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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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So war ihm, abgesehen von seltenen Zwischenräumen der Belebung, herbeigeführt durch heftige Situationen, Andrée während ihrer letzten Zusammenkünste erschienen, besonders bei der, welche er mit der unglücklichen ran in der Rue Coq-Héron an dem Abend gehabt, wo sie ihren Sohn zugleich wiedergefunden und verloren.

Doch sobald er sich von ihr entfernte, brachte die Entfernung, die zu lebhaften Tinten dämpfend, die zu scharfen Conturen wischend, ihre gewöhnliche Wirkung hervor. Da beseelte sie die kalte, langsame Geberde von Andrée, da wurde das ernste, abgemessene Wort von Andrée klangvoll; da hob der stumme und verschleierte Blick von Andrée ihre lange Augenwimper empor und schlenderte eine feuchte und verzehrende Flamme; da schien es ihm, ein inneres Feuer entzünde sich im Herzen der Bildsäule und durch den Alabaster des Fleisches sehe er das Blut kreisen und das Herz schlagen.

Ah! in diesen Augenblicken der Abwesenheit und der Einsamkeit war Andrée die Nebenbuhlerin der Königin; in der Dunkelheit dieser fieberhaften Nächte glaubte Charny plötzlich zu sehen, wie sich die Wand seines Zimmers aufthue oder der Vorhang seiner Thüre sich aufhebe und, die Arme offen, die Lippen murmelnd, das Auge voll Liebe, diese durchsichtige Statue, die das Feuer ihrer Seele erleuchte, sich seinem Bette nähere. Dann streckte Charny auch die Arme aus: dann suchte Charny das Gespenst an sein Herz zu drücken. Aber ach! das Gespenst entschlüpfte ihm; er umarmte nur den leeren Raum, und fiel wieder aus seinem keuchenden Traume in die traurige, kalte Wirklichkeit.

Isidor war ihm also theurer geworden, als ihm je Georges gewesen, und es hatte, wie wir gesehen, der Graf nicht die düstere Freude gehabt, über dem Leichname von Isidor zu weinen, wie er über dem von Georges geweint.

Beide waren hinter einander für diese unheilbbringende Frau, für diese Sache voller Abgründe gefallen.

Für dieselbe Frau und in denselben Abgrund würde er, Charny, sicherlich auch fallen.

Seit diesen zwei Tagen nun, seit dem Tode seines Bruders, seit der letzten Umarmung, welche seine Kleider von seinem Blute gefärbt, seine Lippen vom letzten Seufzer des Opfers lau gelassen, seit der Stunde, in welcher ihm Herr von Choiseul die bei Isidor gefundenen Papiere übergeben, hatte er diesem großen Schmerze kaum einen Augenblick zu weihen gehabt.

Den Wink der Königin, die ihm angedeutet, er möge sich entfernt halten, hatte er daher als eine Gunst aufgenommen und als eine Freude angenommen.

Dann hatte er einen Winkel gesucht, einen abgelegene Ort, wo er, indeß er nahe genug bliebe, um der königlichen Familie auf den ersten Ruf, beim ersten Schrei zu Hilfe zu kommen, nichtsdestoweniger mit seinen Schmerze sehr allein, mit seinen Thränen sehr vereinzelt sein könnte.

Er hatte eine Mansarde gefunden, welche oben an derselben Treppe lag, wo die Herren von Valory und von Malden wachten.

Sobald er hier allein eingeschlossen war und an einem Tische saß, der durch eine von jenen dreischnäbeligen kupfernen Lampen, wie wir sie noch heute in einigen Dorfhäusern finden, beleuchtet war, zog er aus seiner Tasche die blutigen Papiere, die einzigen Reliquien, die ihm von seinem Bruder blieben.

Die Stirne in seinen Händen, die Augen starr aus diese Buchstaben geheftet, in denen die Gedanken von demjenigen, welcher nicht mehr war, fortlebten, ließ er dann lange von seinen Wangen aus den Tisch hastige, stille Thränen fließen.

Endlich stieß er einen Seufzer aus, erhob und schüttelte er den Kopf, nahm und entfaltete einen Brief.

Er war von der armen Catherine.

Charny vermuthete seit mehreren Monaten diese Verbindung von Isidor mit der Tochter des Pächters, als es sich Billot in Varennes zur Ausgabe machte, sie ihm in allen ihren Einzelheiten zu erzählen, doch erst nach der Erzählung des Pächters gab er ihr die Wichtigkeit, die sie in seinem Geiste anzunehmen verdiente.

