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Der Graf von Moret

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X.
Der Kardinal im Schlafrock

Um sieben Uhr des Morgens kehrte der Kardinal in seine Wohnung zurück, verabschiedete die Träger seiner Sänfte, nachdem er sie reichlich bezahlt hatte, begab sich auf zwei Stunden zur Ruhe und erschien gegen halb zehn Uhr wieder in seinem Arbeitszimmer, in Pantoffeln und im Schlafrock.

Dieses Arbeitscabinet war sein Universum; hier arbeitete er zwölf bis vierzehn Stunden des Tages, hier frühstückte er mit seinen Räten, mit seinen Lustigmachern und Schmarotzern, und zuweilen schlief er auch hier auf einem großen bettförmigen Sopha, auf das er sich, von den Geschäften der Politik abgespannt, ganz angekleidet warf, um einige Stunden zu ruhen. Gewöhnlich dinierte er auch hier in Gesellschaft seiner Nichte.

In dieses Kabinett, welches alle Staatsgeheimnisse einschloss, durfte in Abwesenheit Richelieus Niemand eintreten, außer seinem Sekretär Charpentier, auf den er sich wie auf sich selbst, verlassen konnte.

Wenn er eingetreten war, ließ er durch Charpentier alle geheimen Ausgänge dieses Kabinetts öffnen, mit Ausnahme dessen, der zu seiner schönen Nachbarin, Marion de Lorme, führte, und zu der er allein den Schlüssel besaß.

Cavois war so unbescheiden schwatzhaft gewesen, zu erzählen, dass er zuweilen, wenn der Kardinal, statt sich in seinem Zimmer zu Bett zu legen, angekleidet auf dem Divan in seinem Arbeitscabinet schlief, während der Nacht eine zweite Stimme gehört hätte, welche dem Klang nach eine weibliche gewesen wäre und die sich mit ihm durch Gespräche unterhielt.

Die bösen Zungen behaupteten darauf – und das Gerücht verbreitete sich – diese zweite Stimme wäre die der Marion de Lorme gewesen, welche damals in der ganzen Blüte ihrer Jugend und Schönheit stand, da sie kaum achtzehn Jahre alt war. Sie sollte wie eine Fee durch die Mauer oder wie eine Nymphe durch das Schlüsselloch hereingekommen sein, und sich mit dem Kardinal von Dingen unterhalten haben, welche keineswegs in Beziehung zu der Politik standen.

Es konnte indes Niemand behaupten, sie jemals bei dem Kardinal gesehen zu haben.

Wir wissen, dass sich in der Füllung dieser Tür eine Art Briefkasten befand, und dass der Kardinal auf diesem Wege mit der schönen Frau korrespondierte.

Heute hatte er ihr wahrscheinlich etwas Wichtiges zu sagen, denn er war kaum in sein Kabinett getreten, als er einige Zeilen auf ein Stück Papier schrieb, die Verbindungstür öffnete, das Papier unter die zweite Tür schob, die Glocke zog und wartete.

Da wir vor unseren Lesern keine Geheimnisse haben, können wir ihnen sagen, dass das Papier folgende Fragen enthielt:

»Wie oft ist der Graf von Moret seit acht Tagen zu Frau von Montagne gekommen? Ist er treu oder untreu? Im Ganzen, was weiß man von ihm?«

Diese Fragen waren wie gewöhnlich mit dem Vornamen des Kardinals »Armand« unterschrieben,

Aber Schrift und Unterschrift waren verstellt und hatten mit den gewöhnlichen Schriftzügen des Kardinals nicht das Geringste gemein.

Nun rief der Kardinal Charpentier und fragte ihn, wer sich im anstoßenden Salon befinde.

»Der ehrwürdige Pater Mulot, Herr de la Follone und Bois-Robert,« antwortete der Sekretär.

»Gut,« sagte Richelieu, »lasst sie eintreten.«

Es wird unseren Lesern auffallen, wie Mulot, der Beichtvater des Kardinals, in Gesellschaft mit seinen Lustigmachern und Schmarotzern geriet. Nun, Mulot war keiner jener strengen Casuisten, die als Priester ihre Beichtkinder mit Strafen und Bußen überladen.

