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John Davys Abenteuer eines Midshipman

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Apostoli stieg auf das Verdeck, um die Sonne hinter den Gebirgen von Rumili untergehen zu sehen; aber als die Nacht anbrach, mußte er in die Cajüte hinuntergehen. Er folgte willig meinen Anordnungen; ich saß vor seiner Hängematte und erzählte ihm, um ihn zu zerstreuen, die verschiedenen Abenteuer meines Lebens. Als ich ihm die Rettung der schönen Wasiliki erzählte, brach er in Thränen aus und fiel mir um den Hals.

Es wurde nun fest beschlossen, daß ich vorläufig in Smyrna bleiben sollte. Von Smyrna wollten wir Chios besuchen und Teos, die Vaterstadt Anakreon’s, und Klazomenä, wo der Dichter Simonides nach seinem Schiffbruche eine so gastliche Aufnahme fand, und Erythnä, die Vaterstadt der erythnäischen Sibylle, welche den Fall von Troja vorhersagte, und der Seherin Athenais, welche die Siege Alexander’s prophezeite.

Diese Entwürfe hielten mich einen Theil der Nacht wach. Ich bedachte so wenig wie Apostoli, daß wir auf Sand bauten; ich sah mich schon im Geiste in Begleitung des kundigsten Führers, den der Zufall oder vielmehr die Vorsehung an mich gewiesen, auf der Wanderung durch Griechenland. Dann fühlte ich plötzlich, wie seine Hand feucht und sein Puls rasch und unregelmäßig wurde. Dies erinnerte mich, daß dieses lange Wachen meinem lieben Patienten schaden müsse, und begab mich in meine Cajüte, um ihn seinige Stunden schlummern zu lassen.

Bei Tagesanbruch stieg ich auf das Verdeck, und Apostoli kam auch bald. Er hatte eine ziemlich gute, obschon durch Fieberschweiß gestörte Nacht gehabt; aber seine Stimmung war heiter und ruhig. In der Nacht waren wir weitergefahren und befanden uns vor dem Canal, der Marmora, vormals Proconnesos, von der Halbinsel Artaki trennt. Apostoli hatte die Insel und die Halbinsel besucht, er kannte die Geschichte der altberühmten Stadt Cyzikos, deren Trümmer auf den letztern zu sehen sind. Die Halbinsel Artaki war vor Zeiten eine Insel, aber der schmale Canal, der sie vom Festlande trennte, ist jetzt verschüttet. Hier schiffte sich Anacharsis ein, um das Land der Scythen, seine Heimat, wieder zu erobern. Cyzikos hatte damals einen marmornen Tempel, der später durch ein Erdbeben zerstört wurde; die Säulen aber wurden nach Byzanz gebracht, um die Stadt Constantins zu schmücken. Nach der Seeschlacht, in welcher die Athener unter Alcibiades die Spartaner besiegten, kam die Stadt in die Gewalt der Sieger.

Alle diese, theils vergessenen, theils mir unbekannten Geschichten hatten für mich einen unaussprechlichen Reiz; ich hatte ja den classischen Boden vor Augen, und der Erzähler war ein Nachkomme jener alten Griechen, deren Wissenschaft und Kunst ein Erbtheil der ganzen übrigen Welt geworden ist. Apostoli war stolz auf die Vergangenheit seines Volkes und hoffte auf die Zukunft; es schien fast, als hätte er, wie einst die Sibyllen, in dem Buche des Schicksals die nahe bevorstehende Wiedergeburt seiner schönen Argolis gelesen. Apostoli stammte nemlich aus Nauplia, und obschon seine Familie seit zwei Menschenaltern in Kleinasien gewohnt hatte, hing er doch mit warmer Liebe an seinem Heimatlande, wie jener junge Grieche, von welchem Virgil erzählte, daß er das Heimweh bekam, wenn er an Argos dachte.