Diese Wichtigkeit vermehrte sich noch beim Lesen des Briefes. Da sah er, wie der Titel der Geliebten durch den Muttertitel heilig geworden, und in den so einfachen Ausdrücken, in welchen Catherine ihre Liebe auseinandersetzte, gewahrte er das ganze Leben der Frau hingegeben zur Sühne des Fehlers der Jungfrau.

Er öffnete einen zweiten, dann einen dritten Brief; es waren immer dieselben Pläne für die Zukunft, dieselben Glückshoffnungen, dieselben mütterlichen Freuden, dieselben Befürchtungen der Liebenden, dieselben Klagen, dieselben Schmerzen, dieselbe Reue.

Plötzlich, unter diesen Briefen, sah er einen, dessen Handschrift ihm auffiel.

Es war die Handschrift von Andrée.

Er war an ihn adressiert.

An dem Briefe war ein viereckig zusammengelegtes Papier durch ein Siegel von Wachs mit dem Wappen von Isidor befestigt.

Dieser an ihn, Charny, adressierte und unter den Papieren aufgefundene Brief von der Handschrift von Andrée dünkte ihm etwas so Seltsames, daß er zuerst das an den Brief geheftete Billet öffnete, ehe er den Brief selbst öffnete.

Das von Isidor mit Bleistift und ohne Zweifel auf einem Wirthshaustische, während man ihm ein Pferd sattelte, geschriebene Billet enthielt folgende paar Zeilen:

»Dieser Brief ist adressirt nicht an mich, sondern an meinen Bruder den Grafen Olivier von Charny: er ist geschrieben von seiner Frau, der Gräfin von Charny. Sollte mir Unglück widerfahren, so wird der, welcher dieses Papier fände, gebeten, es dem Grafen Olivier von Charny zukommen zu lassen oder an die Gräfin von Charny zurückzuschicken.

»Ich habe ihn von dieser mit folgendem Auftrage:

»Sollte der Graf bei dem Unternehmen, das er verfolgt, ohne Unfall davonkommen, den Brief der Gräfin zurückgeben.

»Würde er schwer verwundet, jedoch ohne Todesgefahr, ihn bitten, er möge seiner Frau die Gunst bewilligen, sich zu ihm begeben zu dürfen.

»Würde er endlich auf den Tod verwundet, ihm diesen Brief übergeben und wenn er ihn nicht mehr selbst lesen kann, ihm denselben vorlesen, damit er, bevor er verscheidet, das Geheimniß, das er enthält, kennen lerne.

Ist der Brief an meinen Bruder den Grafen überschickt, so wird er, da man ihm ohne Zweifel dieses Billet zugleich übergibt, in Betreff obiger drei Empfehlungen so handeln, wie es ihm sein Zartgefühl räth.

»Ich vermache seiner Fürsorge die arme Catherine Billot, welche im Dorfe Ville-d’Avray mit meinem Kinde wohnt.

»Isidor von Charny.«

Anfangs schien der Graf ganz und gar nur von diesem Billet seines Bruders ergriffen und erfüllt zu sein; seine, kurze Zeit unterbrochenen, Thränen fingen wieder an, gleich reichlich zu fließen; endlich aber richteten sich seine noch von Zähren verschleierten Augen auf den Brief von Frau von Charny; er schaute ihn lange an, nahm ihn, drückte ihn an seine Lippen, drückte ihn an sein Herz, als hätte er diesem Herzen das Geheimniß, das er enthielt, mittheilen können, und las noch einmal, zweimal, dreimal die Empfehlung seines Bruders.

Dann sagte er halblaut und den Kopf schüttelnd:

»Ich habe nicht das Recht, diesen Brief zu öffnen. Doch ich will sie selbst so inständig bitten, daß sie ihn mich wird lesen lassen.«

Und als wollte er sich in diesem Entschluß, der für ein minder redliches Herz als das seinige unmöglich gewesen wäre, ermuthigen, wiederholte er noch:

»Nein, ich werde ihn nicht lesen.«

Er las ihn in der That nicht; doch der Tag überraschte Charny an demselben Tische und mit dem Blicke die Adresse dieses Briefes verschlingend, welcher ganz feucht von seinem Athem, so oft hatte er ihn an seine Lippen gedrückt.

Plötzlich unter dem Lärmen, der im Gasthose stattfand und verkündigte, man schicke sich zur Abreise an, vernahm man die Stimme von Herrn von Malden, der dem Grasen von Charny rief.

»Hier bin ich,« antwortete dieser.

