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John Davys Abenteuer eines Midshipman

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XI

Apostoli erzählte mir mit kurzen Worten, was geschehen war. Er hatte das Schiff nicht in die Luft sprengen können, weil der Capitän, der meine Absicht errathen, die Pulverkammer unter Wasser gesetzt hatte. Er begab sich daher wieder auf das Verdeck, um mich aufzusuchen. Auf der Treppe begegneten ihm zwei Piraten, welche den von mir verwundeten jungen Griechen in die Cajüte des Capitäns brachten. Der Verwundete war in Gefahr zu verbluten und verlangte jammernd einen Arzt. Apostoli ergriff nun begierig die sich zu meiner Rettung darbietende Gelegenheit und gab mich für den Schiffsarzt aus. Ich allein, sagte er, sei im Stande den Schwerverwundeten zu retten, man möge Befehl geben, dem Gemetzel Einhalt zu thun, wenn es noch Zeit sei.

Die beiden Piraten eilten sogleich auf’s Verdeck und befahlen im Namen des Sohnes des Capitäns, die Waffen augenblicklich ruhen zu lassen.

Apostoli folgte ihnen, und suchte mich, aber er fand mich nirgends. In diesem Augenblicke brachen die Piraten in lauten Jubel aus; ihr Capitän, der in dem Gewühl verschwunden war, kletterte an einem Tau wieder herauf und sprang auf das Verdeck. Apostoli erkannte den Mann, mit welchem ich gerungen hatte, und eilte auf ihn zu, um ihn zu fragen, was aus mir geworden sei. Der Pirat wußte es nicht, er vermuthete, ich sei ertrunken. Apostoli sagte, ich sei Arzt und allein im Stande den Sohn des Capitäns zu retten.

Der trostlose Vater fragte, ob mich Niemand gesehen; zwei Piraten erklärten, sie hätten auf einen Mann geschossen, der sich schwimmend in der Richtung des Felseneilandes entfernt habe. Der Capitän ließ sogleich eine Schaluppe aussetzen; er war unschlüssig, ob er sich zu seinem verwundeten Sohn begeben oder mit in die Schaluppe steigen sollte; aber Apostoli sagte ihm, er sei mein Herzensbruder und werde mich mit Hilfe der heil. Jungfrau gewiß auffinden. Der Capitän ging daher in die Cajüte hinunter und Apostoli stieg mit den Ruderern in die Schaluppe.

Bald sahen die Bootsleute etwas Weißes schwimmen, und fischten es auf. Es war meine Fustanella. Sie wußten nun, daß sie mir auf der Spur waren, und ruderten dem Eilande zu, denn sie vermutheten mit Recht, daß ich dasselbe zu erreichen suchte.

Nach einer halben Stunde zeigte ihnen ein Blitz einen mit den Wellen kämpfenden Schwimmer – und sie erreichten mich in dem Augenblicke, wo ich wahrscheinlich den Tod gefunden hätte, wenn die Rettung noch länger ausgeblieben wäre.

Als mir Apostoli diese Erklärung gegeben hatte, that sich die Thür meiner Cajüte auf und der Capitän trat ein.

Auf den ersten Blick erkannte ich meinen Gegner, obgleich sein Gesicht einen ganz andern Ausdruck hatte; denn jetzt war tiefe Niedergeschlagenheit an die Stelle der Wuth getreten; er kam nicht mehr als Feind, sondern als Bittender.

Als er sah, daß ich wieder zur Besinnung gekommen war, eilte er auf mich zu und sagte in italienischer Sprache:

»Bei der heiligen Jungfrau beschwöre ich Euch, Signor Medico, rettet meinen Fortunato! Ihr möget von mir verlangen was Ihr wollt.«

»Ich weiß nicht, ob ich deinen Sohn retten kann,« antwortete ich dem Piraten; »aber vor Allem verlange ich, daß keiner von den Gefangenen umkomme; das Leben deines Sohnes bürgt mir für das Leben des geringsten Matrosen.«

»Rette meinen Fortunato!« wiederholte der Pirat; »und ich will mit meinen eigenen Händen Den erwürgen, der den Gefangenen ein Haar krümmt. Aber Du mußt mir schwören, Fortunato nicht zu verlassen, bis er geheilt oder todt ist.«

»Ich schwöre es.«

»So komm,« sagte der Pirat.

Ich sprang von meiner Hängematte und folgte dem Capitän mit Apostoli in die Cajüte, wo der Verwundete lag.

