Buch lesen: «Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4»
Erstes und zweites Bändchen
I
Erörterung über den wahren Sinn des Wortes Ende. 1
Diejenigen von unsern vortrefflichen Lesern, welche sich uns gewisser Maßen lehenspflichtig gemacht haben, diejenigen, welche uns überallhin folgen, wohin wir gehen, diejenigen, welche es interessiert, nie, selbst bei seinen Seitensprüngen, einen Mann zu verlassen, der sich die große Ausgabe gestellt, Blatt für Blatt jede Seite der Monarchie zu entrollen, mußten wohl begreifen, als sie das Wort Ende unten am letzten Feuilleton von Ange Pitou in der Presse und selbst unten an der letzten Serie des achten Bandes, veröffentlicht von unserem Freunde und Herausgeber Alexandre Cabot, – lassen, daß hier ein ungeheurer Irrthum obwalte, den wir ihren früher oder später aufklären werden.
In der That, wie ließ sich annehmen, ein Schriftsteller, dessen, vielleicht sehr ungebührende, Prätension es ist, vor Allem ein Buch mit allen Bedingungen eines Buches machen zu können, – wie ein Architekt die Prätension hat, ein Haus mit allen Bedingungen eines Hauses, ein Schiffsbaumeister, ein Schiff mit allen Bedingungen eines Schiffes machen zu können, – werde sein Haus beim dritten Stocke im Stiche, sein Schiss unvollendet bei der großen Stenge lassen.
So wäre es aber beim armen Ange Pitou, hätte der Leser im Ernste das Wort Ende genommen, welches er gerade bei der interessantesten Stelle des Buches fand, nämlich da, wo der König und die Königin sich anschicken, Versailles zu verlassen, um nach Paris zu ziehen; wo Charny zu bemerken anfängt, daß eine reizende Frau, der er seit fünf Jahren nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hat, erröthet, sobald sein Blick ihren Augen begegnet, sobald seine Hand ihre Hand berührt; wo Gilbert und Billot mit einem düsteren, aber entschlossenen Auge in den revolutionären Abgrund schauen, der sich vor ihnen öffnet, ausgegraben durch die monarchischen Hände von la Fayette und Mirabeau, von denen der Eine die Popularität, der Andere den Geist der Zeit repräsentirt; wo endlich der arme Ange Pitou, der demüthige Held dieser demüthigen Geschichte, über seinem Schooße, aus dem Wege von Villers-Coterets nach Pisseleu, Catherine hält, welche ohnmächtig geworden beim letzten Lebewohl ihres Liebhabers, der querfeldein galoppirend mit seinem Bedienten der Straße nach Paris zueilt.
Und dann finden sich noch andere Personen in diesem Roman, allerdings untergeordnete Personen, denen aber unsere Leser dennoch, wir sind dessen sicher, eine gewisse Theilnahme geschenkt haben, und es ist unsere Gewohnheit, das weiß man wohl, sobald wir einmal ein Drama in Scene gebracht haben, nicht nur unsere Haupthelden, sondern auch die secundären Personen, auch die geringsten Comparsen bis in die dunstigsten Fernen des Theaters zu verfolgen.
Da ist der Abbé Fortier, dieser strenge Monarchist, der sich gewiß nicht in einen constitutionellen Priefter verwandeln will, und die Verfolgung dem Eide vorziehen wird.
Da ist der junge Gilbert, zusammengesetzt aus zwei um diese Zeit im Kampfe begriffenen Naturen, aus zwei seit zehn Jahren sich verschmelzenden Elementen, dem demokratischen Elemente, mit welchem er durch seinen Vater verwandt, dem aristokratischen Elemente, dem er durch seine Mutter entsprossen ist.
Da ist Frau Billot, die arme Frau, Mutter vor Allem, welche, blind wie eine Mutter, ihre Tochter auf dem Wege gelassen hat und allein nach dem Pachthose zurückkehrt, selbst schon so vereinzelt seit dem Abgange von Billot.
Da ist der Vater Clouis, in seiner Hütte im Walde, der noch nicht weiß, ob er mit der Flinte, die ihm Pitou für diejenige gegeben, welche ihm ein paar Finger der linken Hand genommen hat, hundert und zweiundachtzig Hasen und hundert und zweiundachtzig Kaninchen in den gewöhnlichen Jahren und hundert dreiundachtzig Hasen und hundert dreiundachtzig Kaninchen in den Schaltjahren schießen wird.
Da sind endlich Claude Tellier und Désiré Maniquet, diese Dorfrevolutionäre, welche nur darnach trachten, den Spuren der Pariser Revolutionäre zu folgen, denen aber, wie man hoffen darf, der ehrliche Pitou, ihr Kapitän, ihr Commandant, ihr Oberster, als Zaum und Gebiß dienen wird.