Und er steckte in seine Rocktasche die Papiere des armen Isidor, küßte zum letzten Male den unversehrten Brief, legte ihn aus sein Herz und ging rasch hinab.

Er traf auf der Treppe Barnave, der sich nach der Königin erkundigte und Herrn von Valory beauftragte, ihre Befehle für die Stunde der Abreise entgegenzunehmen.

Es war leicht zu sehen, daß Barnave sich nicht zu Bette gelegt und eben so wenig als der Graf Olivier von Charny geschlafen hatte.

Die zwei Männer begrüßten sich, und Charny würde sicherlich den Blitz der Eifersucht bemerkt haben, der in den Augen von Barnave zuckte, als er ihn sich selbst nach der Gesundheit der Königin erkundigen hörte, hätte er sich mit etwas Anderem beschäftigen können, als mit dem Briefe, den er mit dem Arme an sein Herz drückte.

CIV
Der Schmerzensweg

Als sie wieder in den Wagen stiegen, bemerkten der König und die Königin zu ihrem Erstaunen, daß sie um sich, um sie abfahren zu sehen, nur noch die Einwohnerschaft der Stadt und, um sie zu begleiten, nur Reiterei hatten.

Das war abermals eine Aufmerksamkeit von Barnave: er wußte, was am Tage vorher die Königin, gezwungen, im Schritt zu fahren, von der Hitze, vom Staube, von den Insekten, von der Menge und von den Drohungen gelitten, welche man gegen ihre Gardes und die getreuen Diener ausgestoßen, welche zu einer letzten Begrüßung herbeikamen; er hatte sich den Anschein gegeben, als habe er Kunde von einer Invasion erhalten: Herr von Bouillé kehrte nach Frankreich mit fünfzigtausend Mann Oesterreichern zurück; gegen ihn sollte sich jeder Mann wenden, der eine Flinte, eine Sense, eine Pieke, irgend eine Waffe besaß, und die ganze Bevölkerung hatte diesen Aufrus gehört und war schleunigst umgekehrt.

Damals herrschte in Frankreich ein wahrer Haß gegen das Ausland, ein Haß, der so mächtig, daß er den überwog, welchen man gegen den König und die Königin hegte, die Königin, deren größtes Verbrechen darin bestand, daß sie eine Fremde war.

 

Marie Antoinette errieth, woher ihr diese neue Wohlthat zukam. Wir sagen Wohlthat, und das Wort ist nicht übertrieben. Sie dankte Barnave mit einem Blicke.

In dem Moment, wo sie im Wagen Platz nehmen wollte, suchte ihr Auge das von Charny. Charny war schon auf seinem Sitze; nur, statt sich in die Mitte zu setzen, wie am Tage vorher, hatte er hartnäckig Herrn von Malden diesen Platz abtreten wollen, welcher minder gefährlich, als der, den bis dahin der getreue Garde du corps eingenommen. Charny hätte gewünscht, eine Wunde erlaube ihm, den Brief der Gräfin zu öffnen, der ihm aus dem Herzen brannte.

Er sah also den Blick der Königin, als sie den seinigen suchte, nicht.

Die Königin stieß einen tiefen Seufzer aus.

Barnave hörte es.

Begierig, zu erfahren, wohin dieser Seufzer ging, blieb der junge Mann auf dem Fußtritte des Wagens stehen und sagte:

»Madame, ich bemerkte gestern, daß Sie in dieser Berline sehr gepreßt waren; eine Person weniger wird Ihnen vielleicht einige Erleichterung verschaffen  . . .  Wenn Sie es wünschen, so werde ich mit Herrn von Latour-Maubourg in den nachfolgenden Wagen steigen oder Sie zu Pferde begleiten.«

Barnave, indem er dieses Anerbieten machte, würde die Hälfte der Tage, die ihm zu leben blieben, – und es blieben ihm nicht viele, – dafür gegeben haben, daß dieses Anerbieten ausgeschlagen werde.

Dies geschah auch.

»Nein,« erwiderte die Königin lebhaft, »bleiben Sie bei uns.«

Zu gleicher Zeit streckte der Dauphin seine kleinen Hände aus, um den jungen Abgeordneten an sich zu ziehen, und rief:

»Mein Freund! mein Freund Barnave! ich will nicht, daß Du gehst.«

Barnave nahm strahlend seinen Platz vom vorhergehenden Tag wieder ein. Kaum saß er hier, als auch der Dauphin vom Schooße der Königin aus den seinigen überging.