Nein! Der Pater Mulot war vor allen Dingen der Freund des Kardinals. Elf Jahre zuvor, als nach der Ermordung des Marschall d'Ancre die Königin-Mutter nach Blois und der Kardinal nach Avignon verwiesen worden war, hatte Mulot, entweder aus Freundschaft für den jungen Richelieu, oder im Vertrauen auf dessen künftige Größe, Alles verkauft, was er besaß, und die drei- bis viertausend Taler, die er erhielt, dem Kardinal gegeben, der damals noch Bischof von Lucon war. Er behielt daher auch seine derbe Sprache gegen alle Welt bei und legte sich für Niemand Zwang auf, wer es auch sein mochte. Aber besonders in Beziehung auf schlechten Wein war er um so weniger fügsam, da er zu den eifrigsten Anbetern des guten gehörte. Eines Tages speiste er zu Mittag bei dem Herzog von Alaincourt, Gouverneur von Lyon, Er war unzufrieden mit. dem Wein, den man ihm vorgesetzt hatte, rief den Lakaien, der ihm denselben einschenkte, zu. sich, nahm ihn bei einem Ohrzipfel und sagte:

»Mein Freund, Ihr seid ein großer Schelm, dass Ihr Euren Gebieter nicht in Kenntnis setzt. Er versteht sich vielleicht nicht auf den Wein, und glaubt, uns guten zu geben, während er uns mit Gesindewein bedienen lässt.«

Bei seinem Cultus der Rebe hatte der würdige Almosenier eine Nase gewonnen, welche der Bardolphs glich, des lustigen Gefährten Heinrich's V. von England, so dass sie am Abend als Laterne hätte dienen können. Als nun eines Tages der Herzog von Richelieu, damals Bischof von Lucon, verschiedene Filzhüte aufprobierte, sah der Pater Mulot ihm dabei zu; Richelieu setzte endlich einen der Hüte auf und fragte: »Kleidet er mich gut?«

»Erwürbe Euch noch besser stehen, Herr Herzog,« entgegnete Bois-Robert, »wenn er die Farbe von der Nase Eures Almoseniers hätte.«

Dieser verzieh dem Narren das Witzwort niemals.

Der zweite Tischgenosse des Kardinals war ein Edelmann aus der Touraine, Namens La Follone. Er wurde dem Kardinal, als dieser noch keine Garden hatte, gewissermaßen als Wächter beigegeben, der verhindern sollte, dass Richelieu von unwillkommenen Besuchen in seinen Geschäften gestört werde. Dieser Follone war ein ebenso großer Gourmand, als Mulot ein Weinkenner; den Einen essen und den Andern trinken zu sehen, war ein Vergnügen, welches sich der Kardinal fast täglich machte.

La Follone dachte in der Tat nur an die Tafel. Wenn die Anderen sagten: »Es wäre heute schönes Wetter, um einen Spaziergang zu machen, um auf die Jagd zu gehen, um zu baden,« antwortete er regelmäßig: »Es ist heute schönes Wetter, um zu essen.« So kam es denn, dass der Kardinal, ungeachtet er Garden bekam, La Follone bei sich behielt.

Der Dritte im Bunde war Franz Chatel von Bois-Robert, dem Namen nach einer der Mitarbeiter des Kardinals, in Wirklichkeit aber sein Narr.

Bois-Robert war Advocat in Rouen gewesen, aber aus dieser Stadt wegen eines verdrießlichen Prozesses, den er mit einer Weibsperson bekam, davongegangen, hatte sich nach Paris begeben, wo er sich zuerst an den Kardinal Duperron attachirte, dann aber in den Dienst Richelieu's zu kommen trachtete; allein er war diesem durchaus nicht sympathisch, und oft zürnte der Kardinal seiner Umgebung, dass sie es nicht verstand, ihn von diesem Menschen zu befreien.

