Nur auf LitRes lesen

Das Buch kann nicht als Datei heruntergeladen werden, kann aber in unserer App oder online auf der Website gelesen werden.

Buch lesen: «Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1»

Schriftart:

1 bis 4. Bändchen
Einleitung

I.
Der Donnersberg

Auf dem linken Rheinufer, ein paar Stunden von der kaiserlichen Stadt Worms, unfern von der Stelle, wo der Selzbach entspringt, beginnen die ersten Kettenglieder von mehreren Bergen, deren Höhen sich gegen Norden zu flüchten scheinen, wie eine Heerde erschrockener Büffel, welche im Nebel verschwinden würde.

Diese Berge beherrschen schon von ihrer Böschung an eine beinahe öde Landschaft, scheinen das Gefolge des höchsten derselben zu bilden und tragen jeder einen ausdrucksvollen Namen, der eine Form bezeichnet oder an eine Tradition erinnert: der eine ist der Königsstuhl, der andere der Rosenstein, der dritte der Falkenfels, der vierte der Schlangenkopf.

Derjenige, welcher am höchsten, seine Granitstirne mit einem Trümmerkranze umgürtend, zum Himmel emporragt, ist der Donnersberg.

Wenn der Abend den Schatten der Eichen verdichtet, wenn die letzten Sonnenstrahlen hinsterbend die hohen Gipfel dieser Riesenfamilie vergolden, so ist es, als steige allmälig die Stille von diesen erhabenen Stufen des Himmels bis zur Ebene herab und ein unsichtbarer, mächtiger Arm entwickle, um ihn über die durch das Geräusch und die Arbeiten des Tages ermüdete Welt auszubreiten, den langen, bläulichen Schleier, auf dessen Grunde die Sterne funkeln. Dann geht Alles unmerklich vom Wachen zum Schlafe über; Alles entschlummert auf der Erde und in der Luft.

Allein mitten in diesem Stillschweigen, verfolgt der bereits von uns erwähnte Selzbach, wie man ihn im Lande nennt, seinen geheimnißvollen Lauf unter den Tannen des Ufers, und obgleich ihn weder Tag noch Nacht aushalten, denn er muß sich in den Rhein werfen, der seine Ewigkeit ist, obgleich ihn nichts aufhält, sagen wir, ist doch der Sand seines Bettes so frisch, sind seine Schilfrohre so biegsam, seine Felsen so gut mit Moos und Steinbrech wattirt, daß keine seiner Wellen rauscht von Morsheim, wo er beginnt, bis Freiweinheim, wo er endigt.

Etwas oberhalb seines Ursprungs, zwischen Albisheim und Kirchheim-Bolanden, führt eine gekrümmte, zwischen zwei abschüssigen Wänden ausgehöhlte und von tiefen Geleisen durchfurchte Straße nach Dannenfels. Jenseits Dannenfels wird die Straße ein Fußpfad, dann nimmt der Fußpfad ab, verschwindet, verliert sich, und das Auge sucht vergebens auf dem Boden etwas Anderes, als den ungeheuren Abhang des Donnersbergs, dessen geheimnißvoller Gipfel, so oft vom Feuer des Herrn heimgesucht, das ihm seinen Namen gegeben hat, sich hinter einem Gürtel von grünen Bäumen wie hinter einer undurchdringlichen Mauer birgt.

Ist der Reisende einmal unter diesen Bäumen angelangt, welche so blätterreich, so buschreich sind, wie die Eichen der alten Dodona, so kann er seinen Weg fortsetzen, ohne daß man ihn, selbst am hellen Tage, von der Ebene aus gewahr wird, und wäre sein Pferd mit Schellen behängt, wie ein spanisches Maulthier, so würde man sein Geräusch doch nicht hören; wäre es mit Sammet und Gold bedeckt, wie das Roß eines Kaisers, so würde doch kein Strahl von Gold oder Purpur das Blätterwerk durchdringen, so sehr erstickt die Dichtheit des Waldes das Geräusch, so sehr tilgt die Dunkelheit seines Schattens die Farben.

Noch heute, wo die höchsten Berge einfache Beobachter geworden sind, noch heute, wo die poetischen Legenden des furchtbarsten Inhalts nur ein Lächeln des Zweifels auf den Lippen des Reisenden hervorrufen, noch heute erschreckt diese Einsamkeit und macht diesen Theil der Gegend so ehrwürdig, wo nur einzelne Häuser von gebrechlichem Aussehen, verlorene Schildwachen der benachbarten Dörfer, allein in einiger Entfernung von dem Zaubergürtel zum Vorschein kommen, um die Anwesenheit des Menschen in dieser Landschaft zu bezeugen.