Während sie ihn aus ihren Händen gleiten ließ, küßte die Königin den Dauphin auf beide Wangen.

Die feuchte Spur ihrer Lippe blieb auf die sammetartige Haut des Kindes gedrückt. Barnave schaute diese Spur des mütterlichen Kusses an, wie Tantalus die Früchte anschauen mußte, die über seinem Haupte hingen.

»Madame,« sagte er zur Königin, »würde Eure Majestät die Gnade haben, mir zu gestatten, den hohen Prinzen zu küssen, der, geleitet durch den unfehlbaren Instinct seines Alters mich wohlwollend seinen Freund nennt?«

Die Königin nickte lächelnd mit dem Kopfe.

Da klebten sich die Lippen von Barnave auf diese Spur der Lippen der Königin mit einer solchen Gluth, daß das Kind erschrocken einen Schrei von sich gab.

Die Königin verlor nichts von diesem ganzen Spiele, bei dem Barnave seinen Kopf einsetzte. Vielleicht hatte sie eben so wenig geschlafen als Barnave und Charny; vielleicht wurde diese Art von Belebung die ihren Augen die Gluth wieder gab, verursacht durch das innere Fieber, das sie verzehrte; aber ihre mit einer Purpurlage bedeckten Lippen, ihre von einem beinahe unmerklichen Rosa leicht gefärbten Wangen machten aus ihr jene gefährliche Sirene, welche sicher war, an einem ihrer Haare ihre Anbeter bis zum Abgrunde zu fuhren.

Durch die Fürsorge von Barnave legte der Wagen nun zwei Meilen in der Stunde zurück.

In Chateau-Thierry hielt man an, um zu Mittag zu speisen.

Das Haus, wo man Halt machte, hatte eine reizende Lage am Flusse und gehörte einer reichen Holzhändlerin, welche nicht abgewartet, daß man sie bezeichne, sondern am Tage vorher, als sie erfuhr, die königliche Familie sollte durch Chateau-Thierry kommen, einen von ihren Commis zu Pferde hatte abgehen lassen, um den Herren Abgeordneten der Nationalversammlung, sowie dem König und der Königin Gastfreundschaft in ihrem Hause anzubieten. Dies wurde angenommen.

Sobald der Wagen vor dem Hause erschien, deuteten die eifrigsten Bemühungen von Dienern den erhabenen Gefangenen einen Empfang an, der sehr verschieden von dem, welcher ihnen am Tage vorher im Wirthshause von Dormans zu Theil geworden. Der König, die Königin, Madame Elisabeth, Frau von Tourzel und die zwei Kinder wurden in abgesonderte Zimmer geführt, wo alle Vorbereitungen getroffen waren, daß Jedes auf seine Toilette die ängstlichste Sorge verwenden konnte.

Seit ihrer Abreise von Paris hatte die Königin keine solche Umsicht in allen Verkehrungen getroffen. Die zartesten Gewohnheiten der Frau waren auf das Freundlichste durch diese aristokratische Aufmerksamkeit berücksichtigt. Marie Antoinette, welche solche Mühewaltungen zu schätzen anfing, fragte, um ihr zu danken, nach ihrer guten Wirthin.

Eine Frau von vierzig Jahren, noch frisch und mit außerordentlicher Einfachheit gekleidet, erschien nach einem Augenblick. Sie war bis jetzt so bescheiden gewesen, sich fern von den Blicken derjenigen, welche sie empfing, zu halten.

»Sie sind die Gebieterin des Hauses?« fragte die Königin.

»Ah! Madame!« rief die vortreffliche Frau in Thränen zerfließend, »überall, wo Eure Majestät anzuhalten geruht, und welches auch das mit ihrer Gegenwart beehrte Haus sein mag, ist die Königin die alleinige Gebieterin.«

Marie Antoinette schaute im Zimmer umher, um zu sehen, ob sie allein seien.

