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Büßende Magdalenen

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Freilich war inzwischen Fräulein Chupin in den Orden der Dominikanerinnen eingetreten, und hatte dadurch dem Staate und den gottesfürchtigen Gewissen die Garantie des offiziellen Gottes gegeben, da nun einmal die Garantie des allbarmherzigen Gottes nicht genügend war! —

Heute ist das Asyl ein Kloster, aber ein Kloster, dessen Pforte stets eben so wohl dem Eintritte als dem Austritte geöffnet bleibt.

Sollte der Zufall diese Blätter Dir vor die Augen führen und Du, angezogen von dem Titel, dieselben kaufen, so wisse unglückliches Wesen, das Du mit geschminkten Wangen, mit herausforderndem Blicke – mit halbgeöffneten Lippen – und wahrscheinlich mit leerem Magen die dunklen Straßen wandelst bis zur Ecke der hellerleuchteten Boulevards, die Du betreten darfst, um den Vorübergehenden zu winken,

Oculis venantem
Viros —

und die Du, wie Phädra sagt, mit Deinen Augen Jagd auf die Männer machst – wisse, daß wenn Du müde bist des schmählichen Gewerbes, zu welchem Dich die Rohheit der Männer getrieben, – in dem Dich die Unwissenheit zurückhält, an das Dich die Gewohnheit fesselt, die Verachtung kettet, wisse, daß es ein einsames, stilles, wohlthätiges Haus gibt, an dessen Pforte Du nur zu klopfen brauchst, damit sie Dir geöffnet werde, wie es die heilige Schrift verspricht.

Ein Haus, in dem man von Dir Nichts verlangt – nicht einmal die augenblickliche Reue – Nichts als den Abscheu vor einem Leben dem Du ja in einer Minute entsagen kannst.

Man wird Dir dort weder Buße noch Fasten, weder Geißelung noch Kasteiung auferlegen, nicht einmal Heuchelei von Dir fordern —; diejenige, die Dich dort empfängt, verdankt ihre Erkenntniß Gottes dem Elende und den Verirrungen Anderer – sie wird Dir sein Bild weder furchterregend noch verworren darstellen. Es ist der liebe Gott der kleinen Kinder, der Dich an der Schwelle empfängt – denn Du – unglückliches Wesen, bist ja selbst ein Kind, – ein Kind, dem viel verziehen werden muß, weil Du noch nie geliebt hast!

Um Dich zu bekehren und reuig zu machen, zählt matt dort nicht auf klösterliche Strenge, nicht auf die donnernden Reden der Kanzel, nicht auf das eindringliche Murmeln des Beichtstuhles – man baut dort zuerst auf den Einfluß der freien Luft, auf das Schauspiel der heiteren Natur, des weiten Horizontes, des allbedeckenden Himmels, und mehr noch als auf alles dieses, auf die Freude, welche Du bei Deinem ersten Erwachen darüber empfinden wirst, daß Du deinen Körper wieder errungen hast, daß Du Dir allein angehörst, und daß in diesem Deinen Körper durch dieselben Wunden, durch welche Du Deine Seele entschlüpfen ließest, sie – die deiner geharrt – wieder rückkehren kann!

Ewiger Ruhm demjenigen, der die Reue erfunden, und den Menschen mit dem Begriffe der Verzeihung vertraut gemacht! Gibt es ein erhabeneres göttlicheres Schauspiel, als das einer Seele, welche sich verwandelt, aus dem Schmutze sich erhebt, und, der erblühenden Knospe gleich, ihre Umhüllung durchbricht und von sich streift. Und ich begreife, ungeachtet meiner Verehrung für die reine Tugend, die Begeisterung, welche Jesus sagen ließ:

»Der Himmel wird mehr Freude haben über einen Sünder, der Buße thut, als über hundert Gerechte.«

Das war seine Größe , das war sein Genie, dadurch ward er ein Gott inmitten der Menschen, dadurch wurde er selbst zum Schöpfer! Nicht aus irdischem Thon formte er diese Schöpfung, er griff in ein höheres geistigeres Gebiet und schuf ein neues bis dahin unbekanntes Wesen, den Menschen der Reue; – die Seele, die Sokrates geahnt, gefühlt hatte, er hat sie dargethan und nutzbar gemacht durch den Gedanken der Reue, den Gedanken der Vergebung.

Noch ist der Kampf heftig zwischen den beiden Gegensätzen, die lange und hartnäckig streiten, bis sie sich versöhnen, aber es ist ein gleicher Kampf; denn muß eine gesunkene Seele, um wieder empor zu steigen , unaufhörlich ringen – so hat die nie gefallene doch nicht mindere, ja oft noch schmerzlichere Kämpfe zu bestehen, um die erstere aufzunehmen und freizusprechen!