»O, Monseigneur,« sagte Bois-Robert eines Tages, »Ihr gönnet wohl den Hunden die Brocken, die von Eurer Tafel abfallen; bin ich weniger als ein Hund?«

Diese Demut, man möchte es schon Erniedrigung nennen, entwaffnete den Kardinal, und von diesem Tage an schien er sich an Bois-Robert zu gewöhnen, so dass er später gar nicht ohne ihn sein konnte.

Er war seine Morgenzeitung; durch Bois-Robert erfuhr der Kardinal Alles, was innerhalb jener Republik der Literatur und der Wissenschaften vorging, die sich damals zu bilden anfing. Bois-Robert, welcher ein vortreffliches Herz hatte, leitete auch die Hand des Kardinals bei den Wohltaten, die sie übte, und manchmal zwang er sogar diese Hand, sich zu öffnen, wenn sie aus Regungen des Hasses oder der Eifersucht geschlossen bleiben wollte; Bois-Robert lehrte den Kardinal, dass Der, welcher sich rächen will, nicht hassen dürfe, und dass Der, welcher allmächtig ist, nicht eifersüchtig zu sein braucht.

Man begreift, dass bei dieser ewigen Geistesanstrengung in politischen Kragen, bei diesen ewigen Complainten, welche ihn umgaben, bei diesem ewigen Kampfe gegen seine zahlreichen Widersacher, der Kardinal von Zeit zu Zeit dringend einer Zerstreuung bedurfte, sollte der allzu straff gespannte Bogen nicht brechen.

Namentlich nach Nächten, wie die eben verlebte, und inmitten seiner trübsten Vorahnungen, suchte der Kardinal die Gesellschaft dieser drei Männer, um sich von seinen Arbeiten, seinen Besorgnissen, seinen Mühen für einige Augenblicke zu erholen.

Übrigens wollte er auch Bois-Robert beauftragen, die Wohnung des Fräulein von Gournay zu entdecken, um ihm die Dame zuzuführen.

Kaum war also seine schriftliche Frage an Marion de Lorme an dem Ort ihrer Bestimmung, als er, wie wir gesehen haben, seine Tischgenossen einzulassen befahl.

Charpentier öffnete ihnen die Tür.

Bois-Robert und La Follone stritten mit einander wegen des Vortritts, aber Mulot, welcher übler Laune zu sein schien, schob sie Beide auf die Seite und trat ein.

Er hielt einen Brief in der Hand.

»O, o!« rief ihm der Kardinal zu, »was haben wir denn, mein lieber Abbé?«

»Was ich habe? Ich bin wütend!«

»Und warum?«

»O, sie werden es niemals anders machen!«

»Wer?«

»Die, welche mir da schreiben, und die zu Euren Leuten gehören, Herr Kardinal.«

»Guter Gott! Was für Bosheiten enthält denn dieser Brief?«

»Es ist nicht der Brief, der mich erzürnt; er ist im Gegenteile gegen die Gewohnheit Eurer Leute in den höflichsten Ausdrücken abgefasst.«

»Was ist es also, das Euch erzürnt?«

»Die Adresse! Ihr wisst wohl, dass ich nicht Euer Almosenier bin. Wenn ich einmal einwilligen würde, Jemandes Almosenier zu sein, so müsste der ein Größerer sein, als Ihr! Einstweilen bin ich Canonicus und nichts Anderes.«

»Und was stand denn auf dieser Adresse?«

»Da steht: Herrn, Herrn Mulot, Almosenier Sr. Eminenz – diese Narren!«

»Oho!« rief der Kardinal lachend, denn er wusste im Voraus, dass er sich eine derbe Antwort zuziehe – »und wenn ich es selber wäre, der diese Adresse geschrieben hat?«

 

»Wenn Ihr es wäret, Herr Kardinal, so würde es mich nicht wundern; es wäre eben nicht der erste närrische Streich von Euch.«

