um so größer, da Louis von Fontanieu sich schon einmal einer Beleidigung gleicher Art gegen ihn schuldig gemacht hatte.



Er sprach daher mit Guiscard von einem zweiten Duell mit dem Secretär und erklärte, daß diesesmal der eine der beiden Gegner auf dem Platze bleiben müsse.



Vor Allem aber mußte er eine Erklärung mit der Marquise haben. Sie konnte ja verleumdet worden sein; er bestellte daher seinen Freund auf den folgenden Tag wieder und erwartete die Marquise.



Sie kam nicht.



Bis dahin hatte das Unglück des Marquis nur Füße gehabt, es bekam nun einen Körper und ein Gesicht.



Während er mit sich zu Rathe ging, ob er nicht sofort zu Fontanieu schicken solle, wurde leise an der Thür geklopft.



Der Kammerdiener fragte, ob der Herr Marquis geneigt sei, seinen Advocaten zu empfangen.



Der Marquis sah die Nothwendigkeit nicht ein, aber er fand auch nichts dagegen einzuwenden.



Der Advocat wollte sich blos zu seiner Verfügung stellen.



Der Marquis machte große Augen; er hatte nie gehört, daß es Sitte sei, seinen Rechtsfreund als Sekundanten zu nehmen. Aber der Advocat erklärte ihm, einem in der Stadt verbreiteten zweiten Gerücht zufolge werde der Herr Marquis eine Scheidungsklage gegen seine Gemahlin anhängig machen Advocaten wittern so gut wie Geier, wo es ein Blutbad gibt.



Der Marquis wurde nachdenkend. Da der Advocat gerade bei der Hand war, so konnte er ihn gleich um Rath fragen.



Ein Advocat gleicht dem Futter, welches sich mit Leichtigkeit an den Stoff anschmiegt. So fand sich auch der Rechtsfreund des Marquis schnell in die Situation. Er begann mit einer Homilie über die Barbarei des Vorurtheils, wodurch das Recht und die Gerechtigkeit der Diskretion des Glückes und eines blutigen Kampfes preisgegeben werde. Dabei ließ er mitten unter den Gemeinplätzen des Hauptthemas eine mit Drohungen gespickte Aeußerung fallen, welche die Aufmerksamkeit des Marquis mehr anregte, als das ganze übrige Gesalbader.



Er sagte, ein Zweikampf zwischen dem Marquis und Fontanieu sei ungleich; denn der Letztere wage dabei nur sein Leben, der Marquis hingegen setze außer seinem Leben auch sein Vermögen auf’s Spiel.



Und er bewies dies durch die Bilanz, aus welcher sich ergab, daß sein Client nur von dem Vermögen seiner Frau lebe. Er hielt es daher für unklug, die Marquise zu erbittern, ehe man die Gewißheit habe, einen entscheidenden Schlag führen zu können. An gerichtliche Schritte sei nicht zu denken, wenn man keinen andern Beweis als die dermaligen zweifelhaften Zeugnisse vorbringen könne. Die Marquise werde darin die Veranlassung zu einer Einrede finden, welche für den Marquis, dessen Lebenswandel leider notorisch sei, sehr üble Folgen haben könne.



Der Marquis ließ den Advocaten ausreden. Er fragte ihn, ob er ihn für einen Pedanten halte, und drohte ihn zur Thür hinauszuwerfen.



Der Advocat zog mit frostigem Lächeln einige Papiere aus der Brusttasche und fragte den Marquis, ob er morgen in der Lage sein werde, die Summe von zehn- bis zwölftausend Francs zu zahlen.



Der Marquis erblaßte und stammelte. Der Advocat benutzte seine Verlegenheit, um ihm mitten auf die Brust einen Stoß zu geben.



Der Herr Marquis, sagte er, habe viele Schulden, die nur durch das Leben des Schuldners und durch fortdauernde Familieneintracht garantirt würden. Diese Eintracht sei gestört und der Herr Marquis sei in Gefahr, sein Leben zu verlieren. Dies könne er, der Advocat, nicht dulden; er sei zwar dem Herrn Marquis vom Herzen ergeben, allein andere Clienten, welche durch seine Vermittlung Geld vorgeschossen, dürften nicht zu Schaden kommen. Es sei seine Pflicht, sie auf die Gefahr, die ihnen drohe, aufmerksam zu machen, und er zweifle nicht, daß sie auf die erste Nachricht von dem häuslichen Zwist wenigstens Sicherstellung ihrer Forderungen verlangen würden, und diese Sicherstellung könne nur die Frau Marquise leisten.