Ich erkannte diesen ebenfalls wieder. Er war ein schöner Jüngling mit schwarzem Haar und dunkler Gesichtsfarbe. Dir Lippen des Kranken waren violett, er konnte kaum noch sprechen; von Zeit zu Zeit verlangte er zu trinken, denn er hatte ein heftiges Fieber. Ich hob die Decke auf, unter welcher er lag, und fand ihn in seinem Blute schwimmend. Die etwa fünf Zoll lange und anderthalb Zoll tiefe Wunde war am Oberschenkel. Ich bemerkte sogleich, daß die Pulsader nicht verletzt war, die Wunde war also nicht tödtlich.

Vor allem wusch ich die Wunde mit dem frischesten Wasser, welches auszutreiben war, und als das Blut gestillt war, legte ich Charpie hinein und umwickelte den Schenkel mit einer Binde, so daß die klaffenden Ränder der Wunde zusammengezogen wurden. Als der Verband angelegt war, ließ ich den Kranken mit Gurten aufheben, um ihm eine frische Matratze Hund reine Leinentücher unterlegen zu lassen. Dazu verordnete ich die strengste Diät und des häufige Benetzen der Wunde mit frischem Wasser.

Dann begab ich mich selbst zur Ruhe, denn ich war nach den Anstrengungen des letzten Tages ganz erschöpft.

Ich war nun wieder mit Apostoli allein. Erst jetzt erkannte ich die Größe seiner Aufopferung und Geistesgegenwart. Wir sanken einander in die Arme und freuten uns des unverhofften Wiedersehens. Denn ohne die Hilfe, welche mir mein Freund gebracht, wäre mein Leichnam auf einen Felsen geworfen und eine Beute der Raubvögel geworden.

Dann erkundigte ich mich nach unserer Schiffsmannschaft. Es waren nur dreizehn Mann und fünf Passagiere dem Gemetzel entgangen; alle Verwundeten beider Parteien waren ins Meer geworfen worden, und unter diesen war der arme Contromastro. Unser Capitän hatte den Piraten erzählt, was vorgegangen war; wie die »Bella Levantina« wider seinen Willen Widerstand geleistet; er hatte bewiesen, daß er im entscheidenden Augenblicke durch Ueberschwemmung der Pulverkammer das Schiff und alle am Bord befindlichen Menschen gerettet, und so hatte man ihm das Leben geschenkt.

Ueber das Schicksal der Gefangenen beruhigt, ging ich zu Bett und schlief sogleich ein.

Um zwei Uhr erwachte ich; ich dachte sogleich an meinen Verwundeten, und, obgleich man mich nicht gerufen hatte, so stand ich doch auf und ging in die Cajüte des Capitäns. Er saß vor dem Lager seines Sohnes, dessen Wunde er von Zeit zu Zeit anfeuchtete. Sein Gesicht, welches im Kampfe so furchtbar gewesen war, hatte einen zärtlich besorgten Ausdruck angenommen; er war kein Piratenhäupting mehr, sondern ein liebevoller Vater. Sobald er mich erblickte, reichte er mir die Hand und winkte mir Stillschweigen zu, um den Kranken nicht zu wecken.

Der junge Grieche schlief ruhig und fieberlos. Sein Athem war schwach, aber regelmäßig. Nie hatte ich ein schöneres Gesicht gesehen: von den schwarzen Haaren umwallt, erinnerte es an die edlen Köpfe Tizian’s und Van-Dyk’s. Es ging also Alles nach Wunsch und ich beruhigte den Vater; aber er war nicht zu bewegen, das Lager seines Sohnes zu verlassen.

Ich begab mich wieder in meine Cajüte und schlief bis acht Uhr Morgens. Dann ging ich wieder zu Fortunato. Er wachte und hatte Fieber; dies beunruhigte mich durchaus nicht, denn es war der gewöhnliche Verlauf der Krankheit; ich verordnete kühlende Getränke und besuchte dann meinen andern Patienten.

Dieser war leider in einem bedenklichen Zustande; die Aufregung während des Kampfes und die Anstrengungen, die er zu meiner Rettung gemacht, hatten seine Kräfte erschöpft. In der Nacht hatte er stark gehustet und Blut ausgeworfen; dann hatte sich das Fieber eingestellt, und nun war er so schwach, daß er nicht einmal versuchte sich aufzurichten.

Meine ärztlichen Kenntnisse waren zu Ende, und ich verordnete nur einige jener harmlosen Mittel, welche zur Beruhigung des Kranken dienen. Dann blieb ich bei Apostoli, um ihn zu zerstreuen.

