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Erinnerungen eines Policeman

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4

Die von Charles Merton und seinen Gegnern, von den Dieben und dem Bestohlenem so sehnlich erwartete Nacht brach an. Ich hatte sie mit eben so ängstlicher Spannung erwartet, wie die Gauner. Es sollten sich ihrer acht einfinden; ich war der einzige Fremde, der zugelassen wurde, und ich verdankte dieses Vorrecht dem angeblichen Vermächtniß, das mir zugefallen war.

Als Beweis meiner Theilnahme und auf das Versprechen des tiefsten Stillschweigend hatte ich dem jungen Merton einen Rath gegeben. »Ehe Sie diesen Abend Ihr Spiel beginnen,« sagte ich zu ihm, »tragen Sie Sorge, daß die von Ihnen unterzeichneten Schuldscheine und verspielten Geschmeide sammt der einzusetzenden Summe in Gold oder Banknoten vor Ihnen auf dem Tische liegen.«

Er versprach mir, diese Bedingung zu erfüllen und in keinem Falle davon abzugeben.

Der arme Merton hatte gleichwohl keine Ahnung, wie wichtig diese Bedingung war.

Ich traf meinerseits meine Vorkehrungen wie zu einem Kampf.

Es war Mitternacht, als ich auf das in der vorigen Nacht erhaltene Losungswort Einlaß erhielt.

Als ich eintrat. war Charles Merton mit seiner Gegnern in lebhaftem Wortwechsel. Der junge Gentleman verlangte nach meinem Rathe, daß sie eine seinem Einsatze gleichkommende Summe auf den Tisch legen sollten; denn voll Vertrauen aus das Glück, das er in den letzten Nächten gehabt hatte, hoffte er in der entscheidenden Stunde eben so glücklich zu seyn. Er war entschlossen, seine Verluste bis auf den letzten Penny wieder zu gewinnen; seine Wechsel, seine Schuldscheine und die Geschmeide seiner Schwester lagen nebst einer beträchtlichen Summe bereits aus dem Tische, aber es fehlte noch eine fast eben so große Summe, um den Betrag, den er selbst vor sich hatte, zu ergänzen.

Meine Ankunft unterbrach den Wortwechsel.

»Meine Herren,« sagte Sandfort, als er mich erblickte, »Waters kann uns aus der Verlegenheit ziehen . . . Waters, hast Du die Summe eincassirt, die Dir aus dem Nachlaß deines Onkels zugefallen ist?«

»Ich habe sie in Banknoten bei mir,« antwortete ich.

»Leihe mir viertausend Pfund Sterling,« flüsterte er mir zu ; »in einer Stunde geben wir Dir sechstausend wieder.«

»Schönen Dank,« antwortete ich kalt; »ich gebe mein Geld nur weg, wenn ich es verloren habe.«

Die Antwort auf meine Weigerung war ein Blick, den Sandfort gewiß gerne in eine Dolchklinge verwandelt hätte.

Da die Summe nicht vorhanden und für den Augenblick auch nicht auszutreiben war, so entfernte sich einer der Spießgesellen, um die fehlenden vier- bis fünftausend Pfund Sterling herbeizuschaffen.

Er blieb eine halbe Stunde aus, endlich kam er mit einer Hand voll Banknoten. Es waren, wie ich erwartet hatte, falsche ausländische Banknoten.

Charles Merton betrachtete sie genau und zählte sie, aber erfand nichts Verdächtiges daran; es bedurfte eines geübten Auges, um die Fälschung zu erkennen.

Das Spiel begann. Die Scene erinnerte mich so lebhaft an die Vorgänge der Nacht, in welcher ich selbst mein Vermögen verloren hatte, daß ich mich von einem unwiderstehlichen Fieber ergriffen fühlte. Zum Glück bezwang ich meine Aufregung noch zeitig genug; ich bedachte, daß ich den Uebrigen durch mein unwillkürliches Zittern verdächtig erscheinen würde, da ich selbst nicht mitspielte. Ich trank schnell hintereinander einige Gläser Wasser, welche meine Aufwallung sogleich besänftigtem l

Die Gauner waren glücklicherweise zu sehr auf ihr Spiel erpicht, um meine Aufregung zu bemerken.