Dann, nachdem sie sich versichert, daß sie Niemand sehen oder hören konnte, sprach sie, indem sie die Hand ihrer Wirthin nahm, sie zu sich zog und küßte, wie sie es bei einer Freundin gethan hätte:

»Wenn Sie sich für unsere Ruhe interessiren, und wenn Sie einiger Maßen für Ihr eigenes Wohl besorgt sind, besänftigen Sie sich und mäßigen Sie diese Zeichen des Schmerzes, denn würde man das Motiv wahrnehmen, das sie verursacht, so könnten sie unheilbringend für Sie sein, und Sie werden begreifen, wie sehr es, wenn Ihnen eine Unannehmlichkeit widerführe, unsere Leiden vermehren würde! Wir werden uns vielleicht wiedersehen; bewältigen Sie sich also und bewahren Sie mir eine Freundschaft, der heute begegnet zu sein für mich etwas so Seltenes und Kostbares ist37

Nach Tische begab man sich aus den Weg; die Hitze war erdrückend; der König, als er mehrere Male bemerkte, daß Madame Elisabeth, gelähmt vor Müdigkeit, ihren Kopf auf ihre Brust fallen ließ, verlangte, daß die Prinzessin bis Meaux, wo man über Nacht bleiben sollte, seinen Platz im Fond des Wagens einnehme; auf den ausdrücklichen Befehl des Königs gab Madame Elisabeth nach.

Pétion hatte dieser ganzen Debatte beigewohnt, ohne seinen Platz anzubieten.

Barnave verbarg, purpurroth vor Scham, seinen Kopf in seinen Händen; doch durch die Oeffnungen seiner Finger konnte er das schwermüthige Lächeln der Königin sehen. Nachdem man eine Stunde gefahren war, wurde die Müdigkeit von Madame Elisabeth so groß, daß sie völlig schlief, und das Bewußtsein dessen, was sie that, war so in ihr erloschen, daß sich ihr schöner Engelskopf, nachdem er sich einen Augenblick nach rechts und nach links geschaukelt hatte, endlich auf die Schulter von Pétion zur Ruhe legte.

Was den Abgeordneten von Chartres zur Behauptung in seinem nicht gedruckten Reiseberichte veranlaßte, Madame Elisabeth, das bekannte heilige Wesen, habe sich in ihn verliebt, und einen Augenblick mit ihrem Kopfe auf seiner Schulter ruhend, habe sie der Natur nachgegeben.

Gegen vier Uhr Nachmittags kam man nach Meaux, und man hielt vor dem bischöflichen Palaste an, in welchem Bossuet gewohnt hatte und siebenundachtzig Jahre früher der Verfasser des Discours sur l’histoire universelle gestorben war. Der Palast wurde von einem constitutionellen und beeidigten Priester bewohnt. Man bemerkte es später an der Art, wie er die königliche Familie empfing. Für den Augenblick aber war die Königin nur betroffen von dem düsteren Anblick des Gebäudes, in das sie eintreten sollte. Nirgends erhob sich ein fürstlicher oder geistlicher Palast, der durch seinen melancholischen Charakter würdiger gewesen wäre, dem erhabenen Unglück, das für eine Nacht ein Asyl von ihm forderte, Obdach zu gewähren. Das ist nicht mehr wie in Versailles, wo die Größe prachtvoll ist; hier ist die Größe einfach; eine breite, mit Backsteinen gepflasterte Abdachung fuhrt zu den Gemächern und die Gemächer gehen auf einen Garten, dessen Widerhalt die Wälle der Stadt bilden. Dieser Garten wird beherrscht von dem ganz mit Epheu bedeckten Kirchthurme und fuhrt durch einen mit Stechpalmen eingefaßten Gang nach dem Cabinet, aus dem der beredte Bischof von Meaux von Zeit zu Zeit einen von jenen unheilvollen Schreien schleuderte, welche den Sturz der Monarchien weissagen.

Die Königin ließ ihren Blick über dieses finstere Gebäude hinlaufen, und da sie es ganz nach dem Zustande ihres Geistes fand, schaute sie umher und suchte einen Arm, aus den sie den ihrigen stützen könnte, um den Palast zu besichtigen.

Barnave war allein da. Die Königin lächelte.

»Mein Herr,« sagte sie, »geben Sie mir den Arm und dienen Sie mir als Führer in diesem alten Palaste; ich würde mich nicht allein hineinwagen, denn ich hätte bange, darin die gewaltige Stimme zu hören, welche einst die Christenheit beben machte, durch den Ruf: »»Madame stirbt! Madame ist todt!«

Barnave näherte sich rasch der Königin und reichte ihr den Arm mit einem mit Ehrfurcht gemischten Eifer.

Doch die Königin warf einen letzten Blick umher; die beharrliche Abwesenheit von Charny beunruhigte sie.

Barnave, der Alles sah, bemerkte diesen Blick.

»Wünscht die Königin etwas?« fragte er.

»Ja, ich wünsche zu wissen, wo der König ist?« antwortete Marie Antoinette.

»Er hat Herrn Pétion die Ehre erwiesen, ihn zu empfangen, und er spricht mit ihm,« sagte Barnave.

