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Der Schiffs-Capitain

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Es bleibt uns noch übrig, die letzten Fäden der Geschichte fortzuspinnen, die wir bisher der Aufmerksamkeit unserer Leser zugeeignet haben.

Im Mai 1784, war fast ganz Europa in einem Zustand von Stumpfsinn zurückgefallen, den Menschen ohne Umsicht, für Ruhe halten, und der tieferblickende Verstand, als jene dumpfe, augenblickliche Stille betrachtet, die dem Sturme vorher gehet.

Durch Amerikas Befreiung bereitete sich die Revolution in Frankreich vor; Könige und Völker mißtrauten einander, waren jedes auf der Hut, und diese riefen die That, jene das Recht an. Nur ein Punkt schien sich lebendig und bewegt in dieser allgemeinen Schlafsucht zu erhalten; es war Rußland, welches der Czar Peter zum Rang der civilisierten Staaten erhoben hatte, und Katharine II. anfing die Zahl der europäischen Mächte einzuverleiben. Da Peter III. den Russen verhaßt worden war, durch einen Charakter ohne Edelmuth, durch politische Ideen ohne Umsicht, und besonders durch seine Abgötterei der preußischen Sitten und Gewohnheiten, war er entthront worden ohne Widerstand, und umgebracht ohne Kampf. So war Katharine mit zweiunddreißig Jahren, Gebieterin eines Reiches geworden, dessen Umfang der fünfte Theil des Erdballes ist; und ihre erste Sorge war dahin gegangen, sich durch ihre Macht zur Vermittlerin der benachbarten Völker zu machen, denen sie durch sich empor helfen wollte. So hatte sie Curland gezwungen, seinen neuen Herzog Carl von Sachsen zu vertreiben und Biron zurückzurufen; hatte ihre Gesandten und ihre Heere nach Warschau geschickt, um ihren alten Günstling Poniatowsky, unter dem Namen: Stanislaus-Augustus das selbst, krönen zu lassen: hatte sich mit England alliirt, und die Höfe von Berlin und Wien ihrer Politik zugesellt, ohne bei diesem großen Projekte für fremde Politik, die innere Verwaltung zu vergessen, und in den Zwischenräumen ihrer oft sich erneuernden Herzensneigungen, fand sie noch Zeit, die Industrie zu belohnen, den Ackerbau zu befördern, die Gesetzgebung zu verbessern, ein Seewesen zu erschaffen, Pallas in die Provinzen zu senden, die sogar ihre eigenen Produkte nicht kannten; Blumacher in dem Archipel des Norden, und Bellings in das orientalische Meer zu schicken; endlich eifersüchtig auf dem literarischen Ruhm des Königs von Preußen, mit derselben Hand, welche die Entstehung einer Stadt, das Todesurtheil des jungen Iwan, die Theilung Polens unterzeichnete: »die Widerlegung der Reise nach Sibirien« von Abbé Chappe, einen Roman des Czarowitsch Chlor, Theaterstücke, (unter denen eine Uebersetzung ins Französische Oleg, Drama von Derschawin sich befindet), zu schreiben; so, das sie Voltaire die Semiramis des Norden nannte, und der König von Preußen in seinen Briefen zwischen Solon und Lykurg setzte.