Die Bewohner der in der Einsamkeit verlorenen Häuser sind Müller, welche lustig den Fluß ihr Korn zermalmen lassen, dessen Mehl sie nach Rockenhausen und Alzey bringen, oder Hirten, die ihr Vieh auf die Waide in den Bergen führen, und zuweilen sammt ihren Hunden bei dem Geräusche einer hundertjährigen Tanne beben, welche aus Altersschwäche in die unbekannten Tiefen des Waldes niederstürzt.

Denn die Erinnerungen der Gegend sind düsterer Natur und der Fußpfad, der sich jenseits Dannenfels mitten unter dem Heidekraut des Gebirges verliert, hat nicht immer, wie die Muthigsten sagen, ehrliche Christen in den Hafen des Heils geführt.

Vielleicht hat einer von den heutigen Bewohnern einst von seinem Vater oder von seinem Großvater erzählen hören, was wir jetzt selbst zu erzählen versuchen wollen.

Am 6. Mai 1770, in der Stunde, wo die Wasser des großen Flusses sich mit einem rosig weißen Reflexe färben, das heißt in dem Augenblick, wo für das ganze Rheingau die Sonne hinter der Thurmspitze des Münsters von Straßburg untergeht, das sie in zwei feurige Hemisphären zerschneidet, erschien ein Mann, nachdem er durch Alzey und Kirchheim-Bolanden geritten war, jenseits des Dorfes Dannenfels, folgte dem Fußpfade, so lange derselbe sichtbar blieb, stieg sodann, als jede Spur des Weges verschwand, von seinem Pferde, nahm es beim Zügel und band es ohne Zögern an die erste Tanne des furchtbaren Waldes.

Das Thier wieherte sehr unruhig und der Wald schien bei diesem ungewohnten Geräusch zu beben.

»Gut! gut!« murmelte der Reisende; »beruhige dich, mein guter Dscherid; wir haben zwölf Stunden zurückgelegt und du bist wenigstens am Ziele deines Laufes angelangt.«

Und der Reisende suchte mit dem Blicke die Tiefe des Blätterwerks zu ergründen; aber die Schatten waren bereits so undurchsichtig, daß man nur die schwarzen Massen unterschied, welche sich von andern, noch dichter schwarzen Massen abhoben. Nach dieser unfruchtbaren Forschung wandte sich der Reisende zu dem Thiere um, dessen arabischer Name zugleich seinen Ursprung und seine Schnelligkeit bezeichnete, nahm es mit beiden Händen unten am Kopfe, näherte die rauchenden Nüstern desselben seinem Munde und sprach:

»Lebe wohl, mein braves Pferd; wenn ich dich nicht wiedersehe, lebe wohl.«

Diese Worte waren von einem raschen Rundblicke begleitet, als hätte der Reisende gehört zu werden befürchtet oder gewünscht.

Das Pferd schüttelte seine seidene Mähne, stampfte mit dem Fuße auf den Boden, und wieherte mit jenem Wiehern, wie es dieses Thier bei Annäherung des Löwen in der Wüste hören lassen mußte.

Der Reisende bewegte diesmal nur den Kopf von oben nach unten, mit einem Lächeln, als wollte er sagen:

»Du täuschest dich nicht, Dscherid, die Gefahr ist hier.«

Ohne Zweifel zum Voraus entschlossen, die Gefahr nicht zu bekämpfen, nahm der abenteuerliche Unbekannte aus seinem Sattelbogen zwei schöne Pistolen mit ciselirten Läufen und mit Kolben von Vermeil, zog mit dem Krätzer die Ladung heraus, warf den Pfropf und die Kugel weg und schüttete das Pulver auf den Boden

Als dies bewerkstelligt war, steckte er die Pistolen in die Holfter.

Das ist noch nicht Alles.

Der Reisende trug an seinem Gürtel einen Säbel mit stählernem Griffe; er schnallte die Kuppel los, wickelte sie um den Säbel, schob das Ganze unter den Sattel und befestigte es mit dem Steigriemen so, daß die Spitze des Säbels nach der Weiche des Pferdes und der Griff nach der Schulter sah.

Nachdem diese seltsamen Förmlichkeiten erfüllt waren, schüttelte der Reisende seine staubigen Stiefeln, zog seine Handschuhe aus, suchte in seinen Taschen, fand darin eine Scheere und ein Federmesser mit einem Schildkrothefte, und warf Beides über seine Schulter, ohne nur zu schauen, wohin es fiel.

