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Die Cabane und die Sennhütte

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Neuntes Kapitel
Die  Märtyrin

Monsieur Coumbes hatte seine Flinte weggeworfen, um Miletten zu Hilfe zu kommen. Als er diese fremde Stimme hörte, glaubte er von einer Legion Banditen bedroht zu sein; aber ein Triumph hatte ihn wieder belebt; er erbebte wie ein Pferd bei dem Tone der Trompete, ergriff seine Waffe wieder und lief zum Fenster, in der Stellung eines Soldaten, der im Begriff. ist, Feuer zu geben. Indessen vergaß er ungeachtet der Aufregung seiner Tapferkeit nicht, daß die Klugheit eine der Tugenden eines Kriegers ist; er wendete einige Vorsicht an, als er das Fenster öffnete und hütete sich wohl, sich hinauszulehnen.

»Was verlangen Sie?« rief er in dem tiefsten Tone, der ihm zu Gebote stand.

»Daß Sie sich auf der Stelle nach Marseille begeben. Mein Bruder ist gerettet, er spricht; er hat schon erklärt, daß Marius nicht ein Mörder sei. Gehen Sie und verlangen Sie eine Confrontation.«

An dem weiblichen Tone dieser Stimme hatte Monsieur Coumbes erkannt, daß es vergebens sei, einen neuen Ausbruch des Heroismus zu zeigen.

»Ei, tausend Kisten Zuckerrohr!« sagte er, zu Milletten zurückkehrend, um sie von dem Körper ihres elenden Mannes, der auf sie gefallen war, frei zu machen, »es handelt sich nicht um Marius, und ich kümmere mich viel um ihn, um Ihren Auftrag und um Ihren Bruder. Was schwatzen Sie mir da vor, während ich eben wie ein wahrer Spartaner gefochten, während mir das Blut bis an den Gürtel geht und die arme Milette alle meine Fürsorge in Anspruch nimmt! Spazieren Sie nach Marseille, wenn es Ihnen gut dünkt, oder vielmehr, kommen Sie, mir zu helfen, denn dieser Schurke ist ebenso schwer, wie er böse war.«

Monsieur Coumbes bedurfte in der That der Hilfe. Sein Nervensystem war so heftig erschüttert, daß, während seine Kniee unter ihm zusammenschlugen, seine gelähmten Arme alle Kraft verloren hatten. Vergebens versuchte er, die schwere Masse zu bewegen, die auf dem Körper der Mutter unseres Marius lastete. Miletten’s Anblick, deren Kopf unter der Brust des Banditen hervorragte, dieses todtenblasse und blutige Gesicht, dieser offene Mund, diese halb offenen Augen, die Unmöglichkeit, worin er sich befand, ihr zu Hilfe zu kommen, erregten abwechselnd Anfälle von Verzweiflung und Wuth bei ihm. Er richtete an die arme Frau die ersten Worte der Zärtlichkeit, die er zu ihr gesprochen, seitdem er sie gekannt, während er in wilde Verwünschungen über ihren Henker ausbrach, ihr Schicksal in wahrhaft pathetischen Ausdrücken beklagte, und, trunken von Wuth, die Leiche des Mörders mit Fußstößen überhäufte.

Die Antwort des Monsieur Coumbes, das Geschrei, das Schluchzen, die dumpfen Schläge, die aus dem Zimmer kamen, versetzten Madeleine – sie war es, die den Besitzer der Cabane gerufen hatte – in eine seltsame Verwirrung. Dieser hatte an dem Tage und in der Nacht einen so erbitterten Kampf mit den kleinen Vögeln geführt, so daß der Schuß, den das junge Mädchen gehört, als sie in den Garten eingetreten, sie nicht in Erstaunen gesetzt; aber bei den seltsamen Worten, die ihr Nachbar an sie gerichtet, bei dem unheimlichen Geräusch, welches sie vernahm, vermuthete sie, daß irgend ein Unglück geschehen sei: die dachte, entweder sei Monsieur Coumbes wahnsinnig geworden, oder es sei eine neue Katastrophe eingetreten.