Die Lage wurde verwickelt. Der Marquis von Escoman ging mit großen Schritten im Salon auf und ab. Seine krampfhaft geballten Hände steckten in den Taschen, und in seiner Aufregung zerkäute er die nicht mehr brennende Cigarre. Der Advocat ließ ihn nicht zu Athem kommen.



Er gab wohl zu verstehen, daß es gerathen sei, die Marquise eine Zeitlang mit Schonung zu behandeln, aber er wollte dem Marquis nicht zumuthen, die Verirrungen seiner Gemahlin gar nicht zu rügen. Er war vielmehr ein eifriger Vertheidiger der Strenge, aber diese Strenge mußte dem, der sie ausübte, Vortheil bringen. Er wollte handeln, aber nur dann handeln, wenn man perernptorische Beweisgründe vorbringen könne, welche das Gericht zu unerbittlicher Strenge und rücksichtsloser Anwendung des Gesetzes zwingen würden. Ein unter solchen Verhältnissen nicht von der Frau Marquise, sondern von dem Herrn Marquis anhängig gemachter Prozeß nehme eine ganz andere Wendung. Dem Herrn Marquis werde in einem solchen Falle sehr wahrscheinlich der Fruchtgenuß des Vermögens seiner Gemahlin und dieser eine Rente zugesprochen werden. Das Resultat eines solchen Prozesses scheine ihm so sicher, daß er kein Bedenken tragen würde, seinem Clienten einen beliebigen Vorschuß darauf zu machen.



Diese letzte Aeußerung war entscheidend. Der Marquis zündete eine frische Cigarre an, setzte sich ziemlich ruhig und fragte seinen Rechtsfreund, was er unter »peremptorischen Beweisgründen« verstehe.



Der Advocat zögerte einen Augenblick, endlich gestand er, ein sträfliches Verhältniß müsse durch ein Protokoll festgestellt worden.



Der Marquis sprang entrüstet auf; die Gemeinheit des Mittels war ihm weit mehr zuwider als die Thatsache selbst; aber er hatte sich unbesonnenerweise eine Blöße gegeben, und der Advocat wußte diese so geschickt zu benützen, daß die Skrupel des Marquis nach zwanzig Minuten von dieser geschickten Hand ganz weich geknetet waren. Der Marquis war geneigt, den Ehebruch der Marquise durch einen Polizeicommissär constatiren zu lassen, als ob er der dickhäutigste Spießbürger gewesen wäre.



Inzwischen meldete der Bediente, daß der Lohnkutscher Mangin den Herrn Marquis zu sprechen wünsche.



Wir wissen schon was der Mann zu sagen hatte.



In der Wagenremise des Lohnkutschers wurde eine Falle gestellt.



Aber der Chevalier von Moutglas, der sich zu seinem jungen Freunde begeben wollte, um von ihm zu erfahren, was von den umlaufenden Gerüchten zu halten sei, verhütete, daß die Vögel in die Falle gingen.



Zugleich wurden noch andere Agenten in der Nähe der Unterpräfectur aufgestellt, um Fontanieu zu überwachen.



Sie meldeten dem Advocaten, der die Fäden der ganzen Intrigue in die Hand genommen hatte, der junge Mann sei um ein Uhr nach Mitternacht nach Hause gekommen, aber eine Zeit lang nachher wieder fortgegangen und nicht wiedergekommen. Zugleich meldete man dem Marquis, daß man seine Gemahlin um halb zwölf auf der Pariser Landstraße gesehen habe, wo sie wahrscheinlich den Postwagen erwartet.



Sobald einmal ein Entschluß gefaßt ist und die Verfolgung begonnen hat, pflegt man auch, trotz des anfänglichen Widerstrebens, auf der einmal betretenen Bahn weiter zu eilen.



Der Marquis von Escoman ließ sogleich vier Pferde vor eine Calesche spannen.



Wir haben gesehen, wie er in Lonjumeau umspannen ließ und weiter fuhr.



Er kam gegen halb sieben Uhr Abends in Paris an und stieg bei dem Generalpostdirector ab.



