Kostenlos

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

CV
Die Schädelstätte

Nach dem Abendbrode gingen, wie sie hierzu den Befehl erhalten hatten, die drei Officiere in das Zimmer des Königs hinauf.

Madame Royale, der Herr Dauphin und Frau von Tourzel waren in ihrem Zimmer; der König, die Königin und Madame Elisabeth warteten.

Als die jungen Leute eingetreten waren, sprach der König:

»Herr von Charny, haben Sie die Güte, die Thüre zu schließen, daß uns Niemand stört; ich habe Ihnen Etwas von der höchsten Wichtigkeit mitzutheilen. Gestern, meine Herren, in Dormans hat mir Herr Pétion den Vorschlag gemacht, Sie unter einer Verkleidung entweichen zu lassen; doch wir, die Königin und ich, haben uns widersetzt, weil wir befürchteten, dieser Vorschlag sei nur eine Falle, und man suche Sie nur von uns zu entfernen, um Sie zu ermorden, oder in irgend einer Provinz einer Militärcommission auszuliefern, die Sie zum Erschießen verurtheilen würde, ohne Ihnen einen Recurs zu lassen. Wir haben es also aus uns genommen, diesen Vorschlag zurückzuweisen; doch heute ist Herr Pétion wieder auf diese Sache zurückgekommen und hat dabei sein Ehrenwort als Abgeordneter verpfändet, und ich glaube Ihnen das, was er befürchtet, und das, was er vorschlägt, mittheilen zu müssen . .,«

»Sire,« unterbrach Charny den König, »ehe Eure Majestät weiter geht, – und ich spreche hier nicht allein in meinem Namen, sondern ich glaube auch der Dolmetscher der Gefühle dieser Herren zu sein, – will uns der König, ehe er weiter geht, eine Gnade gewähren?«

»Meine Herren,« sagte Ludwig XVI., »Ihre Ergebenheit für die Königin und für mich hat seit drei Tagen Ihr Leben beständig allen Gefahren ausgesetzt; jeden Augenblick waren Sie mit dem grausamsten Tode bedroht; jeden Augenblick theilten Sie die Schmach, mit der man uns tränkt, die Beleidigungen, mit denen, man uns überhäuft. Meine Herren, Sie haben das Recht, nicht nur um eine Gnade zu bitten, sondern auch Ihren Wunsch auseinanderzusetzen, und dieser Wunsch müßte, um nicht unmittelbar erfüllt zu werden, außer der Macht der Königin und der meinigen liegen.«

»Nun wohl! Sire,« sprach Charny, »wir bitten Eure Majestät unterthänigst, aber inständig, uns, was auch die von den Herren Abgeordneten in Beziehung aus uns gemachten Vorschläge sein mögen, die Fähigkeit zu lassen, diese Vorschläge anzunehmen oder zu verwerfen.«

»Meine Herren,« erwiderte der König, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Ihrem Willen keinen Zwang anthun werde; was Sie wünschen, wird geschehen.«

»Dann, Sire, hören wir mit Dank,« sagte Charny.

Die Königin schaute Charny erstaunt an; sie begriff nicht diese zunehmende Gleichgültigkeit, die sie an ihm wahrnahm, bei seinem beharrlichen Willen, sich nicht einen Augenblick von dem zu entfernen, was er ohne Zweifel als seine Pflicht betrachtete.

Sie antwortete auch nicht und ließ den König das Gespräch fortsetzen. Er sagte:

»Vernehmen Sie nun, nachdem Ihnen Ihr freier Wille vorbehalten ist, die eigenen Worte von Herrn Pétion: »»Sire, es ist im Augenblick Ihrer Rückkehr nach Paris keine Sicherheit für die drei Officiere, welche Sie begleiten. Weder ich, noch Barnave, noch Herr von Latour-Maubourg können dafür stehen, daß wir sie, selbst mit Gefahr unsres Lebens, retten, und ihr Blut ist zum Voraus dem Volke verfallen.««

Charny schaute seine zwei Gefährten an: ein Lächeln der Verachtung zog über ihre Lippen.

