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Der Schiffs-Capitain

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VII

Wiewohl unsere Leser leicht nach Dem, was wir erzählt haben, Dasjenige begreifen können, was während den sechs Monaten vorging, in denen wir unsern Helden aus dem Gesichte verloren; so halten wir doch noch einige Erklärungen zum vollkommnen Verständnisse der künftigen Ereignisse nothwendig. Abends nach der Seeschlacht, die wir trotz unsrer Unwissenheit, unsern Lesern anschaulich zu machen versuchten, hatte Lusignan dem Kapitän Paul die Geschichte seines ganzen Lebens erzählt: sie war einfach und nichts weniger als abentheuerlich; Liebe war das Hauptereigniß desselben gewesen, und nachdem sie eine ganze Freude ausgemacht hatte, war sie nun ein ganzer Schmerz. Pauls freie und wagende Existenz, seine von allen Anmaßungen entfernte Stellung, ein über alle Gesetze erhabener Eigensinn, seine königsthümlichen Gewohnheiten am Bord, halten ihn über das Recht der Natur zu gerechte Gesinnungen eingeflößt, als daß er hinsichtlich Lusignans die ihm ertheilte Ordre hätte befolgen sollen. Uebrigens, ob er gleich unter französischer Flagge vor Anker ging, wie wir gesehen haben, gehörte er gleichwohl zur amerikanischen Marine, deren Sache er mit Enthusiasmus sich geeignet hatte. Er setzte seinen Kreuzzug im Canale fort; da er aber auf dem Oceane Nichts zu thun fand, landete er in White-Haven, einem kleinen Hafen der Grafschaft Cumberland, an der Spitze von etwa zwanzig Mann, unter denen Lusignan war, bemächtigte sich der Festung, vernagelte die Kanonen und ging nicht eher wieder unter Segel, bis er die Kauffahrteischiffe verbrannt hatte, die auf der Rhede lagen. Von da schiffte er zu den schottischen Küsten mit der Absicht, den Grafen von Selkirk als Geißel in die vereinigten Staaten zu bringen; aber dieser Plan scheiterte an dem unvorherzusehenden Umstande, daß dieser in London war. Bei allen diesen Unternehmungen unterstützte ihn Lusignan mit seinem Muthe, den er in dem Kampfe der Indianerin mit dem Drako gezeigt hatte, so daß Paul sich mehr als einmal Glück wünschte, sich zufällig gegen eine Ungerechtigkeit gesetzt zu haben. Allein es war nicht genug, Lusignan von der Deportation gerettet zu haben: er mußte ihm eine Ehre wiedergeben, und für unsern jungen Abentheurer, in welchem unsere Leser ohne Zweifel den berühmten Corsaren Paul Jones erkannt haben werden, war das eine leichtere Sache, als für jeden Andern; denn da er Kaperbriefe von dem Könige Louis XVI. gegen die Engländer erhalten hatte, so durfte er nach Versailles zurückkehren, Bericht von einem Kreuzzuge abzustatten.

Paul wählte den Hafen von Lorient, ging dort zum zweiten Male vor Anker, um dem Schlosse d'Auray näher zu sein. Die erste Antwort, welche die jungen Leute auf ihre Fragen erhielten, als sie ankamen, war die Nachricht von Margarethe's Vermählung mit dem Barone Lectour. Lusignan hielt sich für vergessen und wollte im ersten Anfalle der Verzweiflung, auf die Gefahr hin, in die Hände seiner Verfolger zu fallen, Margarethen wiedersehen, um ihr ihre Untreue vorzuwerfen; aber der ruhige, weniger leichtgläubige Paul ließ sich sein Wort geben, daß er nicht eher ans Land gehen wollte, bis er es ihm gestatte. Als er sich nun versichert hatte, daß die Heirath unter vierzehn Tagen nicht. Statt finden könne, ging er nach Paris, wo ihn der König vor sich ließ und ihm einen goldnen Degen nebst dem militairischen Verdienstorden gab. Dieses Wohlwollen hatte er benutzt, dem Könige Lusignans Abentheuer zu erzählen, und nicht nur seine Verzeihung, sondern wegen der geleisteten Dienste, den Titel eines Gouverneurs von Gouadeloupe von ihm erhalten. Dieser Beschäftigungen ungeachtet, hatte er doch Manuel stets im Auge behalten. Da er ihn in Paris wußte, ließ er Lusignan sagen, seine Rückkehr zu erwarten, und war eine Stunde nach dem Grafen nach d’Auray gekommen. Wir haben gesehen, wie er wegen Margarethen hinter die Wahrheit kam, und zu Lusignan, den er geschrieben hatte, ihn in der Fischerhütte zu erwarten, zurück kehrte. Dort blieben sie beisammen, bis es Nacht ward; dann begab sich Paul, der, wie er zu Manuel gesagt eine mündliche Entdeckung zu erwarten hatte, zu Fuße auf den Weg von Auray. Diesmal ging er nicht ins Schloß, sondern längst der Mauer des Parks hin; er richtete einen Gang zu einem Eisengitter, welches am Eingange war und in ein Gehölz führte, daß zu der Besitzung von Auray gehörte.