Alles, was wir hier gesagt haben, kann das Erstaunen des Lesers in Betreff des Wortes Ende nur erneuern, dieses Wortes, das so seltsam unten an das Kapitel, welches es schließt, gesetzt ist, daß man glauben sollte, es sei ein am Eingange seiner Höhle auf der Straße nach Theben liegender Sphinx, der den böotischen Reisenden ein unauflösbares Räthsel ausgebe.
Wir wollen also die Erklärung geben.
Es war eine Zeit, wo die Jorunale gleichzeitig die Geheimnisse von Paris von Eugène Sue, die Generalbeichte von Soulié, Mauprat von Madame Sand, Monte-Christo, den Chevalier von Maison-Rouge und den Frauenkrieg von mir veröffentlichten.
Diese Zeit war die schöne Zeit des Feuilleton, aber die schlechte der Politik.
Wer bekümmerte sich damals um die Leitartikel von Herrn Armand Bertin, von Herrn Doctor Véron und vom Herrn Abgeordneten Chambolle? Niemand.
Und man hatte sehr Recht; denn da nichts von diesen unglücklichen Leitartikeln übrig geblieben ist, so waren sie nicht werth, daß man sich um sie bekümmerte.
Alles, was einen Werth hat, schwimmt obenauf und kommt irgendwo ans Land.
Es gibt nur ein Meer, welches Alles verschlingt, was man hineinwirft, das ist das todte Meer.
Es scheint, man warf in dieses Meer die Leitartikel von 1845, 1846, 1847 und 1848.
Sodann, mit diesen Leitartikeln von Herrn Armand Bertin, vom Herrn Doctor Véron und vom Herrn Abgeordneten Chambolle, warf man noch unter einander die Reden von Herrn Thiers und von Herrn Guizot, von Herrn Odilon Barrot und von Herrn Berryer, von Herrn Molé und von Herrn Duchatel hinein, was die Herren Duchatel, Mole, Berryer, Barrot, Guizot und Thiers wenigstens eben so sehr als den Herrn Abgeordneten Chambolle, den Herrn Doctor Véron und Herrn Armand Bertin verdroß.
Es ist wahr, daß man dagegen mit der größten Sorgfalt die Feuilletons der Geheimnisse von Paris, der Generalbeichte, von Mauprat, von Monte-Christo, vom Chevalier von M a i s o n-Rouge und vom Frauenkrieg abschnitt; daß man dieselben, nachdem man sie am Morgen gelesen, am Abend auf die Seite legte; es ist wahr, daß dies den Journalen Abonnenten und den Lesekabinets Kunden brachte; es ist wahr, daß dies die Geschichte die Historiker und das Volk lehrte; es ist wahr, daß dies vier Millionen Leser in Frankreich und fünfzig Millionen Leser im Auslande schuf; es ist wahr, daß die französische Sprache, welche seit dem siebzehnten Jahrhundert die Sprache der Diplomatie geworden war, im neunzehnten Jahrhundert die Sprache der Literatur wurde; es ist wahr, daß der Dichter, der genug Geld verdiente, um sich unabhängig zu machen, dem bis dahin durch die Aristokratie und das Königthum gegen ihn geübten Drucke entging; es ist wahr, daß in der Gesellschaft ein neuer Adel und ein neues Reich entstanden: das waren der Adel des Talents und das Reich des Genies: es ist wahr, daß dies so viele für die Individuen ehrenvolle und für Frankreich glorreiche Resultate herbeiführte, daß man sich ernstlich damit beschäftigte, den Zustand der Dinge, welcher diese Umwälzung veranlaßte, aufhören zu machen, daß die ansehnlichen Männer eines Königreichs wirtlich die angesehenen Männer waren, und daß der Ruf, der Ruhm und sogar das Geld eines Landes denen zufielen, welche Alles dies wahrhaft verdient hatten.
Die Staatsmänner von 1847 waren also, wie gesagt, wirklich darauf bedacht, daß man diesem Scandal ein Ende mache, als Herr Odilon Barrot, welcher wollte, daß man auch ein wenig von ihm spreche, die Idee bekam, nicht gute und schöne Reden auf der Tribune zu halten, sondern schlechte Diners an den verschiedenen Orten zu machen, wo sein Name noch in Ehren war.
Man mußte diesen Diners einen Namen geben.
In Frankreich liegt wenig daran, daß die Dinge den Namen haben, der ihnen gebührt, wenn sie nur einen Namen haben.
Dem zu Folge nannte man diese Diners Reform-bankette.
