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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CLXXXI
Die Legende vom Märtyrer-König

Herr Edgeworth von Firmont war der Beichtvater von Madame Elisabeth; schon sechs Wochen früher hatte der König, die Verurtheilung vorhersehend, die ihn nun getroffen, seine Schwester um Rath über die Wahl des Priesters gefragt, der ihn in seinen letzten Augenblicken begleiten sollte, und Madame Elisabeth hatte weinend ihrem Bruder gerathen, beim Abbé von Firmont zu bleiben.

Dieser würdige Geistliche, ein Engländer seiner Herkunft nach, war den Septembermetzeleien entgangen und hatte, sich nach Choisy-le-Roi, unter dem Namen Essex, zurückgezogen! Madame Elisabeth kannte seine doppelte Adresse, und da sie ihn in Choissy hatte benachrichten lassen, so hoffte sie, im Augenblicke der Verurtheilung werde er sich in Paris befinden.

Sie täuschte sich nicht.

Der Abbé Edgeworth hatte, wie gesagt, die Sendung mit einer resignirten Freude angenommen.

Am 21. December 1792 schrieb er auch an einen seiner Freunde in England:

»Mein unglücklicher Herr hat seine Augen auf mich geworfen, um ihn zum Tode vorzubereiten, geht die Ungerechtigkeit seines Volkes so weit, daß es diesen Vatermord vollbringt. Ich muß mich selbst zum Sterben bereiten, denn ich bin überzeugt, die Volkswuth wird mich nicht eine Stunde diese entsetzliche Scene überleben lassen: doch ich bin resignirt: mein Leben ist nichts; könnte ich, dasselbe verlierend, denjenigen retten, welchen Gott für den Untergang und die Auferstehung von Mehreren hingestellt hat, so würde ich gern das Opfer bringen, und ich wäre nicht vergebens gestorben.«

Die Legende vom Märtyrer-König.


Dies war der Mann, der Ludwig XVI, nicht mehr verlassen sollte, bis zu dem Momente, wo dieser die Erde mit dem Himmel vertauschen würde.

Der König ließ ihn in sein Cabinet eintreten, und schloß sich hier mit ihm ein.

Um acht Uhr Abends trat er aus seinem Cabinet, wandte sich an die Commissäre und sprach:

»Meine Herren, haben Sie die Güte, mich zu meiner Familie zu führen.«

»Das kann nicht sein,« antwortete einer von den Commissären; »doch man wird sie herunterkommen lassen, wenn Sie es wünschen.«

»Gut,« erwiederte der König, »wofern ich sie in meinem Zimmer frei und ohne Zeugen sehen kann.«

»Nicht in Ihrem Zimmer, doch im Speisezimmer,« bemerkte derselbe Munizipal; »wir haben dies so eben mit dem Justitminister so festgesetzt.«

»Sie haben aber gehört, daß mir das Decret des Konvents meine Familie ohne Zeugen zu sehen erlaubt.«

»Das ist war: Sie werden allein sein: man wird die Thüre schließen; doch durch das Fenster werden wir die Augen auf sie gerichtet haben.«

»Gut thun sie das.«

Die Municipale gingen hinaus, und der König begab sich in das Speisezimmer; Cléry folgte ihm dahin, rückte den Tisch auf die Seite und schob die Stühle in den Hintergrund, um Raum zu geben.

»Cléry sagte der König, »bringen Sie ein wenig Wasser und ein Glas, für den Fall, daß die Königin Durst bekäme.«

Es stand auf dem Tische eine von jenen Carafen mit Eiswasser, die ein Mitglied der Commune dem König vorgeworfen hatte: Cléry brachte also nur ein Glas.

»Geben Sie gewöhnliches Wasser, Cléry,« sagte der König; »tränke die Königin Eiswasser, so könnte es ihr, da sie nicht daran gewöhnt ist, schaden . . . Warten Sie, Cléry: ersuchen Sie zugleich Herrn Firmont, nicht aus meinem Cabinet herauszukommen: ich befürchte, sein Anblick könnte einen zu heftigen Eindruck auf meine Familie machen.«

Um halb neun Uhr öffnete sich die Thüre. Die Königin kam zuerst, ihren Sohn an der Hand führend; Madame Royale und Madame Elisabeth folgten ihr.

Der König streckte seine Arme aus: die zwei Frauen und die zwei Kinder warfen sich weinend darein.

Cléry ging hinaus und schloß die Thüre.

Ein paar Minuten herrschte ein düsteres Stillschweigen, nur vom Schluchzen unterbrochen: dann wollte die Königin den König in sein Zimmer fortziehen.