Allein fast eine Stunde eher, als Paul die Fischerhütte verließ, war ihm eine andere Person bei Demjenigen zuvor gekommen, von dem er die Entdeckung seiner Geburt fordern wollte, und diese war – die Marquise d’Auray, die stolze Erbin des Hauses Sablé, deren bleiches, strenges Gesicht wir schon einmal gesehen haben. Sie war in ihrer schwarzen Tracht; nur hatte sie einen langen Trauerschleier übergeworfen, der sie vom Kopfe bis zum Fuße einhüllte. Ihr war das Haus, welches der wackere Kapitän aufsuchte, sehr bekannt; es war eine Art Wächterhaus, einige Schritte vom Eingange des Parkes entfernt und von einem Greise bewohnt, an dem die Marquise seit zwanzig Jahren eine so werkthätige und beständige Barmherzigkeit übte, daß sie ihr in einem Theile der Niederbretagne den Ruf der strengsten Heiligkeit zugezogen hatte. Zwar ward diese Sorgfalt für das Alter, mit einem eben so finstern und feierlichen Gesichte geleistet, wie wir es an ihr schon gesehen haben, und nie war es von den sanften Regungen des Mitleids erhellt; aber sie ward doch geleistet und, wie Jedermann wußte, mit einer Pünktlichkeit, welche die Stelle der Anmuth vertrat.

Noch ernster war das Gesicht der Marquise von Auray wie gewöhnlich, als sie jetzt langsam durch den Park ihres Schlosses ging, um sich in das kleine Wächterhaus zu begeben, wo ein alter Diener ihrer Familie wohnte. Die Thür desselben stand offen, um die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die so sanft im Maimond, und so erwärmend für Alte ist, hineinzulassen. Aber es war leer. Die Marquise trat ein, blickte umher, als wäre sie gewiß, das der den sie suchte, nicht lange wegbleiben könne, und beschloß zu warten. Sie setzte sich, aber außer dem Bereich der Sonnenstrahlen, wie eine Bildsäule, die auf Gräbern ist, und die nur im Leichenschatten der Gruftgewölbe an ihrem Platze steht. So saß sie etwa eine halbe Stunde unbeweglich, und in ihren Betrachtungen versunken, als sie im Schatten des Zwielichts, Jemand auf der Schwelle erblickte; sie schlug die Augen auf und sah sich dem gegenüber, den sie erwartete. Beide erbebten, als begegneten sie einander von ohngefähr, und hätten nicht die Gewohnheit sich alle Tage zu sehen.