Alles entzückte, begeisterte ihn, und die älteste Sage hatte für ihn den« Reiz der Wirklichkeit. Die Meerenge, der wir mit vollen Segeln zufuhren, war für ihn nicht die Straße der Dardanellen, sondern der alte Hellespont, der seinen Namen von der Tochter des Athamas erhalten. Von dem alten Lampsacos sind kaum noch ein paar hundert zwischen Trümmern zerstreute Häuser übrig; aber in der Phantasie des jungen Griechen wurde es wieder die berühmte Stadt, wo man den Sohn der Aphrodite und des Bacchus verehrte, und welche Alexander ohne die sinnreiche Fürbitte des Anaximenes zerstört haben würde. Dann kamen Sestos und Abydos, doppelt berühmt durch die Liebe Leanders und den Hochmuth des Xerxes. Kurz Alles bekam wieder Leben durch seine anziehenden Erzählungen, – Alles, selbst die längst von der Landkarte verschwundene Stadt Dardanos, welche der einst von ihr beherrschten Meerenge nur ihren Namen gelassen hat.

Die Entfernung von der Insel Marmora bis zu der Landspitze, auf welcher das asiatische Schloß liegt, legten wir in anderthalb Stunden zurück; denn mit Hilfe der Strömung liefert wir in das ägeische Meer ein, als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne den beschneiten Gipfel des Berges Ida vergoldeten.

Es wehte ein kalter Wind von Thracien herüber, und trotz der Schönheit des Rundgemäldes schickte ich Apostoli in seine Cajüte mit dem Versprechen, bald nachzukommen. Er hatte den ganzen Tag an heftigen Beklemmungen gelitten, und ich hatte beschlossen, ihm Abends Blut zu lassen.

Sobald ich in seine Cajüte trat, reichte er mir vertrauensvoll – nicht die Hand, sondern den Arm.

Er mochte wohl zu viel gesprochen haben oder sich durch seine patriotischen Erinnerungen zu sehr aufgeregt haben; seine Wangen glühten und seine Augen waren ungewöhnlich feurig. Ich zögerte also keinen Augenblick und öffnete ihm mit sicherer Hand eine Ader. Die Wirkung entsprach meiner Erwartung. Kaum hatte Apostoli drei bis vier Unzen Blut verloren, so athmete er leichter und das Fieber ließ nach. Bald schloß er die Augen und schlief sanft ein. Ich lauschte eine kleine Weile auf seinen leisen regelmäßigen Athem und verließ dann seine Cajüte, um den schönen Abend noch zu genießen.

Vor der Cajüte fand ich einen Matrosen, der den »Signore Inglese« im Namen des Steuermannes ersuchte sich auf das Verdeck zu bemühen.

IX

Dieser Steuermann war ein Sicilianer aus dem Dorfe La Pace, unweit Messina, dessen Muth und Kaltblütigkeit ich schon beim Auslaufen aus dem Hafen von Chalcedon bemerkt hatte. Als ich den Fehler des Capitäns wieder gut gemacht und das Schiff der drohenden Gefahr entrissen hatte, war er auf mich zugekommen und hatte mir mit der Aufrichtigkeit eines alten Seemannes seine Freude zu erkennen gegeben. Seitdem hatten wir oft im Vorbeigehen einige Worte gewechselt und waren gute Freunde geblieben.

Er saß an der Schiffswand und hielt ein Nachtfernrohr in der Hand; er gab mir einen Wink und reichte mir sein Fernrohr.

»Verzeihen Sie,« sagte er, »daß ich Sie bemüht habe. Ich möchte wissen, was Sie von einem weißen Punkte denken, der gegen Nordnordwest sichtbar ist. Es scheint mir ein Schiff zu sein, das ich bei Sonnenuntergang hinter der Landspitze von Coccino hervorkommen sah. Wenn ich nicht irre, so nimmt es denselben Weg wie wir, oder es verfolgt uns. In diesem lebten Falle wäre es mir lieb, wenn Sie das Commando führten, denn der Capitän wird sich nicht zu helfen wissen.«

»Haben Sie denn keinen Lieutenant am Bord?« fragte ich.

»Ja wohl, wir hatten einen; aber er ist trank geworden und konnte und wir mußten ihn leider in Scutari zurücklassen. Er ist ein guter Seemann und unter mißlichen Verhältnissen, wie die in Aussicht stehenden, wäre sein Rath nicht zu verachten. Wenn Vostra Signoria freilich Ihren Rath geben wollen, so haben wir nichts zu verlieren.«

»Sie erweisen mir zu viel Ehre,« antwortete ich lachend; »aber ich will Ihnen immerhin sagen, was ich davon denke.«