»Nun! Sire,« sagte Charny, »hernach?«

»Hören Sie, was Herr Pétion vorschlägt: Er will Ihnen drei Anzüge von Nationalgarden verschaffen, heute Nacht die Thüre des bischöflichen Palastes öffnen, und Jedem von Ihnen die volle Freiheit lassen, zu entfliehen.«

Charny befragte abermals seine zwei Gefährten, doch dasselbe Lächeln antwortete ihm.

»Sire,« sagte er, indem er sich an den König wandte, »unsere Tage sind Euren Majestäten geweiht gewesen; sie haben die Gnade gehabt, unsere Hingebung anzunehmen, es wird uns leichter sein, für sie zu sterben, als uns von ihnen zu trennen; bewilligen Sie uns also die Gunst, uns morgen zu behandeln, wie Sie uns gestern behandelt haben, nicht mehr, nicht weniger. Von Ihrem ganzen Heere, von allen Ihren Garden bleiben Ihnen drei getreue Herzen; nehmen Sie ihnen nicht den einzigen Ruhm, nach dem sie streben, den, bis zum Ende treu zu sein.«

»Es ist gut, meine Herren,« sprach die Königin, »wir willigen ein; nur muß, Sie begreifen das, von diesem Augenblick an Alles bei uns gemeinschaftlich sein. Sie sind keine Diener mehr für uns, Sie sind Freunde und Brüder; ich sage Ihnen nicht, Sie sollen mir Ihre Namen geben, ich kenne sie, aber,« sie zog Tabletten aus ihrer Tasche, »aber geben Sie mir die Ihrer Väter, Ihrer Mütter, Ihrer Brüder, Ihrer Schwestern; wir können das Unglück haben, Sie zu verlieren, ohne daß wir unterliegen. Dann wäre es meine Ausgabe, diese geliebten Wesen von ihrem Unglück zu unterrichten, während ich mich zugleich zu ihrer Verfügung stellen würde, um sie, so viel in unserer Macht läge, zu unterstützen . . .  Auf, Herr von Malden, aus, Herr von Valory, sagen Sie dreist, für den Fall des Todes, – und wir sind Alle der Wirklichkeit so nahe, daß wir nicht vor dem Worte zurückweichen dürfen, – wer sind die Verwandten, wer sind die Freunde, die Sie uns empfehlen?«

Herr von Malden empfahl seine Mutter, eine alte, kränkliche Dame, welche auf einem kleinen Gute in der Gegend von Blois wohnte; Herr von Valory empfahl seine Schwester, eine junge Waise, die er in einem Kloster in Soissons erziehen ließ.

Es waren gewiß starke, muthvolle Herzen, die Herzen dieser zwei Männer, und dennoch, während die Königin die Namen und die Adressen von Frau von Malden und von Fräulein von Valory ausschrieb, strengten sich Beide vergebens an, um ihre Thränen zurückzuhalten.

Die Königin war auch genöthigt, sich im Schreiben zu unterbrechen, um ihr Taschentuch hervorzuziehen und ihre Thränen abzuwischen.

Dann, nachdem sie die Adressen vollends aufgezeichnet hatte, wandte sie sich an Charny und sprach:

»Ach! Herr Gras, ich weiß, daß Sie Niemand zu empfehlen haben; Ihr Vater und Ihre Mutter sind todt, und Ihre Brüder  . . . «

Die Stimme versagte der Königin.

»Meine zwei Brüder haben die Ehre gehabt, sich für Eure Majestät tödten zu lassen, ja, Madame,« fügte Charny bei; »doch der letzte Todte hat ein armes Mädchen hinterlassen, das er mir durch eine Art von Testament empfiehlt, welches ich bei ihm gefunden. Dieses Mädchen hat er seiner Familie entführt, von der es keine Verzeihung erwarten darf. So lange ich lebe, wird es weder dem Mädchen, noch dem Kinde an Etwas fehlen; doch Eure Majestät hat es so eben mit ihrem bewunderungswürdigen Muthe gesagt: wir sind Alle im Angesichte des Todes, und träfe mich der Tod, so blieben das arme Mädchen und sein Kind ohne Mittel; Madame, haben Sie die Gnade, den Namen einer unglücklichen Bäuerin aufzuzeichnen, und sollte ich, wie meine beiden Brüder, das Glück haben, für meinen erhabenen Gebieter und meine edle Gebieterin zu sterben, so erniedrigen Sie Ihre Großmuth, bis zu Catherine Billot und ihrem Kinde, man wird sie Beide im Dörfchen Ville-d’Avray finden.