Sie rief um Hilfe und versuchte auf jede Gefahr die Thüre zu öffnen. Aber wie wir gesagt haben, kannte Pierre Manas ein Geschäft zu gut, um die Thüre nicht hinter sich geschlossen zu haben.

»Wenn Sie wollen, daß ich zu Ihnen komme, so müssen Sie mir öffnen. Oeffnen Sie mir, Monsieur Coumbes« rief Madeleine, die ihre Finger vergebens schmerzhaft anstrengte, um das Schloß zu erschüttern.

»Ich habe nicht Zeit,« antwortete Monsieur Coumbes; »zerbrechen Sie, zerschmettern Sie diese Thüre, wenn sie nicht aufgehen will; ich habe die Mittel, sie wieder herzustellen. Was liegt mir an einer Thüre, was liegt mir an Allem, wenn nur meine arme Milette lebt – ach mein Gott! ach mein Gott!«

Und mit krampfhaft zitternden Händen versuchte Monsieur Coumbes von Neuem, die Last wegzunehmen, die auf dem leblosen Körper seiner Freundin lag.

Indessen hatte man in der Sennhütte die Stimme der Mademoiselle Riouffe gehört. Man machte in der Umgegend Lärm, man lief herbei und drang auf den Schauplatz dieser blutigen Scene.

Madeleine, die zuerst eingetreten war, wich vor Schrecken zurück bei dem Anblick dieser beiden Leichen; als sie aber Milette erkannte, wußte sie bei der Energie, die sie besaß, ihre Gemüthsbewegung und ihr Entsetzen zu beherrschen und half die Mutter ihres Geliebten auf das Bett des Monsieur Coumbes legen. Dieser schien gänzlich den Verstand verloren zu haben; er nahm die erstarrten Hände Milettens zwischen die einigen und rief mit kläglicher Stimme:

»Einen Arzt! einen Arzt! O! ich bin nur ein Packträger, aber ich kann ihn bezahlen wie ein Kaufmann.«

Madeleine legte ihre Finger auf Milettens Brust, und an dem matten Schlage des Herzens fühlte sie, daß das Lebensprinzip noch nicht völlig bei ihr erloschen war.

In der That öffnete einige Minuten später die Verwundete die Augen wieder.

Das erste Wort, welches sie aussprach, war der Name ihres Sohnes. Als Madeleine ihn hörte, brach sie in Schluchzen aus, neigte sich über das Bett, umfaßte die arme Frau mit ihren Armen, drückte sie an ihr Herz und rief:

»Er ist gerettet! leben Sie, leben Sie, meine Mutter, um unser Glück zu theilen!«

Milette schob sanft das junge Mädchen zurück und betrachtete sie einige Augenblicke mit einer Rührung, welche Alles, was in ihrer Seele vorging, zu erkennen gab. Dann rollten zwei Thränen still über ihre blassen Wangen nieder.

»Sie lieben ihn,« sagte sie, »dann kann ich sterben. Er ist es nicht, der Ihren Bruder ermordet hat. Dort liegt der Mörder! Bezeugen Sie es, wenn es nöthig ist. Bereit vor Gott zu erscheinen, beschwöre ich es.«

Und mit einer mühsamen Anstrengung deutete sie auf Pierre Mamas, dessen Leiche man aufhob.

»Es ist unnöthig, meine Mutter,« versetzte Madeleine, »seine Unschuld bedarf Ihres Zeugnisses nicht; als mein Bruder zum Bewußtsein kam, erklärte er sogleich, daß Marius nicht der Schuldige sei.«

Milette erhob die Augen zum Himmel, faltete ihre Hände, und die Bewegung ihrer Lippen und der Ausdruck ihres Blickes deutete an, daß sie Gott danke.