»Ich bin sehr erfreut, zu wissen, dass Ihr Euch darüber ärgert.«

»Ich ärgere mich nicht nur; ich bin außer mir!«

»Desto besser!«

»Warum desto besser?«

»Weil Ihr niemals so unterhaltend seid, als wenn Ihr Euch ärgert, und da ich Euch gern im Zorn sehe, so werde ich Euch nie anders schreiben, als: Herrn, Herrn Mulot, Almosenier Sr. Eminenz.«

»Thut das nur, und Ihr werdet sehen!«

»Was werde ich sehen?«

»Ihr werdet sehen, dass ich Euch allein frühstücken lasse.«

»Gut, dann werde ich Euch durch Cavois holen lassen.«

»Ich werde aber nicht essen.«

»So werde ich Euch mit Gewalt füttern lassen.«

»Ich werde nicht trinken.«

»Man wird vor Eurer Nase Flaschen aus der Romagna und aus der Champagne entkorken.«

»Schweigt, schweigt!« schrie Mulot wütend; »Ihr seid ein boshafter Mensch, das sage ich laut.«

»Mulot, Mulot,« sagte der Kardinal, dem vor Lachen die Tränen in die Augen traten, »ich werde Euch hängen lassen.«

»Und unter welchem Vorwand?«

»Unter dem Vorwand, dass Ihr die Wahrheit zu laut sagtet.«

Alle brachen in ein lautes Gelächter aus, während Mulot den verhassten Brief in Stücke riß und ins Heuer warf.

Während dieses Gespräches hatte man einen gedeckten Tisch hereingetragen.

»Sehen wir lieber, was es zu frühstücken gibt!« rief La Follone, »und erforschen wir, ob es der Mühe lohnt, dass ein braver Edelmann zu Hause ein gutes Frühstück im Stiche lässt, um hierher zu kommen.«

Und während er die Deckel von den Schüsseln hob, rief er:

»Ah, ah, ein Capaun à 1a royale! Hier ein Ragout von Brachvögeln und Lerchen! Zwei gebratene Becassinen! Gehackte Champignons! Seekrebse von Bordeaux! In der Tat, man kann das schon ein Frühstück nennen!«

»Bah!« rief Mulot, »was das Essen anbelangt, so wird immer genug da sein; man weiß, dass der Herr Kardinal sich aller Todsünden schuldig macht, und besonders der der Völlerei; aber man muss die Weine prüfen. Rothen Bouzy, hm! Bordeaux – das ist gut für Leute, welche an verdorbenem Magen leiden. Aha, da ist Burgunder! Nuits! O, o! Pomard. Windmüller! Es ist zwar nicht das Beste, was man trinken kann, aber man muss sich damit begnügen.«

»Wie. Abbé, Ihr habt zu Eurem Frühstück Champagner, Bordeaux und Burgunder und Ihr findet das noch nicht genug?«

»Ich sage nicht, dass es nicht genug wäre,« entgegnete Mulot; »ich sage nur, sie hätten besser sein können.«

»Frühstückst Du mit uns, Le Bois?« fragte der Kardinal.

»Ew. Eminenz werden mich entschuldigen, aber es ist mir nur befohlen, herzukommen, ohne dass von einem Frühstücke Erwähnung geschah, und so habe ich denn mit Racan gefrühstückt, der seine Hosen an einem Ecksteine zwischen der Rue du Temple und Rue St. Antoine auszog.«

»Was für vert – Dinge erzählst Du da? Setzt Euch zu Tische, Mulot, und auch Ihr, La Follone, und paßt auf Le Bois, der uns irgend eine kolossale Lüge zum Besten geben wird.«

»Er mag erzählen!« sagte La Follone; »ich werde ihn gewiss nicht unterbrechen.«

»Ich trinke dies Glas Pomard aus Eure Erzählung, Meister Le Bois,« sagte Mulot mit einem Reste von Groll, »und wünsche nur, sie möge etwas unterhaltender sein, als gewöhnlich.«

»Ich kann sie nicht unterhaltender machen, als sie wirklich ist, denn ich erzähle die Wahrheit.«

»Die Wahrheit!« rief der Kardinal, »als ob es so gewöhnlich wäre, dass man um halb neun Uhr des Morgens auf offener Straße seine Hosen auszieht.«

»Nun, Ihr werdet sehen, Monseigneur! – Ew. Eminenz wissen, dass Malherbe hundert Schritte von hier in der Rue des Tournelles wohnt.«

»Ja, ich weiß das!« sagte der Kardinal, der sehr wenig aß, aber desto lieber während des Essens sprach.