Auf sein Ersuchen ließ dieser Beamte den Namen des Schaffners erforschen, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach die Marquise von Escoman aufgenommen und nach Paris begleitet hatte. Er that noch mehr: von dem Wunsche beseelt, einem Cavalier, für den er als verheirateter Mann wahre Sympathien fühlte, gefällig zu sein, ließ er den Schaffner sogleich kommen.



Dieser Mann erzählte, er habe wirklich unweit Châteaudun zwei Damen in den Eilwagen aufgenommen. Ihre Personenbeschreibung stimmte genau mit jener überein, welche der Marquis von Emma und Susanne gegeben hatte; aber er versicherte, keiner von den beiden Herren, welche sie begleitet, habe im Postwagen Platz genommen. Er setzte außerdem hinzu, die jüngere der beiden Damen sei so krank geworden, daß sie in Lonjumeau ausgestiegen und im Posthause geblieben sei.

 



Der Advocat hatte dem Marquis in seiner langen Besprechung zu verstehen gegeben, daß ihm nur zwei Mittel zu Gebote ständen, sich aus der Verlegenheit zu ziehen: entweder ein Prozeß unter den von ihm bezeichneten Voraussetzungen, oder eine wenigstens scheinbare Ausgleichung mit der Marquise.



Louis von Fontanieu mochte sich nun bei der letztern befinden oder nicht, so beschloß der Marquis auf der Stelle nach Lonjumeau zurückzukehren. Er bestellte frische Pferde und fuhr sogleich denselben Weg zurück, den er gekommen war.



Vor dem Städtchen Lonjumeau ließ er seinen Wagen halten, zahlte dem Postillon dreifaches Trinkgeld unter der Bedingung, daß er, ohne seine Pferde zu füttern, umkehre, und begab sich allein zum Posthause.



Er klopfte so bescheiden an die Thür, als ob er ein gewöhnlicher Fußreisender gewesen wäre. Der Stallknecht ließ ihn ein. Der Marquis fabelte von einer zerbrochenen Achse, bestellte ein Zimmer mit einem Bett, und während die Hausmagd geweckt würde, fragte er den Knecht aus.



Im Jahre 1832 waren die vor der Revolution so häufigen Reisenden, die auf Postpferden ritten, selten geworden. Die Postmeister boten den Reisenden leichte Einspänner, welche für letztere nicht nur bequemer, sondern für jene eine sehr gute Spekulation waren. Der Postillon nahm neben dem Reisenden Platz und dieser bezahlte zwei Pferde.



Die Ankunft eines jungen Mannes zu Pferde hatte daher im Poststalle einiges Aussehen gemacht, zumal da die scharfsichtige Hausmagd von der tiefen Schwermuth des Reisenden gesprochen hatte. Und als sie gar erzählte, wie die Kammerfrau der Dame, welche seit Mittag im Posthause wohnte, als eine alte Bekannte begrüßte, wie er um Mitternacht von seinem schneeweißen Bett noch nicht Besitz genommen, da war er zum Gegenstande allgemeiner Aufmerksamkeit geworden.



Der Stallknecht erwartete mit Sehnsucht den Tag, um den Nachbarn seine Vermuthungen über dieses Ereigniß mitzutheilen; er war ganz glücklich, schon jetzt einen willfährigen Zuhörer zu finden.



Der Marquis von Escoman war wirklich ganz Auge und Ohr.



Als der Stallknecht seine Erzählung beendet hatte, drückte ihm der Marquis ein Goldstück in die Hand, welches dieser als einen Beweis des Dankes für seine prächtige Geschichte annahm. Er ersuchte ihn, mit ihm zum Bürgermeister zu gehen, bei welchem er ein sehr dringendes Geschäft habe.



Der Stallknecht fand es unerhört, den Bürgermeister mitten in der Nacht zu wecken. Er verhehlte es dem Fremden nicht und gab ihm den Rath, bis zum Tagesanbruch zu warten; endlich wurden seine Skrupel durch die Versicherung, daß man ihm keine Vorwürfe machen werde, und zumal durch ein zweites Goldstück beschwichtigt.



Der Bürgermeister las vor allem den Paß des Marquis von Escoman und einen Brief, den sich dieser für alle Fälle von dem königlichen Procurator zu Châteaudun hatte geben lassen, und stellte sich dann mit einer Zuvorkommenheit, welche den Führer in Erstaunen setzte, zur Verfügung des Fremden.



