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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CLXXVIII
Der Prozeß

Die Papiere des eisernen Schrankes, von Gamain überliefert, – dem der Convent zwölfhundert Livres Leibrente für dieses schöne Werk bewilligte, und der verkrümmt durch Gliederfluß starb, – die Papiere des eisernen Schrankes, gereinigt durch das Auslesen von denjenigen, welche wir Ludwig XVI, Madame Campan hat, übergeben sehen, diese Papiere, sagen wir, enthielten, zur großen Enttäuschung von Herrn und Madame Roland, nichts gegen Dumouriez und ebensowenig etwas gegen Danton: sie compromittirten besonders den König und die Priester; sie denuncirten den dürftigen, kleinen, engen, undankbaren Geist von Ludwig XVI. der nur diejenigen haßte, welche ihn hatten retten wollen: Necker, Lafayette, Mirabeau! – Es war auch nichts darin gegen die Gironde zu finden.

Die Verhandlung über den Proceß begann am 13. November.

Wer eröffnete sie? wer machte sich zum Schwertträger der Montagne? wer schwebte über der finstern Versammlung wie der Würgengel?

Ein junger Mann, der am 20. Juli 1792 also vier Monate zuvor, an einen Freund folgenden Brief schrieb:

»Lieber Daubigny!

»Seit dem ich hier (in Paris) bin, hat mich ein republikanisches Fieber befallen, das mich verzehrt und aufreibt. Ich schicke mit der heutigen Post meinen zweiten Brief an Ihren Bruder. Sie werden mich darin zuweilen groß finden. Es ist schade, daß ich nicht in Paris bleiben kann, ich fühle mich zu einer hervorragenden Rolle berufen. Genossen des Ruhmes und der Freiheit, möge die Gefahr Euch begeistern! Gehen Sie zu Camille Desmoulins, küssen Sie ihn in meinem Namen und sagen Sie ihm, daß er mich nicht wiedersehen wird. Sagen Sie ihm, daß ich seiner Vaterlandsliebe alle Gerechtigkeit widerfahren lasse, aber daß ich ihn verachte, weil ich in sein Nest gedrungen bin und weil er fürchtet, daß ich ihn verrathe. Sagen Sie ihm, er möge die gute Sache nicht verlassen, und legen Sie es ihm recht dringend ans Herz, denn er hat noch nicht den Muth einer hochherzigen Tugend. Adieu. – Ich bin über mein Unglück erhaben, ich werde Alles ertragen, aber ich werde die Wahrheit sagen. Ihr alle seid Memmen und wißt Euch nicht zu beurtheilen; aber meine Palme wird sich hoch erheben und vielleicht Euch Alle verdunkeln. Ihr erbärmlichen Wichte haltet mich für einen Taugenichts, weil ich Euch kein Geld zu bieten habe. Reißt mir das Herz aus, esset es, dann werdet Ihr groß werden . . . O Gott, soll denn Brutus fern von Rom schmachten? . . . Mein Entschluß ist aber gefaßt: Brutus wird sich das Schwert in die Brust stoßen, wenn er die Andern nicht damit niederstoßen kann. Adieu.«

Wer war denn dieser Brutus? Er war gebürtig aus einer der rauhsten Gegenden Frankreichs, aus der Nièvre; es lag in ihm der herbe, bittere Saft, der, wenn nicht die großen Menschen, doch wenigstens die gefährlichen Menschen macht. Er war der Sohn eines alten Soldaten, den dreißigjährige Dienste bis zum St. Ludwigs-Orden erhoben, folglich geadelt und mit dem Chevaliertitel begabt hatten; er war traurig, ernst geboren; seine Familie hatte ein Gütchen im Departement der Aisne, In Blérancourt bei Noyon, und sie bewohnte dieses bescheidene Besitzthum, das noch lange nicht die goldene Mittelmäßigkeit des lateinischen Dichters erreichte. Nach Rheims geschickt, um die Rechte zu studiren, machte er hier schlechte Studien und schlechte Verse, ein ausschweifendes Gedicht in der Manier des Orlando Furioso und der Pucelle; 1789 ohne Erfolg gedruckt, wurde dieses Gedicht ohne größeren Succeß 1792 wiedergedruckt.