Die Reue ist nicht leicht! Und ist es etwa das Verzeihen? Mag Christus von der Höhe, in welcher er thront, der ganzen Menschheit vergeben! Er ist weder Vater noch Sohn, weder Gatte noch Geliebter; die Ehebrecherin ist nicht sein Weib, Magdalena nicht seine Tochter. Mag der Vater dem verlorenen Sohne, der gedemüthigt, reuevoll ins Vaterhaus zurückkehrt , verzeihen , dieser Sohn ist Fleisch von seinem Fleische, es ist ein Theil seines eigenen Ich’s, welcher zurückkehrt.

Und mehr noch! der Schuldige hat nach der bevorzugten Stellung des Mannes, seine Befleckung eben hinter sich gelassen; daß aber der Vater Magdalenens seiner Tochter, die der erste beste mit seiner Erinnerung brandmarken kann, verzeiht; daß der Gatte der Ehebrecherin, dieser Frau, welche seinen Heerd befleckt, und zwar so befleckt, daß alle Wellen des Ozeans seine Schande nicht abwaschen können, daß dieser Gatte ihr verzeiht, das eben ist übermenschlich, und das ist es, wodurch der Mensch über sich selbst zu Gott erhöht wird, wodurch Jesus ihn zum Mitbesitzer alles dessen, was ewig und unendlich ist, gemacht hat. Seinem Nebenmenschen den Fehler verzeihen, wodurch man in seiner Leidenschaft, in feinem Glauben, in seinem Ehrgeize verletzt wird, das ist wahrlich gottähnlich, und wie viele gibt es, um mit mir selbst zu beginnen, die ein solches Opfer rühmen und anrathen, aber wahrscheinlich, wenn es darauf ankäme, unfähig wären, es selbst zu vollbringen.

Und dennoch ist es dieses Ziel, welches die Menschheit verfolgt, und so lange es Reue gibt, wird es auch Verzeihung geben müssen, bis zu dem Tage, an welchem die große Versöhnung zwischen Natur und Moral geschlossen werden wird. An jenem Tage wird der Mensch endlich begriffen haben, daß das Glück, welchem er nachjagt, in dessen Namen er so viel Böses stiftet, allein nur im Guten zu finden ist. Bis dahin werden die Väter ihre Töchter, die einen Fehltritt begangen haben, verfluchen und verstoßen; die Ehegatten die Ehebrecherinnen brandmarken und verbannen, die Liebhaber ihre leichtgläubigen Geliebten verlassen und vergessen, und die Frau, die sehnsüchtig begehrte, vergötterte, angegriffene, überfallene, überraschte, besessene, erzwungene, befleckte, entweihte, verstoßene und verachtete Frau, die Frau, welche sich nie auf sich selbst stützen kann, deren Kraft in den Andern liegt, die, um sich zurecht zu finden, der Hilfe des Vaters, des Gatten, des Geliebten, des Kindes und des Priesters bedarf, diese Frau irrt, heute mehr als je, unstät in dem herum, was wir Civilisation und Fortschritt nennen. Von dem Manne zum Fall gedrängt, von dem Vergnügen irregeführt, von der Arbeit gemieden und von der Familie ausgeschlossen, wird sie die Beute der Prostitution und verfällt der Polizei. Sie wurde als Weib geboren und wird nun zur Maschine. Sie hatte einen Geburts-, sie erhält einen Gewerbeschein. Sie hatte einen Namen und hat nun eine Nummer.

Wohlan! Mensch! König der Schöpfung, nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen, nun bist Du zufrieden! Das ist Dein Werk! Dieses Geschöpf ist zur Welt gekommen wie Deine Schwester, wie Deine Mutter, wie Deine Tochter, wie Deine Gattin: sie hat geweint, gelächelt, gehofft. Sie ist Kind gewesen, war rein und jungfräulich. Aber Du warst da, Du warst jung und wolltest noch nicht heiraten, sondern Dir die Zeit vertreiben. Die Jugend muß sich ja austoben! Dein Vater und Deine Mutter, übrigens ehrliche, anständige Leute, hatten Dich Moral gelehrt, d.h. sie hatten Dir gesagt, daß man nicht stehlen und nicht morden, auch nicht die Unterschrift eines Freundes fälschen , auch nicht im Spiele betrügen dürfe, aber sie haben vergessen Dir zu sagen, daß es ein Verbrechen ist, ein Mädchen zu entehren oder ein Kind zu verlassen. Und dennoch steht es in den Geboten Gottes geschrieben, des Gottes, in dessen Namen man Dir die Sacramente der Taufe und der Beichte gegeben, und in dessen Namen man Dir später die Sakramente der Trauung und endlich die letzte Oelung geben wird, denn diese Formel: mit den heil. Sterbesacramenten versehen ist ja ein unvermeidlicher Zusatz des schwarzberänderten Partezettels, mit welchem man Deinen Tod Deinen trauernden Freunden anzeigt.