»Ihr seid's, Achard!« sagte die Dame, das Schweigen zuerst brechend, »ich habe eine halbe Stunde auf euch gewartet; wo ward ihr denn?«

»Wenn die Frau Marquise sich fünfzig Schritt weiter bemühten, würden sie mich unter der großen Eiche am Saum des Gehölzes gefunden haben.«

»Ihr wißt,« sagte sie mit sichtbarem Schauder, »das ich nie auf diese Seite gehe!«

»Sie thun Unrecht, gnädige Frau; es ist Jemand im Himmel, der ein Recht hat auf unsere Gebete, und sich vielleicht wundert, nur den alten Achard dort zu sehen!«

»Wer sagt euch, daß ich nicht meinerseits auch bete?« sagte sie mit fieberhafter Aufregung, »glaubt Ihr, daß die Todten verlangen, daß man unaufhörlich auf ihren Gräbern knien soll?«

»Nein!« antwortete der Greis mit tiefer Betrübniß, »ich halte sie nicht für so anmaßend; aber ich glaube, daß wenn noch etwas der Unteren unter der Erde lebt, dieses Etwas erbebt, bei dem Geräusch der Schritte dessen, den es auf Erden geliebt hat!«

»Aber!« – sprach sie leise mit hohler Stimme, »wenn es eine strafbare Liebe war!«

»So strafbar sie auch gewesen sein mag,« versetzte der Greis eben so leise, »denken sie nicht, das Blut und Thränen sie gebüßt haben! Damals war Gott ein zu strenger Richter, um nicht nun ein nachsichtsvoller Vater zu sein!«

»Ja!« murmelte sie, »vielleicht hat Gott vergeben, wenn aber die Welt wüßte, was Gott weiß, würden sie vergeben wie Gott? – «

»Die Welt!« rief der Greis, »die Welt! ja! da sagen sie ein großes Wort! – die Welt! – das ist das Gespenst, dem sie alles aufgeopfert haben, gnädige Frau! das Gefühl der Liebenden, der Gattin, der Mutter! Eignes und fremdes Glück! . . . die Welt, ja die Furcht für sie, hat sie mit diesem Trauergewande bekleidet, hinter dem sie ihre Gewissensbisse zu verbergen hoffen! und sie hatten Recht, es gelang ihnen, sie zu täuschen, und sie hat diese für Tugenden gehalten!«

Die Marquise erhob unruhig das Haupt, und warf den Schleier zurück, den anzusehen, der so sonderbar mit ihr sprach, dann, als sie in dem ruhigen Gesicht des Greises nichts absonderliches hatte entdecken können, sagte sie nach einer Pause; »Ihr sprecht in einer Bitterkeit mit mir, daß man denken sollte, ihr hättet mir persönlich etwas vorzuwerfen! Habe ich meine Versprechungen nicht gehalten? haben die Leute, von denen ich euch bedienen lasse, nicht den Gehorsam und die Ehrfurcht vor euch, die ich ihnen empfahl? Wenn dem nicht so ist, so bedarf es blos eines Wortes.«

»Vergeben sie mir, gnädige Frau, es ist Betrübniß, nicht Bitterkeit, und das bewirkt das einsame Alter. Sie müssen ja den Kummer kennen, den man Niemand mittheilen kann, und was Thränen sind, die nicht fließen dürfen, und tropfenweise ins Herz zurückfallen. Nein! ich habe mich über Niemand zu beklagen, gnädige Frau. Seitdem sie sich durch Gesinnungen, die ich ihnen danke, ohne daß ich sie zu ergründen strebe, veranlaßt gefunden haben, selbst darüber zu wachen, daß mir nichts abgeht, haben sie keinen einzigen Tag ihr Versprechen unerfüllt gelassen, und oft wie zu dem alten Propheten, ist ein Engel zu mir gesendet worden als Bote.«

»Ja!« antwortete sie, »ich weiß, daß Margarethe oft den Bedienten, der zu eurem Dienste bestimmt ist begleitet, und sehe mit Vergnügen, was sie für Sorge und für Freundschaft zu euch hat!«

»Aber auch ich habe meinerseits nie verfehlt meine Versprechungen zu halten, hoffe ich. Seit zwanzig Jahren lebe ich fern von den Menschen, entfernte jedes lebende Wesen von diesem Hause, so sehr befürchtete ich wegen Euch, meine Reden im Schlafe, meine Unbescheidenheit in der Nacht!«

 

»Ja, ja!« sagte die Marquise, und legte ihre Hand auf Achards Arm, »glücklich ist das Geheimniß bewahrt worden; aber für mich ist das ein Grund mehr, um die Frucht von zwanzig Jahren nicht zu verlieren, die finster, schrecklicher, einsamer für mich waren als für Euch!«