»O Herr!« sagte sie zum Schluß, »erweise mir die Gnade, daß er es sei, der mir die Augen schließt.«

»Denken Sie nicht daran, meine Mutter! Sie werden nicht sterben, Sie werden leben, um glücklich zu sein durch unser Glück.«

»Ja, sie lebe,« fiel Monsieur Coumbes ein, dessen Stimme von Thränen unterbrochen wurde; »und sollte es mir die Augen aus meinem Kopfe kosten, so will ich doch, daß sie lebe. Du wirst leben, meine arme Milette, wie es diese gute Demoiselle sagt, die beträchtlich besser ist, als ihre ganze übrige Familie, Du wirst leben, um glücklich zu sein. Siehst Du,« fügte er hinzu, indem er sich bückte und seinen Mund dem Ohr der Verwundeten näherte, »jetzt, da wir von diesem Bösewicht befreit sind, kann ich Dich heirathen, werde ich Dich heirathen; ich gebe Deinem Sohne meinen Namen und Du sollst Alles haben – nein, die Hälfte von Allem, was ich besitze; und obgleich ich immer dieselbe Levite trage,« fügte er so leise hinzu, daß nur die es hörte, an die er sich wendete, »bin ich reich, reicher vielleicht,« fügte er mit einer gewissen Bitterkeit hinzu, »als diese Leute, welche die Erde des guten Gottes durchwühlen, um einen Haufen wohlriechender Pflanzen hervorzutreiben. Dort in der Tiefe jenes Secretairs, den der Bösewicht ausplündern wollte, als Du Dich so tapfer auf ihn warfest, befinden sich sechzigtausend Franken in Gold; und das ist noch nicht. Alles! da sind die Renten, da ist das Haus in Marseille und die Cabane. Dies Alles sollst Du mit mir theilen! und Du siehst wohl, daß Du nicht sterben darfst.«

Auf diesen Beweggrund, dessen Wirksamkeit Monsieur Coumbes nicht bezweifelte, antwortete Milette mit traurigem Lächeln.

Die Reichthümer des Monsieur Coumbes waren sehr unbedeutend gegen den ewigen Glanz, dessen Schimmer der Himmel ihr bereits zeigte. Indessen näherte sie ihre Lippen dem Gesichte des guten Mannes und drückte einen zugleich keuschen und zärtlichen Kuß auf eine Stirn; dann wendete sie sich zu Madeleine.

»Sein Sie tausendmal gesegnet,« sagte sie zu ihr, »für Ihre Liebe zu ihm! Um einen letzten Trost bitte ich Sie, versuchen Sie, daß ich ihn noch einmal umarme!«

Madeleine nickte mit dem Kopfe und verließ das Zimmer.

Der Polizeicommissarius war angekommen; er erwartete Madeleinen’s Ankunft, um die Aussagen Miletten’s und des Monsieur Coumbes über die Ereignisse der Nacht zu hören. Madeleine führte ihn in die Sennhütte zu ihrem Bruder.

Das Messer des Pierre Manas hatte Monsieur Jean Riouffe in die Brust getroffen und war in der Nähe des Herzens in die Brusthöhle eingedrungen, die Wunde war gefährlich aber nicht tödtlich. Die Waffe, die mit dem wesentlichsten Lebensorgan in Berührung gekommen war, hatte eine starke Blutung hervorgebracht und jene lange Ohnmacht herbeigeführt, die den Verwundeten länger als dreißig Stunden der Empfindung beraubt hatte.

Er wiederholte dem Beamten, was er schon seiner Schwester gesagt hatte, und das Signalement, welches er von seinem Mörder angab und welches vollkommen mit dem des Mörders übereinstimmte, begann diese unheilvolle Geschichte aufzuklären. Er gab Madeleine einige Zeilen an den Instructionsrichter, um diesen zu bitten, in Folge des Wunsches der Sterbenden die wenigstens vorläufige Freilassung unseres Marius anzuordnen.

Milette wurde indessen jeden Augenblick schwächer.