»Nein,« sagte Ludwig XVI., indem er sie zurückhielt, »ich darf Sie nur hier sehen!«

Die Königin und die löbliche Familie hatten durch Colporteurs vernommen, welches Urtheil gesprochen worden, doch sie wußten nichts von den Einzelheiten des Processes; der König erzählte innen dieselben, wobei er die Menschen, die ihn verurtheilt, entschuldigte, und der Königin bemerkte, weder Pétion, noch Manuel haben für den Tod gestimmt.

Die Königin hörte zu, und brach, so oft sie sprechen wollte, in ein Schluchzen ans.

Gott bot dem armen Gefangenen eine Entschädigung: er machte, daß er in seiner letzten Stunde von Allem dem, was ihn umgab, angebetet wurde.

Wie man im romantischen Theile dieses Werkes sehen konnte, ließ sich die Königin leicht zur pittoresken Seite den Lebens hinreißen; sie hatte die lebhafte Einbildungskraft, welche, viel mehr als das Temperament, die Frauen unklug macht; die Königin war ihr ganzes Leben lang unklug, unklug in ihren Freundschaften, unklug in ihren Liebschaften; ihre Gefangenschaft rettete sie aus dem moralischen Gesichtspunkte: sie kehrte zu reinen und heiligen Zuneigungen für die Familie zurück, von der sie die Leidenschaften ihrer Jugend entfernt hatten, und da sie Alles nur leidenschaftlich zu thun wußte, so kam sie dazu, daß sie leidenschaftlich im Unglück diesen König, diesen Gatten liebte, von dem sie, in den lagen des Glückes, nur die schwerfälligen, gemeinen Seiten gesehen hatte; Varennes und der 10. August hatten ihr den König als einen Menschen ohne Initiative, ohne Entschlossenheit, träge, fast feig gezeigt? im Tempel fing sie an wahrzunehmen daß nicht nur die Frau ihren Gatten, sondern auch die Königin den König schlecht beurtheilt hatte; im Tempel sah sie ihn ruhig, geduldig bei den Beleidigungen, sanft und fest wie ein Christus; Alles, was sie von weltlichen Trockenheiten hatte, erweichte sich, zerschmolz und wandte sich den guten Gefühlen zu. Ebenso wie sie ihn zu sehr verachtet, liebte sie ihn zu sehr. »Ach!« sagte der König zu Herr von Firmont, »muß ich so sehr lieben und so sehr geliebt sein!«

Bei dieser letzten Zusammenkunft ließ sich die Königin auch zu einem Gefühle hinreißen, das dem Gewissensbisse glich. Sie hatte den König in sein Zimmer führen wollen, um einen Augenblick allein mit ihm zu ein; als sie sah, daß dies unmöglich war, zog sie ihn in eine Fenstervertiefung.

Hier war sie ohne Zweifel im Begriffe, ihm zu Füßen zu fallen und ihn unter Thränen und schluchzen um Verzeihung zu bitten: der König errieth Alles, hielt sie zurück, zog sein Testament aus seiner Tasche und sagte:

»Lesen Sie dieses, meine vielgeliebte Frau!«

Und er deutete mit dem Finger auf folgenden Paragraph, den die Königin halblaut las: »Ich bitte meine Frau, mir alles Ungemach zu vergeben, das sie um meinetwillen erleidet, und ebenso den Verdruß, den ich ihr im Laufe unserer Verbindung bereitet haben dürfte, wie sie sicher sein kann, daß ich ihr nichts nachtrage, sollte sie glauben, sie habe sich etwas vorzuwerfen

Marie Antoinette nahm die Hände des Königs und küßte sie; es lag eine sehr barmherzige Vergebung in dem Satze: Wie sie sicher sein kann, daß ich Ihr nichts nachtrage; ein sehr großes Zartgefühl in den Worten: Sollte sie glauben, sie habe sich etwas vorzuwerfen.

Sie würde also ruhig sterben, die arme königliche Magdalena; ihre Liebe für den König, so verspätet sie war, trug ihr die göttliche Verzeihung, wurde ihr nicht leise, insgeheim, wie eine Nachricht, der sich der König selbst geschämt hätte, sondern laut und öffentlich ertheilt.

Wer würde es wagen, etwas derjenigen vorzuwerfen, welche vor der Nachwelt doppelt gekrönt mit der Glorie des Märtyrthums und der Verzeihung ihres Gatten erscheinen sollte?