Es befand sich damals in Paris ein Mann, der, nachdem er Prinz gewesen, General gewesen; der, nachdem er General gewesen, verbannt worden und als Verbannter Lehrer der Geographie gewesen war; der, nachdem er Lehrer der Geographie gewesen, in Amerika gereist war; der, nachdem er in Amerika gereist war, in Sicilien wohnte; der, nachdem er die Tochter eines Königs von Sicilien geheirathet hatte, nach Frankreich zurückgekehrt war; der, nachdem er nach Frankreich zurückgekehrt, von Karl X. zur Königlichen Hoheit gemacht worden war, und nachdem er von Karl X. zur Königlichen Hoheit gemacht worden sich am Ende zum König gemacht hatte.
Dieser Mann war Seine Majestät König Louis Philipp, vom Volke erwählt.
Bei uns sind alle Kaiser, alle Könige, alle Präsidenten vom Volke erwählt.
Sie sagen es wenigstens, bis sie das Volk nach St. Helena gehen läßt oder nach Holyrood, nach Claremont oder anderswohin schickt.
Nun denn, dieser Prinz, dieser General, dieser Professor, dieser Reisende, dieser König, dieser Mann, den das Unglück und das Glück so viele Dinge hätte lehren sollen, während sie ihn nichts gelehrt hatten, – dieser Mann hatte den Gedanken, Herrn Odilon Barrot zu verhindern, seine Reformbankette zu geben, er beharrte hartnäckig bei seinem Gedanken, ohne zu vermuthen, daß es ein Princip war, dem er den Krieg erklärte, und da jedes Princip von oben kommt und folglich stärker ist, als das, was von unten kommt, da jeder Engel den Menschen niederwerfen muß, mit dem er kämpft, und wäre dieser Mensch Jacob, so warf der Engel Jacob nieder, das Princip warf den Menschen nieder, und Louis Philipp wurde mit seiner doppelten Generation von Prinzen, mit seinen Söhnen und Enkeln, vom Throne gestürzt.
Hat nicht die Schrift gesagt: »Die Sünde der Väter wird auf die Kinder zurückfallen bis ins dritte und vierte Geschlecht?«
Das machte Lärm genug in Frankreich, daß man sich nicht mehr um die Pariser Geheimnisse, um die Generalbeichte, um Mauprat, um Monte-Christo, um den Chevalier von Maison-Rouge, um den Frauenkrieg und sogar, wir müssen es gestehen, auch nicht mehr um ihre Verfasser bekümmerte.
Nein, man bekümmerte sich um Ledru-Rollin, um Cavaignac und den Prinzen Louis Napoleon.
Als sich aber die Ruhe ein wenig wiederhergestellt hatte, bemerkte man, daß diese Herren unendlich weniger unterhaltend waren, als Herr Eugène Sue, als Herr Frederic Soulié, als Madame George Sand und sogar als ich, der ich mich in Demuth als den Letzten von Allen setze; da man erkannte, daß ihre Prosa, abgesehen von der von Lamartine, – Ehre dem Ehre gebührt, – nicht so viel werth war, als die der Pariser Geheimnisse, der Generalbeichte, von Mauprat, von Monte-Christo, vom Chevalier von Maison-Rouge und vom Frauenkrieg, so forderte man Herrn von Lamartine, die Weisheit der Nationen, auf, Prosa zu machen unter der Bedingung, daß es keine politische sei, und die anderen Herren, mich eingerechnet, literarische Prosa zu machen.
Wozu wir uns sogleich verstanden, denn, glauben Sie mir, wir hatten nicht nöthig, hierzu aufgefordert zu werden.
Da erschienen die Feuilletons wieder, da verschwanden die Leitartikel, da fuhren dieselben Redner zu sprechen fort, welche vor der Revolution gesprochen hatten, welche nach der Revolution sprachen, welche immer sprechen werden.
Unter allen diesen Rednern war Einer, welcher wenigstens gewöhnlich nicht sprach.
Man wußte ihm Dank hierfür und grüßte ihn, wenn er mit seinem Repräsentantenband vorüberging.
Eines Tags bestieg er die Tribune. Mein Gott! ich möchte Ihnen gern seinen Namen sagen, doch ich habe ihn vergessen.
Eines Tags bestieg er die Tribune. Ah! Sie müssen Eines erfahren: die Kammer war an diesem Tage sehr schlechter Laune.
Paris hatte zu seinem Repräsentanten einen der Männer gewählt, welche Feuilletons machten.
Ich erinnere mich des Namens dieses Mannes ganz wohl.
Er heißt Eugène Sue.