Man ließ ihm nicht Zeit zu langer Verblüfftheit, denn der Bürgermeister von Lonjumeau befahl dem Knecht, die Gendarmen zu holen, während er selbst sich ankleiden würde. Die Nachtkleidung, in welcher der erste Gemeindebeamte den Fremden empfangen hatte, paßte allerdings nicht zu der dreifarbigen Schärpe, die er in seinem Diensteifer angelegt hatte, ehe er den Theil seines Individuums, welchen die Schärpe umgab, in herkömmlicher Weise costumirt hatte.



Bald darauf ging die kleine Gruppe in Begleitung von drei Gendarmen durch die öden Straßen von Lonjumeau.




Achtes Capitel.

Wo der Marquis von Escoman seine beleidigte Ehre ganz anders rächt, als der Sire von Coucy die seinige rächte

In dem Zimmer, welches die Marquise von Escoman im Posthause zu Lonjumeau bewohnte, waren zwei Betten.



Das eine Bett hatte keine Vorhänge; es stand zwischen dem Fenster und dem Camin. Susanne lag in vollen Kleidern aus der Steppdecke; sie schlief fest.



Mitten im Zimmer, dem Fenster gegenüber, war ein Alcoven mit Vorhängen von Indienne. In diesem Alcoven schlummerte die kranke Emma. Fontanieu saß auf einem Fauteuil, der am Kopfende des Bettes stand.



Wie die Marquise, wie Susanne, war Fontanieu eingeschlafen. Sein Kopf lehnte sich an die Bettwand, seine rechte Hand hielt die linke der Kranken gefaßt. Von Zeit zu Zeit lächelte Emma im Traume, und unwillkürlich, vielleicht auch unbewußt, wurde der Händedruck stärker.



Eine einzige Wachskerze brannte aus dem Tische. Sie war schon herabgebrannt; bald schien sie dem Erlöschen nahe und lange, phantastische Schatten tanzten ein den Wänden; bald bekam die Flamme durch ein Stückchen Wachs neue Nahrung.



Die Marquise von Escoman erwachte Ihr erster Blick fiel auf Louis von Fontanieu; in einer unwillkürlichen Bewegung des Schreckens entwand sich ihre Hand der seinigen. Dann lächelte sie über ihre Furcht, stützte den Kopf auf die Hand und betrachtete den schönen, bleichen, schlummernden Antinouskopf mit den glänzend schwarzen Locken.



Emma war nicht mehr in der fieberhaften Aufregung wie gestern Abends; obgleich von Niemand beobachtet, erröthete sie bei dem Gedanken, daß sie im Grunde mit Fontanieu allein war, denn sie hörte die langen, tiefen Athemzüge Susannens Sie zog ihr Kleid dicht am Halse zusammen und streckte die Hand aus, um Fontanieu zu wecken.



Er schlief so süß, daß sie zögerte.



In diesem Augenblicke hörte sie auf der Straße die Fußtritte mehrerer Personen.



Einem unruhigen Gewissen ist nichts gleichgültig. Sie lauschte in angstvoller Spannung, bis Alles wieder still war.



Sie lächelte nun über ihre thörichte Furcht. Das Geräusch war ja ganz natürlich in einem Posthause, wo so oft Pferde gewechselt werden.



Die Sache hatte indes; einen so tiefen Eindruck auf sie gemacht, daß sie sich unwillkürlich zu Fontanieu neigte, als ob sie Beruhigung in der Gewißheit suchen wollte, daß ihr noch ein Freund und Beschützer blieb.



Sie drückte ihm einen leisen Kuß auf die Stirn. Da wurde plötzlich stark an die Thür geklopft.



»Was gibt’s denn?« fragten zugleich Susanne und Fontanieu, welche Beide noch zu träumen glaubten.



Emma fragte nicht; sie hatte sogleich geahnt, daß ihr ein neues Unglück bevorstehe. Im ersten Schrecken verbarg sie ihr Gesicht im Kopfkissen.



Inzwischen wurde wiederholt und stärker geklopft. Die ernste Stimme des Bürgermeisters befahl im Namen des Gesetzes zu öffnen.



»Um des Himmels willen, thun Sie es nicht!« sagte Susanne, welche alle ihre Kräfte aufbot, um eine Commode als Bollwerk vor die Thür zu rücken.