Die Königin schien befriedigt.

Dann, als wäre es für sie Bedürfniß gewesen, sich ihr selbst zu entreißen und aus ihren eigenen Gedanken herauszutreten, sprach sie rasch:

»Kommen Sie, mein Herr!«

Und sie zog Barnave durch die Gemächer des bischöflichen Palastes fort.

Man hätte glauben sollen, sie fliehe, dem von ihrem Geiste gezeichneten schwebenden Schatten folgend und weder vorwärts, noch rückwärts schauend.

Im Schlafzimmer des großen Predigers hielt sie endlich beinahe athemlos an.

Der Zufall wollte, daß sie sich einem Frauenportrait gegenüber befand.

Sie schlug maschinenmäßig die Augen auf, las auf dem Rahmen die Worte: Madame Henriette, und schauerte.

Dieses Schauern fühlte Barnave, ohne es zu begreifen.

»Leidet Eure Majestät?« fragte er.

»Nein,« erwiederte die Königin; »doch dieses Portrait  . . .  Madame Henriette!  . . . «

Barnave errieth, was im Herzen der armen Frau vorging.

»Ja,« sagte er, »Madame Henriette; doch Madame Henriette von England, nicht die Witwe des unglücklichen Karl I,, sondern die Frau des leichtsinnigen Philipp von Orleans; nicht diejenige, welche vor Kälte im Louvre zu sterben glaubte, sondern die, welche vergiftet in Saint-Cloud starb und sterbend ihren Ring Bossuet schickte!«

Dann, nach einem Augenblick des Zögern, fügte er bei:

»Ich wollte lieber, es wäre das Portrait der Andern.«

»Und warum?« fragte Marie Antoinette.

»Weil es Münde gibt, die allein gewisse Rathschläge zu ertheilen wagen, und diese Münde sind besonders diejenigen, welche der Tod geschlossen hat.«

»Könnten Sie mir nicht sagen, mein Herr, was mir der Mund der Witwe von Karl I. rathen würde?« fragte die Königin.

, Wenn Eure Majestät befiehlt, so werde ich es versuchen,« erwiderte Barnave.

»Versuchen Sie es also.«

»»Ah! meine Schwester!«« würde Ihnen dieser Mund sagen, »»bemerkst Du nicht, welche Aehnlichkeit zwischen unsern beiden Geschicken obwaltet? Ich kam von Frankreich, wie Du von Oesterreich kommst; ich war für die Engländer eine Fremde, wie Du eine Fremde für die Franzosen bist. Ich hatte meinem verirrten Gemahle gute Rathschläge geben können, doch ich schwieg, oder ich gab ihm schlechte; statt ihn mit seinem Volke und sein Volk mit ihm auszusöhnen und wiederzuvereinigen, stachelte ich ihn zum Kriege an; ich gab ihm den Rath, mit den irischen Protestanten gegen London zu marschiren. Ich unterhielt nicht nur einen Briefwechsel mit dem Feinde Englands, sondern ich begab mich auch zweimal nach Frankreich, um fremde Soldaten nach England zu fuhren. Endlich  . . . ««

Barnave hielt inne.

»Fahren Sie fort,« sprach die Königin, deren Stirne sich gefaltet, deren Lippen sich zusammenpreßten.

 

»Warum sollte ich fortfahren, Madame?« versetzte der junge Redner traurig den Kopf schüttelnd. »Sie kennen so gut als ich das Ende dieser blutigen Geschichte. .,«

»Ja, ich will also fortfahren und Ihnen sagen, was das Portrait von Madame Henriette mir sagen würde, damit Sie mich belehren, wenn ich mich täusche: »»Endlich verriethen die Schottländer ihren König und überlieferten ihn seinen Feinden, Der König wurde in dem Augenblick in Haft genommen, wo er nach Frankreich zu gehen träumte. Ein Schneider verhaftete ihn; ein Schlächter führte ihn ins Gefängniß; ein Kärrner säuberte die Kammer, durch die er gerichtet werden sollte; ein Viehwirth präsidirte dem Gerichtshofe, und damit nichts der Gehässigkeit dieses Urtheils und der Revision dieses ungerechten Prozesses fehle, der vor den höchsten Richter gebracht wurde, welcher alle Prozesse revidirt, schlug ein verlarvter Henker dem Opfer den Kopf ab!«« Dies würde mir das Portrait von Madame Henriette sagen, nicht wahr? Ei! mein Gott! ich weiß Alles dies so gut als irgend Jemand; ich weiß es um so mehr, als nichts zur Aehnlichkeit fehlt. Wir haben unsern Bierwirth der Vorstädte: nur, statt sich Cromwell zu nennen, heißt er Santerre; wir haben unsern Schlächter: nur, statt sich Harrison zu nennen, heißt er, wie? . . Legendre, glaube ich; wir haben unsern Kärrner: nur, statt sich Pridge zu nennen, heißt er . . .  Oh! das weiß ich nicht! der Mensch ist so wenig, daß ich nicht einmal seinen Namen kenne  . . .  Sie wissen ihn sicherlich auch nicht; doch fragen Sie ihn, er wird es Ihnen sagen: es ist der Mann, der unsere Escorte anfuhrt  . . .  ein gemeiner Bauer, was weiß ich? Nun! das würde also Madame Henriette mir sagen.«