»Nun denn; es scheint, dass er gestern in Gesellschaft von Ivrande und Racan eine Orgie feierte. Da er aber nur ein Zimmer hat und seine Gäste so betrunken waren, dass sie den Heimgang nicht wagen konnten, so mussten sie wohl alle Drei in demselben Zimmer schlafen. Und da scheint es, dass Racan zuerst erwachte. Er, der bekanntlich sehr zerstreut ist, steht auf, hält die Hosen Ivrande's für seine Unterhosen und zieht sie an, ohne seinen Irrthum zu bemerken. Darüber jedoch legt er seine Beinkleider an, vollendet seine Toilette und geht aus. Fünf Minuten später erwacht Ivrande und findet seine Hosen nicht.«

»Mordieu!« sagte er zu Malherbe, »es scheint, dass dieser Confusionsrath Racan meine Hosen mitgenommen hat.«

»Und ohne auf das Geschrei Malherbe's zu achten,der noch im Seite liegt, zieht er seinerseits dessen Hosen an und stürzt aus die Straße, wo er zu laufen beginnt, um Racan einzuholen, was ihm auch gelingt.

»Racan, der ganz gravitätisch einherstolziert und gar nicht bemerkt, dass er heute ungewöhnlich wohlbeleibt ist, wird angehalten, und Ivrande fordert gebieterisch sein Eigentum zurück.«

»Es ist in der Tal wahr! Du hast wirklich Recht!« sagte Racan, als er endlich den begangenen Missgriff bemerkte.

»Und ohne weitere Umstände setzt er sich, wie ich bereits die Ehre hatte, Ew. Eminenz mitzuteilen, an einem der belebtesten Punkte in Paris auf einen Eckstein, zieht erst die oberen und dann die unteren Beinkleider aus, gibt diese letzteren Ivrande zurück und zieht die seinigen wieder an. In diesem Augenblicke kam ich dazu und bot Racan ein Frühstück an. Er weigerte sich anfangs, indem er sagte, er sei heute nur deshalb so zeitig aufgestanden, weil er ein äußerst wichtiges Geschäft zu besorgen habe; aber als er sich erinnern wollte, was es sei, kam er damit nicht zum Ziele. Wie wir unser Frühstück beinahe beendigt hatten, schlug er sich plötzlich mit der geballten Faust vor die Stirn.

»Jetzt erinnere ich mich,« rief er, »was ich eigentlich zu tun hatte!«

»Und was hatte er zu tun?« fragte der Kardinal, der, wie immer, an der lebhaften Erzählungsweise Bois-Robert's großes Interesse fand.

»Er hatte sich nach dem Befinden der Frau Marquise von Rambouillet zu erkundigen, die seit dem Unfall des Marquis Pisani am Fieber leidet.«

»In der Tat,« sagte der Kardinal; »meine Nichte hat mir auch davon erzählt; es ist gut, dass Ihr mich daran erinnert, Bois-Robert; Ihr werdet Euch im Vorbeigehen erkundigen.«

»Es ist überflüssig.«

»Warum?«

»Weil sie genesen ist!«

»Genesen? Und wer hat sie behandelt?«

»Voiture!«

»Bah, seit wann ist Voiture Arzt?«

»Er ist kein Arzt, aber Eminenz werden sehen, dass man nicht Arzt zu sein braucht, um Jemanden vom Fieber zu befreien.«

»Wie das?«

»Man braucht nichts weiter dazu, als zwei Bären.«

»Wie? Zwei Bären?«

»Ja! Voiture hatte gehört, dass man Jemand das Fieber vertreiben könne, wenn man den Patienten durch, etwas Außerordentliches überrasche. Voiture ging also durch die Straßen und suchte nach einer Überraschung für die Marquise, als er zwei Bärenführern mit ihren Tieren begegnete.