»Ja, ich verstehe; sie haben mehr als einmal gezittert, wenn sie dachten, es könne einen Menschen in der Welt geben, der mich eines Tages nach diesen Geheimniß fragen könnte, und ein Recht hätte, alles zu erfahren. Hm! schon bei diesem Gedanken schaudern sie? nicht wahr? – Sein sie ruhig, dieser Mensch hat sich, als er noch ein Kind war, aus dem Collegium in Schottland, wo wir ihn erziehen ließen, geflüchtet, und seit zehn Jahren weiß Niemand etwas mehr von ihm; der arme Vereinzelte, das der Dunkelheit geweihte Kind, ist seinem Schicksale entgegengegangen, und hat sich in der weiten Welt dergestalt verloren, daß man nicht weiß wo er hingekommen ist, verloren, der Namenlose unter den Millionen von Gebornen, die da leiden und sterben auf unserem Globus! Er wird den Brief seines Vaters verloren haben, wie das Zeichen, mit dessen Hilfe er erkannt werden sollte; oder, noch besser, vielleicht existiert er gar nicht mehr!«

»Ihr seid grausam, Achard, solche Dinge einer Mutter zu sagen; ihr wißt nicht, was eines Weibes Herz für wunderliche Geheimnisse, für sonderbare Widersprüche enthält! Kann ich denn nicht ruhig sein, wenn mein Kind auch nicht todt ist? Laßt sehen, alter Freund! ist denn das Geheimnis, das er fünfundzwanzig Jahre nicht gekannt hat, zu einer Existenz so nothwendig, daß er ohne diese Entdeckung nicht leben kann? glaubt mir, Achard, für ihn selbst ists besser, es wie bisher nicht zu kennen. Alter! bringe keine Abänderung in seine Existenz! gieb ihm keine Gedanken ins Herz, die ihn zu einer bösen That treiben könnten. Nein! sag ihm, statt Dessen, was du ihm zu sagen hat: daß seine Mutter zu seinem Vater in den Himmel ging, und wollte Gott, daß es so wäre! aber daß sie sterbend – denn ich will ihn sehen, was du auch sagt, um ihn einen Augenblick an mein Herz zu drücken! – daß sie sterbend, sage ich, ihm ihrer Freundin, der Marquise d'Auray, vermacht habe, in der er eine zweite Mutter finden würde!«

»Ich verstehe sie, gnädige Frau,« lächelte Achard. »Nicht zum ersten Male öffnen sie mir diesen Ausweg, zu dem sie mich verleiten wollen. Nur daß sie sich heute freimüthiger aussprechen, und wenn sie es wagen dürften, und mich weniger kennten; so böten sie mir wohl gar eine Belohnung an, um mich zu dem Entschlusse zu bringen, den letzten Willen Dessen zu verrathen, der so nahe bei uns schläft.«

Die Marquise wollte ihn unterbrechen.

»Hören sie mich, gnädige Frau,« fuhr der Greis fort, die Hand ausstreckend, »und bewahren sie es in ihrem Geiste als eine unwiderruflich heilige Sache. So treu, als ich meinem, ihnen geleisteten Versprechen gewesen bin, werde ich denen auch sein, die ich dem Grafen von Morlaix leistete. An dem Tage, an welchem ihr Sohn oder sein Sohn kommen, mir das Zeichen seiner Erkennung bringen und das Geheimniß von mir fordern wird, werd' ich es ihm sagen, gnädige Frau. Dieses Geheimniß ist hier! (er zeigte auf sein Herz.) Keine Macht der Erde hat es vor der Zeit dort herausreißen können, und keine Macht der Erde wird es dort zurückhalten, wenn es Zeit ist. Die Papiere liegen dort im Schranke, der Schlüssel kommt nie von mir, und nur ein Diebstahl oder ein Mord kann ihn mir entreißen.«

»Aber,« sprach die Marquise, und erhob sich halb auf den Armsessel gestützt. »Ihr könntet eher sterben, als mein Gemahl, denn, wiewohl er kränker ist, als ihr, so seid ihr doch älter als er, und was würde dann mit den Papieren?«