Sobald dies geschehen war, fuhr der Reisende zum letzten Male über das Kreuz von Dscherid, athmete, als wollte er seiner Brust den vollen Grad der Ausdehnung geben, den sie erlangen konnte, suchte dann vergebens irgend einen Fußpfad und trat, als er keinen sah, auf Zufall in den Wald.

Es ist unserer Ansicht nach der Augenblick, unsern Lesern einen genauen Begriff von dem Reisenden zu geben, den wir ihnen vor Augen gestellt haben, und der eine wichtige Rolle im Verlauf unserer Geschichte zu spielen bestimmt ist.

Derjenige, welcher, nachdem er vom Pferde gestiegen, sich so kühn in den Wald wagte, war ein Mann von etwa dreißig bis zwei und dreißig Jahren, von mehr als mittlerem Wuchse, aber so bewunderungswürdig gebaut, daß man zugleich die Kraft und die Gewandtheit in seinen geschmeidigen, nervigen Gliedern kreisen fühlte. Er trug eine Art von Reiserock von schwarzem Sammet mit goldenen Knopflöchern. Die zwei Enden einer gestickten Jacke erschienen unterhalb der letzten Knöpfe dieses Rockes, und eine anliegende Lederhose hob Beine hervor, die als Modell für einen Bildhauer hätten dienen können, und deren zierliche Formen man durch die gefirnißten Stiefeln errieth.

Sein Gesicht hatte die ganze Beweglichkeit der südlichen Typen und war eine seltsame Mischung von Kraft und Feinheit: sein Blick vermochte alle Gefühle auszudrücken und schien, wenn er sich auf Jemand heftete, zwei Lichtstrahlen in denjenigen zu tauchen, welchem er galt, um die tiefste Tiefe seiner Seele zu erleuchten. Seine braunen Wangen waren, wie man dies sogleich sah, von einer heißeren Sonne als die unsrige verbrannt Ein großer, aber schön geformter Mund endlich öffnete sich, um eine doppelte Reihe herrlicher Zähne sehen zu lassen, welche die Wärme der Gesichtshaut noch weißer erscheinen ließ. Der Fuß war lang, aber fein, die Hand klein, aber nervig.

Der Mann, dessen Portrait wir entworfen, hatte kaum zehn Schritte unter den schwarzen Tannen gemacht, als er ein rasches Stampfen an der Stelle hörte, wo er sein Pferd gelassen.

Seine erste Bewegung, eine Bewegung, über deren Absicht man sich nicht täuschen konnte, war, zurückzukehren: aber er bemeisterte sich, konnte jedoch dem Verlangen, zu sehen, was aus Dscherid geworden, nicht widerstehen, erhob sich auf den Fußspitzen und schoß einen Blick durch die Lichtung: fortgezogen durch eine unsichtbare Hand, welche den Zaum losgemacht, war Dscherid bereits verschwunden.

Die Stirne des Unbekannten faltete sich leicht und etwas wie ein Lächeln zog seine vollen Wangen und seine Lippen mit den seinen Rändern zusammen.

Dann setzte er seinen Weg gegen den Mittelpunkt des Waldes fort.

Noch einige Schritte leitete ihn die durch die Bäume dringende düstere Abenddämmerung in seinem Marsche; aber bald hörte dieser schwache Reflex auf, und er befand sich in einer so dichten Nacht, daß er nicht mehr sah, wohin er den Fuß setzte, und ohne Zweifel aus Furcht, sich zu verirren, stehen blieb.

»Ich bin nach Dannenfels gekommen,« sagte er laut, »denn von Mainz nach Dannenfels führt eine Landstraße; ich bin von Dannenfels auf die Schwarzheide gelangt, weil sich von Dannenfels nach der Schwarzheide ein Fußpfad findet; ich bin von der Schwarzheide hierher gekommen, obgleich es dann weder mehr eine Landstraße noch einen Fußpfad gab, denn ich gewahrte den Wald; aber hier bin ich genöthigt, stille zu stehen; ich sehe nichts mehr.«

Kaum waren diese Worte in einem halb französischen, halb sicilianischen Dialecte gesprochen, als ein Licht ungefähr fünfzig Schritte vor dem Reisenden hervorsprang.

»Ich danke,« sagte er, »das Licht mag nun gehen, ich werde ihm folgen.«

Sogleich ging das Licht ohne Schwankung, ohne Erschütterung, gleichmäßig sich fortbewegend, wie auf unsern Theatern jene phantastischen Flammen hingleiten, deren Gang durch den Maschinisten und den Scenisten geordnet ist.

Der Reisende machte noch ungefähr hundert Schritte, dann glaubte er etwas wie einen Hauch an seinem Ohr zu vernehmen.