Sie fühlte das; sie begriff, daß sie von diesem Augenblicke an stark war vor der Geschichte; sie wurde aber darum nur um so schwächer demjenigen gegenüber, den sie so spät liebte, wohl fühlend, daß sie ihn nicht genug geliebt hatte. Es waren nicht mehr Worte, die aus der Brust der unglücklichen Frau hervorkamen: es war ein Schluchzen, es waren unterbrochene Schreie; sie sagte, sie wolle mit ihrem Gatten sterben, und verweigere man ihr diese Gunst, so werde sie sich zu Tode hungern.

Die Municipale, die diese Schmerzensscene durch die Glasthüre anschauten, konnten es nicht mehr aushalten: sie wandten zuerst die Augen ab, sodann, da sie nicht mehr sehend doch noch das Seufzen und Stöhnen hörten, ließen sie sich geradezu wieder Menschen werden und zerflossen in Thränen.

Dieser schauervolle Abschied dauerte sieben Viertelstunden.

Endlich, ein Viertel nach zehn Uhr, erhob sich der König zuerst; da hingen sich Frau, Schwester, Kinder an ihn, wie die Früchte an einem Baume hängen; der König und die Königin hielt jedes den Dauphin bei einer Hand; Madame Royale, zur Linken ihres Vaters, umfaßte ihn mitten um den Leib; Madame Elisabeth, auf derselben Seite wie ihre Nichte, nur ein wenig mehr zurück, hatte den Arm des Königs ergriffen; die Königin, – und sie hatte an, meisten Anspruch auf Trost, weil sie die am mindesten Reine war, – die Königin hatte den Arm, um den Hals ihres Gatten geschlungen; und diese ganze schmerzvolle Gruppe ging mit einer und derselben Bewegung, seufzend, schluchzend, Schreie ausstoßend, unter denen man nur die Worte vernahm:

»Nicht wahr, wir werden uns wiedersehen?«

»Ja . . . ja . . . seid ruhig!«

»Morgen Früh . . . um acht Uhr?«

»Ich verspreche es Euch.«

»Warum aber nicht um sieben Uhr?« fragte die Königin.

»Nun wohl, ja, um sieben Uhr,« sagte der König, »doch . . . Adieu! Adieu!«

Und er sprach dieses Adieu mit einem so ausdrucksvollen Tone, daß man fühlte, er befürchte, sein Muth werde ihn verlassen.

Madam Royale konnte sich nicht länger halten: sie stieß einen Seufzer aus und sank zu Boden: sie war ohnmächtig.

 

Madame Elisabeth uns Cléry hoben sie auf.

Der König fühlte, daß es an ihm war, stark zu sein, er entriß sich den Armen der Königin und des Dauphin und kehrte: »Adieu! Adieu!« rufend in sein Zimmer zurück.

Dann schließ sich die Thüre hinter ihm.

Ganz außer sich, klammerte sich die Königin an diese Thüre an; sie wagte es nicht, den König zu bitten, er möge öffnen, doch sie weinte, sie schluchzte und klopfte mit ihrer ausgestreckten Hand an die Füllung.

Der König halte den Muth, nicht herauszugehen.

Die Municipale forderten nun die Königin auf, sich zurückzuziehen, wobei sie ihr die Versicherung, die sie schon erhalten, erneuerten, sie könne ihren Gatten am andern Tage, Morgens um sieben Uhr, sehen.

Cléry wollte Madame Royale, welche immer noch ohnmächtig, bis zur Königin zurücktragen; doch auf der zweiten Stufe hielten ihn die Municipale an und nöthigten ihn, umzukehren.

Der König halte sich wieder zu seinem Beichtiger in das Cabinet des Thürmchens begeben und ließ sich von ihm erzählen, auf welche Art er in den Tempel geführt worden war. Drang diese Erzählung in seinen Geist ein, oder summten die Worte nur verworren in sein Ohr, – ausgelöscht durch seine eigenen Gedanken? . . . Das vermag Niemand zu sagen.

In jedem Falle erzählte der Abbé Folgendes:

Unterrichtet von Herrn von Malesherbes, der ihm Rendez-vous bei Frau von Senozan gegeben hatte, der König werde seine Zuflucht zu ihn, nehmen, wenn er zur Todesstrafe verurtheilt werde, kehrte der Abbé Edgeworth, der Gefahr trotzend, der er preisgegeben war, nach Paris zurück und wartete, da er das am Sonntagmorgen ausgesprochene Urtheil kannte, in der Rue du Bac.

Um vier Uhr Abends erschien ein Unbekannter bei ihm und übergab ihm ein in folgenden Worten abgefaßtes Billet:

»Der Vollziehungsrath, da er eine Sache von der größten Wichtigkeit dem Bürger Edgeworth von Firmont mitzutheilen hat, ladet diesen ein, an den Ort der Sitzungen zu kommen.«

Der Unbekannte hatte Befehl, den Priester zu begleiten; ein Wagen wartete vor der Thüre.