»Der Priester, der mir in den letzten Stunden beistehen wird, soll sie unter dem Siegel der Beichte empfangen!«

»So soll sich also diese Kette der Furcht bis nach eurem Tode hinziehen?« sagte sie und stand auf; »und der letzte Ring derselben sich an meinen Sarg heften für die Ewigkeit! In der ganzen Welt gibt es einen Einzigen, der unerschütterlich ist, wie ein Fels; und Gott muß ihn auf meinen Weg gestellt haben, nicht nur als mein Gewissen, sondern auch als meinen Rächer! und ein Sturm wirft mich beständig an ihn, bis ich zerschelle! . . . Greis! du hältst mein Geheimniß in der Hand! – gut! – thue damit, was du willst! – Du bist der Gebieter, und ich – die Sclavin! Lebe wohl!«

Bei diesen Worten fand sie auf und kehrte zurück ins Schloß.

VIII

»Ja,« sprach der Greis, als er die Marquise sich entfernen sah, »ja, ich weiß, sie hat ein steinernes Herz; sie ist unempfindlich für jede Art von Furcht, außer der, die Gott statt der Gewissensbisse in ihre Seele gelegt hat. Aber nicht wahr? daran ists genug! und dieser Tugendruf heuer genug bezahlt für den Preis solch' ewigen Schreckens. Freilich ist der ihre so fest gegründet, daß, wenn die Wahrheit aus der Erde auf, oder vom Himmel nieder stiege, man sie für Verleumdung halten würde! Nun, was Gott thut, das ist wohlgethan, und seine Allweisheit hat es längst schon beschlossen!«

»Gut gedacht !« sprach eine junge wohlklingende Stimme, die religiöse Maxime, welche dem Greise seine Resignation äußern ließ, beantwortend. »Auf mein Wort, Vater, ihr sprecht, wie der weise Salomo!«

Achard wandte sich um und erblickte Paul, der gekommen war, als die Marquise sich so befangen von dem gehabten Auftritte entfernte, daß sie ihn nicht gewahr ward. Da der Kapitän den Greis allein sah, war er eingetreten und hatte die Worte gehört, auf die er mit seiner gewöhnlichen guten Laune antwortete. Achard staunte über diese unerwartete Erscheinung und sah ihn an, als böte er fortzufahren.

»Ich sage,« fuhr Paul fort, »daß es mehr Größe giebt in einer Resignation, die sich beugt, als in einer Philosophie, welche zweifelt. Es ist zwar eine Maxime unserer Quäcker, aber ich wollte ich hätte sie zu meinem ewigen Heile weniger im Munde und mehr im Herzen.«

»Verzeihen sie, mein Herr,« sagte der Greis, der den jungen Abentheurer unbeweglich mit dem Fuße auf der Thürschwelle stehen und ihn betrachten sah; »darf ich fragen, wer sie sind?«

»Für den Moment,« erwiderte Paul, wie aus Gewohnheit seiner dichterischen, sorglosen Heiterkeit freien Lauf lassend, »bin ich ein Kind aus Pluto's Republik, habe das Menschengeschlecht zu Brüdern, die Welt zum Vaterlande, und besitze Nichts auf der Welt, als die Stelle, die ich mir selbst zu erwerben wußte!«

»Und wen suchen sie?« antwortete der Alte, wider Willen lächelnd über das jovialische Aussehen des Jünglings.

»Ich suche, erwiderte Paul, drei Lieues von Lorient und fünfhundert Schritte vom Schlosse d'Auray ein Häuschen, das verteufelt diesem hier gleicht, und in demselben einen Mann – und der könntet ihr wohl sein!«

»Und wie soll der Mann heißen?«

»Louis Achard!«

»Der bin ich selbst!«

»Nun so lege der Himmel seinen besten Segen auf euer graues Haupt!« sprach Paul mit veränderter Stimme, die sogleich den Ausdruck des Gefühls und der Achtung annahm; »denn hier ist ein Brief von meinem Vater, und darinnen steht daß ihr ein ehrlicher Mann seid.«

»Und ist. Nichts weiter in diesem Briefe?« schrie der Greis mit funkelnden Augen und indem er einen Schritt auf Paul zutrat.