Ich richtete das Fernrohr auf den angezeigten Punkt, und in dem hellen Mondschein erkannte ich eine griechische Feluke, welche mit vollen Segeln auf uns zukam; sie mochte etwa drei Seemeilen entfernt sein und schien schneller zu segeln als wir. In diesem Augenblicke rief der Matrose im Mastkorbe: »Ein Segel!«

»Ja wohl, ein Segel,« murrte der Steuermann. »Glaubt er etwa, daß wir schlafen oder blind sind? – Ja wohl, es ist ein Segel, und ich wünschte, wir wären zwanzig Meilen weiter südlich, bei Mitylene.«

»Geben Sie nur Acht,« sagte ich, »es ist vielleicht ein zweites Segel.«

»Ja, ja, das ist wohl möglich,« erwiederte der Steuermann; »denn die Piraten sind wie die Schakale, sie gehen zuweilen paarweise auf den Raub aus. – Ohe!« rief er zum Mastkorbe hinauf, »in welcher Richtung ist das Segel?«

»Nordnordwest, gerade unter unserm Winde,« antwortete der Matrose.

»Ganz recht,« sagte ich zu dem Steuermann, »und wenn wir angegriffen werden, haben wir’s wenigstens nur mit einem zu thun. – Inzwischen sollten wir aber doch den Capitän wecken.«

»Leider, ja,« antwortete der Steuermann; »denn es wäre mir lieber, wenn Sie seinen Platz einnehmen könnten. – Aber sollten wir nicht noch einige Segel aufspannen?«

»Das könnte wohl nicht schaden,« antwortete ich, »er würde es gewiß anordnen. Uebrigens,« setzte ich, wieder durch das Fernrohr schauend, hinzu, »übrigens ist keine Zeit zu verlieren, denn die Piraten kommen uns mit jedem Augenblicke näher. Lassen Sie daher den Capitän wecken und die wachhabenden Matrosen müssen sich bereit halten. Sie kennen doch den Ort, wo wir uns befinden?«

»So gut wie Messina, ich würde das Schiff mit verbundenen Augen von Tenedos nach Cerigo führen.«

»Wie trägt die »Bella Levantina« ihre Segel?«

»Wie eine Spanierin ihre Mantilla, Vostra Signoria; Sie können sie alle bis zum Toppsegel aufspannen und die Cokette hat noch nicht genug.«

»Das ist schon etwas,« sagte ich.

»Ja wohl, aber keineswegs genug.«

»Glauben Sie denn, daß eine Feluke schneller segle?«

»Eine gewöhnliche Feluke wohl nicht, denn die »Bella Levantina« ist gar flink; aber ich glaubte am Backbord und Steuerbord des uns verfolgenden Schiffes einen verdächtigen Schaum bemerkt zu haben.«

»Und was schließen Sie daraus?«

»Daß die Feluke außer ihren Flügeln auch Schwimmfüße haben mag.«

»Ja, dann wundert’s mich nicht mehr, daß sie so schnell ist,« antwortete ich.

Ich schaute wieder durch das Fernrohr. Die Feluke war noch näher gekommen und schien nur noch zwei Seemeilen entfernt zu sein.

»Wahrhaftig Sie haben Recht!« sagte ich nach kurzer Beobachtung; »ich sehe die Bewegungen der Ruder. Es ist kein Augenblick zu verlieren – Heda! seid Ihr bereit?«

 

»Ja,« antworteten die Matrosen.

»Streiche das große und das Besansegel und spannet das Oberbramsegel auf!«

»Wer gibt Befehle an meinem Bord?« fragte in diesem Augenblicke der Capitän, während die Matrosen den Befehl vollzogen.

»Einer, der wacht, während Sie schlafen, Signor,« antwortete ich, »und der Ihnen jetzt den Befehl in der Voraussetzung übergibt, daß Sie dieses Mal die Gefahr besser abwenden werden, als das erste Mal.«

Ich reichte dem Steuermann das Fernrohr und setzte mich auf den Ankerbalken am Steuerbord.

»Was gibt’s denn?« fragte der Capitän.

»Ein griechischer Pirat macht Jagd auf uns,« antwortete der Steuermann. »Wenn Sie etwa glauben, Capitän, daß es nicht der Mühe werth war, Sie zu merken, so können Sie wieder schlafen gehen.«

»Nicht möglich!« rief der Capitän erschrocken.

»Ueberzeugen Sie sich selbst,« antwortete der Steuermann und reichte dem Capitän das Fernrohr.

