Buch lesen: «Die poetische Sprache der Hypnose»
Dieses Buch ist meinem Großonkel, dem expressionistischen Schriftsteller Georg Kaiser (1878–1945), und meinem Großvater, dem Förster und Lyriker Fritz Amsler (1896–1954), gewidmet.
Agnes Kaiser Rekkas
Agnes Kaiser Rekkas
Die poetische Sprache der Hypnose
Therapeutisch wirksame Trance in ihrer sinnlichsten Form
2020
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
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Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
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Themenreihe »Hypnose und Hypnotherapie«
hrsg. von Bernhard Trenkle
Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlaggestaltung: Heinrich Eiermann
Umschlagmotiv: © John Curran
Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Erste Auflage, 2020
ISBN 978-3-8497-0362-2 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8251-1 (ePub)
© 2020 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
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Carl-Auer Verlag GmbH
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Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22
Inhalt
Worte können zaubern – Ein Vorwort
Teil 1: Poetik im hypnotischen Raum
Die Kraft der poetischen Hypnose
Das Spektrum der poetischen Hypnose
Die Struktur der Hypnose, poetisch angereichert
Teil 2: Poetische Hypnose in der Praxis
Die Geschichte der Hypnosetexte dieses Buches
Die poetische Hypnose und ihre therapeutische Wirksamkeit
Didaktische Erläuterung einzelner Texte
Poetische Hypnosetexte sprechen
Teil 3: Poetische Hypnose in 95 Texten
1Starter: »Hypnoseperlen« – Hypnose spielend lernen und schon beginnen zu genießen
IDer Körper frisch … die Gedanken ruhig … die Seele heiter …
2»Fruchtstärke« – Kalorienfreie Stärkung für den Selbstwert
3»Eiswürfel & Wassermelone« – Erfrischung für heiße Zeiten
4»Aufrecht wie eine Zypresse« – Körper und Seele im Lot
5»Im Basar« – Eine hypnotische Teppichreise; Auffinden von Kräften und Fähigkeiten
6»Der Baum, der weinte« – Kontaktaufnahme zur Spontaneität, Kreativität, Vitalität
7»Die Nikolaushypnose« – Selbstachtung, Selbstwert, Selbstbewusstsein, Lebensfreude
8»Ich tanze mich frei« – Leicht, spielerisch, frei, spontan
IIAtme mit dem Wind – Freie Atmung, gute Stimmung
9»Heuschnupfen adieu! Mein Sommer wird schön!« – Selbstwirksame Suggestionen für heilsame Vorgänge
10»Golden Beach« – Freie Atmung, gute Stimmung; Erleichterung für die Atemwege
11»Sternbild« – Freie Atmung, körperliche Kräftigung und seelische Stabilisierung
12»Unabhängig und (rauch)frei!« – Selbstbewusst in die Zukunft
IIIGeistig fit, sicher, leistungsstark
13»Wie eine 1« – Innere Ruhe und Stabilisierung für die Prüfung
14»Fit für die Prüfung« – Innere Ruhe, Stärke, Selbstvertrauen, Klarheit und Ausdauer
15»Helenas Reise durch den Kopf« – Leicht lernen, gut behalten, klug wiedergeben; Hypnoseanleitung für Jugendliche
16»Im Zauberwald bei Nacht« – Licht ins Dunkel bringen; Auflösung von Dunkelangst
IVDer Diamant der Stärke
17»Die goldfarbene Wolke« – Beruhigung, tiefe Erholung
18»Der Diamant der Stärke« – Erholung und Vitalisierung
19»Der Lindenbaum« – Beruhigung, Erholung, Stärkung, Erdung
20»Die Schutzhülle« – Selbstschutz, Widerstandskraft
21»Klares Türkis und warme Koralle« – Selbstfindung
22»Zurück in der Kraft« – Freude an der wiedergewonnenen Lebensenergie
VEin Schlafkokon für tausendundeine Nacht
23»Sieben Schritte in tiefen Schlaf« – Den Tag entlassen, den Schlaf begrüßen
24»Eine kleine Nachthypnose« – Leicht einschlafen mit guter Selbstsuggestion
25»Die nachtblauen Samtvorhänge« – Vom Alltag abschalten, entspannt einschlafen
26»Der Schlafkokon« – Tief schlafen in vollkommener Geborgenheit
27»Wie eine Feder« – Federleicht einschlafen, ohne Zähneknirschen durchschlafen
28»Das friedliche Rauschen des Waldes« – Schlafen trotz Stress
29»Die lachenden Träume« – Gutes Traumgeschehen anregen
30»Der tropische Wasserfall« – Leicht einschlafen, erholsam durchschlafen, schön träumen, erquickt aufwachen
VIAufwind für die Stimmung – Stabilisierung und Vitalisierung
31»Die Sonnenblume« – Einführung in Hypnose, Stärkung durch Auffinden von Ressourcen
32»Go with the flow« – Selbstwertstärkung, Stabilisierung
33»Ein herrlich grauer Novembertag« – Selbstwertstärkung, Stimmungsaufhellung
34»Wie eine Möwe im Aufwind« – Ungutes verabschieden
35»Paradise is now« – Achtsamkeit im Hier und Jetzt
36»Der ungebetene Gast« – Der Depression die Tür weisen
VIIDie Glückspraline – Pralles Glück für die Figur
37»Beschwingt« – Intuitiv auf dem Weg zum Ziel
38»Auf dem Gemüsemarkt« – Augen auf für Gesundes, Augen zu beim Genuss!
