Auf sie mit Gedöns!

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Auf sie mit Gedöns!
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Impressum

Erste Auflage 2020

Gestaltung und Satz: rombach digitale manufaktur, Freiburg

Druck: rombach digitale manufaktur, Freiburg

Lektorat und Korrektorat: Lisa Helmus

Covergestaltung: Kai Kraehmer

ISBN: 978-3-945431-70-2

eISBN: 978-3-945431-71-9


© Copyright kladdebuchverlag – Freiburg

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Inhalt

Impressum

Vorwort

Nackt

Ist schließlich ’ne Kunst

Wie alles begann

Es wemmst die Wemse

Ach, wenn der Winter nur

Die Selbsthilfegruppe der missbrauchten Namen

Die perfekte Trennung

Wie alt wir schon sind

Das Märchen von Olaf dem Geist

Du bist in mein Herz eingebrochen

Falls du mich suchen solltest: Ich bin mich betrinken – Eine Absage an den Weltschmerz

Es streift ein Jüngling durch die Nacht

Sag’s Tristan und Isolde

Wie ein sehr anstrengender Akademiker seine Tochter zu Bett bringt

Zugvögel

Im Norden ist noch Licht an

Ich bin nicht mehr bei Trost

Mensch Matilda

Liebeserklärung

Lüften nachm Sex

Brautwerben

Über den Autor

Vorwort

Ich habe eine gestörte Beziehung zu Vorwörtern. Grundsätzlich empfinde ich sie als recht unsinnig, vor allem aber strapazieren sie meinen Geduldsfaden. Wenn ich ein neues Buch aufschlage, möchte ich möglichst schnell mit dem Inhalt beginnen, den die Verfasserin (Männer sind hier mitgemeint) ins Zentrum des Buches gestellt hat. Es wird ja Gründe dafür geben, dass die Geschichte erst später mit dem ersten Kapitel (oder wie in diesem Buch mit der ersten Kurzgeschichte) beginnt. Vorwörter wirken deshalb häufig geschwätzig, ein wenig so, als wenn die Autorin noch etwas zwischen die Buchdeckel quetschen wollte, was aber vom Verlagslektorat aus dem Plot rausgestrichen wurde. Oder sie sind im Gegenteil dazu gezwungen, noch irgendetwas ins Vorwort zu schreiben, weil es eben dazu gehört, obwohl es nicht viel zu sagen gibt. Und die Verlage unterstreichen diesen Eindruck der Überflüssigkeit noch, indem sie den Vorwörtern oftmals eine Seitennummerierung mit römischen Ziffern verpassen und sie damit bewusst vom eigentlichen Buch mit seinen unseren Augen viel vertrauteren arabischen Zahlen abgrenzen. Nur wenn das Vorwort auf Seite X steht, freut sich mein anglophiles Herz, steht doch „X“ in englischer (und inzwischen wohl auch in allgemeiner) Schriftsprache am Ende einer Textnachricht für „Kiss“.

Wie soll man dem begegnen? Ein Meta-Vorwort über Vorwörter ist bestimmt der Knüller.

Ich freue mich über dieses Buch, und zwar aus knapp eintausend Gründen. Mindestens die Hälfte davon haben mit den schönen Illustrationen von Agnes Ofner zu tun. Die andere Hälfte besteht größtenteils aus Erinnerungen an Schreibsonntage im Bett mit Kaffee auf dem Nachttisch und Laptop auf den Knien, an erstmalige Lesungen in der Erika-Bar in der Kartäuserstraße in Freiburg und an die vielen Wendungen und Drehungen, die es häufig gebraucht hat, bis eine Idee, manchmal erst nach Jahren, endlich zu Papier (bzw. zu einem Worddokument) gebracht wurde. Und nicht zuletzt freue ich mich darüber angesichts der Tatsache, dass ich noch vor ein paar Jahren aufgehört hatte zu schreiben. Mit 17 war es bereits meine Leidenschaft gewesen, herrlich altkluge Texte mit geklauten Zitaten meiner Lieblingsbands zu verfassen und sie meiner jeweiligen Angebeteten mit feierlicher Stimme vorzutragen. Später dann, Gott weiß wieso, hat es irgendwann aufgehört. Mit Anfang 20 war es komplett verloren gegangen.