»Glauben Sie wirklich, daß es ein Pirat sei?« sagte der Capitän nachdem er den bezeichneten Punkt beobachtet hatte.

»Ich möchte meines Seelenheiles eben so gewiß sein, dann würde ich ruhig das Zeitliche segnen.«

»Was ist zu thun?«

»Wollen Sie meinen Rath befolgen, Signor?« sagte der Steuermann.

»Sprich.«

»Sie wollen wissen, was zu thun ist. Ich rathe Ihnen diesen Signore Inglese, der dort auf dem Ankerbalken am Backbord sitzt, zu fragen.«

»Signor,« sagte der Capitän, auf mich zutretend, »wollen Sie mir sagen, was Sie an meiner Stelle thun würden?«

»Ich würde die schlafende Mannschaft augenblicklich wecken und die Passagiere zu einer Berathung einladen.«

»Alle auf’s Verdeckt-« rief der Capitän mit einer Stimme, welche durch die Furcht eine so große Kraft bekam, daß man muthigen Entschluß darin hatte finden können.

Der Boostmann wiederholte sogleich den Befehl und die abgelöste Mannschaft erschien halb nackt auf dem Verdeck. Der Capitän wendete sich wieder zu mir und sah mich fragend an.

»Sie wissen, wie viele Segel Ihr Schiff tragen kann,« sagte ich zu ihm; »darnach ertheilen Sie Ihre Befehle; denn so viel ich mit bloßen Augen sehen kann, kommt uns die Feluke immer näher.«

»Das Reff des Besamsegels und des großen und kleinen Marssegels aufgespannt!« rief der Capitän. Dann wandte er sich, während die Matrosen seinen Befehl vollzogen, wieder zu mir und sagte: »Ich glaube, daß wir nicht mehr wagen können. Sehen Sie nur, Signor, die Bramstange biegt sich wie eine Reitgerte.«

»Sie haben doch Reservemasten?«

»Ja wohl, Signor; aber ein zerbrochener Mast ist eine große Ausgabe für die Rheder.«

»Welche Sie vermeiden wollen, indem Sie sich das Schiff kapern lassen. Sie wissen gut zu rechnen Capitän, und ich wünsche Ihren Rhedern Glück, daß sie ihr Schiff einem so sparsamen Bevollmächtigten zur Führung anvertraut haben.«

»Ueberdies,« setzte der Capitän sich verbessernd hinzu, »habe ich immer gesehen, daß die »Bella Levantina« bei zu schnellem Segeln Wasser eingelassen hat.«

»Sie haben doch Pumpen?«

»Ja wohl, Signor.«

»Nun, dann lassen Sie noch das Oberbramsegel aufspannen, und wir werden später sehen, ob es nöthig ist, auch die Reffe loszumachen.«

Der Capitän war ganz betroffen über meinen Vorschlag, als die Passagiere nach und nach auf dem Verdeck erschienen. Diese waren aus dem ersten Schlaf geweckt, und, da sie wohl merkten, daß man ihre Ruhe nicht ohne Noth gestört habe, so kamen sie mit lächerlich verblüfften Gesichtern. Unter ihnen war der arme Apostoli, der sogleich auf mich zukam.

»Was gibt’s denn?« fragte er mit seinem wehmüthigen Lächeln. »Ihnen hatte ich seit zwei Monaten den ersten ruhigen Schlaf zu danken, nun werde ich ohne Erbarmen geweckt.«

»Was es gibt, lieber Apostoli?« erwiederte ich.

»Ein Wettrennen mit den Nachkommen Ihrer Vorfahren. Wenn wir nicht flink auf den Füßen sind, so müssen wir gute Arme haben.«

»Werden wir von einem Piraten verfolgt?«

»Sie haben’s errathen. Wenn Sie sich dorthin wenden, so können Sie den Feind sehen.«

»Es ist wahr,« sagte Apostoli. »Können wir denn nicht noch mehr Segel aufspannen?«

»Ja wohl,« antwortete ich, »wir haben wohl noch einige Lappen aufzuspannen, aber wir werden keinen großen Vorsprung bekommen.«

»Man muß Alles versuchen,« meinte Apostoli; »und wenn sie uns dennoch einholen, so schlagen wir uns!«

»Lieber Freund,« sagte ich, »das spricht Ihr Geist, und nicht Ihr Körper. Und wissen Sie auch, ob der Capitän zum Widerstand geneigt ist?«

»Wir werden ihn dazu zwingen!« sagte Apostoli. »Sie sollten hier befehlen, John; Sie haben das Schiff schon gerettet, und Sie werden es noch einmal retten.