Es drängte ihn, aus seiner Provinz wegzukommen, und er suchte Camille Desmoulins, den glänzenden Journalisten, auf, der in seinen geschlossenen Händen die zukünftige Republik der unbekannten Dichter hielt; dieser, ein erhabener Straßenjunge, voll Geist und Anmuth, sah eines Tages bei sich eintreten einen hoffärtigen Schüler, voll Anmaßung und Pathos, mit langsamen, abgemessenen Worten, die eines um das andere wie die Tropfen eisigen Wassers, welche die Felsen durchdringen, niederfielen, und zwar von einem Frauenmunde; was das Uebrige des Gesichtes betrifft, das waren blaue, starre, harte durch schwarze braunen stark abgesperrte Augen, ein weißer, aber kränklicher als reiner Teint: sein Aufenthalt in Rheims konnte wohl dem Rechtsstudenten die Skrophelkranheit gegeben haben, welche die Könige am Tage der Salbung zu heilen die Prätention hatten: ein Kinn, das sich in einer ungeheuren Cravate verlor, die fest um den Hals gebunden war, während sie die ganze Welt lose, gleichsam schwebend trug, als wollte man dem Henker, jede Leichtigkeit, sie aufzuknüpfen geben; seine Haltung war steif, seine Bewegung maschinenmäßig, seine ganze Erscheinung lächerlich, wenn sie nicht als Gespenst grauenvoll wurde. Alles dies bekränzt mit einer so niedrigen Stirne, daß die Haare bis auf die Augen herabgingen.

Camille Desmoulins sah also eines Tages die fremde Gestalt bei sich eintreten; sie war ihm äußerst antipathisch.

Der junge Mann las ihm seine Verse vor und sagte ihm, unter anderen sozialen Gedanken, die Welt sei leer seit den Römern.

Die Verse schienen Cimille schlecht, der Gedanke schien ihm falsch; er spottete über den Dichter, er spotte über den Philosophen; und der Dichter Philosoph kehrte in seine Einsamkeit in Blérancourt zurück und »schlug wie Tanquinius,« sagt Michelet, der große Portraitist von dieser Art von Leuten, »und schlug Mohnköpfe mit einem Stabe ab, in einem vielleicht Desmoulins, im andern Danton.«

Die Gelegenheit kam indessen: die Gelegenheit fehlt gewissen Menschen nie. Sein Dorf, sein Flecken, sein Städtchen, Blérancourt war bedroht, einen Markt zu verlieren, der ihm zu leben gab; ohne Robespierre zu kennen, schreibt der junge Mann an Robespierre, bittet ihn, die Reclamation der Gemeinde, die er ihm überschickt, zu unterstützen, und bietet ihm überdies, um zum Vortheil der Nation verkauft zu werden, sein Gütchen, das beißt Alles, was er besitzt, an.

Was Camille Desmoulins lachen machte, machte Robespierre träumen; er berief den fanatischen jungen Mann zu sich, studirte ihn, erkannte, er sei von dem Schlage von Menschen, mit welchen man die Revolutionen mache, und ließ ihn, durch sein Ansehen bei den Jacobinern zum Mitglieds des Convents ernennen, obgleich er noch nicht das vorgeschriebene Alter hatte. Der Präsident des Wahlkörpers, Jean de Bry, protestirte und überschickte, indem er protestirte, den Taufschein des Neugewählten; dieser war in der That erst einundzwanzig Jahre und drei Monate alt, doch unter dem Einflusse von Robespierre verschwand diese vergebliche Reclamation.

Dieser junge Mann war es, mit dem Robespierre in der Nacht vom 2. September nach Hanse ging; dieser junge Mann war es, der schlief, als Robespierre nicht schlief; – dieser junge Mann war Saint-Just.

»Saint-just,« sprach eines Tags Camille Desmoulins zu ihm, »weißt Du, was Danton von Dir sagt?«

»Nein.«

»Er sagt, Du tragest den Kopf wie ein heiliges Sacrament.«

Ein bleiches Lächeln schwebte über den weibischen Mund des jungen Mannes.

»Gut,« erwiederte er, »und ich werde ihn den seinigen wie ein heiliger Dionysins tragen lassen.«

Und er hielt Wort.