Der Abbé ging mit dem Unbekannten hinab und man fuhr weg.

Der Wagen hielt an den Tuilerien.

Der Abbé fand die Minister im Rathe versammelt; bei seinem Eintritte standen sie auf.

»Sind Sie der Abbé Edgeworth von Firmont?« fragte Garat.

»Ja,« antwortete der Abbé.

»Nun wohl,« fuhr der Justizminister fort, »Ludwig Capet hat gegen uns sein Verlangen geäußert, Sie in seinen letzten Augenblicken bei sich zu sehen, und wir haben Sie gerufen, um zu erfahren, ob Sie ihm dies, Dienst zu thun einwilligen.«

»Da der König mich bezeichnet hat, so ist es meine Pflicht, ihn, zu gehorchen,« antwortete der Priester.

»Dann werden Sie mit mir in den Tempel kommen,« sagte der Minister; »ich begebe mich auf der Stelle dahin.

Und er nahm den Abbé mit in seinen Wagen.

Wir haben gesehen, wie dieser, nachdem er die gebräuchlichen Formalitäten erfüllt hatte, bis zum König gelangte; wie hernach Ludwig XVI. von seiner Familie gerufen wurde, und wie er zum Abbé Edgeworth zurückkehrte, den er ersuchte, ihm die Einzelheiten mitzutheilen, welche man so eben gelesen hat.

Nachdem die Erzählung vollendet war, sagte der König:

»Mein Herr, vergessen wir nun Alles, um an die große, an die einzige Angelegenheit meines Seelenheils zu denken.«

»Sire,« erwiderte der Abbé, »ich bin bereit, nach meinen besten Kräften zu thun, und ich hoffe, Gott wird mein geringes Verdienst ergänzen; finden Sie aber nicht, es wäre vor Allem ein großer Trost für Sie, die Messe zu hören und zu communiciren?«

»Ja, gewiß,« sprach der König; »und glauben Sie mir, ich werde den ganzen Werth einer solchen Gefälligkeit fühlen; doch warum sollen Sie sich in diesem Grade der Gefahr aussetzen?«

»Das ist meine Sache, Sire, und es ist mir daran gelegen, Eurer Majestät zu beweisen, ich sei würdig der Ehre, die sie mir dadurch angethan, daß sie mich zu ihrer Stütze gewählt hat. Der König gebe mir unumschränkte Vollmacht, und ich stehe für Alles.«

»Gehen Sie also, mein Herr,« sagte Ludwig XVI.

Sodann den Kopf schüttelnd, wiederholte er:

»Gehen Sie . . . doch es wird Ihnen nicht gelingen.«

Der Abbé Edgeworth verbeugte sich, ging ab, und erlangte in den Saal des Rathes geführt zu werden.

Hier sprach er zu den Commissären:

»Derjenige, welcher morgen sterben soll, wünscht, bevor er stirbt, die Messe zu hören und zu communiciren.«

Die Municipale schauten sich ganz erstaunt an; es war ihnen nicht einmal der Gedanke gekommen, man könnte dergleichen verlangen.

Und wo Teufels einen Priester und Kirchenornate zu dieser Stunde finden?« sagten sie.

»Der Priester ist gefunden, da ich da bin,« antwortete der Abbé Edgeworth; »was die Ornate betrifft, so wird sie die nächste Kirche liefern; man braucht sie nur holen zu lassen.«

Die Municipale zögerten.

»Aber,« sagte Einer von ihnen, »wenn das eine Falle wäre?«

»Was für eine Falle?« fragte der Priester.

»Wenn Sie unter dem Vorwande, ihn communiciren zu lassen, den König vergiften würden?«

Der Abbé Edgeworth schaute starr denjenigen an, welcher diesen Zweifel ausgesprochen.

»Hören Sie,« fuhr der Municipal fort, »die Geschichte liefert uns Beispiele genug in dieser Hinsicht, um uns zur Vorsicht zu verpflichten.«

»Mein Herr,« erwiederte der Abbé, »ich bin bei meinem Eintritte hier so ängstlich durchsucht worden, daß man überzeugt sein muß, ich habe kein Gift mitgebracht; besitze ich also morgen, so werde ich es von Ihnen empfangen haben, da nichts bis zu mir gelangen kann, ohne durch Ihre Hände gegangen zu sein.«

Man berief die abwesenden Mitglieder zusammen und berathschlagte.