Er zeigte mir nun sein reines edles Gemüth, das nie einen unlauteren Gedanken gehabt hatte. Er war, wie alle Lungenkranke, weit entfernt das Gefährliche seines Zustandes zu ahnen; er hielt seine Krankheit für das in Griechenland ziemlich häufige Wechselfieber.

Ich blieb den ganzen Tag bei ihm; er sprach von seiner Mutter, von seiner Schwester, von seinem Heimatlande, keine andere Liebe hatte diese ursprünglichen Gefühle aus seinem Herzen verdrängt; er glich einer eben aufblühenden duftenden Lilie.

Abends ging ich auf das Verdeck. Die beiden nothdürftig ausgebesserten Schiffe segelten neben einander etwa zwei Seemeilen von einer Küste, welche ich schon gesehen hatte, als wir Lord Byron von Smyrna abholten; ich hielt sie für die Küste von Scio. Wie viel hatte ich seitdem erlebt, und wie wenig hatte ich alle diese Ereignisse geahnt, als ich fünf oder sechs Monate zuvor am Bord des »Trident« dasselbe Meer befahren hatte!

So bald ich das Verdeck betrat, fiel mir die Ehrerbietung der ganzen Mannschaft auf: man sah in mir einen sehr gelehrten Arzt und hielt mich nach orientalischer Sitte hoch in Ehren. Ich sah übrigens keinen Matrosen oder Passagier der »Bella Levantina«, daher vermuthete ich, daß sie sich am Bord der Feluke befanden.

Nach einer Stunde ging ich wieder zu Apostoli hinunter. Er war etwas ruhiger. Ich verschwieg ihm, daß wir bald an Scio und folglich auch an Smyrna vorbeisegeln würden. Er fragte auch nicht mehr, welchen Weg wir genommen; es schien fast, als sei es ihm gleichgültig, wo er auf Erden wandelte, und als denke er nur an den Himmel.

In der Nacht hatten wir einen der im Inselmeere so häufigen Stürme. Ich ging von Apostoli zu Fortunato. Beide waren von der schwankenden Bewegung des Schiffes sehr angegriffen. Ich sagte zu Constantin – so hieß der Piratencapitän – daß es nothwendig sei wegen der beiden Kranken zu landen.

Er berieth sich in griechischer Sprache mit seinem Sohne; dann ging er auf’s Verdeck, vermuthlich um zu sehen wo wir waren. Als er sich überzeugt hatte, daß wir die südliche Spitze von Scio umschifften und uns auf der Höhe von Andros befanden, beschloß er den andern Morgen zu Nicaria den Anker auszuwerfen. Ich setzte Apostoli davon in Kenntniß; er empfing die Nachricht mit seinem gewohnten wehmüthigen Lächeln und meinte, der Aufenthalt am Lande werde ihm wohl thun.

 

Es war der dritte Tag nach Fortunato’s Verwundung; es war Zeit, den Verband abzunehmen. Ich traf die nöthigen Vorkehrungen, aber Constantin ersuchte mich zu warten, er wolle sich entfernen.

Dieser Seeräuber, der an Kampf und Blutvergießen gewöhnt war, mochte nicht sehen, daß sein Sohn verbunden wurde. Er ging auf das Verdeck, und ich blieb allein mit Fortunato und einem jungen Piraten, den man mir als Diener gegeben hatte.

Ich nahm den Verband ab und fand die Wunde etwas entzündet, ich strich daher Wachssalbe auf die frische Charpie, verband die Wunde mit derselben Sorgfalt wie das erste Mal und verordnete das Benetzen derselben mit schleimigem Wasser. Als ich den frischen Verband angelegt hatte, ging ich auf’s Verdeck, um dem Vater die Nachricht zu bringen, daß Fortunato auf dem Wege der Genesung sei.

Er war bei Apostoli, der sich etwas stärker fühlte und sich nach frischer Luft sehnte. Beide waren auf dem Verdeck und betrachteten die am Horizont wie eine Klippe auftauchende Insel Nicaria, das vorläufige Ziel unserer Reise. Links lag Samos, welches mit seinen Olivenwäldern vom Meere kaum zu unterscheiden war. Kaum hatte ich ihm die freudige Nachricht überbracht, so eilte Constantin zu dem Verwundeten und ließ mich mit Apostoli allein.