Doch erfreulicherweise – und ich hoffe, dass auch du das nach dem Kauf dieses Buches so siehst – hat sich die Neigung zum Schreiben wieder an die Oberfläche durchgekämpft. Nach ein paar Anläufen gab es die ersten Lesungen, dann die ersten selbstorganisierten Lesungskonzerte und schließlich eine Ansammlung von 21 Geschichten und Gedichten zwischen zwei Buchdeckeln mit Verlag im Rücken. Und aufgrund dieses kurvenreichen Weges habe ich nicht das Gefühl, dass „Auf sie mit Gedöns!“ ein konsequentes Ergebnis jahrelangen Strebens nach einer Veröffentlichung ist, sondern das Resultat von glücklichen Zufällen, interessanten Begegnungen und vielleicht einem Händchen dafür, Ideen sofort aufzuschreiben, bevor man sie wieder vergisst.

Und so ein Ergebnis dann ohne Vorwort abzuliefern, wurde mir leider vom Verlagsteam untersagt. Also bitte sehr. Jetzt lasst uns endlich anfangen.

Allen Menschen,

denen ich schon mal begegnet bin.

Nackt

Aschenbecher voll, darüber der Dampf. Immer wenn sie malte, ließ sie ihre Zigarette auf dem Rand des Aschenbechers liegen. Zigarette zwischen den Lippen eingeklemmt? Das war was für Nutten und die, die es einmal werden wollen, sagte sie gerne. Nur, wenn sie ihre Zigarette nicht richtig ausmachte im Aschenbecher, dann konnte sie sich was anhören. Der kokelnde Filter war eben nicht so zauberhaft wie das Rauchen vorher. Niemand hat je behauptet, dass das Abziehen vom Kondom genauso aufregend ist wie das Überstülpen zu Beginn. Über dieses Bild hatten sie sich unterhalten, als sie zum ersten Mal zusammen in einer Ausstellung gewesen waren. Deichtorhallen. Denkwürdiger Ort, leicht verstörende und zugleich betörende Fotografien, leicht verstörende und zugleich betörende Frau an seiner Seite. Und dann das Gespräch über Kondome. Er hätte es schon damals wissen können.

Sie: Stehst du auf?

Er: Nein.

Sie: Ach schade. Ich dachte, du könntest mir was mitbringen.

Er: Ich stehe aber nicht auf.

Sie: Okay, schade.

Lieber schaute er sie weiter auf dem Rücken liegend von der Seite an. Sie saß wie immer im Schneidersitz neben ihm, die einzige Position, in der sie mittelfristig auf dem Bett das Gleichgewicht nicht verlor. In ihrer Hand der Zeichenblock und ein Bleistift. Und ansonsten: nichts. Er hatte es immer schon für einen grell exzentrischen Zug von ihr gehalten, dass sie morgens ihr schneeweißes Nachthemd nicht mit einem Pullover oder einem Morgenmantel bedeckte, sondern es stattdessen auszog und fortan nackt in ihrem gut beheizten Atelier herumlief. Er hätte es schon in den Deichtorhallen wissen können.

Er: Hab ich dir schon mal gesagt, dass ich diese neuen Farben richtig gut finde? Die auf dem Bild rechts neben dem Topf.

Sie: Ja, die sind teuer gewesen.

Endlich mal wieder ein Zigarettenzug, sonst wäre es bald wieder Zeit für selbst-kokelnde Filter gewesen. Es wäre eigentlich Zeit für Kaffee, Kaffee und Zigarette mittags im Bett beim Malen und Betrachten der Bilder. Nuttenfrühstück nannte man das doch früher. Nuttenfrühstück, egal ob mit Zigarette im Mundwinkel oder ohne. Er erhob sich mühsam aus dem Bett – die Matratze war zu alt und durchgelegen – kletterte über die zum Nachttisch umfunktionierte Weinkiste Richtung Kleiderschrank und suchte nach einer Unterhose.

 

Der Kaffeeduft musste seine Rückkehr angekündigt haben, denn sie wartete bereits mit leuchtenden Augen auf ihn. Er drückte ihr die Haarspange aus dem Bad in die Hand.

Sie: Genau darum wollte ich dich bitten.

Er: Ich weiß.

Kaffee. Zigarette. Dadurch gelegentlich Husten und leicht flaues Magengefühl. Der Rest war Haut. Er liebte es, ihre Brüste anzuschauen. Schräg von der Seite, leicht von unten, das war die beste Aussicht. Sie neckte ihn damit, dass sie leicht den Arm davorschob, wenn sie ihn beim Studium ihrer Kurven erwischte. Manchmal lachte sie auch einfach nur und stand auf, um ans Fenster zu gehen und der Welt nackt zuzuwinken. Sollten doch alle was davon haben.