Die Bitte wurde unter zwei Bedingungen gewährt: einmal, daß der Abbé ein Gesuch abfasse und mit seinem Namen unterzeichne; und dann, daß die Ceremonie am andern Morgen spätestens um sieben Uhr beendigt sei, da der Gefangene auf den Schlag acht Uhr nach dem Orte seiner Hinrichtung geführt werden müsse.

Der Abbé schreib das Gesuch und ließ es in der Kanzlei. Dann wurde er zu dem gefangenen zurückgeführt, dem er die Gewährung seiner Bitte anzeigte.

Es war zehn Uhr, der Abbé Edgeworth blieb bis Mitternacht mit Ludwig XVI. allein.

Um Mitternacht sagte der König zu ihm:

»Herr Abbé, ich bin müde, ich möchte schlafen; ich brauche Kraft für morgen.«

Dann rief er zweimal »Cléry! . . . Cléry!«

Cléry erschien, entkleidete den König und wollte ihm die Haare aufwickeln; aber Ludwig XVI. sagte lächelnd:

»Lassen Sie nur, es ist nicht der Mühe wert.«

Dann legte er sich zu Bette. und als Cléry die Vorhänge zuzog, sagte der König zu ihm:

»Wecken Sie mich um fünf Uhr.«

Kaum ruhte sein Haupt auf dem Kissen, so schlief er ein, so unwiderstehlich waren bei ihm die materiellen Bedürfnisse.

Der Abbé Edgeworth legte sich in das Bett des Kammerdieners.

Cléry, der nur wenig schlief und oft durch schauerliche Träume aufgeschreckt wurde, versäumte die bestimmte Stunde nicht. Schlag fünf Uhr stand er auf und machte Licht.

Das Geräusch weckte den König.

»Hat es schon Fünf geschlagen?« fragte er.

»Sire,« antwortete Cléry, »es hat auf mehreren Thurmuhren geschlagen, aber nach nicht auf der Tischuhr.«

Cléry trat nun an’s Bett.

»Ich habe gut geschlafen,« sagte der König; »es war ein Bedürfniß für mich, denn der gestrige Tag hat mich schrecklich ermüdet . . . Wo ist der Herr Abbé?«

»Auf meinem Bett, Sire.«

»Aus Ihrem Bett! wo haben Sie denn die Nacht zugebracht?«

»Auf diesem Sessel.«

»Es thut mir leid, Sie müssen eine schlechte Nacht gehabt haben.«

»O, Sire,« erwiderte Cléry, »wie hätte ich in einem solchen Augenblicke an mich denken können?«

»Armer Cléry!« sagte der König und reichte ihm die Hand, die der treue Diener weinend küßte.

Cléry begann nun den König zum letzten Male anzukleiden. Er hattet einen braunen Frack Beinkleider von grauem Tuch, graue seidene Strümpfe und eine Piquéweste zurecht gelegt.

Als der König angekleidet war, frisirte ihn der Kammerdiener.

Unterdessen machte Ludwig XVI. eine Petschaft von seiner Uhr los, steckte es in seine Westentasche legte seine Uhr auf den Kamin, zog einen Ring vom Finger und steckte ihn in dieselbe Tasche, wo das Petschaft war.

Während ihn Cléry den Frack anzog, nahm her König, der Tags zuvor denselben Frack getragen hatte, Brieftasche, Lorguette und Tabaksdose heraus und legte Alles nebst seiner Börse auf den Kamin. Alle diese Vorbereitungen geschahen in

Gegenwart der Commissäre die in das Zimmer des Königs gekommen waren, sobald sie Licht gesehen hatten.

Es schlug halb Sechs.

»Cléry,«, sagte der König, »wecken Sie den Herrn Abbé Edgeworth.«

Der Abbé war schon aufgestanden, er hatte den Kammerdiener erwartet und trat

Der König nickte ihm zu und ersuchte ihn, in sein Cabinet zu kommen.

Da beeilte sich Cléry den Altar zuzurichten; – Das war die Commode des Zimmers mit dem Tischtuche bedeckt. Was die priesterlichen Ornate betrifft, – man hatte sie, wie der Abbé Edgeworth gesagt in der nächsten Kirche gefunden, an die man sich gewendet; diese Kirche war die der Capuziner des Marais, beim Hotel Soubise.

Nachdem der Altar zugerichtet war, benachrichtigte Cléry den König.

»Können Sie der Messe dienen?« fragte ihn Ludwig.

»Ich hoffe es,« erwiederte Cléry; »nur weiß ich die Antworten nicht auswendig.«

Da gab ihm der König ein Meßbuch, das er beim Introit öffnete.

Herr von Firmont war schon im Zimmer von Cléry, wo er sich ankleidete.