Er schauerte.

»Wende Dich nicht um, oder Du bist todt,« sagte eine Stimme rechts.

»Gut,« erwiederte der unempfindliche Reisende ohne eine Miene zu verziehen.

»Sprich nicht, oder Du bist todt!« sagte eine Stimme links.

Der Reisende verbeugte sich ohne zu sprechen.

»Aber wenn Du Furcht hast«, sagte eine dritte Stimme, welche, wie die von Hamlets Vater aus den Eingeweiden der Erde zu kommen schien, »wenn Du Furcht hast, so kehre zurück, Du wirst dadurch bezeichnen, daß Du Verzicht leistest, und man läßt Dich zurückkehren, wohin Du willst.«

Der Reisende beschränkte sich darauf, eine Geberde mit der Hand zu machen, und setzte seinen Weg fort.

Die Nacht war so finster und der Wald so dicht, daß der Reisende trotz des Scheines, der ihn leitete, nur strauchelnd vorrückte. Die Flamme marschirte ungefähr eine Stunde, und der Reisende folgte ihr, ohne ein Murren hören zu lassen, ohne ein Zeichen der Furcht von sich zu geben.

Plötzlich verschwand sie.

Der Reisende war außerhalb des Waldes. Er schlug die Augen auf; durch das düstere Azur des Himmels funkelten einige Sterne.

Er marschirte in der Richtung weiter, in der das Licht verschwunden war; aber bald sah er, daß sich eine Ruine, das Gespenst eines alten Schlosses, vor ihm erhob.

Zu gleicher Zeit stieß sein Fuß an Trümmer.

Alsbald klebte sich ein eisiger Gegenstand an seine Schläfe und vermauerte seine Augen. Von da an sah er nicht einmal mehr die Finsterniß.

Eine Binde von benetzter Leinwand umschloß seinen Kopf. Es war ohne Zweifel eine verabredete Sache, wenigstens war es eine Sache, die er erwartete, denn er versuchte es nicht, die Binde aufzuheben; er streckte nur schweigend die Hand aus, wie es ein Blinder thut, der nach einem Führer verlangt.

Diese Geberde wurde begriffen, denn in demselben Augenblick klammerte sich eine kalte, trockene, knochige Hand an die Finger des Reisenden an.

Er erkannte, daß es die fleischlose Hand eines Skelettes war; wäre aber diese Hand mit Gefühl begabt gewesen, so würde sie erkannt haben, daß die seinige nicht zitterte.

Dann fühlte sich der Reisende rasch durch einen Raum von ungefähr hundert Klaftern fortgezogen.

Plötzlich verließ die Hand die seinige, die Binde flog von seiner Stirne, und der Unbekannte blieb stehen: er war auf dem Gipfel des Donnersbergs angelangt.

II.
Ich bin, der ich bin

Mitten in einer Lichtung, welche durch das Alter kahl gewordene Birken bildeten, erhob sich das Erdgeschoß von einem jener in Trümmer liegenden Schlösser, welche die Feudalherren einst in Europa umher bei der Rückkehr von den Kreuzzügen ausstreuten.


Die Vorhallen mit ihren schönen Zierrathen von gediegener Bildhauerarbeit, welche in jeder Höhlung, statt der verstümmelten und an den Fuß der Mauer gestürzten Statue, ein Buschwerk von Heidekraut oder wilden Blumen verbargen, hoben von einem bleichen Himmel ihre durch den Einsturz ausgezackten Gewölbe ab.

Als der Reisende die Augen öffnete, sah er sich vor den feuchten, moosigen Stufen des Hauptsäulenganges; auf der ersten von diesen Stufen stand aufrecht das Gespenst mit der knochigen Hand, das ihn hierher geführt hatte.

Ein langes Schweißtuch umhüllte dasselbe vom Kopf bis zu den Füßen; unter den Falten des Tuches funkelten seine Augenhöhlen ohne Blick, seine fleischlose Hand war gegen das Innere der Ruine ausgestreckt und schien dem Reisenden als Ziel seines Ganges einen Saal anzudeuten, dessen Erhöhung über dem Boden die inneren Theile verbarg, während man in seinen eingesunkenen Gewölben ein dumpfes, geheimnißvolles Licht zittern sah.

Der Reisende neigte sein Haupt als Zeichen der Einwilligung. Das Gespenst stieg langsam, eine Stufe nach der andern und ohne Geräusch in die Ruine; der Unbekannte folgte ihm mit demselben ruhigen, feierlichen Schritte, nach dem er stets seinen Gang geregelt hatte, stieg ebenfalls eine nach der andern die eilf Stufen hinauf, auf denen ihm das Gespenst vorangegangen war, und trat ein.