Louis von Fontanieu sah endlich ein, daß die Rache des Marquis kam. Er eilte ans Fenster mit dem Vorsatz, sich hinauszustürzen und sich den Kopf auf dem Steinpflaster zu zertrümmern. Aber der Bürgermeister oder der Marquis hatten diesen Entschluß vorausgesehen, als er das Fenster öffnete, bemerkte er einen Gendarmen, der unten auf dem Pflaster stand; er hörte das Hohngelächter des Marquis, den er im Dunkeln bemerkte.



»Wir sind hier nicht mehr bei Margarethe,« sagte der Letztere. »Es thut mir unendlich leid, lieber Herr von Fontanieu, daß ich störe; aber das Gesetz ist auf solche Fälle vorbereitet.«



»Marquis von Escoman, Sie sind ein erbärmlicher Wicht,« antwortete Fontanieu, außer sich vor Wuth. »Wenn ich Sie vor meiner Degenspitze habe, werde ich Sie ohne Erbarmen wie ein giftiges Thier niederstoßen, das schwöre ich Ihnen!«



»Wenn einige Monate Gefängniß Ihr Blut nicht abkühlen, so will ich mit Vergnügen Ihr Wundarzt sein, lieber Herr von Fontanieu,« erwiederte der Marquis, dessen hämischer Ton die Erbitterung Fontanieu’s aufs Aeußerste trieb.



Der Letztere wollte mit neuen Schmähungen antworten, als ihn die Stimme der Marquise rief.



Als er das Fenster geschlossen hatte und sich umsah, saß Emma auf ihrem Bett. Ihr ganzer Körper zitterte krampfhaft, aber ihr Gesicht hatte einen ruhigen, fast entschlossenen Ausdruck; einige Secunden waren hinreichend gewesen, um diese völlige Aenderung in ihrer Haltung zu bewirken.



In gewöhnlichen Verhältnissen können edle, feingebildete Personen, wenn sie schüchtern sind, eben so schwach und unbedeutend scheinen, wie gewöhnliche Menschen; aber wo diese unterliegen, zeigen jene ihre Seelengröße. In einem entscheidenden Momente werfen sie die Windeln ab, welche ihre freie Bewegung hinderten; sie zeigen was sie vermögen; sie erheben sich schnell zu der Höhe des Unglücks, das sie erdrücken zu wollen schien.



So zeigte sich die Marquise von Escoman.



Auf einen Wink von ihr trat Louis von Fontanieu an ihr Bett.



»Louis,« sagte sie, ihn zum ersten Male dutzend, »schwöre noch einmal, daß nichts in der Welt mir deine Liebe zu rauben vermag.«



Er schwor es ihr.



»Gut,« sagte sie und drückte ihm beide Hände. »Ich nehme ebenfalls den Himmel zum Zeugen, daß kein Ereigniß, wie hart es mich auch treffe, meine Gefühle wankend machen wird, daß ich in dieser Welt nur Dir angehören werde. – Jetzt öffnet die Thür.«



Fontanieu sah die Marquise bestürzt an. Susanne machte ernste Gegenvorstellungen, sie betheuerte, sie werde lieber sterben, als sich ergeben.



»Susanne,« sagte aber die Marquise ernst und entschieden, »ich befehle selten, allein wenn es geschieht, so erwarte ich unbedingten Gehorsam. Oeffne die Thür!«



Susanne fügte sich seufzend; sie entfernte mit Fontanieu’s Hilfe das Bollwerk, von welchem sie zur Vertheidigung ihres Kindes so viel erwartet hatte.



Es war Zeit. Die schwachen und schlecht zusammenefügten Bretter würden den Anstrengungen der Gendarmen nicht mehr lange widerstanden haben.



Der Bürgermeister wies die letzteren auf die Treppe und trat allein in das Zimmer.



Das lange Zögern hatte ihn etwas verstimmt, denn er war sehr eifersüchtig aus seine Amtsgewalt. Ueberdies war er verheiratet, und eine schuldige Frau schien ihm gar kein Mitleid zu verdienen.



Er trat also mit dem Hut auf dem Kopfe ein und gab sich alle erdenkliche Mühe, seinem Gesicht den nach seiner Meinung sowohl den Verhältnissen als seiner Schärpe angemessenen vernichtenden Ausdruck zu geben.