Die Kammer war also sehr mißstimmt, daß man Eugène Sue gewählt, sie hatte ohnehin schon auf ihren Bänken drei bis vier literarische Flecken, die ihr unerträglich waren:
Lamartine, Hugo, Felix Pyat u.s.w.
Dieser Dcputirte, dessen Name mir nicht gegenwärtig ist, bestieg also die Tribune und benutzte geschickt die schlechte Laune der Kammer. Jedermann machte: »St!« Jeder horchte.
Er sagte, das Feuilleton sei Schuld gewesen, daß Ravaillac Heinrich IV. ermordet, daß Ludwig XIII. den Marschall d’Ancre ermordet, daß Ludwig XIV. Fouquet ermordet, daß Damiens Ludwig XV. ermordet, daß Napoleon den Herzog von Enghien ermordet, daß Louvel den Herzog von Berry ermordet, daß Fieschi Louis Philipp ermordet, und daß endlich Herr von Praslin seine Frau ermordet.
Er fügte bei, an allen Ehebrüchen, welche begangen worden, an allen Erpressungen, welche geschehen, an allen Diebstählen, welche man verübe, sei das Feuilleton Schuld.
Man brauche nur das Feuilleton zu unterdrücken oder es zu stempeln: die Welt werde aus der Stelle Halt machen und, statt nach dem Abgrunde fortzuschreiten, gegen das goldene Zeitalter zurückschreiten, welches es unfehlbar früher oder später erreichen müsse, da es eben so viele Schritte rückwärts mache, als es vorwärtsgemacht habe.
Eines Tages rief der General Foy:
»Es gibt ein Echo in Frankreich, wenn man die Worte Ehre und Vaterland ausspricht!«
Ja, es ist wahr, zur Zeit des General Foy gab es dieses Echo, wir haben es gehört, wir, die wir sprechen, und es freut uns sehr, daß wir es gehört haben.
Wie es uns sehr freut, den Kaiser gesehen zu haben, welchen wir seit langer Zeit nicht mehr sahen, und den wir nie mehr sehen werden.
»Wo ist dieses Echo?« wird man uns fragen!
»Welches?«
»Das Echo des General Foy.«
»Es ist, wo die alten Scherze des Dichters Villon sind; vielleicht wird man es eines Tags wiederfinden; hoffen wir!«
So viel ist gewiß, daß es an diesem Tage – nicht am Tage des General Foy – auf der Tribune ein anderes Echo gab.
Es war ein seltsames Echo, es sagte:
»Es ist endlich Zeit, daß wir brandmarken, was Europa bewundert, und daß wir so theuer als möglich das verkaufen, was jede andere Regierung, wenn sie das Glück hätte, es zu besitzen, umsonst geben würde:
»Das Genie.«
Wir müssen bemerken, daß dieses armselige Echo nicht für seine Rechnung sprach, sondern nur die Worte des Redners wiederholte.
Die Kammer machte sich mit wenigen Ausnahmen zum Echo des Echos.
Ach! das war seit fünfunddreißig bis vierzig Jahren die Rolle der Majoritäten. In der Kammer gibt es wie aus dem Theater sehr unglückliche Traditionen.
Da nun die Kammer der Ansicht war, daß an allen Diebstählen, welche verübt werden, an allen Erpressungen, welche geschehen, an allen Ehebrüchen, welche man begeht, das Feuilleton Schuld sei;
Daß, wenn Herr von Praslin seine Frau ermordet;
Daß, wenn Fieschi Louis Philipp ermordet;
Daß, wenn Louvel den Herzog von Berry ermordet;
Daß, wenn Napoleon den Herzog von Enghien ermordet;
Daß, wenn Damiens Ludwig XV. ermordet;
Daß, wenn Ludwig XIV. Fouquet ermordet;
Daß, wenn Ludwig XIII. den Marschall d’Anere ermordet;
Daß, wenn Ravaillac endlich Heinrich IV. ermordet;
Alle diese Morde offenbar die Schuld des Feuillelon seien, selbst ehe es geschaffen worden, so nahm die Majorität den Stempel an.
Der Leser hat vielleicht nicht recht bedacht, was der Stempel ist, und fragt sich, wie der Stempel, das heißt ein Centime auf das Feuilleton, dieses tödten könne?
Lieber Leser, ein Centime aus das Feuilleton, wenn vierzigtausend Exemplare von einem Journal abgezogen werden, das macht, wissen Sie, wie viel? Vierhundert Franken für das einzelne Feuilleton!
Das heißt das Doppelte von dem, was man bezahlt, wenn der Schriftsteller Eugène Sue, Lamartine, Méry, George Sand oder Alexandre Dumas heißt!