Hinter ihm schloß sich so geräuschvoll als eine von Erz vibrirende Mauer die Thüre der Haupthalle.

Am Eingang eines kreisförmigen, von drei Lampen mit grünlichem Wiederscheine beleuchteten Saales blieb das Gespenst stehen.

Zehn Schritte von ihm blieb der Reisende ebenfalls stehen.

»Oeffne die Augen,« sagte das Gespenst.

»Ich sehe,« antwortete der Unbekannte.

Sodann mit einer steifen, stolzen Geberde ein zweischneidiges Schwert unter seinem Leichentuche hervorziehend, schlug das Gespenst an eine eherne Säule, welche den Schlag durch ein metallisches Brüllen erwiederte.

Sogleich erhoben sich rings im Saale umher Platten, und zahllose Gespenster, dem ersten ähnlich, erschienen, jedes mit einem zweischneidigen Schwerte bewaffnet, und nahmen Platz auf kreisförmigen Stufen, wo besonders der grünliche Schimmer der drei Lampen wiederstrahlte, und wo sie, durch ihre Kälte und ihre Unbeweglichkeit mit dem Steine vermischt, Bildsäulen auf ihren Piedestalen zu sein schienen.

Jede von diesen Bildsäulen hob sich seltsam auf der schwarzen Draperie hervor, welche die Wände bedeckte.

Sieben Stühle waren vor die erste Stufe gestellt; auf diesen Stühlen saßen sechs Gespenster, welche Häupter zu sein schienen, während der siebente Stuhl leer war.

Derjenige, welcher auf dem Stuhle in der Mitte saß, stand auf und sprach, indem er sich gegen die Versammlung wandte:

»Wie viel sind wir hier, meine Brüder?«

»Dreihundert,« antworteten die Gespenster mit einer Stimme, welche im Saale donnerte und sich beinahe in demselben Augenblick an dem Leichenbehänge der Wände brach.

»Dreihundert, von denen jeder zehntausend Verbündete vertritt,« sagte der Präsident, »dreihundert Schwerter, welche so viel werth sind, als drei Millionen Dolche.«

Dann sich an den Reisenden wendend fragte er:

»Was verlangst Du?«

»Das Licht zu sehen,« antwortete dieser.

»Die Pfade, welche auf den Feuerberg führen, sind rauh und hart; fürchtest Du Dich nicht, dieselben zu betreten?«

»Ich fürchte nichts.«

»Hast Du einmal einen Schritt vorwärts gemacht, so ist es Dir nicht mehr gestattet, umzukehren Bedenke dies.«

»Ich werde nur stille stehen, wenn ich das Ziel berührt habe.«

»Bist Du bereit, zu schwören?«

»Sprecht mir den Schwur vor und ich werde ihn wiederholen.«

Der Präsident erhob die Hand und sprach mit langsamem, feierlichem Tone folgende Worte:

»Im Namen des gekreuzigten Sohnes schwöret, die fleischlichen Bande zu brechen, welche Euch noch an Vater, Mutter, Brüder, Schwestern, Frau, Verwandte, Freunde, Geliebtinnen, Könige, Wohlthäter und an irgend ein Wesen binden, dem Ihr Treue, Gehorsam, Dankbarkeit oder Dienstbarkeit gelobt habt.«

Der Reisende wiederholte mit fester Stimme die Worte, die ihm von dem Präsidenten vorgesprochen wurden, welcher zum zweiten Paragraphen des Schwures überging und gleich langsam und feierlich fortfuhr:

»Von diesem Augenblicke an seid Ihr von dem dem Vaterlande und den Gesetzen geleisteten angeblichen Eide frei; schwöret also dem neuen Haupte, das Ihr anerkennt, zu enthüllen, was Ihr gesehen oder gethan, gelesen oder gehört, erfahren oder errathen habt, und sogar das, was sich Euren Augen nicht bieten würde, zu erforschen und zu erspähen.«

Der Präsident schwieg und der Unbekannte wiederholte die Worte, die er gehört hatte.