»Und was würden Sie ihr antworten?«

»Ich würde ihr antworten: »»Arme, liebe Prinzessin, es sind nicht Rathschläge, die Du mir da gibst, sondern es ist ein Cursus der Geschichte, den Du mir hältst. Der Cursus der Geschichte ist beendigt, nun erwarte ich die Rathschläge.««

»Oh! diese Rathschläge, Madame, wenn Sie sich nicht weigerten, dieselben zu befolgen, würden Ihnen nicht nur die Todten geben, sondern auch die Lebendigen,« erwiederte Barnave.

»Todte oder Lebendige, diejenigen, welche sprechen sollen, mögen sprechen: wer sagt, man werde die Rathschläge, wenn sie gut sind, nicht befolgen?«

»Ei! mein Gott! Madame, Todte oder Lebendige haben Ihnen nur einen Rath zu geben.«

»Welchen?«

»Machen Sie, daß das Volk Sie liebt!«

»Es ist so leicht, sich bei Ihrem Volke beliebt zu machen!«

»Ei! Madame, dieses Volk ist vielmehr das Ihrige, als das meinige, und zum Beweise dient, daß bei Ihrer Ankunft in Frankreich dieses Volk Sie anbetete.«

»Oh! mein Herr, Sie berühren da eine sehr vergängliche Sache: die Popularität!«

»Madame! Madame! wenn ich, ein Unbekannter, aus meiner dunklen Sphäre hervorgegangen, diese Popularität errungen habe, wie viel leichter war es Ihnen, sie zu erhalten, oder wie viel leichter wäre es Ihnen, sie wiederzuerobern! Doch nein,« fuhr Barnave sich belebend fort, »nein; Ihre Sache, die Sache der Monarchie, die heiligste, die schönste Sache, wem haben Sie sie anvertraut? Welche Stimmen und welche Arme haben sie vertheidigt? Man sah nie eine solche Unkenntniß der Zeiten, ein solches Vergessen des Geistes von Frankreich  . . .  Oh! Madame, ich, der ich um den Auftrag, Ihnen entgegen zu gehen, einzig und allein in dieser Absicht nachgesucht habe, ich, der ich Sie sehe, ich, der ich mit Ihnen rede, mein Gott! Wie oft bin ich nicht im Begriffe gewesen, mich Ihnen anzubieten, mich Ihnen zu ergeben, zu  . . . «

»Stille, man kommt,« unterbrach ihn die Königin;«wir werden von Allem dem wieder sprechen, Herr Barnave; ich bin bereit, Sie öfter zu sehen, Sie zu hören, Ihre Rathschläge zu befolgen.«

»Oh! Madame! Madame!« rief Barnave entzückt.

»Stille!« wiederholte die Königin.

»Eure Majestät ist bedient,« meldete auf der Thürschwelle erscheinend der Diener, dessen Tritte man gehört hatte.

Man kehrte ins Speisezimmer zurück; der König kam durch eine andere Thüre dahin; so lange die Königin mit Barnave gesprochen, hatte er eine Unterredung mit Pétion gehabt, und er schien sehr aufgeregt.

Die zwei Gardes du corps warteten stehend, denn sie nahmen wie immer das Vorrecht, Ihre Majestäten zu bedienen, in Anspruch.

Von Allen am weitesten entfernt, stand Charny in einer Fenstervertiefung.

Der König schaute umher, und einen Augenblick benützend, wo er mit seiner Familie, den zwei Gardes und dem Grafen allein war, sagte er zu den Letzteren:

»Meine Herren, nach dem Abendbrode muß ich mit Ihnen sprechen. Sie werden mir also gefälligst in mein Zimmer folgen.«

Die drei Officiere verbeugten sich.