Er: Ich finde, du malst zu viele männliche Akte.

Sie: Sie gefallen dir nur nicht, weil du eifersüchtig bist.

Er: Jep, stimmt genau.

Sie: Wenn jemand hier ist, ziehe ich mir immerhin das Nachthemd über.

Er: Das ist sehr beruhigend.

Sex mit anderen war erst vor einigen Tagen ein Thema gewesen. Heikles Thema, er war so verdammt altmodisch. Sie war aber auch nicht gerade das, was die originale Kunstavantgarde in Sachen freier Liebe von ihren Jüngern erwartet hätte. In der Theorie, ja schön, aber an der Umsetzung haperte es noch. Natürlich sah er gelegentlich auch andere Frauen, mit denen er sich romantische Augenblicke vorstellen konnte. Sie sprach sogar offen darüber, wann sie welchen ihrer Akte ganz gerne angefasst hätte. Zum Glück waren die Akte auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Sie: Hast du schon einmal nackt Cajon gespielt?

Er: Nein, wieso?

Sie: Da müssen dir doch dein Penis und deine beiden Cojones ordentlich im Weg sein.

Er: Ja, deshalb habe ich es wahrscheinlich auch noch nicht gemacht.

Der Akt auf der Leinwand ließ ihn nicht los. Die feinen Striche, die filigranen Formen, die kräftigen Farben, die Liebe zum Detail. Alles an diesem Bild schrie förmlich danach, dass sie sich sehr wohlgefühlt hatte mit ihm. Wächst man eigentlich jemals aus der Eifersucht raus?

Er: Wie heißt der Akt auf dem Bild da?

Sie: Er heißt Manuel.

Er: Gutaussehender Typ. Astralkörper.

Sie: Ja, aber ein ganz schlechter Liebhaber, das kann ich dir sagen.

Er: Das ist nicht witzig.

Sie: Wieso nicht?

Er: Einfach, weil es das nicht ist.

Sie: Du bist albern.

Er: Nein, ich habe einen neuralgischen Punkt und bin eifersüchtig. Das ist vielleicht nicht schön, aber ganz sicher alles andere als albern.

Sie: Meinst du, „neuralgisch“ hat irgendwas mit Algen zu tun?

Er: Warum werde ich hier eigentlich nie ernst genommen?

Er stand auf und verließ das Zimmer. Sie konnte ihn in der Küche herumwerkeln hören. Immer, wenn er ärgerlich war, klangen alle seine Küchengeräusche ein paar Dezibel lauter als sonst. Die Tasse, der Stuhl, die Schranktür. Alles mit ein wenig mehr Wucht.

Aber sie hatte keine Lust auf Streit. Manchmal schon, da liebte sie es, ihn einfach nur um der folgenden Versöhnung willen aus der Fassung zu bringen; das war immer ein schöner Moment. Und wenn man nicht genug zum Streiten hat, muss man eben ein wenig nachhelfen. Aber nicht heute. Heute würde hoffentlich ein schöner Tag werden. Es war immerhin ihr 70. Geburtstag.

Ist schließlich ’ne Kunst

Wärst du ein Magazin,

das früher überall erschien,

wär’ ich dein letzter Abonnent.

Machtest du lokal Musik,

ganz klein, noch nicht publik,

wär’ ich der Erste, der dich kennt.

Besuchtest du das hippste Café der ganzen Stadt,

das all den Schwachsinn, den ich nie trink, auf der Karte hat,

und ich könnte sicher sein, dich dort wieder zu sehen,

ich würde nicht nur kommen, hinterm Tresen würd’ ich stehen.

Wüsste ich um dein Hobby, Singen, Klettern oder Malen,

ich würde jede noch so teure Mitgliedschaft bezahlen,

würde Fußball spielen, in die Sauna oder alles zusammen,

führe mit dir nach Hause, in der gleichen Tram.

Doch Konjunktive helfen mir nun mal nicht weiter,

ich wusste es immer und bin doch nicht gescheiter,

nicht klüger und überhaupt, nicht mutiger als sonst,

dich anzusprechen, wer wagt es, ist schließlich ’ne Kunst.


Der Fuchs, der hat die Gans gestohlen,

Geliebte muss man wieder holen.