Man erräth leicht, welche Wirkung mitten in diesem wollüstigen, ritterlichen Hofe die Ankunft eines Mannes, wie unseres Seefahrers hervorbrachte. Der Ruf des Ruhmes, der ihn zum Schrecken der Feinde Frankreichs und Amerika's gemacht hatte, war ihm bei Katharinen vorhergegangen, und gegen das Geschenk, daß er ihr mit seiner Fregatte machte, erhielt er den Grad eines Contre-Admirals. Nun erschien Rußlands Flagge, nachdem sie die alte Welt umsegelt hatte, in Griechenlands Meeren. Und auf den Ruinen von Lacedämon und Parthenon träumte. Der, welcher Amerika's Befreiung mit vollzogen hatte, von der Wiederherstellung von Sparta und Athen. Endlich ward das alte ottomanische Reich bis auf seine Grundfeste erschüttert; die geschlagenen Türken unterzeichneten den Frieden von Kamardji. Katharine erhielt Alsow, Taganrog, Kenburn, ließ sich die frei Schifffahrt auf dem Meere, und die Unabhängigkeit der Krimm, da sie die Gebieterin von Taurien geworden war, versichern. Sie wünschte ihre neuen Besitzungen kennen zu lernen; Paul ward nach Petersburg zurückberufen und begleitete sie auf der von Potemkin entworfenen Reise. Auf einem Wege von tausend Meilen wurden der Eroberin und ihrem Gefolge die Zaubergemälde eines beständigen Triumphzuges dargeboten. Da gab es längst des Weges Feuer, prachtvolle, wie durch Feenhand entzündete Illuminationen auf allen Straßen der Städte, Zauberpaläste, die auf einen Tag in wüsten Feldern erbaut waren und des andern Tages wieder verschwanden; Dörfer, die sich unter dem Stabe eines Zauberers in den Einöden gruppierten, wo die Tartaren acht Tage zuvor ihre Heerden geweidet hatten; Städte erschienen am Horizonte, von denen nichts stand, als die äußeren Mauern; überall gab es Huldigungen, Gesänge, Tänze: eine ganze Bevölkerung drängte sich auf den Wegen, lief des Nachts, während die Kaiserin schlief, sich aufs Neue auf dem Wege aufzustellen, welchen die Monarchin wachend einschlagen würde. Ein König und ein Kaiser gingen ihr zur Seite und nannten sich, nicht ihre Brüder, nicht ihres Gleichen, sondern ihren Hofstaat; endlich erhob sich am Ziele der Reise ein Triumphbogen mit der Inschrift, die, wo nicht Potemkins Ehrgeiz, wenigstens eine Politik bezeichnete: »Dies ist der Weg nach Byzanz.«

Nun begründete sich Rußland in seiner Tyrannei, wie Amerika in seiner Unabhängigkeit. Katharine bot ihrem Admiral Stellen an, einen Höfling zu sättigen, Ehren und Würden einen Ehrgeizigen zufrieden zu stellen, Güter einen König, über ein verlorenes Königreich zu trösten; aber es war die bewegliche Brücke seines Schiffes, das Meer mit seinem Kämpfen und Stürmen; es war der unermeßliche, grenzenlose Ocean, dessen unser abentheuerlicher, dichterischer Seemann bedurfte.

So verließ er Katharinens glänzenden Hof, wie er die erste Versammlung des Congresses verlassen hatte, und suchte in Frankreich, was ihm sonst allenthalben fehlte, ein aufgeregtes Leben, zu bekämpfende Feinde, und ein zu vertheidigendes Volk.

Paul kam nach Paris mitten im Bürgerkrieg und europäischen Kämpfen; mit einer Hand erdrückte man die Fremden, mit der andern wühlte man im eignen Eingeweiden. Der König, den er vor zehn Jahren geliebt, geehrt und mächtig sich gesehen hatte, war zu der Zeit gefangen, verachtet, kraftlos; Alles was hoch stand, ward erniedrigt, und große Namen fielen, wie große Häupter. Es war die Regierung der Gleichheit, die Guiliotine der Gleichmacher. Paul erkundigte sich nach Manuel, man sagte ihm, er sei verbannt. Er fragte nach seiner Mutter, man antwortete, sie sei todt. Da empfand er einen ungeheuern Drang, einmal noch vor seinem Tode, die Orte zu besuchen, wo er zwölf Jahre zuvor, so sanfte und so schreckliche Aufregungen empfand. Er reiste nach der Bretagne, ließ seinen Wagen in Vannes und nahm ein Pferd, wie an dem Tage, wo er Margarethen zum ersten mal sah; allein es war nicht mehr der junge, enthusiastische Seemann, voll Sehnsucht und schrankenloser Hoffnungen; es war ein von allem enttäuschter Mann, der alles genossen hatte, Honig und Wermut, alles ergründet, Menschen und Dinge, alles gekannt: Ruhm und Vergessenheit. Auch suchte er jetzt keine Familie mehr, er besuchte – Gräber.

Als er das Schloß erblickte, wandte er seine Blicke nach Achards Häuschen, aber er sah es nicht mehr; nun suchte er den Wald, aber der war wie durch Zauberei verschwunden. Er war als Nationaleigenthum an fünfundzwanzig bis dreißig benachbarte Pächter verkauft worden, die ihn ausgerodet, und eine weite Ebene daraus gemacht hatten. Die große, hohe Eiche war verschwunden und der Pflugschar über das ungekannte Grab des Grafen von Morlaix gegangen, so, daß des Sohnes Auge, den Platz nicht mehr zu erkennen vermochte.