Dem Altar gegenüber hatte Cléry einen Armstuhl aufgestellt, und vor diesem Stuhl hatte er ein großes Kissen gelegt; doch der König ließ es ihn wegnehmen und holte selbst ein kleineres mit Roßhaaren ausgestopft, dessen er sich gewöhnlich bediente, um seine Gebete zu sprechen.

Sobald der Priester wieder eintrat, zogen sich die Municipale, da sie ohne Zweifel durch die Berührung eines Geistlichen befleckt zu werden befürchteten, in das Vorzimmer zurück.

Es war sechs Uhr; die Messe begann. Der König hörte sie von Anfang bis zu Ende auf den Knieen, mit der tiefen Sammlung des Gemüthes. Nach der Messe communicierte er, und ihn seinen Gebeten überlassend, ging hierauf der Abbé Edgeworth in das anstoßende Zimmer, um sich seiner priesterlichen Gewänder zu entkleiden.

Der König benützte diesen Augenblick, um Cléry zu danken und von ihm Abschied zu nehmen; dann, zog er sich wieder in sein Cabinet zurück, wohin ihm Herr von Firmont folgte.

Cléry setzte sich auf sein Bett und fing an zu weinen.

Um sieben Uhr, rief ihn der König.

Cléry lief hinzu.

Ludwig XVI. führte ihn in die Vertiefung eines Fensters und sagte zu ihm:

»Sie werden dieses Cachet meinem Sohne und diesen Ring meiner Frau übergeben . . . Sagen Sie ihnen, ich verlasse sie mit bitterem Kummer. Dieses Päckchen enthält Haare von unserer ganzen Familie: Sie werden es auch der Königin zustellen.«

»Aber, Sire, wollen Sie sie denn nicht mehr sehen?« fragte Cléry.

Der König zögerte einen Augenblick, als verließe ihn sein Herz, um zu ihr zu gehen; dann sagte er:

»Nein, entschieden nein . . . Ich weiß, ich versprach, sie diesen Morgen zu sehen; doch ich will ihnen den Schmerz einer so grausamen Lage ersparen. Cléry, wenn Sie sie wiedersehen, sagen Sie ihnen, wie schwer es mich angekommen, abzugehen, ohne ihre letzten Umarmungen zu empfangen.«

Bei diesen Worten wischte er seine Thränen ab.

Hierauf fügte er mit dem peinlichsten Ausdrucke bei:

»Cléry, nicht wahr, Sie werden ihnen mein letztes Lebewohl sagen?«

Und er kehrte in sein Cabinet zurück.

Die Municipale halten den König die von uns erwähnten verschiedenen Gegenstände Cléry übergeben sehen: Einer von ihnen reclamirte sie; doch ein Anderer schlug vor, sie Cléry zur Aufbewahrung bis zur Entscheidung des Rathes zu überlassen.

Dieser Vorschlag behielt die Oberhand.

Eine Viertelstunde nachher kam der König wieder aus seinem Cabinet heraus.

Cléry stand zu seinen Befehlen da.

»Cléry, ’ sagte der König, »fragen Sie, ob ich eine Scheere haben kann.«

Und er ging wieder hinein.

»Kann der König eine Scheere haben?’ fragte Cléry die Commissäre.

»Was will er damit machen?«

»Ich weiß es nicht; fragen Sie ihn selbst.«

Einer von den Municipalen trat in das Cabinet ein; er fand den König auf den Knieen vor Herrn von Firmont.

»Sie haben eine Scheere verlangt,« sagte er, »was wollen Sie damit machen?«

»Cléry soll mir die Haare abschneiden.«

 

Der Municipal ging in das Zimmer des Rathes hinab.

Man deliberirte eine halbe Stunde, und nach einer halben Stunde verweigerte man die Scheere.

Der Municipal kam wieder herauf und sagte:

»Der Rath hat es abgeschlagen.«

»Ich hätte die Scheere nicht berührt,« sprach der König, »und Cléry würde mir die Haare in Ihrer Gegenwart abgeschnitten haben . . . Ich bitte, mein Herr, fragen Sie noch einmal.«

Der Municipal ging wieder in den Rath hinab und setzte aufs Neue die Bitte des Königs auseinander; doch der Rath beharrte bei seiner Weigerung.

Ein Municipal näherte sich sodann Cléry und sagte zu ihm:

»Ich glaube, es ist Zeit, daß Du Dich bereit hältst, den König auf das Schaffot zu begleiten.«

»Mein Gott! wozu?« fragte Cléry ganz zitternd.