Wie alles begann

Anm. d. A.: Das literarische Resultat des Besuchs eines christlichen Gymnasiums ist im Folgenden zu lesen. Für diejenigen, die das Alte Testament nicht im Badezimmer oder auf dem Nachttisch liegen haben, sind alle verwendeten Bibelstellen deutlich gekennzeichnet. Das Plagiieren der Bibel wäre sonst ja auch Gotteslästerung.

Der Marktplatz eines kleinen Dorfes, einen Tagesritt von Jerusalem entfernt. Es ist späte Mittagszeit, das Treiben auf dem Platz verlangsamt sich angesichts der Hitze zusehends, doch noch immer sind viele Menschen im Schatten der niedrigen Häuser unterwegs und feilschen. Wir zählen das Jahr 3802 nach der biblischen Schöpfung der Erde. Also 41 n. Christi Geburt, aber das weiß hier noch keiner. Jakobus der Ältere, ein Apostel von Jesus Christus, steigt von seinem Pferd und besteigt umgehend ein Fass, um über die Menge zu blicken. Einige Neugierige mustern ihn interessiert.

Jakobus: „Menschen von Nes Harim, versammelt euch! Versammelt euch! Ich habe euch etwas Wichtiges zu verkünden.“

Einige Leute kommen tatsächlich etwas näher an das Fass heran, andere bleiben lieber im Schatten. Nicht noch so ein Spinner auf einem Fass, denken sich einige von ihnen.

Jakobus: „Menschen von Nes Harim, es ist ein glücklicher Tag, an welchem ich auf euch treffe. Ein Tag der Freude, ein Tag der Trauer. Ein Tag, der tatsächlich …“

„Sach mal, wie heißt du eigentlich?“, ruft einer der beistehenden Zuhörer.

„Ich? Stimmt, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Jakobus, Jakobus der Ältere.“

„Der was?“, ertönt es von hinten.

„Der Ältere!“

„Der was?“

„DER ÄLTERE!“

„Okay, okay, brauchst nicht gleich so aggressiv zu werden“, ruft ein dicklicher Mann aus der hinteren Reihe.

„Ich bin NICHT aggressiv“, entgegnet Jakobus defensiv. „Ich bin schließlich ein Apostel.“

„Ein was?“

„Ein Apostel!!“

„Ein was?“

„Ach“, stößt Jakobus mit einer wegwerfenden Handbewegung aus. „Wenn du etwas verstehen willst, dann komm eben näher. Liebe Menschen von Nes Harim, ich möchte euch von meinem Herrn erzählen, von meinem Schafhirten, meiner Fackel im Dunkel der Nacht, meinem Hoffnungsschimmer im Angesicht der Verführung durch den …“

„Hoffentlich wird das jetzt nicht wieder so ein pseudo-poetischer Vortrag wie von dem Typen letzte Woche“, raunt ein Gemüsehandler hörbar seinem Nachbarn zu.

„So, und nach dem anfänglichen Tohuwabohu hier möchte ich …“, fährt Jakobus fort, doch:

„Ey, nicht jede hier kann Hebräisch!“, ruft eine bunt angezogene Dame.

„Ja, aber auch nicht jeder Aramäisch“, entgegnet Jakobus ruhig und fährt fort: „So will ich euch heute, exakt acht Jahre nach jenem Tag, der mein Leben grundlegend verändert hat, die frohe Botschaft überbringen, dass …“

„Ich finde, wir sollten darüber abstimmen!“, ruft eine andere Frau von der rechten Seite des Fasses dazwischen.

Jakobus ist sichtlich irritiert: „Bitte? Abstimmen über was?“

„Ob du uns das auf Hebräisch oder Aramäisch erzählen solltest. Ist doch nur fair.“

Jakobus atmet einmal tief durch, er kennt das. So war es auch in Ramallah gewesen, ebenso in Halamish und in Jericho sowieso. Welche Besatzungsmacht hatte den Marktbesuchern dieses Kaffs eigentlich basisdemokratische Grundwerte beigebracht? Die Römer ja wohl nicht.

„Na gut, stimmen wir also ab“, gibt Jakobus seufzend nach. „Mach du das mal.“

„Okay.“ Die Frau scheint sofort in ihrem Element zu sein. „Wer der hier Anwesenden will die … die … was war das noch gleich?“

„Die frohe Botschaft“.

„… die frohe Botschaft des Jakos …“

„Jakobus!“, knurrt Jakobus.

„… meinetwegen auch des Jakobus auf Hebräisch hören? Melde er oder sie sich jetzt!“ Einige Hände fliegen in die Luft. Die Frau zählt. „Gut, wer will die fröhliche Botschaft auf Aramäisch hören?“ Wieder zahlreiche Hände. Die Frau muss wieder durchzählen.