Sie machte übermenschliche Anstrengungen, dem Beamten Auskunft über das zu geben, was zwischen ihr und ihrem Manne vorgegangen; es gelang ihr, aber diese Anstrengungen erschöpften die vollends. Man hatte die Wunde erweitert; die Zusammenziehung der Muskeln, als sie Pierre Mamas festgehalten, um dem Monsieur Coumbes Zeit zu lassen, sich in Vertheidigungsstand zu setzen, hatte eine beträchtliche innere Blutergießung herbeigeführt; das Athmen wurde schwieriger und das Geräusch lauter. Ein röthlicher Schaum zeigte sich auf ihren Lippen bei jedem krampfhaften Schluchzen, welches ihr der Schmerz auspreßte; der bläuliche Kreis um ihre Augen erweiterte sich; die Augen selbst wurden gläsern; eisige Schweißtropfen perlten vor ihrer Stirn und ihre sonst so weiße und atlasartige Haut erschien runzelig.

 

Das traurige Schauspiel dieser Todesqual hatte dem Monsieur Coumbes vollends den Kopf verdreht. Es schien, als erkenne er erst in dem Augenblick, wo er diese Gefährtin verlieren sollte, den ganzen Werth des Schatzes, den er seit zwanzig Jahren so schmachvoll verkannt hatte, und als wollte er seine undankbare Gleichgültigkeit wieder gut machen. Seine Verzweiflung zeigte sich in einer Art von Wuth; er wollte nicht zugeben, daß ein Geldopfer ihm Milette nicht erhalten könne, und ein Schmerz, noch immer prahlerisch, übertrieb, was er zu thun geneigt sei. Er mißhandelte den Arzt; er störte die letzten Augenblicke der Sterbenden; man mußte ihn von ihr entfernen.

Milette dagegen behielt ihr volles Bewußtsein und ihre Ruhe. Als der Priester dem Heilkünstler folgte, hörte sie die Ermahnungen desselben mit der Sammlung des aufrichtigen Glaubens an. Ungeachtet ihres religiösen Eifers erschien sie indessen von Zeit zu Zeit unruhig; sie erhob mit Anstrengung ihren Kopf von dem Kissen; sie horchte aufmerksam; ihre Lippen zeigten ein Lächeln; ein matter Schein erhellte ihre Augen, die sie zum Himmel erhob, und als sie bemerkte, daß es noch nicht der war, den sie erwartete, murmelte sie:

»Mein Gott! mein Gott! Dein Wille geschehe!«

Bald schien ihr letzter Augenblick zu kommen; ihre Augen wurden starr; man erkannte nur noch, daß sie lebte, an dem Beben ihrer Lippen, deren Schaum sich mehr und mehr entfärbte. Sie hatte ihr Blut verloren; sie war im Begriff zu sterben.

Plötzlich, und in dem Augenblick, als der Arzt den letzten Pulsschlag suchte, richtete sie sich mit einer Plötzlichkeit im Bette empor, so daß alle Umstehenden erschraken. Dann hörte man das Geräusch eines Fußtrittes, welcher hastig die Treppe heraufkam; dieser Fußtritt hatte auf wunderbare Weise den Faden, der im Begriff war, zu zerreißen und woran dieses Dasein hing, wieder angeknüpft.

»Er ist es! – Dank, Dank, mein Gott!« rief Milette deutlich.

In der That erschien die verstörte Gestalt unseres Marius in der Thüre; aber ehe er, so rasch eine Bewegung war, die Schwelle dieser Thüre überschritten hatte, waren die Arme, welche die arme Frau nach ihm ausgestreckt hatte, schwer auf das Bett zurückgefallen. Sie hatte einen matten Seufzer ausgestoßen und der junge Mann warf sich mit tiefem Schmerze auf die Leiche seiner Mutter.

Gott hatte ohne Zweifel diesem bescheidenen und verdienstvollen Wesen andere Tröstungen vorbehalten, da er ihr die verweigerte, noch einmal auf ihren Lippen die ihres Sohnes zu fühlen.