»Ei! nein,« bemerkte ein Anderer, »der Henker ist gut genug, hierzu.«

»Es fing an Tag zu werden; der Generalmarsch ertönte in allen Sectionen von Paris geschlagen; diese Bewegung und dieses Geräusch wiederhallten bis im Thurme und vereisten das Blut in den Adern des Abbé von Firmont und von Cléry.

Doch ruhiger als sie, horchte der König einen Augenblick und sagte dann, ohne in Bewegung zu gerathen: »Das ist wahrscheinlich die Nationalgarde, die man zu versammeln anfängt.«

Einige Zeit nachher ritten die Cavalerie-Detachements in den Hof des Tempels ein; man hörte das Stampfen der Pferde und die Stimmen der Officiere.

Der König horchte aufs Neue, und sagte mit derselben Ruhe:

»Es scheint, sie nahen.«

Von sieben bis acht Uhr klopfte man zu wiederholten Malen und unter verschiedenen Vorwänden an die Thüre vom Cabinet des Königs, und immer zitterte Herr Edgeworth, es sei das letzte Mal; doch jedes Mal stand Ludwig XlV. ohne irgend eine Gemüthsbewegung auf, ging an die Thüre, antwortete ruhig den Personen, die ihn unterbrochen hatten, wandte sich dann wieder um und setzte sich zu seinem Beichtiger.

Herr Edgeworth sah die Leute nicht, welche so kamen, doch er faßte einige von ihren Worten auf. Einmal hörte er einen von den Unterbrechern zum Gefangenen sagen:

»Ho! ho! Alles dies war gut, als Sie noch König; Sie sind es aber nicht mehr.«

Der König kam mit demselben Gesichte zurück; nur sprach er:

»Sehen Sie, wie diese Leute mich behandeln, mein Vater . . . Doch man muß Alles zu ertragen wissen!«

Man klopfte aufs Neue, und abermals ging der König an die Thüre; als er diesmal zurückkam, sagte er:

»Diese Leute sehen überall Gift und Dolche: sie kennen mich schlecht! Mich tödten wäre eine Schwäche: man würde glauben, ich wisse nicht zu sterben!«

Um neun Uhr endlich vermehrte sich der Lärm und die Thüren wurden geräuschvoll geöffnet; Santerre trat in Begleitung von sieben bis acht Municipalen und von zehn Gendarmen ein, die er in zwei Gliedern aufstellte.

Ohne zu warten, bis man an die Thüre des Cabinets klopfte, trat der König bei dieser Bewegung hinaus.

»Sie wollen mich holen?« fragte er.

»Ja, mein Herr.«

»Ich bitte um eine Minute.«

Und er ging wieder hinein und schloß die Thüre.

»Diesmal ist Alles vorbei, mein Vater,« sagte er, indem er sich vor dem Abbé von Firmont auf die Kniee warf. »Geben Sie mir Ihren letzten Segen und bitten Sie Gott, daß er mich bis zum Ende unterstütze!«

Nachdem der Segen gegeben war, stand der König wieder auf; er öffnete die Thüre des Cabinets und ging auf die Municipale und die Gendarmen zu, welche mitten im Schlafzimmer warteten.

Alle hatten ihren Hut auf dem Kopfe.

»Meinen Hut, Cléry,« sagte der König.

Ganz in Thränen zerfließend, beeilte sich Cléry, zu gehorchen.

»Ist unter Ihnen ein Mitglied der Commune?« fragte der König . . . »Sie, glaube ich?«

Und er wandte sich in der That an einen Municipal Namens Jacques Rouix, einen beeidigten Priester.

»Was wollen Sie von mir?« sagte dieser.

Der König zog sein Testament aus seiner Tasche.

»Ich bitte Sie, dieses Papier der Königin . . . meiner Frau, zu übergeben.«

»Wir sind nicht hierher gekommen, um Deine Aufträge zu empfangen,« erwiederte Jacques Roux, »sondern um Dich zum Schaffot zu führen.«

Der König nahm diese Beleidigung mit derselben Demuth auf, wie es Christus gethan hatte, und mit demselben sanften Wesen, wie der Gottmensch, wandte er sich an einen andern Municipal Namens Gobeau und fragte:

»Und Sie, mein Herr, werden Sie mir es auch abschlagen?«

Und als Gobeau zu zögern schien, fügte der König bei:

»Oh! es ist mein Testament, Sie können es lesen; es sind sogar Verfügungen darin, von denen ich wünsche, daß die Commune sie kenne.«

Der Municipal nahm das Papier.