Ich schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Warten Sie,« sagte Apostoli und wandte sich zu den Passagieren, denen der Capitän unsere mißliche Lage erklärte. »Meine Herren!« rief er mit aller Anstrengung seiner schwachen Stimme, »wir müssen einen schnellen, muthigen Entschluß fassen Unser Leben, unsere Freiheit, unsere Habe, Alles steht jetzt auf dem Spiele; Alles hängt von gut oder schlecht gegebenen Befehlen ab. Ich fordere den Capitän auf, bei seiner Ehre zu erklären, ob er sich für fähig halt, die drohende Gefahr abzuwenden, und ob er die Verantwortung übernimmt.«

Der Capitän stammelte einige unverständliche Worte.

»Sie wissen ja,« entgegnete ein Passagier, »daß der Lieutenant krank in Scutari liegt und daß der Capitän allein im Stande ist den Befehl zu führen.«

»Sie haben ein kurzes Gedächtniß, Gaetano,« sagte Apostoli; »denn Sie scheinen schon vergessen zu haben, daß ein Anderer uns einer mindestens eben so großen Gefahr durch einige Worte entrissen hat. In der Gefahr ist der Erfahrenste oder der Muthigste der wahre Anführer und Befehlshaber. Wir haben wohl Muth, aber hier ist der einzige erfahrene Seemann.«

Er streckte die Hand nach mir aus.

»Ja, ja,« riefen alle Passagiere; »ja, der englische Offizier soll unser Capitän sein.«

»Meine Herrn, « antwortete ich aufstehend, »da es sich hier nicht um Höflichkeitsformen oder um Vorrang, sondern um eine Lebensfrage handelt, so nehme ich es an. Aber ich muß Sie im voraus mit meinen Absichten bekannt machen.

»Lassen Sie hören!« riefen alle Stimmen.

»Ich werde so schnell wie möglich segeln, und ich hoffe Sie in irgend einen Hafen nach Skyros oder Mitylene zu führen, ehe uns die Feluke einholt.«

»Sehr wohl,« antworteten Alle einstimmig.

»Wenn uns hingegen die Piraten einholen, so wehre ich mich auf’s Aeußerste, und ich werde das Schiff lieber in die Luft sprengen, als mich ergeben.«

»Das ist auch meine Meinung,« setzte Apostoli hinzu; »es ist besser kämpfend zu fallen, als gehängt oder ins Meer geworfen zu werden.«

»Wir wollen bis auf den Tod kämpfen!« rief die Schiffsmannschaft. »Waffen her!«

»Still!« gebot ich; »Ihr habt nicht zu entscheiden. – Sie haben gehört, was ich gesagt habe, meine Herren; ich lasse Ihnen fünf Minuten Bedenkzeit. Berathen Sie sich.«

Ich nahm meinen Platz wieder ein, die Passagiere beriethen sich ein paar Minuten, dann kamen Sie, von Apostoli geführt, auf mich zu.

»Bruder,« sagte Apostoli, »Du bist einstimmig zu unserm Anführer gewählt worden. Von dieser Stunde an hast Du über unser Leben, unsere Kraft, unsere Habe zu verfügen.«

»Und ich,« sagte der Capitän, ebenfalls näher tretend, »ich erbiete mich der Mannschaft Ihre Befehle mitzutheilen oder als Matrose mit Hand anzulegen.

»Bravo!« riefen Passagiere und Mannschaft. »Evviva der englische Offizier! Evviva der Capitän!«

»Gut, Signori,« erwiederte ich und reichte dem Capitän die Hand – »Jetzt Achtung!«

Alle schwiegen und erwarteten meine Befehle.

»Signor Contromastro,«[Hochbootsmann.] sagte ich zu dem Steuermanne, der diese beiden Posten am Bord der »Bella Levantina« vereinigte, »sehen Sie auf den Compaß und sagen Sie uns, wie weit wir von den Freibeutern entfernt sind, damit ich sehe, ob Ihre Schätzung mit der meinigen übereinstimmt.«

Der Hochbootsmann machte schnell die Berechnung.