Da ging er aus der Thür des Parks, auf das Schloß zu, daß düsterer und trauriger sich zeigte als sonst. Es war niemand mehr dort, als ein alter Hausverwalter, unter todten Ruinen, eine lebende; man war Willens gewesenes einzureißen, als man den Wald fällte, aber der Ruf der Heiligkeit, in welchem hier zu Lande die Marquise fand, und der sich religiös daselbst erhalten hatte, bei schützte die alten Steine, die ihrer Familie vier hundert Jahre Dach und Fach gewährt hatten. Paul besuchte die Zimmer, die man seit drei Jahren nicht mehr geöffnet hatte, und sie ihm jetzt aufschloß. Er durchging den Ahnen- und Bildersaal, er war geblieben wie er war, aber keine fromme Hand, hatte die Gemälde des Marquis und der Marquise, der alterthümlichen Sammlung zugesellt. Er ging in die Bibliothek, wo er sich verborgen hatte, und fand auf derselben Stelle ein Buch, das er damals geöffnet hatte, öffnete es wieder und las die Blätter, die er schon kannte. Er stieß die Thüre auf, die in das Zimmer des Contracts führte, wo die lebhaften Auftritte des Dramas vorgegangen waren, wo er eine so starke Rolle spielte. Der Tisch fand noch auf derselben Stelle, und der Spiegel, mit dem venetianischen Rahm über dem Kamin, war noch von Manuels Kugel zerschmettert. Er stemmte sich an den Simms des Kamins, und fragte nach den letzten Jahren und Stunden der Marquise.

Sie waren streng und einfach gewesen, wie Alles was von ihr bekannt war. Allein im Schlosse zu rückgeblieben, war ihr Leben an drei verschiedenen Orten dahingeflossen: in ihrem Oratorium, in der Gruft, wo ihr Gemahl ruhte, und dort auf dem Platze, den die Eiche beschirmte, unter deren Fuße Morlaix begraben lag. Acht Jahre nach dem Abende, wo Paul zum letzten Male von ihr Abschied nahm, sah man sie durch diese weiten Corridors und in diesen finstern Baumgängen umherirren, bleich und langsam wie ein Schatten; dann war eine aus den gehäuften Bewegungen ihres Gemüths entstandene Herzkrankheit ausgebrochen und sie immer schwächer geworden; endlich, als sie nicht mehr zu gehen im Stande war, hatte sie sich bis zu der Eiche tragen lassen, um, wie sie sagte, auf ihrem Lieblingsplatze noch einmal die Sonne ins Meer sinken zu sehen, und hatte befohlen sie in einer halben Stunde zurück zu tragen. Als ihre Leute kamen, fanden sie sie ohnmächtig. Sie trugen sie ins Schloß; unterwegs kam sie zu sich, und statt sich in ihr Zimmer bringen zu lassen, befahl sie, man solle sie in die Gruft tragen. Dort hatte sie noch die Kraft, an dem Grabe ihres Gemals nieder zu knieen und mit der Hand zu winken, daß sie allein sein wollte. So unvorsichtig es auch war, dieses zu thun, gehorchte man, denn sie war gewohnt, nicht zweimal denselben Befehl zu ertheilen; allein anstatt fortzugehen, zogen sich die Bedienten in eine Vertiefung zurück, um ihr, wenn nöthig, beizustehen. Nach einigen Augenblicken sahen sie sie auf die Steine hinsinken, auf denen sie betete. Sie hielten sie zum zweiten Male für ohnmächtig, aber als sie hinzukamen, war sie todt.

 

Paul ließ sich in die Gruft führen, trat langsam hinein mit bloßem Haupte; dann, als er zu dem Grabsteine kam, unter dem seine Mutter ruhte, knieete er nieder. Er trug die Inschrift, die man noch in einer der Kirchencapellen der kleinen Stadt Auray sehen kann, wo er nachmals hingeschafft ward, und welche die Marquise selbst vor ihrem Tode hinterlassen hatte:

»Hier ruht die hochgeborene, hochangesehene Dame Margarethe Blanche von Sablé, Marquise d'Auray, geboren den 2. August 1720, gestorben den 3. September 1788. Betet für sie und ihre Kinder!«

Paul hob den Blick zum Himmel mit dem Ausdrucke unendlichen Dankes. Die Mutter, welche ihn im Leben so lange vergessen hatte, erinnerte sich seiner in dieser Inschrift ihres Todes.

Sechs Monate nachher entschied der Nationalconvent in einer feierlichen Sitzung, daß er dem Leichenbegängnisse des Paul Jones, ehemaligem Commodore der amerikanischen Marine, gestorben zu Paris den 7. Juli 1793 beiwohnen wolle, welches auf dem Kirchhofe des Père-Lachaise statt finden solle. Dieser Entschluß ward gefaßt, um dadurch in Frankreich den freien Gottesdienst einzuweihen.

Ende