Saint-Just stieg langsam vom Gipfel der Montagne herab; er stieg langsam auf die Tribüne, und forderte langsam den Tod . . Er forderte, nein, wir irren uns, er befahl den Tod.

Es war eine grausame Rede, die Rede, welche dieser bleiche, schöne junge Mann mit den Frauenlippen hielt; nehme sie auf wer will, drucke sie, wer kann; wir haben nicht den Muth dazu.

»Man muß den König nicht lange richten,« sagte er, »man muß tödten.«

»Man muß ihn tödten, denn es gibt keine Gesetze mehr, um ihn zu richten; er hat sie selbst vernichtet.

»Man muß ihn tödten wie einen Feind; man richtet nur Bürger. Um den Tyrannen zu richten, müßte man ihn zuerst zum Bürger machen.

»Man muß ihn tödten wie einen Schuldigen, der auf der That, die Hand im Blute, ertappt worden ist; das Königthum ist überdies ein ewiges Verbrechen: ein König ist außer der Natur; vom Volke zum König keine natürliche Beziehung.«

Er sprach so eine Stunde, mit der Stimme eines Rhectors, mit den Gebärden eines Pedanten, und am Ende jedes Satzes wiederholend die Worte, welche mit seltsamen Gewichte niederfielen und bei den Zuhörern eine Erschütterung, der des Messeres der Guillotine ähnlich hervorbrachen, die Worte »Man muß ihn tödten!«

Diese Rede machte eine erschreckliche Sensation; es war nicht ein Richter, der nicht, indem er sie hörte, bis in sein Herz die Kälte des Stahls eindringen fühlte! Robespierre selbst erschrak, als er seinen Zögling, seinen Schüler so weit jenseits der vorgerückten republikanischen Vorposten die blutige Fahne der Revolution aufpflanzen sah.

Von da ab war der Proceß nicht nur beschlossen, sondern Ludwig der XVI. war sogar verurtheilt.

Es versuchen den König zu retten, hieß sich dem Tode weihen.

Danton hatte den Gedanken hierzu, er hatte aber nicht den Muth; er hätte Patriotismus genug gehabt, den Namen eines Mörders zu reklamieren, er hatte nicht Stoicismns genug, um den eines Verräthers anzunehmen.

Am 11. December eröffnete sich der Proceß.

Drei Tage vorher war ein Municipal im Tempel an der Spitze einer Abordnung der Commune erschienen, beim König eingetreten, und hatte den Gefangenen einen Beschluß vorgelesen, durch den besohlen war, ihnen Messer, Rasirmesser, Scheeren, Federmesser, kurz alle schneidende Instrumente zu nehmen, deren man die Verurtheilten beraubt.

Da mittlerweile Madame Cléry in Begleitung einer Freundin gekommen war, um ihren Mann zu besuchen, so ließ man wie gewöhnlich den Kammerdiener in den Rathssaal hinabgehen; hier fing dieser an mit seiner Frau zu plaudern, welche Ihm absichtlich mit lauter Stimme Details über häusliche Angelegenheiten gab; während sie aber laut sprach, sagte ihre Freundin leise:

 

»Am nächsten Dienstag führt man den König in den Convent . . . Der Proceß wird beginnen . . . Der König kann einen Rath nehmen . . . Alles dies ist gewiß.«

Der König hatte Cléry verboten, irgend Etwas vor ihm zu verbergen; so schlimm die Kunde war, der getreue Diener faßte den Entschluß, sie seinem Herrn mitzutheilen. Dem zu Folge wiederholte er ihm am Abend, als er ihn auskleidete, die Worte, die man ihm zugeflüstert hatte, und er fügte bei, die Commune beabsichtige, ihn während der ganzen Dauer seines Processes von seiner Familie zu trennen.

Es blieben Ludwig XVI. vier Tage, um mit der Königin Abrede zu nehmen.