»Sie sind genau zwei Seemeilen von uns.«

»Ganz richtig,« antwortete ich.

»Jetzt wollen wir sehen, was die »Bella Levantina« in der Gefahr vermag. – Achtung! alle Beisegel aufgespannt!«

Die Schiffsmannschaft gehorchte mit einer Pünktlichkeit, welche bewies, welche Wichtigkeit sie dem Resultat eines solchen Befehls beilegte. Das war in der That die letzte Anstrengung der »Bella Levantina«, und wenn sie der Feluke nicht den Vorsprung abgewann, so blieb uns nichts übrig, als uns zum Kampf zu rüsten.

Das Schiff selbst schien wie ein lebendes Wesen die Gefahr zu begreifen und sobald es den Druck der letzten Segel fühlte, neigte es sich noch etwas mehr vorwärts, so daß der Schaum bis auf das Verdeck spritzte.

Inzwischen hatte ich, auf die Erfahrung des Steuermannes vertrauend, das Fernrohr wieder zur Hand genommen und auf die Feluke gerichtet. Diese hatte ebenfalls alle Segel ausgespannt, und an dem zu beiden Seiten aufsprudelnden Wasser war zu ersehen, daß die Ruderer nicht müßig waren. Es herrschte übrigens aus dem Verdeck tiefe Stille, so daß man das geringste Knarren der Maste hören konnte. Dieses Knarren schien mir meine Unbesonnenheit vorzuwerfen, aber ich war entschlossen, keine Warnung dieser Art zu beachten; wo viel zu gewinnen war, mußte auch viel eingesetzt werden.

Dieser Zustand angstvoller Spannung dauerte etwa eine Stunde, ohne daß übrigens der mindeste Unfall stattfand. Ich befahl nun dem Hochbootsmanne, wieder nach dem Compaß zu sehen.

Während er seine Berechnung machte, beobachtete ich die Feluke, die mir etwas entfernter zu sein schien.

»Per la Santa Rosalia!« rief der Hochbootsmann, »wir bekommen den Vorsprung, Signor. Ja, so wahr ich lebe, die Feluke bleibt zurück.«

»Wie viel?« fragte ich, freier aufathmend.

»Bis jetzt freilich noch wenig – etwa eine Viertelmeile.«

»Das nennen Sie wenig!« erwiederte ich.

»Eine Viertelmeile in einer Stunde! Sie sind sehr ungenügsam, lieber Contromastro; ich wäre schon mit der Hälfte zufrieden gewesen. Meine Herren,« sagte ich zu den Passagieren, »Sie können sich jetzt zur Ruhe begeben; morgen Früh können uns die Piraten nichts mehr anhaben – es müßte denn, wie es zuweilen der Fall ist, ein paar Stunden nach Sonnenaufgang völlige Windstille eintreten.«

»Und was dann?« fragten einige Passagiere.

»Dann wäre freilich an Flucht nicht mehr zu denken; wir würden uns zum Kampfe rüsten müssen. Bis fünf Uhr haben Sie jedoch nichts zu fürchten; legen Sie sich daher wieder schlafen, um für den Nothfall Kräfte zu sammeln.«

Die Passagiere gingen in ihre Cajüten. Apostoli wollte bleiben, aber ich schickte ihn hinunter; die Aufregung hatte, ohne daß er es selbst bemerkte, seinen Zustand verschlimmert; das Fieber hatte sich wieder sehr heftig eingestellt. Nach kurzem Widerstreben gehorchte er wie ein Kind.

»Jetzt, Signor,« sagte ich zu dem Capitän, als wir allein waren, »jetzt kann sich die Hälfte der Mannschaft zur Ruhe begeben. Wenn der Wind so fortdauert, so würde ein Kind zur Lenkung des Schiffes genügen; wenn sich der Wind aber legt, so brauchen wir alle rüstigen Arme, und für diesen Fall ist es gut, daß sie Kräfte sammeln.«

»Alle, die nicht auf Wache sind, unter das Verdeck!« rief der Capitän.

Fünf Minuten nachher waren nur noch die wachhabenden Matrosen auf dem Verdeck-

Die »Bella Levantinas glitt leicht über die Fluten hin wie eine Seeschwalbe, denn der Wind war ungemein günstig. Die Feluke war nach einer halben Stunde wieder eine Viertelmeile zurückgeblieben; wir konnten daher bei anhaltend günstigem Winde hoffen, im Laufe des folgenden Tages einen Hafen des Archipels zu erreichen.