Sagen Sie mir aber, zeugt es von einer großen Moralität einer Regierung, wenn sie irgend eine Waare mit einer Abgabe belastet, welche viermal beträchtlicher, als der innere Werth der Waare?
Besonders, wenn diese Waare eine Waare ist, deren Eigenthum: den Geist, man uns streitig macht.
Ein Resultat hiervon ist, daß es kein Journal mehr gibt, welches theuer genug, um Roman-Feuilletons zu kaufen.
Ein Resultat hiervon ist, daß beinahe alle Journale Geschichts-Feuilletons veröffentlichen.
Lieber Leser, was sagen Sie zu den Geschichtsfeuilletons des Constitutionnel?
»Puh!«
Nun! das ist es gerade.
Das wollten die Politiker, damit man nicht mehr von der Literatur spreche.
Abgesehen davon, daß dies das Feuilleton aus einen sehr moralischen Weg treibt!
So hat man zum Beispiel mir, der ich Monte-Christo, die Musketiere, die Königin Margot geschrieben, den Vorschlag gemacht, die Geschichte des Palais-Roval zu schreiben.
Eine in zwei Abtheilungen sehr interessante Geschichte:
Einerseits die Geschichte der Spielhäuser;
Andererseits die Geschichte der Freudenmädchen!
Man hat mir vorgeschlagen, mir, dem vorzugsweise religiösen Menschen:
Die Geschichte der Verbrechen der Päpste!
Man hat mir vorgeschlagen . . ., ich mag nicht Alles sagen, was man mir vorgeschlagen hat.
Das wäre noch nichts, würde man sich darauf beschränken, mir vorzuschlagen, zu machen.
Doch man hat mir vorgeschlagen, nichts mehr zu machen.
So erhielt ich eines Morgens folgenden Brief von Emile von Girardin:2
»Mein lieber Freund,
Ich wünsche, daß Ange Pitou nur noch einen halben Band habe, statt sechs Bände, nur noch zehn Kapitel, statt hundert.
»Richten Sie das ein, wie Sie wollen, und schneiden Sie ab, wenn Sie nicht wollen, daß ich abschneide.«
Ich begriff wahrlich vollkommen, Emile von Girardin hatte meine Denkwürdigkeiten in seinen alten Cartons, er wollte lieber meine Denkwürdigkeiten veröffentlichen, welche keine Stempelgebühren bezahlten, als Ange Pitou, wofür er zu bezahlen hatte.
Er unterdrückte mir auch sechs Romanbände, um zwanzig Bände Denkwürdigkeiten zu drucken.
Und darum, theurer, vielgeliebter Leser, wurde das Wort Ende vor das Ende gesetzt.
Darum wurde Ange Pitou aus die Art von Kaiser Paul, nicht um den Hals, sondern mitten um den Leib erwürgt.
Doch Sie wissen durch die Musketiere, welche Sie zweimal für todt gehalten, während sie zweimal auferstanden, meine Helden erwürgt man nicht so leicht, wie jenen Kaiser.
Mit Ange Pitou ist es nun wie mit den Musketieren. Pilon, der durchaus nicht todt, sondern nur verschwunden war, wird sogleich wiedererscheinen, und ich bitte Sie, in diesen Zeilen der Unruhen und Revolutionen, welche so viele Fackeln entzünden und so viele Kerzen auslöschen, meine Helden nur für gestorben zu halten, wenn Sie einen von meiner Hand unterzeichneten Anzeigebrief empfangen haben werden.
Und auch dann! . . .
II
Die Schenke vom Pont de Sèvres
Will der Leser einen Moment zu unserem Roman Ange Pitou zurückkehren und das Buch öffnend seinen Blick aus das Kapitel, überschrieben: Die Nacht vom 5. auf den 6. October, heften, so wird er dort einige Thatsachen finden, welche sich ins Gedächtniß zurückzurufen für ihn nicht ohne Wichtigkeit ist, ehe er dieses Buch zu lesen beginnt, das sich am 6. desselben Monats eröffnet.
Nachdem wir selbst einige wichtige Zeilen von diesem Kapitel citirt haben, werden wir die Umstände und Ereignisse, welche der Wiederausnahme unserer Erzählung vorhergehen müssen, in so wenig als möglich Worten zusammenfassen.
Diese Zeilen folgen hier:
Um drei Uhr war Alles still in Versailles.
»Durch den Bericht ihrer Huissiers beruhigt, hatte sich selbst die Nationalversammlung zurückgezogen.
»Man hoffte, diese Ruhe würde nicht gestört werden.