»O, Par Dieu,« rief er, »das ist gerade, was ich brauchen kann.«

»Er forderte die beiden Savoyarden auf, ihm zu folgen, und führte die ganze Gesellschaft in das Hotel Rambouillet.

»Die Marquise saß, in einen Shawl gehüllt, vor ihrem Kaminfeuer. Zwischen ihr und der Glut steht ein Wandschirm; Voiture tritt sachte ein, stellt zwei Stühle hinter den Schirm und lässt die Bären auf die Stühle steigen. Die Marquise hört hinter sich ein lautes Schnarchen, sie kehrt sich um und blickt in die geöffneten Rachen der zwei Ungetüme. Sie glaubte vor Schrecken sterben zu müssen, aber das Fieber war fort.«

»O, welche Geschichte!« rief der Kardinal; »was denkt Ihr davon. Mulot?«

»Ich denke,« sagte dieser, den der Wein gutgelaunt gemacht hatte, »dass mit Gottes Hilfe alle Mittel gut sind.«

»Ihr bringet da Gott in eine sehr gemischte Gesellschaft, in der sich Voiture, die Frau Marquise und zwei Savoyarden befinden.«

»Gott ist überall,« sagte mit scheinheiligem Wesen der Almosenier, indem er die Augen und sein Glas gegen den Himmel erhob. »Aber Ihr, Monseigneur, Ihr glaubt nicht an Gott.«

»Wie! Ich glaubte nicht an Gott?« fragte der Kardinal.

»Werdet Ihr mir nicht etwa sagen, Ihr glaubtet jetzt an ihn?« sagte der Abbé«, indem er auf den Kardinal seine kleinen schwarzen Augen richtete, welche vom Weine funkelten.

»Zuverlässig glaube ich an ihn.«

»Ei was! Bei Eurer letzten Beichte habt Ihr mir gestanden, dass Ihr nicht an ihn glaubtet.«

»La Follone! Le Bois!« rief lachend der Kardinal, »Ihr werdet doch wohl kein Wort von dem glauben, was Mulot sagt? Er ist so betrunken, dass er meine Beichte mit der Prüfung seines Gewissens verwechselt. – Seid Ihr fertig mit dem Essen, La Follone?«

»Gleich, Monseigneur.«

»Übrigens ist es Zeit, dass die Tafel beendigt werde; sprecht das Tischgebet, La Follone, und lasset uns dann zu unseren Geschäften gehen; ich habe Le Bois einen geheimen Auftrag zu erteilen.«

»Und ich, Monseigneur,« sagte Le Bois, »ich habe Euch eine Bitte vorzutragen.«

»Wieder für einen Bedürftigen?«

»Nein, diesmal ist es eine Bedürftige.«

»Und was macht Eure Bedürftige?«

»Verse, Monseigneur.«

»Verse?«

»Ja, und zwar sehr schöne; wollt Ihr einige derselben hören?«

»Nein! Das würde Mulot einschläfern und La Follone eine Indigestion verursachen.«

»Nur vier, Monseigneur!«

»Vier Verse? Darin sehe ich nichts Ungebührliches.«

»Hier, Monseigneur,« sagte Bois-Robert, indem er dem Kardinal einen Kupferstich zeigte, der Johanna d'Arc vorstellt.

»Aber,« sagte der Kardinal. »das ist ein Kupferstich und ihr sprecht von Versen.«

»Lest, was unter dem Bilde steht, Monseigneur.«

»Gut!«

Und der Kardinal las nachstehend vier Zeilen.