»Meine Damen,« begann er, »welche von Ihnen Beiden heißt die Marquise von Escoman?« In ihrer blinden Hingebung und trotz der großen Unwahrscheinlichkeit ihrer beabsichtigten Antwort öffnete Susanna den Mund, um sich dem strafenden Gesetz zu überliefern; aber die Marquise kam ihr zuvor und antwortete:



»Ich bin‘s«



Der Bürgermeister warf einen Blick aus den Alcoven; er bemerkte das wunderholde Gesicht der Marquise mit dem Spitzenhäubchen, unter welchem das schöne blonde Haar hervorquoll. Er schlug vor ihrem klaren, engelreinen Blick die Augen nieder, nahm seinen Hut ab, verneigte sich verlegen und stand stumm und unbeweglich vor ihr.



Die Marquise selbst erinnerte ihn an die Rolle, die er übernommen hatte.



»Was wollen Sie von der Marquise d’Escoman?« fragte sie.



»Ich habe eine sehr peinliche Pflicht zu erfüllen, Madame,« erwiederte er; »aber jeder Mensch hat auf Erden einen Beruf, den – den er – genug, die Regierung hat mich erkoren, sie bei den Bewohnern dieser Stadt zu ersetzen —«



»Um des Himmels willen, mein Herr, fassen Sie sich kurz,« sagte die Marquise.



»Es sei, Madame,« erwiederte der Bürgermeister mit einigem Mißfallen über den geringen Beifall, den seine Redeübung bei der schönen Dame fand. »Ich will mich kurz fassen. Sagen Sie mir gefälligst, was dieser Herr, der doch vermuthlich nicht Ihr Gemahl ist, um zwei Uhr Nachts in Ihrem Zimmer macht?«



»Ich war so unpäßlich, daß ich nicht weiter reisen konnte, ich mußte in diesem Gasthause bleiben. Meine Kammerfrau war sehr ermüdet. Der Zufall führte Herrn von Fontanieu, meinen Freund, hierher, und ich bat ihn, in Gesellschaft der Kammerfrau bei mir zu bleiben. Er nahm es an.«



»Das glaube ich wohl!« sagte der Bürgermeister, der sich durch seine immer zunehmende Bewunderung hinreißen ließ; »ich würde es an seiner Stelle eben so gemacht haben.«



Er sagte dies ganz leise; aber er setzte laut hinzu, so daß es die draußenstehenden Gendarmen hören konnten:



»Die Bereitwilligkeit dieses Herrn wäre allerdings recht lobenswerth, wenn das Gerücht ihn nicht als Ihren Geliebten bezeichnete.«



Die Marquise, welche über den plumpen Spaß des Bürgermeisters feuerroth geworden war, bekam einigermaßen ihre Fassung wieder, als er diese unverhüllte Beschuldigung aussprach.



»Mein Herr,« erwiederte sie, »wenn Sie mit diesem Worte den Mann bezeichnen wollen, der mir auf der Welt am theuersten ist, so haben Sie recht. Ja, in diesem Sinne, ist Herr von Fontanieu mein Geliebter; wenn Sie aber diesem Worte eine andere Bedeutung geben, so irren Sie sich.«

 



Die würdevolle Haltung der Marquise machte aus den Vertreter des Gesetzes einen ganz andern Eindruck, als ihre Schönheit schon auf ihn gemacht hatte. Er betrachtete sie mit ehrerbietigen Erstaunen.



»Meine liebe Dame,« antwortete er nach einer kurzen Pause und den ihm eigenen gutmüthigen Ton wieder annehmend, »in dieser Welt ist Alles möglich, selbst das, was Sie mir eben gesagt haben. Leider kommt es mir nicht zu, darüber zu entscheiden; ich wäre sehr geneigt, Ihre Erklärung für wahr zu halten. – Ich nehme Antheil an Ihrem Schicksale,« sagte er näher tretend, »ich möchte Ihnen, trotz meiner strengen Amtspflicht, gern nützlich sein. Gibt es kein Mittel, die Sache beizulegen? Bei solchen Gelegenheiten schweigt die Justiz, wenn kein Kläger auftritt; widrigenfalls muß sie einschreiten. Wäre der Herr Marquis nicht zu bewegen, von seiner Klage abzustehen? Er scheint gar kein übler Mann zu sein. Ich würde an seiner Stelle Feuer und Flammen speien. Wünschen Sie, daß ich hier als Vermittler auftrete? Im Grunde haben Sie Recht, er hat keine Ursache sich zu beklagen. Soll ich zu ihm hinuntergeben und ihm zureden?«



