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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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»Warten Sie doch! Das war ein Kniff: er hielt sich für sehr schlau, der Tyrann! doch ich bin so schlau als er. Hören Sie, was geschah: »»Gamain,«« sagte er, »»hilf mir das Geld zählen, das ich in dem Schranke verbergen will.«« Und wir zählten so zwei Millionen in doppelten Louis d’or, die wir in vier lederne Säcke vertheilten: während ich aber sein Gold zählte, sah ich aus dem Augenwinkel den Kammerdiener Papiere, Papiere und Papiere bringen . . . und ich sprach zu mir selbst: »Gut! Der Schrank, das ist um Papiere darin zu verschließen; das Geld, das ist ein Kniff.««

»Was sagst Du hierzu, Madeleine?’ fragte Roland seine Frau, indem er sich zu ihr bückte, so daß ihn diesmal Gamain nicht hörte.

»Ich sage, diese Offenbarung ist von der höchsten Wichtigkeit, und man darf keinen Augenblick verlieren.«

Roland klingelte.

Der Huissier erschien.

»Haben Sie einen Wagen angespannt im Hofe des Hotels?« fragte Roland.

»Ja, Bürger.«

»Lassen Sie ihn vorfahren.«

Gamain stand auf.

»Ah!« sagte er ärgerlich, »Sie haben mich satt, wie es scheint?«

»Warum?« fragte Roland.

»Weil Sie Ihren Wagen bestellen . . . Die Minister haben also noch Wagen unter der Republik?«

»Mein Freund,« antwortete Roland, die Minister haben zu jeder Zeit Wagen: ein Wagen ist kein Luxus für einen Minister; das ist eine Ersparniß.«

»Eine Ersparniß an was?«

»An Zeit, das heißt an der theuersten und kostbarsten Waare, die es auf der Welt gibt.«

»Ich werde also wiederkommen müssen?«

»Wozu?«

»Ei! um Sie zu dem Schranke zu führen, wo der Schatz ist.«

»Unnöthig.«

»Wie so, unnöthig?«

»Allerdings, da ich den Wagen verlangt habe, um dahin zu fahren.«

»Um wohin zu fahren?«

»Nach den Tuilerien.«

»Wir gehen also dorthin?«

»Auf der Stelle.«

»Das ist gut.«

»Doch mir fällt ein . . .« sagte Roland.

»Was?« fragte Gamain.

»Der Schlüssel?«

»Welcher Schlüssel?«

»Der Schlüssel vom Schranke, Ludwig XVI. Der wird ihn wahrscheinlich nicht stecken lassen.«

»Oh! Gewiß nicht, denn er ist nicht so dumm als er aussieht, der dicke Capet.«

»Sie werden also Werkzeug mitnehmen?«

»Wozu?«

»Um den Schrank zu öffnen.«

Gamain zog aus seiner Tasche einen ganz neuen Schlüssel und sagte:

»Und was ist das?«

»Ein Schlüssel.«

»Der Schlüssel vom Schrank, den ich aus dem Gedächtnisse gemacht habe; ich hatte ihn wohl studiert, vermuthend, es werde eines Tages . . . «

»Dieser Mensch ist ein großer Schurke!« sagte Madame Roland zu ihrem Gatten.

»Du denkst also?« fragte dieser zögernd.

»Ich denke, wir sind in unserer Lage nicht berechtigt, einen von den Aufschlüssen zurückzuweisen, die das Glück uns schickt, um zur Kenntniß der Wahrheit zu gelangen.«

»Da ist er! Da ist er!« rief Gamain strahlend, indem er seinen Schlüssel zeigte.

»Und Sie glauben,« fragte Roland mit einem Ekel den zu verbergen ihm unmöglich war, »Sie glauben, dieser Schlüssel, obgleich aus der Erinnerung und nach achtzehn Monaten gemacht, werde den eisernen Schrank öffnen?«

»Auf das erste Mal, hoffe ich!« sagte Gamain. »Nicht für die Langweile ist man Meister über Meister, Meister über Alle.«

»Der Wagen vom Bürger Minister wartet,« meldete der Huissier.

»Werte ich mitgehen?« fragte Madame Roland.