Es war das erste Mal, daß ich ihn seit dem Kampfe im hellen Sonnenlicht wieder sah, und obgleich auf diesen Anblick vorbereitet, erschrak ich über die traurige Veränderung, welche in diesen drei Tagen mit ihm vorgegangen war. Diese drei Tage hatten freilich mehr erschütternde Vorfälle gebracht, als unter gewöhnlichen Verhältnissen eben so viele Jahre; seine Backenknochen waren stärker geröthet; seine Augen waren um ein Drittheil größer geworden, und seine Stirn war beständig mit Schweiß bedeckt.

»Komm, mein Aeskulap,« sagte er lächelnd; »komm und laß Dir die Insel zeigen, wo wir Dir eitlen Tempel bauen wollen, Fortunato und ich, wenn Du uns geheilt hast. Es ist freilich nur ein Felseneiland, aber die modernen Götter sind nur so kurze Zeit am Ruder, daß sie weniger Ansprüche machen müssen, als die Götter des Alterthums.«

»Wie nennst Du denn die Insel, wo Du mir einen Tempel erbauen willst?«

»O, sei nur unbesorgt,« erwiederte er, »die Huldigungen der Menschen sollen Dir nicht lästig werden, denn das Eiland war schon zu Strabo’s Zeit unbewohnt; aber Du wirst Tag und Nacht das Brausen des Meeres hören; die Eisvögel von Delos und Mekoni werden Dich heimsuchen; und von Zeit zu Zeit wird ein Pirat, der in ritten Seehafen nicht einlaufen mag und dessen Söhnlein im Kampf verwundet worden, insgeheim Hilfe bei Dir suchen. Und dann wird ein Tag kommen, wo Du alle umliegenden Inseln, Leuchtthürme strahlen sehen wirst; dann wird das feurige Kreuz zum dritten Male über Constantinopel glänzen, und der Freiheitsruf wird erschallen von Berg zu Berg, von Albanien bis zum Cap Sant’ Augelo, vom Golf von Salonik bis Candia. Dann wirst Du eine Menge Barken, nicht mit Piraten, sondern von Kriegern bemannt, langbeschwingten Adlern gleich über das Meer gleiten sehen; Du wirst manchen Todesschrei hören, aber nicht mehr von Sklaven. – Und ich,« fuhr Apostoli mit seinem wehmüthigen Lächeln fort, »wenn ich außerhalb meines Vaterlandes sterben soll, so wünsche ich mir nur eines jener schönen Gräber, welche schon vor zweitausend Jahren einen Namen hatten, damit wenigstens mein Geist Zeuge sei der Wiedergeburt von Hellas.«

»Ei! welche schönrednerische Sibylle hat Dir denn eine solche Wiedergeburt versprochen?« fragte ich kopfschüttelnd.

»Die, welche nie aufgehört Orakel zu sprechen, deren Tempel weder zu Dodona noch zu Delphi, sondern im Menschenherzen ist: die Hoffnung.«

»Die ist noch trügerischer als die anderen,« erwiederte ich; »denn sie schreibt ihre Prophezeiungen nicht einmal auf Blätter, sondern aus Wolken: jene wurden vom Winde nur zerstreut, und es fand sich wenigstens etwas davon wieder; diese aber werden durch den leisesten Hauch verjagt und verschwinden spurlos.«

Apostoli sah mich einen Augenblick an; dann sagte er lächelnd:

»Bist Du denn in deinem Unglauben so glücklich? Höre, John, das größte Unglück kommt dem Glück sehr nahe, so wie das höchste Glück zum Unglück werden kann. Dort ist Samos,« setzte er hinzu und zeigte auf die größere der beiden Inseln, auf welche wir zusteuerten; »hier lebte einst Polykrates, der immer glücklich gewesen war; überall, wo er Krieg geführt, war er Sieger geblieben; er hatte hundert Schiffe mit je fünfzig Ruderern, und tausend Bogenschützen, die tapfersten und geschicktesten in ganz Griechenland; er hatte sich zum Herrn vieler Inseln und mehrerer Städte des Festlandes gemacht; er hatte die Lesbier in einer Seeschlacht besiegt und von den Gefangenen um seine Stadt einen noch sichtbaren tiefen Graben machen lassen. Kurz, in ganz Griechenland war das Glück des Polykrates sprichwörtlich geworden. Als er gar keinen Wunsch mehr hatte, erhielt er ein Schreiben von Amasis, dem Könige Egyptens, der Vordem ein Bündnis mit ihm geschlossen hatte. Dieser Brief lautete:

»»Es ist eine Freude, das Glück eines Freundes und Bundesgenossen zu erfahren; allein so beständige Erfolge wie die deinigen gefallen mir nicht, denn ich weiß, wie neidisch die Gottheit ist. Ich wünsche daher für mich und für Alle, die mir theuer sind, bald Glück bald Mißgeschick, und es ist mir lieber, daß das Leben wechselvoll sei, als daß es im ungetrübten Glücke vergehe; denn ich kenne keinen Menschen, dessen langes Glück nicht am Ende durch irgend eine starke Erschütterung vernichtet worden wäre. Wenn Du daher meinen Rath befolgen willst, so suche deinem Glücke selbst ein Ende zu machen: nimm dein kostbarstes Kleinod, dessen Verlust Dich am tiefsten betrüben würde, und wirf es von Dir, so daß es aus immer für Dich verloren ist. Und wenn Dir nach diesem Verluste das Glück fortwährend günstig sein sollte, so greife wieder zu demselben Mittel.««

»Dies schrieb Amasis, der egyptische Pharaone, an Polykrates, den Tyrannen von Samos, und dieser versank zum ersten Male in tiefes Nachdenken. Endlich beschloß er den Rath seines Bundesgenossen zu befolgen. Der kostbarste, theuerste Gegenstand, den er besaß, war ein goldener Ring, in welchen ein von Theodoros, dem Sohn des Telclkes, gravierter Smaragd gefaßt war, und durch den Verlust dieses Ringes wollte er sich vor tiefem Fall bewahren. Er bestieg daher eine seiner Barken, ließ sich weit auf das Meer hinausrudern und warf daselbst in Gegenwart Aller den Ring in die Fluten. Dann lehrte er nach Samos zurück und vergoß die ersten Schmerzesthränen, welche jemals sein Auge befeuchtet hatten.«

»Einige Tage nachher bat ein Fischer um die Erlaubniß, dem Tyrannen von Samos einen prächtigen unbekannten Fisch, den er eben gefangen, zum Geschenk anbieten zu dürfen Polykrates, dessen Neugierde erregt ward, ließ den Fischer vor sich kommen.

»»Ich lebe nur von meiner Hände Arbeit,« sagte der arme Mann, »aber ich wollte diesen Fisch doch nicht auf dem Markte verkaufen; er schien mir deiner würdig, und ich bringe ihn Dir.««

»»Wohlgesprochen und wohlgethan,«« erwiederte der König, »»trage den Fisch in meine Küche und verzehre ihn mit mir, ich lade Dich zu Gaste.««

»Der Fischer gehorchte und versprach Abends wiederzukommen. Aber ehe es Abend wurde, brachte der Koch dem Polykrates den ins Meer geworfenen Ring, den er in den Eingeweiden des Fisches gefunden hatte. – Als Amasis dies erfuhr, löste er das mit Polykrates geschlossene Bündniß auf, denn er fürchtete, seine Seelenruhe könne durch das unfehlbar bevorstehende große Unglück getrübt werden.«

»Nun, was geht daraus hervor, lieber Apostoli?« sagte ich lachend; »daß es damals wie jetzt Menschen gab, welche das Unglück eines Freundes nicht zur Hälfte tragen mochten, und daß Amasis ein Feigling war, dem Kambyses die Ohren hätte abschneiden sollen.«

»Er hatte aber doch Recht,« erwiederte Apostoli; »denn eines Tages, als sich Oretes und Mitrobates, zwei Feldherren des Cyrus, vor dem Palast befanden, stritten sie sich um den Vortritt; jeder rühmte seine Verdienste und setzte die seines Nebenbuhlers herab. Ich weiß nicht, was Oretes dem Mitrobates vorwarf, aber dieser sagte zu jenem: »»Wie kannst Du Dich zu den Feldherren eines so großen Königs wie der unserige zählen? Du hast ihm nicht einmal diese Insel Samos, welche deiner Provinz so nahe liegt, erobern können! Und es wäre doch so leicht gewesen, denn Polykrates hat sich mit fünfzehnhundert Streitern in den Besitz der Insel gesetzt.«« – Oretes durch diesen Vorwurf tief verletzt, faßte von nun an den Entschluß, Samos zu erobern.