Der Dienst begann wie gewöhnlich.

Obgleich diesmal bei einem der ersten Bischöfe des Königreichs, war doch die Tafel am Abend in Meaux so schlecht bestellt, als sie am Morgen in Chateau Thierry gut bestellt gewesen.

Der König hatte, wie immer, großen Appetit und aß viel, trotz der schlechten Mahlzeit. Die Königin nahm nur zwei Eier zu sich.

Seit dem vorhergehenden Tage verlangte der Dauphin, der ein wenig krank war, Erdbeeren; doch der arme Knabe war schon nicht mehr in der Zeit, wo man seinen geringsten Wünschen zuvorkam. Seit dem vorhergehenden Tage hatten ihm Alle, an die er sich gewendet, geantwortet: »Es gibt keine hier!« oder: »Man kann keine finden!«

Und er hatte doch unter Weges große Bauernknaben nach Herzenslust von Erdbeersträußen, die sie im Walde gepflückt, essen sehen.

Der arme Kleine hatte sie sehr beneidet, diese Knaben mit den blonden Haaren, mit den rosenfarbigen Backen, die keine Erdbeeren zu verlangen brauchten und, wenn sie ein Gelüste darnach hatten, sie selbst pflückten, da sie die Lichtungen kannten, wo die Erdbeeren wuchsen, wie die kleinen Vögel die Felder kennen, auf denen die Steckrübe und der Hanfsame zu finden sind.

Daß sie diesen Wunsch nicht zu befriedigen im Stande gewesen, hatte die Königin sehr betrübt, so sehr, daß, als das Kind Alles ausschlug, was man ihm anbot, und aufs Neue Erdbeeren verlangte, Thränen in die Augen der unmächtigen Mutter traten.

Sie suchte umher, an wen sie sich wenden könnte, und sah Charny stumm, unbeweglich in einer Fenstervertiefung stehen.

Sie winkte ihm einmal, zweimal; doch in seine Gedanken versunken, sah Charny die Zeichen nicht, die ihm die Königin machte.

Endlich rief sie mit einer vor Aufregung rauhen Stimme:

»Herr Graf von Charny!«

Charny bebte, als ob man ihn aus einem Traume gerissen hätte, und machte eine Bewegung, um zur Königin zu eilen.

Doch in diesem Augenblicke öffnete man die Thüre, und Barnave erschien mit einer Platte Erdbeeren in der Hand.

«Die Königin wird mich entschuldigen, wenn ich so eintrete,« sagte er, »und der König wird mir, wie ich hoffe, gütigst verzeihen: ich habe den Herrn Dauphin heute mehrere Male Erdbeeren verlangen hören; diese Platte fand ich auf dem Tische des Bischofs; ich nahm sie und bringe sie hier.«

Mittlerweile hatte sich Charny der Königin genähert; doch diese ließ ihm nicht einmal Zeit, bis zu ihr zu kommen, und sagte:

»Ich danke, Herr Graf, Herr Barnave hat errathen, was ich wünschte, und ich brauche nichts mehr.«

Charny verbeugte sich und kehrte, ohne ein einziges Wort zu erwiedern, an seinen Platz zurück.

»Ich danke, mein Freund Barnave,« rief der junge Dauphin.

»Herr Barnave,« sprach der König, »unser Mahl ist nicht gut, doch wenn Sie daran Theil nehmen wollen, so werden Sie der Königin und mir ein Vergnügen machen.«

»Sire,« erwiderte Barnave, »eine Einladung des Königs ist ein Befehl. Wohin beliebt Eurer Majestät, daß ich mich setze?«

Zwischen die Königin und den Dauphin,« sagte der König.

Barnave setzte sich, wahnsinnig zugleich vor Liebe und Stolz.

Charny schaute dieser ganzen Scene zu, ohne daß der geringste Schauer, von Eifersucht von seinem Herzen nach seinen Adern lief. Nur sagte er, als er diesen armen Schmetterling sah, der sich auch am königlichen Lichte verbrannte:

»Abermals Einer, der sich in’s Verderben stürzt! es ist Schade; dieser war mehr werth, als die Anderen.«

Dann murmelte er, zu seinem beharrlichen Gedanken zurückkehrend:

»Dieser Brief! was kann in diesem Briefe stehen?«

37Wir schreiben aus dem Berichte von einem der Garden du corps, welche die Flucht von Varennes vorbereiteten und den König auf dieser Flucht begleiteten, die eigenen Worte der Königin ab.