»Beinahe bei allen Volksbewegungen, welche die großen Revolutionen vorbereiten, ist eine Zeit des Stillstands, wo man glaubt, Alles sei beendigt, und man könne ruhig schlafen.
Man täuscht sich.
»Hinter den Menschen, welche die ersten Bewegungen machen, sind diejenigen, welche warten, bis die ersten Bewegungen gemacht sind, und bis, ermüdet oder befriedigt, diejenigen, welche diese ersten Bewegungen vollbracht haben, in dem einen oder dem andern Falle nicht mehr weiter gehen wollen und ausruhen.
»Diese unbekannten Menschen, geheimnißvolle Agenten unseliger Leidenschaften, schleichen dann in der Finsterniß, nehmen die Bewegung wieder aus, wo sie verlassen worden ist, und erschrecken, indem sie dieselbe bis zu ihren äußersten Grenzen treiben, bei ihrem Erwachen diejenigen, welche ihnen die Bahn eröffnet und sich aus halbem Wege niedergelegt haben, im Glauben, der ganze Weg sei durchlaufen und das Ziel erreicht.«
Wir haben drei von diesen Menschen in dem Buche genannt, dem wir die hier angeführten paar Zeilen entlehnen.
Man erlaube uns, aus unsere Scene, das heißt vor die Thüre der Schenke vom Pont de Sèvres, eine Person zu führen, die, weil sie noch nicht von uns genannt worden, darum keine geringere Rolle in dieser erschrecklichen Nacht gespielt hatte.
Es war ein Mann von fünf und vierzig bis acht und vierzig Jahren, als Arbeiter gekleidet, das heißt mit einer Sammethose, welche durch eine lederne Schürze mit Taschen geschützt war, wie man sie bei den Hufschmieden und Schlossern sieht. Er trug graue Strümpfe und Schuhe mit messingenen Schnallen und hatte seinen Kopf mit einer Art von Pelzmütze bedeckt, ein Wald von ergrauenden Haaren drang unter dieser Mütze hervor, um sich mit ungeheuren Brauen zu verbinden und aus halbe Rechnung mit diesen große, hervorstehende, lebhafte und verständige Augen zu beschatten, deren Reflexe so rasch, deren Nuancen so wechselnd waren, daß sich schwer bestimmen ließ, ob sie grün oder grau, blau oder schwarz. Das übrige Gesicht bestand aus einer mehr starken, als mittleren Nase, dicken Lippen, weißen Zähnen, und einer sonnverbrannten Haut.
Ohne groß zu sein, war dieser Mann bewunderungswürdig gewachsen, er hatte seine Gelenke, einen kleinen Fuß, und man hätte auch scheu können, daß er eine kleine und sogar zarte Hand besaß, hätten seine Hände nicht die Bronzefärbung der Eisenarbeiter gehabt.
Stieg man aber von dieser Hand zum Ellenbogen auf, und vom Ellenbogen bis zu der Stelle des Armes, wo das zurückgeschlagene Hemd den Anfang einer kräftig gezeichneten Muskel sehen ließ, so konnte man wohl bemerken, daß, trotz der Stärke dieser Muskel, die Haut, weiche sie bedeckte, sein, dünn, beinahe aristokratisch war.
Dieser Mann, der vor der Thüre der Schenke vom Pont de Sèvres stand, hatte in seiner Nähe eine reich mit Gold eingelegte Doppelflinte, auf deren Lauf man den Namen von Leclère, einem Waffenschmiede lesen konnte, welcher bei den Pariser Jägern ein großes Ansehen zu gewinnen anfing.
Man wird uns vielleicht fragen, wie sich ein so schönes Gewehr in den Händen eines einfachen Arbeiters befunden habe: hieraus antworten wir, daß in den Tagen der Aufstände, und wir haben, Gott sei Dank! einige gesehen, die schönsten Waffen sich nicht immer in den weißesten Händen finden.
Unser Mann war vor ungefähr einer halben Stunde von Versailles angekommen und wußte ganz genau, was vorgefallen: denn aus die Frage, die der Wirth an ihn richtete, während er ihn mit einer Flasche bediente, die er noch nicht angegriffen, antwortete er:
Die Königin komme mit dem König und dem Dauphin.
Sie seien ungefähr gegen Mittag abgegangen.
Sie haben sich endlich entschlossen, den Palast der Tuilerien zu bewohnen; es werde daher Paris wahrscheinlich in Zukunft nicht mehr an Brod fehlen, da es den Bäcker, die Bäckerin und den kleinen Bäckerburschen besitzen solle.
Und er warte, um den Zug vorüberkommen zu sehen.