Er dankte Cléry für die Treue, mit der er sein Wort halte, und sprach:

»Seien Sie fortwährend bemüht, etwas über das, was sie von mir wollen, zu entdecken; fürchten Sie nicht, mich zu betrüben. Ich bin mit meiner Familie übereingekommen, nicht unterrichtet zu scheinen, um Sie nicht zu gefährden.«

Doch je näher der Tag kam, wo der Proceß in Angriff genommen werden sollte, desto mißtrauischer, wurden die Municipale; Cléry hatte also den Gefangenen keine andere Nachrichten zu geben, als die, welche in einem Journal, das man ihm zukommen ließ, enthalten waren: dieses Journal veröffentlichte das Decret, das befahl, daß am 11. December Ludwig XVI, vor den Schranken des Convents erscheinen sollte.

Am 11. December wurde von Morgens um fünf Uhr an der Generalmarsch durch ganz Paris geschlagen; die Thüren des Tempels öffneten sich, und man ließ in die Höfe Cavallerie und Kanonen einrücken. Wäre die königliche Familie über das, was vorging, unwissend gewesen, sie würde durch einen solchen Lärmen sehr in Unruhe versetzt worden sein; sie gab sich indessen den Anschein, als wüßte sie die Ursache davon nicht, und verlangte Erklärungen von den Commissären vom Dienste: diese weigerten sich, solche zu geben.

Um nenn Uhr gingen der König und der Dauphin, um zu frühstücken, in die Wohnung der Prinzessinnen hinauf; man hatte noch eine letzte Stunde mit einander zuzubringen, jedoch unter den Augen der Municipale; nach einer Stunde mußte man sich trennen, und, da man dafür galt, man wisse nichts, bei der Trennung Alles in sein Herz verschließen.

Der Dauphin wußte in der That nichts; man hatte seine Jugend mit diesem Schmerze verschont. Er trug beharrlich darauf an, daß man eine Partie Siam mache: so sehr auch sein Inneres von schweren Sorgen in Anspruch genommen sein mußte, der König wollte seinem Sohne diese Zerstreuung geben.

Der Dauphin verlor alle Partien und blieb dreimal bei der Nummer 16 stehen.

»Verdammte Nummer 16!« rief er, »ich glaube, sie bringt mir Unglück!«

Der König antwortete nichts, doch dieses Wort ergriff ihn wie ein unglückliches Vorzeichen.

Um elf Uhr, während er dem Dauphin seine Lection im Lesen gab, traten zwei Municipale ein und sagten, sie kommen, um den jungen Ludwig zu holen, und ihn zu seiner Mutter zu führen: der König wollte die Motive dieser Entziehung wissen; die Commissäre beschränkte sich darauf, daß sie antworteten, sie vollziehen die Befehle des Rathes der Commune.

Der König küßte seinen Sohn und beauftragte Cléry, ihn zu seiner Mutter zu bringen.

Cléry gehorchte und kam zurück.

»Wo haben Sie meinen Sohn gelassen?« fragte der König.

»In den Armen der Königin, Sire,« antwortete Cléry.

Einer von den Commissären erschien wieder.

»Mein Herr,« sagte er zu Ludwig XVI. »der Bürger Chambon, Maire von Paris (das war der Nachfolger von Pétion), ist im Rathe und wird sogleich heraufkommen.«

»Was will er von mir?« fragte der König.

»Ich weiß es nicht,»antwortete der Municipal.

Und er entfernte sich und ließ den König allein.

Der König ging einen Augenblick mit großen Schritten im Zimmer ans und ab, und setzte sich dann in ein Fauteuil oben an seinem Bette.

Der Municipal hatte sich mit Cléry in das anstoßende Zimmer zurückgezogen und sagte zum Kammerdiener:

»Ich mag nicht mehr zum König hineingehen, weil ich befürchte, daß er mich befragt.«

Es herrschte indessen eine solche Stille im Zimmer des Königs, daß der Commissär darüber in Unruhe gerieth: er trat sachte ein und fand den König den Kopf auf seine Hände gestützt und, wie es schien, tief in Gedanken versunken.

Bei dem Geräusche, das die Thüre sich auf ihren Angeln drehend machte, richtete der König den Kopf auf und fragte:

»Was wollen Sie von mir?«

»Ich befürchtete, Sie seien unpäßlich.« antwortete der Municipal.

»Ich bin nicht unpäßlich,« erwiederte der König, »nur ist die Art, wie man mir meinen Sohn nimmt, unendlich empfindlich für mich.«

Der Municipal zog sich zurück.