Mit Merton ging man ganz offen und rücksichtslos zu Werke. Schon in der ersten Partie verlor er; es wurde ohne Unterbrechung fortgespielt; die Einsätze wurden verdoppelt, verdreifacht; sein Kopf war ein glühender Ofen geworden, der das verzehrende Feuer durch alle Adern und Fibern seines Körpers trieb, und er begann mit dem beharrlichen Wahnwitz eines Tollhäuslers zu verlieren.

Die Tischuhr schlug zwei. Die Töne verhallten, es wurde weiter gespielt. Aber jeder Glockenschlag hatte in der Tiefe meines Herzens einen Wiederhall gefunden: es war der Augenblick, wo dem Treiben der Gaunerbande ein Ziel gesetzt werden sollte.

»Still! was ist das?« sagte Sandfort, dessen Gesicht seit dem Beginne dieser entscheidenden Partie die Maske abgelegt hatte, die er vor Merton getragen. »Still! Habt Ihr nicht ein von unten kommendes Geräusch gehört?«

Ja, ich hatte es gehört; aber ich war außer Sandfort der Einzige, der es gehört hatte, und ich allein war im Stande, dieses Geräusch zu erklären.

»Ich habe nichts gehört,« antwortete ich.

Das Geräusch hatte aufgehört.

»Ziehe die Alarmglocke, Adolph,« sagte Sandfort zu einem der Anwesenden, der vor ihm stand.

Der mit dem Namen Adolph angeredete Spießgeselle trat auf den Glockenzug zu.

Nicht nur das Spiel, sondern auch das Athmen der Gauner wurde unterbrochen; Alle lauschten auf die Antwort.

Diese ließ nicht auf sich warten. Ein dreimaliges Glockenzeichen ertönte. Dies war das Signal, daß nichts zu fürchten sey.

»Es ist nichts,« sagte Sandfort, »nur weiter!«

Dann setzte er so leise hinzu, daß es Merton nicht hören konnte:

»Es wäre wahrlich Schade, jetzt gestört zu werden; die Komödie ist ja fast zu Ende.«

Die mir beigegebenen Polizeidiener hatten von mir die Weisung erhalten, mit gewissen Vorsichtsmaßregeln zu er1 scheinen. Zwei von ihnen, in eleganter bürgerlicher Kleidung, sollten sich mittelst des Losungswortes, das ich ihnen gegeben, Einlaß verschaffen, dann sogleich den Thürhüter ergreifen und knebeln. Ich hatte ihnen auch erklärt, auf welche Weise sie der Alarmglocke antworten sollten: nämlich mit einem dreimaligen Glockenzeichen. Nachdem sie diese drei Glockenzeichen gegeben, sollten sie Alle leise die Treppe heraufkommen und auf dem Gange warten, bis ich ihnen die Thür öffnen, und sie auffordern würde, in den Saal zu kommen und die Gauner zu verhaften.

Die Hinterthür, durch die wir uns in der Frühe zu entfernen pflegten, war ebenfalls sorgfältig bewacht, jedoch so, daß die Polizeiagenten nicht leicht zu bemerken waren.

Ich fürchtete nur, die Gauner könnten die Gefahr früh genug merken, um die Lichter auszulöschen, die falschen Banknoten zu vernichten und durch einen mir vielleicht nicht bekannten geheimen Ausgang entschlüpfen.

Der Augenblick war gekommen, ich nahm meinen ganzen Muth zusammen. Das Spiel hatte wieder begonnen und wurde mit verdoppelter Wuth fortgesetzt. Ich ergriff meine Pistolen, ohne sie aus der Tasche zu ziehen, und spannt vorsichtig den Hahn, um sogleich feuern zu können. Ich wußte, daß ich mit verzweifelten Menschen ein verzweifeltes Spiel zu spielen hatte, aber ich war entschlossen, Alles zu wagen.

In dem Augenblicke, wo Alle die Entscheidung einer Partie erwarteten, stand ich auf, ging an die Thür, die ich halb öffnete, und steckte den Kopf hinaus, als ob ich die Ursache des vorhin vernommenen Geräusches erforschen wollte.