»Er brachte in Erfahrung, daß Polykrates sich zum Herrn des Meeres machen wollte, und schickte Myrsas, den Sohn des Gyges, mit folgender Botschaft an ihn ab:

»»Ich weiß, Polykrates, daß Du große Pläne entworfen hast; aber da ich auch weiß, daß Dir zur Ausführung derselben das nöthige Geld fehlt, so biete ich Dir ein Mittel, deine Macht zu vergrößern und mir zugleich das Leben zu retten. Kambyses trachtet mir nach dem Leben, ich habe Kenntniß von seinen Anschlägen. Ich mache Dir daher den Antrag, mich mit allen meinen Schätzen von hier abzuholen. Ein Theil dieser Schätze soll Dir gehören, den Genuß des Uebrigen wirst Du mir lassen; mit deinem Antheil wirst Du dich leicht zum Beherrscher von ganz Griechenland machen können. Wenn Du zweifelst, ob ich wirklich so große Schätze besitze, so kannst Du einen Vertrauten schicken, dem ich sie zeigen werde.««

»Polykrates schickte den Meandrios, einen der angesehensten Bürger von Samos, und Oretes zeigte ihm acht große Kisten voll Steine, auf welche er eine Schichte Goldbarren gelegt hatte; dann kehrte Meandrios nach Samos zurück und erzählte dem Polykrates was er gesehen.

»Polykrates beschloß sich nun selbst nach Magnesia zu begeben. Vergebens suchte ihn seine Tochter zurückzuhalten: sie habe ihn im Traum als Leiche gesehen und Jupiter habe, ihn gewaschen und die Sonne gesalbt. Alle Vorstellungen blieben fruchtlos, das Gold hatte den Polykrates geblendet, seine glücklichen Tage gingen zu Ende; er verließ Samos und fuhr in Begleitung seines Arztes Democedes und vieler Hofleute und Diener den Meander hinauf. Nach seiner Ankunft in Magnesia wurde er von Oretes festgenommen und ans Kreuz geschlagen. So ging der Traum seiner Tochter in Erfüllung, denn Jupiter schickte einen starken Regen und die Sonne ihre glühenden Strahlen auf ihn herab.

»Wir Griechen,« fuhr Apostoli, »sind eben so unglücklich wie Polykrates glücklich war. Worten wir die Geißel, mit der man uns schlägt, ins Meer werfen, sie würde gewiß von einem Fisch verschluckt und unseren Tyrannen überbracht werden. Nichts deutet auf unser Glück, sowie nichts auf sein Unglück deutete. Aber zu dieser Stunde streiten sich vielleicht vor dem Palast des Sultans Mahmud ein Vesir und ein Pascha, deren einer unsere Freiheit braucht, um seinen Kopf zu retten. Woher unsere Wiedergeburt kommen wird? Ich weiß es noch nicht; aber glaube mir, John, sie wird nicht lange mehr auf sich warten lassen. O wärest Du doch einer von Denen, welche diesem Licht entgegengehen!«

Ich gestehe, daß solche Orakel in Apostoli’s Munde einigen Eindruck auf mich machten, ich habe immer an die Prophezeiungen der Sterbenden geglaubt; wer dem Grabe nahe ist, dürfte wohl über dasselbe hinaussehen können.

Während wir uns die alten Sagen von Samos vergegenwärtigten, waren wir unserm Ziel nahe gekommen und liefen in einen kleinen Hafen ein, wo die beiden Schiffe einen sichern Ankerplatz fanden.

Die Piraten brachten sogleich zwei Zelte ans Land und schlugen dieselben in einiger Entfernung von einander auf, das eine an einem Bache, das andere in einem Wäldchen.

In diesen Zelten wurden Polster und Teppiche ausgebreitet; die Zeltöffnungen befanden sich auf der Landseite, so daß die Kranken die Insel Samos, im Hintergrunde den Gipfel des Berges Mylale und ans beiden Seiten Ephesus und Milet, oder vielmehr die Stelle, wo diese Städte einst standen, sehen konnten. Um diese beiden Zelte errichteten die Piraten ihr Lager.

Als diese Vorkehrungen beendet waren, brachte man Fortunato in das eine Zelt; das andere bezog Apostoli. Dann mußte ich noch einmal schwören, vor der völligen Genesung Fortunato’s keinen Fluchtversuch zu machen, und erhielt nun meine Freiheit. Dieser Schwur war überflüssig, denn ich würde Apostoli um keinen Preis der Welt verlassen haben.

In diesem herrlichen Klima, welches sich nicht verändert hat, seitdem Athene hier zweimal im Jahre reife Trauben fand, war die Nachtkühle nicht zu fürchten. Ich schlief in Apostoli’s Zelte. Constantin blieb bei seinem Sohne. Die Piraten lagerten sich um uns, und nur wenige blieben auf den Schiffen.

Am andern Morgen schickte Constantin eine Barke nach Samos, um frische Lebensmittel zu kaufen. Auf mein Ersuchen brachte man eine Ziege, deren Milch von nun an meinem kranken Freunde zur ausschließlichen Nahrung diente.