Ohne Zweifel war das Bild von Charny, dem ebenfalls Sterbenden, wie seine Brüder gestorben waren, ein zu peinliches Schauspiel für Marie Antoinette, denn sie warf sich mit einem schwachen Schrei zurück, ließ ihre Tabletten aus ihrer Hand gleiten, wankte und fiel in einen Lehnstuhl.

Die zwei Gardes du corps stürzten aus sie zu, indeß Charny die königlichen Tabletten aufhob, den Namen und die Adresse von Catherine Billot darein schrieb und sie dann aus den Kamin legte.

Die Königin raffte sich zusammen und kam wieder zu sich.

Dann machten die jungen Leute, da sie einsahen, wie sehr es für die Königin nach einer solchen Gemüthserschütterung Bedürfniß sein müsse, sich allein zu befinden, einen Schritt rückwärts, um sich zu beurlauben.

Doch Marie Antoinette streckte die Hand gegen sie aus und sprach:

»Meine Herren, ich hoffe, Sie werden mich nicht verlassen, ohne mir die Hand zu küssen.«

Die zwei Gardes traten in derselben Ordnung vor, in der sie ihre Namen und ihre Adressen gegeben hatten: Herr von Malden zuerst, dann Herr von Valory.

Charny näherte sich zuletzt. Die Hand der Königin war zitternd in Erwartung dieses Kusses, für den sie sicherlich die zwei andern gegeben hätte.

Doch die Lippen des Grafen berührten kaum diese schöne Hand, so sehr schien es ihm, mit dem Briefe von Andrée aus dem Herzen heiße es eine Ruchlosigkeit begehen, mit seinen Lippen die Hand der Königin zu berühren.

Marie Antoinette stieß einen Seufzer aus, der einen Stöhnen glich; nie hatte sie besser als durch diesen Kuß den Abgrund ermessen, den jeder Tag, jede Stunde, um möchten sagen, fast jede Minute zwischen ihr und ihren Geliebten grub.

Die Herren von Latour-Maubourg und Barnave, welche ohne Zweifel nicht wußten, was am Tage vorher zwischen dem König und den drei Officieren vorgegangen war, drangen in diese, am Morgen vor der Abreise, um sie zu bewegen, Nationalgarde-Uniformen anzuziehen, doch sie weigerten sich entschieden, sagten, ihr Platz sei auf dem Bocke des königlichen Wagens, und sie haben keine andere Kleidung zu nehmen, als die, welche ihnen der König zu tragen befohlen.

Dann wollte Barnave, daß ein Brett, das rechts und links über den Bock vom Wagen hinausrage, auf diesem Bocke befestigt werde, damit zwei Grenadiere sich darauf setzen und, so viel in ihren Kräften läge, die hartnäckigen Diener des Königs beschützen könnten.

Um zehn Uhr Morgens verließ man Meaux; man sollte nach Paris zurückkommen, von wo man seit fünf Tagen abwesend war.

Fünf Tage! welche unergründliche Tiefe war während dieser fünf Tage gegraben worden! Kaum war man eine Meile jenseits Meaux, da nahm der Zug ein erschrecklicheres Aussehen, als er je gehabt, an.

Alle Einwohnerschaften der Umgegend von Paris strömten herbei. Barnave hatte die Postillons zwingen wollen, im Trab zu fahren; doch die Nationalgarde von Claye versperrte den Weg, indem sie das Bajonnet vorhielt.

 

Es wäre unklug gewesen, es zu versuchen, diesen Damm zu durchbrechen; die Königin selbst begriff die Gefahr und bat die Abgeordneten inständig, nichts zu thun, um diesen Zorn des Volks zu vermehren, – ein entsetzlicher Sturm, den man brausen hörte, den man kommen fühlte.