»Ja wohl!« antwortete dieser, öffnete den Brief und zog eine venetianische Zechine, die halb gebrochen war, heraus; »so etwas von einem Goldstücke, dessen eine Hälfte ich habe und dessen andere ihr haben müßt.«

Achard reichte die Hand hin und starrte den Jüngling an. »Ja, ja,« sprach er, und seine Augen füllten sich je mehr und mehr mit Thränen: »Ja, das ists! und mehr noch . . . diese außerordentliche Aehnlichkeit! (er öffnete seine Arme) Kind! – o Gott! – o mein Gott!«

»Was ist Euch?« rief Paul, den das Gewicht seiner Rührung schwach machte.

»O! faßt du denn nicht,« antwortete der Greis endlich, »daß du das leibhafte Bild deines Vaters bist, den ich liebte, um Blut und Leben für ihn zu geben, wie ich es jetzt für dich geben will, Jüngling, wenn du es verlangst!«

»Nun so umarme mich, alter Freund!«sprach Paul und nahm den Alten unter die Arme; »denn die Kette des Gefühls ist nicht zerrissen zwischen des Vaters Grabe und des Sohnes Wiege, glaube es mir. Wer auch mein Vater gewesen sein mag, wenn es eines vorwurfsfreien Gewissens, eines erprobten Muthes und eines Gedächtnisses bedarf, daß sich stets einer Wohlthat erinnert, und oft eine Beleidigung vergißt, um ihm ähnlich zu sein; so hast du Recht, daß ich sein leibhaftes Bild bin, und mehr der Seele, als dem Gesichte nach.«

»Ja, so war dein Vater!« versetzte langsam der Greis und drückte das Kind, daß ihm gehörte, in seine Arme und sah es zärtlich mit nassen Blicken an. »Ja, ja, so stolz war eine Stimme, so flammend sein Auge, so edel sein Herz. Allein warum sah ich dich nicht eher wieder, Jüngling; es gab sehr traurige Stunden in meinem Leben, die deine Gegenwart hell gemacht hätte.«

»Warum? . . . weil mir in diesem Briefe befohlen war, dich zu suchen, wenn ich fünfundzwanzig Jahre alt sein würde, und weil ich es seit einer Stunde bin!« . . .

Der Greis sah nachdenkend zu Boden, schwieg eine Weile, versunken in das Andenken der Vergangenheit, dann sprach er, sich empor richtend:

»Schon – schon fünfundzwanzig Jahre! und mein Gott, mir ists, als wenn du gestern in diesem Hause geboren worden wärest und in diesem Gemache das Licht erblicktest!« Er zeigte auf eine Nebenthüre, die in ein anderes Zimmer ging.

Auch Paul schien nachzudenken; er sah sich um, als wolle er durch die Gegenstände die er er blickte, Erinnerungen bestärken, die mit Macht in sein Gedächtniß zurückkehrten.

»In dieser Hütte? in diesem Gemache?« wiederholte er, »und nicht wahr, hier blieb ich fünf Jahre?«

»Ja,« murmelte der Greis, als zittre er, ihm seinen rückkehrenden Empfindungen zu entreißen.

»Laß mich,« sagte Paul, die Hände auf seine Augen drückend, um alles Vergangene in sich zu rückrufen zu können; »o laß mich meinerseits zu meinen Erinnerungen gehen, denn mir ists, als hätte ich das Alles schon im Traume gesehen – Höre – Alles – Alles fällt mir wieder ein!«

»Rede, mein Kind, rede!« sprach der Greis. »Da – da drinnen muß – im Hintergrunde . . . ein Bette mit grünen Vorhängen« – —

»Ja.«

»Ein Crucifix zu Häupten des Bettes.« —

»Ja!«

»Gegenüber ein Bücherschrank, unter andern eine große Bibel. . . mit deutschen Kupferstichen?«

»Da ist sie!« sprach der Alte, und zeigte auf die heilige Schrift, die aufgeschlagen auf einer Betbank lag.

»Sie ists! sie ists!« rief Paul und küßte die Blätter.