39»Das innere Freudenfeuer« – Innere Klärung lässt Pfunde schmelzen
40»Die Sandburg« – Lust an Spiel und Spaß; für (innere) Kinder
41»Die Zähmung des süßen Monsters« – Süßigkeiten? Nee, lieber süße Hypnose!
42»Die Glückspraline« – Süßes nur mit voller Lust
VIIIMein Wunschgewicht – Mehr Selbstfürsorge, weniger Gewicht
43»Die Apfelhypnose« – Mehr Achtsamkeit beim Essen und damit mehr Genuss
44»Zu viel Gewicht? Steig heraus!« – Mit Leichtigkeit zu mehr Genuss
45»Die Giraffe« – Tiefe Hypnose für innere Stärkung und Selbstfürsorge
46»… und eine Portion genügt!« – Maßvoll essen. Warum nicht?
47»Meine wahre Gestalt« – Entfaltung auf tiefer unbewusster Ebene
48»Mein wunderbares kleines Kino« – Das Wunschgewicht erleben und unbewusste Prozesse bahnen
49»Mein Körper von morgen« – Selbstfürsorge und Gewichtsreduktion Hand in Hand
IXDie venezianische Maske – Erotische Fantasien
50»Maiglöckchen« – Sexuelle Gefühle stimulieren
51»Im Zentrum der Lust« – Schön, erotisch, frei, spontan
52»Die venezianische Maske« – Lust und Libido anfeuern (für Sie)
53»Dahingleitend …« – Sinnlichkeit und männliche Potenz (für Ihn)
54»Denn die Liebe … sie ist ein Spiel!« – Sich freisprechen, freitanzen, freilieben
XFrauenpower – Für Schwangerschaft und Geburt
55»Die Margeritenwiese« – Fröhlicher Dialog mit dem Kind im Mutterbauch
XIHeiße Jahre, kühle Wonne – Stabil und im Einklang durchs Klimakterium
56»Entspannende Ruhe … klare Kühle … ruhiger Herzschlag … sichere Gefühle«
57»Aphrodite« – Kühles Bad für heiße Wallung
58»Eisblumen« – Erlernen selbstwirksamer hypnotischer Abkühlung
59»Die schöne Kriegerin« – Ausgeglichen und standsicher
XIIIch lebe mich gesund – Mut, Stärke, Zuversicht
60»Ich lebe mich gesund!« – Beruhigung, Erholung und Zuversicht
61»Kraftort Portovenere« – Die Chemotherapie gut vertragen (1)
62»Vollmond am Strand« – Die Chemotherapie gut vertragen (2)
63»Besuch im Eispalast« – Für die Strahlentherapie, stimmungsaufhellend und ermutigend
64»Mit unbeirrbarem Glauben« – Erholung, Stärkung, Mut und Ausdauer
65»Die ozeanische Trance« – Tiefe Hypnose für Wohlbefinden und Kräftigung
66»Der Ressourcentank« – Schöne Erinnerungen für Halt und Zuversicht
67»Im Teich der Erholung« – Energie tanken
XIIIDas Seepferdchen – Glückliche Zähne
68»Das Seepferdchen« – Beim Zahnarzt entspannt am Strand!