Ich hatte einen raschen Fortschritt in der Militärhierarchie gemacht: vom Midshipman war ich auf einmal Capitän geworden. In der Freude meines Herzens vergaß ich, daß diese augenblickliche Beförderung am Bord eines unbedeutenden Handelsschiffes stattgefunden hatte, und ich bildete mir nicht wenig ein auf meine Würde, welche nur aus der Gefahr hervorgegangen war und mit dieser ein Ende nehmen mußte. Dieser provisorische Befehl nahm übrigens meine volle Thätigkeit in Anspruch und vertrieb wenigstens meine trüben Gedanken. Ich dachte,daß ich wohl ein eigenes Schiff haben und zu meinem Vergnügen reisen oder auch nach Indien oder Amerika Handel treiben könnte. Dann würde ich vielleicht meinen jugendlichen Thatendurst befriedigen und mein freiwilliges Exil vergessen. Und da wir damals Krieg mit Frankreich führten, so würde ich vielleicht das Glück haben, eine glänzende Waffenthat gegen mein Disciplinarvergehen in die Wagschale zu legen und für dasselbe Verzeihung zu erlangen; dann würde ich mit dem inzwischen erworbenen Grade wieder in die englische Marineeintreten, und in die Fußstapfen meines Vaters tretend ein Nelson oder Howe worden. Es ist doch ein wundersames Ding die Phantasie; sie wirft eine Brücke über das Unmögliche und verirrt sich in Zaubergärten, von denen man sich nie träumen ließ!

 

Mit diesen Gedanken beschäftigte ich mich noch eine Weile; es war zwei Uhr, und da wir einen immer größern Vorsprung vor der Feluke bekamen, so überließ ich dem Steuermanne die Lenkung des Schiffes, hüllte mich in meinen Mantel und legte mich auf einen Steinböller.

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, als ich geweckt und beim Namen gerufen wurde. Ich schlug die Augen auf und der Hochbootsmann stand vor mir.

»Was gibt’s?« fragte ich.

»Was Sie gefürchtet, ist eingetroffen,« war die Antwort; »der Wind hat sich gelegt und wir kommen nicht mehr von der Stelle.«

Es war eine traurige Nachricht; aber es war keine Zeit zu verlieren, um der drohenden Gefahr zu begegnen. Ich warf meinen Mantel auf das Verdeck und stieg zum Mastkorbe hinauf, um das Wetter zu beobachten. In der Höhe wehte noch von Zeit zu Zeit ein leises Lüftchen, aber kaum stark genug, um die höchsten Segel aufzublähen. Ich sah mich nun nach der Feluke um; sie war nur noch als weißer Punkt am Horizont sichtbar, aber sie war doch noch zu sehen; sie hatte offenbar auf diese Windstille gezählt und ihre Verfolgung fortgesetzt; sie war indeß etwa drei Seemeilen von uns entfernt.

Wir waren dem Cap Baba, dem alten Lectum Promontorium, gegenüber; südöstlich vor uns lag Mitylene, dessen Berge ich deutlich sah, und Skyros, die Wiege des Achill und das Grab des Theseus; aber die erstere dieser beiden Inseln war etwa sieben, die andere wohl zehn Meilen entfernt. Hatte der Wind noch drei Stunden angehalten, so waren wir gerettet gewesen; aber es war zu erwarten, daß in fünf Minuten selbst das leise Lüftchen, welches noch wehte, ganz aufhören und völlige Windstille eintreten würde.

Um indeß Alles zu thun, was in meinen Kräften stand, stieg ich wieder aufs Verdeck hinunter und ließ alle unteren Segel einreffen, so daß nur die oberen aufgespannt blieben. Die »Bella Levantina« schien einen Augenblick aufzuathmen, als sie von dieser Segellast befreit war, und so glitt sie, die letzten schwachen Luftströme auffangend, noch eine halbe Meile auf dem Wasserspiegel fort; dann stand sie still und ließ traurig die Segel an den Stangen und Masken herabhängen; es war völlige Windstille eingetreten.

»Jetzt einen Schiffsjungen und eine Trommel,« sagte ich zu dem Hochbootsmann, auf seine Frage, was ich beschlossen; »und sogleich Alarm geschlagen.«