„Oh weh, hoffentlich gibt es irgendwann mal eine Weltsprache, die leicht verständlich ist“, sagt der Gemüsehändler leise zu seinem Nachbarn, während noch gezählt wird.

„Wieso, die gibt es doch schon! Latein!“, entgegnet der.

„Was? Diese Imperialistenscheiße? Nein, ich meine eine Weltsprache, die alle ganz freiwillig sprechen und die ihnen nicht einfach nur deshalb untergejubelt wurde, weil irgendwelche Könige oder Herrscher Land besitzen wollten.“

„Stimmt ja … Naja, wird schon klappen. So dumm sind die Menschen ja nun auch wieder nicht, die Fehler der Römer immer und immer wieder zu machen“, zischt der Nachbar zurück, während die Abstimmungsbeauftragte bereits dabei ist, das Ergebnis zu verkünden.

„… und vierzehn Stimmen für Aramäisch, damit hat Aramäisch gewonnen!“

Jubel ist daraufhin zu hören, aber auch verbitterte Zwischenrufe.

„Nun gut“, versucht Jakobus sich nun wieder Gehör zu verschaffen. „Was ich eigentlich sagen wollte. Ja. Was ich sagen will, ist dies, Freunde … Was ich sagen will, ist dies …“ Er hat ganz offenbar den Faden verloren. „Was ich sagen will, ist dies, liebe Freunde.“ Die Ersten beginnen bereits mit den Augen zu rollen, doch da fängt sich Jakobus endlich. „Genau, was ich sagen will ist: Ihr seid befreit, liebe Freunde! Entledigt aller Sorgen! Eure Schuld ist vergeben, eure Sünden sind vergessen! Ihr könnt eure Hände endlich wieder in Unschuld waschen, wie es im Psalm 26 steht. Ihr tappt nicht länger im Dunkeln, wie noch unser Stammesvater im Deuteronomium. Euch wird niemand mehr mit Füßen treten, wie es im Buch Samuel noch Gang und Gäbe war. Auch einen Sündenbock werdet ihr nicht länger brauchen, anders als Moses im Leviticus.“

„Mann Mann, der findet sich und seine Tora-Festigkeit aber auch richtig geil, oder?“, murmelt ein älterer gebrechlicher Herr.

„Es ist, wie ich es sage, liebe Freunde.“ Jakobus ist nun richtig in Fahrt gekommen. „Endlich laufen wieder alle Wasser ins Meer, wie es beim Prediger Salomo im ersten Kapitel steht. Die fetten Jahre mögen vorbei sein, wie Moses im Buch Genesis schreibt, aber in Wirklichkeit wird man euch wie einen Augapfel hüten, wie es im Sprüchebuch heißt.“

„Heißt das, die Römer machen endlich die Fliege?“, brüllt der dickliche Mann von hinten über die Menge.

„Yeah, wir hauen die Römer raus, WIR HAUEN DIE RÖMER RAUS“, schallt es wieder und wieder über den Marktplatz und die Menge gerät völlig aus dem Häuschen.

„Nein, nein“, ruft Jakobus laut, doch er kommt kaum gegen das Gewusel an. „Ich verkünde euch etwas viel Größeres! Nicht irgendetwas, das alle Jubeljahre einmal passiert, wie schon Moses es gesagt hat. Eure David-gegen-Goliath-Stunde wird kommen, aber dies ist sie nicht!“

Endlich hat sich der Mob wieder beruhigt. Ein betretenes Schweigen tritt ein. Leicht enttäuschte Gesichter blicken nun zu Jakobus auf. Der will die Situation retten:

„Ich verkündige euch, dass der Herr seinen Sohn geschickt hat, um das Leid und die Sünden der Welt auf sich zu nehmen und euch zu vergeben. Auf dass Frieden in die Welt komme und Schwerter zu Pflugscharen werden, wie es bei Jesaja steht. Auf dass niemand niemandem mehr ein Dorn im Auge ist, um mit dem Buch Numeri zu sprechen.“

Langsam geht die Wichtigtuerei von Jakobus den Leuten gehörig auf den Senkel.