Zu meiner Beruhigung sah ich den Gang und selbst die Treppe voll von Polizeidienern, welche schweigend und regungslos das Signal erwarteten.

Ich trat wieder zurück, schlug die Thür zu und ging an den Tisch, wo Charles Merton saß.

Er hatte natürlich die Partie verloren ; der letzte Einsatz war gemacht und belief sich nahe an zweitausend Pfund Sterling.

Man spielte, Charles Merton verlor wieder.

Aber kaum waren die letzten Karten gefallen, so sprang er auf, als ob er durch eine Feder emporgeschnellt würde ; sein Gesicht war leichenblaß, seine Züge hatten den Ausdruck der Verzweiflung Endlich machte er seinen peinlichen Gefühlen durch Worte Luft, und heisere Verwünschungen kamen aus seinem Munde.

Sandfort und seine Genossen scharrten mit kaltem Hohn ihre reiche Beute zusammen ; eine dämonische Freude strahlte auf allen Gesichtern.

»Schändlicher Verräther! verwünschter Unhold!« rief Merton wie wahnsinnig, und faßte Sandfort bei der Gurgel, »Du hast mich bestohlen, zu Grunde gerichtet, entehrt!«

»Ja wohl,« antwortete Sandfort gelassen und ergriff die Hände. die ihn zu erdrosseln drohten, »und ich glaube, daß die Sache nach allen Regeln der Kunst erledigt ist. Jetzt befolgen Sie meinen Rath, Freundchen, und lernen Sie ebenfalls spielen, um Ihr Vermögen von einigen reichen Gimpeln, wie Sie bisher waren. wieder zu gewinnen. Aber hier schweigen Sie, denn Ihr Schimpfen und Toben würde Ihnen nichts nützen.«

Merton warf einen verstörten Blick auf den Gauner, der ihn mit so unerhörter Frechheit verhöhnte, und er schwieg, nicht als ob er den Rath, den ihm Sandfort gegeben, befolgen wollte, sondern vermuthlich, weil er keine Worte mehr fand, die seinen Ingrimm genügend ausdrückten.

Zugleich streckte Sandfort, der sich los gemacht hatte, die Hand nach dem Tische aus, .um seinen Antheil an der Beute zu nehmen.

»Halt, Cardon’« sagte ich vortretend, und nahm eine Handvoll falscher Banknoten. »Halt! Mr. Merton scheint mir nicht gegen Einsätze von gleichem Werthe gespielt zu haben.«

»Was willst Du damit sagen?« fragte Sandfort.

»Ich will damit sagen, daß diese Banknoten falsch sind.«

»Hund!« schrie Sandfort und stürzte wüthend auf mich zu, »liegt Dir denn so wenig an deinem Leben, daß Du es so leichtsinnig aufs Spiel setzest?«

Zugleich machte er eine Bewegung, um mir die falschen Banknoten zu entreißen. Aber ich war eben so flink wie er; eine Doppelpistole, die ich ihm aus die Brust setzte, trieb ihn zurück.

Die ganze Bande sprang nun auf und umzingelte uns mit drohenden Geberden und feuersprühenden Blicken.

Merton sah abwechselnd mich und seine Gegner an.

Der ganze Austritt war ihm ein Räthsel.

»Nehmt ihm die Papiere weg!« rief Sandfort, der sich inzwischen von seinem ersten Schrecken erholt hatte; »ergreifet ihn, stoßt ihn nieder, sonst sind wir verloren!«

»Ja, Du bist verloren, Schurke!« erwiederte ich mit gleicher Heftigkeit. »Kommen Sie herein, meine Herren, und thun Sie Ihre Pflicht!«

 

Auf diesen Ruf stürzten meine Leute ins Zimmer.

Die ganze Bande. von Schrecken gelähmt, wurde ohne Widerstand verhaftet; alle Gauner trugen Waffen bei sich’, aber keiner von ihnen hatte genug Fassung, um Gebrauch davon zu machen.

Die acht Verbrecher wurden ins Gefängniß gebracht. Drei von ihnen, worunter Sandfort-Cardon. wurden zu lebenslänglicher Depottation, die Uebrigen zu mehrjähriger Kerkerstrafe verurtheilt. »

Ich hatte meine Aufgabe in einer Weise gelöst, die nichts zu wünschen übrig ließ. Meine Chefs zollten mir das größte Lob, und dies war die erste Stufe zu der hohen Stellung, die ich jetzt im Staatsdienste inne habe.