»Gewiß! sind Papiere da, so werde ich sie Dir anvertrauen; bist Du nicht das ehrlichste Wesen, das ich kenne?«

Und sich gegen Gamain umwendend:

»Kommen Sie, mein Freund.«

Gamain folgte zwischen seinen Kinnbacken brummend:

»Ah! ich sagte wohl, ich werde Dir das vergelten, Herr Capet!«

Das! . . . Was war dieses Das?

Es war das Gute das ihm der König gethan hatte!

CLXXVII
Der Rückzug der Preußen

Während der Wagen des Bürgers Roland nach den Tuilerien rollt; während Gamain die in der Mauer verborgene Füllung wiederfindet; während, nach dem erschrecklichen Versprechen, das er gemacht, der aus dem Gedächtniß geschmiedete Schlüssel mit einer wunderbaren Leichtigkeit den eisernen Schrank öffnet; während der eiserne Schrank das ihm anvertraute verhängnißvolle Depositum überliefert, welches, obgleich dabei die vom König selbst Madame Campan übergebenen Papiere fehlen, einen so grausamen Einfluß auf das Geschick der Gefangenen des Tempels üben soll; während Roland diese Papiere mit sich nach Hanse nimmt, eines nach dem andern liest, sie nummeriert, überschreibt und vergebens unter allen diesen Stücken eine Spur von der so sehr denuncirten Käuflichkeit von Danton sucht, – sehen wir was der ehemalige Justizminister macht.

Wir sagen: Der ehemalige Justizminister, weil, sobald der Convent eingesetzt war, Danton nichts Eiligeres zu thun hatte, als seine Entlassung zu nehmen.

Er war auf die Tribüne gestiegen und hatte gesagt:

»Ehe ich meine Meinung über den ersten Beschluß ausdrücke, den der Convent erlassen muß, sei es mir erlaubt, in seinen Schooß die Functionen niederzulegen, mit der mich die gesetzgebende Versammlung betraut hatte. Ich habe sie empfangen unter dem Donner der Kanonen; nun ist die Vereinigung der Heere geschehen, nun ist die Verbindung der Repräsentanten bewerkstelligt. Ich bin nur noch Mandatar des Volkes, und in dieser Eigenschaft werde ich sprechen.«

Bei den Worten: »Die Vereinigung der Heere ist geschehen,« hätte Danton beifügen können: »Und die Preußen sind geschlagen;« denn er sprach diese Worte am 21. September, und am 20. hatte die Schlacht bei Valmy stattgefunden; Danton wußte aber nichts hiervon.

Er beschränkte sich darauf, daß er sagte:

»Diese leeren Gespenster der Dictatur, mit denen man das Volk erschrecken wollte, zerstreuen wir sie; erklären wir, es gebe keine andere Constitution, als die, welche von ihm angenommen worden. Bis heute hat man es aufgeregt: man mußte es gegen den Tyrannen erwecken; nun da die Gesetze so erschrecklich gegen diejenigen sind, welche sie verletzen würden, als das Volk die Tyrannei zu Boden schmetternd gewesen ist, mögen sie alle Schuldige bestrafen! Schwören wir jede Uebertreibung ab; proclamiren wir, alles territoriale und industrielle Eigenthum werde ewig aufrecht erhalten werden

Mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit antwortete Danton auf zwei große Befürchtungen Frankreichs:

Frankreich befürchtete für seine Freiheit und für sein Eigenthum; und, seltsam! Wer befürchtete besonders für sein Eigenthum? Die neuen Eigenthümer, diejenigen, welche am Tage vorher gekauft hatten, welche noch drei Viertel von ihrem Kaufe schuldig waren! Diese waren Conservative geworden, mehr als die alten Adeligen, als die alten Aristokraten, kurz als die alten Eigenthümer. Die Letzteren zogen ihr Leben ihren ungeheuren Besitzungen vor, und zum Beweise dient, daß sie ihre Güter verlassen hatten, um ihr Leben zu retten, während die Bauern, die Käufer der Nationalgüter, die Eigenthümer von gestern ihren kleinen Winkel Erde ihrem Leben vorzogen, mit dem Gewehre in der Hand darüber wachten und um keinen Preis der Welt ausgewandert wären!