»Peux tu bien accorder, vierge du ciel chérie,

La Douceur de tes yeux et ce giaive irritè?«

»La Doucer de mes yeux caresse ma patrie,

Et mon gaive en fureur lui rend la liberté.«

»Sieh sieh!« sagte der Kardinal und überlas die Verse ein zweites Mal. »das Geschichtchen ist in der Tat nicht übel; es ist ein hübscher klang und sein poetischer Kern in diesen Versen; von wem sind sie?

»Seht den Namen der Verfasserin selbst, Monseigneur, er steht unter den Versen.«

»Marie Legars, Fräulein von Gournay! Wie?« rief der Kardinal, »diese Verse rühren von Fräulein von Gournay her?«

»Ja wohl, Monseigneur!«

»Von derselben, die ein Buch unter dem Titel: »Der Schatten« geschrieben hat?«

»Von derselben!«

»Aber das ist ja gerade die Dame, zu der ich Dich schicken wollte. Le Bois!«

»Wie gut sich das trifft!«

»Nimm meinen Wagen und hole mir die Dame!«

»D»er Unglückliche!« brummte Mulot; »er lässt die Pferde des Herrn Kardinals so viel nach Dichtern und Dichterinnen herum galoppieren, dass die armen Tiere bald lahm sein werden.«

»Abbé!« sagte Bois-Robert, »wenn Gott die Pferde Monseigneurs zu dem Zwecke erschaffen hätte, damit sie ruhen, so hätte er sie wahrscheinlich zu Canonikern von St. Chapelle gemacht.«

»Diesmal seid Ihr getroffen, Mulot!« rief der Kardinal, während Mulot keine passende Antwort finden konnte.

»Der Almosenier Sr. Eminenz möge mir darum nicht gram sein!« sagte Bois-Robert mit schlecht verhehlter Bosheit.

»Ich bin kein Almosenier!« schrie Mulot.

»Fräulein von Gournay ist da,« bemerkte Bois-Robert, um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben.

»Wie, sie ist da?«

»Ja; da ich heute ihretwegen Eure Eminenz um etwas bitten wollte, und da ich von Eurer Güte überzeugt war, dass Ihr meine Bitte erfüllen würdet, Monseigneur, so sagte ich ihr, sie möge sich nach zehn Uhr hier einfinden. Sie muss also jetzt schon da sein.«

»Le Bois, Du bist ein köstlicher Mensch. Also, Abbé, noch ein Glas Nuits! La Follone, noch einen Löffel von dieser Confiture und das Tischgebet. Man darf Fräulein von Gournay nicht warten lassen, die ein Edelfräulein und die Adoptivtochter Montaigne's ist.«

La Follone faltete die Hände über seinem dicken Bauche und die Augen fromm zum Himmel erhebend sagte er:

»Herr, unser Gott, erweise uns die Gnade, dieses gute Frühstück, das wir so gut gegessen haben, auch gut zu verdauen.«

Das war es, was Richelieu das Tischgebet La Follone's nannte.

»Und nun, meine Herren,« sagte der Kardinal, »lasset mich allein!«

La Follone und Mulot erhoben sich und verließest das Zimmer; Ersterer drehte sich noch in der Tür um, und sagte, selig lachend:

»Meiner Treu, man frühstückt gut bei Seiner Eminenz!«

Mulot, der taumelte wie ein Silen, stammelte, indem er die Hände zum Himmel erhob:

»Ein Kardinal, der nicht an Gott glaubt! Gräuel und Verdammnis!«

 

Bois-Robert, ganz glücklich darüber, seinem Schützlinge eine gute Nachricht bringen zu können, war schon früher aus dem Zimmer gehüpft.

Der Kardinal blieb einen Augenblick allein, aber so kurz dieser Augenblick auch war, genügte er, um dem Gesicht Sr. Eminenz jene Hoheit und Würde wiederzugeben, die während des heitern Mahles einem sorgloseren, freundlicheren Ausdruck Platz gemacht hatte.

»Das Blatt existiert,« sagte er, »Sully kennt die Person, die es besitzt, und ich werde sie auch kennen lernen.«

Da trat, von Bois-Robert geführt, Fräulein von Gournay, in das Gemach.