Charles Merton erhielt seine Schuldverschreibungen, seine Geschmeide und sein Geld zurück. Durch diese traurige Erfahrung gewarnt, betrat er nie wieder ein Spielhaus.

Es versteht sich, daß Lady Everton und ihr Sohn Alles aufboten, um mir ihren Dank zu bethätigen; aber der einzige Beweis dieses Dankes, den ich annahm, war ein warmer Händedruck Merton’s.

II.
Der Schuldlose

1

Einige Tage nach der Verhaftung der Spieler- und Fälscherbande wurde ich mit der Erforschung eines noch schwereren Verbrechens beauftragt. Es handelte sich um nichts Geringeres als um einen Raubmord.

Das Verbrechen war in dem Hause eines sehr reichen Privatmannes. Mr. Bagshawn, begangen worden.

Dieses Haus lag einige Miles von Kendal, in der Grafschaft Westmoreland.

Die Localbehörden machten der Londoner Polizeidirection folgende Mittheilung:

Mr. Bagshawn, der sich seit einiger Zeit zu Leannington, in der Grafschaft Warwick befand, schrieb an seine Haushälterin Sara King, die in seiner Abwesenheit die Aufsicht über seine Villa führte, um ihr seine nahe bevorstehende Rückkehr anzuzeigen. Er befahl ihr, ein gewisses Zimmer, das er genau bezeichnete, gut zu heizen und andere Vorkehrungen zum Empfange seines Neffen Robert Bristowe zu treffen. Der Neffe war eben aus Indien gekommen und wollte einige Tage in London bleiben, um sich dann in sein Landhaus Five Oaks ( fünf Eichen) zu begeben.

Die Ankunft des Neffen fand an demselben Morgen statt, wo Sara King den Brief erhalten hatte. Sie theilte denselben einigen Lieferanten in Kendal mit, um das Haus mit einigen Bedürfnissen zu versehen. «

Diese Bestellung hatte sie am Vormittage vor dem Raubmorde gemacht. Die Lebensmittel wurden nach Five Oaks geliefert. Einige Lieferanten schickten Brot, andere Fleisch, noch andere Geflügel und Fische; einige kamen selbst, andere schickten ihre Leute.

Diese Lebensmittel waren hauptsächlich zu einem Schmause bestimmt, der zu Ehren des Neffen gegeben werden sollte.

Der Knecht, welcher den Fisch gebracht hatte, versicherte durch die offene Thür einen fremden, jungen Gentleman in einem Zimmer des Erdgeschosses gesehen zu haben.

Als die Fenster des Landhauses am folgenden Tage um Mittag noch geschlossen waren, wurde man ernstlich besorgt, denn Sara King war ein sehr thätiges, junges Frauenzimmer und die Fenster waren sonst um acht Uhr Morgens immer offen. Es verbreiteten sich beunruhigende Gerüchte, so daß sich der Polizeibeamte mit einem Schlosser nach dem Landhause begab und die Thür erbrechen ließ.

Es wurde folgender Thatbestand zu Protokoll genommen:

Die Thüren waren von innen und nicht von außen aufgesprengt worden. Dies ergab sich aus dem Zustande der Schlösser und Riegel. Der Leichnam der Sara King lag auf dem Fußboden, mit dem Kopf auf der untersten Stufe der Treppe. Die Unglückliche war von mehren Messerstichen durchbohrt ; sie schien bereits zwölf Stunden todt ; ihre Kleidung bestand nur aus Hemd, Jacke und Strümpfen. In der rechten Hand hielt sie einen Leuchter. Sie war offenbar, durch ein Geräusch geweckt, aus dem Bett gesprungen, ohne die Ursache zu ahnen; die auf der That ertappten Räuber hatten sie ermordet.

Mr. Bagshawn, dem dieser traurige Vorfall sogleich gemeldet wurde, kam am folgenden Tage an. Es fand sich nun, daß man nicht nur den größten Theil des Silberzeugs, sondern auch eine Summe von viertausend Pfund Sterling, in Gold und Banknoten, gestohlen hatte. Diese Summe war der Erlös von Staatspapieren, die er etwa einen Monat zuvor verkauft hatte.