Danton hatte das begriffen; er hatte begriffen, es sei gut, nicht nur diejenigen, welche Eigenthümer seit gestern waren, zu beruhigen, sondern auch diejenigen, welche es morgen werden sollten; denn der große Gedanke der Revolution war: »Alle Franzosen müssen Eigenthümer sein; das Eigenthum macht den Menschen nicht immer besser, aber es macht ihn würdiger, indem es ihm das Gefühl seiner Unabhängigkeit gibt.«

So faßte sich auch der ganze Geist der Revolution in folgenden Worten von Danton zusammen:

»Abschaffung jeder Dictatur; Heiligkeit jedes Eigenthums; das heißt – Ausgangspunkt: der Mensch hat das Recht, sich selbst zu regieren: Zweck: der Mensch hat das Recht, die Frucht seiner freien Thätigkeit zu erhalten.«

Und wer sagte dies? Der Mann des 20. Juni, des 10. Augusts, des 2. Septembers, dieser Riese der Stürme, der sich zum Steuermann machte und die zwei Rettungsanker der Nationen: die Freiheit, das Eigenthum ins Meer warf.

Die Gironde begriff nicht: die ehrliche Gironde hatte einen unüberwindlichen Widerwillen gegen den . . . wie sollen wir sagen? . . . gegen den leichten Danton: man hat gesehen, daß sie ihm die Dictatur in dem Augenblicke verweigert hatte, wo er sie verlangte, um die Metzelei zu verhindern.

Ein Girondist stand auf, und statt dem Manne von Genie, der die großen Befürchtungen Frankreichs ausgesprochen und dieselben, indem er beschwichtigt hatte, Beifall zu klatschen, rief er Danton zu:

»Jeder, der das Eigenthum, zu heiligen sucht, gefährdet es; es anrühren, selbst um es zu befestigen, heißt dasselbe erschüttern. Das Eigenthum ist älter als jedes Gesetz!«

Der Convent erließ folgende zwei Decrete:

»Es kann nur eine Constitution geben, wenn sie vom Volke adoptiert worden ist.«

»Die Sicherheit der Personen und des Eigenthums steht unter dem Schutze der Nation.«

Das war es, und das war es nicht; nichts ist erschrecklicher in der Politik, als die ungefähr?

Die Entlassung von Danton war übrigens angenommen worden.

Doch der Mann, der sich stark genug geglaubt hatte, um auf seine Rechnung den 2. September, das heißt den Schrecken von Paris, den Haß der Provinz, den Fluch der Welt zu nehmen, dieser Mann war sicherlich ein sehr mächtiger Mann.

Und in der Thal, er hielt zugleich die Fäden der Diplomatie, des Krieges und der Polizei; Dumouriez und folglich die Armee, waren in seiner Hand.

Die Nachricht vom Siege von Valmy war in Paris angekommen und hatte hier eine große Freude verursacht; sie war ans Adlersflügeln gekommen, und man hatte sie als viel entscheidender angesehen, als sie in Wirklichkeit war.

In Folge hiervon war Frankreich von einer tiefsten Bangigkeit zu einer höchsten Kühnheit übergegangen; die Clubbs athmeten nur Krieg und Schlacht.

 

»Warum, da der König von Preußen besiegt war, warum war der König von Preußen nicht Gefangener, gebunden, geknebelt, oder wenigstens über den Rhein zurückgeworfen?«

Das sagte man ganz laut.

Sodann leise:

»Das ist sehr einfach: Dumouriez verräth! er ist an die Preußen verkauft!«

Dumouriez empfing schon den Lohn für einen großen Dienst, den er geleistet: den Undank.

Der König von Preußen hielt sich ganz und gar nicht für geschlagen: er hatte die Höhen von Valmy angegriffen und sie nicht nehmen können, – das war das Ganze; jede Armee hatte ihr Lager behalten; die Franzosen, welche seit dem Anfange des Feldzuges beständig rückwärts marschirt waren, verfolgt durch blinde Schrecken, durch Niederlagen, durch Unfälle, die Franzosen waren diesmal fest stehen geblieben, nichts mehr, nichts weniger.

Was den Verlust an Menschen betrifft, er war auf beiden Seiten ungefähr gleich gewesen.