 

Fortunato, dessen Wunde wieder frisch verbunden wurde, befand sich ganz nach Wunsch. Apostoli’s Zustand hingegen war sehr bedenklich; jeden Abend war das Fieber starker, jeden Morgen fühlte er sich schwächer.

An den ersten Tagen bestiegen wir in der Frühe oder Abends einen Hügel, welcher den höchsten Punkt der Insel bildete; aber bald wurde auch dieser kurze Spaziergang zu ermüdend für ihn. Täglich machte er einige Schritte weniger und wählte einen nähern Ruheplatz. Endlich mußte er vor seinem Zelt bleiben, und erst jetzt fing er an die Gefahr seines Zustandes einzusehen.

Apostoli gehörte zu den Menschen, welche selbst bei Unbekannten Theilnahme erwecken; er wurde von den Piraten herzlich bedauert. Ich bezweifelte daher nicht, daß ihm Constantin erlauben werde, nach Smyrna zu den Seinigen zurückzukehren. Ich hatte mich nicht geirrt: der Pirat war sogleich bereit meine Bitte zu gewähren und erbot sich sogar ihn in einer Barke nach Teos führen zu lassen. Von da konnte er leicht nach Smyrna gebracht werden.

Ich theilte meinem Freunde die erwünschte Nachricht mit; aber zu meinem großen Erstaunen nahm er sie ziemlich kalt auf.

»Und Du?« fragte er; »wirst Du mich begleiten.«

»Ich habe nicht um Erlaubniß gefragt.

Apostoli lächelte traurig.

Ich ging wieder zu dem Piraten, der sich eine kleine Weile mit Fortunato berieth. Dann sagte er zu mir, ich hätte ihm mein Wort gegeben, seinen Sohn vor dessen völliger Genesung nicht zu verlassen, und da Fortunato noch an sein Schmerzenslager gefesselt sei, so könne er mich nicht fortlassen.

Apostoli, dem ich diese Antwort überbrachte, sann einen Augenblick nach; dann faßte er meine Hände und zog mich an seine Seite.

»Höre, Bruder,« sagte er, »wenn ich meiner Mutter beim Abschiede einen Sohn, meiner Schwester einen Bruder hätte zurücklassen können, so würde ich es gern gethan haben; sie würden sich bald getröstet haben, weil sie mehr behalten als verloren hätten. Aber da es nicht sein konnte, so ist es besser ihnen den Schmerz der letzten Augenblicke zu ersparen. Ich habe meinem Vater die Augen zugedrückt, und ich weiß aus Erfahrung, wie schmerzlich es ist, Tag für Tag am Krankenbett die ausbleibende Genesung und den zögernden Tod zu erwarten. Der Schmerzenskampf ist länger und peinlicher für die Angehörigen als für den Leidenden. Ich würde bei dem Anblick ihres Schmerzes meine Kraft verlieren. Zu Hause würden mich die trostlose Mutter, die jammernde Schwester nicht lassen wollen; hier wird mich Gott abrufen. – Ich bin sogar mit dem Gedanken umgegangen, meiner Mutter meinen Tod zu verheimlichen, ihr sagen zu lassen, ich sei auf Reisen, und Dir Briefe zu übergeben, welche Du ihr von Zeit zu Zeit schicken würdest, als ob ich noch lebte. Meine Mutter ist bejahrt und kränklich; vielleicht hätten wir sie täuschen können, bis man ihr ans ihrem Sterbelager gesagt hätte, daß sie mich nicht verlassen, sondern zu mir kommen werde. Doch ich mag’s nicht thun, John; der Gedanke, nach dem Tode noch zu lügen, ist mir peinlich.«

Ich sank in seine Arme.

»Aber warum gibst Du Dich so traurigen Gedanken hin, lieber Apostoli?« sagte ich. »Du bist jung, Du bewohnst ein Land, wo die Luft so mild, die Natur so schön ist; deine Krankheit ist in unserm kalten feuchten Norden wohl tödtlich, hier gewiß nicht. Wir wollen nicht mehr an den Tod, sondern nur an dritte Genesung denken. Und wenn Du wieder gesund bist, gehen wir zu deiner Mutter, und statt des einzigen Sohnes wird sie zwei Söhne haben.

»Ich danke Dir, John,« antwortete Apostoli mit seinem wehmüthigen Lächeln; »aber eine Täuschung ist nicht mehr möglich. – Du sagst, ich sei jung?«

Er versuchte aufzustehen, und sank kraftlos zurück.