Außer seiner bei ihm wohnenden Nichte wußte nur sein Neffe Robert Bristowe, daß dieses Geld in dem Landhause aufbewahrt wurde. Mr. Bagshawn hatte nemlich seinem Neffen geschrieben, daß die zum Ankauf des Gutes Ruland bestimmte Summe zu Five Oaks sich befinde. Er erklärte jedoch in demselben Briefe, er werde sich zu diesem Ankauf nur dann entschließen, wenn Robert Bristowe damit einverstanden sey. Robert Bristowe war aber am andern Morgen nicht in Five Oaks zu finden, man wußte nicht was aus ihm geworden war. Dieser auffallende Umstand schien den ganz natürlichen Verdacht, daß der Neffe das Silberzeug, das Gold und die Banknoten geraubt und die arme Sara King ermordet habe, zu bestätigen. In diesem Argwohne wurden die Nachbarn und die Behörden noch mehr bestärkt, als man in einer Dienstbotenstube ein Stück des von seinem Oheim geschriebenen Briefes fand. Der Zufall wollte, daß auf diesem abgerissenen Stücke gerade die Adresse Robert Bristowe’s stand.

Da er trotz der sorgfältigsten Nachforschungen in der Nähe von Kendal nicht aufzufinden und keine Nachricht über ihn zu erhalten war, so vermuthete man, er habe sich mit seiner Beute nach London zurückbegeben. Eine sehr genaue Beschreibung seiner Person und Kleidung war von dem Knecht des Fischhändlers, der ihn durch die offene Thür gesehen, geseben worden und dieses Signalement hatten die Localbehörden nach London geschickt.

Diese Nachweisungen wurden zu meiner Verfügung gestellt, als man mich rufen ließ, um mir die Leitung dieser Angelegenheit zu übertragen.

Inzwischen hatte man einen gewissen Josias Barnes, der wegen seines vertraulichen Verhältnisses zu der unglücklichen Sara King verdächtig erschien, zur Haft gebracht. Das sehr kluge Gesicht dieses Mannes hatte zuweilen einen äußerst schlauen, arglistigen Ausdruck. Einige Tage vor dem Raubmorde hatte ihn Sara King verabschiedet, weil er dem Müßiggange und dem Tranke ergeben sey, weshalb aus der beabsichtigten Heirath nichts werden könne.

Diese Beschuldigungen schienen genügend, um die Verhaftung Barnes’ zu rechtfertigen; aber dieser wies sogleich ein so klares entschiedenes Alibi nach, daß er nur acht Stunden im Gefängniß blieb.

Noch mehr, sein Schmerz über den Tod seiner geliebten Sara trieb ihn an. der Sicherheitsbehörde seine Dienste anzutragen und allen seinen Scharfsinn zur Entdeckung der Mörder aufzubieten.

Barnes pflegte an allen Lustbarkeiten in Kendal Theil zu nehmen; er hatte dabei Gelegenheit Geld zu verdienen, denn er spielte die Geige, sang Volkslieder und machte seine Künste als Seiltänzer und Bauchredner mit überraschender Geschicklichkeit. Insbesondere als Bauchredner leistete er Erstaunliches; man glaubte seine Stimme bald im Keller, bald aus dem Boden eines Hauses zu hören und die Stimme seiner Bekannten wußte er so täuschend nachzuahmen, daß man geschworen hätte, die Person, deren Sprache er nachahmte, sey anwesend.

Durch diese kleinen Künste und als sehr geschickter Zimmermann hätte er anständig sein Brot verdienen können, wenn er fleißig und sparsam gewesen wäre; aber er arbeitete wenig und verthat das leichtverdiente Geld. Wegen dieser unordentlichen Lebensweise hatte ihn die verständige und fleißige Sara verabschiedet, denn sie wollte einem Müßiggänger und Verschwender ihr Lebensglück nicht anvertrauen.