Dann fuhr der Präsident, ohne den Ton zu verändern, fort:

»Ehret und achtet die Aqua Tosana als ein rasches, sicheres, nothwendiges Mittel, um die Erde durch den Tod oder durch die Verblödung derjenigen zu reinigen, welche die Wahrheit zu erniedrigen oder unsern Händen zu entreißen suchen.«

Ein Echo hätte nicht getreuer diese Worte wiedergegeben, als es der Unbekannte that; der Präsident fuhr fort:

»Flieht Spanien, flieht Neapel, flieht jedes verfluchte Land, flieht die Versuchung, irgend etwas von dem, was Ihr hören oder sehen werdet, zu enthüllen, denn der Blitz trifft nicht rascher, als Euch, wo Ihr auch immer sein möget, das unsichtbare und unvermeidliche Messer erreichen wird.«

»Lebet im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«

Trotz der Drohung, welche diese letzten Zeilen enthielten, war es unmöglich, eine Bewegung auf dem Antlitz des Unbekannten wahrzunehmen, der das Ende des Schwures und die Anrufung, die ihm folgte, mit eben so ruhigem Tone aussprach, als er den Ansang gesprochen hatte.

»Und nun umhüllt die Stirne des Aufzunehmenden mit der heiligen Binde,« sagte der Präsident.

Zwei Gespenster näherten sich dem Unbekannten; dieser neigte das Haupt, und eines von ihnen legte auf seine Stirne ein aurorfarbiges Band, das mit silbernen Charakteren beladen war, unter denen das Bild von Unserer Lieben Frau von Loretto sichtbar wurde; das andere Gespenst knüpfte hinter ihm die zwei Enden unten am Halse.

Dann entfernten sie sich und ließen den Unbekannten abermals allein.

»Was verlangst Du?« sprach der Präsident zu ihm.

»Drei Dinge,« antwortete der Candidat.

»Welche Dinge?«

»Die eiserne Hand, das feurige Schwert, die diamantene Wage.«

»Warum wünschest Du die eiserne Hand?«

»Um die Tyrannen zu ersticken.«

»Warum wünschest Du das feurige Schwert?«

»Um den Unreinen von der Erde zu verjagen.«

»Warum wünschest Du die diamantene Wage?«

»Um die Geschicke der Menschheit abzuwägen.«

»Bist Du für die Proben vorbereitet?«

»Der Starke ist zu Allem vorbereitet.«

»Die Proben! die Proben!« riefen mehrere Stimmen.

»Kehre Dich um,« sagte der Präsident.

Der Unbekannte gehorchte und sah sich gegenüber einen Menschen, der bleich wie der Tod, geknebelt und gebunden war.

»Was siehst Du?« fragte der Präsident.

»Einen Verbrecher oder ein Opfer.«

»Es ist ein Verräther, der, nachdem er den Eid geleistet, den Du geleistet hast, das Geheimniß des Ordens offenbarte.«

»Es ist also ein Verbrecher.«

»Ja; welche Strafe hat er verdient?«

»Den Tod.«

Die dreihundert Gespenster wiederholten: »Den Tod!«

In demselben Augenblick wurde der Verurtheilte trotz übermenschlicher Gegenwehr in die Tiefen des Saales fortgezogen; der Reisende sah, wie er sich in den Händen seiner Henker krümmte und sträubte; er hörte seine pfeifende Stimme durch das Hinderniß des Knebels, Ein Dolch funkelte und wiederstrahlte wie ein Blitz im Schimmer der Lampen; dann hörte man einen matten Stoß, und das Geräusch eines schwerfällig aus den Boden fallenden Körpers erscholl dumpf und schauervoll.

»Es ist Gerechtigkeit geschehen,« sprach der Unbekannte, sich gegen den furchtbaren Kreis umwendend, der mit gierigen Blicken durch die Schweißtücher dieses Schauspiel verschlungen hatte.

»Du billigst also die Hinrichtung, welche so eben stattgefunden hat?« sagte der Präsident.

»Ja, wenn derjenige, welcher den Streich erhalten, wirklich schuldig war.«

»Und Du würdest auf den Tod jedes Menschen trinken, der, wie er, die Geheimnisse der heiligen Verbindung verriethe?«

»Ich würde trinken.«

»Was für ein Getränke es auch sein möchte?«

»Was für eines es auch sein möchte.«

»Bringt die Schale,« sprach der Präsident.

Einer von den zwei Henkern näherte sich dem Aufzunehmenden und reichte ihm einen rothen, lauen Saft in einem Menschenschädel, der auf einem bronzenen Fuße befestigt war.

Der Unbekannte nahm die Schale aus den Händen des Henkers, erhob sie über seinen Kopf und sprach:

»Ich trinke auf den Tod jedes Menschen, der die Geheimnisse der heiligen Verbindung verräth.«

Dann senkte er die Schale zur Höhe seiner Lippen, leerte sie bis auf den letzten Tropfen und gab sie kalt demjenigen zurück, welcher sie ihm gereicht hatte.

Ein Gemurmel des Erstaunens durchlief die Versammlung, und die Gespenster schienen sich einander durch ihre Leichentücher anzuschauen.