»Du siehst. Was nützt es mir, daß ich zwanzig Jahre alt bin, wenn ich schwach bin wie ein Greis? Ich wohne in einem Lande, wo die Luft mild und die Natur schön ist; aber diese milde Luft durchglüht mir die Brust, diese schöne Natur fängt an vor meinen Augen zu verschwinden. Denn täglich verlieren die mich umgebenden Gegenstände an Gestalt und Farbe, ich sehe nur noch durch einen immer dichter werdenden Schleier. Bald wird mir der hellste Sonnenschein nur noch als Dämmerung erscheinen, und aus der Dämmerluft werde ich sanft in die dunkle Nacht übergehen. Versprich mir, John, dann Alles zuthun, was ich von Dir verlange.«

Ich nickte schweigend, es wäre mir unmöglich gewesen zu sprechen.

»Wenn ich todt bin,« fuhr er fort, »so schneide mir die Haare ab und zieh diesen Ring von meinem Finger. Die Haare bestimme ich meiner Mutter, den Ring soll meine Schwester erhalten; sie sollen meinen Tod von Dir erfahren, denn Du wirst ihnen diese Trauerbotschaft schonender als jeder Andere überbringen. Du wirst, wie die Boten im Alterthum, mit einem Stengel Eisenkraut vor ihnen erscheinen, und da sie lange nichts von mir gehört haben und nicht wissen werden, was aus mir geworden, so werden sie errathen, daß ich todt bin.«

»Es soll Alles geschehen, was Du wünschest,« antwortete ich; »aber sprich so nicht mehr, ich kann’s nicht ertragen.«

Ich stand auf, um mich zu entfernen, denn ich konnte mich der Thränen nicht erwehren.

»Bleib doch,« sagte aber Apostoli, »und sei nicht so traurig. Du weißt wohl, daß wir sterben, um wieder aufzuleben, und daß wir Griechen uns immer für unsterblich gehalten haben, gleichviel was für Götter wir verehrten. Orpheus und der heilige Hieronymus, die tausend Jahre nach einander gelebt, haben uns in der gleichen Sprache Hymnen an Pluto und Gebete an Christus hinterlassen.

Er begann nun in seiner schönen melodischen Sprache die uralte Hymne an den Pluto. – Ich würde vergebens versuchen den Eindruck zu schildern, den diese von einem Nachkommen des Agamemnon gesprochenen begeisterten Worte auf mich machten. Es schien mir, als ob ich um zweitausend Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt worden i wäre und einem jener griechischen Weisen zuhörte, die durch ihr Leben wie durch ihren Tod ein belehrendes Beispiel gegeben haben. Und um diese Täuschung vollkommen zu machen, sah ich vor mir die Piraten, welche sich, wie ermüdete Seevögel, auf der Insel des Ikarus niedergelassen hatten und nur das Ende des Schwanengesanges zu erwarten schienen, um wieder nach ihrem Felsenneste zu fliegen.

Die Sonne ging eben hinter den Inseln Andros und Tenos unter, und die Luft war so rein, daß man in einer Entfernung von mehren Meilen die an der Küste von Samos zerstreuten Fischerhütten sah. Um Apostoli zu zerstreuen, lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf das herrliche Landschaftsbild.

»Ja,« sagte er, »Du siehst es, und ich sehe es auch noch mit den Augen des Geistes; aber mit den Augen des Körpers sehe ich es nicht mehr. Alles ist für mich mit einem Schleier bedeckt, der morgen gelüftet wird. Morgen werde ich nicht nur die gegenwärtigen, sondern auch die vergangenen und die zukünftigen Dinge sehen. Glaube mir, John, wer in solchem Glauben stirbt, ist glücklicher als der Lebende, der nicht glaubt.«

»Das kann mir nicht gelten, Apostoli,« erwiederte ich; »denn obgleich unsere Religion in einigen Glaubenssätzen verschieden ist, so bin ich doch, wie Du, von einer treuen, liebevollen Mutter erzogen worden, ich glaube und hoffe.«

»Höre,« sagte Apostoli, »ich wünsche einen Priester. Rufe Constantin, ich will ihn darum bitten – und noch um manches Andere.«

»Was willst Du denn von ihm? Bedenke doch, daß Alles, was Du von einem Andern erbittest, ein Raub an mir ist.«

»Ich will ihn um die Freiheit der gefangenen Matrosen und Reisenden bitten; ich will ihn bitten, sie an meinem Todestage frei zu lassen, damit sie und ihre Angehörigen mein Andenken segnen.«