Während ich den Auftrag erhielt, den Mörder ausfindig zu machen, wurde Josias Barnes zu meiner Verfügung gestellt. Er konnte mir durch seinen Eifer, mit welchem er prahlte. vielleicht von Nutzen seyn, und überdies kannte er die Gesichtszüge Robert Bristowe’s. Ich verließ daher mit ihm das Polizeiamt und begab mich nach Covents Garden in den Gasthof, wo Bristowe gewohnt hatte.

Auf meine Frage antwortete man mir, Robert Bristowe habe vor vier Tagen den Gasthof verlassen, ohne seine übrigens sehr unbedeutende Rechnung zu bezahlen; er habe sonst jeden Abend seine Zeche bezahlt; er habe sich mit Zurücklassung seines Gepäckes entfernt, und seitdem habe man nichts wieder von ihm gehört.

»Wie war er gekleidet als er sich entfernte ?« fragte ich.

,»Seine gewöhnliche Kleidung,« antwortete der Wirth, »bestand in einer Militärmütze mit goldener Treffe, einem blauen Uniformrock, Sommerbeinkleidern und Stiefeln à la Suwarow.«

Dieselbe Kleidung hatte der Knecht des Fischhändlers angegeben.

Ich begab mich mit Barnes sogleich in die Bank; ich wünschte zu wissen, ob einige der gestohlenen Banknoten eingewechselt worden wären. Ich zeigte eine von Mr. Bagshawn erhaltene Liste der Nummern vor.

Man antwortete mir, ein Gentleman in Campagneuniform habe sämtliche Banknoten Tags vorher eingewechselt. Auf der Rückseite der Banknoten stand der Name: Lieutenant James, Harley Street, Cavendish Square.

Diese Adresse war offenbar falsch. Um mir völlige Gewißheit zu verschaffen, forschte ich nach; die bezeichnete Person war nicht zu finden. Ich begab mich wieder in die Bank, um neue Fragen zu thun.

Der Cassier hatte das Gesicht des jungen Gentleman nicht bemerkt, er hatte nur auf seinen Anzug geachtet. Ueber diesen Punkt wußte er die bestimmteste Auskunft zu geben.

Ich mußte mich zu meiner Beschämung unverrichteter Sache wieder auf das Polizeiamt begeben. Es wurde beschlossen, die Personsbeschreibung Robert Bristowe’s in vielen Exemplaren zu verbreiten. Zugleich wurde auf die Verhaftung des muthmaßlichen Mörders oder auf genügende Nachweisungen über seinen Aufenthalt ein bedeutender Preis gesetzt.

Kaum war dieser Befehl gegeben worden, so bemerkte ich einen jungen Mann, dessen Aeußeres mit dem Signalement Robert Bristowe’s aus das Genaueste übereinstimmte.

Er erschien im Polizeiamte mit der Ruhe und Unbefangenheit eines Mannes, der von der Gefahr, in welcher er schwebte, nicht die mindeste Ahnung hatte.

Ich hatte kaum Zeit, dem Inspector einen Wink zu geben, er sollte keinen Argwohn merken und Bristowe ruhig fortgehen lassen. Dann trat ich mit Barnes in einen Seitengang.

Robert Bristowe trat in das Bureau, um eine Anzeige zu machen. Er sagte im Wesentlichen Folgendes aus: er sey vor etwa vier Tagen bestohlen worden, aber er könne nicht angeben, wo und durch wen. Am Tage nach dem Diebstahle sey er in Begleitung eines angeblichen Polizeiagenten, den er jetzt für einen Mitschuldigen der Diebe halte, durch die elendesten Stadttheile von London gegangen.

Man ließ sich diese Person genauer beschreiben ; aber das Signalement, welches er gab, war so alltäglich, so wenig bezeichnend, daß es unmöglich war, auf diese Aussage hin ein bestimmtes Verfahren einzuleiten.

Der Inspector nahm seine Anzeige zu Protokoll, ließ dasselbe von ihm unterzeichnen, versprach eine Untersuchung und entließ ihn.

Kaum hatte sich Robert Bristowe entfernt und seinen Weg gegen den Strand genommen, so ging ich ihm nach. Er ging langsam. aber ohne stehen zu bleiben, zum Postamt und ließ sich zu meinem großen Erstaunen nach Westmoreland einschreiben.