Der Maire erschien erst um ein Uhr; er war begleitet vom neuen Procurator der Commune Chaumette, vom Secretär Gressier Coulombeau, von mehreren Municipalbeamten und von Santerre, der selbst in Begleitung seiner Adjutanten erschien.

Der König stand auf.

»Was wollen Sie von mir, mein Herr?« fragte er, sich an den Maire wendend.

»Ich komme, um Sie zu holen,« antwortete dieser, und zwar kraft eines Decretes des Convents, das Ihnen der Secretär-Gressier vorlesen wird.«

Der Secretär-Gressier entrollt in der That ein Papier und las:

»Decret des Nationalconvents, das befiehlt, daß Ludwig Capet . . .«

Bei diesem Worte unterbrach der König den Leser und sagte:

»Capet ist nicht mein Name, es ist der Name von einem meiner Ahnen.«

Als sodann der Secretär in seiner Lesung fortfahren wollte, sprach der König:

»Unnöthig mein Herr, ich habe das Decret in einem Journal gelesen.«

Und sich an die Commissäre wendend fügte er bei: »Ich hätte gewünscht, man würde mir meinen Sohn während der zwei Stunden gelassen haben, die ich Sie erwartend zubrachte: auf zwei grausamen Stunden hätte man mir zwei süße Stunden gemacht. Diese Behandlung ist indessen eine Fortsetzung von dem, was ich seit vier Monaten erdulde . . . Ich will Ihnen folgen, nicht um dem Convente zu gehorchen, sondern weil meine Feinde die Gewalt in der Hand haben!«

»Dann kommen Sie, mein Herr,« sagte Chambon.

»Ich verlange nur so viel Zeit, als ich brauche, um einen Ueberrock über meinen Frack anzuziehen. Cléry, meinen Ueberrock!«

Cléry reichte dem König den verlangten Ueberrock, der haselnußfarbig war.

Unten an der Treppe schaute der Gefangene mit Besorgniß die Musketen, die Pieken, und besonders die himmelblauen Reiter an, von deren Formation er nichts wußte; dann warf er einen letzten Blick auf den Thurm, und man ging ab.

Es regnete.

Der König saß in einem Wagen und machte die Fahrt mit ruhigem Gesichte.

Als er an den Thoren Saint Martin und Saint-Denis vorüberkam, fragte er, welches von beiden man einzureißen vorgeschlagen habe.

Auf der Schwelle der Reitschule legte ihm Santerre die Hand auf die Schulter, und führte ihn vor die Schranke, an denselben Platz und auf dasselbe Fauteuil, wo er die Constitution beschworen hatte.

Alle Deputirte waren im Augenblicke des Eintritts von Ludwig XVI. sitzen geblieben; ein Einziger, als er an ihm vorüberging, stand auf und grüßte.

Der König wandte sich erstaunt um und erkannte Gilbert,

»Guten Morgen, Herr Gilbert,« sagte er.

Sodann zu Santerre:

»Sie kennen Herrn Gilbert: er war einst mein Arzt; »nicht wahr, Sie werden ihm also nicht zürnen, daß er mich gegrüßt hat?«

Das Verhör begann.

Hier fängt das Blendwerk des Unglücks an vor der Oeffentlichkeit zu verschwinden: der König antwortete nicht nur auf die Fragen, die man an ihn richtete, sondern er antworte sogar schlecht, zögernd, mit Winkelzügen, leugnend, sein Leben streitig machend, wie es ein Provinzadvocat eine Frage über eine gemeinschaftliche Mauer plaidirend hätte machen können.

Das helle Tageslicht stand dem armen König nicht an.

Das Verhör dauerte bis um fünf Uhr.

Um fünf Uhr wurde der König in den Saal der Conferenzen geführt, wo er seinen Wagen erwartete.

Der Maire näherte sich ihm und fragte:

»Haben Sie Hunger, mein Herr, wollen Sie etwas zu sich nehmen?«

»Ich danke Ihnen,« erwiederte der König, mit einer Geberde der Weigerung.