»Es ist gut,« sprach der Präsident. »Die Pistole!«

Ein Gespenst näherte sich dem Präsidenten, in einer Hand eine Pistole, in der andern eine bleierne Kugel und eine Ladung Pulver haltend.

Der Aufzunehmende wandte kaum seine Augen nach dem Gespenste.

»Du gelobst also der heiligen Versammlung leidenden Gehorsam?« fragte der Präsident.

»Ja«

»Sogar wenn dieser Gehorsam an Dir selbst geübt werden müßte?«

»Derjenige, welcher hier eintritt, gehört nicht sich, sondern Allen.«

»Du wirst also gehorchen, welcher Befehl Dir auch von mir gegeben werden mag?«

»Ich werde gehorchen.«

»Auf der Stelle?«

»Auf der Stelle.«

»Ohne Zögern?«

»Ohne Zögern.«

»Nimm die Pistole und lade sie.«

Der Unbekannte nahm die Pistole, goß das Pulver in den Lauf, setzte einen Pfropf darauf und ließ dann die Kugel hineinfallen, die er mit einem zweiten Pfropf befestigte, wonach er Pulver auf die Pfanne schüttete.

Alle die dunkeln Bewohner dieses seltsamen Ortes schauten ihn mit einem düsteren Stillschweigen an, das nur durch das Geräusch des an die Bogen der Gewölbe anprallenden Windes unterbrochen wurde.

»Die Pistole ist geladen,« sprach kalt der Unbekannte.

»Bist Du dessen sicher?« fragte der Präsident.

Ein Lächeln zog über die Lippen des Aufzunehmenden, und dieser nahm den Ladstock und ließ ihn in den Lauf des Gewehres fallen, aus dem er zwei Zoll hervorragte.

Der Präsident bedeutete durch ein Zeichen, daß er überzeugt sei.

»Ja,« sagte er, »sie ist in der That geladen, und gut geladen.«

»Was soll ich thun?« fragte der Unbekannte.

»Spanne.«

Der Unbekannte spannte die Pistole, und man hörte unter dem tiefen Stillschweigen, das die Zwischenräume des Zwiegespräches begleitete, das Krachen des Hahnen.

»Nun halte die Mündung der Pistole an Deine Stirne,« fuhr der Präsident fort.

Der Unbekannte gehorchte, ohne zu zögern.

Ein tieferes Stillschweigen als je lagerte sich über der Versammlung; die Lampen schienen zu erbleichen; diese Gespenster waren wirklich Gespenster, denn keines von ihnen hatte Athem.

»Feuer!« sagte der Präsident.

Der Drücker rührte sich, der Stein funkelte auf der Batterie; aber nur das Pulver der Pfanne entzündete sich und kein Geräusch begleitete seine ephemere Flamme.

Ein Schrei der Bewunderung entströmte beinahe jeder Brust, und der Präsident streckte mit einer instinktartigen Bewegung die Hand gegen den Unbekannten aus.

Doch zwei Proben genügten ohne Zweifel den Anspruchsvollsten nicht, und einige Stimmen riefen:

»Den Dolch! den Dolch!«

»Ihr verlangt ihn?« fragte der Präsident.

»Ja, den Dolch! den Dolch!« wiederholten dieselben Stimmen.

»Bringt den Dolch,« sprach der Präsident.

»Es ist unnöthig,« sagte der Unbekannte, verächtlich den Kopf schüttelnd.

»Wie, unnöthig!« rief die Versammlung.

»Ja, unnöthig!« entgegnete der Auszunehmende mit einer Stimme, welche alle andere Stimmen bedeckte; »ich wiederhole es Euch, denn Ihr verliert eine kostbare Zeit.«

»Was sagst Du da?« rief der Präsident.

»Ich sage, daß ich alle Eure Geheimnisse kenne, daß die Proben, denen Ihr mich unterwerft, Kinderspiele sind, unwürdig, einen Augenblick ernste Wesen zu beschäftigen. Ich sage, daß dieser ermordete Mensch nicht todt ist, ich sage, daß das Blut, das ich getrunken, in einem aus seiner Brust liegenden und unter seinen Kleidern verborgenen Schlauche enthaltener Wein war, ich sage, daß das Pulver und die Kugeln in dem Augenblick, wo ich den Hahnen spannte, in den Kolben gefallen sind. Nehmt also Eure ohnmächtige Waffe zurück, denn sie taugt nur dazu, Feige zu erschrecken. Stehe auf, lügnerischer Leichnam, denn Du wirst die Starken nicht einschüchtern.«

Ein furchtbarer Schrei erhob sich und machte die Gewölbe schallen.