Dies konnte man Paris, Frankreich, Europa bei dem Bedürfnisse eines großen Sieges, das wir hatten, nicht sagen; das ließ aber Dumouriez Danton durch Westermann sagen.

Die Preußen waren so wenig geschlagen, so wenig auf dem Rückzuge begriffen, daß sie zwölf Tage nach Valmy noch unbeweglich in ihren Lagern standen.

Dumouriez hatte schriftlich angefragt, ob er, im Falle, daß Vorschläge vom König von Preußen gemacht würden, unterhandeln sollte? Diese Anfrage erhielt zwei Antworten: eine vom Ministerium, stolz, officiell, von der Begeisterung des Sieges dictiert; die andere vernünftig und ruhig, aber von Danton allein.

Der Brief des Ministeriums sprach:

»Die Revolution unterhandelt nicht, so lange der Feind nicht das Gebiet geräumt hat.«

Der von Danton sagte:

»Unter der Bedingung, daß die Preußen das Gebiet räumen, unterhandeln Sie um jeden Preis.«

Unterhandeln war nichts Bequemes in der Verfassung des Geistes, in der sich der König von Preußen befand; ungefähr zu gleicher Zeit, da nach Paris die Nachricht vom Siege von Valmy kam, kam die die Kunde von der Abschaffung des Königthums und der Proclamation der Republik an. Der König von Preußen war wüthend.«

Die Folgen dieser in der Absicht, den König von Frankreich zu retten, unternommene Invasion, welche bis dahin kein anderes Resultat gehabt hatte, als den 10. August, den 2. und den 21. September, das heißt die Gefangenschaft des Königs, die Metzelung der Adeligen, die Abschaffung des Königthums, hatten Friedrich Wilhelm in finstere Wuthanfälle versetzt; er wollte kämpfen, was es auch kosten möge, und hatte für den 29. September den Befehl zu einer heftigen Schlacht gegeben.

Es war weit von da, wie man sieht, bis zum Verlassen des Gebietes der Republik.

Am 29. fand, statt eines Kampfes, ein Kriegsrath statt.

Dumouriez war übrigens auf Alles gefaßt.

Sehr frech in seinen Worten, benahm sich Braunschweig höchst vorsichtig, wenn es sich darum handelte, ihnen Thaten zu substituiren; Braunschweig war im Ganzen noch mehr Engländer, als Deutscher; er hatte eine Schwester der Königin von England geheirathet; er empfing also mehr von London, als von Berlin seine Eingebungen. Beschloß England, sich zu schlagen, so würde er sich mit beiden Armen schlagen: mit einem Arme für Preußen, mit dem, andern für England; zogen aber die Engländer, seine Herren, das Schwert nicht aus der Scheide, so war er ganz bereit, das seinige wieder einzustecken.

Am 29. legte nun Braunschweig im Rathe Briefe von England und von Holland vor, die sich weigerten, der Coalition beizutreten. Ueberdies marschirte Custine gegen den Rhein, Koblenz bedrohend, und war Koblenz genommen, so war das Thor, um nach Preußen zurückzukehren, für Friedrich Wilhelm verschlossen.

Dann gab es etwas noch viel Ernsteres, viel Gewichtigeres, als Alles dies! Zufällig hatte der König von Preußen eine Geliebte, die Gräfin von Lichtenau . . . Sie war der Armee gefolgt, wie Jedermann, wie Göthe, der in einem Fourgon Seiner Preußischen Majestät die ersten Scenen von seinem Faust skizzirte; – sie zählte auf die militärische Promenade: sie wollte Paris sehen.

Mittlerweile hatte sie sich in Spaa aufgehalten. Hier hatte sie den Tag von Valmy erfahren und vernommen, welche Gefahren ihr königlicher Liebhaber gelaufen war. Sie fürchtete im höchsten Grade zwei Dinge, die schöne Gräfin: die Kugeln der Franzosen, das Lächeln der Französinnen. Sie schrieb Briefe über Briefe, und die Postscripts dieser Briefe, das Resumé des Gedankens von derjenigen, welche sie geschrieben, war das Wort: Komm zurück!