Doch fast in demselben Augenblicke, als er einen Grenadier ein Brod aus seiner Tasche ziehen und die Hälfte davon dem Procurator der Commune Chaumette geben sah, trat er auf diesen zu und fragte ihn:

»Wollen Sie mir ein Stück von Ihrem Brode geben, mein Herr?«

Da er aber leise gesprochen hatte, wich Chanmette zurück und sagte:

»Sprechen Sie laut, mein Herr!«

»Ah! ich kann laut sprechen,« erwiederte der König, mit einem traurigen Lächeln, »ich bitte um ein Stück Brod.«

»Gern,« antwortete Chaumette.

Und ihm sein Brod reichend!

»Nehmen Sie, schneiden Sie ab! Das ist ein Spartanermahl; hätte ich eine Wurzel, so würde ich Ihnen die Hälfte davon geben.«

Man ging in den Hof hinab.

Als sie den König erblickte, stimmte die Menge die Marseillaise an, wobei sie mit besonderer Energie den Vers hervorhob:

 
Qu’un sang impur abreuve nos sillons!
 

Ludwig XVI. erbleichte leicht und stieg in den Wagen.

Hier sing er an zu essen, doch nur die Kruste seines Brodes! die Krume blieb ihm in der Hand, und er wußte nicht, was er mit dieser Krume machen sollte.

Der Substitut des Procurators nahm sie ihm aus der Hand und warf sie zum Schlage hinaus.

»Ah! es ist schlimm, das Brod so wegzuwerfen,« sagte der König, »besonders in einem Augenblicke, wo es so selten ist!«

»Und woher wissen Sie, daß es so selten ist?« sagte Chaumette; »es fehlt Ihnen doch nicht daran!«

»Ich weiß, daß es selten ist, weil das, welches man mir gibt, ein wenig nach Erde riecht.«

»Meine Großmutter,« erwiederte Chaumette, »sagte mir immer: »»Bübchen, Du darfst nie eine Brodkrume verderben, denn Du könntest nicht ebenso viel hervordringen.«

»Herr Chaumette,« sprach der König, »Ihre Großmutter war, wie es scheint, eine verständige Frau.«

Es trat eine Stille ein; Chaumette blieb stumm, in eine Wagenecke vertieft.

»Was haben Sie, »ein Herr?« fragte der König, »Sie erbleichen!«

»In der Thal,« antwortete Chaumette, »ich fühle mich unwohl.«

»Vielleicht ist es das Rollen des Wagen, der im Schrille geht?« fragte der König.

»Vielleicht.«

»Sind Sie zur See gewesen?«

»Ich habe den Krieg mit la Motte-Picquet gemacht.«

»La Motte-Picquet,« sagte der König, »das war ein Braver!«

Und er schwieg ebenfalls.

Worüber dachte er nach? über seine schöne, in Indien siegreiche Marine; über seinen Hafen in Cherbourg, den man dem Ocean abgerungen; über sein glänzendes Admiralscostume, roth und Gold, so verschieden von der Kleidung, die er in diesen, Augenblicke trug; über seine Kanonen, die bei seinem Vorübergehen vor Freude brüllten, in den Tagen seines Glückes?

Er war weit von da, der arme Ludwig XVI., gerüttelt in einem im Schritte fahrenden Fiacre, mit diesem die Wogen des Volkes durchschneidend, das sich, um ihn zu sehen, herbeidrängte, ein faules, hochgehendes Meer, dessen Flut aus den Gossen von Paris aufstieg; mit den Augen, blinzelnd am hellen Tage, mit seinem langen Barte, mit den spärlichen, fadblonden Haaren, und seinen abgemagerten, auf seinen gerunzelten Hals herabhängenden Backen; bekleidet mit einem grauen Fracke und einem haselnußfarbigen Ueberrocke, und mit jenem automatischen Gedächtnisse der Kinder und der Bourbonen sprechend: »Ah! das ist die und die Straße, – und dann die Straße – und dann die Straße.«

Bei der Rue d’Orleans angelangt, sagte er:

»Ah! das ist die Rue d’Orleans!»

»Sagen Sie die Rue d’Egalité,« antwortete man ihm.

»Ah! ja, wegen des Herrn . . .»

Der König vollendete nicht, er versank wieder in sein Stillschweigen und sprach von der Rue d’Egalité bis zum Tempel nicht ein Wort mehr.