Bald war die Menge so angewachsen, daß die Pferde kaum im Schritt gehen konnten.

Nie war es so heiß gewesen; es war nicht mehr Luft, was man athmete, sondern Feuer.

Die freche Neugierde dieser Menge verfolgte den König und die Königin bis in die zwei Ecken des Wagens, in die sie sich geflüchtet.

Männer stiegen auf die Fußtritte und steckten ihre Köpfe in die Berline, Andere hißten sich oben aus den Wagen, Andere stiegen hinten auf; wieder Andere klammerten sich an die Pferde an.

Es war ein Wunder, daß Charny und seine zwei Gefährten nicht zwanzigmal getödtet wurden.

Die zwei Grenadiere genügten nicht, um die Streiche zu pariren; sie baten, sie flehten, sie befahlen sogar im Namen der Nationalversammlung, doch ihre Stimmen verloren sich unter dem Geschrei und dem Tumulte.

Eine Vorhut von mehr als zweitausend Menschen schritt dem Wagen voran, eine Nachhut von mehr als viertausend folgte ihm.

An seinen Seiten wälzte sich eine Menge, welche unablässig zunahm.

So wie man Paris näher kam, schien es, als fehlte, von der Riesenstadt absorbirt, die Luft gänzlich.

Der Wagen bewegte sich unter einer Sonne von zwei und dreißig Grad, durch eine Staubwolke, von der jedes Atom wie ein Theilchen zerstoßenes Glas war.

Mehrere Male warf sich die Königin zurück und rief, sie ersticke.

In Bourget wurde der König todesbleich; er war einer Ohnmacht nahe und verlangte ein Glas Wein.

Wenig fehlte, daß man ihm, wie Christus, einen in Galle und Essig getauchten Schwamm bot. Der Vorschlag wurde gemacht, aber zum Glück zurückgewiesen.

Man erreichte la Villette.

Die Menge brauchte über eine Stunde, um sich genug zu verdünnen, daß sie sich durch die zwei Reihen von Häusern durchwinden konnte, deren weiße Steine die Sonnenstrahlen zurücksandten und die Hitze verdoppelten.

Ueberall waren Männer, Weiber, Kinder. Nie hat der Blick eine solche Menge gemessen: die Pflastersteine waren so bedeckt, daß die, welche sie bedeckten, sich nicht rühren konnten.

Die Thüren, die Fenster, die Dächer der Häuser waren mit Zuschauern beladen.

Die Bäume bogen sich unter der Last dieser lebendigen Früchte.

All dieses Volk hatte den Hut aus dem Kopf.

Schon am Tage vorher war an allen Mauern von Paris ein Zettel folgenden Inhalts angeschlagen worden:

Celui qui saluera le roi aura des coups de bâton;

Celui qui l’insultera sera pendu.38

Alles dies war so erschreckend, daß die Commissäre es nicht wagten, durch die Rue du Faubourg Saint-Martin zu fahren, denn dies war eine Straße voller Volkshaufen und folglich voller Drohungen, eine unheilvolle Straße, eine blutige Straße, eine Straße, berühmt in den Annalen des Mordes, seit der gräßlichen Geschichte von Berthier.

Man beschloß also, über die Champs-Elysées zu fahren, und der Zug bewegte sich auf den äußeren Boulevards fort.

Das waren drei Stunden der Folter mehr, und diese Folter wurde so unerträglich, daß die Königin auf dem kürzesten Wege zurückzukehren verlangte, und sollte dieser Weg auch der gefährlichste sein.

Zweimal hatte sie es versucht, die Vorhänge herunterzulassen; zweimal wurde sie durch das Murren des Volks genöthigt, sie wieder aufzuziehen.

Von der Barrière an umgab übrigens ein starker Trupp Grenadiere den Wagen.

Mehrere von ihnen marschirten bei den Schlägen und verbargen beinahe mit ihren Pelzmützen die Oeffnungen der Berline.