»Ich danke Ihnen für Ihre gütige Teilnahrne,« sagte die Marquise ablehnend, »aber es ist mir unmöglich, von Ihrer Güte Gebrauch zu machen.«



»Warum denn? Was für ein Hinderniß sehen Sie dabei? Liegt Ihnen denn dieser Herr mehr am Herzen, als zu wünschen wäre? Ei, der tausend! sind Sie denn so jung und schön, um sich durch ein so kleines Hinderniß abschrecken zu lassen? Ich habe Damen gekannt, die nicht entfernt mit Ihnen zu vergleichen sind und unter ähnlichen Verhältnissen diesen Herrn zum intimen Freunde des Herrn Gemahls gemacht haben würden. – Wenn das ist, was bleibt dann einer schönen Frau in dieser Welt zu wünschen übrig? –

Honny soit, qui mal y pense!

 wie unsere Nachbarn, die perfiden Engländer, sagen.«



Der würdige Vertreter des Gesetzes schien vor seinen eigenen Worten und vor dem Wahlspruche des Hosenbandordens zu erschrecken; er setzte, gleichsam als Correctiv, mit feierlicher Stimme hinzu: »Madame, die bürgerliche Gesellschaft fordert Sie durch mich auf, Ihr Unrecht zu bereuen und den Worten der Schrift gemäß an den Schafstall zu klopfen, der sich Ihnen sofort aufthun wird.«



»Herr Maire, nach den irdischen Richtern, die mich verurtheilen werden, wird Gott den Marquis und mich richten; ich fürchte den Urtheilsspruch nicht. Ich kann Ihnen nur antworten, daß der Marquis die Verhältnisse herbeigeführt, die mich von ihm getrennt haben, und daß mich jetzt nichts bewegen oder zwingen konnte, ihn wieder zu sehen.«



Louis von Fontanieu ergriff die Hand, welche die Marquise feierlich emporhielt, und zog diese Hand, trotz der Anwesenheit des Bürgermeisters, an seine Lippen.



»Angesichts meiner Schärpe!« rief der Maire. »Junger Mann, Sie verdienten, daß ich diesen Handkuß in’s Protokoll aufnähme. Sie zählen fürwahr allzu sehr auf meine Nachsicht! Der Frau Marquise zu Gefallen will ich nichts gesehen haben, aber thun Sie es nicht wieder – Gegen Ihren so entschieden ausgesprochenen Willen, Madame, werde ich zu meinem Bedauern schweigen. Es ist schmerzlich für einen Mann, der Ihnen einen Tempel oder wenigstens einen Palast anweisen möchte, Sie in’s Gefängniß führen zu lassen.«



Diese letzten Watte brachen die Kraft, welche Emma gefunden hatte, um dem furchtbaren Ungewitter trotz zu bieten; sie brach in Thränen aus.



»Ins Gefängniß!« wiederholte Susanne, während Louis von Fontanieu, wie vorn Donner gerührt, auf einen Stuhl sank und sein Gesicht mit beiden Händen verhüllte. »In’s Gefängniß, sagen Sie, mein schöner Herr? Die Frau Marquise, Emma von Escoman, in’s Gefängniß!«



»Allerdings, meine Dame. Der König Ludwig Philipp wäre so wenig wie ich im Stande, dem Laufe des Gesetzes Einhalt zu thun.«



»Dann hat man Ihnen nicht die Wahrheit gesagt, man kann sie Ihnen nicht gesagt haben. Sie wissen nicht, daß sie ihrem Verfolger seit drei Jahren nicht nur ihre von Ihnen wie von Jedermann bewunderte Schönheit, sondern auch ihre zärtliche Liebe, ihre engelgleiche Sanftmuth und alle Tugenden anbietet, und daß der Unhold verschmäht, was er heute fordert. Sie wissen nicht —«



»Ich bitte Dich, Susanne« unterbrach die Marquise.



»Nein, ich will reden, Madame! Die Justiz ist gerecht. Der Herr Maire wird mich anhören,« setzte Susanne hinzu und faßte mit der ihr eigenen Heftigkeit die bürgermeisterliche Schärpe.



»Sie irren sich, liebe Dame,« erwiederte aber der Bürgermeister, halb erstickt durch die Schwankungen, in welche Susanne seine ziemlich umfangreiche Person setzte, »ich bin nicht