»Du kennst unsere Geheimnisse,« rief der Präsident; »Du bist also ein Seher oder ein Verräther?«

»Wer bist Du?« fragten dreihundert Stimmen, während zu gleicher Zeit zwanzig Schwerter in den Händen der nächsten Gespenster funkelten und durch eine regelmäßige Bewegung, wie es die einer eingeübten Phalanx gewesen wäre, sich senkten und auf der Brust des Unbekannten vereinigten.

Aber lächelnd, ruhig, das Haupt erhebend und seine Haare schüttelnd, welche nur durch das Band gehalten wurden, das man um seine Stirne gewickelt hatte, sprach er:

»Ego sum qui sum, ich bin, der ich bin.«

Dann ließ er seine Augen auf der menschlichen Mauer, welche ihn enge umschloß, umherlaufen; bei seinem gebieterischen Blicke sanken die Schwerter durch ungleiche Bewegungen nieder, je nachdem diejenigen, welche der Unbekannte mit diesem Blicke traf, sogleich seinem Einflusse wichen, oder ihn zu bekämpfen suchten.

»Du hast ein unkluges Wort ausgesprochen,« sagte der Präsident; »ohne Zweifel sprachst Du es nur, weil Du das Gewicht desselben nicht kennst.«

Der Fremde schüttelte lächelnd den Kopf und erwiederte:

»Ich habe geantwortet, was ich antworten muß.«

»Woher kommst Du denn?« fragte der Präsident.

»Ich komme von dem Lande, von dem das Licht kommt.«

»Unsere Instructionen melden uns, Du kommest von Schweden.«

»Wer von Schweden kommt, kann vom Orient kommen,« antwortete der Fremde.

»Zum zweiten Male, wir kennen Dich nicht. Wer bist Du?«

»Wer ich bin?  . . .« versetzte der Unbekannte; »ich werde es Euch sogleich sagen, da Ihr Euch stellt, als begriffet Ihr mich nicht; zuvor aber will ich Euch sagen, wer Ihr selbst seid.«

Die Gespenster bebten und ihre Schwerter schlugen an einander, während sie von ihrer linken Hand in ihre rechte übergingen und sich bis zu der Höhe der Brust des Unbekannten erhoben.

»Vor Allem Du,« fuhr der Unbekannte, die Hand gegen den Präsidenten ausstreckend, fort, »Du, der Du zu mir sprichst, und der Du Dich für einen Gott hältst und nur ein Vorläufer bist, Du, der Präsident der schwedischen Kreise  . . . ich werde Dir Deinen. Namen sagen, damit ich nicht nöthig habe, Dir die der Andern zu nennen: Swedenborg, haben Dir die Engel, welche vertraulichen Umgang mit Dir pflegen, nicht geoffenbart, daß derjenige, welchen Du erwartetest, sich auf den Weg begeben?«

»Das ist wahr,« antwortete der Präsident, sein Leichentuch erhebend, um den Sprechenden besser zu sehen, »sie haben es mir gesagt.«

Und derjenige, welcher gegen alle Gebräuche der Gesellschaft sein Leichentuch erhob, zeigte hiedurch das ehrwürdige Gesicht und den weißen Bart eines achtzigjährigen Greises.

»Gut,« sprach der Fremde; »zu Deiner Linken ist der Vertreter des englischen Kreises, welcher in der Loge Caledonia präsidirt. Heil, Mylord! wenn das Blut Eures Ahnen in Euch fortlebt, darf England hoffen, daß sich das erloschene Licht wieder entzünden wird.«

Die Schwerter senkten sich; der Zorn fing an dem Erstaunen Platz zu machen.

»Ah! Ihr seid es, Kapitän,« fuhr der Unbekannte, sich an das letzte Haupt zur Linken des Präsidenten wendend, fort; »in welchem Hafen habt Ihr Euer schönes Schiff gelassen, dem Ihr zugethan seid, wie einer Geliebten? Es ist eine brave Fregatte, nicht wahr, die Providence und ein Name, der Amerika Glück bringen wird?«

Dann sich an denjenigen wendend, welcher rechts vom Präsidenten stand:

»Nun ist es an Dir, Prophet von Zürich, schau’ mir in’s Antlitz, Du, der, Du die physiognomische Wissenschaft bis zur Divination getrieben hast, und sage laut, ob Du nicht in meinem Gesichte den Beweis meiner Sendung erkennst?«

Altersbeschränkung:
0+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
06 Dezember 2019
Umfang:
1798 S. 15 Illustrationen
Rechteinhaber:
Public Domain

Mit diesem Buch lesen Leute