„Jaja, doch alles hat seine Zeit, wie es bei Salomo steht“, ruft jemand. „Zunächst muss man sich aber auf Herz und Nieren prüfen lassen, wie es im Psalm sieben heißt, bevor man für die Sündenvergebung qualifiziert ist.“

„Kommt ja eh über Nacht, denn seinen Freunden gibt es der Herr im Schlaf, siehe Psalm 127, wa?!“, ergänzt der Gemüsehändler mit lachender Stimme. Die Menge kichert und findet nun richtig Spaß an diesem Spiel.

 

„Ich meine, Hochmut kommt ja vor dem Fall, wie es im Sprüchebuch heißt, da sollte man vielleicht nicht schon Brief und Siegel drauf geben, siehe Jeremias“, krächzt der ältere Herr lachend.

„Immer erstmal gucken, ob man auf einen grünen Zweig kommt, hat ja schon Hiob gesagt“, lässt sich ein dickbäuchiger Mann mit weißem Bart und Glatze vernehmen.

„Genau, sonst gibt es eine entsprechende Botschaft“, prustet die bunt angezogene Dame los und die Menge stimmt ein. „Und die wird dann ganz sicher nicht ’ne frohe Botschaft sein!“, ruft die Frau rechts neben dem Fass. Einige Menschen liegen auf dem Boden vor Lachen.

Jakobus schaut genervt zu Boden und seufzt. Eigentlich haben sie es gar nicht verdient, dass man sich ihretwegen solche Mühe macht, scheint er zu denken. Obwohl, eigentlich eben doch.

„Liebe Freunde“, setzt Jakobus noch einmal mutig an, „es ist größer und wahrhaftiger als ihr denkt. Ich habe ihn gesehen und bin mit ihm gegangen. Mit dem Sohn des Herrn, er ist tatsächlich unter uns gewandelt.“

Das erreicht die Menschen nun doch. Sie kommen langsam zur Ruhe und schauen Jakobus erneut fragend an.

„Im Ernst?“

„Ja, im Ernst, mein Sohn.“ Jakobus fühlt, dass er die Leute nun wieder im Griff hat.

„Vielleicht möchte das mal jemand mitschreiben? Es ist wichtig, was ich euch zu sagen habe, und es sollte nicht in Vergessenheit geraten.“

„Ja, gute Idee“, ruft wieder die Frau rechts von ihm, die ganz offenbar die Kommandeurin ist.

„Klaro, schreibt das ruhig mit“, lässt sich der Nachbar des Gemüsehändlers sarkastisch vernehmen. „Es kann zwar kaum jemand lesen, aber ist immer schön, gute Botschaften auf Halde zu haben, falls man mal schlecht drauf ist.“

Die Frau ignoriert ihn. „Wer will mitschreiben, was Jakotus uns zu sagen hat? Matthäus, was ist mit dir? Du kannst doch schreiben.“

„Was? Ich?“ Matthäus ist sichtlich überfordert. „Hmm, muss das sein? Ich bin echt heute nicht so fit und mein Aramäisch ist seit der Schule auch nicht mehr so richtig …“

„Ach Quatsch, du machst das schon! Immerhin bist du einer der wenigen hier, die Aramäisch schreiben können. Schreib einfach das Gröbste mit und den Rest kannst du ja später ergänzen. Na denn, weiter geht’s.“

„Danke sehr. Nun, wie gesagt, es ist der Sohn Gottes gekommen und hat den Menschen gebracht, wonach sie sich seit den Zeiten im Garten Eden gesehnt haben, die Vergebung der Sünden.“

„Ey, stimmt! Jetzt wo du es sagst!“, platzt es aus jemandem heraus, „Ja, da war doch so ‚ne größere Geschichte in Jerusalem vor ein paar Jahren. Shimuni, erinnerst du dich?“

„Stimmt“, entgegnet Shimuni nachdenklich, „da war ganz schön Aufsehen zum Pessach-Fest.“

„Genau davon spreche ich“, erwidert Jakobus, erfreut über die Anteilnahme. „Und dieser Sohn Gottes hat so viele wundervolle Dinge getan! Er hat zum Beispiel jemanden von Lepra geheilt!“

„Was, echt? Hast du das gesehen?“

„Ja, natürlich. Also ich selbst nicht, aber meine Apostelkollegen waren dort, kurz nachdem es passiert war.“

„Wow, das ist ja der Hammer.“

„Ja, das ist es“, spricht Jakobus leiser weiter. „Er hat den Fischfang am See Genezareth wieder ertragreich gemacht, er hat die Tochter des Jairus wiederauferstehen lassen, er hat auf einem Hügel zu den Menschen über die Tora gesprochen!“

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