Der König von Preußen wurde in Wahrheit durch nichts mehr zurückgehalten, als etwa dadurch, daß er sich schämen mochte, Ludwig XVI. zu verlassen. Alle diese Erwägungen wirkten auf ihn; nur waren die zwei mächtigsten die Thränen seiner Geliebten und die Gefahr, der Koblenz preisgegeben.

Nichtsdestoweniger drang er darauf, daß man Ludwig XVI. in Freiheit setze. Danton beeilte sich, ihm durch Westermann alle Beschlüsse der Commune zukommen zu lassen, aus denen hervorging, daß der Gefangene gut behandelt wurde.

Der König von Preußen war damit zufrieden; man sieht, daß er ziemlich leicht zu beschwichtigen war.

Die Freunde des Königs von Preußen versichern, er habe sich vor dem Rückgange von Dumouriez und Danton versprechen lassen, das Leben Ludwig’s XVI. zu retten; allein diese Behauptung läßt sich nicht beweisen.

Am 29. September beginnt die preußische Armee ihren Rückzug und macht eine Meile; am 30. auch eine Meile.

Das französische Heer escortiert sie, als wollte sie ihr die Honneurs des Landes, sie zurückbegleitend, geben.

So oft sie unsere Soldaten angreifen, ihr den Rückzug abschneiden, kurz es wagen wollten, Keiler in die Enge zu treiben und zu machen, daß er den Hunden Stand halt, zogen die Leute von Danton wieder rückwärts.

Daß die Preußen aus Frankreich hinausgehen, das war Alles, was Danton wollte.

Am 22. October wurde dieser patriotische Wunsch erfüllt.

Am 6. November verkündigten die Kanonen von Jemappes das Gottesurtheil über die französische Revolution.

Am 7. nahm die Gironde den Proceß des Königs in Angriff.

Etwas Ähnliches hatte sich sechs Wochen vorher ereignet: am 20. September hatte Dumouriez die Schlacht bei Valmy gewonnen; am 21. war die Republik proclamiert worden.

Jeder Sieg hatte gewisser Maßen seine Krönung und ließ Frankreich einen Schritt mehr in der Revolution machen.

Diesmal war es der furchtbarste; man näherte sich dem in den ersten Zeiten unbekannten Ziele, auf das man drei Jahre blindlings zugegangen war; wie es in der Natur geschieht, so fing man an die Conturen der Dinge zu unterscheiden, von denen man nur die Massen erschaut hatte.

Was sah man nun am Horizont? ein Schaffot! am Fuße dieses Schaffots den König!

In dieser ganz materiellen Zeit, wo alle niedrige Instincte des Hasses, der Zerstörung und der Rache den Sieg über die erhabenen Ideen einiger höheren Geister davontrugen; wo ein Mann wie Danton, das heißt ein Mann, der die blutigen Septembertage auf seine Rechnung nahm, bezichtigt wurde, er sei das Haupt der Nachsichtigen, war es schwierig, daß die Idee die That überwog; und was die Männer des Convents nicht begriffen, oder was nur Gewisse unter ihnen begriffen, die Einen klar, die Andern instinctmäßig, das war, daß man den Proceß dem Königthum und nicht dem König machen mußte.

Das Königthum, das war eine finstere Abstraktion, ein bedrohliches Mysterium, von dem Niemand mehr etwas wissen wollte; ein Idol außen vergoldet, wie jene übertünchten Gräber, von denen Christus spricht, voll von Würmern und von Fäulniß im Innern. Doch der König, das war etwas Anderes: der König, das war ein Mensch; ein Mensch wenig interessant in den Tagen seiner Wohlfahrt, den aber das Unglück geläutert, die Gefangenschaft vergrößert hatte; seine Empfindsamkeit hatte sich entwickelt in seinen Mißgeschicken; und bei der Königin war das Blendwerk des Unglücks so mächtig gewesen, daß, mochte es nun neue Anschauung, mochte alte Reue sein, die Gefangene des Tempels dahin gelangt war, nicht daß sie ihn liebte, – dieses arme gebrochene Herz hatte verlieren müssen, was es an Liebe enthielt, wie ein zersprungenes Gefäß, was es an Flüssigkeit enthält, Tropfen um Tropfen verliert! – sondern wenigstens, daß sie ihn verehrte, anbetete im religiösen Sinne des Wortes, diesen König, diesen Fürsten, diesen Menschen, dessen materielle Appetite, dessen gemeine Instincte ihr so oft die Schamröthe ins Gesicht getrieben hatten.