Endlich, gegen sechs Uhr, erschien die Vorhut über den Mauern des Garten von Monceaux; sie führte drei Kanonen mit sich, welche, immer wieder auf dem ungleichen Pflaster aufspringend, einen betäubenden Lärmen machten.

Diese Vorhut bestand aus Reitern und Fußgängern, vermischt mit Volkswogen, unter denen es ihnen beinahe unmöglich war, in Ordnung zu marschiren.

Diejenigen, welche sie erblickten, strömten gegen die Höhe der Champs-Elysées zurück; es war das dritte Mal, daß Ludwig XVI. durch diese unselige Barrière einfahren sollte.

Das erste Mal, nach der Einnahme der Bastille.

Das zweite Mal, nach dem 5. und 6. Oktober.

Das dritte Mal – nun – nach der Flucht nach Varennes.

Ganz Paris war, als man erfuhr, der Zug komme aus der Straße von Neuilly herbei, nach den Champs-Elysées geeilt.

Als man zur Barrière kam, sahen auch der König und die Königin ins Endlose ein Meer von finstern, schweigsamen, drohenden Menschen, welche ihre Hüte aus dem Kopfe hatten, sich entrollen.

Trübseliger aber, wenn nicht erschrecklicher als Alles dies, war ein doppeltes Spalier von Nationalgarden, welche ihre Gewehre zum Zeichen der Trauer verkehrt hielten und sich von der Barrière bis zu den Tuilerien ausdehnten.

Es war in der That ein Tag der Trauer, einer ungeheuren Trauer, einer Trauer um eine Monarchie von sieben Jahrhunderten.

Der Wagen, der langsam mitten unter all diesem Volke hinrollte, war der Leichenwagen, der das Königthum im Sarge führte.

Als sie diese lange Reihe von Nationalgarden erblickten, bewegten die Soldaten, die den Wagen begleiteten, ihre Gewehre in der Lust und riefen: »Es lebe die Nation!«

Der Ruf: »Es lebe die Nation!« erscholl alsbald auf der ganzen Linie von der Barrière bis zu den Tuilerien.

Das war der Verbrüderungsschrei, den ganz Frankreich erhob.

Nur eine Familie, die, welche Frankreich hatte fliehen wollen, war von dieser Verbrüderung ausgeschlossen.

Man brauchte eine Stunde von der Barrière bis zur Place Louis XV. Die Pferde bogen sich unter der Last. Jedes von ihnen trug einen Grenadier.

Hinter der Berline, in der der König, die Königin, die königliche Familie, Barnave und Pétion saßen, kam das Cabriolet, das die zwei Frauen der Königin und Herrn von Latour-Maubourg enthielt: hinter dem Cabriolet endlich ein offenes, aber durch Astwerk beschattetes Cariol, auf dem Drouet, Guillaume und Maugin, das heißt derjenige, welcher den König verhaftet, und diejenigen, welche ihm bei der Verhaftung Beistand geleistet, fuhren. Die Müdigkeit hatte sie gezwungen, ihre Zuflucht zu dieser Art von Locomotion zu nehmen.

Billot allein war unermüdlich, als hätte ihn der Eifer der Rache von Erz gemacht, zu Pferde geblieben, und schien den ganzen Zug anzuführen.

Als man aus die Place Louis XV. ausmündete, bemerkte der König, daß man der Statue seines Großvaters die Augen verbunden hatte.

»Was wollten sie hierdurch ausdrücken?« fragte der König Barnave.

»Ich weiß es nicht, Sire,« antwortete derjenige, an welche die Frage gerichtet war.

»Ich weiß es.« sagte Pétion; »sie wollten hierdurch die Blindheit der Monarchie ausdrücken.«

Trotz der Bedeckung, trotz der Commissäre, trotz der Anschlagzettel, welche bei Strafe des Henkens den König zu beleidigen verboten, durchbrach das Volk auf dem Wege zweimal das Spalier der Grenadiere, einen schwachen, ohnmächtigen Damm, dem Gott vergessen hatte, wie dem Meere zu sagen: »Du wirst nicht weiter gehen!« Wenn der Stoß kam, wenn das Brechen stattfand, sah die Königin plötzlich an den Wagenschlägen eine Anzahl von jenen Menschen mit häßlichen Gesichtern, mit unversöhnlichen Worten erscheinen, welche nur an gewissen Tagen zur Oberfläche der Gesellschaft emporsteigen, wie gewisse Ungeheuer nur an den Tagen des Sturms auf der Oberfläche des Oceans erscheinen.