Diese letzte Behauptung konnte wahr sein, und dennoch war leicht zu bemerken, daß sich sein Blick neugieriger gegen Paris, als gegen Versailles wandte, was zum Glauben Anlaß gab, er habe sich nicht für verbunden erachtet, dem Wirthe, der ihn zu fragen sich erlaubt, eine sehr genaue Rechenschaft von seinen Absichten zu geben.
Nach einigen Augenblicken schien indessen seine Erwartung befriedigt zu werden. Ein ungefähr wie er gekleideter Mann, der ein dem seinigen ähnliches Gewerbe zu treiben schien, zeigte sich oben aus der Anhöhe, welche den Horizont der Straße begrenzte.
Dieser Mann ging schwerfällig und wie ein Reisender, der schon einen langen Weg gemacht hat.
Je näher er kam, desto mehr konnte man seine Züge und sein Alter unterscheiden.
Sein Alter mochte das des Unbekannten sein, das heißt, man konnte kühn behaupten, er sei aus der schlimmen Seite der Vierzig, wie die Leute vom Volke sagen.
Was seine Züge betrifft, so waren es die eines Menschen aus dem großen Haufen mit niedrigen Neigungen, mit gemeinen Instincten.
Das Auge des Unbekannten heftete sich neugierig aus ihn mit einem seltsamen Ausdruck, und als wollte er mit einem Blicke ermessen, was man Alles Unreines und Schlechtes aus dem Herzen dieses Menschen ziehen könne.
Als der Arbeiter, der von der Seite von Paris kam, nur noch zwanzig Schritte von demjenigen entfernt war, welcher bei der Thüre wartete, ging dieser hinein, goß den ersten Wein aus der Flasche in eines der zwei aus dem Tische stehenden Gläser, kehrte mit diesem Glase in der Hand vor die Thüre zurück und rief:
»He! Kamerad, das Wetter ist kalt, der Weg ist lang; trinken wir nicht ein Glas Wein, um uns zu stärken und wieder zu erwärmen?«
Der von Paris kommende Arbeiter schaute umher, als wollte er sehen, ob die Einladung wirklich an ihn gerichtet sei.
»Sprechen Sie mit mir?« fragte er.
»Mit wem denn wenn’s beliebt, da Sie allein sind.«
»Und Sie bieten mir ein Glas Wein an?«
»Warum nicht?«
»Ah!«
»Ist man nicht von demselben Handwerk oder von einem ähnlichen?«
Der Arbeiter schaute den Unbekannten zum zweiten Mal an und erwiederte:
»Jedermann kann von demselben Handwerk sein; das wichtigste ist, zu wissen, ob man Gesell oder Meister ist.«
»Nun! das werden wir sogleich erfahren, wenn wir zaudernd ein Glas Wein miteinander trinken.«
»Meinetwegen!« versetzte der Arbeiter. Und er ging auf die Thüre der Schenke zu.
Der Unbekannte zeigte ihm den Tisch und deutete aus das Glas.
Der Arbeiter nahm das Glas, betrachtete den Wein, als ob er ein Mißtrauen gegen denselben gesaßt hätte, welches sogleich verschwand, sobald sich der Unbekannte ein zweites Glas wie das erste bis an den Rand gefüllt hatte.
»Nun!« fragte er, »ist man zu stolz, um mit demjenigen, welchen man einladet, anzustoßen?«
»Bei meiner Treue, nein, im Gegentheil: Aus die Nation!«
Die grauen Augen des Arbeiters hefteten sich einen Moment auf denjenigen, welcher diesen Toast ausgebracht.
Dann sprach er:
»Ei! bei Gott! wohl gesagt, ja: Auf die Nation!l«
Und er leerte den Inhalt seines Glases aus einen Zug.
Wonach er sich die Lippen mit seinem Aermel abwischte.
»Ah! ah!« rief er, »das ist Burgunder!«
»Und vom alten, wie? Man hat mir die Schenke empfohlen, im Vorbeigehen bin ich eingetreten, und ich bereue es nicht. Aber setzen Sie sich doch, Kamerad; es ist noch etwas in der Flasche, und wenn nichts mehr in der Flasche ist, so wird es im Keller etwas geben.«
»Ah!« fragte der Arbeiter, was machen Sie denn da?«
»Sie sehen es, ich komme von Versailles, und ich erwarte den Zug, um ihn nach Paris zu begleiten.«
»Welchen Zug?«
»Ei! den des Königs, der Königin und des Dauphin, welche in Gesellschaft der Damen der Halle und von zwei hundert Mitgliedern der Nationalversammlung, unter dem Schutze der Nationalgarde und von Herrn von Lafayette, nach Paris, zurückkommen.«
»Er hat sich also entschlossen, nach Paris zurückzukehren, der Bürger?«
»Er mußte wohl.«
»Ich habe es vermuthet, diesen Morgen um drei Uhr, als ich nach Paris abging.«
»Ah! ah! Sie sind diesen Morgen um drei Uhr abgegangen, und Sie haben Versailles nur so verlassen, ohne daß Sie neugierig waren, zu erfahren, was dort vorgehen würde?«
»Doch, ich hatte einige Lust, zu erfahren, wie es mit dem Bürger gehen werde, um so mehr, als das, ohne mich zu rühmen, ein Bekannter ist; doch Sie begreifen, die Arbeit vor Allem! Man hat Weib und Kind; man muß Alles dies ernähren, besonders jetzt, da es keine königliche Schmiede mehr geben wird.«
Der Unbekannte ließ die zwei Anspielungen vorübergehen, ohne sie auszunehmen.