Er wollte mit der Abendpost abreisen.

Als er seinen Postschein gelöst hatte, ging er in das nächste Kaffeehaus und ließ eine halbe Flasche Sherry mit Backwerk kommen.

Ich hatte also eine Zeit lang Ruhe. Ich wollte diese Muße zu einem kurzen Spaziergange und zum Nachsinnen über den zweckmäßigsten Plan benützen, als ich auf einmal drei kecke Bursche bemerkte, welche trotz ihrer eleganten Kleidung die Rohheit ihrer Sitten nicht verbergen konnten. Ihr ganzes Wesen bezeichnete sie nur als Industrieritter.

Sie traten in dasselbe Postbureau, aus welchem Robert Bristowe eben gekommen war; mein Instinkt sagte mir , daß ich diese drei Leute aufs Korn nehmen müsse.

Ich ging an die halb offen gebliebene Thür und hörte, wie einer von ihnen den Postbeamten fragte, ob in der Abends nach Westmoreland abgehenden Diligence noch Platz sei.

Diese Stimme hatte in meinen Ohren einen ganz eigenthümlichen Klang, sie schien mir nicht ganz unbekannt zu seyn. Was in aller Welt konnte dieses fashionable Gaunerkleeblatt in dem Heideland zu thun haben?

Der Flibustier bezahlte drei Plätze bis Kendal und fragte den Postbeamten:

»Wird der Gentleman in Uniform, der so eben hier war, unser Reisegefährte seyn?«

»Ja, meine Herren,« antwortete der Postbeamte, »er

hat sich einschreiben lassen; mich dünkt, er ist in das Kaffehhaus gegangen, dort werden Sie ihn finden, wenn Sie ihn zu sprechen wünschen.«

»Ich danke Ihnen,« erwiederte die Stimme; »guten Morgen, Sir.«

 

Ich eilte in einen Seitengang, wo ich von den drei Unbekannten nicht bemerkt wurde; oder wenn sie mich bemerkten, hielten sie mich einer Beachtung nicht werth.

Seitdem ich sie bemerkt hatte, hegte ich einen instinctartigen Argwohn, von welchem ich mir keine Rechenschaft zu geben wußte; ich hatte eine Ahnung, diese drei Personen mußten mit dem Abenteuer des jungen Gentleman in Uniform und mit dem tragischen Ereignisse aus Kendal auf irgend eine Weise in Verbindung stehen.

Dies war um so wahrscheinlicher, da ich die Stimme wieder erkannte. Ich erinnerte mich, die Stimme in dem Prozesse gegen Sandfort gehört zu haben, und nach einigem Besinnen erinnerte ich mich eines Angeklagten, der wegen seiner Jugend mit großer Nachsicht behandelt worden war.

Kurz, eine gewisse Ahnung trieb mich an, die drei Dandies zu verfolgen. Das beste Mittel, etwas zu entdecken, war, mich den Touristen anzuschließen und mit ihnen die Fahrt nach Westmoreland zu machen.

Mit diesem Vorsatze begab ich mich ebenfalls in das Postbureau. Es waren noch zwei Plätze im Innern des Eilwagens leer und ich nahm sie für »James Jenkins« und »Josias Barnes«. Dann ging ich wieder in das Kaffeehaus, wo Bristowe noch bei seiner Flasche saß. Er schien sehr zerstreut. Ich schrieb ein Billet und schickte einen Commissionär damit fort.

Ich hatte nun hinlängliche Muße, Gesicht und Benehmen des jungen Gentleman zu studieren, der durch das Zusammentreffen so vieler Umstände eines Raubmordes so dringend verdächtig erschien.

Bristowe hatte ein blasses, sehr junges und einnehmendes Gesicht. Er mochte vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alt seyn. Er war schlank und wohl gebaut, und ungeachtet seiner Ermüdung und nachlässigen Kleidung hatte er das vornehme, ungezwungene Benehmen eines echten Gentleman.

Er war sehr nachdenkend und verstimmt; aber ich suchte bei ihm vergebens die mindesten Symptome jener Unruhe, welche die verstocktesten Verbrecher nicht unterdrücken können, wenn sie nicht sicher zu seyn glauben. Es traten mehre Personen ziemlich rasch und hastig in das Kaffeehaus, ohne daß er von der Zeitung, die er gleichwohl nicht las, nur einen Augenblick aufschaute.