»O wackres, wackres Herz!« murmelte der Greis. »Dank dir mein Gott!«

»Dann,« sagte Paul, sich aufrichtend, »ist in jenem Gemache ein Fenster, wo man das Meer sieht und auf dem Meere drei Inseln? . . .

»Ja Houat, Hoedic und Belle-Ile-sur-mer«

»So ists also richtig!« rief Paul in das Gemach stürzend, und als er sah, daß Achard ihm folgen wollte, bat er, ihn zurückhaltend: »Nein! nein! hier muß ich allein sein! ich muß!«, und er ging und zog die Thür hinter sich zu.

Hier fand er einen Augenblick still, von jener heiligen Ehrfurcht ergriffen, welche das Andenken der Kindheit umschwebt. Das Gemach war ganz so, wie er es beschrieben hatte, denn der alte treue Diener, hatte es mit religiösem Eifer vor jeder Veränderung bewahrt. Paul, bei dem ein fremder Blick ohne Zweifel den Ausdruck einer Gefühle zurückgewiesen hätte, überließ sich ihnen, in der Ueberzeugung allein zu sein, gänzlich. Langsam schritt er auf das Crucifix von Elfenbein zu, und mit gefaltenen Händen warf er sich auf sein Knie, wie er gewöhnt worden war, es früh und Abends zu thun; er versuchte, sich eines jener einfachen Gebete zurückzurufen, wo das Kind, noch auf der Schwelle des Lebens, Gott für Diejenigen bittet, die ihm die Pforten desselben aufthaten. Welche Ereignisse lagen dazwischen seitdem er zuletzt, und nun wieder hier kniete; zwanzig Jahre Raum! Welche wechselnde, unvorausgesehene Vorfälle waren an einem Horizonte aufeinandergefolgt, wo die Sonne mit süßen Blicken eine ersten Jahre liebkoste! wie hatte die Laune des Windes, der in seine Seegel blies, sein Schiff von seinen innern Leidenschaften entfernt und in politische verschlagen; und wie erinnerte er sich jetzt Alles dessen, was er, als sorgloser Jüngling vergessen zu haben glaubte! wie strebte sein Leben, das frei und mächtig war, wie der Ocean der es wiegte, jetzt sich mit unbekannten Banden zu fesseln, die ihn vielleicht an irgend einen Ort zurückhalten würden, wie das Schiff, das vor Anker liegt, den Wind ruft, und von ihm gerufen wird, sich aber gefesselt, wie ein Sclav, ein Gefangener von gestern fühlt, und dem die vergangne Freiheit, die künftige Dienstbarkeit noch bitterer macht! Lange vertiefte sich Paul in solche Gedanken, dann erhob er sich langsam, und trat an's Fenster. Die Nacht war schön und still, der Mond glänzte am Himmel und versilberte die Wogen. Am Horizonte erschienen die drei bläulichten Inseln, den Nebelgebilden des Oceans ähnlich. Er erinnerte sich, wie oft er als Kind an dieser Stelle gelehnt, und dieses Schauspiel gesehen hatte; wie er dann mit den Augen irgend einem Nachen folgte, der schweigend über das Meer dahinglitt, wie der Flügel eines Nachtvogels. Da schwoll ihm das Herz, bei diesen süßen, zarten Erinnerungen; er ließ den Kopf auf seine Brust sinken, und stumme Thränen flossen über eine Wangen. Da fühlte er sich bei der Hand erfaßt; es war der Greis; er wollte ihm seine Regungen verbergen, bereute aber sogleich, daß er nicht wagte Mensch zu sein, wandte sich zu ihm, und zeigte ihm offen sein bethräntes Gesicht!

 

»Du weinst, Kind!« sprach der Greis.