»Sie hatten also ein dringendes Geschäft in Paris zu verrichten?« fragte er.
»Bei meiner Treue, ja, wie es scheint, und gut bezahlt,« fügte der Arbeiter bei, indem er ein paar Thaler in seiner Tasche klingen ließ, »obgleich es mir ganz einfach von einem Bedienten bezahlt wurde, was nicht artig ist – und noch von einem deutschen Bedienten, – so daß man nicht einmal ein Bischen mit ihm plaudern konnte.«
»Und Sie hassen das Plaudern nicht?«
»Ei! wenn man nicht schlimm von den Andern spricht, so ist das eine Zerstreuung.«
Die zwei Männer lachten, der Unbekannte, indem er weiße Zähne, der Arbeiter, indem er verdorbene Zähne zeigte.
»Also,« sagte der Unbekannte, wie ein Mensch, der allerdings nur Schritt für Schritt vorrückt, den aber nichts vorzurücken hindern kann, Sie haben also ein dringendes und gut bezahltes Geschäft verrichtet?«
»Ja.«
»Gut bezahlt, weil die Arbeit ohne Zweifel schwierig war?«
»Schwierig? ja.«
»Ein Geheimschloß, wie?«
»Eine unsichtbare Thüre. Stellen Sie sich ein Haus in einem Hause vor, – Jemand, der ein Interesse hätte, sich zu verbergen, nicht wahr? nun, er ist da, und er ist nicht da! Man klingelt: der Bediente öffnet die Thüre: »»Ist der Herr zu Hause?«« »»Nein.«« »»Doch, er muß zu Hause sein.«« »»So suchen Sie!«« Man sucht. Gute Nacht! ich fordere alle Welt heraus, den Herrn zu finden. Eine eiserne Thüre, verstehen Sie, welche aus das Genaueste in das Simswerk hineinpaßt. Man zieht eine Lage von altem Eichenholz über Alles dies, und es ist unmöglich, das Holz vom Eisen zu unterscheiden.«
»Ja, doch wenn man daraus klopft?«
»Bah! eine Lage Holz auf dem Eisen, eine Linie dünn, doch dick genug, daß der Ton überall gleich ist . . . Tak, tak, tak, tak . . . Sehen Sie, als die Sache fertig war, täuschte ich mich selbst.«
»Und wo Teufels haben Sie das gemacht?« »Ah! das ist es.«
»Das wollen Sie nicht sagen?«
»Das kann ich nicht sagen, weil ich es nicht weiß.«
»Man hat Ihnen die Augen verbunden?«
»Ganz richtig! Ich wurde mit einem Wagen bei der Barriere erwartet. Man fragte mich: »»Sind Sie der und der?«« Ich antwortete: »»Ja!«« »»Gut, Sie erwarten wir, steigen Sie ein,«« »»Ich soll einsteigen?«« »»ja.«« Ich stieg ein, man verband mir die Augen, der Wagen rollte ungefähr eine halbe Stunde, dann öffnete sich ein Thor – ein großes Thor; ich stieß an die erste Stufe einer Freitreppe, ich stieg zehn Stufen hinauf, ich trat in ein Vorhaus ein; hier fand ich einen deutschen Bedienten, der zu den Anderen sagte: »»Es ist gut, geht; man braucht Euch nicht mehr.«« Die Anderen entfernten sich. Er nahm mir meine Binde ab und zeigte mir, was ich zu thun hatte. Ich ging als ein guter Arbeiter an’s Geschäft. In einer Stunde war es gethan. Man bezahlte mich in schönen Louis d’or, verband mir die Augen wieder, brachte mich in den Wagen, ließ mich an derselben Stelle aussteigen, wo ich eingestiegen war, wünschte mir eine glückliche Reise, und hier bin ich.«
Der Uebersetzer.