Als er sodann sah, daß Cléry, – befürchtend, wie der Kammerdiener von Karl I., sein Herr werde vor Kälte zittern, und man könnte glauben, es geschehe ans Angst, – als er sah, sagen wir, daß Cléry ihm nicht nur den Hut, den er verlangt, sondern auch seinen Ueberrock reichte, sagte er:

»Nein, Cléry, geben Sie mir nur meinen Hut.«

Cléry gab ihm den Hut, und Ludwig XVI. benutzte diese Gelegenheit, um seinem treuen Diener zum letzten Male die Hand zu drücken.

Hierauf sprach er mit jenem Tone des Befehlens, den er so selten in seinem Leben angenommen:

»Gehen wir, meine Herrn!«

Das waren die letzten Worte, die er in seiner Wohnung sprach.

Auf der Treppe traf er den Concierge des Thurmes, Mathay, den er zwei Tage vorher vor seinem Feuer sitzend gefunden und mit ziemlich barschem Tone gebeten hatte, ihm seinen Platz abzutreten.

»Mathay,« sagte er zu ihm, »ich bin vorgestern ein wenig lebhaft gegen Sie gewesen: seien Sie mir darum nicht böse!«

Mathay wandte ihm den Rücken zu, ohne zu antworten.

Der König durchschritt den ersten Hof zu Fuße, und während er ihn durchschritt, drehte er sich mehrere Male, um seiner einzigen Liebe, seiner Frau, seiner einzigen Freundschaft, seiner Schwester, seiner einzigen Freude, seinen Kindern, Lebewohl zu sagen.

Am Eingange des Hofes stand eine grün angestrichene Miethkutsche; zwei Gendarmen hielten den Schlag offen; als der Verurtheilte sich näherte, stieg Einer von ihnen zuerst ein und setzte sich auf die Vorderbank; sodann stieg der König ein, und er winkte Herrn Edgeworth, daß er neben ihn in den Fond sitze; der andere Gendarme nahm zuletzt Platz und schloß den Schlag.

Zwei Gerüchte waren im Umlaufe: das erste sagte, Einer von den zwei Gendarmen sei ein verkleideter Priester; das zweite sagte, Beide haben Befehl, den König zu ermorden bei dem geringsten Versuche, den man machen würde, um ihn zu entführen. Weder die eine, noch die andere von diesen Behauptungen beruhte auf einer soliden Base.

Um ein Viertel nach neun Uhr setzte sich der Zug in Marsch . . .

Noch ein Wort über die Königin, über Madame Elisabeth und die zwei Kinder, welche der König abgehend mit einem letzten Blicke gegrüßt hatte.

Am Abend vorher, nach der zugleich süßen und entsetzlichen Zusammenkunft, hatte die Königin kaum die Kraft gehabt, den Dauphin auszukleiden und zu Bette zu legen; sie selbst hatte sich ganz angekleidet auf ihr Bett geworfen; und während dieser langen Winternacht hatten sie Madame Elisabeth und Madame Royale vor Kälte und Schmerz schnattern hören.

Nach sechs Uhr öffnete sich die Thüre vom ersten Stocke, und man kam, um ein Meßbuch zu holen.

Von diesem Augenblicke an hielt sich die ganze Familie bereit, da sie nach dem ihr vom König am Tage vorher gegebenen Versprechen glaubte, sie werde hinabgehen; doch die Zeit verfloß: immer stehend, hörten die Königin und die Prinzessin die verschiedenen Getöse, welche den König ruhig gelassen, aber den Kammerdiener und den Beichtiger beben gemacht hatten; sie hörten das Geräusch der Thüren, die man öffnete und wieder schloß; sie hörten das Geschrei, mit dem der Pöbel den Abgang des Königs empfing; sie hörten endlich den abnehmenden Lärmen der Pferde und der Kanonen.

Da fiel die Königin auf einen Stuhl und murmelte:

»Er ist weggegangen, ohne von uns Abschied zu nehmen.«

Madame Elisabeth und Madame Royale knieten vor ihr nieder.

So waren alle Hoffnungen eine um die andere zu Wasser geworden: zuerst hatte man auf die Verbannung oder das Gefängniß gehofft, und diese Hoffnung war verschwunden; sodann auf einen Aufschub, und diese Hoffnung war verschwunden; endlich hoffte man nur noch ans einen unter Weges versuchten Handstreich, und diese Hoffnung sollte ebenfalls verschwinden!

»Mein Gott! mein Gott! mein Gott!« rief die Königin.

Und in diesem letzten Rufe der Verzweiflung an Gott erschöpfte die arme Frau Alles, was ihr an Stärke blieb . . .

Der Wagen rollte während dieser Zeit fort und erreichte das Boulevard; die Straßen waren fast menschenleer, die Läden halb geschlossen; Niemand vor den Thüren, Niemand an den Fenstern.