69»Lavendelblau« – Wohlbefinden vor und während der Zahnarztbehandlung
70»Wer seiner Kraft vertraut, braucht nicht verbissen zu sein« – Schlafen ohne Knirschen
XIVTräum dich schön! Hypnoseschlaf für gesunde Haut
71»Nofretete« – Einführung in Hypnose und erste Heilsuggestionen
72»Träum dich schön!« – Hypnoseschlaf für gesunde Haut
73»Die Insel der Selbstklarheit« – Klares Selbstgefühl, reine Haut
74»Spaziergang in warmen Herbstfarben« – Guter Umgang mit der Haut
75»Die Energiehaut« – Geschützt, stark, widerstandsfähig
76»Die heilende Haut« – Hypnosefantasie für Abheilung der Mundschleimhaut nach Chemotherapie
XVSeele und Bauch auf wundervoller Reise – Erholung für den Darm
77»Die Hypnosewunderpille« – Tiefe Hypnose, Wohlbefinden, heilsame Vorgänge im Darm
78»Wie im Märchen« – Wohlbefinden in Bauch und Seele
79»Einfach mal chillen …« – Auflösen von Schmerz; heilsamer Abstand zwischen Kopf und Darm
80»Das rote Telefon stilllegen« – Loslassen innerer Dialoge, Bilder und Gefühle, die die Symptomatik auslösen, und Neuorientierung
XVIArthrose? Hypnose!
81»Sonnenwarmes Moorbad für Rücken und Gelenke« – Schmerzentlastung und Erholung pur in Mutter Natur
XVIISeifenblasen – Gesunden und gesund bleiben
82»Lichtersee« – Heilendes Licht, Wohltat für den Körper
83»In der Rachenhöhle« – Den Drachen bezwingen, die Höhle reinigen und ausheilen
84»Die kleine Sanitäterin« – Hypnosefantasie für Jugendliche mit entzündlicher Darmerkrankung
85»Die Blaue Grotte« – Hypnosefantasie für Jugendliche
86»Das Reh des Unbewussten« – Tiefe Hypnose und heilsame Begegnung
87»Süßes Nichtstun im Park der Heilung« – Wellness für den Körper
XVIII»The promise of summer«
88»Sunbeam-shower« – Energy, support, stability
89»Sea of light« – Healing light and pledge; promise to the body
90»The magic sponge« – Deep hypnosis, clarity, spiritual freedom, and healthy body functions
91»Constellation« – Free breathing, more bodily strength, and spiritual support
XIXEine Träumerei – Frei von Symptom, Konflikt, Angst in die Zielgerade für Heilung und Meisterung
92»Die Nacht mit dem Wunder« – Das Ziel erleben und für die Zukunft bahnen
XXBewältigung großer Herausforderungen – Ressourcen und Reset
93»Rückfall? Reset in die Ressourcen!« – Umgang mit einem Rückfall
94»Die weiße Taube« – Selbstwert und Lebenslust
95»Der innere Diamant« – Kontakt zur inneren Kraft
Schluss
Gute Hypnosetexte entwerfen und die eigene Hypnosesprache finden
Anhang
Zitierte Literatur
Hypnose-CDs von Agnes Kaiser Rekkas
Über die Autorin
Worte können zaubern – Ein Vorwort
So aufgeklärt, modern, nüchtern und vernünftig wir sein mögen, wohnt uns dennoch eine romantische Seele inne: Wir lieben den Duft von Blüten, lassen uns vom Vollmond verführen, von Musik stimulieren und geraten durch schöne Erinnerungen ins Träumen. Auch Worte – zumal, wenn sie in Trance erklingen –, die uns vom Duft der Blüten, vom Silber des Vollmondes, von harmonischen Melodien und glücklichen Momenten erzählen, berühren und bringen uns in Schwingung.
Worte projizieren spontan Bilder. Sie wecken Assoziationen und kreieren so innere Wirklichkeiten. Auf diese Weise bauen sie innere Gefühlswelten auf und stimulieren die Hormonausschüttung. Diese Botenstoffe beeinflussen ihrerseits körperliche Vorgänge, von den seelischen ganz zu schweigen, während sich auf geistiger Ebene verloren geglaubte Erinnerungen, ungeahnte Erkenntnisse und Ideen hervorrufen. Überraschend löst sich Anspannung, Zeit nimmt andere Maße an, die Stimmung steigt, Kräfte wachsen, Ressourcen treten zutage, Schmerz vergeht und das Herz öffnet sich.