Einmal war sie so erschrocken über diese Erscheinung, daß sie eines von den Fenstern des Wagens herunterließ.

»Warum die Fenster herunterlassen?« riefen zehn wüthende Stimmen.

»Oh! meine Herren,« sprach die Königin, »sehen Sie meine Kinder an, in welchem Zustande sie sind!«

Und den Schweiß abwischend, der von ihren Wangen troff, fügte sie bei:

»Wir ersticken.«

»Bah!« versetzte eine Stimme, »das ist nichts: sei ruhig, wir werden Dich noch ganz anders ersticken!«

Und mit einem Faustschlage zerschmetterte er die Scheibe in tausend Stücke.

Mitten unter diesem gräßlichen Schauspiel hätten übrigens einige Episoden den König und die Königin trösten können, wäre der Ausdruck des Guten so leicht zu ihnen gekommen, als der Ausdruck des Bösen zu ihnen gelangte.

Trotz des Anschlagzettels, der den König zu grüßen verbot, entblößte Herr Guilhermy, ein Mitglied der Nationalversammlung, das Haupt, als der König vorüberkam, und als man ihn zwingen wollte, seinen Hut wieder aufzusetzen, warf er ihn fern von sich und sagte:

»Man versuche es, ihn mir wiederzubringen.«

Beim Eingange der Brücke fand man zwanzig Deputirte, welche die Nationalversammlung abgesandt hatte, um den König und die königliche Familie zu beschützen.

Dann kam Lafayelte mit seinem Generalstabe.

Lafayette ritt an den Wagen.

»O! Herr von Lafayette,« rief die Königin, sobald sie ihn erblickte, »retten Sie die Gardes du corps.«

Dieser Rus war nicht unnöthig, denn man näherte sich einer großen Gefahr.

Während dieser Zeit ereignete sich eine Scene, der es nicht an Poesie gebrach, vor den Thoren des Schlosses.

Fünf bis sechs Frauen der Königin, welche nach der Flucht ihrer Gebieterin die Tuilerien verlassen hatten, weil sie geglaubt, die Königin selbst habe sie aus immer verlassen, wollten in das Schloß zurückkehren, um sie zu empfangen.

»Zurück!« riefen die Schildwachen, indem sie ihnen die Spitze ihrer Bajonnete entgegenstreckten.

»Sklavinnen der Oesterreichern!« brüllten die Poissarden. Und sie wiesen ihnen die Fäuste.

Da machte durch die Bajonnete der Soldaten, den Drohungen der Weiber der Halle trotzend, die Schwester von Madame Campan ein paar Schritte vorwärts und sprach:

»Ich bin bei der Königin seit meinem fünfzehnten Jahre im Dienste; sie hat mich ausgesteuert und verheirathet; ich habe sie bedient, als sie mächtig war; heute ist sie unglücklich, soll ich sie verlassen?«

»Sie hat Recht!« rief das Volk; »Soldaten, laßt sie passiren.«

Und auf diesen Befehl, gegeben von dem Herrn, dem man nicht widersteht, öffneten sich die Reihen, und die Frauen gingen vorbei.

Einen Augenblick nachher konnte sie die Königin ihre Taschentücher im ersten Stocke schwingen sehen.

Und mittlerweile rollte der Wagen immer weiter und trieb eine Volksmenge und eine Staubwolke vor sich her, wie ein Schiff, das sich dem Sturme überläßt, die Wellen des Oceans und eine Schaumwolke vor sich hertreibt, und diese Vergleichung ist um so treffender, als nie Schiffbrüchige von einem Meere bedroht waren, das so brausend und so stürmisch wie das, welches sich anschickte, die unglückliche Familie in dem Augenblick zu verschlingen, wo sie es versuchen würde, diese Tuilerien zu erreichen, die für sie das Gestade waren.