Eines Tages trat der König bei der Königin ein und fand sie damit beschäftigt, daß sie das Zimmer des Kanken Dauphin auskehrte.

Er blieb auf der Schwelle stehen, ließ seinen Kopf auf seine Brust fallen und sagte mit einem Seufzer:

»Ah! Madame, welch ein Handwerk für eine Königin von Frankreich! und wenn man in Wien sehen würde, was Sie da thun! Wer hätte geglaubt, Sie mit meinem Geschicke verbindend, werde ich Sie so tief hinabsteigen machen?«

»Ei!« erwiederte die Königin, »rechnen Sie für nichts den Ruhm, die Frau des besten und des grausamst verfolgten Mannes zu sein?«

Dies antwortete die Königin, und zwar ohne Zeugen und nicht glaubend, sie werde von einem armen Kammerdiener gehört werden, der dem König folgte, der diese Worte auffaßte und sie, wie schwarze Perlen, aufbewahrte, um daraus ein Diadem zu machen, nicht dem Haupte des Königs, sondern dem Haupte des Verurteilten!

An einem andern Tage war es Madame Elisabeth, welche Ludwig XVI. in Ermangelung einer Scheere, mit ihren Schmelzzähnen den Faden schneiden sah, mit dem sie ein Kleid der Königin flickte.

»Arme Schwester! welch ein Contrast mit dem hübschen Häuschen in Montreuil, wo es Ihnen an nichts fehlte!«

»Ah! mein Bruder,« antwortete die fromme Jungfrau, »kann ich etwas beklagen, wenn ich Ihr Unglück theile?«

Und Alles das wurde bekannt; Alles das verbreitete sich; Alles das stickte mit goldenen Arabesken die düstere Legende vom Märtyrer.

Das Königthum vom Tode getroffen, aber der König lebend erhalten, das war ein großer, mächtiger Gedanke, so groß und so mächtig, daß er nur wenigen Menschen in den Kopf kam, und diese, – so unpopulär war er, – wagten es kaum, ihn auszudrücken.

»Ein Volk hat nöthig, daß man es rettet; doch es hat nicht nöthig, daß man es rächt,« sagte Danton bei den Cordeliers.

»Allerdings muß man den König richten,« spricht Grégoire im Convent, »doch er hat so viel für die Verachtung gethan, daß kein Platz für den Haß da, ist!«

Payne schrieb:

»Ich will, daß man den Prozeß mache, nicht gegen Ludwig XVI., sondern gegen die Bande der Könige; von diesen Individuen haben wir eines in unserer Gewalt: es wird uns auf den Weg der allgemeinen Conspiration bringen . . . Ludwig XVI., ist sehr nützlich, um Allen die Nothwendigkeit der Revolution darzuthun

Die erhabenen Geister, Thomas Payne, und die großen Herzen, Danton, Grégoire, waren über diesen Punkt einverstanden: man mußte nicht den Proceß des Königs, sondern den Proceß der Könige machen, und im Nothfalle mußte man bei diesem Processe Ludwig XVI. als Zeugen berufen, Frankreich als Republik, das heißt volljährig, mußte in seinen, Namen und im Namen der dem Königthum unterworfenen, das heißt minderjährigen, Völker verfahren; Frankreich saß dann nicht mehr als ein irdischer Richter, sondern als göttlicher Schiedsrichter; es schwebte in höheren Sphären, und sein Wort stieg dann nicht mehr zum Throne empor, wie ein Spritzer von Koth und Blut: es fiel auf die Könige wie ein Ausbruch von Blitz und Donner.

Denken Sie sich diesen Proceß veröffentlicht, unterstützt durch Beweise, beginnend mit Katharina II. Der Henkerin Polens; denken Sie sich die Einzelheiten dieses monströsen Lebens an das helle Tageslicht gebracht wie den Leichnam von Frau von Lamballe, und zwar zu ihren Lebzeiten; sehen Sie die Pasiphaë des Nordens an den Pranger der öffentlichen Meinung gestellt – und sagen Sie, welche Lehre die Völker aus einem solchen Processe entsprungen wäre!