Zehntes Kapitel
Schluß

Da sein Vater der Gesellschaft nicht mehr eine Schuld zu zahlen hatte, trug Marius kein Bedenken, die Umstände mitzutheilen, die ihn dahin geführt, die Verantwortlichkeit für eins der letzten Verbrechen des Pierre Manas zu übernehmen. Die Erklärungen Milettens und die Versicherungen des Monsieur Jean Riouffe bestätigten seinen Bericht. Seine vorläufige Freilassung wurde für endgültig erklärt.

So groß seine Liebe zu Madeleine war, so auffallend die Beweise der Zärtlichkeit gewesen waren, die er von dieser erhalten hatte, so schwieg er doch, als sie ihn an den Plan ihrer Verbindung erinnerte, den sie bei ihrer ersten Wanderung auf den Hügeln verabredet hatten.

Der Adel seiner Gesinnungen und seine übertriebene Delicatesse empörten sich für das junge Mädchen wegen der Schmach, die sein Vater ihnen in der Welt bereiten würde. Er empfand einen unüberwindlichen Widerwillen, seiner Geliebten einen Namen zu geben, dem der Makel des Galeeren-Gefängnisses anhaftete.

Indessen wurden die Andeutungen der Mademoiselle Riouffe immer bestimmter, und Jean, von seiner Wunde geheilt, und überzeugt, daß das Glück einer Schwester von dieser Verbindung abhängig sei, machte Marius den bestimmten Antrag. Miletten’s Sohn blieb nachdenkend und bat um einige Tage Bedenkzeit.

Dieser Aufschub sollte in der That nur dazu dienen, ihn zu einem Opfer zu befähigen, welches er als eine Pflicht betrachtete. Er war entschlossen, sich zu entfernen; er rechnete auf die Zeit und die Abwesenheit, die Wunde in Madeleinen’s Herzen zu heilen; an seine eigene wollte er nicht denken. Am Abend vorher, als er Monsieur Riouffe eine Antwort geben sollte, und als er glaubte, daß Monsieur Coumbes eingeschlafen sei, lud er den Sack, der seine geringen Habseligkeiten enthielt, auf seine Schultern, nahm einen Wanderstab und machte sich auf den Weg, ohne zu wagen einen Blick auf diese Sennhütte zu werfen, wo er Alles zurückließ, was er auf der Welt liebte und verehrte.

Als er eine halbe Viertelmeile zurückgelegt hatte, glaubte er einen verstohlenen Fußtritt, unter welchem der Sand leicht krachte, und das Geräusch eines menschlichen Athemzuges hinter sich zu hören. Er wendete sich rasch um und erblickte Madeleine, die ihm Schritt für Schritt folgte.

»Du! Du, Madeleine!« rief er.

»Nun, ohne Zweifel, Undankbarer!« entgegnete diese; »ich wenigstens habe nicht vergessen, daß wir geschworen, daß nichts in der Welt uns verhindern sollte, einander anzugehören. Du reisest ab, und ist da nicht die Stelle Deiner Frau an Deiner Seite?«

Vierzehn Tage später traute der Priester, der die letzten Seufzer Milettens empfangen hatte, die beiden jungen Leute in der kleinen Kirche zu Bonneveine.

Monsieur Coumbes zeigte bei dieser Gelegenheit eine unvergleichliche Großmuth; er wollte Marius adoptieren und ihn ausstatten. Der junge Mann nahm es nicht an, und nach der Hochzeit reiste er und seine junge Gattin nach Triest ab, wo sie ein Handlungshaus gründeten, welches mit dem in Verbindung stand, das Monsieur Jean Riouffe in Marseille leitete.

Der Besitzer der Cabane war lange Zeit untröstlich wegen des Todes Miletten’s; aber es fehlte ihm nicht an Tröstungen.