Worte können zaubern. Und von diesen Worten möchte ich Ihnen hier erzählen. Mit Worten und Texten zu spielen machte mir schon immer große Freude. Das habe ich unter anderem gleich zwei meiner Vorfahren zu verdanken: meinem Großvater mütterlicherseits und meinem Großonkel väterlicherseits, beides Schriftsteller, die in meiner Familie große Beachtung fanden, und mit deren Wirken ich mich seit meiner Jugend beschäftigte:
Mein Großvater Fritz Amsler (* 1896 in Biel, † 1954 in Langenthal) war Oberförster in den Berner Alpen und Schriftsteller. Er schrieb sowohl Lyrik als auch Theaterstücke, unter anderem als Kriegsgegner und Pazifist Das Vermächtnis, und war mit einer Gruppe von Literaten befreundet, die sich regelmäßig bei ihm trafen. Ich liebte meinen Großvater sehr, denn er konnte zaubern. Das tat er aber nur für mich. Leider erlebte ich diesen still-bescheidenen Mann selten, da er weit entfernt lebte, in dem Land mit der leckeren Schokolade und den Almen voller Enziane und Alpenrosen. Und ich verlor ihn früh, als ich gerade mal 5 Jahre alt war. Mein Großvater litt unter schweren Depressionen und stürzte sich aus schwindelnder Höhe in den Abgrund, um sich und die Seinen zu befreien.
»Doch Sappho singt nicht mehr, sie singt nicht mehr.
Das leichte Lied, das vogelleichte Lied
Singt Sappho nicht mehr. Als sie von uns schied
Sang sehnsuchtsvoll entgegen ihr das Meer.«
Fritz Amsler, Klage um Sappho, Bern 1947
Weitaus berühmter war »Onkel Georg«, den ich nur aus Erzählungen kenne. Für Georg Kaiser (* 25. November 1878 in Magdeburg, † 4. Juni 1945 in Ascona), einen hochbegabten, scharfsinnigen Exzentriker, galten keine Regeln. Sechzehnjährig brach er 1895 seine schulische Laufbahn ab und resümierte damals:
»Den Schulzwang erfüllte ich im Gymnasium Zum Kloster unserer lieben Frauen. Nach den großen Anstrengungen des Vergessens aller unfreiwillig erworbenen Kenntnisse, fasste ich – von nun an von außen unbehindert – unbeschränktes Vertrauen zu mir selbst.«
Zum Entsetzen seiner großbürgerlichen Familie verdingte er sich daraufhin als »Kohletrimmer« auf einem Frachtschiff unterwegs nach Südamerika. In Buenos Aires fand er zunächst Arbeit als Büroangestellter in einem Kaffeekontor, dann bei der Firma AEG. Doch kehrte er im Jahre 1901 halbtot, weil schwer an Malaria erkrankt, nach Deutschland zurück, wo ihm allerdings 1914 mit seinem Theaterstück Die Bürger von Calais der literarische Durchbruch gelang. Dank seiner geistvoll-pointierten Sprache, seinen Metaphern und Wortneuschöpfungen sowie seinem typisch expressionistischen Bild vom neuen Menschen wurde er – vollkommener Autodidakt – bald der erfolgreichste Dramatiker des Expressionismus und neben Gerhart Hauptmann in Deutschland der meistgespielte Bühnenautor seiner Zeit!
Kein Wunder, dass ihn das NS-Regime für seine Propagandapamphlete einspannen wollte. Doch mein Onkel verweigerte sich. Am 18. Februar 1933, während der Uraufführung seines Dramas Der Silbersee, stürmte die Sturmabteilung (SA) das Leipziger Schauspielhaus. Das Stück wurde vom Spielplan gestrichen und ein Publikationsverbot gegen ihn erlassen. Im Mai 1933 brannten seine Bücher. Georg Kaiser fand über Umwege Zuflucht in der Schweiz, wo seine Stücke aufgeführt wurden und er neue verfasste, wie Der Soldat Tanaka und Das Floß der Medusa. Bis zuletzt arbeitete er an dem Roman Ard, in dem er unter anderem Bezug auf das Konzentrationslager Theresienstadt nahm. Verarmt starb mein Großonkel kurz nach Kriegsende im Schweizer Exil.
»Kannibalismus – Militarismus – Nationalismus.«
»Revolution? Der Besitz wechselt die Taschen.«
»Sein Denken formen – das allein ist Glück.«
»Lasse keiner sich vom Wahn verführen, dass er mehr als jeder andre gelt‹:
Cäsar wollte mit dem Schwert regieren, und ein Messer hat ihn selbst gefällt.« (geschrieben 1932)
»Das Drama schreiben ist: einen Gedanken zu Ende denken.« (Georg Kaiser, 1966)
Nicht nur meine Vorfahren inspirieren mich, sondern auch andere Menschen. Michelangelo, zum Beispiel, gab die Initialzündung für die Hypnose Meine wahre Gestalt zum Thema Übergewicht, mit seinem berühmten Ausspruch:
»La figura era già nella pietra grezza. Ho solo dovuto buttare via tutto ciò che era superfluo.«
(Die Figur war schon in dem rohen Stein. Ich musste nur noch alles, was überflüssig war, wegmeißeln.)