»Ja, ich weine!« antwortete Paul, »warum sollt' ich es verbergen? ja, betrachte mich! Gleichwohl habe ich schreckliche Dinge in meinem Leben gesehen! Ich sah wie der Orkan mein Schiff von Gipfel der Wogen, in die Tiefen des Abgrunds wirbelte, und fühlte, das es nicht schwerer wog auf den Flügeln des Sturms, als ein trocknes Blatt im Abendwinde! ich habe das Geschrei des Wehes und des Todes der Menschen gehört, die ich um mich her fallen sah, wie reife Aehren von der Sichel des Schnitters, und mit denen ich Abends vorher gegessen hatte! Um ihren letzten Seufzer zu empfangen, ging ich unter Kugelregen, der hageldicht um mich fiel, über einen Boden, wo ich im Blute gleiten mußte, so schlüpfrig war er von diesem. Und doch blieb meine Seele ruhig und meine Augen wurden nicht naß. Aber siehst du, dieses Gemach! ich hatte es im Gedächtnisse bewahrt: es ist dasselbe, wo ich die ersten Liebkosungen eines Vaters empfing, den ich nicht wiedersehen werde, und Küsse einer Mutter, die mich vielleicht nicht wieder sehen will, das ist mir so heilig wie eine Wiege und ein Grab. Ich kann es nicht wiedersehen, ohne mich meinen Empfindungen zu überlassen; ich muß weinen oder ersticken!« Der Greis schloß ihn in seine Arme; Paul lehnte sich an seine Schulter und schluchzte Endlich sagte der alte Diener:

»Ja, du hast Recht! – dieses Gemach ist zugleich eine Wiege und ein Grab, denn hier wurdest du geboren!« – er streckte den Arm aus, »und hier nahm dein Vater Abschied von dir auf immer!«

»So ist er todt!« sagte Paul.

»Er ist todt.«

»Du wirst mir sagen, wie!«

»Alles werde ich Dir sagen!«

»In einem Augenblicke!« sprach Paul und setzte sich nieder, »jetzt bin ich noch nicht stark genug, dich anzuhören. Laß mich zuvor erst sammeln!« er legte den Ellbogen aufs Fenster, den Kopf in die Hand und warf von Neuem den Blick auf den Ocean.

»Wie schön ist eine Nacht, wo der Mond das Meer erleuchtet, wie eben jetzt!« fuhr er mit seinem gewöhnlich schwermüthigen Ausdruck fort, »es ist ruhig wie Gott, groß wie die Ewigkeit. Ich kann nicht glauben, daß ein Mensch, der oft dieses Schauspiel studiert hat, den Tod fürchtet. Nicht wahr, mein Vater starb mit Muth?«

»O gewiß!« antwortete Achard stolz.

»So mußte es seyn!« fuhr Paul fort, »ich erinnere mich jetzt meines Vaters, ob ich gleich erst vier Jahr war, als ich ihn zuletzt sah.«

»Er war ein schöner junger Mann wie du!« sprach Achard, ihn mit Betrübniß betrachtend, »und just in deinem Alter!«

»Wie hieß er?«

»Graf von Morlaix.«

»Also bin auch ich aus altadelichem Geschlechte! auch ich habe Schild und Wappen, wie die – unverschämten Cavaliere, die nach meinem Stammbaume fragten, wenn ich ihnen meine Wunden zeigte?«

»Halt! Jüngling, halt! gieb dich nicht dem Hochmuthe hin! denn, noch habe ich dir den Namen Derer nicht gesagt, die dir das Leben gab, und du kennst das schreckliche Geheimniß deiner Geburt noch nicht!«

»Nun denn! nichts desto weniger werde ich den Namen meiner Mutter mit Ehrfurcht und Fassung anhören. Wie hieß sie?«

»Die Marquise von Auray!« antwortete langsam und zögernd der Greis.

»Was sagst du da?« schrie Paul, sprang auf und ergriff seine Hände.

»Die Wahrheit!« antwortete er traurig.

»So ist Manuel mein Bruder? Margarethe meine Schwester?«

»Kennst du sie denn schon?« rief Achard verwundert.

»Ach! du hattest Recht, Alter!« sprach der junge Seemann, und sank wieder auf den Stuhl, »Gott thut was er will, und in seiner Allwissenheit längst beschlossen hat!«

Es entstand eine Pause, endlich richtete Paul sich auf, sah den Greis mit entschlossenen Blicken an und sagte:

»Jetzt bin ich bereit. Alles zu vernehmen! du kannst reden!«