Marius und seine Frau hatten nicht gewollt, daß die Sennhütte verkauft werden sollte; sie hatten sie dem Monsieur Coumbes überlassen, der es übernahm, sie zu erhalten, sich aber wohl hütete, es zu thun, denn nach einiger Zeit, wie er es gewünscht, überwucherten die Dornen, die Disteln und das wilde Unkraut den hübschen Garten Madeleinens mit einer tropischen Vegetation. Monsieur Coumbes stieg gern auf die Leiter, vermöge welcher Marius sich zu einer Geliebten begeben hatte, um diese Wildniß zu überblicken, den Fortschritten zu folgen, welche die Vernachlässigung an dem Gesträuche hervorbrachte, und die Spuren zu zählen, die jeder Nordwestwind an der hübschen Sennhütte zurückließ. Er fand in dieser Bestätigung eines Triumphes die Vergessenheit des Kummers, der die letzten Jahre seines Lebens vergiftet hatte, und nach einer guten Sitzung vor diesem Schauspiele erschien ihm, wenn er in seine Wohnung zurückkehrte, die Einsamkeit weniger bitter.

Seine Katastrophe hatte noch andere Entschädigungen: sie hatte den Ruf der Tapferkeit, wonach Monsieur Coumbes gestrebt, auf solide Weise wieder hergestellt. In Montredon erzählten die Väter ihren Kindern seine Heldenthaten; sie bildeten den Text aller Abenderzählungen.

Während der ersten Jahre machte Monsieur Coumbes Alles erbeben, was ihn an die erinnerte, die ihm so demüthig ergeben gewesen; aber nach und nach schmeichelten die Complimente, die man seiner Handlungsweise zollte, seiner Eigenliebe so angenehm, daß dieses letzte Gefühl sein Bedauern und seine Gewissensbisse zugleich erstickte; und bald befand sich seine Eitelkeit so gut dabei, daß er, weit entfernt, die Unterredungen zu fürchten, die sich auf den Tod des Pierre Manas bezogen, vielmehr dazu aufforderte. Freilich hatte die Uebertreibung des Gerüchts es übernommen, seine erhabenen Heldenthaten in sehr anziehenden Verhältnissen darzustellen.

Der Bandit wurde in fünf entsetzliche Straßenräuber verwandelt, wovon Monsieur Coumbes die Hälfte getödtet hatte, während die andere Hälfte die Flucht nahm.

Monsieur Coumbes ließ die Leute reden. Auf die Bewunderung, die er in den Blicken der Zuhörer las, antwortete er:

»Ei, mein Gott! es ist nicht so schwer, wie es scheint, mit ein wenig Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit – wie sollte ich einen Mann verfehlen, ich, der ich mit einem Schrotkorn in das Auge eines Sperlings treffe, eben so zierlich, als hätte man es mit der Hand hineingeworfen.«

Kurz, die vorherrschende Leidenschaft des Monsieur Coumbes begnügte sich mit Allem, was von der armen Milette auf der Erde übrig blieb, nämlich mit der Erinnerung an sie.

Nach und nach wurden seine Besuche auf dem Kirchhofe von Bonneveine, dem die Ueberreste Miletten’s anvertraut waren, weniger häufig; bald hörte er ganz auf dorthin zu gehen, und das Gras wuchs eben so üppig auf dem Erdhügel, der sie bedeckte, wie in dem Garten der Sennhütte.

Er vergaß sie so vollständig, daß man, als er mit jener Wahl der rechten Zeit, die den Egoisten eigen ist, vierzehn Tage vor der Eröffnung des Kanals der Durance, der die Einsamkeit von Montredon mit Gärten bevölkert und wieder Unruhe in sein Leben gebracht haben würde, starb, in seinem Testamente kein Wort fand, welches bewies, daß er sich noch an Marius oder an dessen Mutter erinnerte.

Es giebt keine kleine Leidenschaften, aber es giebt kleine Herzen.

– Ende -
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Druck von C. Schumann in Schneeberg