Mein Gastroenterologe lehrte mich, wie ironische Absurdität den Geist erst durcheinanderwirbeln und anschließend in umso bessere Verfassung katapultieren kann. Mit verschmitztem Lächeln verkündete er mir direkt nach dem Aufwachen aus der Narkose das Ergebnis der Koloskopie: »Ich konnte beim besten Willen nichts finden« – so als ob er in den Höhlengängen meines Darms nach Goldvreneli (einer Schweizer Goldmünze) gesucht hätte. Total verwirrt brauchte ich einige Zeit, bis ich verstand, dann aber umso größere Entlastung empfand.
Meine erste bewusste Lektion in Reframing und Ressourcensprache erhielt ich vor 40 Jahren auf Trinidad in der Karibik durch einen fürsorglichen Vater der besonderen Art: Auf einer Gartenparty im Freundeskreis wurde mir ein prachtvoller Mann vorgestellt. Gewinnend lachte er mich mit blitzend weißen Zähnen an. Sein nackter Oberkörper schien ein Paket spielender Muskeln zu sein, seine Arme waren durchtrainiert und seine Hände angenehm fleischig, sodass einem spontan der verrückte Wunsch überkommen konnte, sich wie Däumelinchen in eine dieser Handflächen zu kuscheln. Sein Untergestell war verpackt in kanarienvogelgelbe Bermudashorts, eine Farbe, die mit dem Ton seiner Haut einzigartig harmonierte. Aus den Shorts lugten herrlich pralle Oberschenkel heraus, die in wohlgeformte Knie übergingen. Seine Waden ließen demgegenüber etwas zu wünschen übrig, und die Füße waren platt, doch das verzieh man gerne. Unübersehbar, der Kerl war ein unschlagbarer Womanizer! Deshalb staunte ich auch nicht, als eine Freundin mir zuraunte, wie er seiner Manneskraft überall auf der Insel freien Lauf gelassen hatte: Mit knapp 30 Jahren hatte er schon sieben Frauen ein Kind angehängt. Er selbst schien das anders zu sehen und verkündete voller Stolz: »I have seven children, and each of them has its own mother.«
Meine Mutter, die ich – eher zu meinem Leidwesen – nicht mit einem Geschwister teilen musste und die wie alle guten Mütter nicht fehlerfrei war, hat sich ohne Zweifel ebenfalls um meinen schier unbegrenzt sprudelnden Ideenreichtum verdient gemacht: Ich ging gerne zur Schule, und meine mittelmäßigen Noten bereiteten mir nicht den mindesten Stress. Waren Prüfungen angesagt, schickte meine Mutter mich immer mit dem liebevollen, schweizerisch gefärbten Satz los: »Ach, Agnesli, du hast doch so viel Fantasie!« Ermutigt machte ich mich auf den 3 Kilometer langen Fußmarsch zur Schule – genug Zeit, in der diese Suggestion ihre volle Wirkung entfalten konnte. Später machte ich daraus: »Sie dürfen alles denken, Sie dürfen aber auch alles Denken Ihrem Unbewussten überlassen.«
So wurde Sprache mein Interessengebiet und Hypnosesprache meine Bestimmung. In Trance die richtigen Worte zu sprechen, vor allem aber zu hören, bekommt eine andere Dimension in Bezug auf Nähe, Dichte, Resonanz. Hierfür bedarf die Sprache der Klarheit und Ausdruckskraft, aber auch der Fantasie und Poesie, will heißen: expressionistisch-klarer, suggestiver Momente sowie romantischer, ja mystischer Akzente.
Erst eine stimmige Komposition der Worte mit sinnlicher Nuancierung und vielfältigen offenen Angeboten verleiht Hypnosetexten ihre außergewöhnliche therapeutische Tiefenwirkung. Unbewusste kreative Prozesse kommen dabei wie von selbst ins Fließen. Denn ebenso wie wir die schöne Sprache in Literatur, Kunst, Theater oder Film schätzen, tun wir dies in der hypnotischen Trance. Ja, wir genießen die kunstvoll formulierte Hypnosesprache sogar noch intensiver, sind wir doch in einem veränderten Bewusstseinszustand und somit offen und zugänglich für eine ganz neue Art des inneren Erlebens und Empfindens.