Endlich hielt der Wagen an. Man war zu den Stufen der großen Terrasse gekommen.

»Oh! meine Herren,« sagte abermals die Königin, diesmal jedoch, indem sie sich an Pétion und Barnave wandte, »die Gardes du corps! die Gardes du corps!«

»Sie haben mir Niemand ganz besonders unter diesen Herren zu empfehlen?« fragte Barnave.

Die Königin schaute ihn mit ihren klaren Augen fest an und erwiderte:

»Niemand.«

Und sie verlangte, der König und ihre Kinder sollten zuerst aus dem Wagen gehen.

Die zehn Minuten, welche nun verliefen, waren, – wir nehmen die nicht aus, die sie auf das Blutgerüste führten, – sicherlich die grausamsten ihres Lebens.

Sie war überzeugt, nicht daß sie ermordet werden sollte, sterben war nichts, sondern man werde sie dem Volke als ein Spielzeug preisgeben oder in ein Gefängniß einschließen, aus welchem sie nur durch die Thür eines schändlichen Prozesses herauskäme.

Als sie den Fuß auf die Stufen des Wagens setzt, der beschützt war durch das eiserne Gewölbe, welches über ihrem Haupte auf Befehl von Barnave die Flinten und die Bajonnete der Nationalgarden bildeten, erfaßte sie eine solche Blendung, daß sie glaubte, sie werde rückwärts fallen.

Doch als ihre Augen nahe daran waren, sich zu schließen, schien es ihr, als sähe sie, in dem letzten Angstblicke, wo man Alles sieht, sich gegenüber diesen Mann, diesen entsetzlichen Mann, der im Schlosse Taverney auf eine so geheimnißvolle Art für sie den Schleier der Zukunft ausgehoben hatte; diesen Mann, den sie ein einziges Mal wiedergesehen, da sie am 6. October von Versailles zurückkam, der endlich nur erschien, um große Katastrophen zu prophezeien, oder zur Stunde, wo diese großen Katastrophen in Erfüllung gingen.

 

Ob! da schlossen sich ihre Augen, welche noch zögerten, nachdem sie sich wohl versichert hatten, daß sie sie nicht täuschten; sie stieß einen Schrei aus und ließ sich gehen, – stark gegen die Wirklichkeiten, aber träge und ohnmächtig gegen diese unheilvolle Vision.

Es war ihr, als verschwände die Erde unter ihren Füßen, als wirbelten diese Menge, diese Bäume, dieser glühende Himmel, dieses unbewegliche Schloß um sie her; kräftige Arme ergriffen sie, und sie fühlte, daß man sie mitten unter dem Geschrei und Gebrüllt forttrug. In diesem Moment glaubte sie die Stimmen der Gardes du corps zu hören, welche zu sich den Zorn des Volkes riefen, in der Hoffnung, ihn so von seiner wahren Neigung abzulenken. Sie öffnete noch eine Secunde die Augen und sah diese Unglücklichen von ihrem Sitze gerissen. Charny bleich und schön wie immer, allein gegen zehn Menschen kämpfend, den Blitz des Märtyrthums in den Augen, das Lächeln der Verachtung auf den Lippen. Von Charny gingen ihre Blicke auf denjenigen über, der sie unter diesem ungeheuren Wirbel forttrug; mit Schrecken erkannte sie den geheimnißvollen Mann von Taverney und Sèvres.

»Sie! Sie!« rief sie, indem sie ihn mit ihren erstarrten Händen zurückzustoßen suchte.

»Ja, ich!« flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich bedarf Deiner noch, um die Monarchie an ihren letzten Abgrund zu treiben, und ich rette Dich!«

Diesmal war es mehr, als sie ertragen konnte: sie stieß einen Schrei aus und fiel wirklich in Ohnmacht. Während dieser Zeit suchte die Menge die Herren von Charny, von Malden und von Valory in Stücke zu hauen, und trug Drouet und Billot im Triumphe umher.

38Wer den König grüßt, bekommt Stockstreiche; wer ihn beleidigt, wird gehenkt.