Ich beschloß nun, seine Nerven aus eine schwere Probe zu stellen. Diese Probe konnte ein Mensch, der unlängst einen Mord begangen und einen großen Theil seines Raubes in der englischen Bank zu Geld gemacht hatte, gewiß nicht bestehen. Ich wollte keinen rechtsgültigen Beweis erlangen, sondern nur mit meiner persönlichen Ueberzeugung aufs Reine kommen. Denn ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, der junge Mann sey unschuldig, ungeachtet des sonderbaren Zusammentreffens von Umständen. Vielleicht war er das Opfer eines ruchlosen Verraths von Seiten der wahren Verbrecher, welche den Verdacht von sich ablenken wollten. Es schien mir auch sehr wahrscheinlich, daß die eigentlichen Thäter vertraute Freunde der drei Dandies waren, deren Reisegefährte ich werden sollte.

Meine Pflicht war nicht nur die Entdeckung des Thäters, sondern auch die Ermittlung des Schuldlosen. Ich beschloß daher, der Sache ans den Grund zu kommen und Robert Bristowe der höchst bedenklichen Lage, in der er sich befand, zu entreißen. Ich verließ das Kaffehhaus, blieb einige Minuten draußen stehen, ging rasch und mit einigem Lärm wieder hinein, trat aus den Tisch zu, an welchem er saß, faßte seinen Arm und sagte:

»Ha! endlich finde ich Sie!«

Er sah mich an, aber es war nicht die mindeste Spur von Bestürzung oder Furcht zu bemerken. Sein Gesicht drückte nur Erstaunen und einigen Aerger aus.

»Was wollen Sie von mir, Sir?« fragte er etwas gereizt; »was steht zu Diensten?«

»Entschuldigen Sie,« erwiederte ich, »der Kellner im Gasthofe sagte mir, ein Freund von mir, Namens Bagshawn, sey hier, und ich hielt Sie für diesen Freund.«

»Es hat nichts zu bedeuten, Sir,« antwortete er höflich. »Es ist ein sonderbarer Zufall: ich heiße Bristowe, aber ich habe auf dem Lande einen Onkel, der den von Ihnen genannten Namen führt.«

Ich entschuldigte mich noch einmal, daß ich ihn so vertraulich behandelt. und entfernte mich in der Ueberzeugung, daß ein Mensch, der eine solche Probe bestand, nicht schuldig seyn könne.

In diesem Augenblicke brachte mir der Commissionär die Antwort auf meinen Brief. Die Person, welche ich hatte holen lassen, erwartete mich vor der Thür; es war ein Agent, dem ich den Auftrag gab, Mr. Bristowe bis zu seiner Abreise nicht aus den Augen zu lassen.

Ueber diesen Punkt beruhigt, ging ich nach Hause, um meine Vorbereitungen zur Reise zu treffen.

Nachdem ich mich durch eine blonde Perrücke, einen breitgeränderten Hut und eine grüne Brille unkenntlich gemacht und durch mehre Westen und Shawls in einen sehr beleibten ältlichen Herrn verwandelt hatte, begab ich mich mit Josias Barnes, dem ich zuvor die nöthigen Weisungen über sein Benehmen gegeben, auf das Postamt. Wir traten fünf Minuten vor der Abfahrt des Wagens in den Hof.

Bristowe, der den Platz Nummer Eins hatte, saß schon im Eilwagen.

Ich bemerkte, daß sich die drei Freunde beim Einsteigen neugierig ansahen; sie wollten vermuthlich ihre Reisegesellschaft mustern, ehe sie sich in einen so engen Raum einschlossen, aus welchem in einem entscheidenden Augenblicke so schwer zu entkommen war.

Barnes sah aus wie ein Bauer und auch mein Gesicht schien ihnen volle Beruhigung zu gewähren; sie stiegen daher zuversichtlich und wohlgemuth ein.

Einige Minuten gab das herkömmliche »All right!« (Alles in Ordnung) das Zeichen zur Abfahrt, und der Eilwagen verließ rasselnd den Posthof.